Ich rannte. Um eine Ecke, um die nächste. Die Stadt war düster, nur ab und flackerte eine Straßenlaterne. Ich rannte schneller, als es ein Mensch gekonnt hätte. Ich war ja auch kein Mensch. Ich war ein Vampir.
Das Etwas, was mich verfolgte, schien nicht müde zu werden, während ich immer ein wenig langsamer wurde. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ich eine Pause machen musste.
Doch das durfte ich nicht. Machte ich eine Pause, würden sie mich kriegen. Würden sie mich kriegen, würden sie mich vernichten. Würden sie mich vernichten, wäre dass das Ende des Kampfes. Des Krieges. Allerdings hätten die Anderen gewonnen.
Dunkle Motten kreisten um eine Straßenlaterne. Unbesorgt und doch dazu verdammt, zu sterben, so bald
sie zu nah dran kamen.
Ich war mein Leben lang aufs Überleben getrimmt wurden. Nun würde ich sterben und alles war umsonst. Ich schaffte noch drei Meter, bevor mir schwarz vor Augen wurde. Ich hörte noch die Schritte, spürte den dumpfen Aufschlag auf dem harten Asphalt.
Dann traf mich etwas am hinterkopf. Ein paar Stimmen redeten leise, zu leise für meine schwachen Ohren.
Ich schloss die Augen und spürte nichts mehr.
Au, mein Hinterkopf tat weh und ich fühlte mich, als ob tausend Bienen in meinem Kopf summen würden. Ich fühlte meine Erschöpfung noch ehe ich die Augen aufschlug.
Sie traf mich wie ein Schlag, meine Muskeln zitterten vor Erschöpfung, dabei hatte ich doch gar nichs getan.
Nach einer Weile stoppte das Zittern. Ich schlug meine Augen aber trotzdem nicht auf. Denn es hatte sich eine Frage in meinem Kopf breit gemacht: Wer war ich?
Keine Erinnerungen.
Ich durchsuchte die hintersten Winkel meines Geistes. Ich wusste nicht, wer ich war noch, was ich war.
Also doch nachsehen.
Als ich die Augen aufschlug sah ich einen großen, weißen Saal. Ich musste automatisch an Verletzte denken.
Wahrscheinlich war ich hier, weil ich verletzt war.
Plötzlich hörte ich Schritte. Sie kamen immer näher. Schnell und leicht, nichts stampfendes.
Eine hübsche Frau beugte sich über mich: "Ah, du bist schon wach. Du bist wirklich stark. Wie heißt du?"
Erst jetzt merkte ich, das ich in einem Bett lag. Aus meinem Arm sah ich Schläuche ragen. Mein Name? Den wusste ich nicht mehr.
Wie hieß ich? Eine schwache Erinnerung an einen Namen, den ich schon mal gehört hatte breitete sich in mir aus.
Lucy.
War ich Lucy?
"Lucy", sagte ich mit kratziger, trockener Stimme. Es tat weh und ich spürte, das meine Lippen aufgeplatzt waren.
Die Frau guckte leicht überrascht, ließ sich aber nicht viel anmerken und fing gleich an, mit sanfter Stimme auf mich ein zu reden. "Also Lucy, bitte bleib ganz ruhig. Es wäre nicht gut für dich, wenn du dich jetzt aufregst. Um deine Fragen zu beantworten: Du bist hier in der Vampir High. Einer unserer Lehrer, Mr Parker, hat dich auf der Wall Street gefunden. Unsere Spekulationen lauten, das du wohl von einem Vampir gebissen und dort liegen gelassen wurdest. Wie es aussieht bist bereits auch zu einem Vampir geworden."
Ein Vampir also, das war ich. Eine Kreatur der Nacht. Seit Jahrtausenden vor den Menschen versteckt. Ich war hier wohl auf einer der Vampir Schulen. Sie nahmen Menschen auf, die verwandelt wurden waren und unterrichteten sie zusammen mit Vampiren, die schon als solche geboren wurden.
Vampire konnten Erinnerungen löschen. Es war wohl jemand gewesen, der nicht wollte, das ich ihn wiedererkenne, wenn ich erst einmal verwandelt sei.
Sie meinte, das sie es sich jetzt auch sparen könnte zu fragen, bei wem sie das Gedächtnis löschen mussten.
Dann ging sie und kam mit etwas zu Essen wieder.
Es ging die nächsten drei Tage so. Sie kam ab und zu zu mir und erklärte mir, einige Dinge.
Diese Schule war ein Internat und unterrichtete eben Vampire. Wenn ich wieder richtig bei Kräften sein würde, würde ich, wie jeder Neue, einen älteren Schüler zugeteilt bekommen, der auf mich aufpasste.
Das war Notwendig, da neu verwandelte Vampire manchmal ihren Blutdurst nicht kontrollieren konnten.
Sie würden dann am Internat vorbeilaufende Menschen anfallen und im schlimmsten Fall, den Menschen die Existenz von Vampiren beweisen.
Im Internat bekämen wir einen Blutersatz. Das waren Tabletten, die man im Wasser auflösen und dann trinken könnte. Die seien aber noch lange nicht so gut, wie richtiges Blut schwärmte sie.
Wenn man die Schule verließ, sei man verantwortungsvoll genug, um Menschenblut nur in unschädlichen Mengen zu trinken und das Gedächtnis der Betroffenden danach zu löschen.
Am dritten Tag schließlich kam sie mit einem Glas in dem wohl dieser Blutersatz gelöst war. Es schmeckte gut. Und es kräftigte mich mehr als dieses nun fahde Essen. Aber ich wusste, das ich schon besseres getrunken hatte.
Am nächsten Tag war ich fast vollständig regeneriert als ich auf dem Flur vor dem Krankenzimmer laute Stimmen hörte.
Zum einen die eines Jungen. Er musste so um die 18 sein. Es war eine Stimme zum schwärmen. Klar, aber doch ein wenig rauchig. Alles in allem, einfach sexy. Jedoch hatte sie einen wütenden Unterton.
"Ich spiel doch nicht Babysitter für einen Frischvampir. Diese Aufgabe sollte man jemanden anderen geben. Wieso ausgerechnet ich? Das musste ich noch nie machen. Es gibt Leute mit mehr Erfahrung. Außerdem könnte meine Familie die ihre ganz einfach platt machen. Ich sitze also am längeren Hebel und sie bestehen trotzdem darauf, das ich auf dieses etwas aufpasse, Mr Parker!"
Der Name des anderen war nur noch ein gefährlches Knurren. Mr Parker. Der Lehrer, der mich gefunden hat.
Sie diskutierten weiter, aber mich interressierte das nicht mehr. Schließlich wusste ich nun, was mein "Aufpasser" von mir hielt.
Ich setzte mich auf. Gerade noch rechtzeitig, denn jetzt kamen ein gut aussehender Mann mit grauen Haaren, die den perfekten Kontrast zu seinem jungen Gesicht bildeten herein.
Hinter im ging der Junge. Er war genauso groß wie der Lehrer. Allerdings hatte er dunkelbraune, fast schwarze, Haare, die ihm bis zu den Schultern reichten und sein aristokratisch schönes Gesicht umrandeten.
Seine Augen waren von dunklen Algengrün, die fazinierend und unergründlich zugleich schienen.
So eine Verschwendung an einen Arsch wie ihm.
Er trottete langsam hinter Mr Parker, der auf mein Bett zukam, her.
So ein Pech. Jetzt begegnet man schon einmal einem Bild von einem Mann und dann ist es ein Arsch. Das wird ja wohl nicht so schlimm sein, ein paar Tage auf mich aufzupassen.
Immerhin hatte ich, nachdem ich wieder einigermaßen bei Kräften war, was ordentliches zum Anziehen bekommen.
Im Moment trug ich eine Jeans und ein unauffäliges, weites, schwarzes T-shirt.
Sie blieben vor mir stehen und Mr Parker reichte mir die Hand. Sie war warm und kräftig. Ich bakam sofort ein warmes Gefühl und als ich seine Augen sah, sah ich das er Respekt vor mir hatte.
Immerhin etwas.
"Hallo Lucy, ich bin Mr Parker. Ms Tickel hat dir bestimmt schon erklärt, das jeder neue Vampir erstmal einen Aufpasser und Mentoren braucht. Das hier ist Daniel."
Die Krankenschwester hieß also Ms Tickel. Und der liebreizende Junge hier war Daniel. Ich sah ihn an und zwang mich zu lächeln und Hallo zu sagen.
Er lächelte auch. Ihm gelang es besser als mir doch in seinen Augen sah ich nur Abscheu. Wieso hasste er mich?
Ich habe ihm doch gar nichts getan.
Mr Parker sah ihn kurz scharf an und dann reichte auch er mir seine Hand.
Sie war einfach perfekt, er war einfach perfekt. Wäre da nicht der Hass auf mich gewesen.
"Ich lass euch dann mal allein. Daniel wird dich rumführen und dir die wichtigsten Regeln erklären."
Ich sah ihn hilfesuchend an. Er musst doch den Hass spüren, der von ihm ausging. Und ich wollte nicht mit ihm allein gelassen werden.
Was, wenn er mich anfällt und mir das Blut aussagt. Außerdem umgab ihn eine Aura von Gefahr und dieser Gefahr wollte ich nicht aussgesetzt sein.
Mr Parker sah meinen Blick und sagte: "Er wird dir nichts tun, nicht wahr, Daniel?" und zu meinem Erstaunen wurden seine Augen ein wenig weicher, er schüttelt den Kopf: "Nein, werde ich nicht."
Der Lehrer ging und ich sah ihm wehmütig hinterher. Als die Tür hinter ihm zufiel, sah ich Daniel an. Er starte die Wand an. Die wunderschönen Augen weit in die Ferne gerichtet.
Er bemerkte jedoch, das ich ihm ansah und ich konnte nicht anders, ich wurde rot. Wieso tat mein Körper eigentlich nicht das, was ich wollte?
Der Typ hasste mich und ich dachte an seine hübschen Augen. Na das konnte ja heiter werden.
Nun sah er mich an und als ich einen fragenden Gesichtsausdruck auflegte, sagte er nur: "Lass uns losgehen, ich zeige dir das Gebäude."
Doch als ich wieder auf festem Boden stand, taumelte ich kurz. Gott sei Dank hatte der Typ noch genug Anstand mir die Hand zu reichen und mich festzuhalten, bis ich wieder richtig stehen konnte.
Man sollte einfach nicht so lange im Bett verbringen.
Ich musste zugeben, ich war erleichtert, das ich überhaupt wieder gehen konnte. Nach dem zu urteilen, wie meine Beine die letzten paar Nächte geschmerzt hatten, hätte ich nie wieder laufen können. So als ob ich ein paar Tage oder Nächte nichts anderes getan hätte, als zu laufen.
"Also", fing er an: "das Krankenzimmer kennst du ja bereits. Ich werde dir jetzt erst einmal die Unterrichtsräume zeigen."
Der Schulflur war wie der einer normalen Highschool. Schließfächer auf jeder Seite. Ein paar Schüler lungerten in kleinen Grüppchen vor ihren Schließfächern herum. Sie waren alle blass und wunderschön. Jeder einzelne auf seine Weise.
Als wir an ihnen vorbeigingen, guckten die Mädchen Daniel sehnsüchtig an. Die Jungs eher ein wenig neidisch.
Doch da war eine Sache, die in allen Augen zu sehen war.
Furcht.
Aber wovor? Ich musste zugeben, er hatte eine Aura von Gefahr, aber die anderen hier mussten ihn doch kennen.
Wir bogen links in einen anderen Korridor.
Er erklärte, das hier die Klassenräume lagen. Jeder Lehrer hatte seinen eigenen Raum.
Noch ein Stück weiter hielt er an.
"Jeder Schüler hat sein eigenes Schließfach. Schulmaterialien und so werden alles von der Schule gestellt."
Er gab mir einen Schlüssel und bedeutete mir, die Tür zu öffnen.
Das Fach war voll von Büchern, Heften, einer Federmappe mit Stiften und einer Tasche, wie ich sie auch schon bei den anderen gesehen hatte.
Ein Gefühl von Wärme breitete sich in mir aus. Es war so normal.
Doch mit der Wärme kam auch die Angst. Aber Angst wovor?
Das Problem war ja, auch wenn ich wollte, ich konnte mich nicht an meine Vergangenheit erinnern.
In den vergangenen Tagen hatte ich das so oft versucht.
In den einsamen Stunden im Krankenflügel malte ich mir aus, wie meine Familie wohl sein würde. Oder wovor ich so Angst hatte.
Plötzlich zuckte ich zusammen. Es dauerte ein bisschen, bis ich merkte, was passiert war.
Ich war wohl so tief in Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkt hatte, wie Daniel vor meinen Augen mit der Hand wedelte.
Ich schaute ihn an und sah, wie sein Blick noch verächtlicher wurde.
Hoffentlich war ich ihn bald los. Er dachte bestimmt dasselbe.
"Los komm, ich übergeb dich deiner Zimmergenossin.", sagte er hämisch grinsend.
Aber ich dachte nur, es kann ja nur besser werden.
Leider geirrt.
Wir stiegen die Treppen hinauf zu den Schlafsälen. Es gab mehrere Korridore und pro Korridor auch einen Gemeinschaftsraum.
Daniel führte mich auf Korridor 4. Wir gingen schweigend nebeneinander her, bis er an Tür Nummer 10 anhielt.
"Das ist dein Zimmer."
Er klopfte und wir warteten. Es dauerte nicht lange, bis ein Mädchen in einem roten Pullover und Jeans-Minirock die Tür öffnete.
Sie war wunderschön mit ihren langen blonden Haaren und meerblauen Augen.
Ich spähte an ihr vorbei in das Zimmer. Es sah einladend aus.
Sie leider nicht so.
Trotzdem überredete ich mich und streckte die Hand nach ihr aus, um sie zu begrüßen.
Sie musterte erst meine Hand und sah dann unauffällig zu Daniel.
Mit einem Schrecken bemerkte ich das Verlangen in ihrem Blick. Unwillkürlich fragte ich mich, ob die beiden zusammen waren.
Wie um diesen Gedanken zu verbannen, kniff ich kurz meine Augen zusammen. Als ich sie wieder öffnete nahm das Mädchen bereits meine Hand und sagte mit einer honigsüßen Stimme: "Du musst nicht auf sie aufpassen, Daniel. Das mach ich doch liebend gerne."
Das ließ sich Daniel nicht zweimal sagen. Er nickte mir kurz zu und ging.
Wie um das Klischee einer falschen Schlange noch zu bestätigen zog sie mich in das Zimmer, mit den Worten: "Wir werden bestimmt gute Freundinnen."
Texte: Ich
Tag der Veröffentlichung: 08.03.2012
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