Cover

EINS - Die Ankunft

 

 

 

 

Alpha O‘Droma

 

EINS Die Ankunft

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Alpha O’Droma, Berlin 2003 

 

 

 

Buch I

Buch I

 

Maria Juanita Chiminez war der erste Mensch, der es erblickte.             

Ganz plötzlich tauchte es auf. Wie eine Gasblase, die, Millionen von Jahren im Erdinneren gefangen, sich durch eine Pore am Meeresgrund gezwängt hatte, unaufhaltsam aufstieg und nun unvermittelt, unerwartet an der Oberfläche erschien.            

Eben noch nicht zu sehen, geschweige denn zu erahnen, füllte es ein müdes Augenreiben und einen tiefen Zug am filterlosen Glimmstengel später fast den halben Bildausschnitt ihres Monitors. Unglaublich!  Maria hatte Nachtschicht. Die zierliche Hispano-Amerikanerin studierte Astrophysik und schrieb an einer Doktorarbeit über die Evolution von Spiralnebeln. Ihr Praktikum an der Mount Palomar Sternwarte war einzig und allein dieser Aufgabe gewidmet. Und jetzt das!                 

Die Glut der Zigarette erreichte die Fingerknöchel der vor Ehrfurcht Gefroreren und katapultierte sie jäh ins physische Leben zurück. Maria markierte den neuen Himmelskörper, versah das Display mit ihrem Namen, druckte einen Screenshot aus und grinste breit. Ein Anruf in Puerto Rico. Nein, sie hatten es noch nicht bemerkt, Spitze! Sie gab dem Arecibo-Observatorium die Koordinaten, lächelte bei dem Gedanken, wie Dutzende bedeutender Professoren, Ingenieure und Techniker jetzt durcheinander wuselten, um das größte Teleskop der Erde darauf auszurichten, und steckte sich noch eine an. Dasselbe mit Hawaii. Phantastisch! Australien hatte noch nicht übernommen. Erst jetzt stürmte sie zu Professor Goldwing.                      

„Was zur Hölle ist denn?“, brubbelte der glatzköpfige Kauz mürrisch, ohne von seiner Tastatur aufzusehen, „Sie wissen doch, dass ich dieses gottverdammte Programm heute Nacht fertig schreiben muss“  „Oooch nichts, ich dachte nur, Sie würden den Chiminezstern mal begutachten wollen ...“             

Die Brille fiel in seinen Schoß, so ruckartig blickte er auf.   „Kein Fluch? Nicht einmal ein klitzekleines ‘heilige Scheiße’?“, wunderte sich Maria. Goldwings sonst so ruppige Stimmbänder versagten den Dienst. Seit ihm Betty Howard damals die Zunge in den Hals gesteckt hatte, war er nicht mehr sprachlos geblieben, und das lag immerhin zweiundvierzig Jahre zurück. Mulmiges Gefühl. Hielt nicht lange an. „Wo?“ „Circa ein Grad und 23 Minuten westlich von Alnitak“ „Mitten im Gürtel des Orion?“ „Yup!“ Sie reichte ihm den Ausdruck. „Heilige Scheiße!“               

Er musste der wohl intelligenteste Mensch sein, den sie kannte, doch des Professors Wortschatz schien ihr zuweilen begrenzt. „Ich tippe eher auf eine stark komprimierte Gaswolke, Sir“ Sein Versuch zu lächeln geriet zur Höllenfratze. „Turner! Tuurrrneeer!“ Jetzt ging es los. Faxe reihten sich aneinander, bis das Papier alle war - niemand füllte es auf. Die Kakophonie schrillender Telefone wurde zunächst ignoriert, E-mails konnte die Frühschicht beantworten. „Tuuurneeer!“               

Goldwings dürrer, wieselgesichtiger Assistent, dessen Vornamen niemand kannte, kam schwer atmend und noch blasser als sonst um die Ecke gehetzt: „Sorry, Sir, Hawaii meldet eine neue Sichtung und ich musste ...“ „Ich weiß, Turner, wie lange haben wir noch?“ „Zwo Stunden vierundzwanzig, Sir“ „Carpe noctem, Turner! Chiminez, Sie gehen zur Crew und zentrieren das Baby. Turner, Sie und Cutter bestimmen die Rotlichtverschiebung, und geht mal einer an das beschissene Telefon!“               

„Baby“ wurde die Linse genannt. Fast 7 Meter im Durchmesser, wog sie schlappe 20 Tonnen. Man hätte noch viel größere Linsen bauen können, gäbe es da nicht ein Problem: Glas ist flüssig.*  Das Baby neigte wegen seines hohen Gewichtes zur Verformung. Laseroptik maß rund um die Uhr den Krümmungsradius der Linse, die in Segmente aufgeteilt war, welche wiederum von Hydraulikmotoren in die rechte Form gepresst wurden. Lautlos, kontinuierlich, ein Mikrometer hier, ein Nanometer dort. Spitzenpräzision, die auch nötig war, denn Abweichungen von nur einem Millionstel Grad in der Krümmung der Linse bedeuteten bei Lichtjahre entfernten Objekten sprichwörtlich astronomische Abweichungen.                       

Baby schielte ohnehin schon auf Orion. Um es auf Marias Koordinaten zu zentrieren, musste man es nur 21,538516 Zentimeter kippen. Die Crew war eingespielt. Der Chefprogrammierer behielt die Sensoren im Auge, während die Motoren aufheulten. Elektromotoren zwar, aber zwanzigmal leistungsfähiger als ein LKW. Flüssigkeiten neigen zum Schwappen, wenn man sie bewegt. Langsam, ganz langsam bewegte sich die Linse, wie eine überdimensionierte Sonnenblume. „Alles innerhalb normaler Parameter“ Gut, das Baby befand sich in Position. Die höchstmögliche Auflösung war aufgrund des Wetters nicht drin, aber 97,4 Prozent sollten genügen. Maria Juanita Chiminez lächelte versonnen und fuhr sich mit beiden Händen durch ihre lange, schwarze Mähne: „Mein Stern, mein eigener Stern!“   * Man mag das kaum glauben, ist doch jedem schon mal ein Glas aus der Hand gefallen und nie musste man es aufwischen. Es ist eben sehr, sehr zähflüssig. Uralte Glasscheiben, in Kirchen zum Beispiel, sind daher unten dicker als oben.  

 

 ***            

 

Der Himalaya blickte höhnisch auf ihn herab.       

Thor kämpfte sich keuchend den steilen Pfad empor, dankbar für jede knorrige Wurzel, die ihm Halt bot. Ein Adler kreiste majestätisch über ihm, nutzte die stetigen Aufwinde am Annapurna. Kein einziger Flügelschlag. Neid kam auf.                  

    Thor Becker maß gut durchtrainierte ein Meter neunzig, besaß kurzes blondes Haar, blaugraue Augen und einen notorischen Dreitagebart. Vor zweiunddreißig Jahren in Berlin, Deutschland geboren. Gehobene Mittelschicht. Einzelkind. Verwöhnt, zynisch und wegen seiner überdurchschnittlichen Intelligenz zur Arroganz neigend. Er verfügte über wenig Sinn für die Realität - die Realität der meisten Mitmenschen wohlgemerkt.  Realität ist, was du wahrnimmst. Das war sein Credo.                

   An seinem 18. Geburtstag von zu Hause abgehauen, hatte er sein Abitur beendet und Betriebswirtschaft/Marketing studiert. Ein Semester. Dann wurde er Trainer in einem Fitnesscenter, Börsenmakler und schließlich Berufsspieler. Er war ein Poolchampion, denn die Eleganz der Vektoraddition faszinierte ihn. Er liebte Backgammon, weil er die Ästhetik der Mathematik begriff. Karten spielte er auch, jedoch nie um Geld, wegen des unanständig hohen Glücksfaktors. Thor hatte ein aufregendes Leben gelebt, Ziele erreicht, viele Frauen verführt und war dennoch nie glücklich geworden. Emotionale Armut eben. Als hervorragender Analytiker erkannte er das, und begann, alle Drogen auszuprobieren, die es in Berlin gab - also alle Drogen.  Heroin und andere Opiate bescherten ihm wohlige Endorphine, doch sie machten ihn müde – kontraproduktiv. Von Mescalin wurde ihm nur übel. Seine LSD-Phase brachte ihm viele spirituelle Erkenntnisse, die er zu einem Konzept des Universums verschmolz. Danach wurde dieses Konzept nur immer wieder bestätigt. Um seine unvoreingenommene Urteilsfähigkeit nicht zu beschädigen, wechselte er zu Kokain. Das brachte sein Poolbillardspiel auf Trab. Er wurde mehrfach Berliner Meister und verdiente gutes Geld, aber diese Droge veränderte auf Dauer die Persönlichkeit, und Thor wollte nicht noch arroganter werden, als er ohnehin schon war. Die anderen Amphetamine beschleunigten einen völlig wertfrei, erzeugten jedoch nur eine hohle Euphorie, die zudem mit akuten Potenzstörungen erkauft wurde – ein schlechter Deal. Haschisch war als einzige Droge wissenschaftlich zu empfehlen, doch schien sie kaum zu wirken, denn seine linke Gehirnhälfte wurde bei all den Analysen, die er pausenlos durchführte, so gut wie nie befragt. Natürlich erkannte er das und beschloss, die Drogen erst mal abzuhaken, um seine unterentwickelte weibliche Seite zu entdecken. Thor hatte mit einem Gastwirt einen Billardsalon in Kreuzberg eröffnet und Glück gehabt. Kaum war der Mietvertrag unterschrieben, fiel die Mauer. Er verkaufte seinen Anteil und alles, was er besaß, besorgte sich ein Einfachticket für die Transsibirische Eisenbahn und fuhr nach Peking. Sein Plan war, auf dem Landweg zurückzukommen. Für diese spirituelle Entdeckungsreise wollte er sich etwa ein Jahr Zeit nehmen.                

Es sollte wesentlich länger dauern.            

Nachdem er in China Tai Chi und Kung Fu studiert hatte - Shanghai ist der beste Ort der Welt dafür - in Hong Kong mit einem Boot gekentert war, in Thailand Massage gelernt hatte, in Burma fast erschossen worden wäre, weil er mit Rebellen ein mageres Huhn aß, sich in Indien über Bagwan und seine Jünger lustig gemacht hatte - buy the T-shirt, buy the record, buy the book! - zog es ihn nach Nepal.                        

Trekking im Himalaya war ein erhebendes Gefühl, der Sonnenaufgang auf Poonhill der wahrscheinlich spektakulärste der Welt, und alles wäre wohl ganz harmonisch verlaufen, hätte der Schamane nicht einige Brocken Englisch beherrscht: „You looking“                        

In der Tat, die Aussicht von dem 4.200 Meter hoch gelegenen Bergpfad war berauschend. Nur der in Lumpen gehüllte Wurzelgnom, der ihn auf einem Bein stehend an einen verwunschenen Storch erinnerte, störte das Gesamtbild. „Yes, I’m looking“ Damit war der Höflichkeit Genüge getan, doch Wurzelgnom stand immer noch im Weg. Weg war zuviel gesagt. Links eine steile Felswand, rechts ein noch steilerer Abhang und dazwischen ein etwa 60 Zentimeter breiter Sims, der eigentlich breit genug war, es sei denn, eine Eselskarawane kam einem entgegen oder ein Wurzelgnom: „You looking, but no see!“ Prima. Er hatte noch 8 Kilometer und 400 Meter Höhenunterschied zu bewältigen und das vor Sonnenuntergang. Stattdessen stand er hier und ließ sich von einem Steinzeitmenschen kritisieren: „I don‘t see what?“      

  „You no see you, motherfucker!“ Brüllendes Gelächter beiderseits. Der Typ war in Ordnung. Vielleicht hatte er mal ein amerikanisches Movie gesehen und hielt „motherfucker“ nun folgerichtig für die korrekte Anrede.    

Thor blickte in seine Augen und begann, daran zu zweifeln.             

 „You go look outside, no good. Have to look inside, you see - good“ Der Sinn dieser Gardinenpredigt blieb ihm nicht verborgen: „I understand“ Wurzelgnom schüttete sich aus vor Lachen: „You, hi hi hi, understand, ho ho ho, shit, bruha ha ha!“ Thors Eitelkeit beschloss gekränkt zu sein, und es dauerte ganze zwei Sekunden, dieses Gefühl zu verdrängen, wobei die Komik der Situation hilfreich war. Nach weiteren zwei Sekunden Bedenkzeit beschloss er, etwas Geistreiches zu erwidern: „Har har har har!“ „Ho ho ho ho!“, war die Antwort. „Har har har har!“ Es entwickelte sich ein konstruktiver Dialog, den Wurzelgnom schließlich beendete, indem er sich die Tränen vom Gesicht wischte: „Very good, now you go Boudenath!“ „Go where?“ Er deutete nach Osten: „Kathmandu“ Thor bekam eine Gänsehaut, seine Nackenhärchen stellten sich auf, denn er spürte intuitiv, dass hier Schicksal am Werk war. „Thank you“ Ein gütiges Lächeln verwandelte die zerknautschte Visage in das wunderschöne Gesicht eines weisen alten Mannes: „No problem“ Er fuhr das zweite Storchenbein aus, schob sich an Thor vorbei und stakste in die Richtung aus der dieser gekommen war. Drehte sich nicht mal um. „Good bye, my friend!“, rief Thor ihm nach. „Fuck off, my friend!“, war die gut gemeinte Erwiderung des Schamanen. Ihr Gelächter hallte noch minutenlang durch das Tal und löste eine Lawine aus, die Thor Becker kurz darauf den ‘Weg’ versperrte. Die Alternativen waren Erfrieren oder zurück nach Kathmandu.                        

Eine erstaunlich leichte Entscheidung. Fast zu leicht.                  

Boudenath ist ein Vorort der nepalesischen Hauptstadt, der dem Betrachter unweigerlich suggeriert, er hätte eine Zeitreise unternommen. Vom Königspalast etwa eine halbe Stunde mit dem Fahrrad nach Osten, und schon bewundert man die größte Stupa der Welt. Und eine der ältesten. Eine Stupa stellt ein Geschichtsbuch dar, nein, sie ist ein Bauwerk, ein Heiligtum, oder doch eher alles zusammen. Der Sockel zeigt sich quadratisch und exakt nach den vier Winden ausgerichtet. Auf ihm thront eine riesige Halbkugel, die eigentlich eine Kugel ist, denn ihre untere Hälfte verbirgt sich in Sockel und Boden. Verziert wird sie von den Augen Buddhas und unzähligen Gebetsfahnen. Innerhalb der Kugel befindet sich eine Spirale, in der Schriftrollen, Artefakte und Buddha weiß nicht was noch aufbewahrt werden. Eine Art versiegeltes Geschichtsbuch. Nur in den Kellergewölben des Vatikans könnte ein Archäologe mehr über die Ursprünge unserer Spezies erfahren.  Die Stupa wird regelmäßig weiß getüncht. Rund um den Sockel befinden sich Gebetsmühlen, welche von den Pilgern, die das Monument im Uhrzeigersinn umkreisen, immer in Bewegung gehalten werden. Einen Kilometer östlich davon sieht man einen einsamen Hügel, untypisch für das Kathmandutal. Auf diesen Hügel begab sich Thor Becker.             

         

 Hier betrieben Exiltibeter gemeinsam mit nepalesischen Buddhisten ein Kloster. Thor war sich erst nicht schlüssig, ob Wurzelgnom diesen Ort gemeint hatte, da begann sein Herz zu klopfen und erfüllte ihn mit einer unumstößlichen physischen Sicherheit, wie sie sonst nur Kleinkinder zu spüren imstande sind. Urvertrauen. Kaum hatte er den Hügel erklommen, hockte er sich hin und zündete sich eine Zigarette an, Yak-Filter, der Alptraum eines jeden Lungenbläschens. Die giftigen Dämpfe begannen gerade, wohltuend seine Lunge zu korrumpieren, da eilte schon ein junger Mönch mit glattrasiertem Schädel auf ihn zu und forderte ihn in perfektem Oxfordenglish auf, hier bitte nicht zu rauchen. Verdutzter Blick. Befand man sich nicht in der freien Natur? „Drogen, Sex und das Töten von Lebewesen aller Art ist auf dem Klosterhügel untersagt“, fügte Kojak erläuternd hinzu. „Und was macht ihr, wenn euch ein Mosquito sticht?“ „Wir akzeptieren es“, war die schlichte Antwort, „Komm mit mir, ich bin sicher, du möchtest Bruder Mingyar sprechen“      

         Das Kloster war keines der Jahrtausende alten Monumentalbauten, an denen die Chinesen in Tibet so gern ihre Sprengstoffe testen - wenn noch Mönche darin lebten, umso besser. Vielmehr war es ein bescheidenerer Komplex weitaus jüngeren Datums, ein Exilkloster.           

        Der Kojak führte ihn an spärlichen Unterkünften vorbei in eine Teestube und hieß ihn, dort zu warten.  Kaffee ist für buddhistische Mönche selbstverständlich eine Droge und untersagt, tibetischer Buttertee hingegen ein lebensnotwendiges Grundnahrungsmittel. Ein älterer Mönch, dessen Glatze seinen wuchtigen Quadratschädel eindrucksvoll zur Geltung brachte, setzte sich Thor gegenüber. Ein junger, keine dreizehn Jahre alt, brachte ihnen zwei Schalen Wasser. Bruder Mingyars Augen strahlten im smaragdenen Grün einer Südseelagune und saugten sich an seinen Pupillen fest. Merkwürdiges Flattern im Bauch. „Warum bist du hier?“ Kulturelle Neugier, Wissensdurst im Allgemeinen und viele andere unverfängliche Gründe böten sich jetzt an, doch angesichts dieser Röntgenaugen kam ihm kein profanes Wort über die Lippen.         

       Und so begann er, seine Lebensgeschichte zu erzählen, Kindheit und Jugend, Erziehung und Überzeugung, Stärken und Schwächen, Hoffnungen und Ängste, was er suchte und bis jetzt gefunden hatte. Mingyar unterbrach ihn nicht ein einziges Mal, und als die Sonne unterging, wussten beide, dass Thor ihm Dinge anvertraut hatte, die er noch gestern sich selbst nicht hätte eingestehen können.   

   Die Frage hatte zwei Sekunden gedauert, die Antwort über zwei Stunden.             

   Eine helle Glocke erklang, und Bruder Mingyar stand auf: „Sei unser Gast, bitte warte hier!“ Die Teestube leerte sich. Ein Mönch, der an die hundert Jahre alt sein musste, stellte einen Blechteller mit Daal Bat, Reis mit Linsen, und eine Schale mit dampfendem Buttertee auf seinen Tisch, schenkte ihm ein zahnloses Grinsen und verschwand ebenfalls.                 

„Ooommm mani padme hummm, Ooommm mani padme humm“*, dröhnte das Chanten der Mönche, die sich in einer Mischung aus Tempel und praktischem Gemeindehaus zusammengefunden hatten.  Sie setzten ihren monotonen, doch harmonischen Singsang fort, wie es seit tausenden von Jahren Brauch ist. Bis China ihr Reich 1950 überfiel und schluckte, war Tibet das einzige Land der Welt, das mehr als eintausend Jahre von keiner exterritorialen Armee erobert worden war. Es wurde zuletzt vor zweitausendzweihundert Jahren von außen beeinflusst, als indische Einwanderer die Lehren des Buddha importierten. Seit dieser Urzeit konnten sich die Tibetaner ungestört entwickeln. Keine menschliche Kultur blieb so lange intakt - bis 1950.  Diese Gedanken schossen ihm durch den Kopf, als er den gutturalen Gesang vernahm. Von tiefem Respekt erfüllt, aß Thor Becker seine mittlerweile kalten Linsen.            

  Nach einer Weile, das Abendgebet war offensichtlich beendet, füllte sich die Teestube wieder. In dunkelrotes Leinen gewickelte Kojaks schlürften einen letzten Buttertee vor der Nachtruhe, rülpsten, schmatzten, furzten, unterhielten sich, lachten viel und würdigten ihn kaum eines Blickes. Eine gute Stunde wartete er unbeachtet, bis Röntgenauge wiederkam und sich zu ihm setzte: „Will man den Körper reinigen, so empfiehlt es sich, zu fasten. Dasselbe gilt für den Geist“, begann er kryptisch, „Was das Fasten für den Körper, ist das Schweigen für den Geist“ Röntgenauge blickte ihn fragend an. Thor schwieg und hielt sich für gerissen. Röntgenauge lächelte: „Wie lange glaubst du, schweigen zu können, eine Woche, einen Monat, ein Jahr?“ „Ich weiß es nicht“, laute die ehrliche Antwort, denn Schweigsamkeit und Geduld hatten noch nie zu Thors Stärken gehört: „Vielleicht einen Monat?“ Mingyar lachte, dass ihm seine Röntgenaugen fast aus den Höhlen sprangen und gluckste: „Willst du es einen Monat versuchen?“ Der fröhliche Mönch lächelte nicht mehr. Er grinste. Er grinste, weil er wusste, dass dieser eitle, eingebildete Okzidentale nie im Stande gewesen wäre, eine Herausforderung abzuschlagen. Er hatte den Yak bei den Eiern, wie der Tibeter so treffend formuliert. Thor wusste das. Und er wusste, dass Röntgenauge es wusste. Scheiße! Er hat mich bei den Eiern. Bemüht, Überzeugung in seine Stimme zu legen, verkündete er: „Ich werde es versuchen“                     

  *‘Om mani pad me hum’ bedeutet wörtlich ‘Heil dem Juwel im Lotus’. Der Lotus ist das Symbol für den Geist, das Juwel im Lotus das erweiterte Bewusstsein. Heil dem erweiterten Bewusstsein! Der tibetische Buddhismus in einem einzigen Satz.              

    „Komm mit!“              

   Sie verließen die Teestube und gingen zu den Unterkünften, kleinen Zellen von der Größe eines Müllcontainers. Mingyar deutete in eine Kammer, die mit einer Decke, einer Schale und einem Wasserkrug üppig eingerichtet war: „Hier ist dein Quartier“ Er nahm Thor den Rucksack ab und begann auszupacken. Obenauf lagen dreckige, verschwitzte, psychedelisch-bunte Klamotten. „Die waschen wir“ Darunter zwei Päckchen Yak-Filter. „Die geben wir dir zurück, wenn du gehst“, Zeichen- und Schreibblöcke, Stifte, Kugelschreiber, Kondome und ein Walkman nebst Cassetten waren als nächstes dran. „Brauchst du nicht“ Die vorletzte Schicht bestand aus einem Mosquitonetz, einem Schlafsack, Thors zweiter Hose und drittem T-Shirt. „Nützlich“ Ganz unten waren die Bücher, Stephen Hawkings, Kafka, Tom Robbins und ein Buch über Buddhas Lehren. „Brauchst du auch nicht“ Er spürte den stummen Protest und gab seinem bedröppelten Schüler das letzte Buch zurück. „Wie will dein Geist fasten, wenn dein Rucksack voller Leckerbissen ist?“ Thor wollte seine für absehbare Zeit letzten Worte nutzen, um es dem Röntgenmönch heimzuzahlen, der ihn so herrlich übertölpelt hatte. Er deutete auf das magere buddhistische Pamphlet: „Verehrter Bruder, ist dies etwa kein Leckerbissen?“ Mingyar Röntgenauge kicherte: „Nein, eine Vitaminpille“      

   So gut war Thor Becker schon lange nicht mehr verarscht worden.  Mingyar gab ihm noch eine Reihe von Instruktionen über die Regeln des Klosters, korrekte Atmung und Geisteshaltung und sprach dabei so einfach und deutlich, wie es nur jemand vermag, der diese Einführung schon unzählige Male gegeben hatte. Kaum fertig, verabschiedete er sich mit den Worten: „Heute ist Neumond, nutze die Zeit bis zum nächsten Neumond gut! Wir werden dich nach besten Kräften unterstützen. Viel Glück!“     

  Und keine Matraze und keine Fluppen - phantastisch!                  

 

  ***

 

„Es ist kein Stern!“                   

  Turner und Cutter, zwei bleiche, dürre Astronomen, die beide demselben japanischen Gespenster-Comic entstiegen schienen, waren außer sich. Zwar hatten ihre Messungen genau das ergeben, doch: unmöglich!  Professor Goldwing kratzte verstört seine Glatze, denn er wusste, dass es sich nur um eine Nova handeln konnte, einen Stern also, der explodierte und nun aufgrund seiner millionenfach gestiegenen Helligkeit zu sehen war, wenn auch nur kurz, bis zum endgültigen Verglühen. Himmelskörper tauchten nicht so einfach auf. Mount Palomar war in der Lage, Millionen von Jahren in die Vergangenheit zu blicken, jedem stellaren Ereignis ging somit eine gewisse ‘Vorwarnzeit’ voraus. Es konnte nur eine Nova sein. Er brüllte seine Assistenten an: „Lächerlich! Rotlichtverschiebung?“* „Hier, Sir, sehen Sie selbst!“ Cutter reichte ihm die Ausdrucke. Goldwing überflog sie: Die Lichtfrequenzen verschoben sich eindeutig in den ultravioletten Teil des Spektrums. „Sind Sie sicher?“ „Sir, als der Computer diese Daten ausgespuckt hat, hielten wir es auch für einen Messfehler und haben es dreimal überprüft“ „Und?“ Turner breitete dünne Ärmchen in einer hilflosen Geste aus. Cutter meinte: „Nix und. Ein eindeutiger blue shift!“ „Meine Herren, Sie wissen, was das bedeutet?“ „Ja, Sir, was immer es ist, es bewegt sich auf uns zu“ „Und zwar mit 0,85 c! 85 Prozent der Lichtgeschwindigkeit, Sir!“ „Überprüfen Sie die Messungen ein viertes Mal, ich muss mit Washington telefonieren“ „Machen wir, Sir“             

Das Universum dehnt sich aus. Folglich entfernen sich 99,99 Prozent aller Himmelskörper von der Erde, der verschwindend geringe Rest ist auf Bewegungen innerhalb unserer eigenen Galaxie zurückzuführen. Ein weit entfernter Himmelskörper, der einen klaren blue shift aufwies, widersprach der modernen Physik. Professor Theodor Goldwings Kopfschmerzen waren also vollauf berechtigt.                   

  „White House, ich brauche den Sicherheitsberater des Präsidenten“ Es folgte seine persönliche Kennummer. „Dann wecken Sie ihn eben auf, Prioritätsstufe Zwo!“ Er brauchte seine Glatze nur vierzig Sekunden nervös zu kratzen, bis Patrick Bull, Sicherheitsberater des Präsidenten der Vereinigten Staaten, der von allen hinter seinem Rücken nur Pitbull genannt wurde, ihn verschlafen angrunzte: „Was ist denn los, kommen die Marsmenschen?“ „Nein, Mister Bull, lediglich ein Objekt, das unsere Sicht des Universums drastisch verändern wird. Und nebenbei: Es bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 255.000 Kilometern pro Sekunde auf unser Sonnensystem zu“ „Jesus fuckin‘ Christ!“, lautete der inoffizielle Kommentar des weißen Hauses. Die mächtigsten Männer Amerikas pflegten – wenn keine Kamera in der Nähe war - sich wie Viehzüchter und Soldaten auszudrücken. 

* Die Rotlichtverschiebung, der red shift, ist ein Dopplereffekt des Lichts. Wir kennen diesen Effekt bei Fahrzeugen. Nähert sich ein solches, erscheint das Motorengeräusch akustisch höher, denn die Fahrzeuggeschwindigkeit addiert sich zu der des Schalls, was eine höhere Frequenz ergibt. Entfernt sich das Fahrzeug, substrahiert sich seine Geschwindigkeit von der des Schalls. Dasselbe Geräusch klingt tiefer (niedrigere Frequenz). Dieser Dopplereffekt wirkt auch beim Licht. Entfernt sich der Himmelskörper, verschiebt sich sein Licht ins niederfrequente Infrarot, daher spricht man von red shift. Nähert er sich uns, verschiebt sich sein Licht ins hochfrequente Ultraviolett, ein blue shift also.                 

Vielleicht lag es daran, dass die meisten von ihnen Viehzüchter und Soldaten waren. „Exakt, Sir“, erwiderte Goldwing erfreut. Endlich ein Politiker, der seine Sprache sprach. „Goldwing, sagen Sie, handelt es sich um ein Schiff?“ „Kein russisches, Sir. Wir haben es vor einer knappen Stunde entdeckt und können es bis jetzt nur als stellares Objekt klassifizieren. Wir brauchen Hubble, Sir, und zwar gestern!“ „Alles klar. Ich rufe Houston an. Sie sind in fünf Minuten autorisiert, völlig frei über Hubble zu verfügen. Sie berichten mir persönlich. Geheimhaltungsstufen sind ihnen ein Begriff?“ „Sir, ich habe gedient, Sir, Funkaufklärungsoffizier bei der Fünfundzwanzigsten in Pjönjang, Sir“ „Dann kennen Sie ja die Scheiße. Pjönjang? War ‘ne heiße Ecke“ „Sir, die Kacke war am dampfen, Sir“ Bull grinste. Endlich mal ein Wissenschaftler, der seine Sprache sprach. „Eine Frage noch. Wann wird das Ding hier sein?“ „Meiner augenblicklichen Schätzung nach etwa in fünf Wochen, Sir, ich erstatte ihnen morgen Bericht, von Houston aus, die haben eine abhörsichere Leitung, um Null            Fünfhundertzwanzig Uhr geht mein Flug, Sir“ „Roger“                  

   Bull legte auf und grübelte, ob er den Präsidenten wecken sollte. Er entschied, es nicht zu tun. Sie konnten Entscheidungen nur aufgrund von Informationen treffen, die erst morgen verfügbar waren. Außerdem spielte der Präsident vielleicht gerade mit seiner Mundharmonika. Und dabei sollte man ihn lieber nicht stören.

 

***            

 

Schweigen - am ersten Tag fiel es nicht schwer. Er erkundete das Kloster und genoss den Ausblick auf das Kathmandutal, hing philosophischen Gedanken nach und betrachtete die Übung als Urlaub von sich selbst. Thor erging sich in Atem- und Meditationsübungen - mit mäßigem Erfolg. Die anfangs unbequeme Sitzhaltung und seine absolute Unfähigkeit, nicht zu denken, bereiteten ihm die größten Probleme. Die folgenden Tage verbrachte er damit, all seine Überzeugungen zu kritisieren. Für jede Position und zu jedem nur vorstellbaren Thema entwickelte er die Antithese, versuchte, sich selbst vom Gegenteil zu überzeugen. In den meisten Fällen brachte das nicht viel, aber hier und da sah er die Schwächen in seiner ursprünglichen These und musste Zugeständnisse an sein Anti-Ich machen. Als die erste Woche vorüber war, hatte er jeden einzelnen Aspekt seiner Person, von politischer Einstellung über Essgewohnheiten bis zu Minderwertigkeitskomplexen und Neurosen, von vorne und hinten durchleuchtet. Es folgten fast nur noch Wiederholungen. Es ist unglaublich, wieviel ein Mensch in einer Woche denken kann, wenn er nichts anderes zu tun hat. Thor war verzweifelt. Alles, was sein Leben ausgemacht hatte, war in einer Woche gedacht - ihm ging der Stoff aus. Noch drei Wochen, bis er endlich wieder seine vorlaute Klappe aufreißen konnte. Was tun?             

      Am nächsten Morgen verband er sich die Augen, um zu verstehen, wie ein Blinder die Welt erlebt. Auf dem Weg in die Teestube wäre er beinahe den Hügel heruntergestürzt, hätte ihn nicht ein Mönch beim Arm genommen und seinen Kurs korrigiert. In der Teestube waren alle guter Dinge, denn heute gab es statt Reis mit Linsen mal Reis mit Bohnen - musste Sonntag sein! Methusalix, so hatte er den klapperigen alten Koch getauft, drückte ihm den Löffel in die Hand. Thor hielt ihm seine Schale hin, und Methusalix füllte sie ihm mit dem kulinarischen Höhepunkt der Woche. Er konnte ihn riechen. Alte Männer besitzen einen eigenen Körpergeruch, der sie meist als solche verrät. Dieser alte Mann hatte bestimmt noch nie von Deodorants oder After Shave gehört, aber er duftete. Es war verrückt, aber er roch wie ... wie ein Baby ... wie frische Bettwäsche, wenn sie in der Frühlingssonne getrocknet war. Merkwürdig.             

       Niemand sprach ihn an oder über ihn - ein Blinder spürt so was - und er war dankbar dafür. Thor fühlte sich so ausgehungert nach einem Gespräch, dass er es wohl kaum ertragen hätte, angesprochen zu werden. Er erfand ein Memoryspiel: Welche Stimme gehört welchem Mönch?       

       Den nächsten Tag verbrachte er taub. Ein Fetzen Papiertaschentuch und etwas Seife machten super Ohrenstöpsel. An taubstummen Tagen, jeweils zwischen einem blinden und einem stummen Tag, konzentrierte er sich nur auf Mimik und Gestik. Der ‘normale’ Tag danach diente dazu, die Beobachtungen zusammenzufassen und Gedächtnisakten über Charakter, Funktion und Position der einzelnen Mönche anzulegen. Die spirituelle Hierarchie, die sich dabei herauskristallisierte, war faszinierend. Diese Beschäftigung vertrieb die Zeit und hinderte ihn daran, in seiner halbdurchlässigen Bewusstseinsblase, die Informationen hinein ließ, aber nicht wieder heraus, völlig verrückt zu werden. Die Kontrolle zu verlieren, das jagte ihm Angst ein. Mit jedem Tag sammelte Thor mehr Informationen über die Kojaks. Mit jedem Tag bekam er ein schlechteres Gewissen, denn mit jedem Tag wurde ihm klarer, was für gütige und vertrauenswürdige Menschen sie waren. Sie wussten genau, was er tat, und lächelten ihn an, wie man ein Kleinkind anlächelt, das unbedingt irgendein blödsinniges Spiel spielen wollte. „Nutze die Zeit gut!“ und „Wir werden dich nach besten Kräften unterstützen“ Röntgenauges Worte klangen ihm noch im Ohr. Als schliche er wie die berühmte Katze um den heißen Brei, fühlte Thor, den wahren Sinn dieser Lektion zu verfehlen. Er war ein Gehirntestfahrer, der Schiss hatte, das Fahrzeug voll auszufahren. Er würde sich das Genick brechen, wenn er die Kontrolle verlor. Egal. Thor Becker beschloss, sein Mönchratespiel zu beenden, mehr zu meditieren und ansonsten abzuwarten, wann er irre wurde, um dann die Welt von diesem neuen Standpunkt zu betrachten.             

       In jener Nacht begannen die Träume. Röntgenauge und andere Mönche erschienen und sprachen ihm Mut zu. Er verstand Tibetisch auf einmal perfekt. Seine Rolle war passiv, er war der wilde Eingeborene, der zuerst misstrauisch und später verwirrt reagierte, als man ihm wiederholt erklärte, die Erde sei rund. Er hatte Probleme, die Unwichtigkeit der Menschheit im Allgemeinen und seiner eigenen Person im Speziellen zu akzeptieren. Die Traumlektionen liefen zu diesem Zeitpunkt auf eine einzige Instruktion hinaus: „Nimm dich nicht so wichtig!“  Mit der Morgensonne stieg ein neuer Fatalismus in ihm auf. Es war nicht der gleichgültige Fatalismus eines zum Tode Verurteilten, vielmehr der Fatalismus eines Kindes – voller Vertrauen. Thor meditierte nun mehrmals am Tag, doch es gelang ihm immer noch nicht, sich im Lotussitz zu entspannen; entweder sein Rücken wurde steif oder er bekam einen Krampf im Bein. Auf dem Rücken liegend ging es besser und siehe da, waren vorher seine Gedanken noch wie wilde Pferde galoppiert, einer den anderen überholend, standen sie nun still, legten sich hin und lösten sich auf, um einer wohltuenden Leere zu weichen. Die Leere entstand nicht durch das Fehlen von Bezugspunkten, wie sie ein Raumfahrer im All empfinden mag. Sie war das genaue Gegenteil, das Auflösen in der Unendlichkeit, das den Wassertropfen zum Ozean macht.             

Es glückte ihm selten. Meistens kam ein Pferd angerannt, und er war wieder Gefangener seiner armseligen fünf Sinne. Die letzte Woche verging nun wie im Fluge. Thor ließ sich nur noch zum täglichen Reis-Linsen-Buttertee-Schmatz-Furz-Schlürfritual blicken und blieb ansonsten in seiner Zelle. In den vielen Schlachten mit galoppierenden Pferden musste er zwar weitaus mehr Niederlagen einstecken, als er Siege errang, aber der Weg ist das Ziel, was sich mittlerweile sogar im Westen herumgesprochen haben soll.             

Die Milchstraße ergoss sich über den Himmel - Neumond. Thor saß am Rand des Klosterhügels und betrachtete die Sterne. Sternschnuppen blitzten in Minutenabständen auf - so viele unerfüllte Wünsche... „Immer noch wach?“                 

„Shit!“, entfuhr es ihm. Schwebten die Kojaks eigentlich? Er würde morgen darauf achten. Konnten sie nicht wie alle Menschen Geräusche machen, wenn sie liefen? Er biss sich auf die Zunge. „Keine falsche Bescheidenheit, deine Zeit ist seit Mitternacht vorüber“                  

Keine Erwiderung. „Es ist schon erstaunlich“, fuhr er fort, „Einen Mond lang schweigst du,  und das erste, was dir in den Sinn kommt, ist Scheiße“ Nun war es an ihm, sich auf die Zunge zu beißen: „Hmpf hmpf“ Es gelang nicht: „Hö hö hö“ Eine unbändige Kraft zog Thors Mundwinkel nach oben: „Humpf!“ „Hö hö hö hö!“ „Har har har har!“, war sein erster zusammenhängender Satz. „Hö hö!“ „Har har!“, erwiderte er, und nun konnte sie nichts mehr halten. Der Schüler krümmte sich auf dem felsigen Lehmboden, während sein Lehrer in seiner Kutte wie ein Gummiball auf und ab zu hüpfen schien. „Hö hö hö!“ „Har har har!“    

Ach, wie gut tat ein Gespräch! Waren eigentlich alle großen Gurus auch Scherzkekse?*       

Als sie sich wieder beruhigt hatten, begannen die Worte nur so aus Thor herauszusprudeln: „Ich empfinde tiefen Respekt vor eurem Orden und möchte euch danken. Euer Weg führt über Begrenzung zur Erweiterung. Ihr beschränkt euch auf die materiellen Notwendigkeiten wie Essen, Arbeiten, Meditation, Schlafen und seid dadurch in der Lage, eure gesamte Energie auf das Spirituelle zu fokussieren. So sehr ich euch bewundere, ich kann euren Weg nicht gehen“                  

Seine Gedanken waren von außerordentlicher Klarheit. Sie wurden ihm bewusst, während er sie aussprach.       "Wir westlichen Menschen zerstreuen uns und unsere Energie mit allzu vielen Bedürfnissen. Wir wollen diese Frau kennenlernen, jenes Land bereisen, ein solches Auto fahren und jeden Tag mehr, mehr, mehr. All dieses Verlangen kostet uns geistige Energie. Ich habe vieles von euch gelernt, vor allem aber, dass ich ein Okzidentale bin“ „Dir fehlt nur Disziplin, du bist faul und arrogant, der größte Klugscheißer, der jemals diesen Hügel betrat!“ Thor nickte zustimmend: „Danke, weißt du woran ich dachte, bevor du kamst?“ „Irgendwas mit unerfüllten Wünschen und dann: Dein Leben für eine Zigarette“ Ein Grinsen: „Exakt. Ich bin süchtig, süchtig nach dem physischen Leben, nach sex and drugs and Rock’n Roll!“ „Du bist ein Adept. Deine Suche ist nicht beendet. Sie beginnt“ „Gib mir Rat!“ „Du wirst zunächst nach Indien reisen?“ „Genau, ich habe mein Visum für Nepal überzogen“ Röntgenauge lächelte. Erst jetzt fiel seinem Schützling auf, dass Mingyars Gesicht in der stockfinsteren Nacht klar zu erkennen war. Entweder ging ein sanftes Leuchten von ihm aus, oder Thor war reif für die Psychatrie.                   

„Ein Sadhu schickte dich zu uns, du hast viel mit Drogen experimentiert, also ist es logisch, dass dein Meister ein Sadhu sein wird“ „Wo werde ich ihn finden?“ „Er wird dich finden“ Er stand auf: „Gute Nacht, mein Sohn“ „Gute Nacht, Lama Mingyar. Und Donebat“**      

*Ja 

** Hindi: Danke sehr!                

Der zahnlose Mönch, Maitre Methusalix, der König der Blähungen, sprach: „Deine Bestimmung willst du wissen? Ha! Ein Blinder könnte dir das sagen“ Thor verstand jetzt nicht nur tibetisch, er konnte sich auch artikulieren: „Vielleicht bin ich kein Blinder“ „Ein Esel bist du! Viele Jahre wirst du als Schüler verbringen, viele Meister werden sich an dir die Zähne ausbeißen - wenn sie denn noch welche haben. Ha!“ Er sabberte jetzt ein bisschen; das tat er immer, wenn er erregt war. „Du bist ein störrischer, fauler, hosenscheißender und besserwisserischer Adept, doch du wirst erwachsen werden - dann, wenn du es selbst nicht mehr erwartest. Und von da an wirst du ein Lehrer sein, ein guter Lehrer. Schlechte Schüler machen oft die besten Gurus, eine postpubertäre Rache des Geistes, so lautet jedenfalls meine Theorie. Nimm dich jedoch weiterhin so ernst, und du wirst scheitern! Ich liebe dich“            

Sein Gesicht war noch feucht, als er aufwachte. Freude erfüllte ihn. Thor Becker hatte ein Ziel. 

 

***            

 

Goldwing bestieg die Militärmaschine. Cutter und Chiminez begleiteten ihn. Turner würde der nächsten Schicht ein Briefing geben, und sich dann aufs Ohr hauen, denn er war in Goldwings Abwesenheit der alleinverantwortliche Leiter der Nachtschicht des Mount Palomar Observatoriums. Er würde die optischen Informationen liefern, während Goldwings Team weitaus komplexere Messungen durchzuführen beabsichtigte. Sie benötigten Hubbles Massenspektrometer, um die materielle Struktur der Erscheinung zu analysieren. Goldwing wusste, dass sie es nicht sehr lange geheimhalten konnten. Innerhalb von achtundvierzig Stunden würden es die Russen und die Chinesen entdecken, in etwa zwanzig Tagen die Hobbyastronomen und in einem Monat könnte man es mit bloßem Auge erkennen. Er befürchtete eine Massenhysterie. Wie dicht würde das Ding, so nannten sie es vorläufig, an der Erde vorbeischrammen, oder befand es sich gar auf Kollisionskurs? Den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit nach war dies fast ausgeschlossen. Ebenso wie die Tatsache, dass es überhaupt existierte ...             

Goldwing rieb ungeduldig seine Platte. Half ihm beim Denken. Nicht so Cutter. Der dürre Zahlenfreak, der Chiminez unheimlich vorkam, weil er Dinge, Menschen und Ereignisse außerhalb Platos Welt überhaupt nicht wahrzunehmen schien, war längst eingeschlummert und röchelte schaurig. Sie steckte sich eine an. Die junge Studentin fühlte sich viel zu aufgewühlt, um zu schlafen. Sie hatte also keinen Stern entdeckt, sondern irgendetwas - nichts Gutes anscheinend. Was es auch war, es würde nach ihr benannt werden. Toll! Sie sah schon die Schlagzeile vor sich: Der Chiminezasteroid zerstört die Erde. Genießen Sie Ihre letzten Tage!  Maria hatte schon kein Glück mit Männern - und jetzt das. Sie spielte mit dem Gedanken, sich einen langen, schwarzen Mantel zu kaufen und neue Visitenkarten drucken zu lassen:         

   

Maria Juanita Chiminez              

Vorbotin der Apokalypse             

www.armageddon.com             Z

 

umindest nähme man sie endlich mal ernst. Sie lächelte und benutzte die Kippe, um sich eine neue anzustecken. Immerhin würde sie nicht an Lungenkrebs sterben.       

 

    ***           

 

  Thors Rucksack war in drei Minuten gepackt. Er ging in die Teestube, um sich zu verabschieden und einen letzten Buttertee hinunterzuwürgen. Das fettige, undefinierbare, säuerlichsalzige Gebräu würde er in lieber Erinnerung behalten, doch hoffentlich nie mehr darauf angewiesen sein.  Seine Spielzeuge lagen schon auf seinem Platz am Fenster und waren im Nu verstaut. Ein Jüngling brachte ihm den Morgentee; ansonsten fand er keine Beachtung. Kam denn niemand, um ihm „Leb wohl!“ zu sagen? Vielleicht war es ja besser so. Tee geschlürft, Rucksack geschultert, wandte er sich zur Tür, als sich plötzlich seine Nackenhaare aufstellten. Er wusste, wer da hinter ihm stand. Die Stimme aus seinem Traum sagte etwas auf tibetisch, nur dass er diesmal kein Wort verstand. Er drehte sich um und ging auf den Greis zu, der aus der Küche gekommen war. Sie sahen sich in die Augen und umarmten sich. Thor küsste seine Glatze, woraufhin der alte Mann albern kicherte. Er legte eine knochige Hand auf Thors Schulter und grinste das bezauberndste zahnlose Grinsen seit der letzten Pamperswerbung.           

 „Ich liebe dich auch“, sprach sein störrischer Schüler, „Namaste“*            

Er verbeugte sich tief, die Hände zum buddhistischen Gruß gefaltet. Als er wieder aufsah, war sein Traumlehrer schon wieder in der Küche verschwunden und der Schüler kam sich ziemlich albern vor, zumal die jüngeren Mönche feixten.  * Hindi/Nepali: Sowohl „Hallo“ als auch „Leb wohl!“            

War er eigentlich geschwebt? Verdammt! Thor hatte nicht darauf geachtet. Er machte sich auf den Weg. Ein letzter Blick zum Hauptgebäude sah Röntgenauge auf ihn zu kommen. Nein, er schwebte eindeutig nicht. Er lief vielmehr barfuß, denn der Herbst im Himalaya ist recht warm; und er rollte über seine Sohlen ab, wie es sonst nur Athleten tun. Der Mönch verursachte tatsächlich kein Geräusch. Sie gingen die letzten Meter gemeinsam. Schweigend. Als sie den Weg ins Tal erreicht hatten, nahm Mingyar seine Hand. Thor blickte in die smaragdgrüne Weite seiner Augen, die hintersinnig funkelten. „Ein Röntgenapparat ist ein eher ungenaues Gerät, denn es zeigt einem nur die Umrisse von Dingen und schädigt zudem die Gesundheit. Das trainierte Auge hingegen sieht wesentlich klarer. Namaste und viel Glück!“                       

Das letzte, was der Lama sah, bevor er sich umdrehte und ging, war ein unglaublich dämlich dreinblickendes Gesicht.                       

 An der Grenze war eine Strafe fällig. Visum sechzehn Tage überzogen, das machte 160 US Dollar. Prima! Im schrottreifen Bus ging es nach Gorakhpur. Nur eine einzige Reifenpanne. Glück gehabt! In Gorakhpur ergatterte er eine Fahrkarte für den Zug nach Varanasi. Der Delhi-Express ist mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 55 km/h das schnellste Fortbewegungsmittel auf dem Landweg. Umsteigen in Lucknow. Drei Stunden Warten auf den Anschlusszug. War man erst gut 400 Schienenkilometer nach Westen gezuckelt, ging es nun in etwa die gleiche Strecke nach Südosten. Die Inder operierten immer noch mit dem Schienennetz, das die Engländer 1947 zurückgelassen hatten. Nur, dass es nicht mehr so gut in Schuss war. Gorakhpur-Varanasi sind etwa 300 km Luftlinie, mit dem Zug jedoch 900 km. Aber alles war besser als die indischen Busse, deren Fahrern man deutlich anmerkte, dass sie an Wiedergeburt glauben. Ihre ausgebrannte Skelette säumen Indiens Landstraßen – sowohl die der Busse, als auch der Fahrer – Mahnmale gescheiterter Überholmanöver.             

In Varanasi, der heiligen Stadt am Ganges, angekommen, mietete er sich ein Hausboot, eher eine schwimmende Hütte, ohne Antrieb und fest vertäut. Auf der kleinen Terrasse am Heck konnte man den herrlichen Sonnenuntergang genießen, wenn man sich nicht an den Leichen störte, die regelmäßig vorbeitrieben. Die heilige Mutter Ganga, wie der Inder den Fluss nennt, schickt jeden Hindu, der in ihr bestattet wird, direkt ins Paradies. Floß gebaut, rauf die Oma, ein paar Blumen, etwas Gesang, angezündet und ab dafür. So zumindest erschien es dem unbedarften westlichen Beobachter, doch es steckte natürlich, wie bei allem in Indien, Jahrtausende alte Kultur dahinter.                      

Tagelang wanderte Thor durch Varanasi. Er hielt sich oft in der Nähe der Gaths auf – Stufen, die zu Mutter Ganga führten und gläubigen Hindus für ihre religiösen Waschungen vorbehalten waren. Einmal im Jahr kommen Sadhus aus ganz Indien hier zusammen, um sich in einer festlichen Prozession in das trübe, aber heilige Wasser zu stürzen. Über zwei Millionen Menschen kamen deshalb vor einem Monat in die Stadt. Und auch wenn zwei Drittel Schaulustige und Pilger waren, wimmelte Varanasi immer noch von Sadhus. Thor gab sich noch drei Tage. Die verbrachte er tagsüber in einem Cafe am Gath. Hatte er bis jetzt gesucht, viele Saddhus kennengelernt und noch mehr Schillums* mit ihnen geraucht – nett aber ergebnislos – so beschloss er, sich jetzt finden zu lassen.

 

***            

 

Der ärmlich, schmutzig und zerzaust wirkende alte Inder sah der Krähe zu, die im Tiefflug angeschossen kam, um über ihm nach Osten zu drehen.               

Es handelte sich um keinen gewöhnlichen Vogel. Es war seine Geistkrähe. Rama folgte ihr nun schon seit über sechzig Jahren. Der Sadhu hatte neunundachtzig Lenze auf dem Buckel, doch die Krähe war noch älter. Schon sein Guru Narindrar war ihr ein Leben lang gefolgt und hatte ihn am Vorabend seines selbstgewählten Todestages der Krähe anvertraut.                

 Rama war vor sechs Tagen aus Varanasi abgereist. Gutes Fest. Gute Pujas**. Doch um rechtzeitig zur Cannabisernte in Manali zu sein, musste er los. Neun Wochen dauerte der Fußmarsch, und das nur, weil Rama ein extrem schneller Wanderer war. Er befand sich jetzt etwa 200 km von Varanasi entfernt und sollte zurückwandern, weil eine Krähe es so wollte. Zögerte er? Dachte er nach? Nein, es gab nichts Selbstverständlicheres auf der Welt.                 

Er kehrte um.   

Schließlich war Pushkar auch ein heiliger Ort, oder?         

 

 ***            

 

Varanasi schien es nicht gewesen zu sein.          

 Thor hatte die Freaks aus dem Magic Bus kennengelernt, die langbeinige, schwarzhaarige Israelin mit den Riesenmöpsen sogar besonders gut, und sie luden ihn ein, nach Pushkar mitzukommen. Sollte er nicht noch warten? Ein Blick auf Janas T-Shirt, das sich über ihrer beeindruckenden Anatomie spannte, und die Entscheidung war gefällt.   

* Konische Tonpfeife, die Sadhus benutzen, um Haschisch zu rauchen      

** Puja: Religiöse hinduistische Zeremonie                     

***            

Die Krähe bedeutete Rama, abermals umzukehren, diesmal nach Westsüdwest.  Er legte seinen Kopf schief, worauf der Vogel auf seiner Schulter landete und an seinen langen Ohrlappen herumpickte.            

Es war also wichtig. Na schön.   

 

 ***            

 

Pushkar war ein Städtchen aus tausendundeiner Nacht.    

 Niedrige weiße Steinhäuser gruppierten sich malerisch um einen kleinen kreisrunden See, der den Vorzug besaß, vom göttlichen Brahma persönlich geschaffen worden zu sein. Die einzig einleuchtende Erklärung, lag doch das gesamte Ensemble mitten in der staubigen Wüste Rajastans. Pilger zelebrierten Pujas, heilige Zeremonien zur Selbstreinigung, und Waschungen im Wasser des Sees. Am südlichen Ufer befand sich ein Gebetsplatz samt Lautsprecher: „Hare Krishna, Krishna Krishna, Hare Hare, Hare Rama, Hare Hare etc“ Vierundzwanzig Stunden am Tag schallte es über den See.             

Manch ein Reisender verließ Pushkar, weil er in der Nacht, wenn der Gesang am lautesten erscheint, nicht schlafen konnte. Thor empfand es eher als entspannend, zumal man es nach ein paar Tagen sowieso nicht mehr hörte. Es drang dann ins Unterbewusstsein, wurde innere Schwingung, eine spirituelle Vibration, die Teil des Lebensgefühls in Pushkar war.               

Sie blieben neun Tage. Thor suchte Sadhus, die Freaks was zu rauchen. Er hing unter heiligen Bäumen herum, sie in Hängematten. Nachts fand man sich zusammen, um Erfahrungen auszutauschen, zu kiffen, Gitarre zu spielen und zu kuscheln. Pushkar war es wohl auch nicht, es ging weiter nach Jaisalmer, einem uralten Fort im Westen der Wüste Rajastan. Cameltrekking war angesagt. Thor war ein ganz ordentlicher Reiter - auf Pferden. Der Paargang der Kamele jedoch, die sich wie beim Stricken zwei links, zwei rechts fortbewegten, ließ seine Eier siebzig mal pro Minute gegen den Sattel klatschen. Jana beklagte sich danach über nachlassenden Enthusiasmus seinerseits. Für eine Israelin war das ein Trennungsgrund.                

Der Magic Bus wandte sich tags darauf nach Süden. Goa war das Ziel aller Partywütigen. Er war schon in der Hippiekolonie gewesen, und ein Gefühl sagte ihm, er solle besser im Norden bleiben - kaum ein Sadhu verirre sich nach Anjuna Beach. Abschied. Es wurden Adressen ausgetauscht, und Thor überlegte ernsthaft, ob er nächstes Jahr nicht mal Janas Kibbuz besuchen sollte - zur Melonenernte.               

Im und um das mittelalterliche Fort befanden sich ganze drei Sadhus, und keiner schien auf ihn gewartet zu haben. Sollte er den Bus nach Bikaner nehmen?              

In dieser Nacht wurde Thor von einem merkwürdigen Traum heimgesucht. Man wollte ihm etwas mitteilen, doch weder sah er jemanden, noch verstand er die Botschaft.      

Nur eine Krähe, die der tiefstehenden Sonne entgegenflog, erregte seine Aufmerksamkeit.            

Thor hatte gefrühstückt, Naan mit Käse und Spiegeleiern, aber noch keine Entscheidung getroffen. Er schlenderte zum Tor, vor dem sich eine Karawane sammelte, die nach Pushkar unterwegs war, um an der jährlichen Camelfare teilzunehmen, der zweitgrößten der Welt. 38 Kamele und 19 Camelwagons. Ein Camelwagon ist ein meist einachsiger Anhänger mit breiten Autoreifen, das Kamel die Zugmaschine. Sie wollten nach der Mittagshitze aufbrechen, um noch vor Einbruch der Nacht eine nahegelegene Wasserstelle zu erreichen. Alltag in Jaisalmer. Thor hatte vor, zum Travel-Agent zu gehen, um dort die Reiseoptionen abzuwägen, als er hinter sich ein Krächzen vernahm. Eine Krähe. Die waren selten, so weit im Westen, es gab hier eigentlich nur Raubvögel und jede Menge Geier. Da fiel der Groschen. Plötzlich wurde ihm sein Traum wieder bewusst. Ein Omen! Der Flattermann würde ihm den Weg zeigen.                 

Die Krähe saß auf einem Camelwagon und schiss gerade auf den rechten Reifen. Ein Zeichen? Nein. Nur Vogeldreck. Nun flieg schon los und zeig mir den Weg!      Desinteressiert gab sich das Omen der Gefiederpflege hin. Er grübelte. Das Mistvieh in seinem Traum war der tiefstehenden Sonne entgegen geflogen, also schied Bikaner aus, es lag im Norden. Es konnte nur Osten oder Westen sein. Moment mal! Im Westen lag nicht weit von hier die pakistanische Grenze und keine Verbindung führte dorthin. Blieb nur Osten. Die Karawane würde noch heute in diese Richtung aufbrechen. Zurück nach Pushkar.             

Endlich hatte er es geschnallt. Die Krähe stieg auf, versuchte, auf seinen Kopf zu feuern, was wegen des Windes jedoch misslang und flog, ein enttäuschtes Krächzen von sich gebend, nach Osten.  „Ram Ram, Baba!“ „Ram Ram!“, grunzte der Karawanenführer, ein stämmiger, stark behaarter kleiner Mann, dessen dunkle Knopfaugen einen wachen Geist verrieten. „You go Pushkar?“ „Yes“ „I want to go Pushkar“ „Yes“ „Can I go with you?“ „No“ „Why?“ „Dangerous. two weeks to Pushkar. No doctor. You fall off camel. I have big problem“ „I am a doctor“, log er. Großes Getuschel. Die Gruppe, die sich um die beiden gebildet hatte, war auf drei Dutzend Kameltreiber angeschwollen. Sie sprachen Rajastani, einen Hindidialekt. „You can ride camel?“ „Yes“, log Thor abermals, „very well“ Gelächter. „You show me“ Der Karawanenführer deutete auf ein sehr großes männliches Kamel. Es wurde gesattelt, einer von diesen kleinen Sätteln, an denen die Steigbügel mit Schnüren festgebunden waren, und somit unweigerlich zu kurz für Thors lange Beine. „No, sorry, Baba, I want this one“ Er deutete auf einen herrlichen Ledersattel, kunstvoll verziert, und vor allem mit Steigbügeln versehen, die an verstellbaren Lederriemen hingen. „Aja“*                        

Die Bestie war gesattelt und lag auf dem Boden. Thor verlängerte die Steigbügelriemen, bis sie bei ausgestrecktem Arm an seine Achselhöhle reichten. Perfekt. Er erinnerte sich seiner ersten Reitlektion. Kaum waren die Füße in den Steigbügeln, lehnte er sich mit dem Oberkörper nach hinten, bis sein Rücken auf dem des Kamels lag. Keine Sekunde zu früh. Ein Scherzbold zog dem Kamel eins über, worauf die fast drei Meter langen Hinterbeine ausfuhren. Das Hinterteil kommt immer zuerst hoch. Wer das nicht weiß, den katapultiert ein Kamel in hohem Bogen in den Wüstensand. Jetzt wurden die Vorderbeine ausgeklappt. Simultan dazu sollte der Reiter nun seinen Oberkörper aufrichten, oder er läuft Gefahr, über das Heck zu rutschen. Es klappte ganz gut. Thor blieb wenig Zeit, seinen Triumph zu genießen, denn der Karawanenführer stieß ein gellendes „Aaiiiii!” aus, das, von einem Gertenhieb begleitet, dem Kamel Beine machte.                  

Die besten Rennpferde können in der Spitze fast 70 km/h erreichen. Rennkamele sind etwas schneller, wenn auch aufgrund der höheren Übersetzung nicht ganz so explosiv am Start. Thor war es explosiv genug. „Ich kann auch den Bus nehmen, ich kann auch den Bus nehmen!”, war sein sich ständig wiederholendes Mantra, während sein Untersatz davongaloppierte – ja, Kamele können galoppieren – und nur alle sieben Meter den Boden kurz berührte.             

Das Kamel, das er beim Trekking geritten war, musste ständig durch einen Stock motiviert werden, mit dem man ihm in den Anus piekte.     

*Hindi: Sehr gut; alles klar                     

Der Mörder, auf dem er jetzt auf und ab hüpfte, musste ebenfalls motiviert werden: „Ruhig, gaaaanz ruuuhig“ „Schnaub!“, erwiderte das Kamel. „Kalatsch, kalatsch!“, beschwerte sich Thors Sack, und ab über die nächste Düne. Nach etwa fünf Minuten - Thor war es wesentlich länger vorgekommen - gelang es ihm, das Tier anzuhalten. Vielleicht hatte es auch nur beschlossen, sein Training zu unterbrechen, wer wusste das schon? Dankbar verpasste Thor ihm eine Kopfmassage. Er war irgendwo in der Wüste und das Fort außer Sichtweite. Der Westwind, der heute blies, würde seine Spuren bald verwischen und so konnte es nicht schaden, sich mit dieser Rakete anzufreunden. Das Geschoss ließ sich problemlos wenden. Zeit zurückzukehren. „Hat hat!“ Nichts. „Schnalz!“ Auch keine Reaktion. Er probierte es mit Schenkeldruck und hätte es fast bereut. Alle Reittiere sind auf dem Rückweg schneller als auf dem Hinweg. Hat mit Futter zu tun. Es war zu spät, darüber zu reflektieren. Jetzt hieß es: Festhalten! „Kalatsch, kalatsch!“, flog man zurück. Unser Protagonist verfluchte seine vorlaute Klappe.  Was er nicht wusste: er saß auf Aga Khan, dem kamelgewordenen Heroen der Kalunjasippe, dem Stolz des Kalunjatals, einem Vollblutrennkamel, das Chancen besaß, in drei Wochen den Pushkarcup zu gewinnen.  Als das Fort auf sie zu raste, verlangsamte Aga Khan seine Frequenz. Er fiel in den langsamen Paargang, der diese Tiere so gemächlich erscheinen lässt. Alles Bluff! Das hatte Thor gelernt. Er kraulte Aga Khan hinter den Ohren, die mit jeweils einem Dutzend Ohrringen geschmückt waren. Der blökte zufrieden und begab sich zur Wasserstelle, wo die Karawane lagerte. Ein letztes Mal aufpassen. Er lehnte sich wieder nach hinten, bevor die Vorderbeine eingefahren wurden. Aufrichten, als das Heck dran war, Abstieg, geschafft. Eine halbe Tafel Dairy Milchschokolade wurde von Aga Khan akzeptiert und Thor war glücklich.                

 „My Name Kalunja, Baderan Kalunja“, stellte sich der gedrungene Wüstensohn, der nur aus gekräuselten schwarzen Haaren zu bestehen schien, vor. „Becker, Thor Becker“ „He not bite you?“ Warum hätte ihn das Kamel beißen sollen? „He bite everybody, only me and my son Badu he not bite“ „I talked to him“ „And he listen?“ „No“ Großes Gelächter. „You big balls“ Thor hatte tatsächlich dicke Eier, doch er wusste, dass sein Ritt gemeint war und als mutig anerkannt wurde – mutig für einen Weißen zumindest. „You big camel“, grinste Thor zurück.

Eisige Stille.             

Baderan hatte die Doppeldeutigkeit sofort erkannt und verengte dunkelbraune Augen musterten den Weißarsch. Der griente ihn immer noch an. Baderan schlug sich krachend auf die Schenkel und wieherte. Wie auf Kommando fielen die Kameltreiber mit ein. Gewaltiges Gelächter. Das war knapp.                      

„200 Dollar“ „100“ „We buy your food!“ „110“ „150“ Die dunklen Augen verengten sich wieder. „Ok“ Für heute hatte Thor sein Schicksal genug herausgefordert. Handschlag. „We go in three hours“ Alles klar. Er ging seinen Rucksack holen. Es galt, vor der Abreise noch ein Erste-Hilfe-Set zu kaufen. Immerhin hatte er sich als Doktor in die Karawane geschmuggelt, und seine drei Heftpflaster würden im Ernstfall nicht ausreichen. Mullbinden und eine große Flasche Jod mussten auch her. Dazu Schokolade, eine Tupperware und fünf Kilo Kartoffeln - er hatte von Reis die Nase voll. Die Schokolade wickelte er aus und legte sie in die Tupperware, denn tagsüber würde sie flüssig sein und es lieben, sich mit der Alufolie zu einem undefinierbaren Klumpen zu verbinden. Auf diese Weise konnte man sich abends mit dem Messer Stücken herausschneiden. Jetzt noch Jodtabletten, um Trinkwasser zu desinfizieren, Batterien für den Walkman, Alufolie und er war gerüstet. Thor musste sich ein Kamel mit Badu teilen. Schlimmer noch. Der etwa neunjährige Sohn von Baderan ritt das Kamel, während Thor hinter ihm auf dem Sozius saß. Der hatte keine Steigbügel, und so begann die Reise so, wie sie enden sollte: Schmerzhaft. Kalatsch, kalatsch, kalatsch. „Do you speak English?“ „Yes, Babu* sent me to school“, antwortete der Knirps stolz, denn das war speziell auf dem Land keine Selbstverständlichkeit. In Indien werden siebzehn Sprachen gesprochen, Dialekte nicht mitgerechnet, und so war die offizielle Landessprache die der hassgeliebten Besatzer. Fast jeder konnte ein paar Brocken Englisch, doch bei den meisten reichte es kaum für ein sinnvolles Gespräch. Nicht so Badu. Der Junge war gebildet. Nach einem unverfänglichen Plausch kam Thor zum Wesentlichen: „Wie schafft ihr es, dass euch die Eier nicht abfallen?“ „Das weißt du nicht?“ „Behalt es für dich!“ „Ich zeige es dir morgen früh, Herr Doktor“ „Nenn mich Thor!“ „Ok, nenn mich Badu!“  Sie erreichten das Wasserloch kurz nach Sonnenuntergang. Die Kamele wurden von ihrer Last befreit. Ein Feuer gemacht. Den Rest bekam Thor nicht mehr mit.                   

Er hatte sich in seinen Schlafsack gerollt und war sofort entschlummert.  

 

  ***            

 

 Edwin Hubble war nach dem 1. Weltkrieg nach Mount Palomar gekommen, um die Spektrallinien entfernter Galaxien zu messen.           

* Baba = Vater, die gängige respektvolle Anrde für einen Mann, Babu =Koseform für Vater            

Das Mount Palomar Observatory besaß das damals größte Teleskop der Welt und der Smog von L.A. verschlechterte die Sicht noch nicht. Hubble fand heraus, dass sich alle Galaxien voneinander entfernen. Wenn sie das taten, und der allgegenwärtige red shift bewies das, dann mussten sie ja irgendwann damit angefangen haben. So entstand die Theorie einer Explosion als Beginn des Universums – des Urknalls. Diese Theorie gilt auch heute noch als das Weltbild der modernen Wissenschaft. Nach jenem Edwin Hubble wurde auch das Weltraumteleskop der NASA benannt, das Goldwing jetzt in Position bringen wollte.  Es gab ein Problem. Hubble konnte das Ding noch 31 Stunden und 4 Minuten anpeilen, dann schob sich der Mars in den Weg. Seltenes orbitales Pech. Das Objekt würde sechs Tage im Marschatten bleiben, jedenfalls von Hubbles momentanem Orbit aus gesehen. „Das verfluchte Teil hat doch Steuerdüsen, oder nicht?“, fauchte Goldwing die NASA-Ingenieure an. “Jawohl, Sir, aber die sind für kleine Korrekturmanöver gedacht“ „Und?“ „Wir müssten Hubble wenigstens 6.500 Kilometer nach Norden bewegen. Dann wäre Mars nicht mehr im Weg“ Ihnen blieben weniger als fünf Wochen. Sechs Tage Beobachtungszeit zu verlieren, war ein nicht zu akzeptierender Verlust. „Denken Sie sich was aus, Mann!“ „Wenn wir jetzt zünden, ist der Treibstoff in achteinhalb Stunden verbraucht. Wir gewinnen dadurch vielleicht zwei Tage, sind aber manövrierunfähig“ „Höllenfeuer! Cutter, Chiminez, an die Arbeit, wir haben 31 Stunden!“                  

Die Zeit verging schnell. Hubbles Massenspektrometer würde ihnen Daten über die Zusammensetzung des Dings liefern, Spektrallinien konnten genauer untersucht werden, um die exakte Geschwindigkeit zu ermitteln und vor allem mussten Vektoren bestimmt werden: Welchen Kurs hatte die Erscheinung? Sie wurden nach und nach von den klügsten Köpfen der NASA unterstützt, allen, die man so schnell hatte einfliegen können. Als erfahrene Wissenschaftler stellten sie die Analyse hinten an und konzentrierten sich auf die Sammlung von Daten. Goldwing selbst spielte an keinem Instrument, er war der Dirigent: Versuchsanordnungen und ihre Ausführung. 29 Stunden und 52 Minuten später gab es die ersten Interferenzen, und nach 30 Stunden und 58 Minuten riss der Datenstrom völlig ab. Goldwing ließ sich erschöpft in einen Drehstuhl sinken und massierte seine pochenden Schläfen. Cutter war, noch bleicher als sonst, innerhalb von Sekundenbruchteilen auf seiner Tastatur eingepennt, und Maria Juanita Chiminez, die Vorbotin der Apokalypse, schrie nach mehr Kaffee und filterlosen Zigaretten. Gitanes! Gauloises! Hauptsache stark! Sie hatte eine Idee. Eben hatte sie es fast gehabt. Die Lösung. Doch sie war so müde. „Wo ist dieKaffeemaschine?“, wollte Maria noch fragen, da war sie schon eingeschlafen. 

Insgesamt 42 Stunden intellektueller Schwerstarbeit am Stück hatten ihren Tribut vom Palomar-Team gefordert. Kräftige NSA-Agenten* trugen sie zu bereitgestellten Feldbetten. Man war gnädig und gewährte ihnen acht traumlose Stunden Schlaf.                  

In der Zwischenzeit wurden die Daten kopiert und zu Deep Blue, dem Supercomputer in den Rocky Mountains, weitergeleitet. Deep Blue wertete die Daten gemäß komplexer Analyseprogramme aus und sandte die Analysen zurück nach Houston und ins Pentagon. Professor Goldwing wurde vom selben NSA-Agenten, der ihn so behutsam zu Bett getragen hatte, unsanft geweckt: „Sir, wachen Sie auf, Sir!“                    

 „Fucking hell! What the fuck ...“ Ein um Vergebung bittendes Lächeln und ein Handy tauchten vor ihm auf. „Der Sicherheitsberater des Präsidenten, Sir“ Pit Bull. Hatte er total vergessen.              

 „Goldwing, Lagebericht!“ „Sir, keine Zeit gehabt für Analysen, Mars hat sich dazwischen geschoben. Wir haben die Daten gesammelt, die wir kriegen konnten, Sir, geben Sie mir zwölf Stunden für einen detaillierten Bericht, Sir!“ „Sagen wir acht, Goldwing, ich verlass mich auf Sie“                                   

 Die Verbindung wurde unterbrochen.  

 

      ***            

 

 Herr Becker träumte gerade irgendwas von Krähen, als auch ihn jemand wachrüttelte. „Thor, Thor, wake up!“ Er rieb sich die Augen. Vor sich sah er einen splitterfasernackten Knaben. Er rieb sie sich noch mal. Unveränderte Situation. Ein Blick auf die Uhr: 4.50 am. „I show you“ Badu zeigte ihm ein Bündel. Grunzen. Zigarette. „Show me what?“ Jugendliches Grinsen. Badu zog sich einen Slip an. Besser. Er wies bedeutungsschwanger auf einen Stoffstreifen.      

 * NSA = National Security Agency. FBI = Federal Bureau of Investigation, ist die Bundespolizei, die für staatenübergreifende Delikte zuständig ist. CIA = Central Intelligence Agency, ist der amerikanische Geheimdienst, was also tut die ‘Nationale Sicherheits-Agentur’? Sie ist der eigentliche big brother, denn sie und ihre Hardlinerlobby bestimmen, was die nationale Sicherheit gefährdet. Eine innenpolitische Trumandoktrin. Die   NSA stellt sich Durchsuchungsbefehle und Abhörgenehmigungen selbst aus. Sie ist das Machtinstrument von Insidern und bleibt gerne im Hintergrund. Es ist ihr recht, wenn die CIA weltweit alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das lenkt ab. Im Zusammenhang mit Kennedy hat kaum jemand die NSA erwähnt. Praktisch. Außerdem werden Teile der CIA von ihr kontrolliert, aber der Autor schweift ungebührlich ab.

 

Den wickelte er sich nun um seinen Unterleib. Links, hinten rum, rechts, hinten rum, links, vorne rum, rechts vorne rum, einmal um die Taille und fertig. „Now, no problem“              

 Alle genialen Lösungen sind einfach.             

Thor schälte sich aus dem Schlafsack. „Boxershorts not good!“, lautete die Kritik. Er hatte noch einen Slip im Rucksack, wechselte auf fachmännischen Rat die Unterwäsche und packte eine Mullbinde aus. „Not good, to strong“ Der Knirps hatte Recht, das würde ihn wund scheuern. „You need that?“ Badu deutete auf eines von Thors drei T-Shirts, und ein Moment der Unentschlossenheit war ihm genug. Ratsch. Er riss das Hemd in Streifen, die an den Enden immer noch zusammenhingen, und band ihm gekonnt den Sack fest. Baumwolle musste es sein. Ein Profi. „Donebat, mein Freund“ „No problem“, zitierte Badu das beliebteste Proverb aller Asiaten. Thor zückte seine Tupperware und ein Messer. „Magst du?“ Angesichts der Schokolade, die in Indien zu den Luxusgütern zählt, leuchteten die Augen: „Nur mit schwarzem Kaffee“, war die beherrschte Antwort. Badu warf sich in seine Kluft und düste davon, um Sekunden später mit zwei dampfenden Schalen schwer duftenden, schwarzen Gebräus zu erscheinen. Der Beginn einer wundervollen Freundschaft*.                       

Um 5.30 Uhr hatten alle gefrühstückt. Sattelt die Hühner, wir reiten nach Kentucky! Tatsächlich ging es jetzt besser. Lieber Schnürei als Rührei. Man brauchte mindestens sechs Tage bis zum nächsten Wasserloch; dementsprechend wurde das Tempo forciert. Rast in der Mittagshitze. Reiten bis Sonnenuntergang. Verdorrte Sträucher sammeln. Feuer. Abendbrot. Dann wurde Haschisch geraucht, nach der Art des Hindukusch. Eine Pfeife mit riesigem Kopf, Tabak und Haschisch im Verhältnis 1:3 gemischt – Tabak ist teuer – Holzkohle oben drauf und ab geht’s! Danach völlig stoned noch ein paar Kilometer gemacht und schließlich Nachtlager.  Als sie das Wasserloch erreichten, wurde gefeiert. Für die fünf Hühner, die auf einem Camelwagon mitgereist waren, war hier Endstation. Thor opferte seine Kartoffeln samt Alufolie; eine alte Vettel, Baderans Mutter und einzige Frau der Karawane, spickte sie mit Knoblauchzehen, bevor Thor sie in Alu wickelte und ins Feuer warf. Was für eine Delikatesse. Rosafarben hauchte der Mond das Licht der Sonne auf ihr Feuer. Ein Kameltreiber schälte seine Sitar aus dem Wachspapier, ein anderer holte seine Tabulas**.            

* Zitatklau. Der Autor bittet demütigst um Vergebung, dass sein schlechter Charakter es ihm unmöglich machte, dieses gemeine Plagiat zu unterlassen.    ** Eine Sitar ist ein indisches Saiteninstrument, Tabulas sind Kongas ähnelnde, kleine Trommeln  Badu füllte die Pfeifen mit Haschisch und sechsundvierzig Menschen erlebten eine wundervolle Nacht. Sie würden hier einen Tag rasten. Diese Aussicht erfreute nicht nur die erschöpften Kamele.   Zelte wurden aufgeschlagen.                 

 Am nächsten Tag war Zeit, die Wunden zu lecken. Drei Mann hatten eiternde Verletzungen zu beklagen. Thor wusch und desinfizierte sie, so gut er konnte. Er verfluchte sich, weil er nicht an Antibiotika gedacht

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Alpha O'Droma
Tag der Veröffentlichung: 15.11.2012
ISBN: 978-3-95500-783-6

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /