Seit zwei Wochen wurde Cherice Van Damme, kurz Cherie, zur Zeit wohnhaft in Los Angeles, mit einer Vorliebe für britischen Indie Rock und James Bond-Filmen, Momentan auf Großeltern- und Elternbesuch in einer kleiner Provinzstadt Nahe der kanadischen Grenze, immer wieder von Alpträumen geplagt.
Jene Art von Träumen, von denen man schweißgebadet aufwacht, hochschreckt, den bitteren Geschmack noch auf der Zunge und im ersten Moment nicht mehr Weiß wo man sich befindet. Nach denen man orientierungslos umher schaut, in den dunklen Armen der Nacht, das Herz schneller pocht als gewöhnlich, bis das Zwielicht dich wieder in den Schlaf trägt, zurück in das warme Federbett und man weiterschlafen sollte.
Aber auch jene Art von Träumen bei der man trotz der Unheimlichkeit und Horror ein gewisses Wohlbefinden empfindet und das man im Halbschlaf den Morgen erwartet, die Decke bis ans Kinn hoch gezogen hat und noch vor den ersten Sonnenstrahlen dazu verdammt wird aufzustehen und durch das Haus zu geistern.
So lag nun das dunkelhäutige Mädchen in ihrem Bett, die Bettdecke schützend an ihr Kinn hochgezogen und die Augen geschlossen mit wummernden Herzen.
Der Traum war wieder gekommen in dieser Nacht.
Es war dunkel und kühl. Dann im nächsten Moment schossen kleine Flammen in einem geschlossenen Kreis in die Höhe. Einen Wimpernschlag später beruhigte sich das Feuer und ein Kreis aus herunterbrennenden Kerzen war auszumachen.
Als Nächstes folgte ein gleichmäßiges Brummen und einsetzender Gesang zur in einer fremden Sprache. Die Worte kamen leicht über die Lippen, auch wenn sie hart waren und alleine bei der Niederschrift beim Lesen ins Stolpern geriet.
Es dauerte einen Augenblick bis sich Cherie der Quelle der Stimme bewusst wurde. Doch die Worte kamen eindeutig von Cherie selber. Schon zum zweiten Mal wiederholte sie den Text. Noch Begriff sie den Sinn der Worte nicht, doch wusste sie, dass es richtig war.
Die Gewissheit, dass der Text, der Singsang, sie schützen würde, kam von ihr selber. Es war beruhigend und erschreckend zu gleich, wenn man sich gegen das Unbekannte schützen konnte. Es war nicht jene Art von Gewissheit, die man oft in luziden Träumen spürte, dass man die Welt kontrollieren konnte. Denn man konnte danach aufwachen und dann war alles wieder vorbei. Es war vielmehr als würde sie sich an etwas erinnern, was noch nicht stattgefunden hatte.
Im Schneidersitz auf dem Boden, mit den Handflächen nach oben gerichtet, auf ihren Knien ruhend saß das dunkelhäutige Mädchen da und wiederholte nun zum dritten Mal die Worte während diese an der unebenen Fläche der Wände wiederhallten.
Ihr Körper hörte nicht auf sie. Es war als wäre Cherie zu Gast in ihrem eigenem Körper und konnte alles empfinden doch nichts kontrollieren. So dauerte es etwas, bis sie genau sah, wo sie war.
Auf dreckigen Boden in einer Höhle saß sie, der Wind zog an ihr vorbei. Doch Weiteres hörte sie nicht- ihre Stimme im ruhigen Rhythmus und der Wind, der mit den Flammen tanzte. Ihre Kleidung lag ganz ruhig da, als würde der Wind in dem Kreis der Flammen nicht existieren.
Ein leichter Schauer rannte ihren Rücken herunter, vom Kopf bis hin zu ihren Fingerspitzen, in denen sich der Schauer sammelte, zu einem starken Prickeln heranfloss und letzendes in einem Pochen endete.
Cherie konzentrierte sich nicht auf das Pochen in ihren Händen, Widerstand dem Drang die Hände zurück zu ziehen, sie zu einer Faust zu ballen, mit dem Sprechen aufzuhören und einfach zu Verschwinden. Doch wusste sie trotz dieser Absurdität der Situation, dass es richtig war. Und aus irgendeinem Grund wusste sie auch, dass sie es selber hierzu kommen lassen hatte.
War es gälisch oder Französisch? Nein, dafür war die Sprache zu hart. Auch für Cherie jede andere bekannte Sprache, waren die Worte zu hart.
Ruhig sprach sie weiter. Sie wusste gleich würde es wieder passieren.
Dank des Flammenkreises erzeugte Cherie vielfache Schatten an die Wände, die ruhig vor sich hin tanzten und nicht von ihrer Seite weichen würden.
Gleich würde es kommen.
Auch dieser Traum enttäuschte sie nicht. In der Ferne hörte sie zwei Stimmen, zunächst ganz leise, eher ein leichtes Schaben, doch dann kamen sie näher. Das Schaben wurde zu einem aggressiven Flüstern und nahm mehr und mehr die Gestalt eines wütenden Kleinkindes an, dessen Halloweensüßigkeiten man gestohlen hatte. Doch es waren keine kleinen Kinder, dafür bekam die Stimmen einen zu verzerrten Ausdruck und kamen rasend näher.
Beim ersten Mal hatte Cherie versucht zu verschwinden, denn die Stimmen hatten etwas Bedrohliches an sich, sie wusste selber dass die Stimmen kamen um sie zu holen. Doch das brachte ihr nur ein stark pochendes Herz und starke Neugierde ein. Was waren das für Stimme? Und mit jedem Traum schaffte sie einen Schritt weiter, in jedem Traum waren die Kerzen ein wenig weiter runtergebrannt, jedes Mal schaffte sie einen Teil einer Strophe mehr, bis sie diese Stelle des Traumes mit Ruhe überwand.
Die Stimmen jagten Cheries ruhigen und gleichbleibenden Gesangs hinterher. Die Wiederholung Nummer acht würde nun anstehen. Das Pochen in ihren Händen schwoll immer noch an, die Flammen der Kerzen tanzten unruhig, flackerten. Dann erhoben sie sich.
Gerade als die Verursacher der Stimmen den Raum betraten.
Lange, knochige Beine, die nichts mehr als aus Knochen und schwarzer Haut zu bestehen schienen, betraten als erstes den Raum. Dicht gefolgt von langen Armen an denen große schaufelartige Hände waren, deren einzelne knochige Finger mindestens einen halben Meter maßen. Trotz der Dunkelheit, die in der Höhle herrschte und tintenartige Schwärze aus denen die Wesen bestanden, konnte man sie aufgrund eines blassblauen Lichtes um sie herum erkennen. Ihre Hände griffen an den Rand des Toreinganges zur Höhle und zogen sich und den mageren Rest von sich hinein. Beide Wesen besaßen löwenartige Köpfe, bei dem einem fehlte die Schädeldecke und gab Preis auf ein besonders hässliche verwesende Gehirn, dass durch sonderbare Kräfte an Ort und Stelle gehalten wurde. Bei dem Anderen der untere Kiefer, und die gleichen leeren Augenhöhlen. Obwohl sie keine Augen besaßen, hatte Cherie vom ersten Augenblick gewusst, dass sie mehr sahen, als sie es mit ihren erbärmlichen Menschenaugen je sehen würde.
Als letztes zogen sie ihren Oberkörper herein, bei dem Rippen und die Wirbelsäule sah und kletterten an den Wänden entlang. Ihr Tempo hatten sie rasant gedrosselt und bewegten sich nun in aller Ruhe, pirschten sich voran.
Doch etwas Weiteres kennzeichnete die seltsamen Wesen. Sie bewegten sich mit einer Eleganz, die es ihre Anatomie eigentlich gar nicht möglich machen sollte.
Diese Wesen waren dazu bestimmt Alpträume zu verursachen.
Doch Cherie saß nur ganz ruhig da in dem Kerzenkreis vor sich hinsprechend diese seltsame Strophe- wieder und wieder. Jedes dritte Mal sprach sie eine zusätzliche Verse, die vor ihren inneren Augen einen hellen Funken erstehen ließ.
Kieferlos kam näher an den Kreis heran und beäugte das Mädchen in der Mitte. Sein Partner krabbelte an der Wand entlang und hielt zu Cheries linken Seite Platz, während aus seinem Schädel eine schwarze Flüssigkeit sich sammelte und zu Boden tropfte.
Bei jeder ruckartigen Bewegung ihrer Köpfe knackte etwas an ihrer Wirbel. Wahrscheinlich holten sie diesen Trick erst raus, wenn jemand in der Nähe war. Normalerweise von Ekel gepackt, blieb Cherie ruhig. Sie sprach die Strophe weiter und schaute nach oben an die Decke.
Die Wesen blieben einen Moment stehen und beobachteten das Mädchen in dem Feuerkreis, wie ein Raubtier seine Beute. Dann rissen beide zeitgleich den Mund auf, Kieferlos ließ seine modernde Zunge diabolisch raushängen und verteilte lange, nach Abfall stinkende Speichelfäden in der Luft.
Direkt aus dem Stand ohne Schwung zu holen, sprangen sie auf Cherie los. Wollten sie in Stück zu reißen, jeden Knochen in ihrem Körper zu brechen, sie jeden einzelnen Nerven in ihrem Körper vor Schmerz aufschreien spüren, bis sie lieber tot sein wollte, als weiter zu leben, doch dann würden die Wesen sie aus dem Alptraum in ihrem Kopf loszulösen und es dann wirklich in die Tat umsetzten. Sie waren hier um zu fressen, um sich an dem jungen Fleisch gütlich zu tun. Sie würden sie erst in den Wahnsinn treiben, sie dann raus holen und die Schmerzen noch einmal erleiden lassen, denn das konnten sie. Denn von Fleisch alleine konnten diese Alptraumwesen nicht. Sie brauchten Schmerzen, Leiden und den Wunsch zu Sterben um weiter leben zu können.
Doch darauf war Cherie vorbereitet gewesen und ebenso schnell loderten die Flammen auf, bildeten eine schützende Feuerwand an der sich die Wesen versengten und vor denen sie jaulend zurückwichen. Das Feuer hatte sie schnell entzündet, wie trockenes Holz reagierte die feuchte Haut auf das Feuer. Eine leichte Welle der Genugtuung ergriff Cherie. Das Feuer hatte die Wesen angesengt und machte es ihr nun einfacher zu Handeln. Die Wesen jaulten vor Schmerz und Wut.
Jetzt hielt Cherie schnell ihre Handflächen von sich gestreckt aus und ging durch das Feuer, das sich teilte und sie nur sanft streifte, ihr so ihre Zuneigung zeigten und ihr Kraft schenkte.
Sie ging durch das Feuer und auf die Wesen zu. Ihr Kopf sagte ihr gleichzeitig, verschwinde! Bleib in dem Kreis! Dort war es wenigstens sicher! und Gleich ist es vorbei!
Der letzte Gedanke war so logisch und selbstbewusst, dass er jeden Zweifel zur Seite fegte und Cherie fortführen ließ.
Ihre zierlichen Hände legten sich auf jeweils einen der beiden Köpfe der Wesen. An ihren Händen befanden sich einige Ringe und Armbänder, die ihr jetzt erstauffielen, die aus Silber und edlen Steinen gemacht wurden, die ihr nun Kraft spenden sollten und in buntem Licht sprudelten. Doch brauchte Cherie diese Kraft nicht. Sie besaß selber genügend davon.
Sie senkte den Kopf und schloss die Augen. Die Wesen versuchten nach ihr zu schnappen, versuchten sie zu verletzten, doch wurden sie von ihrem eigenen Schmerz in Zaum gehalten. Einzelne Hautfetzen fielen brennend zu Boden oder lösten sich bereits verbrannt von dem dunklen Fleisch und ließen nun die Wesen jenen Schmerz spüren, den sie gerne Anderen zu fügen wollten.
Es war kein einfaches Feuer, das da auf die dämonischen Wesen traf. Es war erweitertes Feuer. Feuer das angereichert war. Feuer, das zur Heilung bestimmt war. Und genau das konnten die Wesen nicht ertragen.
Doch das würde jetzt nicht alleine reichen.
Cherie rief jetzt einfache Worte auf. Zwei oder drei Sätze mehr waren es nicht.
Versuchte sie sich an diese Worte zu erinnern, wenn sie wach war, viel ihr nicht einmal eine einzelne Silbe ein, doch im Traum konnte sie es mühelos sprechen. Jedes Wort rollte sauber über ihre Zunge und erhellte den Raum.
Das Pochen in ihren Händen ging in Form von Licht und Wärme auf die Wesen über. Sie sogen die Energie schlagartig auf und verbrannten dann von Innen.
Eine starke Welle der Leichtigkeit und Euphorie ergriff Cherie in dem Moment.
Von den Wesen blieb nichts weiter als zwei Aschehaufen über. Und eine alte Maske aus schwarzem Holz in ihren Händen.
Sie spürte nicht einmal die Stellen an denen die Wesen sie mit ihren scherenartigen Krallen gestreifte hatte, ihr Wunden verpasst hatten und aus denen Blut tropfte.
Sie hatte ihre Mission erfüllt.
Dann wachte sie auf.
Andere würden nicht verstehen, worin der Horror an so einem Traum lag.
Es war schließlich alles gut gegangen.
Doch das war nicht das entscheidende.
Dass sie die zwei Seelen von Dämonen befreien konnte.
Auch nicht das sie es geschafft hatte.
Das Schlimme daran war einzig die Tatsache, dass Cherie wusste das es kein Traum gewesen war.
Es war eine Vorahnung. Eine Vision. Eine Erinnerung aus der Zukunft
Sie wusste es würde eintreten. Sie wusste, sie würde eine Macht besitzen, die man nicht mit jedem teilen durfte, die sowohl zum Guten als auch zum Bösen verwendet werden könnte. Diese Macht würde sie verändern.
Und genau das machte ihr Angst.
Es war jetzt Sonntagmorgen. Vier Uhr Dreißig in der Früh und Cherie lag mit beruhigtem Herzen und starrte an die Decke.
Und sie wusste was sie zu tun hatte.
Sie riss die Decke weg und ignorierte die Kälte, die im Raum herrschte, ließ sogar ihre Hausschuhe stehen und ging zu ihrem Schreibtisch und griff zu der eingebauten Schublade.
"Ich bin bescheuert!“, murmelte vor sich her als sie die schwere Kerze in ihre Hände nahm.
Als der Traum begann, hatte sie jede Kerze aus ihrem Zimmer verbannt. Doch hatte es nicht lange gedauert bis sie diese wieder zurück gebracht hatte.
Die Angst, dass eine der Kerzen sich spontan entzünden würde war einfach nur zu weithergeholt, doch was sie jetzt vorhatte war genauso weithergeholt.
Warum sollte es klappen?
Cherie schüttelte den Kopf und setzte sich auf den Boden auf den kleinen runden Teppich und platzierte die Kerze vor sich.
Das war doch bescheuert, wiederholte sie immer wieder, doch konnte sie sich nicht davon abhalten es zu versuchen.
Der Docht der Kerze konnte sie in dem dämmernden Licht leicht ausmachen und starrte es an.
Es war ein leicht abgebrannter Docht. Oft hatte sie die Kerze noch nicht brennen lassen, es wäre also ein leichtes sie mit einem Feuerzeug anzuzünden.
Cherie wand sich kurz ab, verlagerte ihr Gewicht.
Und starrte dann die Kerze wieder an.
Sie erinnerte sich an den Traum, setzte sich leichthin in den Lotussitz, ihr Joga Kurs war wohl doch keine Verschwendung gewesen, legte ihre Hände auf ihre Knie und atmete ruhig und bewusst, den Docht der Kerze im Blick.
Irgendwie musste sie doch an irgendetwas Spezielles denken, weil der Gedankenwirbelsturm in ihrem Kopf doch nicht zum Gelingen ihres Vorhabens beitragen konnte.
Okay, die Kerze. Die Kerze vor ihr. Nur noch diese schwere, weiße Kerze im Blick und in den Gedanken.
Die Stelle um den Docht, wo das Wachs immer flüssig und durchsichtig wurde, wenn sie brannte, die Stelle mit der man am besten mit dem Wachs spielen konnte.
Die ruhige kleine Flamme, die aus Sauerstoff und Paraffin ein ihr Leben zog.
Cherie wurde von der Kerze in ihren Bann gezogen, auch wenn sie aus war.
Dennoch visualisierte sich das Bild der brennenden Kerze immer klarer vor ihrem geistigen Auge und wurde immer klarer, langsam konnte sie auch sehen, wie die kleine Kerze die Gegend in ihr Licht tauchte, wie dadurch Schatten auftauchten und sich eine leichte Wärme von der Kerze ausging.
Einen Schritt weiter zum Ausgang, wenn man das Feuerzeug an den Docht hielt, wie die Flamme überging. Doch wie sollte sie es ohne vorherige Flamme schaffen?
Energie müsste her. Feuer.
Cheries dunkle Augen ruhten immer noch auf der Kerze.
Ach das war doch wirklich bescheuert.
Es ist ja nicht so, als ob ihr Traum irgendetwas mit der Realität zu tun hatte!
Dann zischte es auf einmal und die Kerze vor Cherie brannte auf.
Mit weitaufgerissenen Augen schaute sie auf den schwarzen Stummel. Der brannte. Ohne Feuer.
Einen Wimpernschlag später war die Flamme jedoch wieder weg.
Hatte es sich Cherie nur eingebildet? Hatte sie es sich so sehr vorgestellt, dass ihre Augen ihr einen Streich gespielt hatten?
Vorsichtig erhob sie ihre Hand und kam der Kerze zögernd näher.
"Cherie, jetzt stell dich nicht so an!", ermahnte sie sich selber und schnell packte sie den Docht an.
Er war warm.
Cherie zog die Hand zurück. Und packte sie noch einmal an.
Sie war wirklich noch etwas warm.
Und hingen über der Kerze leichte Rauchschwaden?
Cherie kneifte sich fest in den Arm. Der Schmerz ließ sie zusammen fahren.
Sie träumte doch nicht.
Jetzt dauerte es nicht mehr so lange, bis sie sich zu Ruhe gebracht hatte, auch wenn sie vor Neugierde fast platzte.
Ihr Atem ging gleichmäßig und sie hielt das Bild der brennenden Kerze im Kopf. Dann ließ sie in ihren Gedanken einen Funken entstehen und die Kerze brannte.
Und dann geschah es wirklich.
Dieses Mal ließ sie sich nicht von der Erscheinung aus der Fassung bringen und atmete in Ruhe weiter.
Sie blies die Kerze aus.
Und versuchte es erneut.
Sie schaffte es. Egal wie oft sie es versuchte, sie schaffte es.
Mit einer Fingerspitze fuhr sie über die Flamme und musste lächeln, als die Flamme ihre Nervenenden zum Aufschreien brachte.
"Sharon, was soll das?", fragte Cherice ihre Kindheitsfreundin und Nachbarin. Die beiden jungen Mädchen saßen in dem Wohnzimmer des Elternhauses von Sharon.
Das hellhäutige Mädchen mit dem kurzen blonden Bob schaute Cherice an und lächelte dabei geheimnisvoll als sie ein großes Brett zu Tage brachte.
Ein Brett aus hellem Kirschholz mit schwarzen eingebrannten Buchstaben, das ganze Alphabet, noch Zahlen, ein paar wenige Worte und am Rand einige Verzierungen. Das Ganze war noch gebeizt und poliert und wirkte in dem schwachen Kerzenschein sehr edel.
"Mon cherie! Ich dachte heute Abend können wir die Geister um Hilfe anrufen!"
Cherie schaute wenig zufrieden zwischen dem polierten Holz und der Blonden und verlagerte ihr Gewicht auf ihr anderes Bein. Ihre Hände suchten instinktiv nachdem Ende ihrer Bluse und zupfte daran gedankenverloren herum.
"Meine Oma sagt, man soll nicht mit den Geistern der Verstorbenen spielen!"
"Ach wir werden nicht spielen! Wir werden sie nur nach dem Verbleib von Howard und deinem Großvater erkundigen!"
Howard war Sharons Neufundländer gewesen. Das schwarze Riesentier war vor über 13 Jahren in die Familie aufgenommen worden und war so etwas wie Sharons bester Freund gewesen, denn er war immer da, wenn die Eltern mal wieder auf wichtigen 'Geschäftsreisen' unterwegs waren. Er war immer zuverlässig, liebevoll und treu gewesen. Bis zum Schluss, als er von einem Bus erfasst worden war. Glücklicherweise hatten Sharons Eltern ihr etwas anderes erzählt, da dies zu ihrer Schulzeiten passiert war und sie ihr liebes Kind nicht mit einem solchen Schock belasten wollten. Immerhin musste das Mädchen den Hund nicht als zermatschten Fleck am Bus oder zertrümmerten Haufen auf der Straße in Erinnerung behalten.
"Ach komm schon Cherie!", bettelte Sharon und versuchte durch ihren berüchtigten Bambiblick ihre Freundin zu überzeugen.
"Wie soll dir Howard überhaupt antworten, wenn er ein Hund war?", fragte Cherie in ihrer berühmtberüchtigten neutralen Stimmlage. Es gab Viele, die damit nicht umgehen konnten und Cherie als Soziopathin beschimpften, was nur dazu geführt hatte das sie in ihrem Verhalten bestärkt wurde. Es war nie für sie ungewöhnlich oder unpassend die Aussenseiterin zu sein. So lange man sie mehr in Ruhe ließ und sie nicht mit unnötigen Gesprächen belästigte war alles in Ordnung.
"Ach Mensch Cherie! Wir wollen doch nur ein wenig mit ein paar Geistern sprechen! Bald wirst du 16! Und wir haben noch keine Seance gemacht!", stellte Sharon fest und redete ohne Umschweif weiter, „und das kann ich als deine Freundin nicht zulassen, wenn du deinen 16. Geburtstag schon nicht groß feiern willst!"
Für Sharon bestand darin eine unumstößliche Wahrheit. Außerdem war es einfach nur aufregend ob die beiden Mädchen wirklich mit einem Geist sprechen könnten.
Sharon wünschte es sich einfach so sehr, so sehr, dass der Hund noch da sein würde, auch wenn nur der Geist. Es wäre tröstend zu wissen, dass man nicht alleine ist.
Die beiden jungen Mädchen legten ihre Hände aufeinander auf ein dreieckiges Stück Holz in der Größe einer Hand, sodass eine Spitze von Beiden wegzeigte und schauten sich gegenseitig in die Augen.
"Bereit?", fragte Sharon.
Cherie nickte lediglich. Irgendwie war ihr unwohl dabei. Auch wusste sie, dass sie weder mit Howard noch mit ihrem Großvater sprechen würden, diese Geister waren glücklich und waren weitergezogen, sie hatten keine unerledigten Geschäfte und um ihre Liebsten wurde sich in Genüge gekümmert. Es war keine Ahnung, sie wusste es einfach. Über Sharons neue Flamme würden sie auch nichts erfahren oder über die Lottozahlen von Morgen.
"Okay, fangen wir an!", sprach Sharon in die Stille hinein.
Der Ort war auf einmal unheimlich ruhig geworden. Das Licht der Kerzen zitterte durch die Anspannung hindurch, die Mädchen wechselten einen Blick und dann sprachen sie gemeinsam.
"Ihr im Reich der Toten, könnt ihr uns hören?
Ihr im Reich der Toten, könnt ihr uns hören?
Ihr im Reich der Toten, könnt ihr uns hören?"
Nachdem die Frage im Raum hing, schoben Cherie und Sharon das Dreieck einfach in Kreisen über dem Brett, warteten gespannt darauf, dass etwas geschah.
Die Sekunden streckten sich zu Minuten und als die Digitaluhr auf dem Fenstersims schon zum zweiten Mal eine Zahl änderte, hielt das Dreieck auf einmal auf dem Feld mit dem kleinen Wort 'Hallo' an.
Die beiden Mädchen schauten sich mit großen Augen an.
"Bewegst du es?", fragte Sharon beinah tonlos.
"Nein", gab Cherie ebenso leise von sich.
Die nächste Frage von Sharon hörte Cherie nicht, sie war zu sehr auf das Geräusch der Flammen und das leichte Schaben der zwei polierten Holzgegenstände gegeneinander konzentriert, die Stimme der Freundin ging gänzlich unter.
Sie fragte wahrscheinlich, was der Geist zu sagen hatte oder so etwas.
Es war eigentlich egal, nur noch das kreisen lassen des Dreiecks hatte noch Bedeutung für Cherie. Das Hölzchen über die Buchstaben kreisen lassen, auf der Suche nach Antworten.
Ein kalter Schauer lief über Cheries Rücken hinunter und sie spürte ihre Arme kaum noch, sie waren taub geworden und bewegten sich jetzt ohne ihr eigenes Zutun.
Gerade als es vor einem Buchstaben Halt machen wollte, kreisten die vier Hände weiter über das Holzbrett, schabend, zeitraubend und nervenaufreibend.
Dann hielten sie an, über den Buchstaben 'C', lang genug bis sie den Buchstaben erfasst hatten und dann ging die heitere Kreiserei weiter.
"C, h, e, r, i,...e, Cherie!", kam es von Sharon quiekend und wollte ihre Hände wegziehen, doch etwas ließ sie nicht. Etwas sorgte dafür, dass die beiden Mädchen weiter machten.
Während die Blonde in Panik geriet, war Cherie in eine Art Trance geraten und ihre Lippen bewegten sich und sie sprach. Ihre Stimme war viel zu tief um von einem Mädchen ihres Alters zu stammen.
"Lange lebte ich in Dunkelheit,
war weggeschlossen
und vergessen.
Doch nun soll mein Licht mich
und die Welt wieder erhellen."
Erst als das letzte Wort gesprochen war, stachen die Flammen aller Kerzen im Raum für einen Moment in die Höhe.
Sharon war von den ganzen merkwürdigen Szenen so ergriffen, dass sie das merkwürdige Verhalten des Feuers nicht einmal zusätzlich wunderte und ihr Mund leicht offen stand.
Das Dreieck das zuvor ganze Zeit im Kreis geschoben wurde, beendete die Seance, indem es auf 'Bye' ging. Dann war es einfach nur ruhig. Endlich schaffte es Sharon ihre Hände von dem Stück Holz zu lösen und rieb sie sich dann manisch gegeneinander um das sonderbare Gefühl loszuwerden, dass sie erfasst hatte. Sie hätte schwören können, dass sie ihre Hände nicht loslösen konnte, doch wenn sie jetzt darüber nachdachte, war sie sich nicht mehr so sicher. Hatte sie es vielleicht selber getan? Die Situation hatte dafür eine Steilvorlage geliefert, da hätte sie nichts mehr gewundert!
"Cherie, ist alles okay?", fragte Sharon schließlich und unterbrach ihren Gedankenstrom über einen magischen Plasma, der diese Haftung hätte hervorrufen können.
Doch die Angesprochene hörte Sharon immer noch nicht; Dieses Mal übertönt von dem Pochen in ihren Ohren. Das Blut wurde schneller und schneller durch ihren Körper gepumpt, erzeugte Cherie Herzrasen von einer unangenehmen Art. Sie schlang ihre Arme um ihren Körper mit der Hoffnung, dass sich das Zittern und die Hitze legen würde aber vor allem, dass ihr Herz wieder beschließen würde normal zu schlagen.
"Cherie? Rede doch mit mir!" Die Freundin legte ihre Hand zögernd auf Cheries Arm.
Das Mädchen saß da ganz apathisch, reagierte nicht auf Sharon.
Erst als der Griff um ihren Arm fester wurde, auch ihr anderer Arm gepackt wurde und sie gerüttelt wurde, blickte Cherie auf.
Und da wich Sharon schockiert zurück.
"Deine... Augen...!", sagte sie mit zittriger Stimme.
Cherie sah lediglich, wie sich der Mund der Freundin bewegte. Doch hörte sie andere Worte.
"Warum sind ihre Augen schwarz?", hallte es auf einmal ängstlich, sodass Cherie sich verwirrt umblickte.
"Was hast du gesagt?", kam es von den vertrockneten Lippen, die aufkeimende Hitze schien noch nicht ihr Maximum erreicht zu haben, ebenso das Herzrasen. Bilder aus Licht stürzten über sie ein, verzerrten ihren Blick auf die Realität. Sharon fing an zu sprechen und in Panik zu geraten, sie wollte Cherie helfen, doch diese reagierte langsam wie auf Drogen.
Dann wurde es lauter und lauter, galoppierendes Blut, Sharons Stimme in ihren Ohren und im Kopf, die andere Worte sprachen, das Geräusch der Flammen, der Wind um das Haus, das Auto, das einen Block weiter um die Ecke fuhr, das Kind, dass dort vor Hunger schrie, eine Frau, die ihren Ehemann betrog, ein Postbote, der ein Päckchen ablieferte.
Immer mehr fügte sich zu der Geräuschkulisse hinzu, bis sie alles hörte was in der ganzen Heimatstadt abging, alles, jeden Grashüpfer, jedes Wort, jede Bewegung.
Cherie hielt die Hände über die Ohren und fing an zu schreien, wollte die Geräusche übertönen, in ihrem Kopf wieder alleine sein.
Texte: Alice Sullivan
Tag der Veröffentlichung: 30.04.2012
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