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04. 10. 2010

Alles was ich noch möchte lässt sich in drei Worten sagen: „Ich will sterben!“ Aber ich darf nicht. Man lässt mich nicht. Man sperrt mich ein um es zu verhindern. Um mich vor mir selber zu schützen. Es geht nur ums überleben… Dabei ist es doch mein Leben. Ich muss es ertragen! Warum darf ich dann nicht einfach sagen ich kann nicht mehr und aussteigen wenn ich das will? Das ist unfair. Andere bestimmen, dass ich am leben bleiben muss! Aber ich will einfach nicht mehr. Ich habe keine Lust und keine Kraft mehr. Ihr müsst mich ja nicht Tag für Tag ertragen. Jeden Tag aufs Neue den Kampf gegen euch selber führen. Den Schmerz, die Gedanken und Gefühle, die Erinnerungen, Impulse und die Hoffnungslosigkeit aushalten! Ich kann dieses Leben nicht länger ertragen, warum darf ich nicht einfach gehen wenn ich das möchte?

03. 10. 2010

Borderline ist…

Borderline ist ein ewiges Zwischendasein zwischen Leben und Tod.
Borderline ist eine endlose Achterbahnfahrt der Gefühle.
Borderline ist ein ständiger Kampf ums Überleben.
Borderline ist ein permanenter Krieg gegen sich selbst.
Borderline ist im ständigen Widerspruch mit sich selbst zu sein.

Borderline ist die Menschen zu verletzen, die einem wichtig sind.
Borderline ist das Leben in einer leeren Hülle.
Borderline ist eine Aufspaltung in Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Liebe und
Hass.
Borderline ist eine unendliche Zerstörungswut gegen sich selbst.
Borderline ist die Abspaltung der eigenen Gefühle.

Borderline ist ein Leben an der Grenze des Aushaltbaren.
Borderline ist gekennzeichnet durch ein Gefühl von innerer Leere.
Borderline ist ein Leben mit Schmerz und Narben.
Borderline ist ein Wechsel zwischen Idealisierung und Abwertung.
Borderline ist ein andauerndes, verzerrtes Selbstbild oder Selbstwahrnehmung.

Borderline ist Angst allein gelassen zu werden.
Borderline heißt nicht verstanden zu werden.
Borderline ist sich selbst zu verletzen und zu schaden.
Borderline ist oft heftigen Gefühlen ausgeliefert zu sein.
Borderline ist sich selbst zu verlieren.

Viele dieser Dinge widersprechen sich, was sie jedoch nicht gegenseitig ausschließt. Meistens dauert einer dieser Zustände nur ein paar Minuten oder Stunden und doch denkt man es hört nie auf. Und das ganze Spiel über Jahre…

Das bedeutet Borderline für mich. Damit lebe ich seit einiger Zeit. Wie lange genau kann ich nicht sagen. Das erste Mal, dass ich mich für die Diagnose interessiert habe war bei meinem zweiten Klinikaufenthalt vor knapp zwei Jahren. Mittlerweile bin ich 20 Jahre alt. Ich bin derzeitig mal wieder in einer psychiatrischen Klinik. Seit über drei Monaten schon. Ja, ich weiß, ich bin selber Schuld. Erst etwas tiefer geschnitten und Tabletten genommen. Da die Chirurgin Suizidalität nicht ausschließen konnte haben sie mich erst dortbehalten und dann wieder hierher verlegt.
Am Anfang habe ich mich nicht ernst genommen gefühlt. „lange Klinikaufenthalte tun Ihnen nicht gut, davon hatten Sie schon so viele.“ Ich hatte das Gefühl, dass sie es am liebsten gehabt hätten, wenn ich gesagt hätte Ok, ich gehe nach hause. Dann habe ich im Wochenendurlaub meine beiden Zwergkaninchen ins Tierheim gebracht, weil ich es einfach nicht mehr geschafft habe und zu oft weg war. Außerdem waren sie mir im Weg. Was wäre, wenn ich es doch schaffen sollte mich umzubringen. Was würde dann aus ihnen werden? Daraufhin bekam ich erstmal den Ausgang gesperrt. Eine Schwester hat richtig interpretiert, dass es eine weitere Vorbereitung auf den Tod war.
Später während des Aufenthaltes sagte meine Psychologin zu mir: „Wenn Sie wirklich so suizidal sind, dann müssen Sie eben hierbleiben…“ Durch diese Formulierung habe ich mich wieder nicht ernst genommen gefühlt und irgendwann habe ich dann zum ersten Mal eine Rasierklinge geschluckt. In Papier eingewickelt. Ich weiß noch, dass sie mir erst im Hals stecken geblieben ist und ich Angst hatte direkt zu ersticken. Aber dann war sie unten und ich war erleichtert. Ich wollte Schmerzen haben, wollte, dass etwas passiert. Dass sie mich von innen aufschlitzt. Aber es passierte nichts.
Neun Tage vorher hatte ich die Idee in mein Tagebuch geschrieben. Und dann besagte Tage später genauso, wie ich es beschrieben hatte durchgeführt.

*Tagebuch 19.08.2010*
Ich habe gerade eine der Klingen durchgebrochen, in Papier eingewickelt und runter geschluckt. Jetzt muss ich nur noch warten, was passiert…
*
Bis jetzt ist nichts passiert, außer, dass ich mir einbilde Krämpfe zu haben…Aber bescheid sagen kann ich auch nicht…Wahrscheinlich würden sie es mir genauso wenig glauben, wie sie es der anderen Patientin geglaubt haben…
*
Jetzt ist es schon über zwei Stunden her, aber außer, dass ich die ganze Zeit das Gefühl habe mich übergeben zu müssen und dass ich irgendwo eine Klinge im Körper habe, ist nichts passiert. Auch die Angst hält sich in Grenzen, ich warte nur die ganze Zeit darauf Blut zu spucken…
Aber ich habe Angst davor bescheid zu sagen, weil ich Angst habe, dass sie wütend oder verachtend reagieren…
*
Jetzt ist es schon drei Stunden her und die Angst kommt wohl doch…Ich habe Kopfschmerzen und mir ist übel…
*
Vier Stunden…Die Angst wird immer größer und der Wunsch bescheid zu sagen auch…Aber was passiert dann? Würden sie mich auch ins Klinikum schicken? Und wenn sie die Klinge bei mir auch nicht finden, so wie bei der anderen Patientin? Würden sie mir auch sagen ich lüge und müsse die Kosten für den Krankenwagen übernehmen? Ich habe Angst zu schlafen…Schon komisch, dass ich mich zwar getraut habe die Klinge zu schlucken, mich aber nicht traue es denen zu sagen…Aber wenn ich noch ein oder zwei Tage warte, könnte sie ja wieder auf natürlichem Weg rauskommen und keiner würde etwas merken. Aber was ist, wenn sie garnicht mehr rauskommt und sich irgendwo einnistet. Je länger ich warte, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sie bei einer Überprüfung nicht finden und mich als Lügnerin sehen…Und ich darf mich auf keinen Fall übergeben, sonst könnte sie mir den ganzen Hals aufschneiden…


Ungefähr fünf Stunden später bekam ich dann so ein schlechtes Gewissen, dass ich bescheid sagen wollte. Ich wusste allerdings noch nicht wie und ich hatte Angst vor der Reaktion. Ich hatte mich noch nicht dazu durchringen können ins Dienstzimmer zu gehen. Stattdessen setzte ich mich vorne aufs Sofa und dachte darüber nach, wie ich es am besten sage. Dann sprach mich die Schwester an, weil ich sonst um halb elf abends nicht da vorne rumsaß. Ich meinte, dass ich überlege ob bzw. wie ich ihr etwas sage. Sie fragte: „Mir persönlich oder mir als Personal?“ „Als Personal“. Wir gingen hinten in den Raum und ich sagte es ihr. Ihre erste Reaktion war: „Nein! Das ist nicht ihr Ernst…“ Ich antwortete: „Doch…“ „Sie meinte: „Wenn ich das glauben würde – und ich muss es glauben – dann fahren Sie jetzt hoch ins Klinikum.“
Die Schwester meinte während des Wartens zu mir, wenn ich es nicht gemacht habe, könne ich das jetzt sagen und wir würden die ganze Sache abbrechen und zurück fahren. Ich war kurz davor es ihr zu sagen, als der Arzt wieder kam.
Auf dem Ultraschall hatten sie sie schon gesehen. Beim Röntgen hieß es erst, dass nichts zu sehen sei, sie aber nochmal auf einem größeren Bildschirm gucken würden. Die Angst, dass mir keiner glaubt war wieder da. Dann hieß es aber, dass sie sie gefunden haben.
Nach Mitternacht war ich erleichtert. Falls ich jetzt sterben würde, würde mein Todestag nicht auf den Geburtstag meiner Schwester fallen…
Auf die Frage warum ich das gemacht habe, antwortete ich immer, dass ich mir Schmerzen zufügen wollte. Ansonsten war ich eher schweigsam. Die Schwester versuchte mich (und vielleicht auch sich) aufzumuntern. Für mich war das Schlimmste, dass ich zum röntgen die Hose weiter runterziehen musste und den BH ausziehen musste. Vor zwei Männern.
Der Arzt erklärte mir dann, was alles passieren könnte, wenn die Klinge mir den Darm aufschneidet. Dass ich entsetzliche Schmerzen hätte, die ich mir noch nicht einmal vorstellen könnte. Ich habe mir nur gedacht: „Du kannst mir keine Angst machen!“ Dann musste ich unterschreiben, dass sie eine Magenspiegelung machen dürfen, dass ich weiß, dass ein erhöhtes Blutungsrisiko besteht, dass sie im Zweifel sofort operieren dürfen und, dass ich weiß, dass ich dabei sterben könnte und dass ich auf die 24 Stunden Bedenkzeit verzichte.
Ich hatte mir gewünscht nie wieder aus der Narkose aufzuwachen…
Über Nacht war ich dann dort auf Station und weiß nur noch, dass jede Stunde die Schwester da war und ich kurz wach wurde, dass ich mir irgendwann in der Nacht die Braunüle rausgerissen habe und, dass ich an verschiedenen Geräten angeschlossen war. Am nächsten Morgen wurde ich dann wieder hierher verlegt. Als ich dort noch im Rollstuhl auf dem Gang war, stand der Arzt mit einigen Studenten dort und sagte laut: „Und das ist eine Patientin aus dem Noll, die eine Rasierklinge geschluckt hat, die wir durch eine Magenspiegelung entfernen konnten.“ Alle haben mich angeguckt und ich habe den Arzt dafür gehasst.

In der Visite musste ich dann erstmal eine Freiwilligkeit unterschreiben für zwei Wochen. Dass ich hier bleibe, dass ich weiß, dass die Tür geschlossen sein kann, dass ich am Wochenende keinen Ausgang habe und, dass ich die angeordneten Medikamente einnehme…
Und immerhin hatte ich nicht nur das Gefühl, dass sie mir Vorwürfe machen.

*Tagebuch 21.08.2010*
Ich habe immer noch permanent den Gedanken daran wieder Klingen zu schlucken. Würde ich es schaffen mehr als eine runter zu kriegen? Würde ich es schaffen nicht bescheid zu sagen? Und falls sie es doch mitkriegen, würde ich es schaffen mich zu weigern meine Unterschrift zu geben, damit sie sie nicht wieder rausholen dürfen?
Am besten nehme ich diesmal auch etwas anderes als Papier um sie runter zu bekommen. Irgendetwas, das sich schneller auflöst…
*
Eine Bekannte hat es doch meiner Mutter erzählt…“Das Rasierklingen schlucken ist bei weitem nicht so gefährlich, wie immer behauptet wird!“ War ihr einziger Kommentar dazu.

*Tagebuch 22.08.2010*
Am liebsten würde ich jetzt wieder was machen, aber ich will nicht, dass sie mir beim Sterben zugucken müssen. Und reden kann ich auch nicht. Ja, ich habe sie angelogen, ich habe noch Rasierklingen. In der Hinsicht sollte man mir sowieso nie glauben…
Ich kann sie nicht abgeben! Dann würde ich mich noch hilfloser und ohnmächtiger fühlen. Es geht einfach nicht. Ich will einfach nur noch nach Hause und in Ruhe sterben dürfen. Und von Tiefenbrunn verspreche ich mir auch nicht viel, aber sie wollten ja irgendetwas hören, was ich vorhabe, da ist es doch nachvollziehbar, dass ich ihnen irgendwann irgendetwas erzähle. Ich will garnichts mehr und ich kann mir auch nichts mehr vorstellen, außer zu sterben! Einfach dieses beschissene Leben endlich beenden! Warum muss das nur alles so schwer sein?

*Tagebuch 23.08.2010*
Ich habe schon den ganzen Tag über eine Frage im Kopf…Was würde passieren, wenn ich wieder eine oder mehr Klingen schlucke und vorher eine Patientenverfügung schreibe, dass ich keinen Untersuchungen oder Eingriffen zustimme! Was dürften sie dann machen?
Einerseits lassen sie mich den ganzen Tag alleine, wo ich alles Mögliche machen könnte, andererseits ermahnen sie mich, dass sie das Küchenmesser nach dem Gurke schneiden wieder haben wollen…
Und ich habe immer noch das Gefühl, dass mir die meisten möglichst aus dem Weg gehen. Oder es mir persönlich übel nehmen, dass ich es gemacht habe und mich dafür verachten!
*
Warum müssen sie es mir so schwer machen? Warum können sie mich nicht einfach gehen lassen??

*Tagebuch 24.08.2010*
Und wieder sind sie da. Diese Gedanken. Eine Bekannte hat mir die Illusion genommen, dass es etwas bringen würde, wenn ich eine Patientenverfügung schreibe…Also darf ich auf keinen Fall bescheid sagen, wenn ich wieder etwas mache. Ich kann auch nicht vorher bescheid sagen, weil sie es verhindern würden und das darf ich nicht zulassen! „Das Leben ist ein Spiel…nur ich spiele mit meinem Leben!“
Ich hasse mich dafür. Jeden Moment habe ich das Gefühl ertappt zu werden… Dass sie mich dafür hassen und verachten, dass ich so bin… Dass ich mich von den Gedanken nicht distanzieren kann! Dass ich keine Angst davor habe, was ich tun könnte, sondern mich damit abgefunden habe… Dass ich es wieder versuchen muss… Ich habe das Gefühl, dass es eine Sucht wird. Dass ich mich immer wieder in solche Situationen begeben muss. Dass ich das Gefühl haben muss, dass ich daran sterben könnte. Dass ich immer mehr machen muss… In den letzten Jahren sind die Schnitte immer tiefer geworden, die Tabletten immer mehr und auch jetzt habe ich das Gefühl, dass nur eine Rasierklinge zu schlucken nicht mehr reicht. Dass ich mehr machen muss. Und ich weiß, dass ich keine Ruhe haben werde bevor ich nicht wieder was gemacht habe. Wahrscheinlich wird es auch dann nicht aufhören, sondern erst, wenn ich es geschafft habe zu sterben.
Ich hasse und verachte mich dafür, dass ich so bin! Dass ich andere Leute hilflos mache, dass sie sich Sorgen machen… Dass ich es einfach nicht lassen kann, dass ich nicht bescheid sagen kann, dass ich keine Hilfe zulassen kann… Dass ich Leute verletze.
Aber selbst wenn ich es jetzt irgendwie schaffe nichts zu machen (auch wenn ich noch nicht weiß, wie), würde es doch nichts bringen. In ein paar Wochen käme die nächste Krise und dann würde das Ganze wieder von Vorne anfangen! Irgendwer hat mir mal gesagt, dass es mit der Zeit besser wird. Dass die Krisen kürzer und weniger intensiv werden… ich glaube da nicht mehr dran. Mit jedem Mal wird es schlimmer und es dauert immer länger…
Ich will einfach nicht mehr. Ich halte es nicht mehr aus… Dieses ewige Aushalten und Überleben bin ich Leid! Dieser ständige Zustand zwischen Leben und Tod. Weder leben zu können, noch sterben zu können. Ich halte das nicht mehr aus! Ich will nur, dass es ein für allemal zu Ende ist! Dass ich endlich sterben darf!!
*
Jetzt ist es halb sieben. Es tut mir Leid, aber ich habe es wieder getan. Dieses Mal sind es zwei Klingen, wieder in Papier eingewickelt…Es tut mir Leid, dass ich Sie angelogen habe und nicht alle Klingen abgegeben habe, aber ich konnte nicht… Ich konnte auch nicht vorher bescheid sagen, ich habe es einfach nicht geschafft… Es musste sein, der Drang war einfach zu groß. Ich habe es nicht mehr ausgehalten… Und auch jetzt kann und darf ich nichts sagen! Ich kann und will nicht weiter leben…Es soll einfach endlich alles vorbei sein!!
Es tut mir Leid…
*
10:00 Uhr: Jetzt habe ich doch ein schlechtes Gewissen und würde am liebsten bescheid sagen…Aber ich habe Angst! Dann würde ich nur wieder überleben und müsste ihnen wieder gegenüber treten…
Außerdem habe ich garkeine Lust wieder ins Klinikum zu fahren und wieder die ganzen Untersuchungen zu haben. Aber, wenn ich garnicht bescheid sage und sie kriegen es irgendwie mit, dann sind sie bestimmt noch wütender und enttäuschter, als wenn ich es sage…Ich halte das nicht mehr aus! Ich will, dass es aufhört! Dass ich mit jemandem reden kann ohne, dass was passiert und ohne, dass sie genervt, sauer oder enttäuscht sind… Aber ich weiß selber, dass das nicht geht…
Warum muss ich mir eigentlich immer über alles so viele Gedanken machen??
Und warum kann es mir nicht einfach egal sein, was andere von mir denken?


Ich hatte natürlich doch noch bescheid gesagt. Und es im gleichen Moment bereut, als der Pfleger wütend und verachtend reagiert hat. Mit dem AVD und dem Pfleger konnte ich danach nicht mehr reden. Dann wurde ich gefilzt und der Pfleger wollte meinen Schrankschlüssel haben. Ich bin mit einem Pfleger von einer anderen Station ins Klinikum gefahren. Bei meinem Glück war es der gleiche Arzt wie beim ersten Mal. Ich hatte keine Lust zu reden und habe nur die nötigsten Antworten gegeben. Auf die Frage, wie man sich nur so sehr hassen könnte, antwortete ich nicht. Er hätte mich sowieso nicht verstanden. Erst wollte ich meine Unterschrift zur Magenspiegelung nicht geben. Der Arzt fragte nur ob ich nicht unterschreiben wolle. Ich reagierte nicht. Darauf sagte er nur, dann müssen wir es eben zwangsweise machen und der Pfleger sagte genervt: „Jetzt unterschreiben Sie doch einfach!“ Ich unterschrieb.
Nachdem ich aus der Narkose aufgewacht war, konnte ich nicht mehr schlafen. Der Pfleger meinte die ganze Zeit ich solle nochmal ein bisschen die Augen zumachen, aber es ging nicht, weil ich mich von ihm beobachtet gefühlt habe. Er meinte er an meiner Stelle würde auf der Stelle einschlafen…
Um vier Uhr morgens waren wir dann wieder hier. Der Pfleger hat mich direkt ins Zimmer geschickt. Ein paar Minuten später kam er nochmal und fragte, ob ich was zum schlafen bräuchte. Er gab mir nochmal Atosil.

Am nächsten Morgen waren sie recht unfreundlich. Ich hatte gerade meine Periode bekommen und kam nicht an meine OBs, da sie noch meinen Schrankschlüssel hatten. Es war mir auch viel zu unangenehm das zu sagen, also versuchte ich es irgendwie so. Eine Schwester fragte mich, ob das jetzt ein neues Hobby von mir wird…
Sie haben meine Sachen nochmal gefilzt und ich habe die letzten Klingen freiwillig abgegeben (was ich später oft bereuen würde). Danach fühlte ich mich noch hilfloser und einsamer. Ich hatte Angst, was sie in dem nächsten Gespräch sagen würden und hatte selber keine Ahnung, wie es weiter gehen sollte oder könnte.

*Tagebuch 26.08.2010*
Wieder ist ein Tag rum und ständig diese Gedanken und das Bedürfnis mich zu zerstören. Die ganze Zeit dem Drang zu widerstehen ein Glas zu zertreten und Scherben zu schlucken und mich von Kopf bis Fuß aufzuschlitzen… Gedanken daran mich mit Handschellen auf einem ICE- Gleis anzuketten und die Schlüssel wegzuwerfen oder runter zu schlucken um erst garnicht auf die Idee zu kommen es mir doch anders zu überlegen! Zuhause Rasierklingen zu schlucken, mich aufzuschlitzen und Tabletten zu nehmen…Lauter solche Gedanken und den Drang was zu machen den ganzen Tag. Unterbrochen von kurzen Momenten in denen ich mich damit abfinde weiter existieren zu müssen oder Erinnerungen an meine Familie, an die Zeit bei meiner Oma, das Jugendamt, die Wohngruppe, die 1. und 2. Pflegefamilie, an die Orientierungsstufe, das Felix-Klein-Gymnasium und das Otto-Hahn-Gymnasium. An die Asklepiosklinik und Tiefenbrunn. An die Missbräuche.
Dann wieder das Bedürfnis mich zu zerstören, zu sterben, damit dieses scheiß Leben endlich vorbei ist! Ich halte das nicht mehr aus! Und selbst wenn ich bescheid sage, was könnten sie schon dagegen machen?


Die nächsten Tage waren geprägt von dem Drang mich zu zerstören, und Gedanken daran das Leben zu beenden. Alpträume und dauerhafte Anspannung. Zu planen, was ich in meinem nächsten Ausgang mache und der Kampf zwischen bescheid sagen oder mir nichts anmerken zu lassen. Dann war es so weit. Alle dachten es ginge mir besser und ich hatte am Wochenende Ausgang über Nacht…
Ich hatte einen Abschiedsbrief geschrieben…

04. September 2010

Ich habe schon wieder den Drang Rasierklingen und Tabletten zu schlucken. Mich nur zu ritzen reicht mir einfach nicht mehr. Sie können mich weder verstehen, noch mir helfen oder mich aufhalten…Ich weiß, dass ich einen Anti-Suizid-Vertrag unterschrieben habe, und ich wusste schon vorher, dass ich ihn wahrscheinlich nicht einhalten würde. Ich weiß, dass sie wieder sauer und enttäuscht sein werden, aber ob ich es jetzt mache oder in einer Woche, wenn ich entlassen bin, was macht das noch für einen Unterschied? Wenn ich es schaffe nicht wieder aufwachen zu müssen, dann ist es egal, und wenn ich wieder aufwachen muss, dann ist es auch egal, weil Sie jetzt enttäuscht und sauer sind und ich wieder in die Klinik muss und wenn ich es nach meiner Entlassung mache und überlebe, dann würde ich ebenfalls wieder in der Klinik landen.
Ich habe kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich nicht mehr leben möchte und ich fand Ihre Interpretationen in mein Handeln zwar interessant, aber für mich ist der Grund viel simpler. Ich will dieses Leben einfach nicht länger ertragen müssen!
Ich weiß, dass Sie das nicht wollen, aber letztendlich ist es mein Leben und Sie müssen nicht damit klarkommen. Das Verfahren interessiert mich deshalb so wenig, weil ich garnicht vorhabe noch so lange am Leben zu bleiben. Ihr Eindruck, dass es mir besser geht, stimmte auch nicht. Ich habe mir nur verboten mich nochmal zu verletzen, damit ich Ausgang bekomme oder entlassen werde. Auch der Eindruck, dass ich mich mehr öffne und mehr rede, stimmt zwar in gewisser Hinsicht schon, aber in Hinsicht auf Suizidgedanken habe ich den Kontakt eher abgebrochen. Ich habe kaum noch darüber gesprochen, weil es nichts gebracht hätte. Sie hätten versucht es zu verhindern und das wollte ich ja nicht. Und wenn ich weiterhin darüber geredet hätte, was in mir vorgeht, hätte es nur wieder die Patzsituationen gegeben, ich hätte Sie hilflos gemacht und hätte mich noch schlechter gefühlt…Ich will Sie nicht verletzen oder enttäuschen, aber ich weiß einfach keinen anderen Ausweg mehr. Ich halte es einfach nicht mehr aus, ich will einfach nicht mehr. Ich kann mich und dieses Leben nicht mehr ertragen, ich will nicht länger in der Klinik sein, ich will aber auch nicht in meiner Wohnung sein. Ich möchte einfach überhaupt nicht mehr sein. Ich will nicht mehr leben, es gibt nichts mehr, was mir Spaß macht und das ewige Aushalten bin ich Leid. Und ich habe keine Hoffnung mehr, dass es irgendwann aufhört…Es tut mir Leid, aber ich will auch nicht länger am leben bleiben, weil es von mir erwartet wird…Ich kann einfach nicht mehr!


*Tagebuch 04.09.2010*
Wenn ich mich umbringe muss ich mich nicht mehr aushalten.
Ich bin selber so angekotzt von mir…
Ich habe Angst vor dem Leben, aber keine vor dem Tad!
*
Jetzt bin ich zuhause. Ich habe sieben Rasierklingen irgendwo in mir…Gerade lese ich viel über Borderline und Suizid. Ein Teil von mir fragt sich, warum ich es wieder gemacht habe und will mit jemandem reden. Aber die Angst ist zu groß. Die Angst vor Verachtung, Wut oder Vorwürfen. Angst vor blöden Sprüchen oder übertriebenen Reaktionen. Der andere Teil will sich verletzen. Zur Klinge greifen und schneiden. Tabletten schlucken um das Bewusstsein zu verlieren und einfach abzuwarten was passiert…
„Suizid löst keine Probleme… Aber er beendet sie!“


Die nächsten Tage war ich irritiert, dass ich morgens aufgewacht bin ohne, dass was passiert ist. Ich spürte höchstens mal ein Drücken oder Stechen…Ich habe oft überlegt, ob ich bescheid sage, hatte aber Angst davor und keine Lust wieder ins Klinikum zu fahren. Außerdem hatte ich einen Termin außerhalb und wenn ich vorher bescheid gesagt hätte, hätte ich keinen Ausgang mehr. Nebenbei gefiel mir die Vorstellung, dass ich jeden Moment zusammenbrechen oder Schmerzen bekommen könnte. Die Vorstellung beunruhigte mich keineswegs, im Gegenteil, sie machte mich ruhiger und mir ging es besser.

*Tagebuch 07.09.2010*
Ich will, dass ich endlich richtige Schmerzen bekomme, dass ich zusammenbreche und bewusstlos werde und am Besten nie wieder zu mir komme! Am liebsten würde ich gerade ein Glas zerschmettern und mit einer spitzen und scharfen Scherbe die Pulsadern durchschlagen oder die Hauptschlagader…Aber ich weiß eh, dass ich das nicht könnte deshalb sollen mich endlich die Klingen von innen aufschlitzen!!!
*
Ich habe gerade nur noch das Gefühl total überfordert zu sein, dass morgen mit dem Termin zu schaffen… Am liebsten würde ich mich gerade im Bad einschließen und mich mit meinem Gürtel erwürgen…
Ich habe Angst!
Und dass Rasierklingen schlucken gefährlich sein soll, kann mir auch keiner mehr erzählen!..


Am nächsten Abend habe ich es in schriftlicher Form gesagt. Und am nächsten Tag war ich den ganzen Tag über im Klinikum. Auf den Röntgenbildern war nichts zu sehen. Ich dachte nach dem Röntgen, dass ich das Schlimmste (Oberkörper frei machen) geschafft hätte. Dann wollten sie noch eine Darmspiegelung machen, weil sie dachten, dass sie so die Klingen entfernen könnten. Das hat aber nicht funktioniert. Die Ärztin wollte mich da behalten über Nacht. Und eine Sitzwache anfordern, was aus personellen Gründen nicht ging. Dann kam ich auf eine Station, wo die meiste Zeit eine Schwester im Raum war. Ich wurde an ein EKG angeschlossen. Ich vermute, das diente nur dazu, dass sie es mitbekommen sobald ich aufstehe. Mir ging es nicht so gut. Ich fühlte mich ekelhaft und dreckig. Und hatte Suizidgedanken und Impulse und dazu jede Menge Erinnerungen und Flashbacks. Ich war die ganze Zeit nur am weinen. Am Abend haben sie mich dann doch wieder ins Noll verlegt, weil sie Angst hatten, dass ich noch was machen könnte. Der Arzt, der mich hier wieder aufgenommen hat fragte mich, ob ich eigentlich wüsste, dass ich die Ärzte im Klinikum in Angst und Schrecken versetzt hätte. Ich versprach ihm in der Nacht nichts mehr zu machen und in Bezug darauf, wie wir die Klingen wieder rausbekommen, das zu tun, was sie mir sagen. Ich musste das ganze Wochenende über Sauerkraut essen und drei Klingen waren auf natürlichem Weg rausgekommen. Die anderen vier wurden entweder übersehen oder auf den Röntgenbildern nicht gefunden.
Ich musste unterschreiben, dass ich freiwillig noch vier Wochen bleibe. Dann hatte ich vier Wochen nur Ausgang mit Personal. Und wurde durch Medikamente bewusst gedämpft, damit ich nicht mehr so starke Impulse habe. Das hat nicht viel gebracht, ich habe mich zwar körperlich ziemlich schwach gefühlt, aber die Gedanken blieben unverändert, außer, dass ich mich nun verletzte um wieder einen Bezug zu meinem Körper zu haben.
Jetzt habe ich endlich wieder Ausgang alleine, nach Absprache mit Zeitangabe und nur auf dem Gelände. Ich bin froh, weil mir hier so langsam die Decke auf den Kopf fällt. Andererseits denke ich schon wieder die ganze Zeit über, dass ich hier nichts mehr machen darf, damit ich wieder Ausgang bekommen oder entlassen werden kann und zuhause mehr Möglichkeiten habe etwas zu machen. Ich wünsche mir so oft, dass ich noch Klingen hätte…

01. 10.2010

Meine Freundin

Meine beste Freundin
Die Klinge
Ich vermisse Dich
Ich wünsche mir Dich herbei
Sehnlichst
Fühl mich verloren ohne Dich
Fühl mich verlassen ohne Dich
Warst mir immer treu
Doch wo bist Du jetzt?
Lass mich nicht allein
Ich fühl mich so einsam
Ohne Dich
Brauche Dich
Komm zurück
Hilf mir
Den Druck zu besiegen
Mir Schnitte zuzufügen
Wo bist Du nur?
Lass mich nicht allein
Ich brauche Dich so sehr
Komm bitte wieder her
Halte es ohne Dich nicht aus
Ich muss hier raus
Wünsche mir Dich herbei
Und bleibe damit allein
Fühl mich verlassen und verraten
Selbst meine Tränen lassen mich im Stich
Kann nicht weinen
Und nicht schreien
Will mich schneiden
Mein Blut fließen sehen
Um die tröstende Beruhigung zu spüren
Um nicht mehr so allein zu sein
Denn dann hab ich ja Dich
Und mein Blut
Bitte lasst mich nicht im Stich!

Ich fühle mich total alleine und kann es auch nicht lassen mich selber zu verletzen. Zwar nur oberflächlich oder garnicht sichtbar, aber ganz lassen kann ich es nicht… Und bescheid sagen tue ich deshalb auch nicht, sonst würden sie mir nur wieder den Ausgang sperren und ich müsste noch länger hier bleiben. Ich habe das Gefühl garnicht mehr aus den Gedankenkreisen rauszukommen und habe immer noch starke Suizidgedanken und Impulse. Ich fühle mich wie eine tickende Zeitbombe und will einfach nicht mehr leben. Um den Schmerz, die Gedanken, Bilder, Erinnerungen und Gefühle nicht mehr ertragen zu müssen. Die Hoffnungslosigkeit und Freudlosigkeit nicht mehr aushalten zu müssen. Den Selbsthass und die Verzweiflung nicht mehr spüren zu müssen. Einfach nicht mehr existieren zu müssen.

09. 10. 2010

Verlorene Freude

Freude existiert für mich nur noch als Wort
Dieses Gefühl dazu ist einfach fort
Doch wo ist es eigentlich hin
Wüsst gern wie ich es wiederfind.

Verbannt hab ich sie aus meinem Leben
Was würd ich nicht darum geben
Kehrte sie zurück zu mir
Ich bin „hier!“

Kann sie nicht finden
Und an mich binden
Sucht sie mich auch?
Dann mach dass sie auftaucht!

Will dass sie zurückkehrt zu mir
Mir gibt ein neues Ziel
Freude zu haben am Leben
Was würd ich nicht dafür geben.

So wie es jetzt ist und ohne Freude möchte ich einfach nicht mehr leben müssen. Ich warte eigentlich nur noch auf die richtige Gelegenheit. Das kann zwar noch Wochen oder Monate dauern, aber ich weiß, dass ich früher oder später sowieso wieder versuchen werde dieses Dasein zu beenden. Deshalb könnten sie mich auch einfach direkt nach Hause lassen… Es hat doch sowieso keinen Sinn mehr und ist nur verlorene Zeit…

„Ich lebe zwar noch, aber meine Suizidgedanken auch!!!“

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Tag der Veröffentlichung: 16.10.2010

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