Pepe erwachte. Wie immer in letzter Zeit wusste er nicht, wo er sich gerade befand. Verwirrt schaute er um sich und sah seinen Freund Squirrel auf dem Sofa liegen. Neben ihm saß der kleine Scheißer und beugte sich gerade über seinen Papa, der übrigens ziemlich fertig aussah. Vor dem Sofa hockte ein großer schwarzer Kater, der die beiden Eichhörnchen gespannt betrachtete.
GROßER SCHWARZER KATER? In Pepe schrillten sämtliche Alarmglocken. Er war zwar immer ein friedlicher Kater gewesen, aber die anderen Kater, die waren eben nicht so friedlich...
„Aaargg, was hast du hier zu schaffen?“, blaffte er den fremden Kater an und verschluckte sich dabei, denn es war schon lange her, seit er jemanden angeblafft hatte.
„Reg’ dich nicht auf!“, knurrte der schwarze Kater lässig. „Ich hab’ deinen Freund hierhin gebracht. Er scheint ziemlich kalt zu sein…“
Das beruhigte Pepe nun gar nicht. Er ordnete schnell seine steifen Glieder, sprang hinunter von der warmen Fensterbank und hinauf aufs Sofa, wo er seinen Freund mit der Pfote anstupste.
Squirrel fühlte sich wirklich ziemlich kalt an. Unterkühlung, meldete Pepes TV–geschultes Gehirn. Warmhalten war angeraten.
„Wir müssen ihn aufwärmen“, rief er. Pepe griff sich den Freund mit beiden Pfoten, legte sich geschwind auf den Rücken und zog Squirrel auf seinen warmen plüschigen Bauch. „Kommt alle her und wärmt ihn! Auch du Cooney, wo auch immer du deinen Staubwedel schwingst!“
Daraufhin erschien Cooney sofort, er sprang geschwind auf das Sofa, streichelte Squirrel sanft mit seinen langen Pfoten, und dabei berührte er auch zärtlich den Kleinen, der auch eng an seinem kalten Papa klebte.
Psycho San traute seinen Augen nicht, was taten die da? Er fühlte sich hin und hergerissen, einerseits verabscheute er solche Vertraulichkeiten, andererseits verspürte er irgendwie das Bedürfnis, sich... Oh Mann, was geschah da mit ihm? Doch dann vergaß er seine Hemmungen und drängte sich knurrend an die letzte ungewärmte Seite des Eichhörnchens – viel Platz war ja nicht mehr – wobei er immer Pepe im Auge behielt, denn der alte Knacker mit den gefährlich aussehenden Tigerstreifen hatte bestimmt einiges drauf...
Ihre Wiederbelebensversuche hatten Erfolg. Ein paar Minuten später fing Squirrel an zu husten. Pepe schaute ihn besorgt an, oh je, hoffentlich hatte er sich nicht auch noch ’ne Lungenentzündung eingefangen, aber nein, der Hustenanfall ging vorbei.
Squirrel richtete sich auf, schaute verständnislos um sich, erkannte dann seinen Kleinen, erkannte worauf er lag, nämlich auf Pepes Bauch, sah Cooney, den Putzteufel, sah einen pechschwarzen Kater...
„Verdammisch, hau’ ab von mir, du schwarzes Monster, sonst beiß’ isch disch!!!“, quiekte er in Panik.
„Mach’ mal halblang“, sagte Pepe gelassen und entfernte Squirrel zart von seinem wunderbar wärmenden weißen Bauch.
„Isch beiße ihn!“
„Dann beiß’ ihn doch!“, sagte Pepe vorwurfsvoll. „Wär’ aber ziemlich blöd von dir, denn er hat dir wohl das Leben gerettet...“
„Genau Paps“, der Kleine meldete sich zu Wort. „Du warst so kalt, und ich hatte so eine Angst, aber dann hat Sanni mir geholfen...“
„Bitte Kleiner, nenn’ mich doch Psycho San“, knurrte der schwarze Teufel.
„Sorry Sanni!“ Der Kleine hörte sich so betrübt an, dass Psycho San von diesem Augenblick an aufhörte, auf der korrekten Anrede zu bestehen. Hatte ja sowieso keinen Sinn...
Squirrel rappelte seinen schmächtigen Körper auf, sprang auf die breite Fensterbank, und der Kleine, Pepe und Cooney taten es ihm nach.
„Ihr seid ja ein seltsamer Haufen“, meinte Psycho San ironisch, er war natürlich auf dem Sofa sitzen geblieben.
„Und warum meinst du das?“, fragte Pepe zerstreut, denn seine Aufmerksamkeit war voll auf Squirrel gerichtet, aber Squirrel war anscheinend wieder okay. Er sah normal aus, und er fühlte sich auch normal an, wie Pepe mit seiner vorwitzigen Vorderpfote kurz abfühlte – was von Squirrel mit einem zornigen Blick quittiert wurde.
„Ihr lebt hier bei Menschen...“
„Na und?“ Pepe schaute Psycho San ärgerlich an, denn dessen Stimme hatte so abfällig geklungen.
„Menschen sind nicht gut!“ Psycho San setzte sich demonstrativ hin und fing an, sein linkes Hinterbein zu putzen.
„So’n Quack!“, sagte Pepe. „Ich bin schon ewig bei den Menschen, und sie haben mich immer gut behandelt. Sie haben sogar Squirrel und Cooney aufgenommen.“
„Dann hast du Glück gehabt!“, knurrte Psycho San spöttisch.
Pepe antwortete nicht, er schien nachzugrübeln. „Ich kann mich noch gut dran erinnern, als ich klein war“, sagte er schließlich verträumt.
Alle schauten erstaunt auf ihn. Was war denn jetzt los, wurde Pepe sentimental? So oder ähnlich dachten seine Freunde, und auch Psycho San machte sich auf einiges gefasst.
Und wirklich, der alte Kater begann von seiner längst vergangenen Kindheit zu erzählen: „Wir waren zu viert, meine Mama war eine kleine Tigerin. Sie hatte, bevor sie uns bekam, Onkel Lewis kennen gelernt“, Pepe schaute versonnen drein. „Natürlich war er kein richtiger Kater mehr, der Onkel Lewis, aber er mochte meine Mama sehr und erlaubte ihr, bei ihm zu wohnen...“
„Und dann? Was ist dann passiert?“, fragte der Kleine gespannt.
„Wie war das noch?“ Pepe überlegte und fuhr dann fort: „Sie wurde überfahren, als wir noch ganz klein waren...“
„Och!“, sagte der Kleine bedauernd. Onkel Pepes Mutter war also auch weg gekommen.
„Der Mensch, der bei Onkel Lewis wohnte, gab sich viel Mühe mit uns, aber Mama fehlte uns schrecklich, und es gab keine Milch mehr zu trinken.“ Pepe machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach: „Und Onkel Lewis hat uns geliebt. Er hat sich immer hingelegt und dachte wohl, wir könnten an ihm Milch trinken wie bei Mama, Da kam aber keine Milch, aber trotzdem war es schön...“ Pepes Pfoten zutzelten mit rhythmischen Bewegungen an der weichen Decke, auf der er lag, und er fing heftig an zu schnurren...
„Grundgütiger!“ Psycho Sans knurrende Stimme schreckte alle auf. „Bei mir war es ein bisschen unromantischer...“
„Oh je Sanni, was ist denn passiert?“, fragte der Kleine
„Nix besonderes“, knurrte Psycho San. „Meine Mutter lebte mit uns in einer verlassenen Gartenlaube. Mutter war noch sehr jung, nicht einmal richtig erwachsen. Die Menschen hatten ihr wohl einen Tritt verpasst, als sie schwanger wurde, und sie musste sich alleine durchschlagen.
„Das ist aber schlimm Sanni“, meinte der Kleine mitfühlend, während alle anderen ihre Klappe hielten und ihre Blicke fasziniert an Psycho Sans knurriger Katzenschnute hingen.
„Nun ja, es war... eben so. Es gab nie genug zu trinken für uns fünf. Deswegen brachte Mutter auch unseren kleinen Bruder weg. Wir haben nie wieder was von ihm gesehen...“
„Das ist wirklich schlimm“, fiepste der Kleine, und auch die anderen sahen Psycho San mitleidig an. Aber Psycho San ignorierte ihre mitleidigen Blicke. „Dann brachte sie ein Schwesterchen weg, und wir waren nur noch zu dritt. Aber es ging uns besser, wir konnten zwar nicht mehr von ihr trinken, aber sie spuckte uns zweimal am Tag Katzenfutter hin, so dass wir ein bisschen satt wurden.“ Psycho San holte tief Luft, bevor er weiterknurrte: „Bei uns ging’s eigentlich nur ums Fressen, wir haben uns immer gestritten ums Ausgespuckte – und fast nie miteinander gespielt.“ Er knurrte verächtlich. „Und Psycho Mum, so hieß meine Mutter, mochte uns nicht besonders. Sie hat uns zwar versorgt, aber richtig lieb war sie nie zu uns.“
„Aber das gibt es doch gar nicht“, warf Pepe ein, „dass eine Mutter ihre Kinder nicht lieb hat.“
„Ich wollte ihr nicht gehorchen, und deswegen mochte sie mich am allerwenigsten“, Psycho Sans große goldgelbe Augen verwandelten sich in goldgelbe Schlitze. „Aber ich will nicht länger drum herum schwafeln, irgendwann schleppte Mutter uns drei zu irgendwelchen Menschen, die wollten uns aber nicht behalten, sondern brachten uns in einem Käfig irgendwohin, wo wir getrennt wurden. Dann kam endlose Zeit später ein Mensch vorbei, der mich haben wollte, aber...“ hier stockte Psycho Sans Stimme unmerklich, „er hat mich nach ein paar Tagen rausgeschmissen. Lag vielleicht daran, dass ich nicht sehr freundlich war und alles angeknurrt habe. Sogar mich selber...“
„Und dann, Sanni?“
„Tja, und dann bin ich ziemlich lange durch die Gegend gezogen, habe da mal was geklaut und dort mal was gejagt, bis sie mich gefangen haben. Diesmal landete ich in einer Tierhandlung, was für ein beschissener Ort, stickig, stinkig, mit zahmen Mäusen und Ratten...“ Psycho Sans Geknurre verstummte.
„Und wie bist du da weggekommen, Sanni?“
„Ich hab’ mich krank gestellt, mich einfach hingelegt und mich nicht mehr bewegt...“, erzählte Psycho San ungerührt. „Und dann kam einer und hat mich aus dem Käfig gezogen. Klar hatte ich Schiss, aber ich hab’ mich solange nicht bewegt, bis er die Mülltonne aufgemacht hat...“
„Eia, das ist ja schrecklich, Sanni, und dann, und dann?“ Die braunen Augen des Kleinen glitzerten gespannt.
„Dann habe ich ihn schrecklich gekratzt, sogar im Gesicht, er hat mich fallen lassen, und ich bin über die hohe Mauer gesprungen...“
„Wow!“, sagte der Kleine bewundernd. Auch die anderen schauten Psycho San respektvoll an. Er war wohl ein richtig wilder und vor allem ein cleverer Kerl.
Der Kleine allerdings grübelte in sich hinein, er hatte nicht vergessen, was Sanni von seiner Mutter erzählt hatte, und das machte ihn sehr traurig.
„Ich glaub’ aber bestimmt, dass deine Mammi dich lieb gehabt hat!“, sagte er schließlich nach einer Weile. „Meine Mammi hat mich lieb gehabt, das weiß ich jetzt!“ Er starrte auf die Fensterscheibe, ohne sie wirklich zu sehen. „Und als ich noch ganz klein war, da sang sie mir immer ein Lied vor, ich kann mich noch genau dran erinnern.“
Er räusperte sich, holte tief Luft und sang dann mit leiser hoher Stimme:
Brown eyes…
baby’s got brown eyes
like a deep brown tree
on a summer day…
Fortsetzung folgt
Tag der Veröffentlichung: 06.12.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
für Pepe