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Die weiße Maske


Mit der weißen Maske über dem Gesicht konnte niemand seine Gefühlsregungen erkennen. Es war eine von diesen Neutralmasken, sie verdeckte sein Gesicht vollständig und bildete einen wehrhaften Panzer als Abwehr gegen die Umwelt. Stark sein und in der Menge trotzdem nicht auffallen, dass war die Losung.

Schwierig, denn man wollte ja nicht wie ein Bär durch einen Hasenbau brechen. Das wäre sicherlich jedem aufgefallen, denn man war dann ja so unangepasst - stark und mächtig aber so unglaublich unangepasst und auffällig.

Schwierig, denn man wollte ja nicht wie ein schwächliches Löwenkind durch das Rudel laufen, mit gesenktem Blick niemanden anschauend. Das wäre sicherlich jedem aufgefallen, denn man war dann ja so schwach – unauffällig und angepasst aber so unglaublich schwach und angreifbar.

Ein letzter Blick in den Spiegel und dann sollte es losgehen. Schnell streifte er noch eine Jacke über, denn dort draußen war es kalt. Nicht so eine Kälte, die ein kleines Frösteln erzeugte. Diese Kälte zog in Mark und Bein. Sie ergriff vollständig Besitz von Einem und lähmte den Schritt und die Gedanken. Dann verließ er die schützenden Wände seines Heims und begab sich ins Getümmel der Straßen Utopias.

Er lief zielstrebig den Bürgersteig entlang und wurde sofort angestoßen und umgerannt. Er zuckte zusammen und verzog leicht ärgerlich seinen Mund. Doch niemand konnte die Regung in seinem Gesicht sehen, zur Sicherheit hatte er ja seine weiße, neutrale und gleichgültige Maske aufgesetzt.

„Pass doch mal besser auf!“, wütend wurden ihm diese Worte an den Kopf geworfen, fast schon auf ihn abgefeuert und Kugeln gleich trafen sie ihn auch. Er war unschuldig an diesem Zusammenstoß. Wiedereinmal war er einfach übersehen und dann erbarmungslos von seinem Platz verdrängt worden.

Heute hatte er seine Maske auf. Er würde es sich nicht gefallen lassen, dass man so mit ihm umging. Doch nicht sofort, er wollte abwarten und nicht gleich den Erstbesten anbrüllen, warum er ihn ignoriert hätte.

Weiter ging er die Straße entlang und schob sich durch die Menschenmasse aber er war vorsichtiger geworden. Er achtete darauf, dass er nicht mit jemandem zusammen stieß. Vor einem Schaufenster blieb er stehen. Zuerst betrachtete er die ausgelegte Ware, dann sein Spiegelbild.

Ganz deutlich konnte er einen kleinen Riss in der weißen Maske sehen. Er versuchte sein Spiegelbild mit der Hand zu verdecken und wich erschrocken zurück. Doch das Bild des Risses, der sich klein aber unübersehbar auf seiner Stirn gebildet hatte war in sein Gehirn eingebrannt.

Er hielt sich die andere Hand vor Augen und schritt weiter rückwärts. Gleich einem Blatt, dass im Herbst vom Wind umher geweht wird - mal hierhin und mal dorthin – wurde er nun herumgestoßen. Er stolperte, konnte sich fangen und wurde sofort wieder umgestoßen. Er taumelte wie ein Betrunkener zwischen den Menschen auf der Straße hin und her.

Die Risse in der Maske wurden größer und an einigen Stellen begann sie gar schon Löcher zu bilden. Teile brachen heraus und fielen auf die Straße. Er versuchte die Maske mit den Händen zusammen zu halten. Es wollte ihm nicht gelingen. Sie zerfiel und floss wie Sand durch seine Finger.

Man konnte inzwischen fast die Hälfte seines Gesichts wieder erkennen und er sank auf die Knie. Niemand nahm Notiz von ihm und hielt an. Gleich einem endlos laufenden Uhrwerk schoben sich die Menschen zu hunderten an ihm vorbei. Nun da er hier auf dem Bordstein kniete und deshalb an einem Punkt verharrte machten sie einen großen Bogen um ihn. Niemand schubste ihn mehr herum oder rempelte ihn an.

Die letzten Stücke seiner Maske fielen zu Boden und er verbarg sein Gesicht hinter seinen Fingern. Mit seinem Schicksal hadernd, zusammengesunken auf dem Boden, völlig wehrlos und dennoch griff niemand ihn an. Eine einzelne Träne lief langsam über sein Gesicht, durch seine Finger und tropfte dann im Licht der riesigen Werbeschilder zu Boden. Von Niemandem gesehen oder beachtet klatschte sie auf den Asphalt und spritzte dann unsichtbar zu allen Seiten davon.

Eine Erkenntnis schlich sich langsam aber unaufhaltsam in sein Bewusstsein. Doch um herauszufinden ob sie der Wahrheit entsprach oder er nur auf eine Fantasie hereingefallen war, musste er aufstehen. Sich erheben, aus eigener Kraft, und die Augen öffnen. Langsam nahm er die Hände von seinem Gesicht und stützte sie auf den Boden. Er drückte sich vorsichtig hoch und stand nun mit gesenktem Blick mitten in der freien Fläche die sich um ihn gebildet hatte.

Vorsichtig hob er den Kopf und öffnete die Augen. Niemand starrte ihn an oder guckte überhaupt in seine Richtung. Es schien als ob sie überhaupt gar keine Kenntnis von seiner Existenz hatten. Nun betrachtete er selbst die Menschen um ihn herum und er sah genau hin.

Manche Masken waren schon alt und man sah die Spuren der Zeit und andere waren noch ganz neu, ihr weiß stach richtig in den Augen. Einige Masken waren zu groß für ihren Träger und schlabberten vor seinem Gesicht herum. Andere hatten sich kleine Masken aufgesetzt und man konnte Teile ihrer Gesichter erkennen.

Doch eine Maske hatten sie alle. Er blickte auf ein Meer von weißen Masken, soweit sein Auge sehen konnte. Selbst die Kleinsten unter ihnen trugen teilweise schon die neutralen Masken. Seine Hände krampften sich zusammen und er blieb stehen. Wortlos betrachtete er weiter die Menschenmasse.

Impressum

Texte: alltagsmensch
Tag der Veröffentlichung: 14.12.2012

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