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1.



Mein erster Tag an der East-High sollte unglaublich für mich sein, dass dachte ich zumindest. Aber als ich die neuen, leichtsinnigen Mitschüler sah, die sich in jeder noch so kleine Ecke tummelten und sich in Cliquen zusammen taten, konnte ich nicht anders, als nervös zu werden.
Ich seufzte und legte meine Stirn in Falten. Nicht zu wissen, wohin man eigentlich gehen sollte war nicht typisch für mich. Ich wusste was ich wollte und tat auch alles dafür - meistens jedenfalls.
Mit angehobenen Kopf und gerümpfter Nase steuerte ich in einen der langen und jetzigen leeren Gänge an und musterte meine Umgebung mit kritischen Blicken. Von außen sah die Schule mit ihren hohen Mauern, den großen Gebäuden und den grauen Backsteinen noch ganz passabel aus, aber von innen schien es einen völlig einzuengen.
Die dunkel gehaltenen Flure der Schule sahen düster und verlassen aus und auch das formlose Klacken meiner teuren Absatzschuhe machte dies nicht besser. Ich schmunzelte leicht über das schaurige Bild, was sich in meinem Kopf zu formen begann. Eine Szene, die mich mein ganzes Leben lang verfolgte und nie verlassen hatte. Mein Vater, der sich mit einer silbernen Klinge in der Hand über ein wehrloses, fast verblutetes Opfer beugte und hämisch zu Grinsen begann, bemerkte nicht, wie ich zitternd hinter der fast abgebröckelten Mauer des Friedhofes stand und alles mit ansah.
Damals war ich noch klein und töricht gewesen, dachte, mein Vater würde jemand Unschuldiges, gar Verletzliches töten. Doch heute wusste ich es besser.
Erfreut, endlich die richtige Nummer des angegeben Raumes gefunden zu haben, straffte ich meine Schultern und klopfte zaghaft an. Nach einem heiseren „Herein!", betrat ich meine neue Klasse, wo sich alle Gesichter zu mir gewandt hatten. Schnell setzte ich mein liebenswertes Lächeln auf und ging zu dem Pult, wo der Lehrer auf mich zu warten schien.
„Lilyana Hole? Willkommen in Ihrer neuen Klasse.“
Ich verzog keine Miene und mein Lächeln hielt problemlos stand. Innerlich zählte ich schon die Minuten bis zur Pause. Der Lehrer sah noch recht jung aus, ich schätzte ihn um die Dreißig oder älter. Seine braunen, kurgeschnittenen Haare, sowie die gleich farbigen Augen machten ihn jünger, als es auf den ersten Blick zu sein schien. Doch was störte, war die schwarze Brille auf seiner Stupsnase, die er neugierig zu Recht rückte.
„Ja, die bin ich", antwortete ich klar und deutlich auf seine zuvor gestellte Frage und stütze leicht meine Hand auf die Hüften. Mein neuer Klassenlehrer wurde leicht rot im Gesicht, als er seinen Blick nicht von meiner Taille bekam und stotterte unsicher: „Sie können sich neben Mr. Brown setzen, das ist der einzig freie Platz hier im Raum."
Freundlich nickte und bedankte ich mich, bevor ich zu meinem angewiesenen Platz ging. Seufzend setzte ich mich auf den Stuhl und richtete meine Haare, ohne wirklich auf den weiteren Unterrichtsverlauf zu achten.
Ich strich meine dunkelblonden, hüftlangen Haare über die Schulter, wobei ich aufmerksam zu meinen Sitznachbarn schaute und ihm zuzwinkerte. Er war völlig überrumpelt und lächelte verlegen. Dabei konnte ich ihm schon in seinen Augen ablesen, dass er mir hilflos ausgeliefert war. Innerlich lachte ich laut, aber äußerlich hielt ich meine undurchdringbare Fassade aufrecht.
„Hey, ich bin Justin Brown. Freut mich dich kennen zu lernen“, flüsterte er.
„Meinen Namen kennst du ja bereits“, murmelte ich abwesend und stützte den Kopf mit meiner Handfläche. Er starrte mich unentwegt an und wurde rot. Als ich ihn fragte, was los sei, schüttelte er nur den Kopf, da es ihm sichtlich schwer fiel etwas zu sagen.
Als es endlich zur Pause klingelte, stand ich erleichtert auf und schulterte meine graue Hängetasche. Noch bevor ich auch nur einen Schritt tun konnte, hielt mich Justin am Arm fest und sah mir nervös in die Augen.
„Soll ich dir die Schule zeigen?"
Perplex sah ich ihn an und zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. Nach sekundenlangen Schweigen bejahte ich und machte mich von ihm los. Justin, der hinter mir ging, murmelte etwas unverständliches, aber ich war mir sicher, dass es meinem Verhalten zutun hatte. Ich war keines der Mädchen, die jedem Jungen verfielen.
Als ich an der Tür ankam und diese öffnen wollte, kam mir eine bleiche, stark aussehende Hand zuvor. Etwas irritiert blickte ich auf und sah in ein wunderschönes Gesicht. Sofort bemerkte ich die ungewöhnlichen Augen, die wie flüssiges Gold aussahen, und ich blinzelte mehrmals. Die hohen Wangenknochen und der Kiefer, mit der süßen, geraden Nase, waren stark ausgeprägt und wohlgeformt. Seine schwarzen Haare verdeckten fast seine unbeschreiblich schönen Augen. Mein Mund verzog sich und sah nun eher nach einer Grimasse, statt einem höflichen Lächeln aus. Ich schüttelte rasch meinen Kopf und schlüpfte aus der Tür.
Schnell fand ich die von mir gesuchte Cafeteria und schob die Tür. Justin stellte sich vor mich und sah mich erwartungsvoll an. Er fragte mich, ob ich bei ihm und seinen Freunden sitzen wolle, da ich ja noch keinen kenne, doch ich schüttelte deutlich den Kopf. Schwungvoll ging an ihm vorbei, direkt auf den gut aussehenden, mysteriösen Jungen zu, der mich in der Klasse völlig außer Kontrolle gebracht hatte. Ich blieb verwirrt stehen, als ich sah, dass neben ihm zwei weitere Personen saßen. Ein Junge mit bronzefarbenem, wirrem Haar und grünen Augen. Er war leicht muskulös und zudem sehr blass. An seiner Seite saß ein wunderschönes Mädchen. Sie hatte dunkelbraune, leicht lockige Haare und veilchenblaue Augen, die mich ausgiebig musterten; dabei verzog sie keine Miene. Sie war sehr zierlich und genauso blass wie der Junge neben ihr. Als ich sah, dass die beiden Händchen hielten, verstand ich sofort, dass dieser Typ verboten war. Die beiden waren ein Paar. Ich lächelte insgeheim über diese Überlegung in meinem Kopf. Was dachte ich da nur wieder?
Ich sah dem Jungen, der mich anstarrte, und dem wunderschönen Mädchen ins makellose Gesicht und bemerkte gewisse Gemeinsamkeiten. Sie hatten sehr ähnliche Gesichtszüge, was mich darauf brachte, dass sie Geschwister sein mussten. Plötzliche klingelte es wieder zum Unterricht und bevor ich auch nur irgendetwas sagen konnte, standen sie fast synchron auf und gingen an mir vorbei. Der Schwarzhaarige hatte mich danach nicht einmal mehr angesehen. Hatte ich wirklich solange nur dagestanden und sie angestarrt? Ich seufzte leise und ging etwas frustriert wieder zurück in die Klasse.

Nach den letzten vier, etwas merkwürdigen Stunden trat ich aus der Schule und streckte mein Gesicht direkt in die Sonne, die gerade durch die dicken Wolken brach. Doch ich zügelte meine Besessenheit von der Sonne und ging zügig zum Bus, wo sich die anderen Schüler bereits hineinquetschten. Das laute Grölen und die vielen Beleidigungen konnte man nicht überhören. Ich kramte genervt meinen MP3-Player aus meiner weißen Lederjacke und steckte die kleinen Kopfhörer in meine Ohren.
Schnell stieg ich ein, drängelte mich nach vorne und setzte mich auf einen der wenigen freien Plätze. Es passten nicht alle Schüler in den Bus und so mussten sie auf den Nächsten warten. Sie schlugen wütend gegen die Scheiben des Busses, worauf ich sie nur zufrieden angrinste und mich freute, dass ich nicht noch länger warten musste. Die ganze Fahrt über sah ich aus dem Fenster ohne auch nur ein Detail der Landschaft wahrzunehmen. Mir kam die Fahrt, mit den neugierigen Blicken der Jungs und dem Getuschel der Mädchen, vor wie eine halbe Ewigkeit. Sobald der Bus an einer Haltestelle hielt und die Tür öffnete, machte ich einen großen Satz nach draußen und holte einmal tief Luft. Leise summte ich den Rhythmus des Liedes, welches ich gerade hörte und betrachtete unser Haus von weitem. Die hohen Wände waren in einem perlweißen Ton gestrichen und glänzten leicht in der Sonne. Meine Schritte wurden langsamer, als ich den Geruch der Blumen wahrnahm, die in unserem Vorgarten blühten.
Kurz vor unserem Haus sah ich auf und bemerkte, dass meine Eltern mir schon die Tür geöffnet hatten und mich erwartungsvoll und zugleich fragend ansahen. Meine Mutter lächelte mich freundlich an und freute sich, dass ich wieder zu Hause war. Wir standen und sehr nahe und stritten äußerst selten. Mein Vater jedoch stand mit einem grimmigen Gesichtsausdruck hinter ihr und musterte mich kritisch. Er mochte es nicht, wenn ich mich verspätete. Und ich war eindeutig zu spät, was mir ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr verriet.
Schlendernd begab ich mich ins Wohnzimmer und stellte meine graue Tasche in die Ecke. Noch bevor ich mich auf die Couch fallen lassen konnte, trat meine Mutter vor mich und sah mich und sah mich freudestrahlend an.
„Wie war es in der Schule, Schatz?“, fragte sie ungeduldig und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. Jetzt geht die Fragerei los, dachte ich und lächelte zaghaft zurück.
„Ach", seufzte ich leise und setzte mich, um das Frage und Antwortspiel etwas erträglicher zu machen. „Bisher ganz gut. Ich konnte meine Mitschüler noch nicht so richtig kennen lernen, aber dafür habe ich ja noch genug Zeit."
Natürlich bemerkte meine Mutter nicht den Unterton in meiner Stimme. Ich dachte wieder zurück an den Jungen, der mich so fasziniert und doch etwas abgeschreckt hatte. Meine Beine hatten sich fast wie von selbst aus dem Klassenraum bewegt.
„Wir wissen, dass du ein kontaktfreudiges Mädchen bist. Du wirst das schon schaffen", sprach mir meine Mutter freudig zu und sah zu meinem Vater, der sich hinter sie gestellt und seine großen Hände auf ihre zierlichen Schultern gelegt hatte. Ich verschnaufte noch kurz auf der Couch, ehe ich aufsprang und die Treppen zu meinem Zimmer hinauf ging.
Fast lautlos verschwand ich in meine ganz persönliche Zuflucht, welches sich im zweiten Stock befand, und warf mich auf mein Bett, wo ich mein Gesicht in das große Kissen drückte. Mein Herz schlug schneller, als ich wieder an den Jungen dachte. Er hatte mich mit so einem intensiven Blick im Klassenraum gemustert, dass ich vor Schreck das Weite gesucht hatte. Müde schloss ich meine Augen und streifte die Absatzschuhe von meinen Füßen und grinste in mein Kissen. Wer wusste schon, was daraus noch werden sollte.


Am Morgen wurde ich durch ein fürchterlich lautes Geräusch geweckt. Mein Handy! Ich seufzte und tastete blind nach diesem verdammten Ding, um es endlich auszuschalten. Mit wenig Erfolg. Müde entschloss ich mich trotzdem dazu, meine schweren Augenlider zu öffnen und es endgültig abzustellen. Gemütlich reckte ich mich und wurde von warmen Sonnenstrahlen begrüßt, die meine Haut umspielten. Wie in Trance stand ich auf und ein Blick auf mein Handy genügte um mir einen Schauder über den Rücken laufen zu lassen.
Es war schon halb acht Uhr morgens!
Eilig rannte ich ins Bad und verfluchte schon den Anfang dieses Tages.
Schnell putzte ich mir die Zähne und wusch mir das Gesicht. Danach polterte ich die Treppe hinunter und rief: „Dad ich habe verschlafen! Kannst du mich bitte zur Schule fahren?“ Doch den Rest des Satzes verschluckte ich, als ich über meine eigenen Füße stolperte und mich gerade so noch am Treppengeländer festhalten konnte. Mein Dad ignorierte meine peinliche Szene auf der Treppe und nickte, als er zur Haustür ging. Nach ein paar Sekunden des Verschnaufens hörte ich schon den Motor unseres Autos schnurren. Ich schnappte mir meine Schultasche und rannte nach draußen zum Auto, wo mein Vater schon Platz genommen hatte und genervt zu mir herüber sah. Warum war er immer so mies gelaunt?
Ich schüttelte belustigt meinen Kopf und ließ mich neben ihn auf den Beifahrer sitzen gleiten. Sofort fuhr er los und warf mir immer wieder Seitenblickte zu, als ich ihn antrieb schneller zu fahren, da ich nicht schon am zweiten Schultag zu spät kommen wollte. Mir schoss ganz plötzlich wieder ein schlimmer Gedanke in den Kopf. Ich hatte in drei Tagen Geburtstag. Oh Nein, wieder ein Jahr älter! Ich musste immer wieder daran denken, dass Vampire nicht altern und ich irgendwann alt und faltig sein werde. Ich versuchte den Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen und schaute aus dem Fenster. Mit einem kräftigen Ruck erwachte ich wieder aus meinen sinnlosen Gedanken. Ich bemerkte, dass wir an der Schule angekommen waren und stieg aus, öffnete die hintere Tür um meine Tasche zu nehmen und ging zur Beifahrertür, um meinen Vater zu verabschieden.
So schnell es ging lief ich in das Schulgebäude, durch die Flure und in meinen Unterrichtsraum, wo ich sofort zum Lehrerpult sah und erfreut feststellte, dass selbst der Lehrer verspätet war. Erleichtert ging ich zu meinem Platz und ließ mich auf den Stuhl sinken. Ich sah zu Justin und schenkte ihm ein Lächeln, welches er mit geröteten Wangen kommentierte. Er war schon ziemlich nett gewesen, und irgendwie mochte ich ihn, doch mir ging dieser mysteriöse Junge nicht mehr aus dem Kopf.
Es war Mittwoch und somit hatten wir laut Stundenplan in den ersten beiden Stunden Musik, was schon immer für mich eine Art Befreiung und Inspiration gewesen war. Interessiert ließ ich meinen Blick durch den Raum wandern und hörte sogleich einen engelsgleichen Gesang. Ich drehte mich um und sah, dass dieses hübsche Mädchen aus der Cafeteria diese Töne von sich gab. Aus den Augenwinkeln konnte ich ihren Gefährten erkennen, der lautstark auf das Becken des Schlagzeugs trommelte und hämisch zu Grinsen begann, als er bemerkte, wie ich ihn musterte. Direkt neben ihm entlockte der mysteriöse Junge dem Klavier die sanftesten Töne, die den Raum erfüllten, wobei er zufrieden seine Augen schloss. Aus irgendeinem Grund konnte ich den Blick nicht von ihm abwenden, er faszinierte mich mich allem, was er tat. Ich wusste nichtmal seinen Namen, doch er wirkte anziehend auf mich. Es war egal, was er tat. Selbst wenn er nach draußen sah und verträumt dreinblickte, klebte mein Blick an ihm wie Kaugummi.
Plötzlich klingelte es zur Pause, ich zuckte bei dem lauten Geräusch zusammen und drehte mich schnell wieder nach vorne. Niemand merkte, wohin ich gestarrt hatte. Ein Glück... eine Peinlichkeit mehr und ich wäre vor Scham im Boden versunken.
Schnell stand ich von meinem Platz auf und schlenderte wie immer in die Cafeteria, stellte mich in der bereits langen Schlange an und begrüßte einige aus meiner Klasse. Es gab wieder so ein ekliges Essen wie die Tage zuvor, deswegen trat ich beiseite und ging zu dem Tisch an dem der süße Junge, seine Schwester und ihr Freund saßen. Mutig setze ich mich locker neben ihn und sprach ihn an.
„Hey ich bin Lilyana Hole. Wie heißt du?“
„Mein Name ist Victor Davis“, sagte er ruhig, ohne mich anzusehen.
Er zeigte auf das schöne Mädchen und ihren Begleiter und sagte: „Das ist meine Schwester Yasmin und ihr Verlobter Taylor Reed.“
Die beiden nickten mir nur zu. Ich fand, dass sie ein schönes Paar abgaben und musste erneut bei diesem Gedanken schmunzeln. Ich wusste nicht so recht über was ich mich mit ihnen unterhalten sollte, deswegen sagte ich einfach nichts. Ich schaute auf den Tisch und merkte, dass auch sie nichts zu essen genommen hatten. Vielleicht mochte sie es ja auch so wenig wie ich.
Ich achtete nicht weiter auf die anderen, denn mein Blick war nur auf ihn geheftet. Ich sah seine wunderschönen, goldenen Augen durch die Haare blitzen. Ich schaute mich kurz um und stellte fest, dass die drei, die mit mir an einem Tisch saßen, blasser waren als alle anderen in der Schule. Ich dachte mir nichts dabei und versuchte ein Gespräch mit ihnen zu führen.
Neugierig fragte sie wie alt sie seien und Taylor antwortete gleich für alle.
„Ich bin achtzehn ebenso wie Victor und Yasmin ist siebzehn!“, sagte er stürmisch und erntete einen strafenden Blick von seiner Freundin.
Entschlossen setzte ich mir das Ziel, so viel von ihnen zu erfahren, wie die Höflichkeit es zuließ.
Ich fragte Yasmin direkt, ob sie Hobbys hatte. Sie antwortete mir nicht sofort, sondern überlegte erst einige Zeit, bis sie schließlich doch einen kurzen Satz herausbrachte: „Ich singe gern“, sagte sie so still, als ob es niemand hören sollte.
„Ich hab dich vorhin im Musikunterricht singen gehört. Du hast eine wunderschöne Stimme!“, erwähnte ich mit meiner charmanten Art und ein freches Lächeln umspielte meine Lippen.
Einen Moment weiteten sich ihre großen, mandelförmigen Augen, ehe sie mich schüchtern anlächelte und leicht rot im Gesicht wurde.
Gerade als ich die nächste Frage stellen wollte, klingelte es wieder zum Unterricht. Ich wollte nicht, dass die Pause endete. Nicht nur, weil ich mehr über die drei erfahren wollte, sondern weil jetzt Sport auf dem Stundenplan stand. Ich hasste Sport schon immer. Besonders sportlich war nie gewesen, geschweige denn ausdauernd.
Schlendernd ging mit den dreien in die Sporthalle und sah wie Taylor und Victor in der Umkleide für Herren verwanden, während Yasmin die Tür zu der Mädchenumkleide aufstieß. Ich war mir nicht sicher, ob sie meine Anwesenheit erfreulich oder eher erdrückend fand. In dem Moment dachte ich nicht weiter darüber nach und setzte mich neben sie auf die Sportbank. Ich zog mir schnell mein Top und meine Sporthose an, streifte meine Armbanduhr ab und wartete auf Yasmin, um mit ihr in die Sporthalle zu gehen. Zu meiner Begeisterung stellte ich fest, dass Jungen und Mädchen getrennt Sport hatten, doch große Lust auf Sport hatte ich nicht und so ging ich zur Lehrerin und sagte, dass mir es nicht gut ginge, da ich gerade erst eine schwere Grippe hinter mir habe. Natürlich entsprach das nicht der Wahrheit, doch ich wollte mich nicht vor der gesamten Klasse lächerlich machen. Für Sport hatte ich nie etwas übrig gehabt. Alle waren schneller, geschickter und einfach besser als ich.
Sie nahm mir meine Lüge ab, ohne weiter auf mich zu achten.
Erleichtert setzte ich mich auf die Bank, wo ich zu meiner Verwunderung auch Yasmin sah, die wohl auch keine Lust auf Körperlichebetätigung hatte.
Wir sahen zu, wie die anderen Mädchen Runde für Runde durch die Turnhalle drehten, wobei sie mir fast schon leid taten. Nachdem sie sich aufgewärmt hatten, spannten sie ein großes Netz und bildeten Teams. Bei diesen Wahlen war ich immer eine der Letzten, die ausgewählt wurden. Sobald jeder einem Team zugeordnet war, begann das Spiel.
Die Mädchen spielten sich abwechselnt den Ball zu und klatschten wie wild in die Hände, wenn sie einen Punkt ergattert hatten. Wie kann man nur solch eine Begeisterung für Volleyball aufbringen, fragte ich mich kopfschüttelnd.
Kurz sah ich zu Yasmin und bemerkte, dass sie ein dickes Buch in den Händen hielt und wie versunken in ihrer eigenen Welt darin las.
Angestrend versuchte ich den Titel des Buches lesen zu können, doch sie hielt ihre Hand davor und dachte gar nicht daran, diese wegzunehmen. Die Lehrerin pustete so laut in ihre Trillerpfeife, dass sogar die verträumte Yasmin wieder von ihrem Buch aufschaute und fragend ihre Augenbrauen in die Höhe zog.
Die Lehrerin rief mit lauter Stimme, dass es Zeit für ein Zirkeltraining sei. Sofort begannen die Mädchen das Netz abzubauen und verschiedene Stationen herzurichten.
Jetzt taten sie mir wirklich leid. Ich hasste es, ins Schwitzen zu kommen und beim Zirkeltraining war dies unausweichlich. Yasmin war wieder in ihr Buch vertieft und sah kein einziges Mal mehr auf.
Desinteressiert sah ich den anderen bei den Übungen zu, die sie machen mussten. Erleichtert seufzte ich, als es zum Stundenende klingelte. Die Hände in meine Hosentasche vergraben, achtete ich nicht mehr auf Yasmin und ging schnell zur Umkleidekabine der Damen. Die anderen Mädchen waren schon fleißig am Reden und besprühten sich gegenseitig mit ihren Deosprays, sodass ich mich nur noch schneller versuchte anzuziehen, nur um hier raus zu kommen. Möglichst mit wenig Deo- oder Schweißgeruch an mir. Mein Magen meldete sich grummelnd, als ich die Cafeteria betrat. Ich hatte schon den ganzen Tag Hunger, wollte aber trotzdem nichts von dem ekeligen Essen probieren, dass sich später bestimmt als vergammelt oder unbrauchbar herausstellen würde.
Ich war eine der Ersten, die sich anstellte um etwas zu Essen zu bekommen, auch, wenn ich das eigentlich gar nicht wollte. Etwas in meinen Magen bekommen, musste ich trotzdem und so entschied ich mich für eine fettfreie Portion. Salat. Ich setze mich an den Tisch, wo ich die Pause zuvor schon mit Taylor, Yasmin und Victor gesessen hatte und wartete geduldig auf sie.
Nach ein paar Minuten voller lautem Gerede und schmatzenden, vollen Mündern, wunderte ich mich, dass sie immer noch nicht da waren. Sie saßen jede Pause an diesem Tisch, das dachte ich zumindest...Verwundert schaute ich mich um, doch ich entdeckte sie nirgends.
Es klingelte zu den letzten beiden Stunden, als ich müde auf meinen Teller sah und ihn traurig in die Ablage schmiss. Wieder nichts gegessen. Seufzend ging ich den Flur entlang, wo ich einige interessierte Blicke der Jungen auf mich zog und einige neidische Blicke der Mädchen spürte.
Ich ließ mir nichts anmerken und ging selbstbewusst ins Klassenzimmer und freute mich auf die nächsten beiden Stunden. Na ja, wie man denn das Wort 'Freude' bezeichnen konnte, dachte ich sarkastisch und ließ mich auf meinen Stuhl fallen. Murrend packte ich meine Sachen aus und starrte auf die Tafel, als ich Justin bemerkte, wie er sich neben mich setzte und versuchte, auf mich einzureden. Genervt warf ich einen Blick über meine Schulter und ich sah wieder einmal in diese zauberhaften Augen. Genau in dem Moment wo ich Victor angestarrt hatte, blickte er neugierig auf. Kurz musterte er mich und es zuckte um seine Mundwinkel, als er meinen Blick bemerkte. Beschämt und ertappt drehte ich meinen Kopf nach vorne und bekam einen missmutigen Blick von Justin zugeworfen. Ich ignorierte ihn, warf meine langen Haare nach vorne und dachte daran, warum Victor und das süße Pärchen nicht an den üblichen Plätzen in der Cafeteria gesessen hatten. Sie waren nicht einmal dort gewesen. Währenddessen versuchte ich mich auf den Unterricht zu konzentrieren, da ich nichts Wichtiges verpassen wollte. Doch es ließ mir keine Ruhe. Verblüfft sah ich auf die Uhr, es waren nur noch fünf Minuten bis Schulschluss. War ich so versunken in meinen Gedanken, dass ich die Zeit aus den Augen verlor?
Ich dachte weiter darüber nach, da es zu spät warum jetzt noch aufzupassen. Dabei hatte ich eh kaum zugehört und wenig Lust dazu gehabt. Mir fiel einfach kein Grund ein, warum Victor, Yasmin und Taylor mich mieden. Der Lehrer bemerkte, dass ich nicht aufpasste und bat mich nach dem Unterricht zu ihm zukommen. Oh nein! Wieso musste das ausgerechnet mir passieren?
Laut dröhnte das Klingeln der Schulglocke in meine Ohren und ich seufzte, ehe ich meine Sachen zusammen klaubte und von meinen Stuhl aufstand. Langsam ging ich zum Lehrerpult und wartete bis Mr. Meyer anfing mich zu tadeln. „Miss Hole! Wenn Sie weiterhin so abwesend im Unterricht sind, werde ich bei Ihren Eltern anrufen müssen“, sagte er mit lauter Stimme und rückte wieder einmal seine schwarze Brille zurecht.
„Es tut mir Leid, Mr. Meyer. Es wird nie wieder vorkommen“, sagte ich einsichtig und schaute gespielt unschuldig in seine braunen, verwirrten Augen. Etwas verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und schmunzelte.
„Gut. Diesmal lasse ich Sie noch mit einer Verwarnung davon kommen. Sie können jetzt gehen.“, sagte er etwas ruhiger und schaute auf seine braune Ledertasche, die auf dem Pult lag. Beruhigt drehte ich mich um und verließ das Klassenzimmer, ohne den Lehrer zu verabschieden.
Als ich den Gang runter ging, sah ich Yasmin an ihrem Schließfach, wie sie versuchte ihre Bücher hinein zu stopfen; dabei fielen ihr ein großes Buch auf den Boden.
Es landete direkt vor meinen Füßen und ich lachte leise, ehe ich mich herunter beugte und es mit einem schnellen Griff aufhob. Lächelnd überreichte ich es ihr, ohne auf den Titel zu achten.
Sie sah mich mit großen Augen an und nahm es mir schließlich dankend aus der Hand. Ohne, dass sie weiter sprechen konnte, wandte ich mich von ihr ab und vergrub meine Hände in die Hosentaschen. Mit schnellen Schritten ging ich nach draußen und mich erfasste eine kleine Windböe, die mir sanft durchs Gesicht strich. Als ich gerade an der Bushaltestelle ankam, fuhr der Bus schon los und ließ mich einfach alleine zurück. Ich wollte hinterher laufen, doch dies gestaltete sich schwierig mit High-Heels. Der Bus bog in eine Straße ein und weg war er. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare, als ich an meinen Vater dachte. Aufgebracht trat ich den langen Fußmarsch nach Hause an. Wieso musste ich bloß den Schulbus verpassen?
„Mr. Meyer", brummte ich wütend seinen Namen und stapfte über die Straße. Ich ging ein paar Meter und sah wie ein Auto vor mir hielt. Es war ein schwarzer Volvo, der sehr elegant und teuer aussah.
Wer diesen Wagen wohl fuhr?
Während ich überlegte, fuhr die Autoglasscheibe herunter und als ich hinein blickte, stellte ich fest, dass Yasmin die Fahrerin des schönen Autos war. Wieso hielt sie vor mir an? Will sie mich etwa mitnehmen, obwohl ich sie vorhin einfach stehen gelassen hatte? Ich versuchte etwas zu sagen, doch bevor ich ein Wort heraus brachte, fing sie an zu reden.
„Ich habe gesehen, dass du den Bus verpasst hast. Soll ich dich nach Hause fahren?“, fragte sie höflich.
„Oh... eh, ja! Vielen Dank“, sagte ich schnell und verhaspelte mich mehrmals. Zügig stieg ich ein und schnallte mich an; sie konnte es sich ja immerhin noch anders überlegen. Bedrückt schaute ich aus dem Fenster und sah nur undeutlich ein paar Bäume am Straßenrand. Ohne Yasmin hätte ich Stunden nach Hause gebraucht. Nun, vielleicht nicht ganz so übertrieben, aber es hätte lange gedauert. Sie fuhr schnell, so schnell dass ich mich an einem Griff festhalten musste um einen Hauch von Sicherheit spüren zu können. Nervös hob ich meinen Blick und versuchte sie anzusehen, fragte schließlich, wo sie die Pause verbracht hatten. Yasmin sah stur geradeaus und ich fragte mich, ob sie mir heute, oder erst morgen Abend die Antwort geben wollte, als sie plötzlich hastig sprach: „Ähhmm...wir waren...Oh schau, wir sind da!“
Ich hob meinen Blick und sah auf unser Haus. Ohne ein weiteres Wort zusagen stieg ich aus und schlug die Autotür hinter mir wieder zu.
„Danke, dass du ich mitgenommen hast. Ich bin dir was schuldig.“
Sie lächelte mich an, sagte jedoch nichts und ich überging, dass sie mir eher eine Antwort schuldete. Mit quietschenden Reifen fuhr sie davon. Ich schaute ihr noch nach, bis sie um die Ecke gebogen war und ging dann zur Haustür.
Schnell kramte ich in meiner Tasche und fand nach einer kleinen Rauferei meinen geliebten Schlüssel. Als ich das kalte Metall spürte zog ich ihn raus, steckte ihn ins Schlüsselloch und drehte ihn bis die Tür ein ‚klick’ von sich gab. Vorsichtig schaute mich um, um sicher zu gehen, dass meine Eltern nicht zu Hause waren. Ich wollte nicht beim zu Zuspätkommen erwischt werden. Als ich sichergestellt hatte, dass meine Eltern nicht zu Hause waren, ging ich gemütlich in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Ein Glück, dass mein Vater heute Spätschicht hatte.
Gelangweilt suchte ich mein Tagebuch. Zu meiner Verwunderung fand ich es unter meinem Kopfkissen. Wie kam es dorthin? Ich konnte mich nicht daran erinnern, es hier hingelegt zu haben, dachte ich grübelnd und seufzte. Langsam legte ich mich auf mein Bett und schrieb die Dinge, die in der letzten Zeit passiert waren, hinein und dachte verträumt an Victor.
Victor...
Müde gähnte ich und blinzelte einmal erschrocken, ehe ich mein Tagebuch wieder unter das Kissen legte und mir die Decke über das Gesicht zog. Wenige Minuten darauf war ich schon eingeschlafen.


2.



Ich wachte nicht so sanft auf wie ich es erhofft hatte, denn ich hörte ein lautes Geräusch aus meinem Zimmer. Erschrocken setzte ich mich in meinem Bett auf und versuchte herauszufinden, was dieses Geräusch hervorrief. Genervt rollte ich mit den Augen, als ich sah wie das Fenster durch den Wind laut auf und wieder zu schlug. Langsam stand ich auf und schloss das Fenster.
Heute war der Tag vor meinem Geburtstag und somit der letzte Tag als Siebzehnjährige.
Müde gähnte ich einmal herzhaft, ehe ich mich umdrehte und mich meinem großen Kleiderschrank zuwandte. Schnell zog ich mir eine Röhrenjeans und mein Lieblingstop an. In meine High-Heels musste ich nur reinschlüpfen und schon war ich fertig. Ich ging langsam die Treppe hinunter, darauf bedacht, nicht wie am Vortag über meine eigenen Füße zu stolpern. Als ich unten angekommen war, hielt ich Ausschau nach meinen Eltern, denn ich war noch zu müde um zu reden. Sie waren nicht in Sicht, also ging ich diesmal schneller aus dem Haus, da ich noch pünktlich zur Schule kommen und nicht verschwitzt ins Schulgebäude rennen wollte.
Da es noch sehr früh war, ging ich den Weg zur Schule. Ich hatte keine große Lust in der Kälte stehen zu bleiben und auf den Bus zu warten. Nachdenklich schaute ich den vorbeifahrenden Autos hinterher. Ich bemerkte zunächst nicht, dass ich schon fast an der Schule angekommen war, bis plötzlich jemand lautstark hupte und ich an die Seite springen musste. Ich sah wie alle mit ihren Autos vor fuhren und sie gekonnt parkten. Es war viertel vor Acht, als ich auf meine Armbanduhr schaute und meine Stirn runzelte. Es blieb mir noch genug Zeit, um in meinen Klassenraum zu kommen. Erschrocken blickte ich auf, als ich das Röhren eines bekannten Motors hörte. Zu meiner Begeisterung stellte ich fest, dass es Victor, Yasmin und Taylor waren, die gerade parkten. Natürlich fuhr Taylor das protzige Auto, so wie ich ihn kennen gelernt hatte, war er eine vorlaute aber dennoch sehr freundliche Persönlichkeit.
Plötzlich schlich sich ein angenehmer Duft in meine Nase, der direkt von Victor ausging. Für einen kurzen Moment verwandelten sich meine Knie wie in Butter gehüllt und ich verlor für eine Schreckenssekunde die Oberhand meines Körpers. Verärgert spannte ich meine Beine an, konzentriere mich auf das Schulgebäude und seufzte erleichtert, als der Wind den Duft in die andere Richtung wehte. „Alles in Ordnung?“, fragte Victor und stand nun genau vor mir, wo ich seinen Duft nur intensiver einatmen konnte. Für einen Moment wollte ich ihn näher zu mir heranziehen, seine Haut liebkosen, seinen aromatischen Duft inhalieren und seine starken Arme um mich fühlen.
Verwirrt riss ich meine Augen auf und nickte schnell, damit Victor nichts davon mitbekam. Verdammt, seit wann war ich denn so?
Mit erröteten Wangen liefen wir Yasmin und Taylor hinterher, die schon eilig am Quatschen waren. Vergeblich versuchte ich meine Sicht nur auf das Vordere vor mir zu beschränken, jedoch folgte mein Blick einem kräftigen Arm, dessen Muskeln angespannt waren, bis hin zu den bekannten, verwuschelten, schwarzen Haaren. Schweigsam, wobei nur Yasmin und ich nichts sagten, ging ich mit ihnen in die Klasse und setzte mich auf meinen Platz neben Justin, der mich freudig erwartet hatte. In den ersten beiden Stunden hatten wir Politik. Ich mochte unseren Politiklehrer, denn er war nicht so streng wie all die anderen Lehrer, die ich bisher kennen gelernt hatte. Und ehrlich, mehr wollte ich auch gar nicht kennen. Mr. Benett war ein noch sehr jung. Ich schätzte ihn auf ende Zwanzig, vielleicht war er ja noch jünger als ich annahm, doch es war unhöflich eine erwachsene Respektsperson nach deren Alter zu fragen. Ich konzentrierte mich auf das Thema und schrieb alles, was mir wichtig erschien, in meinen Block. Dabei bemerkte ich die vielen, gaffenden Blicke, die von den Mädchen kamen. Sie alle sahen unseren Lehrer Mr. Benett an und betrachteten ihn wie Frischfleisch, welches sie unbedingt erobern wollten. Über diesen Gedanken musste ich leise kichern und verzog belustigt meinen Mund, was mir einen fragenden Blick von Justin einbrachte. Ich schüttelte nur den Kopf und symbolisierte ihm somit, dass ich nichts dazu sagen wollte.
Die Zeit verging rasend schnell, so schnell, dass ich mich wunderte als es zu Stundenende klingelte. Gebannt und leise quietschend stürzten die Mädchen nach vorne
Seufzend erhob ich mich von meinem Stuhl und schlenderte den Gang hinunter zur Cafeteria. Ich nahm nichts von dem Essen, da ich eh keinen besonderen Hunger auf Hackfleisch mit Tomatensauce, weiß Gott wer das hier auf den Speiseplan gestellt hatte, und setzte mich eilig neben Victor, während Yasmin und Taylor sich verliebte Blicke zuwarfen. Seufzend ließ ich mich tiefer in den Sitz gleiten.
„Was ist los?“, fragte Victor.
„Ich hab morgen Geburtstag“, murmelte ich angespannt und knirschte mit den Zähnen.
„Aber wenn du morgen Geburtstag hast, müsstest du dich doch freuen“, antwortete er schnell aber bestimmt.
„Ja, eigentlich schon…“, sagte ich mit zunehmender Nervosität und meine Hände begannen leicht zu zittern. „Trotzdem tue ich es nicht.“
„Gibt es dafür einen bestimmten Grund?“
Natürlich gab es einen, aber den konnte ich ihm nicht verraten, denn er würde mich für verrückt halten, wenn ich es ihm sagen würde. Oder gleich in eine Klapse stecken lassen. Oh Gummizelle, ich komme...
„N-Nein“, stammelte ich nur, seufzte laut und strich mir nervös durch die Haare. Er lachte sein kehliges Lachen, was schon fast einem süßen Grunzen gleichkam, und musste belustigt meinen Kopf schütteln. Ich wandte den Blick von seinen wunderschönen Augen ab und sah nun zu Yasmin und Taylor. Yasmin wirkte so Regungslos wie eine Statue, sodass ich meine Augenbrauen hochzog und verwirrt die beiden vor mir anstarrte.
Taylor, der neben ihr saß, hatte sein Augenmerk nur auf sie gerichtet, als müsse er sie beschützen; als dürfe ihr nie etwas geschehen. Plötzlich klingelte es wieder Laut zum Unterricht und ich zuckte erschrocken zusammen. Seufzend erhoben wie uns von unseren Stühlen, was mich leicht schmunzeln ließ. Allesamt waren sie Musterschüler, die wenig Lust auf Unterricht hatten. Wie sie das hinbekamen, trotzdem noch gute Noten zu schreiben, war mir nach wie vor ein unlösbares Rätsel.
Ich ging wieder direkt neben Victor, um seinen berauschenden Geruch zu erhaschen und mich von ihm betören zu lassen. Ich runzelte die Stirn. War ich süchtig nach ihm und seinem Duft? Ich schüttelte den Kopf und ging schweigend neben ihnen weiter. Yasmin und Taylor gingen vor uns und hielten Händchen, unterhielten sich angeregt, was für Yasmin eher untypisch war, und Victor lächelte sanft. Es war schön sie so glücklich zusammen zu sehen, was mir gleich auch ein Lächeln auf die Lippen zauberte.
Wir erreichten den Klassenraum und gingen alle zu unseren Plätzen. Victor, der hinten in der letzten Reihe saß, warf mir einen undeutsamen Blick zu. Ich nickte und drehte mich wieder um. Justin neben mir zog verwirrt die Augenbrauen zusammen, sagte aber nichts dazu. Die nächsten beiden Stunden würden nicht allzu schwer werden, da wir eines meiner Lieblingsfächer hatten. Kunst. Hah!
Wir wurden angewiesen ein Bild unseres größten Traumes zu entwerfen. Egal, ob man sich ein Auto oder die wahre Liebe wünschte. Wahre Liebe... ich seufzte und blickte nachdenklich aus dem Fenster. Was war mein größter Traum? Ich wusste es nicht, denn ich war keine Träumerin, ich war meist eine, die realistisch dachte. Nun, außer wenn's um Victor ging. Wieder ein Seufzer meinerseits. Ich dachte viel darüber nach, was mein größter Traum sein konnte, doch mir fiel einfach nichts ein.
Mr Wood kam auf mich zu, mit einem leicht interessierten Blick auf das schneeweiße Blatt, welches vor mir lag. Ich jedoch ließ mich weiter in den Stuhl sinken und schaute unschuldig nach oben in ihre grauen Augen.
„Wieso fangen Sie nicht an zu zeichnen, Miss Hole?“, fragte sie ruhig.
„Ähm...Ich weiß nicht so recht was mein größter Traum ist“, entgegnete ich ihr leise und ließ meine Schulter hängen. Mein Rücken stieß gegen die Holzlehne und ich musste stark einen Schmerzenslaut unterdrücken.
„Lassen Sie sich Zeit. Es wird Ihnen irgendwann einfallen, was Sie sich am meisten auf der Welt wünschen“, sagte sie mit ihrer hellen, fröhlichen Stimme. Ich stöhnte auf, beließ es aber dabei.
Von da an war mir die Lust auf den Kunstunterricht vergangen. Wie schnell ich doch meine Meinung ändern konnte; war ja fast wie in einem Film. Ich hätte vor Freude jubeln können, als ich die laute Schulklingel hörte und fast alle Schüler schnell aufstanden und nach draußen rannten. Bloß weg hier.
Victor wartete bereits auf mich an der Tür. Schnell packte ich meinen Block ein und stand auf.
Ich wunderte mich, als ich sah, dass Taylor und Yasmin nicht mehr da waren. Bestimmt befanden sie sich schon in der Cafeteria.
„Willst du mich auf einen Spaziergang durch die Schule begleiten?“, fragte Victor mich leise und schaute auf mich herab. Seine samte Stimme umschmeichelte meine Sinne und ich schluckte laut, als ich mit großen Augen zu ihm aufsah. Victors schwarze Haare fielen ihm leicht über die Augen, die zu strahlen schienen.
„Ja, wieso nicht“, antwortete ich ihm schnell und versuchte damit meine Unsicherheit zu verbergen.
Wir gingen die ersten Meter stumm nebeneinander her, schwiegen fast um die Wette. Ich kannte die Gänge nicht in denen wir uns aufhielten.
Plötzlich schoss mir wieder sein einzigartiger Geruch in die Nase, als eine leichte Brise um meine Wangen strich und eine Gänsehaut auf meinen Armen hinterließ. Ich hätte stundenlang an ihm riechen können, aber das wäre irgendwie verrückt gewesen.
Ich war froh mal mit Victor allein sein zu können, denn ich hatte so viele Fragen, die mir auf der Zunge brannten. Erst jetzt erkannte ich den Weg. Wir waren wieder in Richtung Cafeteria gegangen. Dies war meine letzte Chance Victor alles zu fragen, was ich wissen wollte. Doch ich traute mich nicht und so blieb mein Mund geschlossen. Wir traten gleichzeitig durch die Tür. Mein Blick fiel gleich auf den Tisch an dem Yasmin und Taylor saß. Ich sah die beiden tuscheln und leise kichern.
Ich lächelte sie beide freundlich an und zusammen gingen wir auf den Tisch zu. Victor ließ sich locker und mit einer geschmeidigen Bewegung auf seinen Stuhl sinken. Er beugte sich zu den beiden und sprach so leise mit ihnen, dass ich kein Wort verstehen konnte. Ich wollte ja nicht unhöflich sein und lauschen, aber ich hörte, dass sie über mich sprachen. Es musste ja nichts Gemeines sein, aber ich hörte meinen Namen deutlich heraus. Sie hätten auch gesagt haben können, dass sie mich sehr nett fanden. Ich schmunzelte.
Wollte ich wirklich glauben, dass sie mich nett fanden? Die Antwort war ein eindeutiges Ja.
Ich machte mir nichts daraus und lächelte einfach weiter in die Runde. Diese Geste müsste äußerst dämlich auf andere wirken, doch ich ließ mich dadurch nicht beirren. Wenn einem zum Lachen zumute war, dann sollte man es einfach zulassen.
Sie setzten sich wieder normal auf ihre Stühle und grinsten mich frech an. Ich wollte lieber nicht wissen, was sie so lustig fanden. Zum Glück klingelte es endlich.
Langsam stand ich auf und ging in die Klasse zurück. Zu meinem Bedauern hatten wir in den letzten beiden Stunden Mathe. Eine Stunde war schon eine Qual und gleich zwei hintereinander waren fast unerträglich.
Ich war noch nie gut in Mathe. Ich versuchte mich auf den Unterricht zu konzentrieren, damit ich wenigstens irgendetwas verstand. Eines meiner größten Probleme war, dass ich mich zu schnell ablenken ließ. Ich fragte mich wieder, was die Drei in der Cafeteria besprochen hatten.
Andauernd redete ich mir ein, dass es etwas Nettes gewesen sein musste. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie so heimtückisch waren und am selben Ort lästern würden, auf dem ich mich gerade befand. Nein... so hatte ich sie bisher nicht kennen gelernt. Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, dass es nur noch wenige Minuten bis Schulschluss war. Wieso verging heute alles wie im Flug? Ich konnte es mir nicht erklären, musste mich aber einfach darüber freuen.
Gelangweilt ging ich aus der Schule und wartete an der Bushaltestelle auf den Bus. Der Schreck durchfuhr mich, als mir jemand auf die Schulter tippte. Ich drehte mich mit weit aufgerissenen Augen um und erblickte Victor.
Mein Herzschlag ging plötzlich wieder unregelmäßig. Dies geschah in letzter Zeit öfter, wenn Victor in der Nähe war. Wenn er mir seinen Blick schenkte, war ich öfters hin und her gerissen und wusste nicht mehr, was ich eigentlich hatte sagen wollen.
„Soll ich dich nach Hausen bringen?“, fragte er charmant und lächelte mich warm an.
„Gerne. Ich hab es sowieso satt, ständig auf den Bus warten zu müssen“, antwortete ich.
Er lächelte sein schiefes Lächeln, was mich für einen Moment vergessen ließ, wo wir uns gerade befanden. Doch er war schon ein paar Schritte voraus gegangen und so schüttelte ich schnell meinen Kopf und ging ihm hinterher, dabei fand plötzlich den Boden unheimlich interessant. Als wir vor seinem Auto standen, welches vorher Taylor gefahren hatte, machte ich große Augen. Geschmeidig öffnete er mir die Tür, ließ um das Auto herum und setzte sich mit fließenden Bewegungen ans Steuer, während ich immer noch völlig unschlüssig dastand.
„Hey, Kleines“, sagte Taylor plötzlich hinter mir und grinste mich frech von der Seite an, dabei hatte er mir seine große Hand auf die Schulter gelegt. „Möchtest du hier übernachten oder steigst du heute noch ein?“
Ich seufzte kurz, nickte stumm und ließ mich neben Victor auf den Sitz gleiten. Yasmin und Taylor machten es sich hinten gemütlich und kuschelten sich aneinander. Kurz parke Victor aus, was mich tiefer in den Sitz gleiten ließ und fuhr schon fast rasend die Straße entlang. Ich sah aus dem Fenster, erkannte jedoch nichts, außer wenige Grundrisse von Bäumen oder Häusern die an uns vorbeirauschten.
Das Auto wurde langsamer, so dass ich erkennen konnte, wo wir uns genau befanden. Mein Blick wandte sich zu meinem Haus, als Victor das Auto in die Einfahrt geparkt hatte. Ich nahm meine Tasche und stieg aus. Ich wollte gerade die Tür aufschließen, da ließ Taylor das Fenster runterfahren und sagte: „Bis morgen, Kleine.“
Ich musste kichern. Taylor lachte laut los und Victor stimmte mit in sein Lachen ein. Wie ein kleines Schulmädchen winkte ich zum Abschied und verschwand in unserem Haus. Ich freute mich schon wahnsinnig auf mein Bett, denn das Knallen des Fensters hatte mir meinen gebrauchten, und unbedingt nötigen, Schlaf geraubt. Ich stapfte die Treppen hoch und warf meine Tasche in den Flur, bevor ich mein Zimmer erreichte und mich aufs Bett fallen ließ. Ich fühlte etwas Hartes unter meinem Kopfkissen, als ich drunter fasste und mein Tagebuch hervor zog, fiel mir ein, dass ich es letztes Mal nicht dort hingelegt hatte. Ich war mir hundertprozentig sicher. Ich vernahm wieder diesen süßlichen Geruch. Diesmal konnte er nicht von Victor kommen, denn er war ja noch nie hier gewesen. Ich zog meine Stirn in Falten, während ich das kleine Etwas in meinen Händen hielt.
Ich roch an meinem Tagebuch und erkannte den Geruch sofort wieder. Es war ganz sicher derselbe. Aber wie konnte Victor an mein Tagebuch kommen? Es war mir ein Rätsel, wieso mein Tagebuch nach Victor roch. Ich konnte es mir nicht erklären und seufzte tief.
Vielleicht hatte ich mir das alles nur eingebildet, schließlich war ich todmüde und sicher nicht mehr richtig Zurechnungsfähig. Ich nahm mein Tagebuch und legte es auf meinen Nachttisch, währenddessen streifte ich meine Jeans ab und schlüpfte aus den hohen Schuhen.
Ich ließ meinen Kopf in mein kuscheliges Kopfkissen fallen und schlief wenige Augenblicke darauf ein.


Am Morgen weckten mich die heiteren Sonnenstrahlen sanft aus meinem Schlaf, während sie neckisch mein Gesicht umspielten. Ich rieb mir meine verschlafenen Augen und gähnte herzhaft.
Langsam schlüpfte ich aus meinem kuscheligen Bett und zog mich für die Schule an. Es war schön, dass dieser Tag so gemütlich anfing, denn eigentlich war es ein für mich unerfreulicher Tag.
Es war mein achtzehnter Geburtstag. Jeder freute sich auf seinen achtzehnten Geburtstag, nur ich nicht, denn ich wusste, dass es Wesen gab, die für alle Ewigkeit Jung und Schön blieben. Missmutig stapfte ich die Treppe hinunter, immer noch darauf achtend, dass ich nicht über meine eigenen Füße stolperte, und ging in die Küche um mir etwas zu Essen zu machen. Plötzlich fühlte ich, wie zwei zierliche Arme mich an einen warmen Körper drückten
Meine Mutter war aufgedreht wie immer.
„Alles Liebe zum Geburtstag meine Süße. Und wie fühlt man sich mit Achtzehn?“, fragte sie neugierig.
„Ich fühle mich genauso wie mit Siebzehn“, antwortete ich ihr gleichgültig und befreite mich langsam aus ihrer Umarmung. Oder eher Umklammerung. Schlürfend kam auch mein Vater in die Küche, beobachtete mich und meine Mutter kurz, ehe er sich abwandte und sein Essen aus dem Kühlschrank holte.
„Alles Gute“, sagte er ruhig, schluckte den Rest seines Kaffees herunter und stellte die Tasse laut auf der Theke ab. Er war eher ein strenger aber zugleich liebevoller Vater. Ich mochte seine Ruhige Art -meistens jedenfalls.
„Danke Dad“, gab ich zurück.
„Wir haben ein Geschenk für dich!“, quietschte meine Mutter aufgeregt und rannte sogleich an mir vorbei. Ich versuchte einen Umschlag zu entdecken oder eine kleine Schachtel, doch ich fand nichts dergleichen. Eigentlich wollte ich keine Geschenke haben, aber ich wartete trotzdem gespannt auf das was ich bekommen sollte.
„Wo ist es denn?“, fragte ich.
Meine Mutter kam wieder zurück, sagte nichts und hielt mir einfach die Augen zu. „Es steht draußen, ich führe dich hin“, quietschte sie wieder fröhlich und summte ein Geburtstagslied.
„Vorsicht Stufe“, sagte sie.
Ich führte meinen Fuß vorsichtig nach unten, um nicht hinzufallen. Ich wusste ja, dass ich zu solchen Aktionen neigte. Seufzend ließ ich mich von ihr weiterführen. Als sie stehen blieb freute ich mich darüber, dass die Scharade zu Ende war und sie nahm ihre weiche Hand vor meinen Augen weg.
Ich musste zuerst ein paar Mal blinzeln um mich wieder an die Helligkeit zu gewöhnen.
Ich erkannte etwas ganz Großes vor der Einfahrt, doch ich konnte es nur sehr unscharf sehen.
Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und entspannte mich.
Als ich sie wieder öffnete konnte ich keinen klaren mehr Gedanken fassen, da mir etwas Glänzendes und äußerst Großes vor die Nase hielten. Was sie mir schenkten war etwas übertrieben. Doch ich freute mich sehr über dieses Geschenk, denn sie schenkten mir etwas, was ich schon immer haben wollte aber wofür mein Erspartes nie gereicht hätte. Mein Traum von einem eigenen Auto erfüllte sich an meinem achtzehnten Geburtstag. Es war nicht irgendein Auto, es war der Audi A8, den ich bewunderte und schon immer haben wollte. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich starrte eine Weile auf mein eigenes Auto, konnte es nicht fassen was ich dort sah.
„Wow...D-Danke“, stammelte ich, denn zu mehr war ich nicht imstande. Glücklich fiel ich meinen Eltern in die Arme und küsste sie auf die Wange.
„Gehört der jetzt wirklich mir?“, fragte ich ungläubig.
„Ja Herzchen, er gehört dir. Du hast letztes Jahr deinen Führerschein gemacht und nun bekommst du dein Auto dazu“, sagte sie und lächelte mich warm an.
Mein Vater sagte nichts mehr, aber ich konnte ihm ansehen, dass er sich für mich freute.
Ich schaute auf meine Uhr und merkte, dass es Zeit für Schule war.
Überglücklich hüpfte ich in mein Zimmer um meine Tasche zu holen, die ich aus anfänglichem Frust vergessen hatte. Ich ging zu meinem silbernen Auto und freute mich auf die erste Fahrt. Die Jungfernfahrt. Ein schelmisches Grinsen schlich sich auf meine Lippen, als ich meinen Vater anschaute. Er warf mir die Schlüssel zu und zwinkerte neckend.
Ich lachte laut und warf meine Tasche auf den Rücksitz. Vorsichtig schnallte ich mich an und kontrollierte, ob ich nichts vergessen hatte, was mir in der Fahrschule beigebracht worden war.
Ich fuhr langsam los, denn ich wollte nicht, dass meine Eltern dachten ich sei ein Verkehrsraudi. Ich drückte auf einen Schalter und das Fenster fuhr automatisch herunter. Das Auto hatte verdunkelte Scheiben. Die Innenausstattung war sehr komfortabel und elegant, mit seinen schwarzen und unvorstellbar weichen Sitzen und dem eingebauten Navi, worauf man auch Filme gucken konnte. Als ich um die Ecke gefahren war, trat ich aufs Gaspedal und testete die Höchstgeschwindigkeit meines Autos. Er beschleunigte so schnell, dass ich in den Sitz gedrückt wurde. Ich strahlte übers ganze Gesicht, denn ich musste nie wieder in einem Bus mitfahren. Ich sah im Blickwinkel wie die Bäume an der Straße zu einem grünen Fleck verschmolzen. Konzentriert schaute ich auf die Straße und sah am Ende dieser geteerten Straße unser großes Schulgebäude.
Direkt daneben war der große Parkplatz auf dem Victor, Taylor und Yasmin an ihren Autos auf mich warteten. Sie schauten in meine Richtung und bewunderten vermutlich mein neues Auto. Sie fragten sich bestimmt, wem dieses schicke Auto gehörte. Ich lachte leise, parkte neben Taylors Geländewagen und stoppte das Auto mit einem Ruck. Stolz stieg ich aus und grinste sie an.
Yasmin winkte mir zu und lächelte herzlich. Bei Taylor und Victor sah ich erstaunen im Gesicht. Ich nahm meine Tasche und schloss mein Auto ab.
Fröhlich hüpfte ich zu den dreien rüber und wurde von ihnen fröhlich begrüßt. Sie nahmen mich alle in die Arme und gratulierten mir. Yasmin drückte mich nur sehr leicht, was auch nicht anders zu erwarten war. „Alles Gute“, hauchte sie mir dabei ins Ohr und ein leichtes Lächeln zierte ihre Lippen.
Und dann kam Taylor, der mich so doll drückte, dass ich fast keine Luft mehr bekam. Ich klopfte ihm auf die Schulter und er lies mich wieder los.
Victor war herzlich aber zugleich auch etwas zurückhaltend.
„Alles Liebe zum Geburtstag Lilyana“, sagte er ruhig und nahm mich in den Arm. Sein Geruch stieg mir in die Nase und ich wollte ihn nie wieder loslassen. War sein Geruch meine Droge? Ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich verrückt nach ihm war. Dennoch...
„Wo hast du denn dieses Auto her?“, fragte er stürmisch wie immer und ließ mich nicht zu Ende denken.
„Das haben mir meine Eltern geschenkt“, sagte ich erfreut und klatsche wie eine vierjährige in die Hände.
Wir gingen alle zusammen ins Schulgebäude, Yasmin und Taylor wieder Händchenhaltend. Ich ging natürlich wieder neben Victor, um seinen Geruch wahrnehmen zu können, der mir sanft in die Nase stieg. Als wir in der Klasse angekommen waren, setzte sich Victor wieder in die letzte Reihe. Taylor und Yasmin saßen direkt vor ihm und schenkten sich liebevolle Blicke. Ich ging zu meinem Platz, wo ich schon von Justin begrüßt wurde. Er umarmte mich und wünschte mir alles Gute zu meinem Geburtstag. Ich lächelte ihn freundlich an und setze mich neben ihn. Doch auf einmal fing er an wie ein Wasserfall zu reden, während ich nur manchmal nicken oder die Augenbrauen hochziehen konnte.
Er fragte mich nach meinem neuen Auto, was ich heute noch alles vorhatte und was mir meine Eltern noch so geschenkt hatten. Seufzend strich ich mir die Haare aus dem Gesicht und blickte ihn leicht genervt an. Es schien ihn zu interessieren und ich wusste nicht was ich machen wollte, deswegen zuckte ich nur mit den Achseln und heftete mein Blick auf die Tafel vor mir.
„Feierst du keine Party?“, fragte er neugierig.
„Nein, ich habe nichts dergleichen geplant“, antwortete ich ihm ruhig.
In dem Moment schien es ihm aufgefallen zu sein, dass mich mein Geburtstag nicht sonderlich erfreute. Das einzige, was an diesem Geburtstag gut war, war die Tatsache, dass ich ein eigenes Auto besaß. Justin merkte, dass ich schlechte Laune bekam. Er tätschelte mir die Schulter, sodass mein Blick wieder den Seinen traf. Plötzlich kam mir ein ganz anderer Gedanke. Ich hatte Justin nie wirklich angesehen, nur oberflächlich betrachtet, da er mich zuvor nie sonderlich interessiert hatte. Doch jetzt, wo ich in seine kristallblauen Augen schaute, erweichte sich doch mein Herz für ihn. Ein Gefühl von Mitleid kam in mir auf, da ich ihn vorher nie wirklich beachtet hatte. Das würde ich in Zukunft ändern. „Danke", hauchte ich mit meiner einfühlsamen Stimme, sodass Justins Atmung ins Stocken geriet und er leicht rot an den Wangen wurde. Ich lächelte sanft und wuschelte ihm durch seine blonden, wuscheligen Haare. Plötzlich bemerkte ich auf der anderen Seite der Klasse einen Blick auf mir heften. Langsam drehte ich mich um und sah direkt in zwei goldene Augenpaare. Victor saß immer noch auf seinem Stammplatz, in der letzten Reihe und funkelte mich und Justin wütend an. Seine Hand war auf der Tischplatte vor ihm zur Faust geballt und selbst hier, zwei Reihen vor ihm, konnte ich sehen, dass seine Armmuskeln zum Zerreißen gespannt waren. Ich schluckte laut und wandte meinen Blick ab.
Ich hörte die Kreide an der Tafel kratzen, instinktiv hielt ich mir die Ohren zu. Justin musste über meine Reaktion grinsen und freute sich fast ein Loch in den Bauch. Lustlos blickte ich manchmal auf, sodass der Lehrer dachte, ich interessiere mich für den Unterricht. Doch in Wahrheit wollte ich nur noch mit Victor reden. Ich wollte wissen, wieso er so wütend gewirkt hatte.
Die Stunde verging schneller als ich dachte. Als es klingelte, stand ich auf und ging mit gesenktem Kopf zu Victor. Er war wie ausgewechselt, denn er lächelte wieder.
„Wieso hast du mich vorhin so wütend angesehen?“, fragte ich mit leicht erhöhter Stimme. Die Nervosität war mir anzusehen.
„Hm“, meinte er ruhig und musterte mich mit seinem sanften Blick, während er kurz über meine Wange streichelte und mich dann bat, mit ihm zu kommen. Natürlich bejahrte ich sofort, obwohl ich nicht so ganz wusste, was er genau vorhatte.

Taylor war wie immer gut gelaunt und Yasmin grinste mich fröhlich an. Ich hatte nichts zusagen, deshalb schwieg ich die restliche Pause und sah nur gedankenverloren aus dem Fenster.
Als es klingelte, ging ich missmutig in die Klasse zurück, doch ich freute mich auf die nächsten beiden Stunden, da es die letzten für den Tag waren. Wie durch ein Wunder fiel heute mein meist gehasstes Fach aus: Sport.
Die Lehrerin war krank geworden und ebenso war die Freude der Klasse anzumerken, als ich sie mit einem leichten Grinsen auf den Lippen betrat. Die meisten sprachen noch quer durch die Klasse, als ich mich neben Justin setzte und ihn aufmerksam beobachtete. Er schenkte mir ein freches Grinsen und wandte sich wieder einem Mädchen zu, welches ich von dem Namen her nicht kannte und es mich auch nicht sonderlich interessierte. Verträumt schloss ich meine müden Augen und gab mich meiner Fantasiewelt hin, in der ich lächelnd mit Victor händchenhaltend auf einer Wiese spazieren ging und mich zusammen mit ihm auf diese fallen ließ. Verstört über das, was ich mir gerade ausgemalt hatte, schlug ich sofort meine Augen auf und versuchte von dort an lieber dem Unterricht zu folgen; was sich unter diesen Umständen nur sehr schwierig gestalten ließ. Immer wieder schweifte mein Blick umher und ich blickte in die verschiedenen Gesichter meiner Klassenkameraden.
Plötzlich drang ein nervtötendes Geräusch in meine Ohren, sodass ich kurz zusammenzuckte. Justin sah mich lächelnd an. „Aufwachen, Dornröschen.“
„Witzig, wirklich sehr witzig“, sagte ich mit einem Hauch von Ironie und verdrehte meine Augen, während ich langsam meine Schulmaterialien einpackte. Justin jedoch schien das nicht zu stören und er verschwand samt Anhängsel aus der Klasse.

Als ich endlich unten in meinem Auto saß und gerade den Schlüssel hineingesteckt hatte, hörte ich ein stumpfes Klopfen an meiner Fensterscheibe. Genervt schob ich dieses herunter und blickte überrascht einen lächelnden Victor an. „H-Hey“, murmelte ich verwirrt und sein Grinsen vertiefte sich. „Sag mal“, fing er an und vergrub leicht nervös seine Hände in die Hosentaschen seiner schwarzen Jeans. „Hast du heute Abend schon etwas Bestimmtes vor?“
Ich schüttelte leicht meinen Kopf und sah ihn immer noch verwirrt, jedoch erheblich neugieriger, an.
„Jetzt schon“, sagte er frech. „Ich hol dich dann heute Abend um acht Uhr bei dir ab.“ Bevor er sich umdrehte, zwinkerte er mir noch einmal zu und ging schließlich zu seinem Auto.
Ich blieb angewurzelt in meinem Auto sitzen, völlig perplex von dem, was sich gerade vor mir abgespielt hatte. Hatte ich gerade tatsächlich einem Date mit Victor zugestimmt?
Kopfschüttelnd startete ich den Motor und fuhr vom Parkplatz der Schule. Während der Fahrt schaltete ich leise das Radio ein und wippte mit meinen Fingern auf dem Lenkrad im Takt der Musik.

Langsam fuhr ich auf die Einfahrt meines Hauses und schaltete das Radio, sowie den Motor des Autos aus.
Ich stampfte gelangweilt ins Haus und zog meine Jacke aus, warf sie auf den nächst bestem Stuhl und verfrachtete mich in mein Zimmer. Mit Schwung warf ich mich auf mein weiches Bett und schloss die Augen. Übermüdet schlief ich ein. Komischerweise befand ich mich im nächsten Moment in meinem Wohnzimmer und saß gegenüber von Victor auf dem Sofa. Langsam kam er näher, streifte mit seinen Lippen über mein Ohr und hauchte meinen Namen. Plötzlich lag Victor über mir und küsste neckend meinen Hals. Ich spürte seine kalten Lippen und seinen süßen Atem auf meiner Haut. Wo er mich berührte, brannte meine Haut, obwohl er sich eiskalt anfühlte. Ich stöhnte leicht auf und räkelte mich unter ihm. Er bemerkte meine leichte Unsicherheit und atmete schwer.
Plötzlich überkam mich eine Hitzewelle und ich wachte schweißgebadet und alleine im Bett auf. Ich runzelte meine Stirn und reckte mich. Mein Blick huschte ganz automatisch zum Wecker, der auf dem Nachttisch stand. Ich schreckte auf und sah mich geschockt um. Es war schon zehn nach sieben.
Peinlich berührt sah ich auf den Boden. Die Röte schoss in mein Gesicht. Wie konnte ich nur so etwas träumen!
Ich schüttelte den Kopf und rieb meine Stirn. Schnell zog ich meinen Kleiderschrank auf, der in der hintersten Ecke meines Zimmers stand. Ich suchte mir ein schwarzes, knielanges Kleid heraus und stülpte es mir schnellstens über. Meine Haare ließ ich offen über meinen Rücken fallen und kämmte sie vorsichtig. Die Zeit verging wie im Flug und Victor klingelte pünktlich an meiner Haustür. Ich lief nach unten und riss die Tür auf. Ich begegnete seinem unbeschreiblichen Blick, der mich anzufunkeln schien, als er mein Outfit erkannte.
„Hallo“, hauchte er und sein Atem streifte meine Haut, genau wie es im Traum der Fall gewesen war. Ich zitterte leicht. Sein wohltuender Geruch traf mich immer wieder aufs Neue. Ich nickte ihm freundlich zu und schloss die Haustür hinter mir. Zusammen gingen wir zu seinem Auto. Er half mir beim Einsteigen und schloss zuvorkommend die Tür. Victor sah zu mir rüber und lächelte sein traumhaftes Lächeln, während er aufs Gaspedal trat und wir somit zu einem mir unbekannten Ziel fuhren.


3.



Die Autofahrt zog sich wegen meiner inständigen Neugierde in die Länge, sodass ich mich tiefer in den Sitz gleiten ließ und meine Augen schloss. Ich spürte Victors Blick, versteifte mich leicht, ließ meine Augen aber geschlossen. Er sollte nicht merken, dass ich riesig aufgeregt war. Ein leiser Seufzer schlich sich aus meiner Kehle und ich spürte, dass der Wagen mit einem leichten Ruck stehen blieb. Erwartungsvoll öffnete ich meine Augen und sah genau in die von Victor. Dieser grinste schief und mein Herz schlug schneller in meiner Brust. Prompt verfärbten sich meine Wangen rot und ich strich meine Haare über die Schultern, damit er das nicht auch noch mitbekam. „Wir sind gleich da", hauchte er mir ins Ohr, als er sich weiter zu mir rüber gebeugt hatte und sanft eine verwirrte Haarsträhne hinter mein Ohr geschoben hatte. „Ich habe eine Überraschung für dich."
Ich nickte langsam, unfähig etwas zu erwidern und stieg zusammen mit Victor zaghaft aus seinem Auto. Erschrocken zog ich scharf die Luft ein, als er mir seine Hände um die Augen legte und ein leises Lachen ausstieß, welches er sich nicht verkneifen konnte.
Mein Herz raste so schnell, dass ich Angst hatte, er könne meine Nervosität bemerken.
„Keine Angst, ich werde dich führen“, hauchte er mir sanft ins Ohr und ich bekam eine saftige Gänsehaut, die ich noch bis in meine Knochen spüren konnte. Ich schluckte kaum hörbar und langsam, sodass ich nicht irgendwo gegen lief oder stolperte, machten wir einen Schritt nach dem anderen. Ich konnte einen Bach in der Nähe vor sich hin plätschern hören, der eine friedliche Umgebung schuf und ein Wohlklang in meinen Ohren war. Plötzlich blieb er stehen und ich automatisch mit ihm.
„Wir sind da“, flüsterte er mir ins Ohr, nahm sanft seine Hände von meinen Augen und ich atmete noch einmal tief durch, ehe ich meine Augen aufschlug und gebannt die Luft anhielt. Er sagte nichts, lächelte mich jedoch wieder an und zog mich an der Hand mit sich. Vor uns befand sich, mitten im friedlichen Wald, ein großes, villenartiges Haus mit einer riesigen Glasfront. Kleine Lichter waren am Kiesweg, der zu dem Eingang führte, eingebaut worden und dadurch wurden die vereinzelten weißen Wände des Hauses leicht beleuchtet. Langsam umfasste er mit deiner Hand die meine und zog mich sanft zu den steinernen Treppen, die zum Eingang des Hauses führten. Ich schluckte schwer und als wir das Haus betreten hatten, sah ich nur die Dunkelheit, die langsam und kalt meinen Körper umfasste. Victor, der ganz leise neben mir gestanden hatte, drückte leicht meine Hand und schaltete das Licht ein. Ich musste erst einmal ein paar Mal blinzeln, da viele vereinzelte schwarze Lichtpunkte vor meinen Augen tanzten. „Überraschung!“, hörte ich zwei Stimmen gleichzeitig rufen und starrte Yasmin und Taylor ungläubig an. Verwirrt besah ich den Raum und musterte intensiv jede geschmückte Ecke des großen Wohnzimmers. Ich hatte das Haus vorher noch nie gesehen und es überraschte mich, dass sie alle sich, hauptsächlich wohl eher Yasmin, solche Mühe gemacht hatten. Der Raum war groß und modisch mit grauen Sofas und riesigen Glaswänden eingerichtet, sogar ein weißer Teppich lag auf dem dunkelhölzernen Boden. Nur schwer konnte ich die Freudentränen unterdrücken, die sich anbahnten und schluckte erneut schwer. Plötzlich fühlte ich zwei kalte, aber dennoch samten weiche Arme um mich, die mich an sich drückten. Mit einem leisen Schluchzer erwiderte ich die Umarmung von Yasmin, die darauf nur leise kicherte. Als sie mich lächelnd losgelassen hatte, trat Taylor hervor und ohne dass ich mich dagegen wehren konnte, hob er mich leicht hoch und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Perplex sah ich in seine funkelnden Augen und konnte pure Schadenfreude in ihnen erkennen. „Alles Gute zum Geburtstag, Kleines“, sagte er lachend und stellte mich zurück auf den festen Holzboden. Meine Knie zitterten leicht und ich sah hilfesuchend zu Victor, der über diese Situation nur Schmunzeln konnte. Sanft nahm er mich wieder an die Hand und zog mich auf eines der grauen Sofas im Raum. Yasmin drückte mir gleich ein schneeweißes Päckchen in die Hand und musste über meinen stätig verwirrten Gesichtsausdruck lachen.
„Wieso habt ihr das alles gemacht?“, fragte ich neugierig und öffnete vorsichtig das verpackte Päckchen in meinen Händen.
„Naja...Wir dachten du hättest gerne eine Party zu deinem Achtzehnten“, trällerte Yasmin fröhlich und musterte jede Bewegung meiner Hände.
„Oh mein Gott“, hauchte ich, als ich die kleine Schachtel, die sich unter dem Geschenkpapier befand, geöffnet hatte. In der Schachtel befand sich ein schwarzes, trägerloses Kleid. Vorsichtig hob ich das trägerlose Kleid hoch und berührte es sanft mit den Fingerspitzen. Es war etwa knielang und hatte einen weichen Stoff. Vorsichtig legte ich es ordentlich zurück in die Schachtel und umarmte dann jeden einzelnen von ihnen. „Es ist wunderschön“, hauchte ich und konnte nur schwer weitere Tränen der Freude und Dankbarkeit unterdrücken. Victor streifte mit seinen Fingern sanft über meine Wange und lächelte schief. Gebannt sah ich in seine Augen und konnte nicht umhin, meinen Blick abzuwenden. „Möchtest du das Haus sehen?“, fragte Yasmin und die Stimmung, die zwischen mir und Victor geherrscht hatte, wurde damit sofort unterbrochen. Leicht angenervt wandte ich mich zu Yasmin, die mich entschuldigend anblickte. „Gerne“, antwortete ich, stand langsam auf und sah zu ihr, da sie sich immer noch nicht von der Stelle bewegt hatte. „Victor ist bestimmt gerne bereit, es dir zu zeigen“, meinte Yasmin ruhig und schmunzelte, als Victor erstaunt zu ihr herüber sah. „Taylor und ich haben eh noch etwas anderes vor“, sagte sie nickend und schaute dabei auffällig zu ihrem festen Freund, der nur fragend die Augenbrauen hob. „Stimmt’s mein Schatz?“, sagte sie mit einem undefinierbaren Unterton in der Stimme, wobei Taylor sofort aufsprang und Yasmin mit sich zog. „Bis später vielleicht!“, rief er nur noch, bevor er die Haustür zugeschmissen hatte und Victor und mich verwirrt zurückließ. Er räusperte sich kurz und stand vom grauen Sofa auf, hielt mir seine Hand hin, die ich gerne ergriff, und zog mich zu der dunkelhölzernen Treppe, die perfekt zum Boden passte.
Langsam schlenderten wir die Treppe hinauf, die nicht so steil war wie unsere, und ich beobachtete fast schon pikiert jede kleine Stelle, damit ich nichts verpasste oder gar vergaß. An den Wänden, die komplett perlweiß gestrichen waren, hingen kaum Bilder und wenn dann nur abstrakte, deren Kunst ich immer noch nicht verstand. Keine Bilder oder Fotos von ihnen waren zu sehen oder auf weitere Verwandte, die ihnen ähnlich sahen. Schmunzelnd musterte ich, der konzentriert in eine Richtung starrte und leicht meine Hand drückte. Als wir am Ende des Ganges angekommen waren, blieb er stehen und öffnete eine Tür, die zu einem anderen Raum führte.
„Das ist mein Zimmer“, murmelte er und ich hörte einen leichten nervösen Unterton in seiner Stimme mitschwingen. Neugierig trat ich mit kleinen Schritten in sein Zimmer und riss meine Augen auf. Mir fielen sofort die großen Fenster auf, aus denen man einen wunderschönen Ausblick auf den idyllischen Wald hatte und auch zu meiner Verwunderung besaß er einen größeren Kleiderschrank als ich. Die Wände waren in einem Dunkelgrau gestrichen, der Fußboden war heller, als der im Wohnzimmer und in der Mitte befand sich ein schwarzer Teppich. Mein Blick wanderte zu seinem großen Doppelbett, worauf sich schwarzer Satin als Bettwäsche befand. Ich wollte wissen, ob es so weich war wie es aussah, aus diesem Grund ließ ich mich sanft darauf nieder und spürte, dass es unter mir nachgab. Lächelnd blickte ich zu Victor, der sich mit verschränkten Armen an den Türrahmen seines Zimmers gelehnt hatte und mich neugierig musterte. „Gefällt es dir?“, fragte er leicht angeheitert und ich nickte stumm. Mit einem Ruck stieß er sich von dem Türrahmen ab und setzte sich ohne ein Geräusch auf sein Bett neben mich. Lange sah er mir in die Augen, kam mir vorsichtig mit seinem Kopf näher, während er unseren Blickkontakt nicht eine Sekunde unterbrach. Mein Herz schlug bei seinem Anblick schneller, das Blut rauschte mir durch die Adern und wahrscheinlich direkt in meine erhitzten Wangen. Langsam, fast wie in Zeitlupe, hob er seinen Arm und strich mir mit seinen Fingerspitzen über meine Wange und lächelte schief. Gebannt und gefesselt von seinem Blick stockte mir der Atem und ich öffnete leicht meine Lippen, um ihn zu fragen, was er vor hatte, jedoch schloss ich meinen Mund sofort wieder. Seine Finger strichen über meine warme Haut, direkt über meinen schlanken Hals, bis er schließlich an meinem Nacken verharrte. Ich spürte Victors kalten Atem an meinen Lippen, als er nur wenige Zentimeter vor meinem Mund stoppte. Endlich überbrückte er den Abstand und ich schloss genüsslich meine Augen, als ich seine süßen Lippen auf meinen spüren konnte. Ich hatte mir schon öfters vorgestellt, wie es war, von ihm geküsst zu werden und es fühlte sich tausend Mal schöner an als im Traum. Seine Hand, die sich immer noch an meinem Nacken befand, zog mich näher zu sich, sodass er seinen Arm um meine Taille schlingen konnte. Nervös schlang ich meine Arme um seinen Hals, was ihn verführerisch aufstöhnen ließ. Eine Gänsehaut überzog meine Haut und ich drückte mich noch näher an seinen muskulösen Körper. Ich war wie hypnotisiert und mein Körper schien mir nicht mehr zu gehorchen, da ich mich nicht mehr bewegen konnte.
Plötzlich riss ich meine Augen auf, als ich langsam realisierte, was ich da tat… was wir gerade taten. Victor bemerkte, dass ich nicht mehr bei der Sache war und zog sich langsam von meinen Lippen zurück. Forschend sah er in meine vor Schreck geweiteten Augen und seufzte schwer, während er sich durch seine dichten, schwarzen Haare fuhr. „Es tut mir Leid“, murmelte er und ließ mich los. Vorsichtig stand er von seinem Bett auf und ging zu seinem Fenster. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen und blickte dabei auf seinen Hinterkopf. Nachdenklich schaute ich mir seine Körperstatur an; die breiten Schultern, seine kräftigen Beine und seine starken Arme, verleiteten mich dazu, aufzustehen und zu ihm hinüber zu gehen. Nervös und vorsichtig hob ich meine Arme und schlang sie um seinen Bauch, während ich meinen Kopf an seinen Rücken lehnte und dabei ein leises Schluchzen, was ich nicht mehr unterdrücken konnte, ausstieß. Ich spürte, wie Victors Muskeln sich anspannten, als ich mich fester an ihn drückte und tief seinen Geruch einatmete. Langsam wandte er seinen Kopf nach unten, seine wirren Haare fielen ihm ins Gesicht, ehe er sanft meine Hände mit seinen berührte. Erneut erfasste meine Haut einen Schauder und es lief mir warm den Rücken hinunter. Ich lehnte meine heiße Wange an seinen Rücken und spürte seinen kräftigen Herzschlag, der schneller zu werden schien. Vorsichtig löste er meine Hände, die immer noch seinen Bauch fest hielt, und drehte sich zu mir um, ließ dabei aber nicht meine Hände los. „E-Es muss dir nicht Leid-“, versuchte ich mich zu entschuldigen, doch er schüttelte seinen Kopf und legte einen Finger an meine Lippen, sodass ich sofort schwieg. Ich blickte in seine goldenen Augen, die mich intensiv zu mustern schienen. Es war, als würde sich die Farbe in seinen Augen bewegen und zu eine Art Meer werden, in dem man versinken konnte. Wie vorhin, strich er mit seinen Fingerspitzen über meine erhitzte Haut, senkte dabei seinen Kopf und drückte mich näher an seinen Körper. Bevor sich unsere Lippen trafen, huschte ein leichtes Grinsen über sein Gesicht und er schloss genüsslich seine Augen.


4.



Verwirrt öffnete ich am Morgen meine Augen und blickte mich um. Ich starrte an eine weiße Zimmerdecke und runzelte meine Stirn. Schlagartig setzte ich mich kerzengerade im Bett auf, als ich an letzte Nacht zurück erinnerte. Da waren Victor und ich, wie wir uns leidenschaftlich geküsst hatten und dann… dann waren wir irgendwann müde in sein Bett gefallen. Zuerst hatte ich angenommen, er würde mehr wollen, doch er hatte mich an seinen muskulösen Körper gezogen und in mein Ohr geflüstert, dass ich lieber Schlafen sollte, da es sicher ein anstrengender Tag für mich gewesen war. Keine paar Sekunden später war ich auch schon weg gewesen.
Ich seufzte und fuhr mit meinen Fingern durch meine langen Haare. Plötzlich spürte ich Victors Lippen an meinem Nacken und erstarrte in meiner Bewegung. Er lachte leise und rau, während er seine Arme um meine Taille schlang und mich zwischen seine Beine zog. Sein Kinn hatte er auf meine Schulter abgestützt und sah mich erheitert an. „Hast du gut geschlafen?“
„Wie ein Stein“, murmelte ich und grinste ihn mit erröteten Wangen an. Er schmunzelte und drückte mich enger an sich und seufzte zufrieden. „Lilyana?“, hauchte er fragend meinen Namen und hielt dabei eisern seine Augen geschlossen. Überrascht schaute ich ihn an, musterte sein bildhübsches Gesicht, was jedem Mädchen weiche Knie bescheren musste. Er öffnete ein Auge und grinste verlegen. Ein warmes Gefühl machte sich in meine Magengegend breit, als ich an die berühmten drei Worte dachte, die er vielleicht jetzt sagen würde. Aber wie würde meine Antwort dabei ausfallen? Nervös spielte ich mit der weichen Satindecke und schluckte schwer.
„Deine Eltern werden sich bestimmt Sorgen machen, wenn sich ihre einzige Tochter nicht meldet.“
Enttäuscht seufzte ich und nickte leicht. Zufrüh gefreut, dachte ich sarkastisch und machte mich langsam von ihm los. Dabei bemerkte ich, dass ich immer noch das Kleid anhatte, was ich extra für diesen wunderschönen Abend bei Victors Zuhause angezogen hatte. „Yasmin kann dir sicher Anziehsachen zum Wechseln geben“, sagte Victor und ich erschrak, als er nur in Boxershorts vor mir stand und mich schief anlächelte. Vorher hatte ich nur spüren oder durch sein T-Shirt sehen können, wie muskulös er war, doch jetzt fiel es mir gerade sichtlich schwer, mich nicht sofort auf ihn zu stürzen und ihn leidenschaftlich zu küssen. Ich errötete sofort und schellte mich gedanklich einen Idioten, dass ich so etwas auch nur dachte. Innerlich zwang ich mich zur Ruhe, während Victor zufrieden seufzte, sich durch seine wirren Haare fuhr und seinen Kleiderschrank öffnete.
Ich biss mir auf meine Unterlippe, ehe ich mich umdrehte und leise aus seinem Zimmer verschwand. Ich begegnete Yasmin auf dem Flur, die mich schelmisch anlächelte. „Gut geschlafen?“, fragte sie neckend und ich zog meine Augenbrauen zusammen. „Ja“, brummte ich und schaute verlegen zur Seite. „Ihr wart schon sehr süß zusammen“, sagte sie geheimnisvoll lächelnd und ihr Grinsen wurde breiter, als ich sie verzweifelt ansah. „Du hast uns gesehen?“
Sie nickte ruhig, umfasste mit ihrer zierlichen Hand mein Handgelenk und zog mich den Gang hinunter. „Ich habe mich schon gefragt, wann es bei euch so weit sein würde“, sagte Yasmin, während sie eine weiße Tür öffnete, die direkt in das Zimmer von ihr und Taylor führen würde. Ich staunte nicht schlecht, als ich die dunkelblauen Wände sah, das große Himmelbett in der Mitte des großen Raumes und eine Doppeltür an der Seite, die wahrscheinlich einen begehbaren Kleiderschrank beinhaltete. Der Boden war ein genauso helles Linoleum, wie es bei Victor der Fall war. Yasmin ließ mein Handgelenk los, sputete zu der Doppeltür und zog sie mit einem Ruck auf. Vorsichtig tapste ich Barfuß hinter ihr her, spähte hinter der Tür und riss meine Augen auf. Ich sah einen Traum von jedem Mädchen. Selbst ich hatte nicht so viele Schuhe und Kleider wie Yasmin und das sollte schon was heißen. „So“, meinte sie lächelnd und hielt mir eine dunkle Jeans hin, sowie ein trägerloses, schwarzes Top mit passenden Sandaletten. „Das müsste dir passen.“
Ich nickte dankbar und Yasmin begleitete mich ins Badezimmer, wo ich mich in Ruhe fertig machen konnte. Als dies erledigt war, ging ich langsam die Stufen der hölzernen Treppe hinunter und schaute mich suchend um. „Wir sind in der Küche!“, rief Yasmin und ich folgte ihrer Stimme. Die Küche befand sich gleich neben an von dem großen Wohnzimmer. Langsam ging ich durch einen großen, weißen Torbogen, der den Durchgang zwischen Küche und Wohnzimmer markierte und blickte mich staunend um. Victor, Yasmin und Taylor hatten wirklich Geschmack, dachte ich grinsend, als ich den weißen Marmorboden betrat und mich auf einen der Hocker an der Theke niederließ. Victor aß genüsslich eine Scheibe Marmeladenbrot, während er konzentriert Zeitung las. Yasmin lächelte mich leicht an und holte aus den schwarzen Schränken der Küche einen weiteren Teller raus und stellte ihn auf die Theke. „Möchtest du etwas Bestimmtes essen?“
Ich zeigte grinsend auf Victors Brot und Yasmin lachte leise, wandte sich von mir ab und gab Taylor einen schnellen Kuss, der schmollen neben Victor saß und schon aufgegessen hatte. Sie schmierte geschickt weitere Brote und teilte sie zwischen uns auf. Genüsslich biss ich von meinem Brot ab und kaute zufrieden, dabei dachte ich an meine Eltern und runzelte die Stirn. Normalerweise hätten sie längst Terroranrufe bei mir gestartet, wäre ich nicht schon um zweiundzwanzig Uhr wieder Zuhause gewesen. Achselzuckend aß ich die zwei Brote auf und bedankte mich schließlich. Victor legte die Zeitung aus der Hand und schaute mich grinsend an. „Soll ich dich nach Hause fahren?“
Ich nickte leicht und stand vorsichtig von dem Hocker auf. „Die Sachen kannst du mir später wieder mitbringen“, sagte Yasmin und gab mir einen Kuss auf die Wange als Abschied. „Okay, Danke nochmal fürs Ausleihen.“
„Kein Problem“, sagte sie zwinkernd und räumte das Geschirr in die Spülmaschine ein. Ich nahm die Schachtel mit, die immer noch im Wohnzimmer lag, und zusammen verließen wir das Haus von Victor.

Als er gerade in unsere Einfahrt fuhr, sah er mich lächelnd an und schaltete den Motor aus. Eine Weile saßen wir stumm im Wagen, sahen uns an und ich konnte schon fast spüren, was er dachte. Vorsichtig kam er meinem Gesicht näher, legte seine Hände um mein Gesicht und zog mich näher zu seinem. Einen Augenblick schaute er mir noch in die Augen, ehe er seine Lippen auf die meine senkte und genüsslich seufzte. Ein heftiger Schauder erfasste meine Haut, als er mit seiner Zungenspitze über meine Unterlippe entlang fuhr. Stöhnend öffnete ich meinen Mund und unsere Zungen trafen sich. Er schmeckte unglaublich süß, was mir einen leichten Seufzer bescherte und ich meine Arme um seinen Hals schlang, um ihn weiter an mich zu drücken. Seine Finger streichelten meinen Hals, bis hin zu meinem Bauch, während seine Lippen meine liebkosten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, ließ er von mir keuchend ab und streichelte mir sanft über meine erhitzte Wange. „Ich sollte jetzt reingehen“, sagte ich leise und schluckte. Er nickte stumm und ließ sich zurück in seinen Sitz gleiten. Mit weichen und leicht schlotternden Knien öffnete ich die Autotür und stand unbeholfen auf. „Bis bald“, murmelte Victor noch, bevor ich die Tür zugemacht und die Veranda meines Hauses betreten hatte. Ich drehte mich noch einmal zu Victor um, der gerade aus der Einfahrt fuhr und ein leichtes Lächeln auf den Lippen hatte. Seufzend wandte ich mich dem Haus zu und öffnete die Tür. Schon fast schlaftrunken tapste ich in mein Zimmer, streifte mir die Schuhe von den Füßen und schmiss mich auf mein weiches Bett, worin ich mich plötzlich ganz alleine fühlte. Ich murmelte etwas Unverständliches, während ich langsam meine Augen schloss und mich tiefer ins Kissen gleiten ließ.

Die Haustürklingel ließ mich hochschrecken und murrend rieb ich mir meine müden Augen, ehe ich langsam aufstand und die Treppe hinunter ging. Ich fuhr mir noch einmal durch meine wirren Haare, als ich die Tür öffnete und erst einmal ein paar Mal blinzeln musste, bevor ich die Person, die vor mir stand, erkennen konnte. Es war schon tiefste Nacht und ich konnte die dunkle Gestalt vor mir nur Schemenhaft sehen. „Victor?“, ich sah fragend zu ihm hoch und ein kleiner Schock durchfuhr mich, als ich seinem undefinierbaren Blick begegnete. Sein Gesicht zeigte kaum Regung und ich merkte, wie sein Kiefer sich langsam anspannte. Ich riss meine Augen auf, als er mich an den Schultern packte und seine Lippen begierig auf meine drückte. Für einen kurzen Moment war ich verwirrt, erwiderte aber den leidenschaftlichen Kuss. Victor umfasste meine Taille und ich stolperte, ohne den Kuss zu unterbrechen, direkt gegen eine Wand, an die er mich begierig festhielt. Seine Hände berührten meine nackte Haut am Bauch, als er das geliehene, trägerlose Top weiter in die Höhe schob. Sein raues Stöhnen entfachte in mir ein Feuer, das sich langsam durch meinen Körper fraß und mich mitriss. Als Victor den Kuss unterbrach, sah ich in seine leuchtenden Augen. Ein leichtes Zucken um seine Mundwinkel ließ mich schmunzeln, jedoch beugte er sich weiter zu mir hinab und liebkoste meinen Hals mit seinen Küssen, die mein Verlangen nach ihm steigerten. Ich seufzte wohlig, als er mich hochhob und ich meine Beine um seine Hüften schlingen konnte. „Victor“, hauchte ich und meine Wangen erröteten, als er den Kuss unterbrach und mich begierig musterte.
„I-Ich kann noch nicht, es ist noch z-zu früh…“, murmelte ich und schaute verlegen zur Seite. Ich fühlte, wie Victor mit seinen Fingerspitzen sanft über meine Haut am Hals entlang glitt und mich dabei leicht anlächelte. Er sah mich mitfühlend an, dennoch bemerkte ich sein Verlangen, dass in seinen Augen glühte. „Es ist okay“, sagte er rau und ich löste meine Beine von seinen Hüften, ehe er mich wieder zurück auf den Boden stellte. „Ich weiß auch nicht, was da eben über mich gekommen ist“, murmelte er verlegen und kratzte sich am Hinterkopf. Sanft nahm ich ihn an der Hand und führte ihn mit nach oben in mein Zimmer. Verwundert blieb ich mitten im Raum stehen und sah mich um. Kein Geräusch war in den Nebenzimmern zu hören, als ob alles um uns herum ausgestorben wäre. „Warte mal kurz“, murmelte ich, schaltete das Licht in meinem Zimmer, sowie im Flur ein und ging vorsichtig die Treppe hinunter. Als ich in der Küche angekommen war, schaltete ich auch das Licht dort ein und fand einen Zettel am Kühlschrank kleben. Vorsichtig zog ich ihn ab und zog verwundert meine Augenbraue in die Höhe. Meine Eltern waren auf einer ’Geschäftsreise ’, dass hieß, sie hatten erneut einen Auftrag. Ich seufzte leicht und knüllte den Zettel in meiner Hand zusammen. Ich wusste, dass es irgendwann dazu kommen sollte, also warum hatte ich plötzlich so ein schlechtes Gewissen?
Plötzlich spürte ich, wie ein warmer Körper mich zu sich zog und wie Victor mir einen Kuss im Nacken gab. „Meine Eltern sind verreist“, beantwortete ich seine unausgesprochene Frage und ich wandte mich ihm zu. Ein verwegenes Lächeln umspielte seine weichen Lippen, als er mich näher in seine Arme zog und einen Kuss auf meine Lippen hauchte. Ich ließ die zerknüllte Nachricht auf den Boden fallen, als er mich auf die Anrichte setzte und sich zwischen meine Beine schob. Sein Kuss wurde fordernder und intensiver, je länger wir uns küssten und ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Plötzlich hielt er inne und zog sich langsam von mir zurück, während er mir sanft ein paar Strähnen aus dem Gesicht strich. „Du möchtest noch nicht“, flüsterte er mir ins Ohr und lächelte sanft. „Ich verstehe das.“
Enttäuscht darüber, dass ich es mir wieder selber vermasselt hatte, nickte ich und stieß mich von der Anrichte ab. „Soll ich gehen?“
„N-Nein!“, rief ich geschockt und riss meine Augen auf. „Eh, ich meine… du kannst gerne hier bleiben, wenn du willst.“
Victor lächelte mich stumm an und folgte mir in mein Zimmer. Leise schaltete ich das Licht aus und verschwand im Badezimmer, ehe ich es mit Schlafklamotten wieder verließ. Victor hatte seine dunkle Jeanshose über meinen Stuhl am Schreibtisch gelegt und es sich im Bett gemütlich gemacht. Sanft kuschelte ich mich dazu und schloss meine müden Augen.


5.



Seine Brust war warm, ich hörte jeden Herzschlag von ihm und auf meiner Haut hinterließ seine Nähe ein angenehmes Kribbeln. Ich hätte Stundenlang einfach so mit ihm daliegen können. Sanft drückte er mir einen Kuss auf meinen Kopf, als er wusste, dass ich wach geworden war.
Langsam setzte ich mich auf, um ihm in die Augen schauen zu können. Er wirkte leicht verschlafen und seine halbgeöffneten Augen, die verwuschelten Haare und der Kissenabdruck auf seiner Wange sah einfach urkomisch aus, sodass ich ein Schmunzeln nicht unterdrücken konnte. „Was ist so witzig?“, fragte er mich verwundert und leicht nervös, fuhr sich nachdenklich durch seine wirren Haare und ließ sie jetzt noch mehr zu Berge stehen. Ich lachte leise und schüttelte belustigt den Kopf. „Nichts, nichts.“
„Wollen wir heute zusammen was unternehmen?“, fragte er stattdessen und ignorierte dabei gekonnt mein Gekicher. Ich räusperte mich und nickte. „Gern, was möchtest du denn machen?“
„Wenn du willst können wir in die Stadt fahren.“
Eigentlich hatte ich nicht besonders große Lust in die Stadt zu gehen, aber ihm würde ich überallhin folgen. Langsam stand er vom Bett auf und reichte mir seine Hand, die ich nur zu gerne ergriff und direkt in seinen Armen landete. Lächelnd gab er mir einen Kuss auf die Stirn und zusammen verließen wir mein Zimmer und gingen die Treppe hinunter. Als wir unten angekommen waren, tippte er mir auf die Schulter und ich sah fragend in sein belustigtes Gesicht.
„Was ist?“
„Du willst doch nicht etwa so gehen, oder?“, fragte er neckend und deutete auf meine weite Jogginghose und das kurze, pinkfarbene Top.
„Oh“, meinte ich verwundert und bemerkte, dass er seine Hose schon anhatte. „Wie hast du…?“
„Dich umgezogen?“, beendete er meine Frage und ich nickte bestätigend. „Es ist schon zwölf Uhr Mittag“, sagte er lachend. „Ich war noch einmal kurz Zuhause und habe mich geduscht. Du hast so fest geschlafen und als ich wiederkam, lagst du immer noch in der gleichen Position.“
Ich schmunzelte und schüttelte genervt meinen Kopf. „Ich muss dann mal eben…“, sagte ich und stapfte die Treppen hoch.
Als ich fertig war, trug ich ein schwarzes, enganliegendes T-Shirt mit V-Ausschnitt und eine dunkelblaue Röhrenjeans. Ich hatte heute nicht die Lust auf meinen hohen Absätzen zu laufen, also entschied ich mich für einfache Chucks. Dabei hielt ich die geliehenen Anziehsachen von Yasmin in der Hand und legte diese auf die Anrichte. „Ich werde sie nachher waschen und ihr zurückgeben“, sagte ich und deutete dabei auf die Klamotten. Victor nickte und nahm meine Hand, ehe er mich aus dem Haus führte und ich die Haustür abschloss.

Als wir händchenhaltend durch die Stadt gingen, kamen wir an einem prunkvollen Schaufenster vorbei, bei dem ich gleich stoppte. Ich sah ein blutrotes Kleid, das bis zur Mitte der Oberschenkel reichte und einen tiefen V-Ausschnitt besaß. Victor bemerkte natürlich, dass ich dieses Kleid bewunderte und lachte leise. Unentschlossen ging ich voran und Victor hielt weiterhin meine Hand.
„Ich habe Hunger. Wollen wir etwas essen?“, fragte ich, während mein Magen leise vor sich hin knurrte und nach Nahrung verlangte.
„Geh du vor, ich komm dann nach. Ich muss noch etwas besorgen“, sagte er lächelnd und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Ich suchte nach einem Schnellrestaurant und fand mich dann schließlich bei McDonalds wieder. Schnell bestellte ich mir eine große Pommes und einen Hamburger, setzte mich auf einen der freien Plätze und genoss das Essen. Es war selten, dass ich hier her kam, da es immer so nach Fett und Fastfood roch und es meistens von Kindern nur so wimmelte. Aber wer liebte Fastfood denn bitte nicht?
Als ich aufgegessen hatte, stellte ich das Tablett in einen der vielen Wagen, die mitten im Weg rumstanden und verließ das Fastfood Restaurant. Victor war immer noch nicht zu sehen, also entschloss ich mich einfach durch die Gegend zu laufen und mich umzusehen.
Es gab sehr viele schöne Läden, doch keiner war so ansprechend, dass ich mich hineinwagte.
Erschrocken fuhr ich zusammen, als mich jemand von hinten anstupste. Schnell drehte ich mich um und schaute in Victors Gesicht.
„Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.“
„Das macht doch nichts, aber mach das nicht nochmal“, sagte ich lachend und boxte ihm leicht auf die Schulter. Er grinste frech, umschlang mit seiner freien Hand meine Taille und wir gingen schweigend nebeneinander her. Ich bemerkte, dass er eine riesige Tasche in der Hand hielt und überlegte was er wohl besorgt hatte. Bevor ich weiter grübeln konnte, gab er mir einen sanften Kuss auf den Kopf und er erhielt sofort wieder meine Aufmerksamkeit. Victor steuerte eine freie Bank in einem kleinen Park an, an dem wir gerade lang gegangen waren, und setzte sich, dabei klopfte er auf den freien Platz neben sich. Ich setzte mich nicht auf den freien Platz, sondern auf seinen Schoß und lächelte ihn belustigt an. Er streichelte mir sanft über meinen Rücken und zog mich mit der anderen Hand am Kinn näher zu seinem Gesicht. Er hauchte mir sanft einen Kuss auf die Lippen und ich spürte, wie das warme Gefühl, welches ich bei Victor ständig spürte, wieder in mich hochkam. Dabei atmete ich seinen Duft intensiv ein und lehnte meinen Kopf an seine Halsbeuge. Einige Zeit schwiegen wir und ich schloss zufrieden meine Augen, während ich den Tag in vollen Zügen und Victors Anwesenheit genoss. „Es ist schon spät. Lass uns zurück fahren“, flüsterte er mir ins Ohr und ich nickte leicht.
Wir gingen zu seinem Auto und setzten uns hinein. Draußen wurde es langsam dunkel und Victor fuhr schnell über die Landstraße. Am Straßenrand verschmolzen die Bäume zu einem grünen Streifen und ich hatte Mühe, die Umgebung genau zu erkennen. In der Einfahrt vor meinem Haus brachte er das Auto zum Stehen und stieg aus. Ganz Gentleman öffnete Victor die Autotür und nahm meine Hand in seine. Zusammen gingen wir zur Haustür und ich kramte nach dem Schlüssel. Als ich ihn fand, schloss ich kaum hörbar die Tür auf und trat ein. Drinnen war alles dunkel, sodass ich das Flurlicht anschaltete und mich danach zu Victor umdrehte, der sich von hinten angeschlichen hatte. Ertappt grinste er mich frech an. „Schließ bitte deine Augen“, raunte er mir heiser ins Ohr, als er sich weiter zur mir vorgebeugt hatte und seine Fingerspitzen eine Wange berührten. Unsicher schloss ich sie und spürte, wie Victor meine Arme anhob und etwas in sie hineinlegte. Vorsichtig öffnete ich meine Augen und mein Blick schweifte nach unten. Ich hielt ein großes Päckchen in den Händen, welches eine weiße Schleife besaß. „Öffne es“, sagte er lächelnd und ich nickte überrascht.
Meine Augen wurden automatisch größer, als ich den Inhalt des Päckchens entdeckte. Es war das blutrote, knielange Kleid im Schaufenster gewesen, was ich so bewundert hatte. Staunend legte ich das Päckchen auf den Kaffeetisch im Wohnzimmer, ehe ich Victor in meine Arme zog und ein leises „Danke“, in seine Ohren hauchte. Er drückte mich näher an seine Brust und lachte leise.
„Es ist schon spät, ich sollte langsam gehen.“
Schmollend nickte ich und begleitete ihn zur Haustür, ehe er mir einen leichten Kuss auf meine Lippen hauchte und sich lächelnd umdrehte. Mit schnellen und geschmeidigen Schritten ging er zu seinem Auto und ließ sich elegant in den Sitz gleiten. Er winkte mich noch einmal mit einer Handbewegung zu, als er aus meiner Einfahrt fuhr und ich seufzend die Tür schloss. Tapsend betrat ich das Wohnzimmer und schloss das kleine Päckchen, doch als ich gerade rauf in mein Zimmer gehen wollte, klingelte schon das Telefon. Seufzend nahm ich ab. „Hallo?“
„Hey Lil, ich bin’s Yasmin“, sagte sie fast schon hektisch und ich hörte seltsame Geräusche aus dem Telefon. „Was gibt’s?“, fragte ich und hob meine Augenbrauen in die Höhe, als etwas am anderen Ende der Leitung zu Bruch ging. Yasmin fluchte leise, was mich äußerst verwunderte, und entschuldigte sich darauf. „Ich war eigentlich mit Taylor verabredet und habe mich schon fertig gemacht, aber er und Victor mussten noch wohin, daher…“, sie stoppte und seufzte leise.
„Daher wollte ich dich fragen, ob du mich begleiten würdest?“
„Ehm, klar“, sagte ich überrascht, freute mich jedoch, da ich jetzt schon das neue Kleid anziehen konnte.
„Okay, ich hole dich dann gegen einundzwanzig Uhr ab. Bis später, und danke nochmal!“
Bevor ich antworten konnte, hatte sie schon aufgelegt und ich legte immer noch leicht verwundert den Hörer beiseite. Ich warf einen Blick auf die Uhr und erstaunt stellte ich fest, dass es schon kurz vor halb acht war. Mit schnellen Schritten war ich schon in mein Zimmer gelangt, holte das Kleid aus dem Päckchen und legte es sanft auf meinem Bett ab. Danach wandte ich mich meinem Schuhschrank zu und kramte nach passenden, schwarzen High-Heels. Als ich die Riemchensandalen mit hohem Absatz gefunden hatte, ging ich ins Badezimmer, zog mich an und schminkte mich. Zufrieden blickte ich in den Spiegel, betrachtete meine rosigen Wangen und meine gelockten dunkelblonden Haare, die mir über die Schulter fielen. Das Kleid passte wie angegossen und war untenherum eher luftig ausgeschnitten, was mir vorher nicht aufgefallen war. Lächelnd schnappte ich mir meine schwarze, kleine Pocket-Handtasche und ging eilig die Treppenstufen hinunter, als ich auch schon die Klingel läuten hörte. „Hey“, sagte ich lächelnd, als ich Yasmin auf meiner Veranda warten sah. Ihre Augen wurden groß, als sie mich in dem Kleid sah und umarmte mich sanft zur Begrüßung. „Wow“, sagte sie staunend und grinste mich leicht an. Als ich Yasmin musterte, weiteten sich meine Augen und ich musste feststellen, dass sie genauso wunderschön aussah. Sie trug ein weißes, oberschenkellanges Kleid, welches ähnliche T-Shirtärmel besaß, die sich luftig an ihre zierlichen Arme schmiegten. Das weiße Kleid besaß einen tiefen V-Ausschnitt und war an den Oberschenkeln sehr eng gehalten. „Du siehst auch toll aus“, gab ich ihr dankend das Kompliment wieder und sie nickte zum Auto. „Wollen wir?“

Als wir beide in ihren Wangen gestiegen waren, sah ich Yasmin fragend an.
„Wohin geht’s überhaupt?“
„Also“, murmelte sie und schnallte sich an, bevor sie den Motor startete und aus der Einfahrt fuhr.
„Taylor und ich wollten auf unsere gemeinsame Zeit anstoßen, wir haben nichts gebucht wie ein Restaurant oder so…“
„Also eine Kneipe?“, fragte ich lachend und sie nickte verlegen. „Einen Mädelsabend hatte ich schon eine sehr lange Zeit nicht mehr“, sagte Yasmin leise, während sie über die Landstraße direkt zur Stadt fuhr. Ihr Blick war starr geradeaus gerichtet, doch ich konnte sehen, dass sie in Gedanken ganz weit weg war. Etwas in ihrem Unterton hatte mich aufhorchen lassen. Ich hatte Yasmin noch nicht so alt geschätzt, da sie immerhin mit Victor, Taylor und mir noch die Oberschule besuchte, aber wissen konnte ich es dennoch nicht. „Also“, sagte sie wieder lächelnd und schaute mich fragend an, als sie gerade in der Stadt geparkt hatte. „Möchtest du mit mir auf den noch nicht vorhandenen Abschluss anstoßen?“
Ich schüttelte belustigt den Kopf. „Auf jeden Fall.“
Lachend stiegen wir aus und besahen die Umgebung. Wir wohnten etwas außerhalb und ich kam, außer ich ging in die Schule, nicht oft in die Stadt. Es war viel turbulenter als auf dem Land und ein jähes Treiben herrschte hier. Viele Menschen waren jetzt noch unterwegs, manche von ihnen sogar schon leicht angetrunken. Yasmin steuerte ein dunkles Haus an, ich blieb stehen und versuchte den Namen des Lokals sehen zu können, doch bevor ich was in der Dunkelheit erkennen konnte, zog mich Yasmin mit sich. Stickige Luft erfasste mich und ich zog gleich die Nase kraus, was Yasmin nicht entging. „Das wird dir später nicht mehr auffallen“, sagte sie lachend und zog mich mit an die Bar, die weiter hinten im Club stand. Viele Menschen waren auf der Tanzfläche und bewegten sich Hemmungslos zur Musik. Kaum Licht erhellte den Club, nur manche Scheinwerfer, die wild herum tanzten und manche Menschen in der Masse beleuchteten. Seufzend ließ ich mich auf einen der bunten Hocker fallen und wandte mich zu Yasmin, die schon zwei Cocktails für uns bestellte. Der Barkeeper zwinkerte uns zu und machte sich schon an die Arbeit. Lachend unterhielten wir uns, tranken einen alkoholischen Drink nach dem anderen und ich amüsierte mich köstlich. Irgendwann verlor ich Yasmin jedoch aus den Augen, als ich von einem jungen Mann auf die Tanzfläche gezogen worden war und mich an ihn schmiegte. Dabei dachte ich an Victor und aus irgendeinem Grund zog sich alles in mir zusammen. Ich dachte an seinen Duft, seinem kühlen Atem, seine breiten Schultern und seine weichen Lippen, die meine liebkosten. Ich seufzte und drückte mich näher an den Mann, mit dem ich tanzte. Dieser keuchte leise und knabberte an meinem Ohr. Ich legte meinen Kopf in den Nacken, als ich seine intimen Berührungen spürte. Plötzlich durchfuhr es mich wie ein Schlag, als eine starke Hand meine Schulter berührte und mich weg zog. Verwundert sah ich zu Victor auf und ich taumelte gegen seine muskulöse Brust. „Sie ist schon vergeben“, knurrte Victor und der andere Mann verzog seine Augen zu Schlitzen, beobachtete mich noch eine Weile, ehe er abzog und uns in Ruhe ließ. Murrend zog Victor mich durch die Tanzfläche, steuerte direkt den Ausgang an und schleifte mich zu seinem Auto. Er umfasste mir seinen Händen meine Schultern und drückte mich gegen sein Auto. Der Schmerz durchzog meinen Rücken und ich keuchte schreckhaft auf. Mit geweiteten Augen sah ich zu seinen goldenen Augen, die mich kalt musterten. Es machte mir Angst, dass er mich so ansah, als wäre ich ein Stück Rindvieh, was er leicht verspeisen könnte.
„Mach das nie wieder“, knurrte er und biss sich auf seine Unterlippe, dabei drückte er mich fester gegen sein Auto und umschlang mit seinen Armen meinen Oberarme. Sein Kopf ruhte auf meiner Schulter, die immer noch leicht schmerzte und er seufzte leise. „V-Victor“, hauchte ich immer noch mit Angst darum, was geschehen könnte, wenn ich etwas Falsches sagte. Abrupt ließ er mich los und ging ein paar Schritte zurück. Fauchend kickte er einen Stein weg und zerschoss damit in Fenster, was klirrend zu Bruch ging. „Ich weiß nicht, was mit dir los ist“, sagte ich nun mit gefasster Stimme und hoffte nicht, dass er meine Angst bemerkten würde. „Wir sind nicht zusammen und da darf ich machen, was ich will“, murrte ich schon fast beleidigt und mein Blick wanderte zwischen ihm und der zerbrochenen Fensterscheibe. Fluchend fuhr er sich durchs Haar, ging ein paar Schritte ab und aufwärts, ehe er sich wieder zu mir umdrehte und mich forschend ansah. „Ich dachte, es wäre klar, was ich für dich empfinde“, sagte er leise und kam mit langsamen Schritten auf mich zu, blieb kurz vor mir stehen und atmete tief meinen Duft ein. „Lass das“, murmelte ich, doch er dachte gar nicht daran, drückte mich erneut an das Auto und umfasste mit seinen Händen meine schmalen Handgelenke. Dabei berührte seine Nasenspitze fast die meine und ich spürte seinen kalten Atem an meiner Wange. Seine golden wirkenden Augen sahen mich intensiv an und ich konnte schwören, dass sich etwas in ihnen bewegte. Sie wurden heller und stachen nun völlig heraus, nahmen mich ein und ließen mich fast komplett vergessen, was gerade geschehen war. Perplex blinzelte ich ein paar Mal und schüttelte meinen Kopf. Er raubte mir jedes Mal den Atem und den Verstand, wenn er mich so ansah.
„Lilyana“, hauchte er meinen Namen und ich biss mir auf meine Unterlippe. „Sieh mich an“, sagte er leise und drückte seinen Körper gegen meinen, als ich leicht den Kopf schüttelte. „Bitte.“
Ich schluckte laut, öffnete leicht meine Lippen und sah erneut in seine einnehmenden Augen, die mich traurig musterten. „Es tut mir Leid“, sagte er ehrlich und berührte mit seinen Lippen die meinen. Seufzend ließ er meine Handgelenke los und umschlang mit seinen Armen meine Taille, während ich meine um seinen Hals legte. Sanft kraulte ich seinen Nacken, während er meinen Hals liebkoste und dabei zärtlich in meine empfindliche Haut biss. Ein neues, undefinierbares Gefühl durchströmte meinen Körper, ließ mein Blut komplett in Wallung geraten. Stöhnend wandte ich mich in seiner festen Umarmung und er küsste mit einem leichten Lächeln erneut meinen Hals, was mich lauter aufstöhnen ließ. „Victor“, hauchte ich heiser seinen Namen und versteifte mich, als seine Hand über meinen Rücken wanderte, bis hin zu meinem Oberschenkel, die ich gegen seine Beine gewinkelt hatte. Als unsere Lippen erneut aufeinander trafen, verspürte ich ein ungeahntes Verlangen nach ihm. Ich leckte ihn neckend über seine Unterlippe, die er leicht öffnete und unsere Zungen miteinander spielen ließ. Ungewollt biss ich ihn in seine Unterlippe und schmeckte sein salziges Blut, während er heiser stöhnen musste.
„Ich will dich“, sagte er leise in mein Ohr und ich hatte fast schon darauf gehofft, dass er die anderen drei Worte sagen würde und so ließ ich seufzend von ihm ab und schaute wütend zu ihm auf.
„Was ist?“, fragte er verwundert und zog eine Augenbraue in die Höhe, während er sich überrascht über die Lippe fuhr. Kopfschüttelnd wandte ich mich aus seiner Umarmung und ging auf die andere Seite des Wagens, ehe ich einstieg und die Tür zuschmiss. Seufzend fuhr er sich durchs dichte Haar und setzte sich ans Steuer.
Doch er ließ nicht den Motor an, schaute stattdessen zu mir und blickte mich aus verwirrten und doch leicht wütenden Augen an. „Ich bin enttäuscht“, sagte ich leise auf seine vorherige Frage und ich blickte traurig aus dem Fenster, während ich meine Arme vor der Brust verschränkt hatte.
„Lilyana“, hauchte er mir meinen Namen ins Ohr, was mir einen warmen Schauder über den Rücken laufen ließ. Verdammt, wieso reagierte ich immer nur so heftig auf ihn?
Die Antwort war klar, ich liebte ihn. Ich habe es schon vorher gefühlt und immer darauf gehofft, er würde es zuerst sagen. Dennoch verschwand meine Hoffnung und ich wusste, dass ich bald den ersten Schritt machen musste, denn ewig wollte ich nicht auf ihn warten. Seufzend drehte ich mich um und erschrak, als er ganz nah an meinem Gesicht war. Victor hob seine Hand und fuhr mit seinen Fingerspitzen meine Konturen nach, sah mir tief in meine Augen und schluckte laut.
Der Mond, der vorher unter den vielen Wolken verdreckt gewesen war, schien auf einmal heller zu uns herab. Das sanfte Licht umspielte sein Gesicht und ich wusste, dass ich ihn zuvor noch nie schöner gesehen hatte. „Ich liebe dich“, hauchte er die Worte, die ich schon lange hatte hören wollen und ein Gefühl der Wärme durchströmte meinen Körper und ließ meine Wangen heißer werden. Verlangend zog ich ihn näher zu meinem Körper, drückte ihn an mich und küsste ihn begierig auf die Lippen. Victor stöhnte leise und schlang seine Arme um meine Taille, während die Nacht an uns vorbeizog und uns die Kälte nicht spüren ließ.


6.



Schweißgebadet wachte ich in meinem zerwühlten Bett auf und wusste schon, dass es kein guter Tag werden würde, da die stechenden Kopfschmerzen mir keine Ruhe ließen. Langsam rutschte ich an die Bettkante und stellte meine Füße auf den Boden. Vorsichtig stand ich auf und schlenderte zum Kleiderschrank, wo ich einen kurzen, schwarzen Jeansrock und ein weißes Top heraus zog.
Schnell stülpte ich mir das Top über und zog den Rock über meine zierlichen Beine. Unentschlossen nahm ich mir schwarze Ballerina und schlüpfte hinein. Ein letzter Blick auf die Uhr verriet mir, dass es Zeit wurde, zur Schule zu fahren und ich seufzte lautstark auf. Letzte Nacht hatte Victor mich noch nach Hause gefahren, nachdem es schon weit nach Mitternacht gewesen war. Behutsam ging ich die Treppe hinunter und schnappte mir meine Hängetasche, schulterte sie und ging durch die Haustür.
So schnell ich konnte fuhr ich zur Schule und das Röhren des Motors ließ meinen Kopf rebellieren.
Als ich meinen Wagen geparkt hatte, kamen Yasmin und Taylor mit einem besorgten Gesichtsausdruck auf mich zu. Von Kopfschmerzen geplagt stieg ich aus und ging ihnen entgegen.
„Lilyana, geht es dir gut?“
Ich war noch nie so gewesen, dass ich jedem meine Probleme mitteilte, denn ich litt lieber still vor mich hin. „Ja, mir geht es Bestens“, brachte ich leiser als gewollt heraus und fasste mir stöhnend an meinem Kopf. Sie musterte mich von oben bis unten und schien leicht zusammen zu zucken, als sie mein Gesicht genauer betrachtete.
„Wollen wir dann?“, fragte ich schnell um von mir abzulenken und das Pärchen nickte nur. Schweigend sah Yasmin mich von der Seite an, als wir das Schulgebäude betreten hatten und musterte mich. Erleichtert seufzte ich, als ich meinen Klassenraum betreten hatte und verabschiedete Yasmin und Taylor mit einem knappen Winken. Schleifend ließ ich mich auf meinem Stuhl gleiten und schaute Justin genervt an, der sich wieder mit dem Mädchen neben sich unterhielt. Er hatte mich nicht einmal bemerkt. Mit halbgeöffneten Augen fasste ich mir an meine heiße Stirn und seufzte leise. Als unser Politiklehrer die Klasse betrat, waren auf einmal alle still und die Mädchen hingen an seinen Lippen, als er uns einen schönen guten Morgen wünschte. Ich murmelte die Begrüßung nur so vor mich hin und starrte den ganzen Unterricht über nur auf die Tafel, ohne wirklich erkennen zu können, was er da schrieb. Am Ende der zwei Doppelstunden fühlte ich mich schon etwas besser, da ich den Schlaf von der Nacht aufgeholt hatte. Langsam stand ich von meinem Platz auf und verließ das Klassenzimmer. Sofort steuerte ich die Cafeteria an und sah zu meiner Überraschung Victor, Yasmin und Taylor schon an ihren üblichen Plätzen sitzen. Ich schlenderte zu ihnen herüber und ließ mich neben Victor auf einen der freien Stühle gleiten. Lächelnd nahm er meine Hand in seine und drückte sie leicht. Ich erwiderte seinen Blick und er gab mir einen kleinen Kuss auf die Stirn. „Habt ihr euch gestern also doch ausgesprochen!“, sagte Yasmin beleidigt und blies ihre Wangen auf. Verwundert sah ich ihr in die Augen und zog meine Augenbrauen zusammen.
Danach schielte ich zu Victor, der nur schmunzeln konnte und die Szene wohl sehr lustig fand. „Ich musste gestern alleine warten, bis Taylor mich abgeholt hat. Mitten in der Nacht!“
„Beruhig dich, Yasmin. Wütend zu sein steht dir nicht“, meinte Victor grinsend und zwinkerte der empörten Yasmin zu. Sie schnappte genervt nach Luft und drehte ihren Kopf zur Seite. Seufzend blies ich mir die Haarsträhnen aus dem Gesicht und fasste an meine Stirn. Streit konnte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Es tat mir zwar ein wenig Leid, dass wir sie sitzen gelassen hatten, aber ich hatte es schier in diesem Moment vergessen. Ich war viel zu sehr mit Victor beschäftigt gewesen.
Als es zu Pausenende klingelte, stöhnte ich genervt auf und musste zu meiner Verwunderung feststellen, dass ich mal wieder nichts gegessen hatte. Immer wenn ich mit ihnen zusammen war vergaß ich es einfach. Schmunzelnd nahm Victor mich bei der Hand und wir gingen zusammen zurück in die Klasse. Später würde ich noch einmal mit Yasmin reden, dachte ich mir, als ich mich neben den Platz von Justin nieder ließ. Dieser nickte mir freundlich zu und wandte sich wieder an seine allseits bekannte Gesprächspartnerin zu. Seufzend holte ich meine Deutschsachen heraus und schlug das Buch zu der letzten Seite auf, bei der wir Freitag geendet hatten. Plötzlich setzte sich jemand neben mich und ich hob verwundert meinen Blick, der auf goldene Augen traf. „Victor?“, fragte ich leise und schielte zu Justin, der seinen Kopf ebenfalls zu Victor gedreht hatte.
„Ich habe mich entschieden, heute mal woanders zu sitzen“, sagte er lächelnd und strich mir eine verwirrte Strähne hinter mein Ohr. Verlegen lächelte ich ihn an und nickte, froh darüber, jemanden zum Reden zu haben. Es war in der zweiten Reihe meist eher langweilig, da Justin eh mit jemand anderen sprach und ich nur vor mich hingammeln konnte. „Du bist mit Victor zusammen, Lil?“, fragte Justin mich plötzlich und ich wandte meinen Kopf in seine Richtung. Auch das Mädchen mit den wasserstoffblonden Haaren hatte sich uns zugewandt und lauschte neugierig. Ich seufzte und verdrehte meine Augen, ehe ich leicht nickte und zu Victor schielte, der mir einen Kuss auf die Wange gab. „Ja, das ist sie. Nicht wahr?“, fragte Victor und hatte den letzten Teil in mein Ohr gehaucht. Wieder konnte ich nur stumm nickten und lehnte mich an seine Brust. Justin knirschte mit seinen Zähnen und schaute beleidigt nach vorne, selbst die Versuche von dem Mädchen, ein neues Gesprächsthema zu finden, interessierten ihn anscheinend nicht mehr. Als unsere Deutschlehrerin den Raum betrat, trat wieder völlige Ruhe ein und sie begrüßte uns freundlich. Unter dem Tisch nahm Victor meine Hand in seine und drückte sie leicht, was mich verlegen lächeln ließ. Justin fiel dies auch auf und starrte gebannt zur Tafel, die er in dem Moment wohl zu fressen schien. Vorsichtig stupste ich ihn an seiner Schulter an und er wandte seinen Kopf leicht zu mir. Seine blauen Augen musterten mich und wurden weicher. „Glückwunsch“, murmelte er nur seufzend und fuhr sich durch seine blonden Haare. Ich nickte ihm dankend zu und wandte mich wieder dem Unterricht zu, auch wenn es mir durch Victors Anwesenheit eher weniger gelang.

Als ich wieder Zuhause angekommen war, schmiss ich meine Schultasche gleich in die Ecke und machte mich auf in mein Zimmer. Meine Stirn glühte nach wie vor und ich fasste mir nachdenklich an den Kopf, während ich meine Schuhe auszog und mich ins Bett warf. Stöhnend warf ich mich im Bett herum, da die Hitze in meinem Körper unerträglich wurde und ich müde meinen Kopf hob, um auf die Uhr zu schauen, die schon vier Uhr am Nachmittag anzeigte. Mein Blick wanderte zu meiner weißen Zimmerdecke und ich dachte an das vergangene Wochenende zurück, was mich gleich wieder etwas entspannen ließ. Mein letzter Gedanke war Victor, wie wir uns fest aneinander schmiegten und selig lächelten, als ich träumend einschlief.

Ein nervendes Geräusch ließ mich hochschrecken und ich sah auf meine Wecker, die gerade mal sechs Uhr morgens anzeigte. Seufzend tastete ich meine Stirn ab und musste erleichtert feststellen, dass die Temperatur schon gesunken war. Vorsichtig stand ich von meinem Bett auf und tapste Barfuß ins Badezimmer, während ich die geliehenen Anziehsachen von Yasmin in die Waschmaschine stopfte und mich meiner Kleidung gleich mit entledigte. Ich stieg in die Dusche und schaltete das warme Wasser ein, welches tropfenweise über meine Haut abperlte. Ausgiebig wusch ich mich mit meinem Lieblingshampoo und trocknete mich nach dem Duschen ordentlich ab. Mit einem weißen Handtuch bekleidet, ging ich zurück in mein Zimmer und föhnte mir meine Haare, nachdem ich mir eine schwarze Röhrenjeans mit einem weißen Top angezogen hatte. Als ich erneut auf die Uhr schaute, war es schon kurz vor halb acht. Schnell zog ich mir meine weißen Chucks an und lief die Treppen herunter. Dabei schnappte ich mir schnell meine gepackte Schultasche und verschwand, wieder ohne etwas gegessen zu haben, aus dem Haus.
Die restliche Woche verging eher ereignislos. Hin und wieder hatte ich zwar etwas gegessen, doch mein Zustand verschlimmerte sich am Freitag zunehmend. Hatte ich am Anfang noch angenommen, dass es eine harmlose Erkältung sei, so hatte ich mich jetzt spätestens getäuscht. Seufzend fasste ich mir an meine Stirn, als wir zusammen in der Cafeteria saßen. Victor beäugte mich besorgt, wie er es schon die restlichen Tage lang gemacht hatte. „Du solltest zum Arzt“, brach Yasmin das Schweigen und sah mich leicht verärgert an. „Und keine Widerrede“, sagte sie bestimmt, als ich wieder dagegen protestieren wollte. Stumm nickte ich und zusammen gingen wir wieder zum Unterricht, als ich aufgegessen hatte.
Ein kurzer Schwindel erfasste mich, als ich mich gerade auf den Stuhl neben Justin setzten wollte und ich hielt mich keuchend an der Tischplatte fest. Victor hatte seinen Arm vorsichtshalber um meine Hüfte geschlungen und er setzte mich langsam auf den Stuhl ab. Schnell setzte er sich neben mich und hielt seine Hand an meine Stirn, die sich plötzlich eiskalt anfühlte. Erleichtert seufzte ich und schloss meine Augen.
Ich fühlte mich mindestens wie ende Sechzig, als ich meine müden Augen aufschlug und verwundert feststellen musste, dass unser Politiklehrer schon an der Tafel stand. Erneut ergriff mich der Schwindel und mein Kopf machte Bekanntschaft mit der kalten Tischplatte. Es gab einen lauten Krach, als mein Kopf aufkam und ich langsam dahindämmerte. Ich wollte einfach nur noch schlafen…


7.



Seltsame Geräusche drangen mir ins Ohr, als ich langsam wieder aufwachte. Es fühlte sich so an als ob ich tagelang durchgeschlafen hätte. Müde schlug ich meine Augen auf, als ich eine Hand an meiner Stirn fühlen konnte. „Mama?“, fragte ich leise und sah, wie meine Mutter mich besorgt musterte. „Hallo, mein Schatz“, begrüßte sie mich erleichtert und gab mir einen Kuss auf die Wange, ehe sie sich auf die Bettkante setzte. „Wir sind sofort nach Hause gereist, als wir gehört haben, dass du im Krankenhaus liegst.“ Ihre Stimme war brüchig und man hörte, dass sie krampfhaft versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. Verwundert sah ich mich im Raum um und entdeckte die Quelle des seltsamen Geräusches, was mich aufgeweckt hatte. Es war der Herzschrittmacher, der laut nach jedem meiner Herzschläge piepte. Stöhnend ließ ich mich weiter in die Kissen gleiten und bemerkte, wie noch jemand an mein Bett trat. Es waren Taylor, Yasmin und Victor, die mich erleichtert musterten. „Wie lange?“, fragte ich heiser und musste husten. „Wie lange habe ich geschlafen?“
„Zwei Tage“, antwortete mir eine monotone Stimme und ich sah, wie einer der Krankenpfleger an eines der Geräte rumhantierte und danach wieder den Raum verließ.
„Ruh dich erst mal aus. Du hattest eine schwere Woche“, sagte meine Mutter fast flüsternd und gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Schwere Woche? Ich weiß nicht einmal was passiert ist“, sagte ich leise.
Meine Mutter stand auf und bewegte sich lautlos zum anderen Ende des Raumes. Schnell ging sie an Victor vorbei und sah ihn traurig an, ehe sie die Tür hinter sich schloss. Die Minuten vergingen und die Stille wurde fast unerträglich.
„Was ist passiert?“, fragte ich ihn so ruhig ich konnte.
„Du bist Ohnmächtig geworden.“
„Geht das auch genauer?“, fragte ich sarkastisch und blickte in seine besorgten Augen.
„Du hast dich die ganze Woche schon schlecht gefühlt und merkwürdig verhalten. In der vierten Stunde bist du plötzlich umgekippt und der Schulleiter hat einen Krankenwagen gerufen.“
„Wir haben uns riesige Sorgen gemacht! Warum hast du nicht gesagt, dass es dir nicht gut geht?“, fragte Yasmin bissig und verengte ihre Augen. Ich wusste nicht was ich antworten sollte, deshalb schwieg ich erneut und starrte genervt an die Decke.
Victor stand geschickt auf und setze sich zu mir. Aus dem Augenwinkel versuchte ich zu erkennen was er tat, doch er blieb still und fixierte mich. Seine Augen waren leer und ausdruckslos. In seiner Miene war blanker Schmerz zu erkennen und er seufzte leise.
„Kannst du dich noch an den Abend mit Yasmin erinnern?“, fragte er leicht stockend. Stumm nickte ich und sah ihn weiter fragend an. Ich wusste nicht, was das alles miteinander zu tun hatte.
„Ich hab dich versehentlich...“, er unterbrach seinen Satz mit einem heiseren Seufzer und fuhr sich nervös durch die Haare. Yasmin legte ihm eine Hand auf die Schulter, ehe sie Taylor bei der Hand nahm und den Raum verließ.
„Was?“
„Gebissen“, fuhr er fort und blickte mir in die Augen.
Mir blieb die Luft weg. Mein Atem ging schneller und mein Herz raste, was das Piepen nur noch schneller und lauter werden ließ.
„Du hast was?!“, schrie ich. „Du hast … du hast mich gebissen!?“, fragte ich wieder, nur eine Oktave höher. Ich zuckte kaum merklich zusammen, als ich meine eigene Lautstärke wahrnahm. Vergeblich wartete ich auf eine Antwort von Victor, doch der saß einfach nur so da und atmete ruhig. „Was bist du?“, fragte ich vor Schreck geweiteten Augen und hielt mir verstört eine Hand an meinem Hals, wo ein Verband befestigt war. Victor schloss für einen kurzen Moment seine Augen, ehe er weiter sprach: „Wir sollten uns später darüber unterhalten“, meinte er ruhig und ballte seine Hände zu Fäusten. Mein Herzschlag beruhigte sich langsam wieder und ich versuchte tief ein und aus zu atmen. „Nein Victor, ich will jetzt darüber reden“, sagte ich mit fester Stimme und er öffnete seine Augen, die voller Schmerz waren. Für einen kurzen Moment vergaß ich zu atmen; mein Hirn war wie vernebelt und meine Gefühle spielten verrückt. „An dem Abend habe ich die Kontrolle über mich verloren und nicht mehr an die Konsequenzen gedacht“, murmelte er und sah gebannt auf unsere Hände, die er miteinander verschränkte. „Deine Angst, ich habe sie gerochen. Habe gespürt, wie du dich vor mir gefürchtet hast.“ Mit jedem Wort, das er aussprach, wurde er leiser und schüttelte seufzend seinen Kopf. „Das Verlangen, dich zu spüren war schier überwältigend für mich. Ich wollte dich, dich und dein Blut.“
Vorsichtig hob er seinen Kopf, um mich anzusehen und ich spürte, wie die Hitze in meine Wangen stieß. Es fühlte sich wie eine halbe Ewigkeit an, wo wir uns nur schweigend in die Augen sahen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und schluckte schwer. Die Verzweiflung und die Wut, die mich vorhin fast überrannt hatten, waren verraucht. „Was bist du?“, fragte ich wieder.
„Kannst du es dir nicht denken?“, antwortete er mit einer Gegenfrage und sah mich bittend an, es nicht aussprechen zu müssen.
„Vielleicht. Aber ich möchte es von dir hören.“
Victor seufzte schwer und nickte leicht. „Natürlich möchtest du das.“
Gebannt blickte ich ihm in die Augen und sah, wie er mit sich kämpfte. „Ich bin ein Vampir.“
Eine Welle der Verzweiflung erfasste mich erneut, die ich aber sofort versuchte zu unterdrücken. Ich fühlte, wie Hitze und zugleich auch Kälte durch meinen Körper strömte. Schwer atmete ich aus und musste überrascht feststellen, dass ich die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Victor drückte meine Hand fester und ich hörte, wie er laut schlucken musste. „Vergibst du mir?“
„Es gibt nichts zu Verzeihen“, murmelte ich leise und fasste mir an die Stirn, die immer noch zu glühen schien.
„Was passiert mit mir?“
Er stöhnte hörbar und legte seinen Kopf auf meinen Bauch. „Wir haben nur eine kleine Menge Blut getauscht“, sagte er gedämpft und ich spürte, wie er seine Schultern anspannte. „Daher fing es nur sehr langsam an und“, bevor er weiter sprach, setzte ich mich weiter im Bett auf und streichelte ihm sanft über den Rücken. „Das heißt, ich werde eine von euch?“
Ein schwaches Nicken reichte mir. Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen und stellte mir vor, wie es wäre, eine Unsterbliche zu sein. Yasmin schien zusammen mit Taylor sehr glücklich zu sein, dennoch drängte sich ein anderes Bild in meine Gedanken. Meine Eltern waren Vampirjäger und jetzt verwandelte sich ihre eigene Tochter zu dem, was sie jagten. Ich seufzte schwer und ließ mich wieder in die Kissen gleiten. Victor hob seinen Kopf und stützte sich mit dem Kinn auf meinem Bauch. Seine wirren Haare fielen ihm über die goldenen Augen und ich lächelte ihn leicht an. „Was denkst du gerade?“, fragte er mich leise.
„An meine Eltern.“
Zu meiner Verwunderung sah ich Erkennung in seinen Augen aufblitzen, was mich stutzen ließ. „Du weißt es?“ Victor nickte knapp und richtete sich langsam wieder auf. „Taylor und ich sind ihnen begegnet, als wir auf der Jagd waren.“
Mein Atem stockte und ich riss meine Augen auf. „War es an dem Wochenende, wo wir aus waren?“
Er nickte stumm zur Bestätigung und ich schloss betrübt meine Augen. „Deswegen ist mein Vater jetzt nicht hier“, murmelte ich und öffnete halb meine Augen, um Victor anzusehen.
„Deine Mutter ist zwar nicht gerade begeistert, würde dir aber niemals im Weg stehen“, hauchte er mir leise ins Ohr, nachdem er sich auf meine Bettkante gesetzt und sich zu mir gebeugt hatte. „Und jetzt Ruh dich ein wenig aus.“

Eine warme Hand umfasste meine schmale Schulter und rüttelte mich leicht aus dem Schlaf. Erschrocken schlug ich meine Augen auf und sah in ein mir sehr vertrautes Gesicht. Nach einer ganzen Woche, die ich im Krankenhaus verbracht hatte, war ich nun bei Victor zuhause. Mein Vater hatte mich rausgeschmissen und meiner Mutter mitgeteilt, dass ich mich nie wieder bei ihm sehen lassen brauche. Seufzend strich ich mir den Schweiß von meiner Stirn und versuchte mich aufzusetzen, dennoch schob mich Victor gleich wieder zurück in die Kissen. „Nicht“, sagte er leise und gab mir einen Kuss auf die Lippen.
Jeder Muskel in meinem Körper zog sich zusammen und ich spürte, wie ein Feuer in meinem Inneren zu lodern schien. Es war, als ob ich zu einer lebenden Fackel mutiert wäre. „Mir ist so heiß“, raunte ich heiser und musste husten. „Es wird bald aufhören“, sagte er beruhigend zu mir und setzte sich auf die Bettkante, während er meine Hand hielt. Es tat gut, dass seine Hand im Moment um einiges kälter war als meine. „Wo sind Yasmin und Taylor?“, fragte ich mit brüchiger Stimme und atmete schwer. „Wir sind allein“, war alles, was er dazu sagte. Seufzend schloss ich meine Augen, die unter der Anspannung leicht zitterten. Wieder erfasste mich ein Schwindelgefühl und mein Magen rebellierte. Ich verkrampfte meine Finger und krallte sie in die Bettdecke, als Victor mich losgelassen hatte. Ich spürte seine Blicke auf mir ruhen, dennoch konnte ich meine Augen nicht öffnen. Der Schmerz, der sich bis zu meinem Herzen zog, war unerträglich. Ich stieß einen heiseren Schrei aus und spürte, wie Victor bei mir war und etwas Kühles auf meine Stirn legte, dabei strich er mir vereinzelte Haarsträhnen aus dem Gesicht. Stöhnend warf ich mich im Bett herum, bemerkte nicht, wie Victor mich versuchte eisern festzuhalten. Das Feuer zerfraß mein Innerstes und ließ mich erneut einen qualvollen Tod sterben.


8.



Als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, konnte ich erleichtert feststellen, dass der Schmerz vorüber war. Ich sah, wie Victor neben mir lag und mich in deine schützenden Arme gezogen hatte und murrend vor sich hin schlief. Seufzend ließ ich mich tiefer in die Kissen gleiten und atmete tief ein und aus, was mir ein brennen in der Kehle bescherte. Ich spürte ein neues Verlangen tief in mir aufkeimen und sah, wie Victor sich langsam streckte und mich anblickte. Sein verschlafener Blick musterte mich, während ich auf seinen Hals starrte. Ich sah, wie seine pochende Vene mich magisch anzog und automatisch beugte ich mich langsam zu ihm herunter. Er schien zu bemerken, was ich wollte und umfasste mit seiner warmen Hand meinen Nacken, um mich näher zu ihm zu lenken. Als meine weichen Lippen auf seine blasse Haut am Hals traf, stöhnte er leicht und drückte mich näher an sich. Ich leckte mit meiner Zunge seine weiche Haut am Hals entlang, ehe ich meinen Mund öffnete und wie von selbst seine Hauptschlagader ausmachen konnte. Seufzend vergrub er seine Hände in meinen Haaren, zog mich näher zu seinem Körper und küsste mich am Hals, genauso wie ich es vorher getan hatte. Langsam spürte ich, wie meine vorderen, spitzen Zähne länger wurden und das Verlangen durchströmte meinen Körper wie ein berauschendes Feuer. Langsam senkte ich meine Zähne in seinen Hals und seufzte zufrieden, als sein süßliches Blut meine Kehle hinabrann. Ich bemerkte, wie Victor sich stöhnend an mich drückte und dabei mit seinem Bein meine Hüfte umschlang. Ein Verlangen nach ihm, was nichts mit Blut zu tun hatte, erfasste meinen Körper und ich leckte sanft mit meiner Zunge über den kleinen Biss an Victors Hals. Er hob seinen Kopf und unsere Blicke trafen sich. Neugierig sah ich in Victors Augen, der mich anders ansah, als er es bisher jemals getan hatte. Ich konnte diesen Blick nicht deuten. Seine Augen fingen an zu funkeln, als er mich weiter an sich zog und sich zu mir herunter beugte. Dabei nahm er den nassen Waschlappen von meiner Stirn und legte ihn auf den Nachttisch. Sein Blick ging wieder zu meinen Augen und ich spürte ein wohliges Gefühl in der Magengegend. Vorsichtig strich er mit seinem Daumen über meine Lippen und schloss die Augen. Erst verharrte er in dieser Position, ehe er zum Sprechen ansetzte. „Lilyana, ich muss“, er stockte und öffnete halb seine Augen, die mich leicht verschlafen ansahen. Ich hatte die Müdigkeit vorher nicht an ihm bemerkt und rutschte unruhig in seinem Bett hin und her. „Es tut mir Leid“, hauchte er, nahm seinen warmen Finger von meinen Lippen und legte seine Hand in meinen Nacken. Mein Herz schlug schneller und meine Atmung wurde unregelmäßig, bei den Gedanken an ihn und meinem Verlangen. Ich spürte seinen warmen Atem an meinen Wangen. Ein Kribbeln durchfuhr meine Haut, als er seine warmen Lippen auf meine legte. Es war ein sanfter und doch fordernder Kuss. Sanft schloss ich die Augen und hob meine Hand, um meine Finger an seine Wange zu legen. Er seufzte zufrieden und drückte mich tiefer in die Kissen. Die Schmerzen von vorhin waren vollkommen vergessen und ich strich ihm mit meinen kühlen Fingern über seine erhitze Wange. Vorsichtig löste er sich von mir und sah in meine Augen. Leicht verzog sich belustigt sein Gesicht und ein grobes Lächeln umspielte seine Lippen, die leicht gerötet waren. Ohne darüber nachzudenken, hob ich meine Hand und strich mit meinem Zeigefinger über sie. Victor riss seine Augen ein Stück weiter auf und nahm seine warme Hand in meine, die immer noch auf Victors Lippen lag.
Er senkte leicht seinen Blick und ich bemerkte, wie er auf meine Lippen schielte. Vorsichtig drückte er meine beiden Hände nach unten auf das Kissen und beugte sich weiter über mich, sein Knie auf das Bett abgestützt. Seine Hände verschränkten sich mit meinen.
Er kam mir mit seinem Gesicht wieder näher und ich spürte seinen heißen Atem auf meiner Wange, die leicht erhitzt war. „Lil“, hauchte er meinen Spitznamen, ehe er seine Lippen wieder mit den meinen versiegelte. Ein leichtes Kribbeln durchzog mich und ich zog meine Beine an meinen Körper und drückte sie gegeneinander. Ich seufzte leise und Victor leckte mit seiner Zunge über meine Lippen, die ich leicht öffnete. Ich spürte, wie das Bett unter Victors Gewicht einsank, als er sein anderes Knie auf dem Bett abgestützt hatte und nun genau über mir lag. Langsam löste er erneut den Kuss auf und sah mich mit funkelnden, golden Augen an.
Victor lag über mir, mit den Knie auf das Bett abgestützt und meine Hände tief in die Matratze gedrückt. Dabei beugte er sich ein Stück weiter runter und küsste meinen Hals, den ich ihm entgegen streckte. Ein ungewolltes Stöhnen verließ meine Lippen und meine Wangen wurden eine Spur heißer. Er lachte rau und ich bemerkte den heißen Atem an meiner Haut.
Ich spürte etwas Feuchtes an meinem Hals und drehte meinen Kopf leicht nach rechts, um zu sehen, was er tat. Victor jedoch nahm seine Hand und hielt damit fordernd und sanft mein Gesicht fest. Ich weitete meine Augen, als ich bemerkte, dass er mit der Zunge meinen Hals entlang strich.
Völlig überrumpelt kniff ich meine Augen zusammen, streckte ihm meinen Hals entgegen und drückte mich selbst tiefer ins Kissen. Dabei drückte ich die Beine aneinander und spannte meinen Körper an. Victor nahm seine freie Hand aus meiner und strich damit sanft über meinen Bauch.
Ein Schauder überlief meine Haut und ich stöhnte wieder. „V-Victor“, flüsterte ich und umfasste mit meiner Hand das Bettgestell. Ich drohte dahin zu schmelzen, wenn er mir nicht endlich Erlösung bescherte. „Ja, Geliebte?“, flüsterte er mir ins Ohr und küsste erneut meinen Hals. Ich keuchte, als seine spitzen Zähne über meine Haut fuhren und diese leicht aufkratzen. „Ich liebe dich“, hauchte ich ihm entgegen und er knurrte verführerisch. Ich atmete seinen wohltuenden Duft ein. Der Geruch, den ich unter tausenden wiedererkennen würde. Ich seufzte wohlig und bemerkte, wie Victor langsam das Top über meine Arme strich. Schnell entledigte er sich seinem T-Shirt und schmiss es in die Ecke seines Zimmers. Er verzog seine Lippen zu einem Lächeln und beugte sich weiter nach vorne. Dabei strichen seine warmen Lippen über meine. Es war wie ein Hauch, sanft und zärtlich. Victors Brust hob und senkte sich unregelmäßig und auch sein Atem ging stoßweise, als ich meine Beine weiter anhob und auch meine Arme um seinen Nacken schlang. Sanft zog er mir meine kurze Hose über die Beine und streichelte meine Oberschenkel. Ich keuchte laut und biss mir auf die Unterlippe. „Ich werde dir nicht weh tun“, hauchte Victor mir ins Ohr, als sich fast unsere Gesichter berührten. Schwach nickte ich und streichelte mit meinen zierlichen Fingerkuppen über seinen Rücken. Ein seltsames Geräusch verließ Victors Kehle, dass sich sehr nach einem Schnurren anhörte. Ich seufzte wohlig, als er begann sanft über meine Schulterblätter, bis zu meinem Rücken zu streicheln, den ich langsam nach oben drückte und mich an seinen breiten Schultern festkrallte. Langsam öffnete er meinen BH und streifte ihn von meinem Körper. Ein Schauder überlief meine Haut und ich schmiegte mich enger an ihn, damit er mein errötetes Gesicht nicht sehen konnte. Victor lachte rau und seine Haarsträhnen kitzelten mir im Gesicht. Ich schlucke, als ich in seinen Augen das Verlangen sehen konnte, so ausdrucksstark, wie nie zuvor.
Ich bemerkte, wie er seine Hose samt Boxershorts schnell abstreifte und sich wieder über mich beugte, ganz langsam und darauf bedacht, nicht zu übereilt zu handeln.
Vorsichtig strich er mit seinen Händen über meinen Bauch, bis zu meinen Hüften und schließlich verharrte er an meinen Oberschenkeln. Ein sanfter Druck ging von ihnen aus und ich öffnete leicht meine Beine und legte meinen Kopf in den Nacken. Ein raues Stöhnen verließ meine Kehle und ich kniff fest meine Augen zusammen. Seine Hand strich sanft über meinen Slip und zog ihn langsam von meinen Beinen. Dabei küsste er meinen Hals und knabberte genüsslich daran. Ich konnte mein lautes Stöhnen nicht unterdrücken, während er mit seinen Fingern sanft zwischen meine Beine streichelte und selbst zu Keuchen begann. „Victor“, stieß ich ungewollt seinen Namen aus und streckte mich ihm entgegen. Ein verführerisches Lächeln schlich sich auf seine Lippen, ehe er vorsichtig in mich eindrang und eine Welle der Gefühle mich zu überrollen drohte. Fest krallte ich mich tiefer in seine Schultern, sodass meine Finger leicht schmerzten. Victor stöhnte laut, als er langsam schneller wurde und sein Gesicht in meinen Haaren vergrub. Seine Hände berührten fest meine Hüfte, die sich seinen geschmeidigen Bewegungen anpasste.
Ein berauschendes, süchtig machendes Gefühl durchströmte meinen Körper und ließ ihn heftig zusammen zucken, während Victor laut aufstöhnte und meinen Namen keuchte. Eng schmiegte ich meine Beine um seine Hüfte und atmete heftig ein und aus. Verschwitzt und keuchend legte Victor sich sanft auf meinem erhitzen Körper und schloss mich in eine feste Umarmung. „Ich liebe dich auch“, sagte er keuchend und ich schloss müde meine Augen, als ich tiefer in die Schwärze glitt.


Verschlafen rieb ich mir die Augen, als ich von dem gleißenden Sonnenlicht geweckt wurde, das Victors Zimmer in eine wunderschöne Atmosphäre tauchte.
Langsam drehte ich mich um und sah, dass mein Liebster noch schlief, doch ich konnte nicht widerstehen und gab ihm einen sanften Kuss. Seine sinnlichen Lippen verzogen sich im Schlaf zu einem Lächeln und er murmelte etwas, dass ich trotz meines guten Gehörs nicht verstehen konnte. Leise seufzte ich und rutschte an die Bettkante. Sofort schlüpfte ich aus dem Bett und ging zum Schrank, wo ich mir ein Hemd von Victor schnappte und es mir überzog. Mit leisen Schritten bewegte ich mich auf die Tür zu und trat aus seinem Zimmer. Schnell rannte ich über den Flur und die Treppe hinunter. Auf den letzten Metern ins Wohnzimmer wurde ich langsamer und stoppte schließlich an dem großen Sofa, wo ich mich mit Schwung hineinfallen ließ. Zufrieden seufzte ich, denn ich dachte daran, was für ein Glück ich hatte, so einen wundervollen Freund wie Victor zu haben. Dennoch beschlich mich ein ungutes Gefühl, als ich zurück an meinen Vater dachte. Er hatte mir nicht einmal selber sagen können, dass er mich nicht mehr sehen wollte. Seufzend fuhr ich mir durch meine langen Haare.
Meine Eltern waren schließlich Vampirjäger. Würden sie ihre einzige Tochter jagen und schlussendlich auch töten? Meine Eltern konnten nicht so herzlos sein und ihre eigene Tochter töten. Ich wollte nicht an sie denken und ließ mich tiefer ins Sofa sinken. Als ich leise Schritte vernahm, setzte ich mich sofort gerade hin und tat so, als wäre nichts gewesen. Erwartungsvoll schaute ich zur Treppe und sah, dass Yasmin die Stufen runter sprang. Taylor folgte ihr und grinste mich schon an. Ich erwiderte es zaghaft und konzentrierte mich auf meinen Gesichtsausdruck. Man sollte mir nicht sofort anmerken, dass ich mit Victor letzte Nacht geschlafen hatte.
Yasmin setzte sich elegant neben mich und Taylor tat es ihr gleich. Er beugte sich nach vorne, um mich sehen zu können und grinste erneut. „Was ist?“, fragte ich ihn und sah ihn dabei eindringlich an. Er zuckte mit den Schultern und grinste weiter. Mir war bewusst, dass er es schon erahnte und grinste dämlich vor sich hin. Als ich keine Antwort bekam, zog ich eine Augenbraue hoch und entspannte mich etwas. Yasmin lachte über mein Verhalten und schien bemerkt zu haben, dass etwas nicht stimmte. Ihr Lachen war mit dem Gesang eines Engels zu vergleichen. Normalerweise hätte ich ebenfalls gelacht oder zumindest gegrinst, doch ich machte mir noch Sorgen um meine Eltern. Das Gelächter verstummte und ein bedrückendes Schweigen breitete sich aus. Nach gefühlten Stunden, fragte ich mich, wie lange Victor noch schlafen würde. Mit ihm an meiner Seite fühlte ich mich so sicher und geborgen. Yasmin räusperte sich lautstark und unterbrach somit die Stille. Sie seufzte und sah mich eindringlich an.
„Lilyana? Wir müssen dringend reden“, sagte sie schnell. Sie packte mich am Arm und zog mich mit sich. Ich folgte ihr und drehte meinen Kopf zu Taylor um, der nur mit den Schultern zuckte. Verwirrt sah ich ihn an, bis Yasmin mich zur Treppe gezerrt hatte. Etwas genervt verdrehte ich meine Augen und fragte mich, was so dringend zu besprechen war. Sie trat in ihr Zimmer und zog mich am Ärmel des Hemdes hinterher. „Hey!“, quietschte ich. Sie ignorierte mich und schloss geräuschlos die Tür.
Sie lief zu ihrem Sessel und setzte sich elegant in ihn. Sie tippte mit ihren Füßen auf den Boden. Sie schien gewollt zu haben, dass ich mich beeilte, doch ich hatte keine Lust. Ich hatte schließlich alle Zeit der Welt. Träge ließ ich mich in den Sessel fallen und verschränkte meine zierlichen Arme vor der Brust. Langsam begann sie zu sprechen und schon an ihrer Haltung konnte ich erkennen, dass dieses Gespräch nichts Gutes hervorbringen würde, doch ich ließ sie reden und hörte ihr aufmerksam zu. „Lilyana, ich weiß, dass du das jetzt nicht gerne hören willst, aber lass mich erst ausreden. Okay?“ Ich zog eine Augenbraue hoch und sah sie fragend an.
„Ist das okay?“, wiederholte sie sich und sprach betont langsam. In ihrer Stimme schwang ein Hauch von Ungeduld mit. Ich nickte und lauschte ihren Worten.
„Du weißt, dass du mit deinen Eltern reden musst, oder?“
Sie ließ keine Zeit für eine Antwort, denn gerade als ich etwas dazu sagen wollte, sprach sie schnell weiter. „Du musst einfach mit ihnen über dich und uns sprechen. Dein Vater hatte zwar gesagt, er will dich nicht länger in seinem Leben haben“, sie stockte kurz, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkte, fuhr dann aber fort.

„Aber ich denke, er wird schon bald mit sich reden lassen, denn sie sind nach wie vor Vampirjäger und könnten uns für alles verantwortlich machen. Wir haben uns hier ein geregeltes Leben aufgebaut und ich will einfach nicht von vorne anfangen“, sagte sie und schluchzte leise. Bei jedem anderem hätte ich gesagt, dass es reiner Egoismus war, doch bei Yasmin wusste ich, dass sie sich mehr Sorgen um Victor und Taylor machte. Sie waren die Einzigen, die sie noch hatte. Sie redete weiter auf mich ein, doch mein Entschluss stand mit ihren letzten Worten fest.
„Yasmin ich werde mit ihnen reden, also beruhige dich bitte“, sagte ich ruhig.
Erleichtert seufzte sie und fragte mich, wann genau ich dies tun werde und ich überlegte einen Moment. Nachdenklich biss ich mir auf die Unterlippe und fragte mich selbst, wann der richtige Zeitpunkt gekommen war, meinen Eltern zu erzählen, dass ihre einzige Tochter das geworden war, was sie jagten.


9.



„Morgen“, sagte ich knapp und Yasmin sah mich an, während sie in der Küche das Frühstück vorbereitete. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
Ich ging die Küche entlang und direkt ins Wohnzimmer, wo ich mir eine kurze Hose von Yasmin schnappte, die sicher nichts dagegen einzuwenden hatte, und schlich leise zur Haustür, dabei sah mich prüfend um bevor ich sie öffnete. Ich hatte in dem Moment keine Lust auf Gesellschaft. Ich wollte mal ganz für mich sein und meine Ruhe haben. Ich zog die Tür auf und rannte auf den Bach zu, den ich mit einem kleinen Sprung überquerte. Ein dumpfer Knall war zu hören, als die Tür mit voller Wucht zugeknallt hatte. Mit hohem Tempo raste ich durch den Wald und genoss den Wind, der mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht blies. Versehentlich trat ich auf einige Farnen, die auf dem Boden wuchsen und auch kleine Blumen waren nicht vor mir sicher. Erschöpft blieb ich stehen und lehne ich mich an eine kleine Tanne. Viele Gedanken über meine Entscheidung strömten in meinen Kopf, doch ich gab mir keine Mühe, sie zu verdrängen. Wie würden sie es aufnehmen? Nachdenklich rieb ich mir über meine Stirn und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Nach wenigen Minuten des Grübelns, entschloss ich mich weiter zu gehen, um etwas Ablenkung zu bekommen. Tiefer ging ich in den Wald hinein, der immer dunkler zu werden schien und lauschte der Natur. Der Wind rauschte durch die Baumkronen und die Vögel sangen ihr fröhliches Lied. Ich konnte alles hören, was um mich herum geschah. Sogar die kleinen Herzen der Vögel, wie sie im Takt ihrer Melodie pochten. Konzentriert starrte ich in Richtung eines kleinen Busches, wo grelles Licht durch die Zweige schien. Zielstrebig steuerte ich auf das Gebüsch zu und schob die kleinen Äste aus dem Weg. Mir stockte der Atem, bei dem was sich vor mich ausbreitete. Ich machte ein paar Schritte nach vorn und stand am Rand einer kleinen Lichtung. Die Sonne strahlte mit all ihrer Kraft und ließ den Morgentau wie tausende Diamanten glitzern. Buchen und Tannen standen rund um die Lichtung und zogen eine deutliche Grenze zum Wald. Unwillkürlich lächelte ich bei diesem Anblick und setzte mich in das noch feuchte Gras. Ich genoss die Wärme, die auf meine Haut traf. In diesem Moment entspannte ich mich so gut ich konnte und legte mich ganz ins Gras. Der Himmel strahlte in einem umwerfenden Blau und keine Wolke war zu sehen. Wohlig seufzte ich und genoss die Ruhe um mich herum. Keine Yasmin, die meinen Kleidungsstil bemängelte und auch kein Taylor, der einen dummen Witz über mich machte. Zufrieden schloss ich meine Augen und schlief langsam ein.
Erschrocken setzte ich mich auf, als ich ein Rascheln von einem der Bäume vor mir vernahm. Blitzschnell sprang ich auf meine Beine und spähte zu einem Ast, wo etwas zu Hocken schien, doch wirklich etwas erkennen, konnte ich nicht. Ein paar Äste waren im Weg und deren Blätter verdeckten mir jede Sicht. Die Sonne hatte sich vollkommen verzogen und anstatt einen blauen, entdeckte ich einen fast schwarzen Himmel, der mit vielen Sternen versehen war. Ein süßer Geruch strömte mir entgegen und sofort wusste ich wer dort im Baum lauerte. Victor. Schwungvoll sprang er von dem Ast und grinste mich neckend an. Auch ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen und ging auf ihn zu. Seine goldenen Augen glänzten im Mondlicht und sein Haar hing ihm im Gesicht. Er schlang seine starken Arme um meine Taille und zog mich näher an sich heran. Meine Hände tasteten sich auf seinem Rücken auf und ab. Meinen Kopf legte ich auf seine Brust. Nach wenigen Minuten löste er sich von mir und ließ sich elegant auf dem Gras nieder. Erwartungsvoll streckte Victor mir seine Hand entgegen, die ich zaghaft entgegennahm und ehe ich mich versah, lag ich auf ihm. Ich kicherte und kuschelte mich erneut an seine Brust. Seine Hände legte er vorsichtig auf meinen Rücken und pustete meine Haare weg, die ihm ständig im Gesicht hingen. Schnell strich ich sie mir hinters Ohr und küsste ihn sanft.
Ich war froh, dass er nicht gefragt hatte, warum ich einfach weggegangen war. Er war einfach nicht so neugierig wie Yasmin gewesen und darüber war ich mehr als froh. Er verstand mich auch, ohne dass ich etwas sagte und das schätze ich an ihm. Seine Augen wurden immer kleiner und kleiner. Er schien wirklich müde gewesen zu sein.
Langsam rutschte ich von seinem Körper und legte mich dicht neben ihn. Er war wohl die ganze Zeit meiner Fährte gefolgt, als er bemerkte, dass ich nicht zuhause war. Auch ich war müde und schloss meine Augen.


In den frühen Morgenstunden, weckte mich eine kühle Brise, die über die kleine Lichtung fegte. Vorsichtig reckte ich mich und sah zu Victor, der neben mir noch gemütlich schlummerte.
„Wach auf mein Schatz“, flüsterte ich ihm ins Ohr und küsste seinen Hals. Langsam stand ich auf und betrachtete meine Kleidung.
„Oh Gott. Wie sehe ich denn aus?“, fragte ich mich selbst und schüttelte reflexartig den Kopf. Ich fuhr mir durch die Haare und erwischte ein paar Grashalme und Blätter, die sich in ihnen verfangen hatten. Das Hemd von Victor war überseht von Grasflecken und somit total ruiniert. Auch Victor war endlich aufgestanden und gesellte sich zu mir. Er streichelte mir über den Arm und nahm dann meine Hand. Er küsste mich sanft auf meine Stirn. Zusammen gingen wir durch den Wald und ich überlegte, ob ich lieber allein zu meinen Eltern gehen sollte, oder doch mit Victor. Sie würden ihn sicherlich für alles verantwortlich machen. Eigentlich war er es auch, aber ich hätte es mir nicht anders gewünscht. So hatte ich die Möglichkeit, für immer und ewig mit Victor zusammen sein zu können. Ich hatte mich entschlossen, meinen Eltern wirklich alles zu sagen, was passiert war. Keine Angst erdrückte mich, nein, eher so etwas wie Vorfreude. Ich wusste nicht genau, warum ich mich freute, aber alles war besser als diese unerträgliche Angst vor dem Ergebnis des Gesprächs. Nach circa zwanzig Minuten konnte ich schon Victors Haus sehen und Yasmin, die an der Tür wartete und ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden tippte. Als auch sie uns wahrnahm, sagte sie nichts, sondern musterte uns von oben bis unten. Erst in diesem Augenblick, sah ich, dass Victor genauso grauenhaft aussah wie ich. Seine Kleidung war schmutzig und seine Haare waren mehr als zerzaust. Ein leichtes Grinsen legte sich auf meine Lippen, doch Yasmin sah mich nur verwundert an.
Gekonnt ignorierte ich sie und ging mit Victor ins Haus.
„Ich geh schnell duschen“, sagte er ruhig und ließ meine Hand los.
„Lil?“, begann Yasmin vorsichtig.
„Wann willst du nun mit deinen Eltern reden?“, fragte sie immer noch vorsichtig und beobachtete meinen Gesichtsausdruck. Ihr dunkelbraunes Haar war wie immer perfekt gestylt. Ihr Outfit passte wirklich gut zusammen und schmeichelte ihrer zierlichen Figur.
„Noch heute, aber ich brauche deine Hilfe. So kann ich schließlich nicht zu ihnen gehen“, sagte ich und deutete auf meine schmutzigen Klamotten. Ihre Lippen verzogen sich zu einem triumphierenden Grinsen. Sie hatte wohl damit gerechnet, dass ich sie irgendwann um Hilfe in Sachen Kleidung bat. Gespielt lächelte ich und machte mich auf den Weg in Victors Zimmer. Dort wartete ich, bis er aus dem Bad kam, dass direkt nebenan war. Gemütlich setzte ich mich an den Rand des großen Bettes und blätterte in einem dicken Buch, das auf dem Nachttisch lag. Der Band war ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden und der Titel war kaum lesbar. Als die Tür zum Bad aufsprang, legte ich es an seinen Platz zurück und schmunzelte zu Victor, der nur mit einem Handtuch bekleidet im Zimmer stand. Fast schleichend ging ich an ihm vorbei und streifte dabei seinen Arm. Ehe ich in einem Lachanfall ausbrach, verzog ich mich ins Badezimmer und verschloss die Tür. Schnell schlüpfte ich unter die Dusche und wusch den Schmutz von mir. Das Wasser wurde trüb und ich rümpfte leicht meine Nase. Sobald ich fertig war, trocknete ich mich sorgfältig ab und putze mir die Zähne. Leise öffnete ich die Tür und machte einen Schritt in Victors Zimmer. Er lag auf seinem Bett und las in dem Buch, welches ich zuvor durchgeblättert hatte. Vorsichtig spähte ich in den Flur, um sicherzustellen, dass weder Taylor noch Yasmin sich dort aufhielten. Schleichend überquerte ich den langen Korridor und verschwand in Yasmins Zimmer. Fragend sah ich mich um, als ich feststellte, dass sie nicht auf mich wartete, wie angenommen. Stattdessen lag eine weiße Jeans und ein hellblauer Rollkragenpullover auf ihrem Bett. Verwundert rieb ich mir über meine Stirn, denn normalerweise würde Yasmin nie eine solche Gelegenheit verpassen.
Erleichtert atmete ich tief ein und wieder aus, bevor ich mich umzog.
Die Jeans schmiegte sich an meine Beine und auch der Pullover passte wie angegossen. Ich schaute mich abermals um und verließ danach das Zimmer und schloss hinter mir die Tür. Mit langsamen Schritten ging ich die Treppe hinunter und umfasste mit meinen Händen das Geländer. Schon nach wenigen Sekunden stand ich im Wohnzimmer und sah Taylor und Yasmin, die es sich auf seinem Schoß bequem gemacht hatte. Unauffällig setzte ich mich neben die beiden und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Ich machte mir keine Sorgen mehr darüber, was ich zu meinen Eltern sagen würde. Es wird schon irgendwie gut ablaufen.
„Wo ist Victor?“
Er war vor mir fertig gewesen und noch immer nicht hier. Doch noch bevor einer von ihnen mir eine Antwort geben konnte, stand Victor schon am Absatz der Treppe und sah mich erwartungsvoll an. Mein Mund ging einem Spalt weit auf, als ich bemerkte, was er trug. Einen weißen Anzug mit bestickter Krawatte. Wollte er sich etwas bei meinen Eltern einschleimen? Auch wenn es so war, geholfen hätte es ihm sicherlich nicht.
Schwungvoll stand ich vom Sofa auf und ging auf ihn zu. Er sah einfach so verlockend aus, dass ich nicht widerstehen konnte. Schnell zog ich ihn an mich ran und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss. Seine Lippen waren weich und schmeckten leicht süßlich. Sein Atem streifte meine bleiche Wange. Bevor ich mich weiter verführen lassen konnte, räusperte Taylor sich lautstark.
„Das ist ja widerlich. Habt ihr nichts zu tun?“ fragte er scherzhaft und lachte laut drauf los. Yasmin holte aus und schlug ihm auf den Arm. „Aua!“
„Als ob dir das weh getan hat.“
Leicht beschämt, drehte ich mich wieder zu ihnen und sah Yasmin fragend an. Sie nickte mir aufmunternd zu und auch Taylor wurde wieder ernster. Victor nahm meine Hand und zog mich mit sich in Richtung Haustür. Es war Zeit für das große Gespräch mit meinen Eltern. Ob mein Vater mir verzeihen würde?

Impressum

Texte: Die Geschichte, sowie Chrarkete, sind von mir und frei erfunden.
Tag der Veröffentlichung: 04.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich meiner besten Freundin Nadine. Sie ist einfach die Beste <3 Danke!

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