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Ein neuer Weg
06.03.2012

Sie sind hübsch, jung und intelligent. Das bekommt sie ständig gesagt. Sie hasst es. Kann es nicht mehr hören. Will es nicht mehr hören. Auch dass sie begabt ist will sie nicht mehr hören. Und glauben schon gar nicht. Sie fragt sich nur, was ihr das bringen soll. Sie kann doch nichts damit anfangen. Außerdem ist sie ein sehr emotionaler Mensch. Hat ständig Krisen. Den Wunsch zu sterben. Was also soll sie mit alldem anfangen? Sie ist sportlich, aber was bringt es ihr, wenn ihr Gefühl etwas ganz anderes sagt. Wenn sie sich alt fühlt. Dick fühlt. Hässlich fühlt. Nicht verstehen kann, dass es Menschen gibt, die sie gern haben und unterstützen wollen. Diese Menschen sind doch selber Schuld, wenn sie an sie glauben. Wenn sie Energie dafür aufwenden ihr zu helfen. Für diese Menschen hat sie kein Verständnis! "Damit kann ich leben!", bekommt sie darauf als Antwort.
Sie muss wohl ein sehr lebensfrohes und aktives Kind gewesen sein. Das weiß sie aus Aufzeichnungen und Erzählungen. Kann sich selber nicht daran erinnern. Hat an die Zeit kaum Erinnerungen. Und die Erinnerungen, die sie hat sind keine schönen. An Strafen kann sie sich erinnern. An Beschuldigungen. An Einsamkeit und Verzweiflung.
Heute versucht sie sich ein annähernd "normales" Leben aufzubauen. Etwas von ihrer früheren Energie wieder zu erlangen. Wieder Freude empfinden können. Ihr ansteckendes ausgelassenes Lachen wieder zu finden.
Die letzten Jahre haben sie sehr geprägt. Ängste und Zweifel bestimmen ihr Leben. Sie kämpft dagegen an. Tag für Tag. Und fragt sich oft, wieso überhaupt? Was hat das alles noch für einen Sinn? Sie hat keine Ahnung.
Jahrelang hat sie darum gekämpft ihre Geschwister wieder sehen zu dürfen. Heute darf sie es. Hat wieder eine Familie, bzw. Kontakt zu dieser. Die Hoffnung eines Tages ihre Geschwister wieder sehen zu dürfen hat sie jahrelang am Leben gehalten. Heute merkt sie, dass es an ihrer Gefühlswelt relativ wenig verändert hat.
In den letzten Jahren war sie oft in einer psychiatrischen Klinik. Teilweise mehrere Wochen oder sogar Monate. Immer wieder hat sie versucht ihr Dasein zu beenden. War mehrfach kurz davor, aber die Ärzte haben sie immer wieder zurück ins Leben geholt, ob sie wollte oder nicht. Meistens wollte sie nicht, hat aber spätestens nach wenigen Tagen ihr Bewusstsein wieder erlangt und wurde in die Psychiatrie verlegt.
Die letzten Monate war sie immer nur noch kurz dort. Ein paar Tage bis es wieder einigermaßen ging. Krisenintervention. Bis vor ein paar Wochen war sie fast jede Woche zwei oder drei Tage auf der Station.
Inzwischen war sie seit knapp fünf Wochen nicht mehr dort. Es ist ein harter Kampf. Jeden morgen aufzustehen. Die Tage zu strukturieren und sich aufzuraffen. Jeden Tag kämpft sie gegen den Impuls an sich selber zu verletzen. Es ist nicht leicht und manchmal verliert sie diesen Kampf. Gibt sich selber auf. Will alles wieder hinschmeißen und zerstören.
Es gibt verschiedene Menschen, die sie unterstützen. Die sie wieder aufbauen und ihr Kraft geben. Sie versteht nicht wieso diese Menschen das tun. Was sie an ihr mögen könnten, kann sie nicht nachvollziehen. Es fällt ihr schwer das zu glauben. An sich zu glauben. Sie will ihr Umfeld nicht enttäuschen.
Dreimal in der Woche geht sie in eine Grundschule wo sie ein freiwilliges Praktikum absolviert. Die Kinder und Kollegen sind alle nett. Die Kinder mögen sie und die Kollegen wohl auch. Ihre Kollegen mit denen sie mehr zu tun haben wissen über ihre Borderline- Erkrankung bescheid. Auch, dass sie erwerbsunfähig geschrieben ist und nur 15 Stunden in der Woche dort ist, ist kein Problem für sie. Als sie es am Anfang gesagt hatte, konnte sie es kaum glauben, dass sie dennoch ein Praktikum dort machen kann. Dass sie es als kein Hindernis ansehen. Sie soll auf ihre eigenen Grenzen achten und bescheid sagen, wenn es ihr zu viel wird. Sie weiß wer für sie zuständig ist und wer ihre Ansprechpartner sind. Das hatte sie in der Form bei ihren vorherigen Praktika nicht. Sie fühlt sich dort gut aufgehoben. Es gibt ihr Kraft, wenn die Kinder zu ihr kommen und sie umarmen. Wenn sie fragen, ob sie auf ihrem Schoß sitzen dürfen. Wenn sie fragen, wann sie ihre selbst geschriebene Geschichte weiter liest. Wenn die Kinder mit Fragen zu ihr kommen. Das gibt ihr die Kraft sich morgens aus dem Bett zu kämpfen. Sich aufzuraffen dorthin zu gehen. Wenn sie einmal dort ist, ist es kein Problem mehr für sie. Aber das frühe Aufstehen ist ungewohnt und kostet viel Überwindung.
Sie hat Freunde, die sie aufbauen und unterstützen. Die ihr Kraft geben und sie ermutigen weiter zu kämpfen. Freunde, die immer für sie da sind.
Vor einem dreiviertel Jahr hat sie mit Kampfsport angefangen. Ihr bester Freund gibt Kurse und hat sie dazu ermutigt. Sie darf dort so mit trainieren. Von ihrer Grundsicherung könnte sie es sich nicht leisten. Um Gürtelprüfungen zu machen musste sie sich aber in einem Verband anmelden. Das Training ist für sie weiter Kostenfrei, da ihr Freund und Trainer dies über eine Sportförderung laufen lässt. Er hat sie in den Kurs geholt, damit sie mehr Selbstvertrauen gewinnt. Leute kennen lernt. Sich auspowern kann und für ihren Körper wieder ein besseres Gefühl bekommt.
Seit fast vier Wochen hat sie einen Freund. Es ist für sie noch fremd und ungewohnt. Das ist bisher ihre längste Beziehung. Sie fühlt sich sicher in seiner Gegenwart. Er nimmt sie so an, wie sie ist. Respektiert und toleriert ihre Erkrankung. Unterstützt sie und ist für sie da. Wenn es ihr nicht gut geht, kommt er vorbei und baut sie wieder auf. Wenn sie ihre Ruhe braucht, gibt er sie ihr. Er ist einfühlsam und setzt sie nicht unter Druck. Sie kann sich bei ihm anlehnen und fühlt sich zum ersten Mal seit langem sicher an seiner Seite. Es tut ihr gut auch, wenn es ihr schwer fällt dies zuzugeben.
Sie hat ein Forum gegründet. Zur Selbsthilfe und um anderen zu helfen. Das läuft gut. Sie hat dort viele User lieb gewonnen. Sie zeigen ihr auch, dass sie etwas Wert ist. Dass sie etwas geschaffen hat, was anderen eine Art zuhause gibt. Redet mit ihnen über Probleme, versucht zu helfen. Oder macht mit ihnen Späße und redet über das Wetter. Die positiven Rückmeldungen geben ihr viel Kraft. Sie hat gelernt wieder anderen Menschen vertrauen zu können. Sich zu öffnen und zu erzählen. Zuzuhören und helfen.
Viele Menschen lesen gerne ihre Texte und sind Fans ihrer Bilder und Zeichnungen. Für sie ist das normal und mit etwas Übung kann das jeder. Sie weiß nicht so recht, was sie damit anfangen soll. Es bringt ihr ja nicht wirklich etwas, denkt sie. Was soll sie damit anfangen? Dennoch hat sie Texte veröffentlicht und verschenkt viele Bilder. Die beschenkten freuen sich und sie kann sich freuen, dass sie anderen eine Freude bereitet hat.
Es war ein langer, steiniger Weg bis zu diesem Punkt. Mit einigen Einbrüchen und Krisen. Trotzdem führt der Weg in eine neue Richtung und sie hat sich zum ersten Mal seit langem für das Leben und nicht dagegen entschieden. Auch, wenn sie häufig den Wunsch verspürt wieder alles hinzuschmeißen und zu zerstören. Es ist jeden Tag ein neuer Kampf. Oft fühlt sie sich depressiv und antriebslos. Will sich nur noch ins Bett verkriechen. Aber durch ihre Freunde und ihren Willen schafft sie es meistens doch noch aufzustehen. Sie weiß, dass sie noch einen langen Weg mit harter Arbeit vor sich hat aber zum ersten Mal seit Jahren hat sie das Gefühl, dass sie es schaffen könnte.


Ein Herz

Ein Herz das Schmerzt
Das hat Gefühle
Ein Herz das weint
Hat eine Geschichte

Ein Herz das lacht
Hat Freunde
Ein Herz voll Wärme
Gehört einem tollen Menschen

Ein Herz das nie schmerzt
Zeugt von Kälte
Ein Herz das nie weint
Gehört Ignoranten

Ein Herz das nie lacht
Kann auch nicht fühlen
Ein Herz ohne Wärme
Ist ein kaltes Herz

Ich will nie mein Herz
Auch, wenn es oft schmerzt
Mit einem Stein tauschen
Denn dieses Herz macht mich aus


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.03.2012

Alle Rechte vorbehalten

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