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Inner Deamon


Daniel Graves



Einleitung



Halbe Stunde noch. Ich hasse ihn.

Schwer vorstellbar, dass so viele Menschen in eine Bank passen. Umgeben von genervten, hustenden, schwitzenden, gaffenden Schlechtverdienern stand Jack in der Mitte der Schlange vor dem einzigen besetzten Bankschalter. Genau genommen war er einer von ihnen. Gerade genug Gehalt um durchzukommen und sich einmal im Monat einen anzutrinken, bevor die Geldmittel erschöpft waren…Noch Vier vor mir…Muss hier raus, keine Luft…

Für jeden abgefertigten Kunden kamen bereits Drei weitere, die sich artig in die Schlange einreihten. Die Frau am Schalter schien ungefähr so clever zu sein wie die Kaffeetasse, die vor ihr stand. Gelangweilter Blick, keinerlei Interesse, nicht mehr Infos als nötig…Man sollte sich daran gewöhnt haben, wo doch jeder Zweite in unserer Welt genau nach diesem Muster vor sich hin lebt. Tut man aber nicht. Menschen sind von Menschen genervt. Ein so unumstößliches Naturgesetz wie die Tatsache, dass etwas nach unten fällt, nicht nach oben. Jack kam schleichend voran, sein Vormann trat aus der Reihe und verließ genervt das Gebäude. Sympathisch

, dachte Jack. Wie ein Scheinwerfer schoss die Nachmittagssonne ihr Licht durch eins der hoch angebrachten Fenster. Der sterile Raum war unerträglich hell und die Hitze konnte einem den Rest geben. Man stelle sich einen Ofen vor. Jack kam an die Reihe und begrüßte die „Dame“ vor ihm mit aller Höflichkeit, zu der er noch fähig war. Nach gefühlten Stunden sah sie hoch in sein unbewegtes, aber fast attraktives Gesicht. Ein leichtes Lächeln flog über ihren Mund. Süß

, dachte Jack. Ihm war klar, in Zwanzig Minuten würde er sich nicht mehr an sie erinnern.
„Guten Tag. Mein Name ist Jack Break. Ich möchte etwas abholen, ein Paket in Schließfach Vier Zwo Fünf-“ , sie unterbrach ihn mit einer gelangweilten Klein-Mädchen-Stimme: „Nummer Vier Zwo Fünf is‘ gerade nich in Gebrauch. Hat so ein Irrer doch tatsächlich gesprengt. Leute gibt’s! Schätze, Ihr Paket wird jetzt im nächsten freien aufbewahrt. Ich frag mal nach, einen Moment bitte.“
Sie erhob sich mit einem Gesicht, das ihn zum Teufel wünschte. Logisch, Jack zwang sie anständig zu arbeiten. Miss Smith, so stand es auf ihrem Namensschild, ging durch eine Tür in das Büro eines anderen, genauso gelangweilten Mitarbeiters. Jack spürte mittlerweile die wütenden Blicke der Wartenden. Wie kleine Nadeln stachen sie ihm in den Nacken.

Nach mehreren Minuten war seine Geduld am Ende. Er hätte am liebsten gebrüllt, wie mies der Service hier sei. Vielleicht hätte er. In diesem Moment hauchte
ein Windstoß durch den Raum, wunderbar kühl und so unerwartet, dass sich alle Anwesenden, sogar der
Sicherheitsbeamte in der Ecke, umdrehten und zur Tür sahen. Ein großer Mann mit sehr breiten Schultern kam herein. Das an sich wäre nichts beeindruckendes gewesen, hätte dieser Beinahe-Riese nicht einen langen, schwarzen Mantel und einen Hut getragen, der so tief in sein Gesicht gezogen war, dass es einfach auffallen musste.
„Was für ein Spinner…“, murmelte die ältere Frau hinter Jack.
Der Neuankömmling durchschritt fast feierlich den Raum, bewegte sich zielgenau auf den Schalter zu, ließ die lange Reihe der Menschen links liegen. Als er fast vorn war, fing die Großmutter wieder an, diesmal direkt an ihn gewandt.
„Hey! Hey, Sie Witzfigur! Wollen Sie sich gefälligst anstellen, wie wir alle?!?“, keifte sie ungeniert.
Wie kann man mit so einem Umgang nur so alt werden?,

dachte Jack noch bei sich. Der Schwarzgewandete blieb stehen, drehte sich in Richtung des alten Drachens und hob seinen Kopf langsam an. Wo sie recht hat, der muss wirklich einen Hitzschlag haben!

Sein Gesicht war durch eine Maske verdeckt, ähnlich einer dieser Theatermasken. Rund, weiß, schwarze Augen und Mund, dieser zu einem dünnen Lächeln verzogen.

Was als nächstes passierte brannte sich in Jacks
Augen ein. Der Große im Mantel zog einen Revolver unter seinem Mantel hervor und begann, begleitet von einem hohen, irren Lachen um sich zu schießen. Gezielt hatte er nur im ersten Moment, die alte Frau mit der spitzen Zunge fiel leise schreiend um. Eine Blutlache breitete sich unter ihr aus. War es beim ziehen der Waffe totenstill gewesen, schwoll nun der Lärm wie eine Flutwelle an. Geblendet vom Feuer der Waffe war Jack so gegenwärtig, hinter den metallenen Tisch der Bankarbeiter zu hechten. In seinem Gesicht klebte Blut, nicht sein eigenes, für ihn war das allerdings nicht beruhigender. Er konnte weiterhin das Knallen der Waffe hören und verstand einfach nicht, was passiert. Man kennt es aus TV, Zeitungen und dem Radio. Aber niemals passiert es einem selbst. Davon war sein Verstand bis vor wenigen Sekunden felsenfest überzeugt. Warum unternimmt dieser verdammte Bulle nichts?

, dachte er, als er sich an den Wachmann erinnerte. Er wagte todesmutig einen Blick über den Tresen, denn der Lärm hatte aufgehört. Der Uniformierte lag zusammengesunken in seiner Ecke, die Augen aufgerissen, ein Loch in der Stirn. Panik. Jack hätte sich fragen können, warum sie erst einsetzt, nachdem es praktisch vorbei war. Allerdings hatte er ganz offensichtlich andere Probleme, beispielsweise diesen Massenmörder. Der stand, mittlerweile vollkommen ruhig geworden, zwischen seinem blutigen Werk und bewegte sich nicht. Scheisse, ich
muss hier weg! Der will doch bestimmt Kohle. Wenn er hier rüberkommt, bin ich tot!

Langsam und so lautlos wie möglich kroch Jack zum entferntesten Teil der Wand aus Tischen. Er wollte überleben, in sein verkorkstes, langweiliges, erniedrigendes Leben
zurückkehren. Er wollte den Scherbenhaufen seiner Beziehung wieder, wollte seinen Eltern sagen wie er sie hasste, wollte an seinem Schreibtisch in der Firma sitzen und von seinem Chef angebrüllt werden, wollte seinen Bruder durch’s Land prügeln, weil er für ihn in die Bank gegangen war. Wie ein Blitz schoss ihm durch den Kopf, dass er gar nichts Lebenswertes hatte. Was seinem Überlebensinstinkt allerdings egal war. Immer noch mit wild schlagendem Herzen und Angstschweiß auf der Stirn bewegte er sich langsam um eine Ecke. Jack spähte darum und stellte überrascht fest, dass der Typ weg war! Einfach verschwunden! Hab‘ Ich es überstanden? Sollte dieses Arschloch wirklich abgehauen sein?

Er schloss kurz und ungläubig die Augen, als er sie wieder öffnete sah er ein paar schwarze Lederstiefel vor sich aufragen. Sein Blick wanderte nach oben, sein Herz schien gekündigt zu haben. Er stand vor ihm. Die noch immer schneeweiße Maske grinste ihn höllisch an. Er fühlte eine kalte Mündung an seiner Stirn, schrie im Geiste NEIN!

und starb. Erschossen von einem Wahnsinnigen Schauspieler.
„Mal sehen wie lange es diesmal dauert, mein Freund.
Auf bald!“, kam eine freundliche Stimme hinter der Maske.
Der dunkle Riese spazierte mit den Händen in den Taschen aus der Bank und pfiff Paint it black.


Der Wächter



Als zwei Polizisten Ben mitteilten, dass Jack ermordet wurde, glaubte er es nicht. Er lachte. Er lachte den Beamten ins Gesicht, lachte sich selbst und die ganze Welt aus. Er konnte minutenlang nicht damit aufhören. Erst als er von einem der Polizisten sanft geschüttelt wurde bemerkte Ben die Tränen, welche unaufhörlich sein Gesicht hinunterliefen. Sein Lachen war, ohne das er es hätte feststellen können, zu einem zerstörten Schluchzen geworden. Ben war kein emotionaler Mensch, doch heute weinte er um seinen Bruder. Die nächsten Tage (vielleicht auch Wochen oder Monate, er konnte es nicht sagen) wandelte er praktisch ziellos durch eine unscharfe, dumpfe Welt. Anfangs war da nur die Trauer um Jack. Sie wurde zum Hass auf den Maskenmann. Und dann zum Hass auf sich selbst. Er hatte Jack gebeten, etwas für ihn abzuholen. Er hatte ihn zur falschen Zeit an den absolut falschen Ort geschickt. Er war Schuld am grausamen Ende seines Bruders. Doch auch diese Gefühle verblassten
irgendwann, wurden von dem schwarzen Loch aufgesaugt, das in Ben’s Kopf entstanden war. Das Telefon klingelte alle Viertelstunde, Menschen klopften den ganzen Tag an die Haustür, sein Laptop gab bei jeder eintreffenden Mail einen undefinierbaren Ton von sich. Keins dieser Zeichen der Außenwelt drang bis zu ihm durch. Immer wieder… Warum immer die meinen… Jack… Verzeih’ mir… wie damals… konnte doch nicht ahnen, dass Er…

Zusammenhanglose Gedanken schossen wie Kugeln durch seinen Kopf. Er hätte nicht gedacht, dass er nach all der Zeit immer noch solchen Schmerz fühlen konnte. Nach den vielen Jahren, den Jahrhunderten…

John und Susannah Break, Jack’s Eltern, erreichten das Apartment ihrer Söhne gegen halb Zwölf in der Nacht. Arm in Arm standen sie im Fahrstuhl, der Knopf für den Vierten Stock leuchtete. Ben’s Mutter sah aus wie ein Gespenst. Blasse Hautfarbe, große dunkle Augen, abgemagert. Sie hatte der Tod ihres Sohnes noch härter getroffen als Ben. Sein Vater versuchte für sich und seine Frau stark zu sein, die von ihm ausgehende Unruhe, die Augenringe und der verklärte Blick erzählten jedoch eine andere Geschichte. Sie wussten nicht, was sie erwarten würde. Das letzte Treffen mit ihren Kindern lag Jahre zurück, dennoch gab es keine Sekunde des Zögerns nach Eintreffen der traurigen Nachricht. Als die Breaks den schwach beleuchteten Flur durchquert hatten und vor Ben’s Tür standen, fing Susannah an zu zittern. John drückte sie fester an sich und klopfte. Minutenlang passierte nichts. Im Innern der Wohnung konnte man leise Geräusche hören, wie von einem kleinen Tier, das sich dort herein verirrt hatte. “Johnny, denkst… denkst du, er ist nicht…-”, setzte Susannah an, bevor ihr Mann sie Unterbrach: “Er ist da. Ich spüre es. Ben! Mach die Tür auf, wir sind’s!.”
Eine geschlagene Minute später konnten sie hören, wie sich jemand an den Schlössern der Tür zu schaffen machte. Eine vernichtete Gestalt öffnete ihnen das Tor zu seiner persönlichen Hölle.

Ben sah schlecht aus, wie zu erwarten war. Die langen, roten Haare standen zu allen Seiten ab, das schwarze T-Shirt und die Jeans waren fleckig und ungewaschen, sein Gesicht wie das eines Toten. Vom weinen rote Augen, blass. Nie hatte Ben seiner Mutter ähnlicher gesehen, allerdings endete damit die Ähnlichkeit. Niemand hätte eine Ähnlichkeit zwischen dem Sohn und seinen Eltern erkennen können, aus dem einfachen Grund, dass sie nicht blutsverwandt waren. Sie hatten Ben im Alter von Sechzehn Jahren adoptiert, da er seine Eltern durch einen Unfall verloren hatte, wie ihnen damals mitgeteilt wurde. Er war sowieso nie von Jack’s Seite gewichen, seit damals war ihre Verbindung einfach noch durch verschiedene Papiere belegt. Zu guter letzt durch einen Totenschein.

Das Treffen war kurz und schmerzhaft. Fragen, was passiert sei. Antworten, die niemanden zufrieden stellen konnten. So schnell sie gekommen waren, verschwanden John und Susannah auch wieder. Sie wussten einfach nicht, wie sie Ben hätten helfen können. Er war ein gebrochener Mann am Rande des Wahnsinns. Allerdings regierte dieser Wahnsinn seinen Verstand schon seit vielen, vielen Jahren,
weshalb er nach einiger Zeit wieder so klar denken konnte, wie sonst auch. Mäßig, aber gefährlich. Den neusten Gedankengang kannte Ben schon, hatte ihn mehr als einmal erlebt.
“Ich hol’ mir seine Leiche, bevor die ihn einbuddeln. Es wird schmerzhaft, Bruder… Ich bete, dass du mich nicht hassen wirst. Nicht schon wieder.”

Zwei Wochen später fand die Beerdigung statt. Jack war kein sonderlich geselliger Mensch gewesen, er blieb meist in der Gesellschaft seines Bruders. Nie verheiratet und kinderlos ließ er bloß eine langjährige Geliebte zurück. Judy besuchte die Beerdigung, auch wenn die Trennung vor einigen Jahren nicht sonderlich friedlich verlaufen war. Ben hatte sich mittlerweile etwas gefangen. Frisch geduscht, die Haare gekämmt und in einen schwarzen Anzug gezwängt erschien er auf dem Friedhof. Während der Beisetzung kamen von den meisten Anwesenden einige Tränen, Ben hatte genug geweint. Der Eichenholz-Sarg wurde in
das frische Grab gelassen, einige Blumen wurden hineingeworfen. Die Besucher verließen in Gruppen die traurige Feier und als Ben der einzige Verbliebene war, begann er mit der Prozedur, indem er ein schwarzes Kreuz aus Metall in das Grab warf. Seit einiger Zeit hatte er das deutliche Gefühl, beobachtet zu werden. Es wurde zwar allmählich spät, doch einige wenige waren noch auf dem Friedhof. Er sah sich verstohlen um und bemerkte einen alten Mann, der vor
einem mitgenommenen und verwitterten Grabstein kniete. Die Inschrift war nicht mehr lesbar, nur die Jahreszahl, welche das Geburtsdatum des Verstorbenen sein musste. Sechzehnhundertachtzig.
Ben bemerkte irgendwann, dass der Alte ihn öfter unauffällig beobachtete. Zumindest dachte dieser wohl, es wäre nicht auffällig. Ben’s Sinne waren Messerscharf, ihm entging im Moment nichts. Es ärgerte ihn sehr, sein vorhaben nicht mehr durchführen zu können, solange etwas Licht übrig blieb. Er wartete noch eine halbe Stunde, doch sein Beobachter machte keine Anstalten, zu gehen. Schicksal… Ich bin und bleibe ein Wesen der Nacht, ob ich will oder nicht… Hoffe, mir läuft kein Nachtwächter über den Weg, wär’ schade um den Kerl…


Ben verließ den Friedhof durch den Haupteingang, lief eine Weile planlos durch die Straßen und setzte sich letztendlich in eine schäbige Bar. Er war kein großer Trinker, bestellte sich also einen starken Kaffee und setzte sich in eine Ecke. Ein paar Stunden, allein mit seinen Gedanken konnten sie wie Tage wirken. Als er eine Kanne Kaffee geleert hatte und seine Uhr Zwei Minuten vor Drei anzeigte zahlte er die Rechnung und machte sich auf den Rückweg zum Friedhof.
Wieder… Wieder muss ich sein Grab schänden… Was, wenn es wie damals wird?…



Ben war Knochenarbeit gewohnt, das frische Grab war schnell wieder geöffnet. Er sprang hinein und sah
sein schwarzes Kreuz. Wie erwartet lag es an der Stelle, wo sich Jacks Kopf befinden musste. Es glühte, als wäre es erhitzt worden. Der Sarg schien leichte Erschütterungen von sich zu geben, als schlüge darin ein sehr starkes Herz. Alles war bereit für die Zeremonie. Nicht an diesem Ort... Ich bringe dich erst hier weg...



Mitten in der Nacht schleppte ein Mann seinen offensichtlich betrunkenen Freund über die Straße. Wer sie sah, glaube zumindest diese Geschichte. Niemand würde darauf kommen, dass einer der beiden tot war. Ben schaffte Jacks Körper in eine Lagerhalle und zog das schwere Tor zu. Dort lag er, die Augen geschlossen, ein schwarzes Loch in der Stirn. Ein weiteres Mal habe ich dich überlebt. Wenn du nur wüsstest, wie schwer es ist! Aber eines Tages wird der Fluch gebrochen sein. Du wirst es schaffen. Ich bin bei dir.

Das Kreuz lag auf Jacks Brust, Ben hielt eine Phiole voller Asche über sein Gesicht. Langsam ließ er etwas davon in Jacks geöffneten Mund rieseln. Ein dunkles Glühen setzte um die Leiche ein. Dann nahm die Magie wie so oft ihren Lauf...

Jack schlug die Augen auf, sein Herz jagte Benzin. Er begann, wild um sich zu schlagen, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Er wurde zum Berserker. Unter Ben’s Hemd spannten sich die Muskeln, während er seinen Bruder in einer festen Umarmung hielt, einerseits um sich selbst zu beruhigen, andererseits um ihn zu halten. Über die Jahrhunderte hinweg hatte er es noch immer geschafft, seinen kleinen Bruder zu bändigen. Doch der wütende Geist wurde immer stärker, je öfter er sich aus seinem Gefängnis in Jack’s Gedanken befreien konnte. Blut floß Ben den Rücken hinunter, die Klauen des Monsters zerfetzten seine Kleidung und rissen tiefe Furchen über das ganze Kreuz.
“JACK! HÖRE MICH AN, BRUDER! ICH BRAUCHE DEINE HILFE! LASS DIESE BESTIE NICHT MORDEN, LASS ES NICHT ZU!”, donnerte Ben mit einer Stimme, die den Boden zum beben bringen musste.
Der große Geist stieß ein langes, brutales Heulen aus, die Augen schienen zu brennen. Dann passierte es. Der Wolfsdämon namens Jack befreite sich mit einem Biss in Ben’s Schulter aus dessen eiserner Umklammerung und fetzte ein ordentliches Stück
Fleisch durch den dunklen Raum. Der Blutverlust wurde zu stark, Ben lockerte unwillentlich den Griff und eine riesige Pranke schleuderte ihn in die Ecke, wo er zitternd liegen blieb. Ein blutrünstiges Brüllen, von keiner sterblichen Kreatur erzeugt, hallte durch die Stadt, als der Wolf zum ersten mal seit Jahrtausenden auf die Jagd ging. Hunderte sollten ihm in dieser Nacht zum Opfer fallen, bis Ben die Kraft fand, ihn erneut zu stellen.

Blutüberströmt und auf wackeligen Beinen stand der
Wächter vor dem Dämon. Der Wolf hatte gefressen und war ruhiger als vorher, doch nicht weniger wahnsinnig. Aus seinem leicht geöffneten Maul hingen Fleisch- und Kleidungsfetzen. Dieser besondere Geruch nach uraltem Blut veranlasste ihn, sich umzusehen. Ben schlug sofort los, sprang das Biest von hinten an und krallte sich in dessen Hals.
„HALT STILL, BRUDER!“ schrie er dem alten Geist ins Ohr. Mit einigem Anlauf gelang es Ben, sein Gesicht vor das des Wolfs zu bringen. Er starrte tief in die glühenden Augen des Monsters und drang in seinen Verstand ein. Es gab nur diese eine Möglichkeit, den Wahnsinn des Wolfs zu versiegeln. In Jacks Körper tobten Zwei Seelen. Die seine und die Dämonenseele. Hatte eine die Oberhand, schlief die andere. Es war seit ewigen Zeiten Ben's Aufgabe, den Wolf schlafen zu legen. Doch jedes mal wurde diese
Prozedur schwieriger. Sein Körper glich einem Schlachtfeld, mit jedem Erwachen war die Bestie blutrünstiger geworden. Doch aufgeben war keine Alternative. Ben lebte nur für diesen einen Kampf.

Ein Tropfen fiel auf Ben's Stirn und weckte ihn. Er lag auf einer weiten, felsigen Ebene. Um ihn herum nur trockene Büsche, Sand und Steine. Der Boden dieser Landschaft war rötlich, ungefähr wie man sich Australien vorstellen würde. Am Himmel tobte ein Gewitter, dessen regnerische Begleitung gerade
auftrat. Verdammt. Sein Verstand verkommt immer mehr.

"Weisst du noch, mein Bruder? Vor Fünfhundert Jahren war es hier still und eben. DEINE GEDANKEN WAREN NOCH NICHT VON DIESEM VERDAMMTEN BASTARD BESUDELT!", schrie Ben dem Sturm entgegen und ein langes, wütendes heulen setzte ein.
Elende Kreatur... Fällst auf einen derart billigen Trick herein...

Auf einem gut Zehn Meter hohen Felsen starrte der Wolf Ben aus seiner gebückten Haltung heraus an. Seine Augen schienen das Feuer nicht mehr länger zu halten, mit jeder Bewegung lies der Dämon eine flammende Spur in der Luft zurück.
"Komm schon, Pelzvieh... Komm und friss mich..."
Ben war aufs äußerste gespannt. In Jack's Gedankenwelt kannte er sich aus, die Möglichkeiten waren ihm bewusst. Keine Wunden am Rücken, kein
Blut im Gesicht. Sein Bruder mochte gerade schlafen, doch gestattete er ihm unterbewusst einen Teil seiner Macht zu verwenden. Doch diese zu benutzen hies, sie ihm direkt abzusaugen. Im Prinzip konsumierte Ben einen Bruchteil von Jack's Seele. Er war übervorsichtig, da sich der Psychische Zustand seines Bruders mit jedem Kampf auf diesem Niveau verschlimmern, seine innere Welt mehr verfallen würde. Diese wüste Landschaft war also nichts anderes, als das Ebenbild des alten Krieges zwischen Wolfsgeist und Wächter. Und sie würde noch mehr
zerfallen. Entweder das, oder der Wolf musste getötet werden. Was gleichzeitig Jack's tot bedeuten würde. Unwiderruflich. Stirbt Jack, rettet ihn das Entfesseln des Monsters. Stirbt das Monster, reisst es seinen Wirt mit in die Tiefe. Doch das würde Ben nicht zulassen.

Des Dämonen Geduld war bald aufgebracht, er schoss mit wahnwitziger Geschwindigkeit auf seinen Erzfeind zu. Ben spannte seine Muskeln an und erwartete den Zusammenstoß. Sie prallten so stark aufeinander, dass eine Schockwelle das umliegende Geröll fort wirbelte. Immer wieder schlug Ben mit unglaublicher Wucht auf jede Stelle des Wolfs ein, die er erreichen konnte. Die Hiebe zeigten Wirkung, die Schmerzensschreie des Monsters schnitten durch den Sturm. Bald... Er wird schwächer...

Mit einem kräftigen Sprung schaffte es Ben auf seinen Rücken. Blute für deine Taten, Gefangener!


"LEIDE FÜR ALLES, WAS DU MEINEM BRUDER ANTUST!"
Er griff sich den blutenden Arm des Wolfs und lies ihn mit einem deutlichen Knacken brechen. Das darauf folgende Heulen übertönte sogar den Donner des Gewitters. "Ich bin noch nicht fertig!", brüllte Ben.
In seiner dunklen, aber koordinierten Wut vermischte er seine persönliche Rache mit dem Ziel, den Wolf bewegungsunfähig zu machen. In rascher Folge brach er ihm den anderen Arm und beide Beine. Er war nicht aufzuhalten. Deswegen endete bisher noch jeder Kampf in Jack's Welt mit einem Sieg für den Wächter.
Heulend und zuckend lag der zerschmetterte Dämon im Staub. Über ihm stand sein Meister und sah mit eiskalten Augen auf seine Beute hinunter.
"Immer wieder versuchst du es. Immer wieder versagst du.", spie Ben dem geschlagenen Geist entgegen.
"Und jetzt wirst du meinen Bruder frei geben!"
Er knieten sich auf den Brustkorb der Kreatur, fuhr mit der Hand durch eine der vielen Wunden und zeichnete mit dem Blut des Wolfs die uralten Runen auf den Boden, die ihn einkerkern sollten. Zuletzt brauchte er noch etwas von Jack's Energie um den Zauber abzuschließen. Mit starker Stimme rief Ben in den Sturm hinaus:

Auf Ewig verbannt, gefangen mit deinem Blut.
Dein Hass ist verbrannt, entzündet durch meine Wut.
Im Kampf geschlagen, höre die Worte eines Alten.
Mein Bruder wird dich tragen, Seine Gedanken werden dich halten.



In den Wolken entstand Elektrizität und ein gigantischer Blitz schoss tosend zu Boden. Ben wurde in weisses Licht gehüllt. Danke, mein Bruder. Ich werde es dir vergelten. Als die Ebene wieder zu sehen war, befand sich der Wolf in einem Fels aus Glas. Hier sollte er ruhen, für den Rest der Zeit...


Langsam öffnete Jack die Augen. Er lag auf einem dreckigen Fußboden, zwischen einigen Holzkisten und Fässern.
"Was zum... Ben?... BEN!"
Sein Bruder lehnte schwer atmend an der Wand gegenüber. Die Wunden waren zurückgekehrt und sie bluteten stark. Jack stürzte zu ihm und kniete zu seiner rechten.
"Bruder, was habe ich getan?", stammelte er.
"Nicht du, niemals du. Es ist versiegelt. Niemals... Ich werde ihn nicht entkommen lassen... Jack, verzeih... "
Ben verlor das Bewusstsein. Tränen liefen über das Gesicht seines Bruders.
"Wir sind Brüder. Du rettest mich, dann rette ich dich."
Mit angestrengtem Gesicht legte Jack seine Hände
auf die Schultern des einzigen Mitglieds seiner wahren Familie. Blaue Flammen umschlossen Ben, die Wunden begannen zu rauchen und verschwanden. Hustend kamen sie Arm in Arm auf die Beine.
"Ben?"
"Ja, Bruder?"
"Kann ich dich was fragen?"
"Alles, Jack. Das weisst du"
"Nun... Wie war meine Beerdigung?"
"Etwas trist. Du solltest mehr unter Menschen gehen, Junge. Aber Judy war immerhin da."
"Hm. Gut für`s Gewissen, ansonsten egal. Selbst wenn sie noch etwas für mich empfindet... Ich hab' mal
gelesen, Beziehungen mit toten laufen nicht so gut."
Ben lachte erleichtert. Ein weiterer Krieg war überstanden.
"Und was machen wir jetzt? Scheint mal wieder Zeit für einen Umzug. Was meinst du, ein paar Jahre Sonne? Würde deiner Blässe gut tun, Ben."
"Verzeihung wenn der Verlust von mehreren Litern Blut dafür sorgt, dass ich etwas Farbe verliere. Aber Spanien reizt mich schon lange."
"Abgemacht. In einer Woche hab' ich uns neue Identitäten besorgt. Nur bei einer Sache müsstest du mir helfen."
"Die wäre?"
"Geh' gefälligst selbst zur Bank und hol' unser Geld ab. Ich habe eine gewisse Abneigung gegen lange Schlangen..."
"Mit Vergnügen. Komm, ich glaube da stehen Zwei kalte Flaschen Bier in meinem Kühlschrank, auf denen unsere Namen stehen."
"Haben wir uns verdient. Verdammt, ich werde langsam zu Alt für diesen Mist... Ben?"
"Ja?"
"Bitte töte diesen Dreckskerl, bevor er mich nochmal erwischt."
"Ich schwöre es. Er wird durch meine Hand sterben."

Ende der Ersten Story. Inner Deamon 2009 ©Alone.I.Break - Daniel Graves

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.07.2009

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