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Der Duft von gebratenem Speck, Brot und heißem Honigwein schwängerte die Luft, paarte sich mit dem Lachen der Besucher und bahnte sich seinen Weg zu Calego. Doch diesem war nicht nach Essen oder Trinken zumute und nach Lachen schon gar nicht. Im Gegenteil ... er hatte das Gefühl sich jeden Moment übergeben zu müssen und falls es dazu käme, würde er sein Mittagessen möglichst direkt vor den Füßen seiner protzenden Mitbewerber platzieren. Deren Geschäfte liefen schließlich glänzend, während sein Spiegellabyrinth von den Jahrmarktsbesuchern nur noch misstrauisch beäugt wurde oder sie sogar einen großen Bogen darum machten, dass sich Calego mittlerweile auch den Unmut der unmittelbaren Nachbarstände einhandelte. Und Schuld an der ganzen Misere war nur ...

"Verdammt!", fluchte er und überlegte, wem er die Schuld in die Schuhe schieben konnte. Sicher war auf jeden Fall, dass einer seiner Konkurrenten den ganzen Ärger angezettelt hatte. Schließlich war sein Labyrinth eine der Hauptattraktionen des Jahrmarktes gewesen und seine Einnahmen hatten schon von jeher die neidischen Blicke seiner Brüder und Schwestern auf sich gezogen. Offen blieb lediglich die Frage, wie sie es geschafft hatten, dass seine Kunden den Verstand verloren, sobald sie sein Labyrinth betreten hatten.

Das letzte der insgesamt zehn Opfer hatten sie vor einer halben Stunde aus dem Irrgarten heraus geholt. Calego erinnerte sich noch lebhaft an den Anblick, an den Wahnsinn im Blick des jungen Mannes, an den rosafarbenen Schaum vor seinem Mund und an die wahnsinnige Kraft, mit der er um sich geschlagen und zwei der Helfer ernsthaft verletzt hatte.

"Durchgedreht", hatte die Diagnose des Dorfmedicus gelautet. Dann hatten sie den Mann abtransportiert. Wohin, dass wusste Calego nicht. Es war ihm auch egal, solange die Silberlinge rollten.

Allerdings taten sie genau das nun nicht mehr. Schlechte Kunde sprach sich eben schnell herum, insbesondere in einem so kleinen Dorf wie diesem.

Wutentbrannt presste er die Luft zwischen seinen aufeinandergebissenen Zähnen hindurch und verursachte ein Geräusch, das an Luft erinnerte, die von wirbelnde Schwerter zerschnitten wurden. Vor ihm stand immer noch das kleine Holzkästchen, in dem sich die Silberlinge tummeln sollte, aber bislang war nicht einmal der Boden bedeckt. Und daran würde sich nun auch nichts mehr ändern – so lange, bis seine Brüder und Schwestern sich entscheiden würden, weiter zu ziehen und ihre Zelte vor einer anderen, hoffentlich größeren Stadt aufschlagen würden.

Calego war derart in Gedanken vertieft, dass er nicht bemerkte, wie die Atmosphäre um ihn herum umschlug. Aus dem Grölen der Jahrmarktsbesucher war ein ehrfürchtiges Raunen geworden und da, wo vorher gute Laune und lautes Lachen vorgeherrscht hatte, existierte nur noch Stille.

Erst als dicke Wolken am Himmel aufzogen und die langen Schatten in der Abendsonne durch ausgefaserte, blasse Konturen ersetzt wurden, blickte er auf und sah wie der Mann auf ihn zu kam.

Die Dorfbewohner hatten eine breite Gasse für ihn gebildet. Hinter Händen wurde getuschelt und die Blicke der Menschen sprühte nicht nur Verachtung und Abscheu, sondern auch eine gehörige Portion Furcht.

Die Angst war alles andere als unberechtigt. Der Mann selbst sah mit seinem langen schwarzen Baumwohlumhang und dem tief ins Gesicht gezogenen Hut aus schwarzen Filz bereits unheimlich genug aus. Daran konnten auch die beiden auffällig schönen Frauen, die zu seiner Rechten und Linken gingen, nichts ändern. Im Gegensatz zu dem Mann lächelten sie zwar, aber die hochgezogenen Mundwinkel wirkten dennoch alles andere als freundlich, sondern eher, als würden sie sich auf eine groteske Weise über die Dorfbewohner lustig machen - ähnlich einer Katze, die mit einer Maus spielt und sich darüber bewusst war, dass sie der Maus haushoch überlegen ist und diese früher oder später sterben wird.

Im Gegensatz zu den Marktbesuchern, machten ihm die drei Personen, die sich ihren Weg durch die Gasse, genau auf ihn zu, bahnten, keine Angst. Es waren die beiden Wölfe, die vor der Gruppe her trottete. Die stahlblauen Augen strahlten einen Hauch von Nichts aus, obgleich Calego wusste, dass sich dieser Ausdruck innerhalb weniger Sekunden in gnadenlose Angriffslust wenden konnte.

Bevor er näher über die Gefahr, die von den Raubtieren ausging, nachdenken konnte, stand die Formation bereits vor ihm. Der Mann hob seinen Kopf, die erbärmlichen Reste des Abendlichtes fielen auf sein Antlitz und offenbarten ein tief zerkluftetes und von Narben durchzogenes Gesicht, das leicht indianische Züge trug. Auf jeden Fall hatte sich Calego einen Indianer immer so vorgestellt.

"Probleme du hast!", sagte der Mann. Seine Stimme klang tief und vom Leben gezeichnet. So als hätte er Dinge gesehen, die aus seiner Seele ein tiefes, bodenloses Fass aus Trauer, Wut und Angst gemacht hätten. Die beiden Frauen standen, ebenso wie die Wölfe, regungslos da und musterten Calego mit kalten Augen, die wie Eiskristalle funkelten. Keiner von ihnen verzog die Miene.

Das Raunen um sie herum wurde kurz lauter und verstummte dann. Aus den Augenwinkeln heraus konnte Calego sehen, wie die ersten Besucher sich klammheimlich vom Festgelände stahlen.

"Ja", gab er zurück, aber seine Stimme klang weitaus weniger fest, als er es sich wünschte. "Verdammt viele Probleme!"

"Musst du Zugang schließen."

"Was?"

Der linke Mundwinkel des Mannes zuckte kurz, bevor er antwortete. "Zugang zum Reich der Bestien ... oder musst Bestien zähmen ... ich zeige dir, wenn du willst."

Calego legte die Stirn in Falten und ließ seinen Blick zwischen dem Mann, seinen Begleiterinnen und den Wölfen hin und her wandern.

"Okay, ...", antwortete er und verschluckte sich.

"Geld zahlst du."

Der Blick des Mannes fiel auf die Schatulle, die vor Calego auf dem Tisch stand.

"Oh nein", erwiderte dieser. "Das kommt gar nicht in Frage. Ich muss selber sehen, wo ich bleibe. Da kann ich nicht jedem Dahergelaufenen meine Einnahmen in den Rachen werfen."

Nun legte sich doch ein Lächeln auf die Lippen des Mannes. Es war die erste, echte Gefühlsregung, die Calego auf seinem Gesicht sehen konnte. "Ist Investition in Zukunft. Du gibst Geld, ich zeige dir Zugang, den du verschließen musst und du verdienen neues Geld."

"Nein!", entschied Calego mit einem deutlich aggressiven Unterton in der Stimme. "Und nun mach, dass du dich zum Teufel scherst!" Er war sich nicht sicher, ob es gut war, den Fremden mit solch deutlichen Worten zu verjagen. Für einen kurzen Augenblick hatte er das Gefühl, in den Augen seiner Begleiter Zorn aufflackern zu sehen, doch bevor er sich dessen sicher war, dreht der Mann sich auf dem Absatz um. Die beiden Schönheiten und die Raubtiere taten es ihm gleich und mit graziösen, andächtigen Schritten entfernten sie sich wieder.

"Allein wirst Zugang nicht schließen können", rief ihm der Fremde über die Schulter zu. "Zu mächtig, zu groß und zu gefährlich – auch wenn glaubst du, dass du bist gewachsen den Göttern. Augen öffnen: Bist du nicht!"

Calego schnaubte. Er wollte dem Mann noch etwas hinterher rufen. In Anbetracht der Tatsache, dass er in Begleitung zweier tödlicher Raubtiere war, die ihm scheinbar auf's Wort gehorchten, schluckte er die Beleidigung, die ihm auf der Zunge lag, herunter und beobachtete mit grimmigem Gesicht, wie die Delegation des Unheimlichen wieder in die Wälder verschwand, welche die südliche Seite des Festplatzes säumte.


Nach dem Besuch der Fremden war auf dem Festplatz keine rechte Stimmung mehr aufgekommen. Ein Großteil der Gäste hatte das Fest nach Ankunft der seltsamen Delegation verlassen und die langsam hinter dem Horizont versinkende Abendsonne tat ihr Übriges, um die Menschen in die warmen Gasthäuser zu vertreiben, in denen sie sich vermutlich über die Vorkommnisse in seinem Labyrinth die Mäuler zerrissen.

Calego saß noch vor dem Tisch an seinem Labyrinth, als die Sonne bereits untergegangen war. Sein Zorn war mittlerweile verraucht und hatte einem Selbstmitleid Platz gemacht, der schmerzhaft an seiner Seele nagte.

Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, den Fremden weg zu schicken. Vielleicht hätte er ihm helfen können, sein Geschäft wenigstens schleppend wieder in Gang zu bringen. Auf der anderen Seite konnte es sich auch genauso gut um einen Betrüger handeln – einen Scharlatanen, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, wohlschaffenden Menschen das Geld für zweifelhafte Deutungen aus der Tasche zu ziehen.

Es war zwecklos. Calego sprang von seinem Stuhl auf. Erst jetzt bemerkte er, dass es Nacht geworden war und der Festplatz wie leer gefegt wirkte. Das Lachen, dass ihn vor Kurzem noch zur Weißglut getrieben hatte, hatte sich nun in die Gasthäuser und Schänken des nahe gelegenen Dorfes verlagert.

Er griff in seine Rocktasche, suchte nach seinem Zunderzeug und entzündete die Kerze auf dem Tisch. Vorsichtig, damit der Wind sie nicht wieder ausblies, stellte er sie in die kleine Glaslaterne und zögerte einen Moment, bevor er auf den Eingang seines Labyrinths zu ging.

Als er den in Holz gefassten Eingang erreicht hatte, blieb er stehen und zögerte einen Augenblick. Was wäre, wenn auch er den Verstand verlieren und seine eigene Konstruktion nur noch als Schaum speiender Schwachsinniger verlassen würde? Doch dann zuckte er mit den Schultern und betrat mit forschem Schritt den knapp ein Meter breiten Gang.

Die kleine Kerze, die vor der Tür nur ein winziger Lichtpunkt in der Nacht gewesen war, wuchs mit einem Mal zu einem Crescendo an, gegen den der Himmel einer sternklaren Nacht wie ein Waisenkind wirkte. Die Flamme wurde von den Spiegeln zu seiner Rechten und Linken reflektiert, dieses Bild wiederum von den Spiegeln der Gegenseite, so dass er das beklemmende Gefühl hatte, nicht mehr allein zu sein, sondern in Begleitung Tausender von Doppelgängern. Mit Schrecken wurde ihm klar, dass er noch niemals zuvor sein eigenes Labyrinth betreten hatte. Bislang hatte er die einzelnen Wände immer von hinten nach vorne aufgebaut, sie mit den Klemmen fest aneinander gezogen und am Ende sein Werk von draußen begutachtet.

Mutig, obwohl ihn ein schauriges Gefühl überkam, schritt er durch die Gänge. Theoretisch kannte er seinen Irrgarten wie seine Westentasche. Einmal nach links, dann zwei mal nach rechts und nur wenige Schritte weiter vorn würde sich der Spiegelsaal anschließen.

Normalerweise ... stattdessen fand er sich in einer Sackgasse wieder, die von einem weiteren Spiegel, dieses Mal einem solchen, der das eigene Bild verzerrte, blockiert wurde.

Calego blieb dennoch ruhig. So groß war das Labyrinth schließlich nicht, als dass man sich ernsthaft darin verirren konnte. Er ging zurück und nahm die nächste Abbiegung nach rechts – und auf einmal war da etwas. Er brauchte nur einen Atemzug, um zu bemerken, was ihn an dem Bild störte. Es war die blaue Flamme, die irgendwo in dem Meer von Spiegeln ihr Licht auf seine Netzhaut warf. Blau – nicht gelb, wie die Flamme der Kerze, die er in den Händen hielt. Zielstrebig ging er auf den Spiegel zu, aus dem das fremde Licht strahlte. Als er schließlich davor stehen blieb, stellte er etwas Merkwürdiges fest. Der Spiegel reflektierte ihn und seine Kerze, genau so wie er es tun sollte. Darüber hinaus war aber noch ein blauer Lichtschein zu sehen. Ein Licht, das unmöglich reflektiert werden konnte, da sich hinter ihm nichts befand, außer der gähnenden leere weiterer Spiegel.

Er streckte die Hand aus und stieß auf Widerstand. Das Glas fühlte sich glatt und kalt an, aber auf eine merkwürdige Weise auch weich und nachgiebig wie Holz, das mit einer dicken Kautschuk-Schicht überzogen war. Er drückte ein wenig fester und bemerkte, dass das Material nachgab. Das war unnatürlich für einen Spiegel, dachte er sich, presste seine Hand aber dennoch weiter, bis sie mit einem vulgär schmatzenden Geräusch in der Wand verschwand.

Der Schreck fuhr ihm wie ein Musketenschuss in die Glieder und seine erste Reaktion war, die Hand zurück zu ziehen, aber irgendetwas klebriges hielt sie fest. Bevor er sich dazu entschloss, noch mehr Kraft für einen Rückzug aufzuwenden, stieß er seine zweite Hand in den Spiegel hinein, dann seinen rechten Fuß und setze dazu an, den linken nachzuziehen und die Welt hinter den Spiegeln zu betreten. Seine Neugier war geweckt.

Die Wand hinter dem Spiegel war genauso klebrig und kautschukartik wie der Spiegel selbst, durch den Calego geschritten war. Jeder Luftzug erforderte eine ordentliche Portion Arbeit seiner Atemmuskulatur. Glücklicherweise atmete er aber nicht, sondern stand stattdessen ohne daran zu denken, dass das Luftholen für das Überleben seiner Spezies erforderlich war, in einer dunklen Wüste aus Stein, Sand und zerklüfteten Felsen, die den fernen Horizont rings um ihn einzäunten.

"Ach du Scheiße", murmelte er vor sich hin und nahezu im gleichen Augenblick fiel sein Blick auf die ekelhaft anmutende Masse, die nur wenige Schritte von ihm entfernt auf dem Geröll landete.

Falten legten sich auf seine Stirn. Ratlos blickte er umher, sah nichts außer Steinen und entschied sich schließlich einen zweiten Versuch zu unternehmen. "Met!"

Tatsächlich tauchte nicht unweit von ihm entfernt ein hölzerner Tisch auf, dessen Oberfläche von drei Krügen geziert wurde. Calego hatte keinen Zweifel daran, mit was die Behälter gefüllt waren. Sein Verdacht wurde bestätigt, als er einen der Tonkrüge in die Hand nahm, zum Mund führte und den kräftig schmeckenden Honigmet langsam seine Kehle herunter rinnen ließ.

"Nein, ich wünsche mir jetzt nicht, dass alles, was ich berühre zu Gold wird", dachte er. Stattdessen lenkte er sein inneres Auge auf Frauen, die auch prompt erschienen. Nackte Frauen, solche mit großen Brüsten, aber auch solche mit kleinen, wobei er letztere durchaus bevorzugte, Frauen, die sich genussvoll räkelten, solche, die bereitwillig die Beine öffneten, Blonde, Brünette, Schwarzhaarige, ein ganzes Arsenal von unterschiedlichsten, leicht zu habenden Frauen lag urplötzlich vor ihm im Sandgestein. Nur eines hatten sie alle gemeinsam: Keine von ihnen bewegte sich.

Calego ging auf eine Frau mit zierlichem, kleinem Busen und kurzem rotem Haar zu und tippte sie mit dem Fuß an.

Nichts.

Keine Reaktion.

"Verdammt", fluchte er. "Da kann man einmal im Leben Gott spielen und selbst dabei geht noch alles schief." Mit einem grimmigen Blick und einer drückenden Enge im Schritt ging er umher und untersuchte die anderen Frauen. Alle tot. Oder zumindestens so gefangen, dass sie sich nicht bewegten. Nutzlos.

Fast eine volle Stunde lang schritt er in der öden Wüste umher und wünschte sich die Seele aus dem Leib. Irgendeine höhere Macht, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass Gott hierfür verantwortlich war, erfüllte all seine Wünsche. Wein, Gold, wertvolle Kanapees, Wein, Männer, Frauen und Tiere erschuf er, allein durch die Kraft seiner Gedanken. Mit dem immer wiederkehrenden Resultat, dass die Gegenstände erschienen, aber Gegenstände blieben. Jegliches Leben, dass er zu schaffen gedachte, blieb tot und regungslos.

Nachdem sich Calego ein kleines Königreich herbei gewünscht hatte und die ehemalige Wüste eher dem Orgiengemach des römischen Nero glich, machte er sich auf den Rückweg.

Dieser war erstaunlich einfach. Der Spiegel stand mitten in der Wüste herum, genau so wie ein Spiegel das normalerweise nicht tut. Die Rückseite fühlte sich ebenso kautschukartig an, wie die Vorderseite, durch die er das Paradies der Wünsche betreten hatte und gewährte ihm durch leichten Druck wieder die Rückkehr in sein Spiegellabyrinth.

Dreimal in diese Nacht konnte Calego der Versuchung nicht widerstehen und betrat erneut das Labyrinth, suchte das Tor zur seiner Traumwelt und erschuf einen Haufen Dinge, die ihm zwar das Gefühl gaben, unermesslich reich zu sein, nicht aber seine körperliche Lust befriedigen konnten. Darüber hinaus stellte es sich als unmöglich heraus, die erschaffenen Gegenstände mit in die Realität zu nehmen. Jedes mal, wenn er mit den Taschen voller Goldstücke durch die Rückseite des Spiegels trat, musste er feststellen, dass er selbst zwar heil in seiner Welt angekommen, die Reichtümer aber auf der Gegenseite verblieben waren.

Erst als der Morgen graute und er von seiner vierten Reise zurückgekehrt war, legte er sich ins Bett und verfiel in einen schläfrigen Dämmerzustand. In seinen Träumen war er ein Gott. Wein, Gold und Frauen, mehr als sich der reichste König der Welt jemals zu träumen gewagt hätte. Als er aufwachte, fasste er einen verwegenen Plan.

Er würde ein oder zwei Frauen mit auf die Gegenseite nehmen. Wenn er schon kein Leben erschaffen konnte, sonst aber all seine Wünsche in Erfüllung gingen, dann wäre es ihm vielleicht möglich, die Frauen so zu formen, dass sie seinen Wünschen nach körperlichen Gelüsten nicht abgeneigt waren.


Die richtigen Frauen zu finden, war ein Kinderspiel. Nachdem das Treiben auf dem Jahrmarktsplatz wieder begonnen hatte, mieden die Besucher zwar weiterhin sein Labyrinth, aber drei Frauen konnten dem Angebot eines Wett-Irrens nicht widerstehen und erklärten sich bereit, an einem Wettstreit teilzunehmen, bei dem die erste der Frauen, die das blauen Licht im Labyrinth gefunden hatte, ein Silberstück gewinnen sollte.

Calegos Labyrinth war zwar nicht sonderlich kompliziert aufgebaut, dennoch brauchte jemand, der sich darin nicht auskannte, gut eine halbe Stunde, um den Ausgang zu finden.

Nachdem die Frauen hinter dem Holztor verschwunden waren, ließ er ihnen noch diese halbe Stunde. Die Tatsache, dass keine der Wettbewerberinnen am Ausgang auftauchte, gaben ihm die Gewissheit, dass alle drei wohl die blaue Flamme gefunden hatten und sich nun in seinem ganz privaten Garten Eden vergnügten. Er schaute sich kurz um, sah niemanden, der ihn beobachtete und betrat dann mit schnellen Schritten das Labyrinth.

Wo sich die blaue Flamme befand, wusste er mittlerweile auswendig. Keine zwei Minuten später fand er sich in der Wüste wieder, die mittlerweile keine Einöde mehr war, sonder eher einem Palast glich. Bodenplatten aus Marmor, mit seinen Initialen versehen, vervollständigten den Eindruck eines römischen Tempels. In den Ecken brannten Fackeln. In der Mitte der einhundert Säulen, die seinen Palast säumen, war ein überdimensionales Bad eingelassen, dessen Wasser das Licht der Fackeln tausendfach widerspiegelte. Mitten in den Wellen des warmen Nass saßen seine Auserwählten und lachten fröhlich vor sich hin. "Ich will, dass diese drei gottgleichen Weiber mir körperliche Genüsse schenken, wie sie noch kein Mensch zuvor erlebt hat", flüsterte er, während er sich dem Bad mit schnellen Schritten näherte.

Die gewöhnliche Baumwollkleidung, die er trug, war, durch einen simplem Wunsch, längst durch eine weiße Toga ersetzt worden, derer er sich auf dem Weg zu den Frauen entledigte.

Keine von den Dreien bemerkte ihn. Erst als er splitternackt vor dem dampfenden Bad stand, schaute die Rothaarige erschrocken zu ihm auf. Dann folgte das Augenpaar der Blonden und zu Letzt das der Schwarzhaarigen.

"Zeit für ein wenig Spaß zu viert, oder?", fragte er mit einem Lächeln.

Die Minen der Frauen versteinerten. Calego genoss das Gefühl der Macht, die ihm sein Reich schenkte. Selbst wenn die Frauen vor ihm eher der Weiblichkeit zugeneigt waren als dem Phallus eines richtigen Mannes, so wusste er doch, dass sie sich seinen Wünschen nicht beugen konnte. Sein Lächeln wurde umso breiter, je länger die Frauen mit unbeweglichen Gesichtern da saßen und seine Männlichkeit bewunderten. Nun ja. Oder vor deren Größe erschraken. Auch dazu hatte ihm ein kleiner Wunsch verholfen.

"In Ordnung", sagte er. Seine Stimme klang gutmütig aber auch gebieterisch. "Ihr dürft mir nun Platz machen und euch dann um mein Wohlergehen kümmern."

Er grummelte, als das warme Wasser seine Waden, dann seine Oberschenkel und schließlich sein Geschlecht und den Bauch umspülten. "Ihr dürft nun beginnen", sagte er erneut.

Die drei Frauen reagierten weiterhin nicht auf seinen Wunsch, sondern schauten immer noch mit Entsetzen an die Stelle, an der er selbst noch vor wenigen Sekunden gestanden hatte.

"Meine Damen?"

Keine Reaktion.

Er tippte die Rothaarige mit dem Finger an.

Nichts.

Das Gleiche bei der Schwarzhaarigen und bei der Blonden.

Und dann zog der merkwürdige Geruch auf. Ein Aroma, das aus einer Mischung von Verwesung und Wolfspelz zu bestehen schien.

"Scheiße!", schrie er voller Wut, und im gleichen Moment, in dem sein Blick auf den Fremden fiel, der ihn bereits am Vortag aufgesucht hatte, begleitet von seinen beiden Frauen und den Wölfen, krachte bereits eine gewaltige Ladung seines unvorsichtig geäußerten Wunsches in das warme Wasser.

"Tot", sagte der Fremde, während die Wölfe ihre Lefzen nach oben zogen.

"Was?"

"Tot sie sind."

Ungläubig tippte Calego nochmals alle Frauen an, der letzten, der mit den blonden Haaren, schlug er mit der flachen Hand ins Gesicht, erntete aber wieder keine Reaktion.

"Kannst du schlagen, so oft du willst. Hier ist nur Tod. Kein Leben hier. Außer mir!"

Wutentbrannt sprang Calego aus dem Wasser und baute sich drohend vor dem Fremden auf. Sein Zorn war so übermächtig, dass er die Wölfe, die mit gefletschten Zähnen vor dem Mann standen genauso ignorierte wie seine weiblichen Begleiterinnen, die ihren Mund weit aufrissen und ihm ein überdimensionales Wolfsgebiss entgegen bleckten.

Auf das Gesicht des Mannes legte sich ein schadenfrohes Grinsen, als er sprach: "Großer Mann mit großen Worten aber kleiner Waffe." Dabei fiel sein Blick auf Calegos Schritt und sein Lächeln wurde noch eine Ecke breiter.

Calegos Blick folgte dem des Mannes und traf schließlich auf seine Männlichkeit, die ihm normal vorkam, allerdings nur, weil er die letzten siebenunddreißig Jahre diese Größe gewohnt war. Der Zauber, der die "Waffe" zwischen seinen Beinen zu etwas Gigantischem gemacht hatte, war verfolgen. Zu seinem Erschrecken musste er feststellen, dass auch alle restlichen Zauber nicht mehr wirkte. Kein Bad mehr, keine Frauen mehr, deren nackte Brüste sich im Wasser wiegten. Kein römischer Marmor mehr, sondern nur noch die nackte Wüste, das nackte Abbild seiner selbst und der Fremde, der immer noch hämisch grinsend vor ihm stand.

Calego sank weinend auf die Knie, hämmerte seine Fäuste auf den steinigen Boden und schrie lauthals los, während er den Schmerz seiner blutenden Hände ignorierte.

"Habe gesagt, du musst Tor verschließen. Du nicht hören, wie all die anderen. Konsequenzen du musst tragen."

Mit einem Ruck fuhr Calegos Kopf nach oben und starrte auf den Fremden.

"Was für andere?", fragte er.

De Fremde schüttelte nur bedauernd den Kopf, schnippte mit den Fingern, worauf sich die Wölfe und die Frauen abwandten und auf den allein stehenden Spiegel in der Wüste zugingen.

"Du nicht der erste, der hier war, erinnerst dich? Alle die hier waren, Bestien. Wie Du. Bestie nur Synonym für menschliche Gier", fragte der Mann und wandte sich dann ebenfalls ab, schritt durch den Spiegel und war verschwunden.

Mit einem einzelnen Sprung war Calego auf den Füssen.

"Wartet!", schrie er ihnen nach und stolperte nackt, wie Gott ihn erschaffen hatte auf den Spiegel zu. "Wartet! Ich ... ich ... das war es nicht ... Ich will das alles hier zurück", kreischte er. Die Geschwindigkeit, mit der er sich dem Tor näherte, wurde größer und größer. Dieses Mal verspürte er keinen klebrigen Druck mehr, als sein Körper durch die Wand sauste. Es gab keinen Widerstand. Viel eher fühlte es sich an, als würde die Wüste, seine Wüste, die Wüste, die ihm alle Wünsche erfüllt hatten, bis auf den, das wahre Leben kennen zu lernen, ihn ausspeien, wie ein Meerschweinchen eine verfaulte Erdbeere.

Es knallte fürchterlich.

Im ersten Moment konnte Calego den Lärm nicht zuordnen. Erst als die Schaulustigen auf ihn zugelaufen kamen, registrierte er, dass er nackt auf der Wiese lag, umgeben von Abermillionen von Scherben, die einst sein Labyrinth gewesen waren.

"Seid ihr am Leben?", fragte die Stimme eines Kopfes, der sich über ihn beugte.

Calego wollte antworten, aber aus seinem Mund kamen nur völlig unverständliche Laute, die sich wie ein Blubbern anhörten.

Instinktiv griff seine Hand nach seinem Wund, wischte den rosafarbenen Schaum beiseite und er versuchte es erneut. Wieder ohne Erfolg.

Als die Helfer des Dorfmedicus ihn weg trugen, wünschte er sich, dass er sich am Tag zuvor dafür interessiert hätte, wohin sie all die Wahnsinnigen aus seinem Labyrinth gebracht hatten.

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Tag der Veröffentlichung: 02.05.2009

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