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Es lief darauf hinaus, dass Cooney sich einen Pflasterstein schnappte, der am Rand des Grundstücks herumlag und dann auf Psycho San hinaufsprang, der wiederum auf Pepe stand, wobei sie aussahen wie die Bremer Stadtmusikanten. Aber nur fast, denn die Eichhörnchen spielten keine Rolle bei dieser Aktion, sie waren einfach zu klein dafür.

Und dann schmetterte Cooney mit seinen begnadeten Händen den kantigen Stein in die Glasscheibe – und das ging auch ohne richtige Daumen.

K L I R R R R!!! Die Scheibe fiel aus ihrer brüchigen Verkittung einfach nach innen weg, und ein nettes Loch gähnte oben in der Tür.
Sie schauten sich ängstlich um, vielleicht hatte ja jemand das Klirren gehört, es war ziemlich laut gewesen. Aber kein Mensch schaute aus dem Fenster, und es kamen auch keine neuen Lichter hinzu.

„Na, dann woll’n wir mal“, knurrte Psycho San, er sprang mit Leichtigkeit durch das Loch in der Tür, Pepe folgte ihm – er sprang so mühelos wie in seiner Jugend, und nach ihm sprangen Squirrel, der Kleine und zuguterletzt Cooney durch das Loch.

Es roch nicht gut in dem Laden, und das war noch untertrieben, in Wahrheit roch es durchdringend nach den Exkrementen von allen möglichen Tieren, unter anderem auch nach Katzenscheiße, wie Psycho San und Pepe kundig feststellten. Aber die war schon älter, und ihre Verursacher waren wohl nicht mehr hier. Was war wohl mit denen passiert? Sie hörten auf, sich darüber Gedanken zu machen, denn sie standen mitten in der Tierhandlung und konnten die Käfige, die sie von außen nur verschwommen gesehen hatten, nun genauer betrachten.

Als erstes fiel dem Kleinen das rote Ding auf, das er fälschlicherweise für Mammi gehalten hatte. In Wirklichkeit war es ein bunter Flattermann mit gebogenem Schnabel, der wie beknackt auf einer Stange hin und herrutschte.
„Was bist du denn für einer?“, fragte er den nervösen Flattermann.

„Was bist du denn für einer?“, krächzte der Flattermann zurück.

„Ich bin der Kleine. Hast du meine Mammi gesehen?“

„Ich bin der Kleine. Hast du meine Mammi gesehen?“, tönte es in perfekter Kopie von dem roten Flattermann zurück.

Psycho San schaute ungläubig diesem Spielchen zu. Dann wurde er ein wenig sauer, er stellte sich eng an den Käfig – griff blitzschnell mit der Pfote durch das Gitter des Käfigs, hatte flugs den Roten um die Kehle gefasst und sagte mit betörend knurriger Stimme: „Pass mal auf, du Clown! Wenn du meinst, du könntest uns hier verarschen, dann hast du dich aber getäuscht!“

„Örrgghh...“ Der rote Stimmenimitator lief noch ein bisschen röter im Gesicht an, wie es schien.

Psycho San lockerte etwas seinen Griff. „Wo ist das rote Eichhörnchen?“, fragte er streng und glotzte den Flattermann an, ohne seine Augenlider zu bewegen. Ein toller Trick, um Artgenossen zu übertölpeln, aber anscheinend wirkte dieser Trick auch auf Flattermänner.

„Cchhörrcchhen....?“ Der Flattermann röchelte ein wenig.

Psycho San verstärkte den Druck um den Hals des Flattermanns wieder und sah ihn dabei unheilvoll an.

„Örrgghh...“, würgte der Flattermann und spuckte endlich aus, was Psycho San wissen wollte, nämlich: „Chinten, da chinten rrrechts, da ist ein chhörnchen, ein rrotes, es singt manchmal...“

„Na also, du bunter Clown!“, knurrte Psycho San, er zog seine mit scharfen Messern besetzte Pfote zurück und bedeutete den anderen, wohin sie gehen sollten. Nämlich nach chinten rrrechts... Er merkte, dass Pepe ihn beeindruckt anschaute, und das machte ihn irgendwie stolz.

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Feh liegt in ihrem Käfig. Sie hat von draußen einen Lärm gehört, ihm aber keinerlei Bedeutung zugemessen. Und danach krächzte einer der Vögel laut herum.
Manchmal ist es draußen noch viel lauter, und die Vögel regen sich immer so fürchterlich auf. Sie ist jetzt schon so viele Tage hier und hat noch nicht den Mut aufgegeben. Sie futtert immer reichlich, um nicht vom Fleische zu fallen, so würde es jedenfalls Pepe nennen, der Squirrels Freund ist. Pepe ist ein guter Kerl. Was machen sie jetzt wohl gerade, denkt Feh wehmütig und überhört das leise Tappen von Pfoten. Wie dumm sie gewesen ist, in diese blöde Falle zu gehen. Aber darin lagen viele wunderbare große Nüsse, sie dufteten so verführerisch unbekannt, und sie wollte sie unbedingt dem Kleinen mitbringen. Aber da schnappte die Falle zu, und von einem Augenblick zum anderen war sie von einem freien Eichhörnchen zur Gefangenen geworden.

Die Nächte sind schlimm mit ihren unbekannten Geräuschen und diesem Licht, das nicht natürlich ist, aber sie sind immer noch besser als die Tage...
Die Tage sind grauenhaft grell, wenn ein Mensch sie interessiert in ihrem Gefängnis anstarrt, während sie versucht, sich im äußersten Winkel des Käfigs zu verbergen, aber auch wenn man sie nicht erblicken kann, fühlt sie sich trotzdem ohne Fell... Tage, irregräuliche Tage, wenn Feh feststellt, dass man über sie verhandelt, während jemand sein gieriges Gesicht an die Gitterstäbe ihres Käfigs drückt...

„Mammi?“

Feh ist plötzlich hellwach. Sie rappelt sich auf, geht von der hintersten Ecke ihres Gefängnisses nach vorne ans Gitter – und sieht den Kleinen und Squirrel.
Das kann nicht wahr sein, sie fängt an überzuschnappen, hat Wahnvorstellungen, dumme Träume und Wünsche...

„Wir holen disch hier raus!“

Dies aber scheint ein sehr wahrer Traum zu sein. Feh, eine überaus realistische, mit allen vier Pfoten auf dem Baum stehende Person schöpft neue Hoffnung und klammert sich an das Gitter ihres Käfigs, um ihrem Kleinen nahe zu sein, ihn berühren zu können. Und wie groß er geworden ist! Aber Squirrel sieht gar nicht gut aus, und wie er sie anschaut, so sehnsüchtig...

Psycho San und Pepe sehen sich an. Was können sie tun, um Feh aus ihrem Käfig zu befreien?

„Null Problemo...!“ Wieder ist es Cooney, der die Initiative ergreift.

„Was hast du vor?“, fragt Pepe ihn.

„Hast du vergessen, Alter, dass ich fast Daumen habe?“ Cooney sieht ein wenig beleidigt aus.

„Öööh ja doch“, sagt Pepe verlegen.

„Ich kann außer Saubermachen noch ’ne Menge anderer Sachen, Alter“, sagt Cooney und lächelt spitzbübisch auf Waschbärenart.

„Na dann mal los!“ Psycho San grinst Pepe an und knurrt leise: „Vielleicht war er mal Einbrecher – oder hat zumindest bei ’nem Schlüsseldienst gearbeitet...“

...Woraufhin Cooney einfach mit beiden Pfoten an der Verriegelung des Käfigs herumfuchtelt, was anscheinend wirklich null Problemo für ihn ist, und voilà: Der Riegel ist geöffnet, und die Tür schwingt langsam auf.

Feh kann es immer noch nicht glauben, sie atmet tief aus, macht zögernd einen Schritt nach draußen – und springt dann entschlossen aus dem Käfig.

Doch plötzlich ertönt ein summendes Geräusch, jemand schaltet gerade die Deckenbeleuchtung an, und der Laden wird in ein grelles Licht getaucht.

Scheiße, denkt Psycho San, jetzt haben sie uns am Wickel. Seine genialen Katzenaugen sehen, kaum vom hellen Licht geblendet, wie ein großes Trumm von Mensch zwischen den Käfigen herumstolpert. Der Mensch sieht böse aus, und er hält ein langes, gefährlich aussehendes Ding in seinen Händen. Der Mensch, er ist es, der ihn damals...

„Macht schnell!“, knurrt Psycho San. „Ihr wisst, wo das Loch in der Tür ist...“

Aber der Mensch ist schon nahe herangekommen. Seine gierigen Augen haben erfasst, was los ist: Jemand will stehlen, irgendwelche kleinen Mistviecher wollen SEIN Eigentum stehlen! Breitbeinig steht er im Gang und wedelt mit dem langen gefährlich aussehenden Ding herum, bereit alles umzuhauen, was an ihm vorbei will.

„Lauft, Leute, lauft!!!“ Es ist Pepe, der das ruft. Und alle gehorchen ihm, obwohl er doch nur ein alter kraftloser Kater ist.
Alle laufen los, sogar Psycho San, der Härteste unter den Katern läuft instinktiv los...
...Pepe wirft sich vor die Füße des Menschen, er hat die Absicht, den Menschen zum Stolpern zu bringen – und der Mensch stolpert wirklich über ihn, er fällt zur Seite, stößt ein paar Worte aus, es hört sich an wie: „Du verdammtes Mistviech, ich werd’s dir geben!“

Pepe sieht nur noch ein großes Ding, das auf ihn zukommt, dann verliert er das Denken. Er sieht nicht mehr, dass Squirrel ihm zu Hilfe eilt, wagemutig ist Squirrel immer schon gewesen, er ist das tapferste kleine Eichhörnchenmännchen, das jemals lebte, Squirrel springt den Menschen an und kratzt ihn mit seinen scharfen Krallen, aber der Mensch schleudert ihn an die Wand. Doch dann greift er sich an die Augen und stößt einen wütenden Schrei aus.

Squirrel rutscht an der Wand hinunter, bleibt einen Moment lang benommen am Boden liegen und rappelt sich dann wieder hoch.

Psycho San hört den wütenden Schrei des Menschen und blickt zurück. Er sieht Pepe leblos am Boden liegen.
Aber nein, er bewegt sich noch, seine Augen sind auf Psycho San gerichtet, und Psycho San erkennt, dass Pepe ihm mit diesem Blick eine flehende Botschaft schickt. Oder bildet er sich das nur ein? Nein!

„Jaja, ich mach es!“, ruft er Pepe zu. „Ich kümmere mich um deine Menschen.“ Aber Pepes Augen sind mittlerweile geschlossen. Einen Augenblick lang ist Psycho San unsicher, aber dann entscheidet er sich.
„Los vorwärts! Komm’ Squirrel, es ist zu spät für ihn. Beeilt euch, wir haben nicht mehr viel Zeit!“

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Pepe liegt auf seiner Fensterbank, er fühlt sich wunderbar warm, und nichts tut ihm mehr weh. Er schaut kurz nach draußen. Da fällt dieses weiße Zeug massenhaft vom Himmel hinunter. Er hasst es, es tut seinen empfindlichen Pfoten weh, und er ist froh, dass er nicht hinaus muss.
Um ihn herum ertönt leise Musik, stimmt ja, es ist Weihnachten. Er sieht Feh auf dem Sofa. Sie schaut wie gebannt auf den großen geschmückten Weihnachtsbaum, in dem Squirrel gerade seine geniale halsbrecherische Squirrel–Welle tanzt. Das ist bestimmt nicht einfach für ihn zwischen all den Kugeln, die seine tanzende Gestalt so wunderbar widerspiegeln.
Pepe spürt eine sanfte Bewegung an seinem Rücken, er dreht sich kurz um, und tatsächlich liegt der kleine Scheißer ganz nah an ihm, und Pepe berührt ihn sanft mit der Pfote.
Cooney kommt gerade ins Zimmer hinein. Er hat einen roten Staubwedel in seiner begnadeten Hand ohne Daumen, und er fuchtelt damit unter dem Weihnachtbaum herum. Cooney ist echt verrückt, aber auf eine liebe Art. Und anscheinend ist alles gutgegangen. Wirklich alles gutgegangen? Wo ist Psycho San? Er wollte sich doch um die Menschen kümmern.

Psycho San ist in der Küche. Die Menschin hat ihm leckere Sachen gegeben, und er fühlt sich sehr zu ihr hingezogen, ihre Hände sind so sanft und lieb. Hat Pepe etwa recht gehabt? Vielleicht gibt es wirklich Menschen, die anders sind.
Während Psycho San sich an die Beine der Menschin schmiegt und dabei tiefgründige Überlegungen anstellt, da spürt er auf einmal etwas Seltsames. Pepe... Ist er hier? Oder ist das nur eine in die Irre führende Wahnvorstellung? Er weiß natürlich, dass seine Spezies ungewöhnlich ist. Katzen können manchmal in die Zukunft schauen und haben übersinnliche Fähigkeiten. Okay, manchmal sind Katzen einfach nur verrückt... Er muss lachen.

Wie auch immer, es zieht ihn irgendwie magnetisch ins Wohnzimmer – und da sieht er Pepe auf der Fensterbank liegen. Er vergisst sein Knurren und starrt Pepe einfach nur an.

„Mir geht’s gut.“ Pepe lächelt ihm zu. „Und ich hoffe, dir auch.“

„Ja, doch“, stammelt Psycho San. Ist das jetzt wirklich? Die anderen, also Squirrel, Feh, der Kleine und Cooney sehen Pepe anscheinend nicht. Aber was ist schon wirklich? Er sieht Pepe, und er weiß, dass Pepe da ist.

„Ich muss bald weg“, sagt Pepe gerade, „es kann nicht mehr lange dauern.“

„Aber wohin gehst du denn?“

„Keine Ahnung. Vielleicht werde ich meine Mutter besuchen und meine Geschwisterchen. Vielleicht streife ich in der Gegend herum und schaue mir die Sterne an, ich bin eben ein sehr neugieriger Kater. Oder vielleicht schlafe ich einfach nur und träume alles mögliche.“

„Ach Pepe“, seufzt Psycho San, „ich werde dich vermissen. Und deine Menschen sind gar nicht so übel. Ich hab’ sie zu der blöden Tierhandlung geführt, sie haben dich dort in der Mülltonne gefunden...“ Psycho San macht eine Pause, denn vielleicht weiß Pepe ja gar nicht, dass er gestorben ist, aber andererseits macht Pepe einen voll coolen Eindruck, also fährt er fort: „Sie haben dich im Garten begraben, und sie waren ziemlich sauer auf deinen Mörder. Der Laden ist mittlerweile geschlossen. Jedes Tier hat ein Zuhause gefunden, sogar die dämlichen Flattermänner...“

„Das ist schön!“ Pepe fängt an zu grinsen. „Weißt du Sanni, es war der beste Abgang für mich, ich hätte sowieso bald gehen müssen, und was für seine Freunde zu tun, ich glaube, das nennt man zwei Fliegen mit einer Pfote fangen. Also mach’ das Beste draus, Kumpel.“

Psycho San nickt. „Vergiss nur eins nicht. Du bist jetzt Legende...“ Er will noch viel mehr sagen, doch etwas geschieht mit Pepe, er wird langsam immer durchsichtiger, er löst sich unaufhaltsam vor Psycho Sans Augen auf, bis er schließlich ganz verschwunden ist.

Psycho San muss schlucken, er vermisst den alten Knacker, doch dann sieht er draußen einen steil zum Himmel emporstrebenden wunderbar bunten Regenbogen – und er fühlt sich irgendwie getröstet.

ENDE




Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Solange man an jemanden denkt, solange lebt er.

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