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Es war ergreifend, wie der Kleine sang. Pepe guckte betroffen und putzte sich angestrengt das Gesicht, wobei er viel Aufmerksamkeit auf seine Augen verwendete. Cooney hielt sich einen Wischlappen vor seine Nase, anscheinend wollte er hineinniesen, aber es kam kein Nieser. Squirrel kämpfte mit den Tränen, er schaute verzweifelt vor sich hin und dachte: ‚Ach Feh, du Liebste und Schönste, wo bist du? Warum hast du uns verlassen?’

Einzig Psycho San ließ sich von keiner Rührung überkatern, er schüttelte sich kurz und sah aus, als würde er über etwas nachsinnen. „Das hab’ ich doch schon mal gehört...“, sagte er schließlich.

Diese Worte gingen fast in der allgemeinen Sentimentalität unter, doch einer hatte sie mitbekommen, nämlich der Kleine, vermutlich weil er noch die guten Ohren der Kindheit besaß. „Wie denn was denn, Sanni, wo hast du das gehört?“, fragte er aufgeregt.

Psycho San dachte angestrengt nach, und nach einer Weile fiel es ihm ein: „In dieser idiotischen Tierhandlung, wo ich eingesperrt war, da hab’ ich das gehört“.

Mittlerweile hatten es auch die anderen kapiert, und alle überlegten, wie es sein konnte, dass Psycho San dieses Lied in der Tierhandlung gehört hatte. Und ob da ein Zusammenhang zwischen der verschwundenen Feh und diesem Lied war.

„Isch will dahin!“ Squirrel zog als erster seine Schlüsse.

„Ich auch“, quietschte der Kleine.

„Was denn? Wohin?“

„Isch will in die Tierhandlung, was immer das ausch ist! Du musst uns hinführen!“ Squirrel sah leicht hysterisch bei diesen Worten aus.

„Aber was wollt ihr da?“

„Vielleicht ist Feh da“, Squirrel strich sich mit seiner winzigen Pfote über die Augen und zwinkerte irgendwie.

„Ja genau, vielleicht ist Mammi da“, sagte der Kleine sehnsüchtig.

„Vielleicht seid ihr total übergeschnappt“, knurrte Psycho San. „Und isch... oh Mist, ICH hab’ Angst dahin zu gehen, es liegt nämlich an der Hauptstraße...“ Das war natürlich gelogen, er fürchtete die Hauptstraße nicht, in Wirklichkeit hatte er Angst vor der Tierhandlung und dem Menschen darin.

„Egal! Du musst uns hinführen!“ Squirrel wischte Psycho Sans Einwände mit einer Pfotenbewegung beiseite. „Und isch glaube nischt, dass du Angst hast.“

„Ich auch nicht, Sanni!“

„Ich komme mit!“, ließ Pepe sich hören.

„Ich auch!“ Cooney band demonstrativ sein Schürzchen ab.

Psycho San stöhnte auf und ergab sich in sein Schicksal. Die würden ihn ja sowieso nicht in Ruhe lassen, diese bepelzten Irren. Er überlegte: Sie mussten über die Hauptstraße. Dort fuhren viele Autos daher und noch andere Riesendinger, aber damit kannte er sich aus. Und gut, es war schon dunkel, aber es war immer noch viel los. Man musste sehr vorsichtig sein, um nicht von neugierigen Menschenaugen gesehen zu werden. Und da alle mitkommen wollten, sogar der alte Knacker Pepe, würden sie so unauffällig sein wie... na ja wie zwei Eichhörnchen, zwei Kater und ein Waschbär. Also absolut auffällig! Psycho San musste in sich hineinlachen. Die meisten Menschen würden zwar denken, sie hätten zu tief ins Glas geguckt, wie das bei ihnen so hieß, aber trotzdem war Vorsicht geboten. Sehr viel Vorsicht ...

„Wir gehen hintereinander“, knurrte er. „Und es muss wie zufällig aussehen. Wenn die uns erwischen, dann kommen wir alle ins Tierheim. Oder in noch was Schlimmeres. Also unauffällig verhalten! Ich geh’ als erster, und ihr schleicht euch hinter mir her.“ Nach dieser eindringlichen Rede überlegte Psycho San, ob der zivilisierte alte Kater Pepe und der Waschbär Cooney nur im Entferntesten eine Ahnung hatten, wie man sich unauffällig verhielt. Er seufzte auf. Es hatte keinen Sinn, sie würden trotzdem mitkommen wollen.

Also marschierte man los. Psycho San ging voran, nach ihm Pepe, dann kamen die beiden Eichhörnchen, und hinten sicherte der Waschbär ab. Man hielt eine unordentliche Marschordnung ein, lief mal hierhin, lief mal dorthin, versteckte sich ab und zu unter einem parkenden Auto, und Psycho San war überrascht, wie gut alles klappte.
Als es aber dann auf die Hauptstraße ging, wurden alle ziemlich nervös. Die vorbeibrausenden Autos kamen ihnen schrecklich vor, aber auch die Menschen, die auf dem Bürgersteig daher gingen, konnten eine Bedrohung darstellen.
Zum Glück war das Wetter ziemlich mies, ein stürmischer Wind wehte, und es fing an zu regnen. Die paar Menschen waren mit diesem Ding beschäftigt, das sie über sich hielten, wenn es regnete – und keiner richtete seine Aufmerksamkeit auf kleine wuselige Tiere, die über den Bürgersteig liefen.
Vor allem die beiden Eichhörnchen stellten sich sehr geschickt dabei an. Sie wechselten so schnell die Richtung beim Laufen, dass sie aussahen wie große rote Blätter, die vom Sturm umhergewirbelt wurden. Es lief eigentlich recht gut, wie Psycho San fand.
In einem günstigen Augenblick, als gerade kein Auto zu sehen war, befahl er: „Los Leute, jetzt geht’s über die Straße!“ Er rannte los – er schaute sich nicht um, sondern hoffte, dass sie ihm folgten, und das taten sie. Alle erreichten unbeschadet die andere Seite, und er atmete erleichtert auf.

„Da hinten muss es sein“, sagte er zu Pepe, der plötzlich neben ihm aufgetaucht war. Eigentlich fand er den alten Knacker gar nicht so übel.

„Was... meinst... du, warum... könnte.. sie.. dort... sein? Warum.. wird.. sie.. dort... gefangen.. gehalten?“ Pepe war ein wenig außer Puste geraten durch den schnellen Marsch, so was war er nicht mehr gewohnt.

„Ach weißt du“, Psycho San erlaubte sich ein Grinsen, „die Menschen haben viele Gründe, uns gefangen zu halten. Aber wenn das wirklich eure Feh ist in der Tierhandlung, dann tippe ich auf Geldgier...“

„Ich... habe... schon.... von... Versuchslaboren... gesehen.. im... Fernsehen“, keuchte Pepe. „Aber.. was... wollen.. die... mit... einem... Eichhörnchen?“

„Vielleicht suchen sie einen, der sich für ihr Fell interessiert.“

„Hääh?... Aber... sie.. ist... doch... so... klein...“

„Pffft...“, knurrte Psycho San abfällig in sich hinein. „Es gibt nichts, was die Menschen nicht machen würden...“

„Nicht... meine...“ Pepe wirkte bei diesen Worten sehr überzeugt, und Psycho San sagte nichts darauf, er wollte nicht grob zu Pepe sein, denn zu diesem Thema hatte er eine eigene Meinung, außerdem kam ihm die Gegend gerade sehr bekannt vor.

„Wir sind da“, er winkte dem Rest der Bande zu und zog sich in den Schatten eines parkenden Autos zurück. Die anderen setzten sich zu ihm. Mittlerweile waren alle vollkommen nass, bis auf den Waschbären, dessen Fell irre wasserabweisend war. Doch Psycho San, Pepe und die beiden Eichhörnchen trieften nur so vor Nässe, und der kalte Wind verstärkte diese Nässe zu einer widerlich klammen Kälte. Über ihnen schaukelte eine Weihnachtsbeleuchtung im Wind und trieb seltsame Schatten über den Bürgersteig. Es erinnerte Psycho San daran, dass das große Liebesfest der Menschen bevorstand.

Sie versuchten durch die Schaufensterscheiben der Tierhandlung zu gucken. Der Innenraum war schwach beleuchtet, und im Vordergrund sahen sie einen großen Hoppelhasenstall, in dem fünf Hoppelhasen schliefen. Dahinter erstreckte sich eine Reihe von Käfigen mit hauptsächlich Flattermännern drin. Die schliefen auch.

Der Kleine deutete auf etwas: „Da hinten Paps, da ist was Rotes!“

Squirrel fixierte die scheinbar unendliche Reihe der Käfige mit den Flattermännern, den Hoppelhasen und den anderen kleinen Vieschern, die gerade mal so groß wie er selber waren, aber Feh konnte er nicht sehen. Verdammt nosch mal! Squirrel wurde zornig. Sie musste da sein! Dieses Lied kannte nur sie, wer sonst von den Flattermännern, Hoppelhasen und sonstigen Vieschern würde so was singen? „Wir müssen da rein!“, sagte er verzweifelt.

„Du bist ja verrückt“, knurrte Psycho San. „Wie sollen wir denn da reinkommen? Und falls wir da reinkommen, wissen wir nicht, ob wir da jemals wieder rauskommen...“

„Das ist mir egal!“, plärrte Squirrel los. „Wenn nischt jetzt, wann dann?“

„Beruhige dich“, knurrte Psycho San. Die ganze Lage war zwar schier aussichtslos, dieser Haufen von Irren würde bestimmt scheitern – und er mit ihnen – aber irgendetwas in seinem Inneren gegrüßte die Gefahr, die von dieser Aktion ausging.
„Na gut! Wenn ihr unbedingt wollt, dann also weiter...“ Er lief los, den Bürgersteig aufmerksam im Blick, kaum Menschen waren zu sehen, der Regen kam ihm noch ekliger vor als vorhin, und wenn er nicht schon total nass gewesen wäre, dann hätte er sich sofort irgendwo verkrochen, aber im Augenblick berauschte ihn die Gefahr so sehr, dass er sein nasses Fell und die Kälte vergaß. Er lief an mehreren Toreinfahrten vorbei, bis er eine gefunden hatte, die nicht durch Gitter versperrt war. Sie wirkte wie ein finsteres Loch.

„Da ist es“, sagte er knurrend – und ging zögernd in die Dunkelheit hinein.

Wieder erschien Pepe an seiner Seite. „Hör mal, Psycho San“, begann er verhalten, er wusste anscheinend nicht, wie er weiterreden sollte.

„Na spuck’s schon aus“, Psycho Sans Stimme hörte sich noch knurriger an als sonst.

„Weißt du, ich hab’ da so ein blödes Gefühl...“

„Was meinst du damit?“, Psycho San musterte den alten Kater kurz von der Seite, er war schwer damit beschäftigt, den Hintenrumweg zu dieser blöden Tierhandlung zu finden. Das war nicht einfach, es ging über niedrige und nicht so niedrige Mäuerchen und durch dichtes Gebüsch.

„Falls mir etwas... passieren... sollte..“, der gute Pepe litt wieder unter Atemnot, „dann musst.. du.. dich.. um.. sie... kümmern.“

„Äääh was bitte?“ Was wollte der alte Knacker von ihm? Dass er sich um diese Bande von Waschbären und Eichhörnchen kümmern sollte? Absurd das! Obwohl der Kleine ja ein Netter war... „Die kommen gut alleine klar, die bepelzten Irren“, knurrte er.

„Nein...“, keuchte Pepe. „Ich... meine.. die... Menschen...“

„Papperlapapp!“ Psycho San schüttelte unwillig den Kopf und wollte noch was voll Gemeines sagen, aber sie waren gerade dabei, über eine hohe Mauer zu springen, und dahinter war er, der schreckliche Ort, an dem er seine Freiheit erkämpft hatte. Er drehte sich um und verkündete triumphierend: „So Leute, da ist es!“

Sie waren auf einem Hinterhof gelandet, der ziemlich öde aussah. In dem schwachen Licht, das aus den oberen Etagen des Hauses hinunter fiel, erkannte man nur ein paar Mülltonnen und einen Schuppen mit einem Vordach. Sie drängten sich alle unter das Vordach. Psycho San schüttelte sich, um den ekligen nassen Regen loszuwerden, aber er schüttelte sich auch, weil er sich dran erinnerte, wie der Typ ihn in die Mülltonne schmeißen wollte. Auch die anderen schüttelten sich, bis auf den Waschbären, der es wohl nicht nötig hatte.

„Wo bist du rausgekommen?“, fragte Pepe ihn.

Psycho San deutete mit der Pfote auf eine klapprige Tür, die aber dennoch vollkommen einbruchsicher für Katzen, Waschbären und Eichhörnchen gewesen wäre, wenn sie nicht im oberen Bereich ein kleines Glasfenster gehabt hätte... „Da müssen wir rein“, sagte er ausnahmsweise nicht knurrend.

„Durch das Zeug da? Das ist hart!“ Pepe überlegte. Er hatte schon viele Filme im Fernsehen gesehen, und er wusste, dass dieses durchsichtige Zeug nicht unbezwingbar war. Es konnte splittern. Aber wodurch?
„Was meinst du Cooney?“ Er wandte sich an den Waschbären. „Wenn ich da reinspringe, würde es dann ein Loch geben?“

„Du hast doch nicht alle Tassen im Schrank“, knurrte Psycho San entsetzt. „Du würdest dir nur die Birne prellen. Nein, wir brauchen was Härteres als deinen Schädel!“

„Einen Stein vielleicht, Alter?“, ließ sich Cooney vernehmen.

Psycho San schaute verdutzt auf den Waschbären. Der hatte ja echt was drauf. „Du sagst es“, knurrte er. „Aber wie kriegt man ihn da durch?“

„Alter, ich hab’ ja fast Hände wie die Menschen, zwar ohne Daumen, aber irgendwie geht das schon. Also, ich hab’ mir das so vorgestellt ...“

Fortsetzung folgt.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 13.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Pepe

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