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Obwohl ich Fahrlehrer bin, habe ich in meinem Leben schon viele Strafzettel bekommen. Die habe ich auch alle bezahlt. Zumindest die, aus meinen reiferen Jahren. Denn die Strafmandate, bei denen ich das versäumt hatte, als ich noch ein rebellischer Jugendlicher und Tunichtgut war, kosteten mich am Ende das dreifache des urprünglich mir abverlangten Betrags. Ich gehöre zu den Menschen, die potentiell aus Erfahrung klüger werden. Aber die Erfahrung, die mich tatsächlich klüger macht, muß ich anscheinend erst noch machen. Und so geschah es, zu meinem ewigen Bedauern, dass ich mich eines Tages nicht nur weigerte, einen Strafzettel zu bezahlen, von dem ich der Meinung war, man habe ihn mir zu Unrecht auferlegt, sondern, ich entschloss mich dazu, dieses mal einen Anwalt mit der Vertretung meiner Rechte zu betrauen. Als ich mich in meinem illustren Bekanntenkreis umhörte, auf das man mir einen guten Advokaten empfehlen möge, machte man mich auf einen gewissen Herrn Dr. Rubin Kragenweiß aufmerksam. Er war mir nicht bekannt, aber man versicherte mir, er sei ein Geheimtip, und der kompetenteste Rechtsexperte des Landes. Es sei wahnsinnig schwer, überhaupt einen Termin bei ihm zu bekommen, aber man würde sehen, was man für mich tun kann. Allerdings sei er nicht ganz billig. Da es mir nicht ums Geld, sondern ums Prinzip ging, rief ich Dr. Kragenweiß noch am selben Tag an, und verabredete meinen Besuch in seiner Kanzlei für den nächsten Tag um Punkt 10 Uhr. Seine Sekretärin ermahnte mich pünktlich zu sein, denn die Zeit ihres Chefs sei sehr wertvoll. Und sie sagte mir auch, dass Dr. Kragenweiß nur deswegen einen Termin für mich eingeschoben habe, weil jemand ein gutes Wort für mich eingelegt hat. Aha. Meine Freunde hatten also Wort gehalten. Ich wußte das zu schätzen.

Als ich um Punkt 10 Uhr dort eintraf, verwöhnte mich der dezente Lederduft der gemütlichen Sessel im Vorraum zu seinem Büro. Und ich bemerkte einen alten Meister an der Wand. Ein Original. Seine bemerkenswert attraktive Sekretärin bat mich, mit einem freundlichen Lächeln, noch einen Moment Platz zu nehmen, der Herr Doktor würde in wenigen Minuten Zeit für mich haben. Der Mann ließ mich geschlagene zwei Stunden warten! Zahlreiche andere Mandanten gaben sich die Klinke in die Hand. Als ich endlich zu ihm vorgelassen wurde, empfing er mich ohne Umstände, mit einem jovial hingeworfenen "Kragenweiß! Hallo! Sie müssen der unberechtigte Strafzettel sein!" und reichte mir die Hand. "Ich habe ihre Akte angefordert, aber da ich kein Feund des wartens bin, bereits telefonisch angefragt, wie die Sachlage ist. So, wie ich das sehe, ist dieses Strafmandat völlig zu Unrecht gegen sie ergangen. Lassen sie den Fall ruhig in meinen bewährten Händen. Und kommen sie bitte nächste Woche um die gleiche Zeit wieder zu mir, damit ich ihnen den Stand der Dinge mitteilen kann. Und jetzt Entschuldigen sie mich bitte, ich habe noch zu tun! Halt! Unterschreiben sie bitte noch diese Vollmacht für mich, sonst kann ich nicht für sie arbeiten!"
Ich tat es.

Er drückte einen Knopf an seinem Schreibtisch, und seine charmante Sekretärin brachte seinen nächsten Mandanten herein. Erst als ich wieder auf der Straße stand, wurde mir klar, dass ich nicht ein einziges Wort zu meinem Anwalt gesagt hatte. Natürlich beschwerte ich mich bei meinen Freunden, die ihn mir empfohlen hatten. Ich warf ihnen an den Kopf, er sei der arroganteste, unhöflichste, und aufgeblasenste Kerl, dem ich je begegnet bin. "Wie viele teure Anwälte kennst du denn?" Ich überlegte kurz, und mußte dann zugeben: "Keinen, außer diesen." "Das haben wir uns gedacht! Die wirklich teuren Anwälte sind alle so!" Und man versicherte mir, er sei wirklich eine Kapazität, dass er einen Fall niemals aufgebe, und auch noch nie einen verloren habe.

Also fand ich mich eine Woche später wieder in der Kanzlei von Dr. Kragenweiß ein, wartete zwei Stunden, und bekam ihn am Ende auch zu Gesicht. Kragenweiß grinste mich zuversichtlich an, und eröffnete mir, ohne Gruß: "Ah! Der unberechtigte Strafzettel! Wo habe ich doch gleich ihre Akte hingelegt?" Er fuhrwerkte mit zwei Händen auf seinem chaotischen Schreibtisch herum, und, mit einem triumphierenden Lächeln, als wäre er gerade auf eine Goldader gestossen, rief er: "Ah! Hier ist sie ja!" Er las ein wenig in der Akte, und sprach, ohne mich anzusehen: "Hm. Hm. Wir machen Fortschritte, wir machen durchaus Fortschritte! Ich habe eine einstweilige Verfügung erwirkt, die sie von der Zahlung des Strafzettels vorübergehend befreit. Des weiteren habe ich ihren Nachbarn Schulze wegen Nötigung verklagt, weil er mit seinem Wagen die Einfahrt zu ihrem Haus blockiert hat, was sie dazu genötigt hat, sich hinter ihn zu stellen, was ihnen dieses ärgerliche Strafmandat eingebracht hat. Aber nicht mir mir! Nicht mit mir! Wir müssen jetzt auf die Klageerwiderung von Schulzes Anwalt warten, das mag noch einmal eine Woche dauern. Deswegen darf ich sie bitten, sich nächste Woche um die gleiche Zeit wieder bei mir einzufinden. Auf Wiedersehen!"

Nachdem ich wieder in seinem Vorzimmer stand, wurde mir klar, dass er mich auch dieses mal nicht zu Worte hatte kommen lassen. Seine Sekretärin schien meine Gedanken lesen zu können, denn sie nahm mich beruhigend am Arm, und flüsterte mir zu, ihr Chef sei eben so, ein echter Schatz. Seine Zeit sei sehr wertvoll, und er könne sie nicht damit verschwenden, seinen Mandanten zuzuhören. Er würde alles, was es zu wissen gibt, sowieso der Aktenlage entnehmen. Das beeindruckte mich zutiefst. - Was für eine professionelle Effizienz! Was für ein Meister seines Fachs! Aber ich fragte auch: "Warum kann ich ihn nicht einfach anrufen?" Seine Sekretärin schien schockiert. "Oh, nein, Dr. Kragenweiß besteht auf persönliche Gespräche unter vier Augen!"

Als ich wieder zu Hause eintraf, mähte mein Nachbar Schulze gerade seinen Rasen, allerdings würdigte er mich keines Blickes. Meine Frau verweigerte mir einen Kuss. "Schatz, Hannelore hat mir vorhin erzählt, du hättest ihren Mann verklagt, stimmt das?!" - "Nun äh..." - "Es stimmt also! Dein Mittagessen steht im Kühlschrank, ich gehe jetzt mit dem Hund Gassi!" Und als die beiden an mir vorbei gingen, hob mein eigener Hund an meiner Hose sein Bein!

Ich war wie vor den Kopf gestossen. Wie betäubt griff ich zum Hörer, und versuchte Dr. Kragenweiß an den Apparat zu bekommen, um ihn zu bitten, mal einen Gang zurück zu schalten, aber seine Sekretärin informierte mich darüber, dass er gerade vor Gericht in einem anderen Fall plädiere. Wie gerädert warf ich mich auf die Couch, und schaltete den Fernseher ein. Die Woche verging wie im Fluge, bis mein Blackberry mich piepsend an den Termin mit meinem Anwalt erinnerte.

"Ah! Der Strafzettel! Treten sie näher, treten sie näher." empfing er mich. "Es hat eine kleine Komplikation gegeben! Aber machen sie sich keine Sorgen. Ihr Wagen hat offenbar, als er dort stand, wo er nicht hätte stehen dürfen, die Sicht auf den Zebrastreifen vor ihrem Haus behindert. Deswegen hat ein Motorradfahrer einen Passanten übersehen, und angefahren. Dem ist aber nichts ernstliches passiert, gucken sie doch nicht so erschrocken! Zumindest lebt er noch, wie mir das Krankenhaus, in welches man ihn eingeliefert hat, versichert hat. Viel mehr Sorge bereitet mir die Klage des Motorradfahrers, die er inzwischen gegen sie anstrengt, weil...". In diesem Moment klingelte sein Telefon, und er scheuchte mich mit einer Handbewegung aus seinem Büro."Lassen sie sich von meiner Sekretärin einen neuen Termin geben!" Und schon stand ich wieder im Vorraum. "Nächste Woche, gleiche Zeit?" Die Sekretärin blätterte in ihren Unterlagen. "Ja, woher haben sie das gewusst?!" Sie war nicht die einzige, die Gedanken lesen konnte.

Dieser dumme Strafzettel begann langsam aber sicher an meinen Nerven zu nagen. Ich wurde fahrig, und unkonzentriert. Mit meinen Fahrschülern wurde ich immer wieder in leichte Unfälle verwickelt, so dass mir die Innung schließlich nahelegte, den Betrieb für eine Weile zu schließen. Aber das wollte ich nicht. Ich riss mich also zusammen, und dann ging es wieder einigermaßen. Die Wochen gingen dahin, und mein Fall machte kaum Fortschritte. Im Gegenteil! Bei jedem meiner zahlreichen Besuche bei Dr. Kragenweiß, versuchte ich, ihm den Fall wieder zu entziehen, aber er reagierte auf dieses Ansinnen stets recht ungehalten, und rief, er könne es unmöglich mit seiner Berufsehre vereinbaren, mich im Stich zu lassen. Außerdem habe er noch niemals einen Fall verloren. Also ließ ich es schließlich bleiben, zu versuchen, ihn unter Kontrolle zu bekommen. Ein Anwalt, besonders so ein guter wie dieser, braucht und verdient das Vertrauen seines Mandanten.

Eines Tages suchte ich ihn auf, und es erwarteten mich bereits zwei Beamte der Kriminalpolizei. Sie nahmen mich fest, und ich kam in Untersuchungshaft. Dr. Kragenweiß war nicht in seinem Büro gewesen. Im Gefängnis angekommen, gestatteten sie mir, einen Anwalt anzurufen. Ich rief Dr. Kragenweiß an, und flehte ihn an, mich da wieder rauszuholen. Er versprach, mich nächste Woche um 10 Uhr im Gefängnis aufzusuchen, um mir die Sachlage zu erklären. Aber ich solle mir keine Sorgen machen, er habe alles im Griff, und er wisse, was er tue.

Ich war alleine! Meine Freunde mieden mich. Meine Frau sprach nicht mehr mit mir. Schulze überzog mich weiter mit Klagen. Der Motorradfahrer verlangte von mir ein neues Motorrad, und Schmerzensgeld. Einer meiner Schüler hatte mich ebenfalls verklagt, nachdem er von Kragenweiß dazu herausgefordert worden war, es zu versuchen. Angeblich sei ich so fest auf meine Fahrlehrerbremse getrampelt, dass er mit seinem Kopf an die Windschutzscheibe geknallt war, und sich eine Beule zugezogen hatte. Das mußte in meiner Verwirrungsphase passiert sein, in die mich Kragenweiß getrieben hatte, denn ich erinnerte mich nicht an den Vorfall. Nachdem ich das in einem meiner zahlreichen Verhöre erwähnt hatte, bekam ich einen Gefängnispsychiater zugewiesen, der mich seitdem in meiner Zelle betreut, und mir Beruhigungsmittel und Neuroleptika verschreibt. Nicht dass ich sie nötig hätte. An mein unkontrollierbares Zittern hatte ich mich längst gewöhnt. Man hatte mich ja schon längst mit Berufsverbot belegt, und ich hatte keine Sorgen mehr.

Als mich Dr. Kragenweiß mal wieder im Gefängnis besuchen kam, versicherte er mir, er sei vollkommen davon überzeugt, den Fall bald zu meinem Gunsten abschließen zu können. Und ob ich denn wisse, dass er niemals einen Fall aufgebe, und auch noch nie einen Fall verloren habe. Es beruhigte mich ungemein das zu hören. Ich war glücklich! Es geht doch nichts über einen guten Anwalt! Und ich war heilfroh, den Besten der Besten zu haben! In meiner Situation war er der einzige Pluspunkt in meinem Leben. Kurz bevor Dr. Kragenweiß wieder ging, sagte er noch zu mir: "Übrigens! Der vom Motorrad überfahrene Passant ist gestern verstorben, und die Klage gegen mich laute jetzt auf fahrlässige Tötung. Aber er sehe eine realistische Möglichkeit, das abzumildern. Ich vertraue meinem Anwalt voll und ganz. Bei seinem horrenden Stundensatz habe ich zwar all mein Vermögen verloren, aber der Mann ist jeden Cent wert. Ich glaube, er könnte es sogar schaffen, eines Tages meine vorzeitige Entlassung wegen guter Führung in die Wege zu leiten. "Was ist eigentlich aus meinem Strafzettel geworden?" fragte ich Kragenweiß, bevor er ging. - Er schien ehrlich verdutzt. "Welcher Strafzettel?"

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.02.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diesen Text Ephraim Kishon. Ich vermisse ihn.

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