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INHALT




Enzenbergers Tod
Hauptsache es raucht
Machtspielchen
Wenn es Nacht wird
(weitere Geschichten folgen)


Enzenbergers Tod




Eilends hoben die beiden Totengräber am Morgen des grauen Februartages das Grab aus, denn es wurde wieder Frost gemeldet. Den verstorbenen Enzenberger hatte man hergerichtet und im repräsentativen Eichensarg im Leichenhäuschen auf dem Friedhof aufgebahrt. Hier konnte Abschied genommen und die mitgebrachten Kränze abgelegt werden. In den Halterungen an den Wänden verströmten Kerzen den Duft von Wachs. Eine stille feierliche Atmosphäre füllte den kleinen Raum und ließ die Besucher bescheiden werden. Nebenan im Gemeindehaus probte der Posaunenchor.
Am Abend drängten Freunde und Nachbarn in das Trauerhaus. Die kleine Wohnstube war dicht gefüllt. Sie waren gekommen um den Hinterbliebenen ihr Beileid auszusprechen. Die Witwe schenke Schnaps aus um ein letztes Mal auf ihren verstorbenen Mann anzustoßen. Draußen war es bereits dunkel und dichter Schnee fiel, als ein hartes Klopfen am Wohnzimmerfenster die Aufmerksamkeit der Trauernden auf sich zog.
Erschrocken sahen sie das bleiche Gesicht Enzenbergers vor dem Fenster. Wirr standen ihm die Haare vom Kopf und seine Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. Wild fuchtelte er mit seinen dürren Händen.


Schnell schloss einer die Haustüre und Hintertüre ab, denn den Tod konnte man nicht in die Stube lassen. Ein Mutiger stürmte in das erste Stockwerk, riss ein Fenster auf und rief dem wild gestikulierenden Enzenberger zu: „Ludwig, jetzt sag scho, steh’n ma wiedder auf, wenn ma gstorbn sin?“ „Ja, widder aufgstanden“ hörte er von unten wimmern, „lasst mi rei“
Mittlerweile hatte sich die Meinung durchgesetzt, dass sich der Teufel den Leib vom Ludwig Enzenberger genommen hat um sich in die Häuser einzuschleichen.
Man tat deshalb das einzige Vernünftige, man zog die Vorhänge zu, löschte das Licht, betete und trank reichlich vom Schnaps.
Das Klopfen und Wimmern hörte dann auch bald darauf auf.

Der nächste Tag brachte neues Unheil. Enzenbergers Leichnam war verschwunden, das Leichenhäuschen verwüstet. Umgekippt lag der teuere Sarg zwischen Blumen und Kränzen und das kleine Holzkreuz war zerschlagen. Das überzeugte jetzt auch die letzten Zweifler. Das hier war Teufelswerk.
Überall erzählte man sich, wo und bei wem der Teufel um Einlass gebettelt hatte. Selbst vor dem Wort Freundschaft sei er nicht zurückgeschreckt, hat immer wieder gerufen, dass man doch Freunde gewesen sei und habe dabei den schmächtigen Körper vom Ludwig durchgeschüttelt.

Gegen Abend fand man auch endlich den Leichnam wieder. Er lag auf einem Feld und war aufgrund der nächtlich einsetzenden Kälte steif gefroren.
Enzenberger wurde wieder in seinen Sarg gelegt, der diesmal sofort verschlossen wurde. Nach all der Aufregung wurde der Tote tags darauf beerdigt. In den Gesichtern der Trauernden war ein seltsames Leuchten, hatte ihnen doch der Ludwig gesagt, dass man wieder auferstehen würde. Wer sonst, außer ihm konnte das so genau wissen.


Hauptsache es raucht




Helga lerne ich im Krankenhaus kennen. Die zierliche, etwa fünfzig jährige Frau belegt das Bett neben mir. Gestürzt sei sie, erzählt sie mit gesenktem Blick und habe sich dabei eine Rippe gebrochen. Ihr in allen Farben schillerndes Gesicht lässt mich wohl zu ungläubig staunen, denn sie wiederholt noch einmal etwas lauter, dass sie gestürzt sei.

„Er schlägt Dich oder?“ frage ich zurück. Helga flüstert „Jetzt nicht mehr, früher schon. Der Tabak war schuld“. „Der Tabak? Wie kann Tabak aus einen sonst friedlichen Mann einen Schläger machen?“ Helga beugt sich etwas zu mir herüber und wispert tonlos: „Na gut, ich erzähle es Dir, aber Du musst darüber den Mund halten.

Er darf nichts davon erfahren.“ Ich verspreche es ihr und sie beginnt damit, dass sie und ihr Mann eine kleine Landwirtschaft betreiben. Sie seien absolute Selbstversorger und sogar der Tabak, den er im Laufe des Jahres in seiner Pfeife rauche sei selbst angebaut. Niemals würde er sich Tabak kaufen.

Für das Ausbringen ist ihr Mann verantwortlich. Ernten würden sie zusammen, doch das Bündeln, Trocknen und Schneiden der Blätter sei ihre Aufgabe.
Anfangs reichte der Tabak immer gut von einer Ernte zur nächsten obwohl ihr Mann von Jahr zu Jahr immer öfters seine Pfeife stopfte.
Lange ging das natürlich nicht gut und er quittierte seinen Entzug immer häufiger mit Schlägen. Er entwickelte eine tyrannische Art, die ihr Angst einjagte und selbst die beiden Buben begann er zu drangsalieren. Sie dachte natürlich daran ihn zu verlassen. Doch der Hof gab kaum etwas her und so hatte sie eine geniale Idee.
Sie musste doch nur den Tabak vermehren, dann würde wieder alles gut werden.

Zur Tabakernte schnitt sie von nun an auch eifrig Rübenblätter und hängte sie heimlich mit unter die Tabakbündel zum Trocknen. Da sie selbst Nichtraucherin war, konnte sie natürlich schlecht beurteilen wie sich immer mehr Rübenblätter geschmacklich auswirkten.


Angstvoll bemerkte sie, wie ihr Angetrauter immer mehr Pfeifen anzündete, doch blieb ihr keine Wahl. Mehr und mehr Rübenblätter mussten untergemischt werden. War erst einmal alles fein geschnitten, konnte so gut wie nichts mehr schief gehen. Da sie immer sorgsam darauf achtete, dass sein Tabakkästchen gut gefüllt war, hatte er natürlich keinen Grund den Dachboden zu besteigen. So ging das jahrelang gut, ja bis eben der letzte Sturm Ziegel abdeckte und er höchstpersönlich seinen wertvollen Tabak vor dem herabprasselnden Regen in Sicherheit bringen wollte. Das konnte sie natürlich nicht zulassen.

Flugs hing sie die betroffenen Bündel ab, konnte jedoch aus Zeitnot die Leiter auf der sie balancierte nicht umstellen. Die kippte und sie fiel mit dem Gesicht nach unten auf ein altes abgestelltes Eisenbettgestell. Da sie nicht wieder auftauchte sah er nach ihr und holte den Arzt.
Jetzt ist sie hier. Als die Besuchszeit näher rückt, wird Helga immer nervöser und ängstlicher. Mit Tränen in den Augen kommt er schließlich und schiebt ihr schüchtern Pralinen zu. Helga lächelt glücklich. Sie war buchstäblich mit einem blauen Auge davongekommen. Der Tabakschwindel blieb unentdeckt.


Machtspielchen




Gleich als sie sich kennen lernten, erzählte sie ihm auf der Bank im Park, dass sie bärtige Männer als ungepflegt und abstoßend empfinden würde. Ansonsten seien ihr aber andere Äußerlichkeiten nebensächlich. Natürlich war er glatt rasiert und es gab keinen Anlass zu glauben, dass das jemals anders wäre. Zumal er geradezu Wert auf diese Feststellung legte. Auch das zweite Treffen verlief harmonisch und anlässlich des dritten Treffens versprach er glattrasiert und großzügig, sich um ihren verwilderten Garten zu kümmern.
Ein Wort war eben nicht immer ein Wort lehrte sie die Vergangenheit, aber um der Zukunft willen gab sie dieser Bewährungsprobe eine Chance und stimmte vertrauensvoll darauf bauend, dass dieses Unterfangen von ihm bewältigt werden würde, zu.
Als er dann am Samstag zu ihr kam, wucherte bereits ein einwöchiges Stoppelfeld in seinem Gesicht. Dem vorsichten Begrüßungskuß folgte die Erklärung, dass er sich wohl Hautunreinheiten von ihr zugezogen hätte. Natürlich bot sie diesbezüglich keine Ansteckungsquelle und tat seine Äußerung als schlechten Scherz ab. Die Stacheln fanden Verständnis.

Erstaunt stellte sie eine Woche später fest, dass das nun vierzehntägige Stoppelfeld immer noch munter sprießte, zudem ungepflegt und wild wucherte. Sie fühlte sich provoziert, schluckte ihren Ärger darüber hinunter und fragte auch nicht nach Gründen. Sie ignorierte es einfach, ging mit ihm Essen und machte einen Sonntagsausflug. Seine plötzliche Idee einen Dauerwohnsitz auf einem Campingplatz einzurichten um zu sehen wie billig man leben könne, erzeugten in ihr das Gefühl, dass hier ein Spielchen gespielt werden solle. Doch glauben mochte sie das immer noch nicht so recht. Legte er doch großen Wert darauf seine einmalige ehrliche und aufrichtige Art immer wieder zu betonen und den unbedingten Glauben daran von ihr einzufordern. Natürlich auch unter der Androhung die ganze Beziehung infrage zu stellen oder darüber nicht mehr diskutieren zu wollen.

Eine Woche später schnitt er die Hecke in ihrem Garten. Selbst ein herabprasselnder Eisregen konnte ihn nicht stoppen. Sie fürchtete, er würde sich eine Lungenentzündung zuziehen und bat ihn die Hecke sein zu lassen. Schließlich musste auch der anfallende Heckenschnitt bewältigt werden. In letzter Zeit regten sich in ihr sowieso immer häufiger Zweifel an seiner Aufrichtigkeit. Das Stoppelfeld in seinem Gesicht wirkte mittlerweile auf sie wie eine Zärtlichkeitsbremse.

Die Campingidee wurde von ihm in seiner Aussage so gestaltet, dass sie die Möglichkeit bot zwischen dort wohnen und bei ihr leben, gerade wie er es brauchte um sie zu beunruhigen oder zu beruhigen.
Gegen Mitternacht, er wollte zu Bett gehen, sie noch kurz ihre Medikamente nehmen, kam er plötzlich auf die Idee, die Toilettenspülung zu reparieren. Er hatte die Ursache für das stetige Wasserlaufen gefunden und bat sie hartnäckig, dass sie sich das ansehe um ihr alles ausführlich zu erklären.

Das war ihr zuviel. Hatte sie Bartwuchs und Campingidee tapfer geschluckt, muckte sie nun mit einem klaren und deutlichen „Nein“ auf.
Beleidigt packte er daraufhin seine Sachen und fuhr die 100 km zu sich nach Hause. Am nächsten Morgen kam er noch einmal und half ihr Gartenabfälle weg zu fahren. Den Rest, das versprach er, würde er auch noch als guter Freund entsorgen. Das würde er alleine machen.
Zwei Tage vor dem ausgemachten Termin rief er dann an, er wolle nicht helfen. Er sei ihr gegenüber Ohnmächtig führte er auf.
Auf ihre Bitte hin sagte er dann doch seine Hilfe zu. Als der verabredete Zeitpunkt kam und sie auf ihn wartete klingelte das Telefon. Fröhlich erklärte er ihr, dass er verschlafen habe. Einen neuen Termin, wie es höflicherweise üblich gewesen wäre wollte er ihr nicht zusagen.

Das Spielchen „Häng in der Luft, ich bestimme wie und wie lange“ sollte also weitergehen.
Ihre alten zuverlässigen Freunde halfen ihr sein hinterlassenes Trümmerfeld wieder aufzuräumen. Sicherlich ist mittlerweile auch der Bart ab. Schließlich hat er seinen Zweck nicht erfüllt.


Wenn es Nacht wird




Nachts, wenn er nicht schlafen kann hört er sie besonders deutlich, die Gespräche der Dunkelheit. Da ist dieses Zirpen, Knistern und Rascheln.
Angespannt lauscht er auf das dumpfe Plumpsen, wenn das Obst von den Bäumen fällt.
Er ist gewiss nicht auf Rosen gebettet, doch wie immer er sich auch bemüht, eine Arbeit gibt es nicht für ihn.
Dabei hat er studiert und ist in seinem Fach eine Kapazität. Sobald sein Alter zur Sprache kommt, bemerkt er, wie die Gespräche verstummen und das Interesse an ihm erlischt.

Stundenlang grübelt er über das Land nach in dem man Menschen, die kein Geld besitzen, einfach das Trinkwasser abstellen kann oder sie der Kälte aussetzt.
Schon lange schützt der Staat nicht mehr das Grundrecht seiner Bürger auf Leben.

Er schützt den Reichtum und vergräbt seine Finger in den Taschen derjenigen, die noch etwas haben.

Aber was soll mit den Unseligen geschehen, die nichts mehr haben, fragt er sich. Als ehemaliger Bankangestellter kennt er die Rechnung. Was und wer keinen Profit erwirtschaftet wird abgestoßen. Ausgemustert!
Natürlich dachte man sich Erhaltungsprogramme aus. Da gibt es Ein-Euro-Jobs. Die Gesellschaft zahlt , der Reiche profitiert. Der Arme geht leer aus.
Die düsteren Gedanken legen sich wie unsichtbare Hände um seinen Hals. Jede Nacht kommen sie wieder und wieder. Knebeln und würgen ihn, bis er schweißnass hochfährt . „Keiner sieht dich, wenn sie dich umbringen oder bemerkt es, wenn sie dir das Wasser nehmen“, flüstert die Dunkelheit in seine Ohren.

Vor sechs Wochen beschloss er sich zu verstecken und zu wehren. Von nun an war er ein Kämpfer an der Front und auf der Flucht.
Er kaufte Bücher, er bastelte emsig und lieferte unzählige Päckchen aus.
Als die ersten Sprengsätze hochgingen, waren alle Zeitungen voll davon. Natürlich waren auch alle Fernsehsender mit großen Diskussionsrunden involviert. Das Geschäft mit der Vermutung und Verurteilung blühte.

Dann war wieder schnell alles vergessen. Neue Sensationen erregten die Gemüter.
Resigniert hackt er tagsüber sein Holz für den Winter. Die kleine Laube ist nicht isoliert und bei strengen Frost kaum warm zu bekommen. Nachts spürt er diese Hände am Hals. Spürt, wie sie ihm unerbittlich die Luft abschnüren. Er muss sie absprengen mit lautem Knall. Morgen wird er wieder Material besorgen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.09.2008

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