Cover

Der Tag beginnt einigermaßen nervtötend. Ich hasse ja diese neumodischen Klingeltöne, die fast schon kurz davor sind, jemals witzig zu sein. Mein Handy speit also, in dem Versuch mich zu wecken, eine Tirade übelster Beschimpfungen in allen Farben des Regenbogens aus. Weiss nicht, ob jemand darauf steht, mit Geschrei geweckt zu werden. "Ich hab' im Lotto gewonnen, wir ziehen in 'ne Villa!", wär vollkommen OK. "Beweg deinen dämlichen Arsch, du Drecksau!", aber nicht. Ich startete also mit einem neuen Handyweitwurf-Rekord in den Tag. Scheisse.

To-Do-Liste:
[ ] Handy kaufen.

Aufgestanden, Zwei Schritte in Zeitlupe gelaufen, knack. Mein Lieblingsfüller gibt dem stetigen Druck des müden Kerls, der auf ihn tritt, ohne Probleme nach. Ich werde langsam wach, registriere blaue Tinte an meinem Fuß und auf dem Teppich. Königsblau

. Eine Packung Taschentücher und zwei blaue Fußabdrücke später ist auch dieses Problem gelöst. Der Füller ist vollkommen hin. Scheisse.

To-Do-Liste:
[ ] Handy kaufen.
[ ] Füller kaufen.

Wach und leicht blau gehe ich die Treppe hinunter, zur Badezimmertür. Ich drücke die Klinke, bewege mich nach vorn, während ich die Tür aufziehen will. Diese bleibt verschlossen, mein Kopf macht bekanntschaft mit Holz. Aus dem unzugänglichen Inneren des Badezimmers tönt eine Stimme, fast so wohlklingend wie eine Katze im Mixer. "Besetzt!". Gott sei dank hat man mir das DANACH gesagt. Ein paar Blutstropfen verraten mir, entweder ist mein Kopf undicht, oder die Tür hat mich mit einem Messer attackiert. Eins und Eins zusammengezählt, ich blute. Mehr Taschentücher geben ihr Leben im ständigen Kampf, meine Konflikte zu bewältigen. Kopfschmerzen. Aspirin in der Nähe? Nein, warum auch. Scheisse.

To-Do-Liste:
[ ] Handy kaufen.
[ ] Füller kaufen.
[ ] Aspirin kaufen.

Einige Zeit später, Blut und Tinte zur Zufriedenheit beseitigt und für das Leben da draußen zurecht gemacht, will ich nur ein paar Minuten Ruhe und Frieden. Ein Salamibrot und 'ne Tasse Kaffee. Alles läuft glatt. Brot in der einen, Tasse in der anderen Hand schreite ich unbeirrt Richtung Wohnzimmer, ein pelziger Kugelblitz blockiert mir den Weg, rammt meine Beine, beißt, kratzt und faucht mich an. Baum fällt! Das leckere Salamibrot landet perfekt aufgefächert im Blumentopf, der Kaffee nicht. Das Zeug begnügt sich mit jedem anderen Fleck im Raum. Meine Taschentücher jedoch halten zu mir! Die Situation; Brot: Leer. Kaffee: Leer. Geschirrschrank: Tassenlos. Scheisse.

To-Do-Liste:
[ ] Handy kaufen.
[ ] Füller kaufen.
[ ] Aspirin kaufen.
[ ] Brot, Kaffee, Tassen kaufen.

Hungrig, durstig und ansonsten guter Dinge verlasse ich das Haus auf dem Weg zur Bushaltestelle.
Wenigstens in der Schule steht heute kein Stress an, dort würde ich Ruhe finden. Der Bus hat bereits Zehn Minuten Verspätung, ein rüstiger Rentner diskutiert mit mir, dass das früher nicht passiert wäre. Einfach nicken. Hören kann ich ihn schon garnicht, er scheint sich an den Knöpfen in meinen Ohren, die direkt mit meinem geliebten MP3-Player verbunden sind, aber auch nicht zu stören. Nach weiteren Fünf Minuten biegt der Bus um die Ecke und ich bekomme sogar einen Sitzplatz ab. Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Die Gitarrenklänge in meinem Kopf verschwinden. Der Player schaltet sich ab. Akku: Voll. Fehlerbeschreibung: Kaputt. Scheisse.

To-Do-Liste:
[ ] Handy kaufen.
[ ] Füller kaufen.
[ ] Aspirin kaufen.
[ ] Brot, Kaffee, Tassen kaufen.
[ ] MP3-Player kaufen.

Wie immer muss ich einmal Umsteigen, bevor mich eine Straßenbahn zu meinem Ziel bringt. Ich sitze also in der allmorgendlich frischen Luft auf einer unbequemen Metallbank, neben mir eine umgestoßene Flasche Bier und ein gelblicher Fleck, über den ich jetzt nicht weiter nachdenken möchte. Die Minuten vergehen, weitere Busse treffen ein, es wird langsam voll. Zwanzig Minuten. Fünfunddreißig Minuten. Eine Stunde. Leicht gereizt und vorallem gelangweilt lese ich, wie so oft, einen Aushang der Bahn. "Streik ab 10 Uhr". Ich schaue auf meine Armbanduhr und sehe: --:-- .
Kaputt. Scheisse.

To-Do-Liste:
[ ] Handy kaufen.
[ ] Füller kaufen.
[ ] Aspirin kaufen.
[ ] Brot, Kaffee, Tassen kaufen.
[ ] MP3-Player kaufen.
[ ] Armbanduhr kaufen.

Die Bahn streikt. Ganz der engagierte Schüler rufe ich über eine Telefonzelle einen meiner Klassenkameraden an. Er hat ein Auto. Mit Witz und Cleverness habe ich ihn schnell überzeugt, Dreißig Minuten später sitzen wir beide in besagtem Wagen und sind auf dem Weg zur Schule. Smalltalk. Ich frage ihn, ob er den Führerschein von Ebay hat. Ich ernte ein Lächeln, weil er den Witz nicht verstanden hat. Er beschleunigt weiter, fährt mit geschätzten Fünftausend Km/H in einer Dreißiger Zone. Blitz! Der Crashtest-Fahrer neben mir beweist, dass sein Lieblings-Thema in der Fahrschule die Vollbremsung war. Der qualitativ hochwertige Sicherheitsgurt schnürt mir die Luft ab. Hustend und würgend klammere ich mich an meine Tasche. Das Erste, das ich bemerke, ist ein nasser Flecken, der sich an der Rückseite der Tasche ausbreitet. Die Wasserflasche scheint "defekt". Bücher, Hefte, Stifte, alles ordentlich nass und unbrauchbar. Scheisse.

To-Do-Liste:
[ ] Handy kaufen.
[ ] Füller kaufen.
[ ] Aspirin kaufen.
[ ] Brot, Kaffee, Tassen kaufen.
[ ] MP3-Player kaufen.
[ ] Armbanduhr kaufen.
[ ] Schulmaterial kaufen.

Gefühlte Äonen später kommen wir tatsächlich bei der Schule an. Ich steige aus, mache mich direkt auf den Weg zum Gebäude. Mein irrer Chauffeur jedoch wird erstmal vom wie aus dem nichts erschienenen Hausmeister angeschrien, woher er sich das Recht nehmen würde, auf dem Lehrerparkplatz zu parken, die heutige Jugend, respektlosigkeit, hätte es früher nicht gegeben, und so weiter. Leise vor sich hin fluchend steigt er also wieder ein und fährt weg. Ich renne mittlerweile, um wenigstens noch einen Teil der ersten Stunde mitzuerleben. Bei der großen Eingangstür des Gebäudes angekommen stoppe ich, aus den Geschehnissen des Morgens schlauer geworden. Mein Instinkt erwies sich als hilfreich, denn wieder stehe ich vor einer abgeschlossenen Tür. Zum zweiten Mal an diesem Tag belehrt mich ein Aushang. "Schule am Soundsovielten wegen Lehrerkonferenz geschlossen". Ich warte auf meinen Auto-Kumpel, um ihn gleich davon zu überzeugen, mich nachhause zu bringen. Geschlagene Fünfundvierzig Minuten später suche ich mir wieder eine Telefonzelle, um von ihm zu erfahren, dass er selbst schon wieder zuhause ist. Gut, wenn man loyale Freunde hat. Ich drehe mich um, will zur nächsten Bahnhaltestelle laufen, um zu sehen, ob der Streik heute noch beendet werden soll. Ein Lastwagen fährt vorbei und erwischt demonstrativ eine Pfütze im Straßengraben. Die Pfütze ihrerseits erwischt mich. Weitere Taschentücher werden benutzt. Packung leer. Das letzte Dreckwasser entferne ich mit meiner To-Do-Liste. Scheisse.

NEUE To-Do-Liste:
[ ] !!! Taschentücher kaufen. !!!


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.03.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /