Viele Mädchen würden behaupten, dass wir uns alle sehnen, süß zu sein und einen Freund zu bekommen der uns aus jeder noch so prekären Situation rettet.
Ich nicht. Denn ich bin der Meinung, dass Mädchen das gut und gerne alleine schaffen.
Ich bin etwas anders. Zumindest behauptet das meine große Schwester,
die mir immer wieder vorpredigt ich solle mich mehr wie ein Mädchen benehmen.
Doch das ist mir egal. Wir Mädchen sind doch nicht auf das Handeln von Jungs angewiesen. Wir kommen auch sehr gut allein zurecht!
Ich meine bisher hat sich niemand großartig beschwert. Die Leute akzeptieren mich so wie ich bin...denke ich zumindest.
Nur anscheinend haben sie und meine Mutter es nicht verstanden und versuchen mich mit fast jedem dahergelaufenen Jungen der eine Menge Geld besitzt zu verkuppeln.
Wie auch immer. Alles begann damit, dass ich wie jeden Morgen durch den Garten stapfte um die Post zu holen. Es war ein freundlicher Frühlingstag.
Vögel zwitscherten und ein Kater beäugte mich misstrauisch von seinem erhöhten Aussichtsplatz aus, allgemein bezeichnet als Regentonne.
Das Tier schien mir ziemlich ungepflegt. Er hatte zerrupftes grau getigertes Fell und ein Stück des rechten Ohres fehlte. Doch das war es nicht, was meine Aufmerksamkeit auf ihn zog. Vielmehr war es der Blick. Sehr intelligent. Und für ein Tier ungewöhnlich gezielt. Zuerst fixierte er meine Augen, dann ließ er seinen Blick langsam meinen gesamten Körper mustern. Gruselig. Zuletzt schien er, als sei er in Gedanken, zu nicken, dann sprang er von der Regentonne und rannte weg.
Nach kurzer Phase des Wunderns lief auch ich zurück ins Haus.
„Morgen, Spatz. Und ist diesmal was dabei?“, begrüßte mich meine Mutter. Das bezog sich auf die Post. Denn neuerdings war meine Mutter ganz begeistert davon, Partneranzeigen für mich in die Zeitung zu setzen. Mit der Angabe, ich suche einen vermögenden Beschützer mit Stil. Und mit Adresse, so dass jeder - und wirklich jeder - mir schreiben konnte. Obwohl mir das sehr zuwider war, blieb mir kaum eine Wahl als mit ihr die Briefe durchzusehen, um meinen guten Willen zu demonstrieren.
Die meisten legten zum Glück Bilder dazu, sodass meine Mutter schnell den Großteil aussortierte. Aber das ein oder andere Mal hatte ich auch Pech und musste mich mit diesen suspekten fremden Jungen treffen. Uärgh...
***
So ging es mittlerweile seit Monaten und meine Mutter hängte sich mit meiner großen Schwester so rein mir einen reichen Typen zu finden, sodass es mir mittlerweile wirklich auf die Nerven ging. Mit genau diesem Thema haben sie auch meine jetzigen Sommerferien ruiniert, indem sie mir keinen Freiraum gelassen haben und mich zu allen möglichen Dates hingeschleppt haben. Alle, wirklich alle von denen waren so arrogant, wie ich es mir noch nicht mal in meinen schlimmsten Träumen vorstellen hatte können, doch da hatte ich mich sehr getäuscht. Plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als es unten an der Tür klingelte. Neugierig polterte die Treppen hinunter und öffnete vorsichtig die Tür. Was ich da sah ließ mich für eine Sekunde erstarren, denn vor mir stand ein Junge mit einem großen Blumenstrauß.
Das reichte mir jetzt völlig. Ohne groß zu überlegen knallte ich die Tür zu und lief zu meiner Mutter und schrie sie an. Ich sagte ihr alles was mir schon seid langen auf der Seele lastete und das sie kein Herz hätte und mich nur los haben möchte, da sie mich nicht lieben würde, wie andere Mütter ihre Töchter liebten. Kaum sprach ich die letzten Wörter aus bekam ich von ihr eine schallende Ohrfeige und meinte, dass ich nie wieder in diesen Ton mit ihr sprechen sollte. Wütend lief ich zurück in mein Zimmer, schloss meine Zimmertür ab und schmiss mich auf mein Bett, vergrub mein Gesicht unter der Bettdecke und träumte vor mich hin. Unwillkürlich kamen mir die Augen der merkwürdigen Katze, die ich vor kurzem gesehen hatte, wieder in den Sinn. Sie hatten so etwas Anziehendes an sich, fast so als ob...Ach Quatsch, das bildete ich mir sicher nur ein. Denn ich wusste ja, dass es einfach nicht sein konnte. Es war unmöglich, dass diese Augen menschlich gewesen waren.
Während ich in meine Gedanken vertieft war, bemerkte ich eine gewisse Katze nicht, die sich auf einem Ast vor meinem Fenster lag und mich durch das Fenster nachdenklich beobachtete.
Nach ein paar Minuten schlief ich Traumlos ein.
Nur wenn ich gewusst hätte was morgen alles passieren würde, hätte ich heute bestimmt nicht so ruhig einschlafen können.
***
"Riiiiiing! Riiiing!", weckte mich mein beharrlicher Wecker. Sehr zu meinem Missvergnügen. Auch noch der erste Schultag nach den Ferien... Ich drehte mich rum, atmete noch einmal tief durch und setzte dann meine Füße auf den kühlen Holzboden in meinem Zimmer. Schnell tänzelte ich ins Bad um die Zähne zu putzen. Während ich dies tat gingen mir die Ereignisse des letzten Tages nochmal durch den Kopf. Geistesabwesend fuhr ich mit meiner Hand über die Wange, die immernoch schmerzte. Wieso wurde ich nur so grausam von meiner Familie behandelt? Natürlich war es nicht rechtens von mir gewesen, meine Mutter anzuschreien. Aber erstens war es doch eine Handlung im Affekt gewesen und zweitens ist es ja nicht so als hätte ich nie versucht im Frieden mit meiner Mutter zu reden. Ich wünschte Papa wäre noch da. Dann wäre es nie so weit gekommen.
Kopfschüttelnd legte ich die Zahnbürste beiseite und lief zurück in mein Zimmer zu dem großen Eichenschrank, in dem sich meine Klamotten befanden. Ich zog mich an und packte noch schnell meine Schulsachen, nachdem ich dazu gestern keinen Nerv mehr gehabt hatte. Als ich hektisch durch die Küche rannte würdigte ich meine Mutter keines Blickes.
Draußen erwischte ich den Bus noch knapp. Meine Schwester saß bereits drinnen und quatschte mit ihren tollen reichen Freundinnen. Ich setzte mich zu meiner Freundin Lilo und berichtete ihr was in den letzten Wochen, während sie bei ihrer Oma in England gewesen war, geschehen war.
Es dauerte nicht lang, da hatten wir uns schon wieder in der Schule zurecht gefunden. Der Schultag verlief wie jeder andere im vergangenen Schuljahr auch. Bis zur Mittagspause, an die ich mich noch lange erinnern werde...
Als es zur Mittagspause klingelte packte ich gemütlich meine Schulsachen in meine Tasche, verließ zusammen mit meiner Freundin Lilo fast als letztes die Klasse und wir schlenderten quatschend und albernd in die Mensa um uns etwas zum Essen zu holen. Wir suchten uns einiges aus den vielen Leckereien aus, bezahlten es und setzten uns an unserem Stammplatz. Lilo war meine einzige beste Freundin auf der Schule und hielt ebenso bedingungslos zu mir wie ich zu ihr. Für andere waren wir hier die Außenseiter, oder die Freaks, wie sie uns nannten, keine Ahnung warum, aber es war uns auch ehrlich gesagt egal wie sie uns hier nannten.
Auf einmal wurde es in der ganzen Mensa ruhig, sodass man kein einziges Geräusch mehr hören konnte. Verwundert schaute ich Lilo an, die zuerst nur unwissend die Schultern zuckte und dann zum Eingang starrte und den Blick nicht mehr abwenden konnte. Jetzt gewann meine Neugier die Oberhand und schaute ebenfalls zur Tür. Da stand ein Junge den ich nicht kannte, anscheinend war er neu hier, und schaute sich neugierig in der Mensa um. Er hatte einen gut gebauten Körper, ein schmales Gesicht und schulterlange braune gestylte Haare mit silbernen Strähnen, die ihm fantastisch standen und etwas Geheimnisvolles, Verwegenes verliehen. Als er sich umschaute blieb er für einen Moment bei mir hängen, lächelte kurz und ging weiter. Dann setzte sich zu ein paar anderen Schülern, die ich ebenfalls nicht kannte die aber ebenfalls gut aussehend und anscheinend auch neu hier waren. Es waren 2 Mädchen und noch 2 Jungen plus er. Der Junge sagte etwas zu ihnen und plötzlich schauten alle fünf in meine Richtung. Peinlich berührt, ertappt worden zu sein und mit hochrotem Kopf wandte ich meinen Blick von ihnen ab und stocherte weiter mit der Gabel in mein Essen herum. Nun waren alle in der Halle nicht mehr so ruhig und unterhielten sich weiter. „Wow ist er süß… und heiß!“, flüsterte Lilo zu mir. Nun schaute ich auf uns sah in ihr verträumtes Gesicht. „Und seine Augen erst, hast du sie gesehen...?“ Vorsichtig schielte ich zu den Neuen rüber und hörte Lilos Schwärmereien nicht mehr zu.
Diese Augen! Unglaublich! Unmöglich!
Erstaunt/Ungläubig starrte ich ihn an und ließ geistesabwesend meine Gabel fallen, die mit lautem Klirren zuerst auf meinen Teller fiel und dann weiter hinabglitt um noch einmal laut auf dem Mensaboden aufzuschlagen. Die argwöhnischen Blicke von den Nachbartischen ignorierend beugte ich mich hinab um sie aufzuheben, doch sie war weg!? Um nicht noch mehr durch demütigendes Rumkriechen auf dem Boden aufzufallen, tauchte ich wieder auf. Lilo war derweil vor lauter unterdrücktem Kichern dem Ausbruch nahe. „Komm mit“, flüsterte ich und zog sie an ihrem Arm durch die Mensa und schließlich aus der Tür. Draußen brach sie sofort in schallendes Gelächter aus.
„So lustig war das jetzt auch nicht!“
„Oh Gott dich hat´s ja schweeer erwischt!“ Sie zog das Wort unter Dauergekicher provokant in die Länge.
„Du bist echt doof! Wenn du von dem Jungen redest, dann irrst du dich gewaltig! Ich glaube nur, ich kenne ihn und sonst ist da nichts!“
„Na klaaar“, antwortete sie mit vielsagendem Grinsen und lehnte sich gegen die Wand. „Du kennst ihn also, was? Darf man wissen woher? Eins von deinen Dates, die du so hasst?“
„Nein, zufällig nicht!“
„Jetzt machst du mich ja richtig neugierig. Also woher kennst du ihn?“
Der Gong erlöste mich aus dieser unangenehmen Situation. Kaum war er verklungen, verließen Massen an Schülern laut schnatternd die bis dahin überfüllte Mensa. Lilo und ich ordneten uns ein und schlenderten dann in den Pausenhof. Für uns war die Mittagspause heute doppelt so lang wie sonst, da unsere verhasste Englischlehrerin heute auf Fortbildung war - am ersten Tag!
Doch wie man sich vorstellen kann hielt sich unsere Trauer darüber in Grenzen. Mittlerweile hatte sich die gesamte Klasse im Pausenhof verteilt. Außer uns schienen noch 2 andere Klassen eine verlängerte Mittagspause genießen zu können.
***
Wir beide setzten uns schweigend auf dem Pausenhof auf eine Bank die etwas abseits stand. Plötzlich piekste mich etwas an der Seite und ich erschrak mich so sehr, das ich rückwärts von der Bank flog und in den Matsch landete. Toll, echt Super! Heute war echt nicht mein Tag. Und was machte meine tolle Freundin statt mir zu helfen? Lachen. Das war auch echt lustig. „He das ist nicht lustig!“, sagte ich gespielt beleidigt und musste im Endeffekt doch selber lachen. Ich richtete mich wieder auf, klopfte den Dreck ab und setzte mich wieder zurück auf die Bank. Kaum hatten wir uns wieder beruhigt sahen wir uns an und mussten erneut wie auf Kommando wieder los lachen.
,,Na, hast du dich mal wieder in deinem Dreck gesuhlt?", ertönte auf einmal eine arrogante Stimme die zu Amber gehörte.
Amber war eine der beliebtesten auf der Schule, was ich mir eigentlich nicht vorstellen konnte, denn sie machte jeden dem sie hier begegnete und der nicht zu den beliebtesten gehörte runter. Hinter Amber lachten ihre drei Kumpanen Max, Chris und Sandra. Max und Chris waren zwar gut gebaut und gut aussehend, doch es umgab sie eine gefährliche Aura, weshalb die meisten sie mieden, da sie nicht mit ihnen aneinander geraten wollten.
Leider hatte ich genau diesen Fehler gemacht, als ich neu hier auf der Schule war. Denn ich hatte einen von ihnen an meinem ersten Tag umgerannt, sodass wir beide umfielen und als ich mich entschuldigen wollte, hatten sie eine dumme Bemerkung bei mir abgelassen. Natürlich hatte ich das nicht auf mir sitzen lassen können und zurück gekontert, worauf sie wütend wurden und mich seitdem jeder Zeit wenn sie konnten mit ihrer Clique runter machten, was sie aber nicht wirklich bei mir schafften, weshalb sie auch öfters in einer Gruppe auftauchten. Und seitdem ich mit Lilo befreundet war machten sie es ebenso bei ihr. Sandra war die netteste von der ganzen Truppe, die es aber auch nicht lassen konnte hin und wieder einen negativen Kommentar abzulassen wenn ihre Clique bei ihr war. Aber wenn sie alleine war, konnte man sich mit ihr vernünftig unterhalten.
„Na, musst du dich wieder unter ein Haufen von Schminke verstecken?" ,konterte Lilo gekonnt.
„Ich habe nicht dich gefragt du Freak! Musst du dich schon hinter deiner Freundin verstecken, Cat?“, fragte Amber spöttisch.
„Ganz bestimmt nicht, aber wenigstens behandle ich meine Freunde nicht wie meine Untergebenen!“
Die Jungs knackten gefährlich mit ihren Fäusten und Amber wollte schon auf mich losgehen als sie plötzlich von einem der neuen Schüler aufgehalten wurde.
Der Junge stellte sich vor uns und wehrte lässig die auf uns zufliegenden Fäuste ab. Was wir dann sahen, ließ mich ernsthaft an meinem Verstand zweifeln... Er kämpfte mit ihnen, aber wären wir nicht so na dran gewesen, hätten wir es niemals so gedeutet. Denn mit ein paar filigranen Stichen mit zwei Fingern setzte er sie blitzschnell Schachmatt. Zumindest die Jungs. Mit den Mädchen war er wesentlich vorsichtiger. Lediglich zur Seite gestoßen hatte er sie und...komisch, hatte er sie etwa gekratzt? Nein, es sah aus als hätten Amber und Sandra sich am Papier geschnitten, was ja auch viel logischer war. Für sie aber eh schon eine sichtliche Katastrophe. Max und Chris und die Mädchen suchten panisch das Weite. Sie schienen nicht gehandicapt. Dem Himmel sei Dank, denn ich wusste: Wenngleich sie schnell mal Zuhauten, so waren sie doch gleichzeitig selbst große Petzen, wenn der Schlag gegen sie gerichtet war. Aber so konnten sie es nicht beweisen.
Der Junge drehte sich zu uns um und ich begann sofort, mit Vorwürfen verbal auf ihn loszugehen.
„Was bildest du dir ein, dich hier einzumischen? Und denkst du etwa, nur weil wir Mädchen sind, können wir nicht selbst auf uns auf passen?! In welchem Jahrhundert lebst du eigentlich? Schon mal was von EMANZIPATION gehört, hää?“
Meine Reaktion schien ihn keineswegs zu überraschen, aber dafür überraschte mich seine umso mehr. Er fing einfach an zu lächeln und mit den Augen zu rollen. Lilo neben mir entfuhr ein anschmachtendes Seufzen.
In diesem Moment kamen die anderen neuen Schüler zu uns hinüber getrottet.
***
Ich wurde etwas nervös, was ich mir aber nicht anmerken ließ. Unter ihnen war auch der Junge mit diesen Augen. Mit den Augen die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wollten. Dieselben wie die bei der Katze.
Zufall. Einfach Zufall, dass sie dieselben Augen haben. Oder? Ach quatsch! Ich habe in letzter Zeit einfach zu viele Fantasy Bücher gelesen. Ja genau! Das ist es, einfach zu viel gelesen!
Mittlerweile waren sie bei uns angekommen. Alle hatten ein freundliches Lächeln aufgesetzt. Warte, ich korrigiere, vier von ihnen und die andere lächelte eher gezwungen. Was sie wohl hatte?
Ich und Lilo begrüßten sie schüchternd und gleichzeitig mit einem ,,Hi". Sie grüßten uns freundlich zurück.
,,Also ich bin Lilo und das neben mir ist Cat und ihr seid?", unterbrach sie die unangenehme Stille.
Nun sahen wir sie fragend und abwartend an.
Einen Moment lang hatte ich die Befürchtung, sie würden gar nicht antworten, denn sie warfen eine ganze Zeit lang nur vielsagende Blicke hin und her.
Schließlich aber meinte das Mädchen das eben noch so widerwillig gelächelt hatte mit düsterer Mine: "Ich glaube nicht das das eine kluge Idee ist."
Der Junge mit den besonderen Augen schenkte ihr keinerlei Beachtung. "Ich werde dir meinen Namen gerne verraten aber nicht jetzt. Wie wär’s wenn du heute nach der Schule einfach mit zu mir kommst und wir reden darüber?"
"Reden über deinen Namen?", fragte ich irritiert.
Er lachte und das Mädchen warf ihm erneut einen finsteren Blick zu. Mich beschlich die Befürchtung, sie wäre seine Freundin. Doch damit hatte ich weit gefehlt, wie sich schon bald herausstellte.
***
Obwohl es mir Widerstrebte einen fremden Jungen nach Hause zu begleiten, tat ich es. Das hatte den einfachen Grund, dass ich nicht nach Hause wollte, denn kurze Zeit nach dem Gespräch in der Mittagspause war eine SMS gekommen, in der meine Mutter schrieb: Hallo Mäuschen, ich hab den perfekten Mann für dich. Ihr habt nach der Schule ein Date. Er holt dich daheim ab, also beeil dich. Kuss, Mama
Lilo hingegen wurde gleich nach der Schule von ihren Eltern abgeholt, sodass sie mich nicht begleiten konnte. Jetzt musste ich ganz alleine neben dem Fremden hergehen. Wobei...ganz allein war ich nicht. Denn die anderen neuen Schüler begleiteten uns. Zuerst irritierte mich das, aber sie wohnten tatsächlich im selben Haus.
Während wir gingen war es ziemlich still. Tatsächlich wirkte die Stimmung sehr gedrückt auf mich. Einzig Mr. Die-schönsten-Augen-der-Welt schien absolut glücklich.
Als wir das Haus erreichten blieb ich geplättet stehen. Es handelte sich um eine Villa. Sehr modern und vor allem groß, mit angrenzendem englischem Garten. Die schönsten und prächtigsten Blumen in allen Farben wuchsen hier. In dem Moment war ich viel zu nervös um zu bemerken, dass das absolut unlogisch war, wo sie doch eben erst hergezogen waren.
„So, du wolltest wissen wer wir sind. Hier kommt die Antwort… doch sie wird dir nicht gefallen.“
„Sie wird dir ohnehin nicht glauben“, warf der Junge der heute in der Mittagspause den Retter gespielt hatte, ein.
„Was soll’s, ich kann es ihr ja beweisen.“, antwortete er und streckte die Hand nach einer Blume aus. Er sah mich an und dann die Blume. Kaum hatte er den Blick auf sie gerichtet, begann sie zu welken.
Ich starrte ihn entsetzt an und er erklärte: „Ich bin der Tod.“ Es folgte eine unheilschwangere Pause in der ich plötzlich extremes Herzrasen bekam, als mir klar wurde, dass er nicht log. Ich war dem Tod gefolgt. Dem Tod mit den Wundervollsten Augen.
***
,,Der... der Tod?", stotterte ich, um nochmal ganz sicher zu gehen. Er nickte. Mein Herz klopfte Mittlerweile so vor Angst und wegen etwas anderem, was ich aber zurzeit nicht definieren konnte und so schnell, dass ich mich schon fragte ob es in jeden Moment hinausspringen könnte. Nach kurzer Zeit verschwand die Angst und nun durchströmte Adrenalin meine Adern. Ich tat jetzt, was wohl jeder an meiner Stelle gemacht hätte. Ich rannte weg von ihnen, denn wer möchte sich schon gerne mit dem Tod Unterhalten und bei ihm bleiben? Aber beim wegrennen machte ich einen Fehler. Denn ich lief in den bedrohlich dunklen Wald und bemerkte es erst als es schon zu spät war.
Normalerweise hielt ich mich von diesem Wald fern, denn ich hatte Angst vor ihm. Der Wald hatte eine düstere Aura und die meisten Leute hier in der Stadt warnten diejenigen, die hier neu herzogen, vor ihm, weil angeblich in seiner Mitte das Tor zur Unterwelt wäre und verschiedene Kreaturen dort und im Wald leben würden. Früher, als ich mit meiner Familie herzog, hatten wir es niemanden geglaubt, der uns davor warnte und mein Vater ging eines Tages hinein, kam aber nie mehr zurück. Die Polizei meinte, er sei abgehauen, aber die Einheimischen fühlten sich in ihren Warnungen bestätigt.
Mittlerweile ging mir die Puste aus vom Laufen und ich blieb schwer atmend stehen. Nun schaute ich mich um. Wo genau war ich hier? Nun drehte ich mich einmal um den Kreis und musterte genau die Gegend. Hier sah alles so gleich aus. Wie war ich hier hergekommen? Langsam und vorsichtig ging ich weiter geradeaus und suchte dabei den Ausgang, den ich aber nach stundenlangem umherirren immer noch nicht fand. Plötzlich fühle ich mich beobachtet. Immer und immer wieder drehte ich mich um, um zu sehen was es war und konnte dabei nichts entdecken. Schnell ging ich weiter durch den düsteren Wald, mit den alten, hohen, knorrigen Bäumen. Nach weiteren drei bis vier Schritten knackte plötzlich hinter mir ein Ast. Für einen kurzen Moment erstarrte ich und blieb stehen, doch dann drehte ich mich langsam, wie in Zeitlupe, um. Als ich sah was dieses etwas war, weiteten sich meine Augen vor Schreck und Angst. Die Kreatur war sehr groß, beharrt mit dichtem dunkelgrauem Fell, hatte gelbe große Augen und scharfe Zähne. Es war ein Werwolf. Mit leichten und kleinen Schritten ging ich zitternd rückwärts zurück, bis ich mit meinem Rücken an einem dicken Baumstamm stieß. Der Werwolf beobachte mich genau, wie seine Beute, ließ mich nicht mehr aus den Augen und kam bedrohlich immer näher.
Plötzlich wurde alles um mich herum schwarz und fiel – und das konnte ich in dieser Situation wirklich gar nicht gebrauchen – in Ohnmacht.
***
Als ich wieder zu mir kam, war ich in einer hölzernen Hütte. Ich hörte ein Kaminfeuer knistern. Langsam richtete ich mich auf und versuchte meine Gedanken zu ordnen um mir meinen derzeitigen Aufenthaltsort ins Gedächtnis zu rufen.
Doch als es mir einfiel begann ich sofort wieder zu zittern. Der Werwolf. Wie war ich ihm entkommen?
„Oh gut, du bist wieder wach.“, drang die Stimme eines Mädchens an mein Ohr. Ich hatte sie gar nicht kommen hören.
„Tut mir Leid, dass wir dich so erschreckt haben, aber Menschen sind in diesem Wald nun mal ein seltener Anblick.“ Ich besah mir das Mädchen genau und erschrak fürchterlich als ich ihre Augen sah. Sie waren beinahe dieselben wie die der Katze. Wie die des Todes.
„Wer bist du? Gehörst du etwa zu ihm? Und wieso solltest du mich erschreckt haben? Das war ein echter blutrünstiger Werwolf“ schrie ich, merkte jedoch wie sehr mich das noch anstrengte.
Sie antwortete mit ruhiger Stimme. „Ja, ich habe tatsächlich mit ihm zu tun. Aber zuerst mal zu dem Wolf. Er ist, wie soll ich sagen, mein Begleiter und keineswegs blutrünstig. Du brauchst also keine Angst haben, auch wenn er so groß ist. Er ist angenehmer zu reiten als jedes Pferd“ Ein Lächeln lag ihr auf den Lippen.
Das musste mein Verstand erstmal verarbeiten. Das was sie sagte machte Sinn - zumindest nach allem was ich wusste - denn sonst wäre ich wohl kaum noch am Leben.
"Ich will nach Hause. Sie machen sich sicher schon große Sorgen."
"Das geht nicht, so leid es mir tut. Sie denken, dass du tot bist, und wir müssen sie unbedingt in diesem Glauben lassen. Kein Mensch hat diesen Wald je lebendig verlassen, das hilft uns die Sache glaubhaft zu gestalten. Und jetzt hör mir gut zu: Du hast eine Aufgabe, die deine Familie und deine Freunde gefährden würde, deswegen keinen Kontakt mehr. Noch ein Problem ist, du musst dem Tod helfen. Aber er wird sich erkenntlich zeigen, glaub mir. Du und dein Vater können, wenn es dir gelingt, beide wieder nach Hause zurückkehren. Überleg es dir gut.
,,Das glaubst du selbst nicht! Ich soll dem Tod helfen? Bei was denn? Hä? Und mein Vater, der lebt nicht mehr, er starb vor ein paar Jahren! Und wie willst du denn wissen ob er überhaupt noch lebt? Schließlich kennst du ihn ja nicht! Also schönen Tag noch!", schrie ich ihr ins Gesicht und stürmte dann aus der Tür und danach in irgendeine Richtung. Nach drei Metern blieb ich wie angewurzelt stehen. Denn um mich herum war nur der Wald… Kurzer Hand drehte ich mich wieder um und ging, still über ihre Worte nachdenkend, zurück.
Was wenn sie Recht hatte? Was wenn mein Vater wirklich noch lebte? Außerdem woher wusste sie von meinen Vater? Ich kräuselte die Stirn.
Und von was für einer Aufgabe hat sie gesprochen?? Und wie jetzt? Dem Tod helfen? Konnte er es denn nicht selbst machen? Er war doch so mächtig, oder? Schließlich war er ja, wie bereits erwähnt, der Tod. Ja, aber er ist auch süß und seine...Stopp! Nicht ins schwärmen geraten!, unterbrach ich mich in Gedanken....und was ist wenn er gar nicht so böse war wie ich dachte? Vielleicht sogar ziemlich nett? Keine Ahnung, aber böse ist er bestimmt nicht, sonst wäre ich bestimmt nicht mehr so lebendig.
Mittlerweile war ich wieder an der Hütte des seltsamen Mädchens angelangt. Ich klopfte einmal laut und vorsichtig. Keine zwei Sekunden später öffnete sich die Tür und das Mädchen lächelte mich warm an und sagte als wenn sie es genau gewusst hätte, das ich wieder zurück komme:,, Ach, da bist du ja wieder, ich habe ganz schön lange gewartet, ich dachte schon du hast dich verirrt und wollte meinen Wolf losschicken dich zu suchen. Komm rein ich habe schon für uns das Essen vorbereitet."
„Was essen wir hier eigentlich gerade?“, fragte ich nach einer Weile, obwohl ich mir alles andere als sicher war, dass mir die Antwort gefallen würde.
„Ach nur ein Eintopf aus Allerlei.“
„Allerlei…?“
„Etwas Reh, etwas Hase und auch ein wenig Fledermaus“, sagte sie komplett sachlich. „Flederm“, weiter kam ich nicht. „Das sollte jetzt aber wirklich dein kleinstes Problem sein. Bist du denn gar nicht neugierig auf deine Aufgabe?“ „Schon aber ich habe Angst davor, was es ist“, antwortete ich.
Sie lächelte ein trauriges Lächeln und senkte betroffen den Blick.
„Das erzähle besser ich dir“ , erklang es hinter meinem Rücken. Der Tod.
„Es tut mir Leid.“ meinte er, bevor er begann.
„Du weißt ja, dass die Bedingung ist, dass du dich in der Zeit in der du mir hilfst, von deiner Familie und deinen Freunden fern hältst. Und das hat den einfachen Grund, dass du sie sonst töten würdest…“
Schließlich weihte er mich ein und unterstellte mich in seine grausigen Dienste. Sie waren grausig, doch in diesem Moment verschwendete ich keinen Gedanken an die Bedeutung seiner Worte, sie kamen erst später an. Dies könnte daran liegen, dass er mich beeinflusst hat, was er zweifellos könnte, er ist schließlich der Tod. Vielleicht waren es auch seine Augen und sein unbeschreiblicher Charme. Oder – und das war von allen die schlimmste Möglichkeit – ich war bereit über Leichen zu gehen, um meinen Vater wieder zu sehen.
Mein Vater, ja. Er war so ein wunderbarer Mann. Ich denke ich bin immer eines dieser „Papa-Kinder“ gewesen. Daran liegt es vermutlich, dass ich mich nicht mit meiner Mutter verstehe, seit er weg ist. Oder meiner Schwester, die ihr so ähnlich ist. Er hat unsere Familie im Gleichgewicht gehalten. Und ich weiß, meine Mutter ist trauriger als sie zugibt. Die beiden haben sich geliebt. Ich habe ihn auch geliebt. Ich tue es noch.
Als der Tod wieder weg war, rief ich mir seine Worte wieder ins Gedächtnis. Ich begann zu weinen und dieses Wolfsmädchen legte tröstend ihre Arme um mich. Doch sie sagte nichts. Es würde ohnehin nichts mehr ändern. Ich hatte ihm zugesagt, diese schreckliche Aufgabe zu erfüllen.
Meine Aufgabe war folgende. Ich musste ihm helfen, Leute zu töten. Dafür gab er mir eine Gabe. Jede menschliche Person die ich berühren würde, würde sofort sterben. Darum das Kontaktverbot zu meiner Familie und zu Lilo.
Die lange Liste mit Namen lag auf dem Tisch noch immer genau da, wo er sie hingelegt hatte. Es gab kein Zurück.
Aber eine Frage spukte mir jetzt schon die ganze Zeit, seit dem er weg war, im Kopf herum: Wieso ich? Wieso kann es denn nicht jemand anderes sein, der diese Aufgabe erfüllen muss. Warum nur ausgerechnet ich?
,,Weil du ein starkes Herz hast und die Prophezeiung besagt, dass, wenn..." Anscheinend hatte ich meine letzte Frage laut ausgesprochen und als sie mitten im Satz verstummte sah ich sie neugierig an. Welche Prophezeiung?
„Dass, wenn…?“, fragte ich nochmal nach. Sie winkte mit der Hand ab. ,,Bitte, könntest du mir freundlicherweise verraten was für eine Prophezeiung das ist?", bettelte ich.
„Sorry, Kleine, dass kann, oder besser gesagt, darf ich dir nicht sagen, denn sonst würde sie sich wahrscheinlich nicht erfüllen oder sich im schlimmsten Falle zum negativen wenden." Sie schaute mich entschuldigend an. ,,Na gut", murmelte ich niedergeschlagen. ,,He, es wird schon alles wieder okay, du wirst es schaffen." versuchte sie mich wieder aufzumuntern. ,,Was passiert, wenn ich die Aufgabe nicht erfülle?" „Dann wirst du Tag für Tag immer schwächer, bis du am Ende..." Ich unterbrach sie mitten im Satz: ,,Was? Heißt dass etwa, dass ich dann sterbe?" Sie nickte zögernd. Na toll, da hatte ich mir ja etwas tolles eingebrockt. Aber eine kleine gute Sache hatte es ja, dass ich meinen Vater wieder sehen würde. Aber war es das wirklich wert, zu so einem Preis?
Ich schlief sehr unruhig in dieser Nacht. Ich sah den hübschesten Jungen der Welt auf mich zugehen. Ich sah ihm in die Augen und versank darin. Plötzlich fand ich mich in Mitten eines Rudels Wölfe wieder die mich jagten und durch den Wald trieben. Dann war der Junge wieder da und ich lief in seine Arme, aber als ich zu ihm aufsah, fletschte er die Zähne wie ein Tier und hielt mich so fest, dass es weh tat. Ich hörte jemanden spitz aufschreien und merkte, dass der Laut aus meinem eigenen Mund kam. Plötzlich war überall Blut und ich sah mich auf einem Leichenberg stehen, ein fieses Grinsen im Gesicht.
Schweißgebadet wachte ich auf. Die Panik stand mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn sofort wollte meine Gastgeberin wissen, ob mit mir alles in Ordnung sei.
„Warst du etwa die ganze Nacht wach?“, fragte ich.
„Du bist lustig!“, gab sie zurück „Es ist schon Morgen.“ Mit diesen Worten ging sie zum Fenster und öffnete die Vorhänge. Irritiert stand ich auf und starrte hinaus. Das war nicht der Wald in dem die Hütte noch bis vor einem Tag gestanden hatte. Die Hütte befand sich nun auf einer Wiese. Sanft schimmerte das goldene Licht der Morgensonne am Horizont. Ein Stück entfernt war eine kleine verschlafene Stadt zu sehen.
„Die erste Adresse auf der Liste.“, wurde ich erinnert.
Ich nickte stumm.
Nach einem kurzen Frühstück machte ich mich dann auf den Weg. Als ich mich umdrehte, war die Hütte wieder verschwunden.
In den Gassen der Stadt fühlte ich mich sofort geborgen. Hübsche Blumen standen auf den Fensterbrettern und bunte Pflastersteine zierten die Wege. Einige wenige kleine Autos standen am Straßenrand und ein paar Mütter beobachteten ihre Kinder beim spielen im Sandkasten.
Wessen Leben würde ich wohl heute beenden müssen? Martin Handea war der Name des Opfers. Doch wie sollte ich den finden? Am besten durchfragen.
„Hallo. Entschuldigen sie bitte, wo finde ich denn den Herrn Handea?“ fragte ich die Mütter. Eine von ihnen begann zu kichern:
„Herr Handea wohnt hier längst nicht mehr. Und ich bin seine Exfrau, ich muss es also wissen.“ Sie schüttelte den Kopf. Als sei ich ein Kind, dass einen Streich machen wollte.
„Oh, Entschuldigung, dann bin ich hier natürlich falsch…“ murmelte ich, als ich mich, den Kopf voller Fragezeichen, wieder entfernte. Das war unmöglich. Hatte sich der Tod geirrt?
Gerade als ich diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, hörte ich wie Frau Handea ihr Kind rief: „Martin! Komm mein Schatz, wir gehen wieder nach Hause!“
Texte: Idee und Text sind alleiniges Eigentum von alicemonstalein und maria2410
Bildmaterialien: Coverbild ist alleiniges Eigentum von alicemonstalein
Tag der Veröffentlichung: 29.04.2012
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