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3. Kapitel
Nächster Tag. Die Schule zieht sich, Englisch, Deutsch, Mathematik. Gespannt warten Alisa und ich auf die Pause. Na endlich, es klingelt. Wir stellen uns unter das kleine Vordach. Wieder sind wir die Einzigen auf dem Schulhof, denn es regnet immer noch. Ich hasse es! Unaufhörlich, ein grauer Vorhang. Da! Die Katzen kommen.
Aber es sind nur noch halb so viele. Eine Gruppe Versprengter, hängende Ohren, struppiges Fell, tiefe Wunden, Narben, humpelnd. Die Katze, die immer vorne lief, fehlt. An ihrer Stelle ist ein Kater, das weiße Fell vom Regen dunkel, an einigen Stellen blutrot. Ein Auge schaut leer in den Himmel, das andere ist jadegrün und schaut mich direkt an. Ich zucke zusammen. Dieser Blick!
Alisa gibt mir einen Stoß in die Seite. „Ell! Los, verfolgen wir sie!“ Mir ist die Lust gründlich vergangen. Obwohl es kein Problem wäre, zu spät zu Kunst zu kommen- meine Mutter war früher auch oft zu spät, und Alisa´s Eltern sind ihr nie böse- will ich ihnen wirklich nicht folgen. Diese Augen! Ich bin mir irgendwie ganz sicher, dass er mich erkannt hat. Dieser Hauch der Erkenntnis, überschattet von Hass. Auf wen hat sich dieser Hass gerichtet? Wer hat den Katzen das alles angetan? Die Wunden, Verletzungen? Mir wird kalt. Der Regen tropft. Ich bin mir sicher, die Katzen, die nicht da waren, wurden getötet. Aber wer?
Ich schließe die Tür auf. „Mama? Wo bist du?“ Auf dem Balkon ist sie nicht. Oh! Stimmen aus dem Wohnzimmer. Mama… und Oma? Was macht Oma hier? Ich will schon die Tür aufreißen, aber ein Gefühl sagt mir, dass die beiden etwas Interessantes bereden…
Oma redet laut, wütend.
„So kann es nicht weitergehen! Wir sind zu wenige! Nach der Niederlage gestern…
Mama unterbricht sie.
„Das war keine Niederlage. Ihr habt die meisten von ihnen vernichtet.
„Und sie haben uns fast komplett vernichtet!“
Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Mama redet beruhigend auf Oma ein.
„Inienda, wir wollen nichts überstürzen. Sie ist noch nicht weit genug. Wir können noch nichts machen. Und Deliera ist immer noch nicht aufgetaucht.“
Inienda, so heißt meine Oma. Ich hasse die Namen unserer Familie, meine Mutter heißt Dellissa. Aber wer ist Deliera?
Sch…ande! Mein Fuß ist eingeschlafen und ich bin voll gegen die Tür gefallen! Das konnten Oma und Mama gar nicht überhört haben.
„Ich gebe dir einen Monat“, sagt Oma noch. Dann reißt sie die Tür auf, steht vor mir, die eisblauen Augen blitzend.
„Ellana! Was hat das zu bedeuten?!“
Ich ziehe den Kopf ein. Oma kann sehr furchteinflößend sein, wenn sie will. Mama hat mich noch nie geschlagen und würde das auch nie tun, aber bei Oma bin ich mir nicht so sicher. Sie soll eine sehr strenge Mutter gewesen, wie ich von meiner Mutter weiß…

Am Ende bin ich doch sehr gut davongekommen. Oma hat mir nur eingeschärft, alles, was ich gehört habe, zu vergessen und auf keinen Fall weiterzuerzählen. Es geht aber nicht, so was kann ich nicht vergessen. Ich bin mir ganz sicher, dass die Katzen was damit zu tun haben. Aber was? Wer ist Deliera? Wer soll noch nicht bereit sein? Und was soll Mama in einem Monat geschafft haben?

4. Kapitel
Heute, haben Alisa und ich gestern abgesprochen. Heute wollen wir die Katzen verfolgen. Doch daraus wird wohl nichts. Ich liege in meinem Bett, den Blick aus dem Fenster gerichtet, der Himmel ist wolkenverhangen, Regen, pausenlos. Mir geht es schrecklich. Ich habe Fieber, 38 Grad. Husten, Schnupfen, Halsschmerzen. Alisa ist schon in der Schule, ich hab ihr eine SMS geschickt, dass das mit den Katzen wohl nichts wird.

Es klingelt. Oma. Sie scheint nicht mehr böse zu sein, schiebt sich aber nur an mir vorbei und verschwindet in Mama´s Arbeitszimmer. Da ist meine Mutter eigentlich den ganzen Tag, außer wenn sie schläft und isst. Sie ist Autorin.

Zwei Stunden später, 14 Uhr. Wer kann das nur sein? Ich öffne die Tür. Eine Gestalt steht vor mir, nass, verdreckt. Der Geruch von Blut hängt schwer in der Luft. Alisa? Was ist mit ihr passiert? Ich habe sie zuerst gar nicht erkannt. Ihre Kleidung ist zerfetzt, aus Wunden strömt Blut. Ich schreie. Ich weiß, dass das nicht die beste Reaktion war, aber es war alles so schrecklich. Die Tür des Arbeitszimmers fliegt auf. Oma.
„Ellana! Hör auf zu schreien! Was ist denn los?“
Da sieht sie Alisa. Die beiden haben sich noch nie gesehen, aber Oma´s Blick verändert sich. Die Erkenntnis, die ich auch in dem Blick des Katers mit den grünen Augen gesehen habe… Der Hauch des Erkennens… Das Aufblitzen der Augen, das Überschatten der anderen Gefühle… Ich erkenne immer viel in Augen.
Oma zieht Alisa in unser Haus. Ihre Augen leuchten. Alisa hat die ganze Zeit kein Wort gesagt. Oma und Mama geben ihr etwas von mir zum Anziehen, verarzten die Wunden. Dann setzen wir uns auf die große Couch in unserem Wohnzimmer. Ich warte darauf, dass Oma und Mama uns alleine lassen. Ja, Mama will zurück in ihr Arbeitszimmer gehen, aber Oma bleibt einfach sitzen. Sie schaut, ja, fast schon starrt Alisa unverwandt an.
Ich versuche sie zu ignorieren.
„Komm schon, Alisa, was hast du gemacht? Du hast die Katzen verfolgt, oder?“
Alisa nickt, will antworten. „Ja…“ Doch Oma fällt ihr ins Wort. „Du hast die Katzen verfolgt? Die, die über euren Schulhof liefen?“ Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen.
„Oma, jetzt lass sie doch erzählen“, sage ich leicht gereizt. Alisa fängt noch mal an.
„Heute kamen sie nicht in der Pause. Sie liefen nach der Schule über den Hof“, sie schluckt. Ihre Stimme bebt. „Ich folgte ihnen, bin durch den schmalen Spalt im Zaun gekrochen. Sie liefen schnell, aber ich auch. Wir liefen durch den Roten Wald. Sie bemerkten mich, immer wieder drehten sie sich um. Ich kletterte durch einen kleinen Zaum, mitten im Wald. Da sprangen sie mich an. Es waren mehr als vorher, viel mehr. Sie zerfetzten meine Kleidung, kratzten mich. Ich schrie. Ich hatte solche Schmerzen.“ Sie streicht mit der Hand über den Verband an ihrem Arm. In ihren Augen glitzern Tränen. Oma´s Augen leuchten vor Wut, Hass. Sie waren eisiger als jemals zuvor. Alisa erzählt weiter. „Ich war mir sicher, dass ich sterben würde. Da schrie eine Stimme etwas, ich glaube, Sertia… und noch etwas. Die Stimme war tief und rau, und die Katzen ließen von mir ab. Dann verlor ich das Bewusstsein, denke ich. Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich vor eurer Tür lag.“
Oma schaute in die Ferne. „Der Rote Wald. Dass ich nicht eher darauf gekommen bin.“ Dann drehte sie sich zu uns um. Ihre Augen sahen wieder normal aus, nur ein Glitzern war geblieben. Alisa´s Augen haben fast die gleiche Farbe, fällt mir auf. Oma schaut uns direkt an. „Sertia Luminok. Lasset ab, Krieger. Es ist an der Zeit, es euch zu erklären.“ „Was uns erklären?“ Ich verstehe gar nichts mehr. Alisa starrt auch nur mit weit aufgerissenen Augen Oma an. „Ihr seid Teil eines uralten Geheimnisses. Dir wollten wir es schon eher sagen, Ellana. Wir wollten nur noch darauf warten, dass Deliera gefunden wird. Nun, wir haben sie gefunden. Kannst du dich an deine ersten sechs Lebensjahre erinnern, Alisa?“
Alisa flüstert: „Nein“.
„Willkommen in der Wahrheit, Deliera.“
Alisa reißt die Augen auf. Sie erinnert sich.

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Tag der Veröffentlichung: 13.07.2010

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