Cover


Tiana lag auf dem Bauch in ihrem Bett. Ihre Nachttischlampe beleuchtete ihren Collageblock und warf den Schatten ihrer Hand auf die noch freien Zeilen des Linierten Papiers. Schon eine geraume Zeit lag sie in dieser Position und machte ihre Hausaufgaben. Der CD-Spieler war fast voll aufgedreht, um das laute Prasseln des Regens auf ihrem Veluxfenster zu übertönen. Gerade liefen die Gorillaz

mit El Mañana

. Tiana liebte dieses Lied. Es war ruhig und hatte eine schöne Melodie. Bestimmt war der Text auch nicht schlecht, aber sie hatte sich noch nie die Mühe gemacht ihn vollständig beim Hören zu übersetzen, geschweige denn im Internet nachzusehen. Der letzte Ton klang aus, und Every planet we reach is dead

begann.
Tiana schrieb ihren letzten Satz, setzte den Punkt, schloss ihren Füller und drehte sich vom Bett. Innerhalb von einer Minute sammelte sie ihre Tennissachen zusammen, während sie mit 2D

, dem Sänger der Gorillaz

um die Wette schmetterte. Schließlich schaltete sie den CD-Spieler aus genauso wie die Nachttischlampe und verließ ihr Zimmer.
Als sie in die Küche kam, um sich eine Flasche Wasser zu holen, lief sie ihrer Mutter über den Weg.
„Ah Tiana. Könntest du, wenn du gleich raus gehst, bitte einmal den Müll mitnehmen? Er steht schon an der Haustür.“, bat ihre Mutter sie.
„Klar, ist kein Problem Mama.“, sagte ihre Tochter während sie sich aus dem Kühlschrank eine Flasche kaltes Mineralwasser in die Tennistasche steckte.
„Bei so einem Wetter werdet ihr wohl in der Halle Training haben.“, stellte Tianas Mutter fest. Zustimmend brummte Tiana. Sie ging in den Flur und zog sich ihre Schuhe an. Vor dem Schrank musste sie kurz verweilen, weil sie nicht wusste welche ihrer drei Regenjacken sie anziehen sollte. Schließlich entschied sie sich für ihren regenfesten, wadenlangen Mantel. Nachdem sie den Mantel zugeknöpft hatte, warf sie sich die Tennistasche über die Schultern, nahm den Müllbeutel und verließ das Haus.
Draußen schüttete es aus allen Eimern. Die Straße war an beiden Seiten von breiten Sturzbächen eingeschlossen worden, nicht dass es jemanden behinderte, es fuhr eh kein Auto. Tiana schmiss den Müllbeutel in die Tonne und begann zur fünfhundert Meter entfernten Bushaltestelle zu rennen. Zum Glück hatte diese ein Dach.
Als sie endlich unter dem Plastikdach angekommen war, waren ihre Haare klitschnass. Nach zehn Sekunden war sie dann auch noch so gut wie taub, da der Lärm, den der Regen auf dem Dach der Haltestelle veranstaltete, nicht auszuhalten war. Glücklicherweise wurde Tiana schon nach einer Minute vom Konzert der Regentropfen erlöst, da der Bus vorfuhr und sie danken einsteigen konnte.
Die Fahrt zur Tennishalle dauerte gute zehn Minuten, die Tiana damit verbrachte ihre Haare mit dem Handtuch, das eigentlich fürs Abtrocknen nach dem Duschen gedacht war, zu trocknen. Als sie wieder ausstieg regnete es nicht mehr ganz so stark, aber immer noch stark genug. Der Weg von der Bushaltestelle bis zur Tennishalle war einen ganzen Kilometer lang und führte quer durch die, dank des Regens, fast Menschenleere Fußgängerpassage. Nur ab und an kam Tiana eine Person entgegen. Meist unter einem Regenschirm verborgen, manche trugen auch wie sie einfach nur eine regenfeste Jacke.
Als sie endlich die Tennishalle erreichte brummte ihr Handy. Tiana beeilte sich die letzten paar Meter bis zur Tür zu kommen. Als sie unter dem Vordach zum Stehen kam, hielt sie in einer Hand bereits den Türschlüssel und in der Anderen ihr Handy.
Auf dem Display stand: „Sie haben eine neue Nachricht von Sklaventreiber erhalten.“
Sklaventreiber war der Spitzname den Tiana und auch alle anderen Mädchen für ihren Tennistrainer benutzen, da er sie immer die härtesten Übungen machen ließ, besonders schlimm war es immer wenn er gute Laune hatte. Dann lachte er nämlich noch hämisch wenn er ihnen beim Schwitzen zusah.
Tiana öffnete die Nachricht und überflog die zwei Zeilen.
„Tut mir leid, kann nicht zum Training kommen, liege krank danieder.“, stand da.
Wütend schlug Tiana gegen die Hallentür und bereute es sogleich, da ihre Hand jetzt fürchterlich schmerzte.
„Dann muss ich wohl ein paar Aufschläge machen und gegen die Wand spielen.“

, dachte Tiana sich schließlich und betrat die Halle.
Sie übte eine ganze halbe Stunde lang nur Aufschläge und ging dann zur Tenniswand, um dort ihre Topspinbälle zu verbessern. Eine Stunde später verließ sie geduscht die Tennishalle und begab sich, im immer noch starken Regen und jetzt auch im dunklen, auf den Weg zu ihrer Klassenkameradin und Freundin Lisa.
Tiana hatte gerade mal ein Viertel des Weges zu Lisa zurückgelegt, als sie an einer unbeleuchteten Seitengasse vorbeikam. Sie hatte sie schon einige Schritte hinter sich gelassen, als plötzlich einen unterdrückten Schrei aus der Gasse zu hören war. Unschlüssig blieb Tiana stehen. Sollte sie nachschauen gehen, in die dunkle Gasse? Oder sollte sie einfach weitergehen, als sei nichts passiert?
Noch ein Schrei ertönte, aber diesmal lauter. Dann ein dumpfes Krachen und kurz darauf folgte ein platschen, so als sei etwas Großes in eine Pfütze gefallen.
Tiana konnte ihre Neugier nicht mehr zurückhalten und drehte sich um. Langsam ging sie auf die Gasse zu. Seit dem Platschen hatte sie nichts mehr gehört. Kein Atmen, nur das nicht enden wollende prasseln des Regens. Noch zwei zaghafte Schritte und Tiana konnte in die Gasse blicken.
Am gegenüberliegenden Ende der Gasse stand eine Straßenlaterne und warf einen schwachen Lichtstrahl auf das Szenario vor ihren Augen. Aber auch dieses schwache Licht reichte aus, dass Tiana unweigerlich einen Brechreiz bekam. Sie krümmte sich und übergab sie knapp vor ihre Schuhe. Vorsichtig schaute sie wieder auf und konnte nur mit Mühe ein erneutes Brechen unterdrücken. Vor ihr, in einer roten Pfütze lag etwas, das nur noch mit viel Phantasie an einen Menschlichen Körper erinnerte. Tiana hatte die Leiche nur als Menschlich identifizieren können, da das Gesicht fast vollkommen intakt war. Nur ein Fingerdickes Loch war in der linken Schläfe zu sehen. Der Rest war ein Haufen Fleisch, aus dem noch hier und da ein Knochen ragte.
Tiana stand noch wie versteinert im Regen, als sich plötzlich etwas bewegte. Sofort machte sie einen schnellen Schritt nach hinten. Sie stolperte über ihre Füße und fiel nach hinten. Sie schaute auf und sah, was auch immer es war, auf sich zukommen. Sie wollte aufspringen und wegrennen, aber ihr Körper schien ihr nicht mehr zu gehorchen. Störrisch blieb er sitzen, während seine Besitzerin in immer größere Panik ausbrach.
„Was haben wir denn hier?“, sagte derjenige der sich immer weiter auf Tiana und ihren befehlsverweigernden Körper zubewegte mit tiefer, bedrohlicher Stimme. „Ein kleines Mädchen das etwas gesehen hat und nun vor Schock nicht vom Fleck kommt?“, die Stimme klang belustigt.
Endlich schaffte Tiana es sich zu bewegen und rutschte so schnell wie sie konnte, rückwärts, von der Person weg. Raus aus der Gasse. Aber kaum hatte sie die Gasse verlassen, war die Person schon bei ihr. Im Licht der Straßenlaternen konnte Tiana endlich denjenigen erkennen der sie gerade verhöhnt hatte. Es war ein Mann um die 40. Passend zu seinem schwarzen Mantel trug er einen breitkrempigen Hut, dessen Schatten zumindest im Ansatz die Narben im Gesicht verdeckten.
„Tut mir leid Mädchen, aber da du gesehen hast, was ich mit dem Herren hinter mir gemacht habe, habe ich leider keine andere Wahl als dir das Selbe anzutun.“, sagte er und beugte sich mit ausgestreckter Hand zu ihr herunter. Er packte sie am Hals. Sein Griff war brutal hart. Er schleifte sie wieder in die Gasse zurück. Wieder in der Dunkelheit angekommen schleuderte er sie gegen eine Wand. Mit brachialer Gewalt wurde alle Luft aus Tianas Lungen gepresst. Hätte ein Sumo Ringer seilspringen auf ihrem Bauch geübt, wäre das Ergebnis nicht anders gewesen. Bluthustend brach Tiana an der Wand zusammen.
„Da hab ich dir wohl ein paar Rippen gebrochen. Tut mir leid, aber da ich ein Menschenfreund bin, werde ich dich gleich von allen Schmerzen befreien.“, sagte er, wieder mit diesem nervigen, belustigten Unterton.
Der Mann griff in seinen Mantel und zog eine Pistole.
„War nett deine Bekanntschaft zu machen Mädchen.“
Der Mann grinste, während er die Mündung auf Tianas Kopf richtete.
Mit vor Schreck geweiteten Augen saß sie da und achtete nur auf den Finger des Mannes am Abzug. Sie sah das Zucken und wie der Abzug sich immer weiter nach hinten bewegt. Aber kurz bevor der Abzug die Kugel auf den Weg in Tianas Kopf schicken konnte, traft irgendetwas die Hand des Mannes. Die Kugel bohrte sich nun statt in Tianas Kopf, in die Mauer zu ihrer Rechten. Der Mann riss den Kopf herum und starrte in die Richtung aus der das Fluggeschoss kam, das ihn um einen weiteren Mord gebracht hatte. Tiana folgte seinem Blick und sah, von der Straßenlaterne leicht erhellt einen Jungen stehen.
„Du?“, fragte der Mann ungläubig. „Aber ich habe dich doch gerade eben umgenietet.“ Er drehte sich um und starrte auf die Stelle an der vor einer Minute noch der menschliche Fleischklumpen gelegen hatte. Doch, da lag nichts mehr. Nur noch eine nicht zu übersehende Blutlache zeugte von dem, was da gerade gelegen hatte.
„Tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, aber wie du siehst, stehe ich noch live und in Farbe vor dir.“, sagte der Junge und grinste.
„Aber wie kann das…“, fing der Mann an, aber der Junge ließ ihm keine Zeit weiterzureden, da er ihm noch ein Wurfgeschoss mitten ins Gesicht schleuderte. Mit dem Geräusch von brechenden Knochen wurde der Kopf des Mannes nach hinten geschleudert. Automatisch folgte der Rest des Körpers und landete in der Blutlache des Jungen. Mit einem komisch verdrehten Arm und blutender, offensichtlich gebrochener Nase kam der Mann wanken zum Stehen. Aber kaum dass er auf den Beinen war stand der Junge auch schon vor ihm. Ohne zu zögern schmetterte er ihm seine Faust ins Gesicht. Wieder ging der Mann zu Boden. Jetzt nahm der Junge ein Eisenrohr das neben einer Mülltonne an der Gassenwand lehnte und rammte es dem Mann mit voller Wucht zwischen die Augen. Tiana meinte zu hören wie das Eisenrohr auf dem Asphalt mit einem Kling aufschlug. Der Junge zog das Eisenrohr wieder hervor und warf es in eine der offenstehenden Mülltonnen, dann wandte er sich Tiana zu.
„Tut mir leid Mädchen, aber ich muss jetzt mal etwas mit dir machen.“
Tiana wollte sich umdrehen und wegrennen, aber der Junge packte sie am Arm und zwang sie ihm ins Gesicht zu sehen. Sein Blick war stechend und sie hatte das Gefühl, als würde er ihr einfach so ein den Kopf schauen. Und alles was Ihrs war stehlen. Einfach so, mit einem Blick. Sie begann sich schläfrig zu fühlen. Ihre Augen fielen ihr, trotz Kampf dagegen zu.

Tiana machte die Augen auf und stand vor ihrem Haus und hatte keine Ahnung wie sie dahin gekommen war, das Letzte an was sie siech erinnerte war das sie die Tennishalle verließ. Verwundert blickte sie sich um. Sie hatte das Gefühl als fehlte ein ganz entscheidendes Detail, aber ihr fiel nicht mehr ein was es war. Etwas das wirklich wichtig war, aber so sehr sie sich auch anstrengte, so sehr sie auch nachdachte, nichts. Nur leere war in ihrem Kopf. Schließlich zuckte sie mit den Schultern und ging ins Haus. Sie würde später darüber nachgrübeln beschloss sie.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand der Junge und beobachtete wie Tiana durch die Tür ging. Er lächelte und rückte den Sack über seiner Schulter zurecht. Dann begann er sich langsam von oben nach unten im Regen aufzulösen. Wie eine Wachskerze schmolz er dahin, nur viel schneller. Schließlich war er vollkommen verschwunden, alles was von ihm zeugte war eine leichte Verfärbung im Rinnsteinwasser, die aber schon nach kurzer Zeit vollkommen verdünnt und nicht mehr auszumachen war. Der Junge war verschwunden.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.09.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /