Samstagmorgen – die Wette
Das Frühstückscafé war nett, der Kaffee roch aromatisch, und die Brötchen schmeckten außen knackig und innen zart.
Ihr Kühlschrank zuhause gähnte vor Leere. Sie hatte nämlich extra nichts eingekauft, sonst hätte Chris vielleicht gedacht, er sollte zum Frühstück bleiben. Nein, vielen Dank, das brauchte sie nicht! Sie würden ja sowieso nach der gemeinsam verbrachten Nacht getrennte Wege gehen. Wie immer...
„Aber Sex ist doch nicht so wichtig.“ Die Frau am Nachbartisch, die das von sich gab, sah recht mürrisch aus. Sie hielt sich auffällig fern von ihrem Freund. Und der Freund sah auch nicht gerade aus, als ob er Sex so wichtig fände. Zumindest nicht Sex mit dieser Freundin...
„Was meinst du dazu, Irma?“ Christopher rückte näher an sie heran und spielte mit ihrer zierlichen Halskette.
Irma war sich seiner Gegenwart so bewusst, dass sie die Frage zuerst gar nicht richtig hörte. Aber dann beschloss sie spontan, ein wenig patzig zu sein. Das könnte ihm so passen. Der Typ dachte doch wirklich, er hätte sie total im Sack. Ha! Von wegen!
„Ich finde auch, dass Sex nicht so wichtig in einer Beziehung ist.“ Sie sah Chris dabei voll in die Augen, und wie es schien, schaute er ein wenig fassungslos zurück.
„Ach findest du?“ Seine wunderbare Stimme klang samtweich.
„Absolut! Eigentlich ist Sex total unwichtig.“ Irma fragte sich noch während sie diese Worte aussprach, was sie da überhaupt von sich gab. Aber, so dachte sie, er hatte sie provoziert. Und er war so eingebildet, da konnte er ruhig mal einen Dämpfer kriegen.
„Ach! Wenn Sex so unwichtig ist...“, Christopher schaute ihr immer noch in die Augen, und das machte sie ziemlich nervös, „was hältst du dann von einer kleinen Wette?“
„Wette? Was denn für eine Wette?“ Irma war sich peinlich bewusst, dass das Pärchen, welches ihnen gegenüber saß, auf einmal ganz große Ohren bekam.
„Wenn du, sagen wir mal zwei Tage ohne Sex auskommen kannst, dann hast du gewonnen.“
Irma überlegte ein bisschen und fragte dann ganz unschuldig: „Wie meinst du das, zwei Tage ohne Sex? Egal mit wem?“ Oh, er sollte nicht denken, dass sie so auf ihn fixiert war, dass sie Sex nur mit IHM haben wollte.
„Nein, mit mir natürlich“, sagte Chris nach einer kurzen Pause und schaute ein wenig finster drein. Das hatte er wohl nicht erwartet.
„Das dürfte kein Problem sein.“ Irma lächelte ihn triumphierend an, und während sie lächelte, überlegte sie: Was fand sie nur an diesem Typen? Nun ja, er war wirklich gut im Bett, aber ansonsten war er eingebildet, arrogant und überheblich. Was in etwa alles dasselbe bedeutete. Aber in den letzten Wochen hatte sie mit ihm ein wirklich erfülltes, einmaliges und sagenhaftes Sexleben gehabt. Was hatte sie vorher gehabt? Nicht viel. Diese elenden Stümper! Sie hielten keinen Vergleich mit ihm aus, weder im Aussehen noch im Bett – geschweige denn danach. Ganz im Gegenteil, einer wollte sich danach tatsächlich über Transzendentale Meditation unterhalten. Heiliger Strohsack! Aber mit Chris konnte man sich gut unterhalten. Sie lachten tatsächlich über die gleichen Dinge. Und er sah einfach hinreißend aus, seine Größe, seine Figur, sein Gesicht, seine Augen, und die Härte seines Körpers, der so gut zu ihrem passte. Und dennoch fühlten sich seine Hände so zart an, und seine Lippen waren so weich. Und vor allem fühlten sich seine Hände und seine Lippen so zart und weich auf ihrem Körper an. Und auch so verlangend und...
„Wenn das kein Problem für dich ist, dann ist es ja gut.“ Sein Gesicht blieb unbewegt, er hatte anscheinend nicht die leiseste Angst, zu verlieren, und das machte sie ein bisschen zornig.
„Wenn du verlierst, dann wirst du eine Woche lang jeden Abend bei mir antreten und meinen Haushalt machen.“ sagte sie.
„Und wenn ich gewinne“, er sprach so selbstsicher, dass sie noch ein bisschen zorniger wurde, „dann machst du deine berühmte Pizza, von der du immer erzählst und servierst sie mir ans Bett...“
„Na und? Was ist schon dabei?“
„Du servierst sie mir ans Bett. Aber nur mit einem kleinen schwarzen Schürzchen angetan...“
„Angetan? Wie redest du denn überhaupt?“ Wie pathetisch sich das anhörte: Angetan! Chris grinste sie daraufhin unverschämt an, und seltsamerweise wurde ihr etwas heiß bei dem Gedanken an dieses Schürzchen. Woher sollte man übrigens so ein Schürzchen bekommen, und dann noch ein schwarzes... Aber was zum Teufel dachte sie da, sie würde nicht verlieren, nein, sie würde ihn zur Hausarbeit zwingen. Zum Spülen, zum Staubsaugen und so weiter. Hmmm, vielleicht könnte man auch diese Strafe ein wenig ausbauen, wenn er zum Beispiel nackt... Aber jetzt war es natürlich schon zu spät dazu. So ein Mist!
„Wir werden natürlich während dieser Zeit zusammen wohnen, sonst wäre es ja zu einfach“, sagte Christopher grinsend. „Was meinst du, bei mir oder bei dir?“
Das leuchtete Irma ein. Lieber Himmel, ein ganzes Wochenende mit ihm! Würde sie das aushalten können? Bis jetzt hatten sie sich nur Freitags getroffen, meistens in seiner Wohnung, und sie war immer über Nacht geblieben, um mit ihm zu... Über Gefühle wurde dabei nicht gesprochen, und eigentlich wunderte sie sich darüber, dass er sich überhaupt mit ihr abgab. Er konnte doch jede Frau haben...
„Zu mir“, sagte sie ohne zu zögern, denn in ihrer eigenen Wohnung hatte sie vielleicht einen gewissen Heimvorteil, wie auch immer der aussehen mochte.
„Einverstanden“, sagte Christopher. „Die Wette gilt! Ich komme dann also am Freitag. So um sieben...“
Irma nickte und bemerkte nur am Rande, dass das Pärchen ihnen gegenüber sich vielsagende Blicke zuwarf.
Gedanken und Vorbereitungen…
Kurz darauf trennte man sich, um wie immer eigene Wege zu gehen. Wieso eigentlich? Warum konnten sie sich nicht so verhalten wie ein normales Liebespaar? Blöde Frage! Weil sie kein normales Liebespaar waren. Schon die Umstände, unter denen sie sich kennen gelernt hatten, waren nicht berauschend. Anscheinend hatte er es nur drauf angelegt, mit ihr zu schlafen. Und das hatte sie so wütend gemacht, wie sie es gar nicht von sich kannte. Daraufhin wurden böse Worte gewechselt, Türen zugeknallt und Verwünschungen ausgesprochen.
Durch einen grandiosen Zufall traf man sich wieder – Wochen später bei einer Party – und diesmal landete man wirklich im Bett! Einfach so. Diesmal hatte Irma keine Lust, herumzuzicken, sie ergab sich in ihr Schicksal – und außerdem war sie neugierig, wie er im Bett so war. Er war fantastisch!
Man schloss einen wackeligen Waffenstillstand. Das bedeutete, dass man cool war und nicht viel Zeit miteinander verbrachte, höchstens mal einen Abend und eine Nacht am Wochenende. Und dass man sich gegenseitig belauerte, um beim anderen eine gefühlsmäßige Blöße zu entdecken...
Danach ging man seine eigenen Wege. Wobei Irma sich nicht sonderlich dafür interessierte, wie SEINE Wege so aussahen. Andere Frauen vermutlich, so wie letztens diese junge Kusine von ihm, aber es war besser, nichts davon zu wissen und nicht daran zu denken. Sie wollte ja nichts von ihm, bis auf die Bettsache, und die war ohne Verpflichtungen. Genau!
Und sie selber war ja auch kein Kind von Traurigkeit. Allerdings hatte sie festgestellt, dass sie in Wirklichkeit sehr monogam war und dass sie, wenn sie denn mal mit einem anderen Mann rummachte, es immer dann tat, wenn sie von Chris etwas Schlimmes dachte. Und manchmal tat sie es auch vorbeugend, denn sie traute ihm nicht. Allerdings war sie nie so weit gegangen, dass es wirklich Ernst wurde. Eine seltsame innerliche Barriere hinderte sie daran, oder die Typen waren einfach nicht attraktiv genug.
Irma hatte also eine ganze Woche Zeit, um drüber nachzugrübeln, wie sie Chris dazu bringen konnte, sie so sehr zu begehren, dass er alles darüber vergaß. Aber eine richtig durchschlagende Idee fiel ihr nicht ein. Sie entschied: Es sollte am besten spontan geschehen. Zwei Nächte und zwei Tage, in dieser Zeit konnte viel passieren. Oh Gott, zwei volle Tage! Es würde bestimmt stressig werden, denn so lang waren sie noch nie zusammengewesen...
Es wäre nicht schlecht, ihn eifersüchtig zu machen. Das würde ihn bestimmt wahnsinnig irritieren. Denn in seiner Gegenwart hatte sie bisher keinen anderen auch nur mit dem Hintern angeguckt. Warum auch, keiner war so interessant und so gut aussehend wie er...
Vielleicht ergab sich ja was. Aber wie und wo? Wo konnte man ihn eifersüchtig machen? Im E-body, ihrer Stammkneipe? Witz lass nach! Da liefen eh nur Säufer rum, die immer hackevoll waren und an Erotik kein Interesse hatten. Außerdem war sie tabu für die, denn sie und Chris galten dort tatsächlich als Paar. Schon wieder Witz lass nach! Nein, sie musste sich auf ihre natürlichen Reize verlassen, und wenn das nicht klappte, würde sie zu Plan B übergehen. Knifflig war er, aber er konnte funktionieren...
Irma entwarf das Outfit für den ersten Abend: Zur Zeit herrschte eine richtig sommerliche Hitze, obwohl es schon fast Ende September war. Da konnte man sich schon ein bisschen entblößen, ohne dass es auffiel. Hosen waren zwar gut, aber Röcke machten Männer aus unbekannten Gründen viel mehr an als Hosen. Weil sie dann leichter Zugriff auf die Frau hatten? Möglich... Also musste ein Rock her, am besten ein kurzer enger Rock. So einen hatte sie noch, er war schwarz und eng und stammte aus dem Sommerschlussverkauf vom letzten Jahr. Für diese blöde Wette würde sie sich keine neuen Klamotten kaufen. Weiter: Es fehlte aber noch ein richtiger Scharfmacher... Mist, also doch was kaufen! Irma ging shoppen und erwarb ein geiles helles Spitzenoberteil, das ihre Taille sehen ließ. Es war ärmellos, tief ausgeschnitten, und sie wusste nur noch nicht, ob mit oder ohne BH... Vielleicht doch mit BH, sonst würde es sie mehr entblößen als verhüllen. Denn der etwas kratzige Spitzenstoff hatte es an sich, die Spitzen ihrer Brüste auf eine geradezu unanständige Art zu reizen, so dass sie keck durch den Stoff hervorstachen. Das war zuviel des Guten und sah so richtig nach Schlampe aus. Also BH, den konnte man ja im strategischen Augenblick entfernen. Irma musste kichern bei diesem Gedanken. Und ein wenig ächzen musste sie auch, weil schon die Vorstellung, sich zart mit diesem Spitzenteil an Chris zu schmiegen, einfach überwältigend war. Er würde es bestimmt mögen. Und wenn nicht, dann fand sich vielleicht trotz der Männerflaute im E-body jemand, der ihre Reize zu würdigen wusste.
Schuhe, das war auch ein Problem, ohne Strümpfe waren die High-Heels einfach zu unbequem, und es würde bestimmt nicht sehr sexy aussehen, wenn sie nach einer Weile anfing, zu humpeln. Obwohl es vielleicht ein gewisses Gefühl nach Hilfe signalisierte. Der Mitleidsfaktor? Nein danke, zu unberechenbar! Irma entschied sich schließlich für elegante Sandalen mit einem halbhohen bequemen Absatz, die Sandalen machten ihre Beine noch länger, als sie schon waren. Gut, Spitzenoberteil, kurzer eng anliegender Rock – es war perfekt. Er würde ihr nicht widerstehen können, dafür war er sowieso viel zu scharf auf sie.
Das war für Plan A, der auf ziemlich wackeligen Beinen stand. Für Plan B setzte sie sich an ihre vorsintflutliche Nähmaschine, um aus einem alten Stück Leinen ein simples, aber überaus extravagantes Kleid zu nähen, das vorne voll durchgeknöpft und somit leicht an- oder auszuziehen war. Es sah ein bisschen aus wie das von Julia Roberts in ’Pretty Woman’, nachdem sie ihre nuttige Kleidung abgelegt hatte und ein schlichtes Kleid aus einer teuren Boutique trug. Irma hatte das Kleid vage in Erinnerung, aber vielleicht sah es ganz anders aus. Machte nix, das Kleid gefiel ihr. Es war so damenhaft und dezent. Und sie würde sich die halblangen dunklen Haare aufstecken, wenn sie es trug. Männer standen auf so was...
Plan B hatte übrigens etwas mit der Porno-Bar zu tun, in der ihr schwuler Freund Yogi als Türsteher arbeitete. Aber vielleicht würde es ja schon vorher klappen...
Freitagabend - Long Island Ice Tea
Irma konnte nicht eindeutig erkennen, ob Chris die Luft anhielt, als er sie in ihrem Mini-Outfit erblickte. Er war überhaupt schwer zu durchschauen – und außerdem war er ein unglaublich zäher Brocken, der sich kaum manipulieren ließ. Seltsamerweise mochte sie das an ihm. Denn dann ließ er sich von anderen Frauen auch nicht manipulieren. Vielleicht… Aber wen juckte das? Es war auf jeden Fall besser, nichts über seine anderen Frauen zu wissen. Irma prustete verächtlich in sich hinein.
Er war später erschienen, als sie erwartet hatte, und tatsächlich schlug er vor, ins E-body zu gehen. Er wollte lieber den Abend in der neutralen Zone ihrer Stammkneipe verbringen, als hier allein mit ihr zu sein. Oder er langweilte sich mit ihr. Ohne Sex...
Das hatte sie sich etwas anders vorgestellt, aber dann riss sie sich zusammen. E-body war gar nicht so schlecht, sie wusste nämlich, dass heute dort eine Band spielte. Und vielleicht würde sich eine Gelegenheit ergeben, um mit Chris zu tanzen. Ihm nahe zu kommen, sich an ihn zu schmiegen. Sie konnte sie fast schon spüren, diese Nähe. Er würde einiges von ihr fühlen können. Vielleicht ihre Brüste oder zumindest die Spitzen ihrer Brüste unter dem Top... Ihr wurde mächtig warm bei diesem Gedanken. Oh nein, falsche Reaktion! Besser nicht denken…
Sie schlenderten locker nebeneinander her.
„Du siehst geil aus“, meinte Chris nach einer Weile.
„Findest du?“ Irma frohlockte innerlich, was sie sich natürlich nicht anmerken ließ.
„Ooh ja!“ Chris lächelte, schob sich ein wenig näher an sie heran und fasste sie kurz um die Taille, und das ließ sie ein wenig erbeben. Instinktiv wollte sie sich an ihn drücken, Quatsch, es war nicht instinktiv, sie wollte ihn nur fühlen lassen, wie fantastisch ihr Körper gebaut war, wie herrlich ihre Brüste waren und ihre schmale Taille auch...
Aber Chris schien das Interesse an ihr verloren zu haben, er ließ sie schnell los und warf ihr einen undefinierbaren Blick zu. Na super!
Das E-body war nicht weit entfernt, und es war noch nicht besonders voll dort. Irma sah sofort, dass ihr Lieblingsplatz frei war. Es handelte sich um eine gepolsterte Bank an der langen Theke. Auf diese Bank passten höchstens zwei Personen, und sie war nur von einer Seite aus erreichbar. Wie oft hatte sie schon mit Chris auf dieser Bank gesessen, eng aneinander gedrängt, weil die Bank so schmal war. Sie galten hier tatsächlich als Paar – und das, obwohl sie gar nicht zärtlich zueinander waren. Vielleicht hatte sie jemand draußen auf der versteckten Parkbank beobachtet, als sie... Das war irre gewesen. Nicht abschweifen, Irma!
Jedenfalls war sie in diesem Minirock einfach berückend. Und wenn sie ihre Beine nicht eng zusammenpressen, sondern ein wenig auseinander fallen lassen würde... ganz dezent natürlich, dann wäre das bestimmt eine unwiderstehliche Einladung. Sie hatten sich ja schon berührt auf dieser Bank, er hatte sie vor neugierigen Blicken abgeschirmt, und dann hatte er... Oh Gott, besser nicht dran denken, denn Irma fühlte sich schwach und willig werden, und das wollte sie auf keinen Fall. Jedenfalls hatte er gesagt, sie hätte an der Innenseite ihrer Schenkel die weichste Haut der Welt. Und sie wurde im nachhinein etwas rot bei dem Gedanken an das, was daraufhin folgte.
Aber Chris machte keinerlei Anstalten, sich neben sie zu setzen, sondern stellte sich an die Theke. War ihre Ausstrahlung etwa flöten gegangen? Klar, mit fünfundzwanzig befand man sich schon auf dem absteigenden Ast... Irma fühlte sich ein bisschen einsam, sie liebte es nämlich, neben ihm zu sitzen und sich auf die Nacht zu freuen, die dem Abend unweigerlich folgen würde. Normalerweise folgen würde...
Die Band fing an zu spielen. Wunderbare Musik, Blues vom Feinsten, sehr romantisch. Aber davon zu träumen, mit Chris zu tanzen - reine Wunschvorstellung! Er hatte noch nie mit ihr getanzt, und warum sollte er es gerade jetzt tun?
Irma spürte, wie ihre Laune immer schlechter wurde und wie sie diese blöde Wette verfluchte. Was sollte das alles? Es war doch sinnlos. Aber jetzt hatte sie damit angefangen, und sie wollte es auch zu Ende bringen. Fragt sich nur wie...
Zur Ablenkung unterhielt Irma sich mit der Wirtin Maja, mit der sie befreundet war. Und die erzählte, wie schrecklich sich ihr versoffener Mann im Urlaub aufgeführt hatte. Wie gut, dass ich keine feste Beziehung habe, dachte Irma daraufhin erleichtert.
Na ja, irgendwie verging die Zeit, erst minutenweise, und dann war schon eine Stunde vorbei - eine vollkommen sinnlose Stunde. Chris knobelte mit irgendwelchen Leuten, und das E-body war voller geworden. Irma wurde immer frustrierter, und das in ihrem sexy Outfit, welches aber niemand wahrnahm, vor allem nicht diese abgestumpften Biersäufer im E-body. Sie überlegte, ob sie mitknobeln sollte, aber dann kam sie zu dem Schluss: Nichts macht eine Frau unattraktiver, als wenn sie beim Knobeln gewinnt. Also besser sein lassen.
Dann auf einmal spürte sie von hinten den Hauch einer Berührung auf ihrer Schulter. Na also! Chris...
Oh! Es war aber nicht Chris, sondern ein anderer Mann, und zwar ein richtig gut aussehender Mann. Er war dunkelhaarig, sah ein bisschen aus wie Bruce Willis, als er noch jünger war, und er hatte eine ansprechende Größe. Irma stand auf große Männer. Christopher war auch groß. Sehr groß.
„Hast du Lust, zu tanzen?“
Wow! Sie wurde gerade zum Tanzen aufgefordert. Das war gut! Das war nicht nur gut, das war ausgezeichnet. Ob Chris wohl was dagegen hatte? Was für ein blöder Gedanke! Er musste etwas dagegen haben, Nicht etwa, weil er verliebt in sie war. Neeeiin, verliebt, was für eine kranke Idee! Aber sein Ego würde es kratzen.
„Na klar habe ich Lust!“ Mit diesen Worten zwängte Irma sich elegant aus der Polsterbank heraus, lächelte den großen gutaussehenden Fremden an – und warf Chris einen kurzen prüfenden Blick zu, ob er es auch bemerkte, dass sie gerade... Aber Chris war anscheinend so mit dem Knobeln beschäftigt, dass er ihr keinen Blick gönnte.
Also blickte sie ihren neuen Begleiter charmant an und betrat mit ihm die winzige Tanzfläche.
Er zog sie an sich, sie legte die Arme um seinen Hals, und sie fingen an, sich langsam zu den wunderbaren Bluesklängen zu bewegen. Gar nicht so schlecht, dachte Irma. Jedenfalls gab es Schlimmeres.
Ab und zu, wenn die Drehung es erlaubte, schaute sie zur Theke, um zu sehen, was Chris so machte. Er schien immer noch zu knobeln und würdigte sie keines Blickes. Das war mal wieder typisch! Er tat so, als hätte er nichts mit ihr zu schaffen. Oder er hatte sie vergessen. Wirklich toll!
„Du bist wirklich faszinierend“, sagte der große fremde Mann zu ihr, während seine Hände ihren Rücken streichelten. Dummerweise befand sich ein Stück nackte Haut zwischen ihrem Top und dem Rock.
Irma fühlte sich ein wenig unbehaglich. „Äääh ja wirklich?“ sagte sie zerstreut und versuchte gleichzeitig, Christopher im Auge zu behalten – und vor allem um zu sehen, ob er sie auch sie im Auge behielt.
„Und du bist unwahrscheinlich sexy.“ Eine Hand des Fremden war auf einmal nicht mehr auf ihrem Rücken, sondern näherte sich auf bedrohliche Art ihrem Hintern. Irma wich nach hinten aus, aber die Hände des Fremden blieben dort, wo sie wohl sein wollten.
Oh Gott! Irma geriet ein wenig in Panik, diese Hände... nein, sie wollte es nicht, aber wenn sie jetzt sagte, nimm die Flossen weg, dann war der Typ bestimmt auch weg. Also erst einmal gefallen lassen... Instinktiv suchten ihre Blicke wieder Christopher. Aber der war nicht mehr an dem Platz, an dem er zu sein hatte. Er war weg!
Was zum Geier... Irma ließ ihre Blicke im ganzen E-body herumwandern, aber er war nicht mehr da. Ließ sie sich hier etwa umsonst den Hintern abgrabbeln? Wo steckte der Kerl?
Dann auf einmal sah sie ihn, er stand an der Eingangstüre und war mit einer Frau in ein Gespräch vertieft. Mit einer FRAU? So eine Unverschämtheit! Er hatte sich nicht mit anderen Frauen zu unterhalten, vor allem nicht mit solchen Frauen, nicht mit solchen Tittenmonstern!
Aber es kam noch schlimmer. Fassungslos sah sie, wie er mit diesem aufgeblasenen... Gummitier hinausging aus dem E-body. Was hatte er vor?
Irma wurde unruhig, sie konnte sich nicht mehr auf den Tanz mit dem gutaussehenden Fremden konzentrieren. Aber sie versuchte es. Mindestens drei Minuten lang versuchte sie es, bis sie schließlich gepeinigt aufgab.
„Ich möchte nicht mehr tanzen“, sagte sie.
„Das ist schon okay“, sagte ihr Tanzpartner. „Möchtest du, dass wir hinausgehen?“
Hinausgehen? Keine schlechte Idee. Hinausgehen, um zu sehen, was Christopher dort draußen trieb? Gerne.
„Warum nicht“, sagte sie leichthin.
Sie machten sich also auf den Weg nach draußen, und der fremde Mann öffnete ihr fürsorglich die Tür. Die frische Luft kühlte ihre heiß gewordene Stirn ab, und sie ließ ihre Blicke schweifen. Wo war er?
Aha, er stand mit dem Tittenmonster vor einem Porsche, die Motorhaube war geöffnet, und sie sah, wie Chris in den Motorraum schaute. Er machte da irgend etwas und wandte sich danach lächelnd dieser blonden Barbie-Titten-Gummi-Monster-Puppe zu. Und diese Kuh schmachtete ihn an!
Irma verspürte einen unverständlichen Stich in ihrem Herzen, den sie aber ignorierte. Sie wandte sich ab. Chris wollte sie wohl eifersüchtig machen. Da war er aber an die Falsche gekommen! Aber was konnte sie tun? Genau! Ihm zeigen, dass es ihr piepegal war.
„Ich glaube, ich hab’ mich jetzt abgekühlt“, sagte sie verführerisch zu ihrem Begleiter“, und das obwohl sie innerlich kochte. „Lass uns wieder hineingehen und was trinken.“
„Wie du willst.“ Er legte besitzergreifend seinen Arm um ihre Schulter – hoffentlich kriegte Chris das mit – und sie gingen einträchtig wieder zurück ins E-body.
Sie ließ sich von ihm an einen Tisch führen, von dem aus man die Theke nicht sehen konnte. Sie war sauer! Diese blöde Wette hatte ihr jetzt schon den Abend versaut. Irgendwie ging alles schief, und vielleicht hatte sie sich ein bisschen übernommen. Chris interessierte sich anscheinend einen Dreck um das, was sie so trieb. Okay, wenn das so war, dann konnte sie es ja auch treiben...
Sie studierte die Getränkekarte und würde schnell fündig. Ein Cocktail namens Long Island Ice Tea war heute im Angebot, und der Name hörte sich relativ harmlos an.
„So einen möchte ich!“ Sie deutete auf die Getränkekarte.
Natürlich bekam sie ihn, während der Typ sie weiterhin anstrahlte.
Der Long Island Ice Tea sah wirklich aus wie Tee. Er war ein bisschen bräunlich und befand sich in einem eimergroßen Gefäß aus Glas. Und er schmeckte gut! Man konnte nicht anders, als ihn langsam aber permanent zu schlürfen. Er passte irgendwie gut zu der Hitze im E-body, und man fühlte sich nach einer Weile richtig fantastisch leicht im Kopf. Musste an dem Tee darin liegen. Wunderbares Zeug! Denn Chris und sein Tittenmonster wurden dadurch an den äußeren Rand ihres Bewusstseins vertrieben. Dorthin, wo sie nicht weiter störten.
Volker, so hieß der Typ, saß ihr auf einmal nicht mehr gegenüber, sondern dicht neben ihr. Er sagte nette Sachen. So was ähnliches wie: Deine Beine sind geil, dein Busen auch und dein Bo sowieso.
Das reimte sich tatsächlich. Dein Bo sowieso. Irma musste kichern. War der etwa ein Bo-Fetischischt? Quatsch, Bo-Fetichist... DJ Bobo... Ach Quatsch, egal!
Der Tee war alle, und sie hatte Durst auf einen neuen Eimer.
„Holger, kann ich noch einen haben?“
„Ja natürlich, aber ich heiße Volker.“
„Auch recht, Holger! Du bist so süß zu mir.“ Er wurde ihr immer sympathischer. Warum? Passierte jetzt das, was man unter Schönsaufen verstand? Irma musste kichern. Da war bestimmt Alkohol im Tee!
Nach dem zweiten Long Island Ice Tea verwischten sich langsam aber sicher die Konturen der Umgebung, und Irma meinte, ein permanentes Rauschen in den Ohren zu haben. Und entweder war sie unendlich langsam geworden, oder die Zeit verging unendlich schnell, denn als sie auf die große Uhr im E-body sah, stellte sie fest, dass es schon halb eins war. Der Typ neben ihr quasselte immer noch, aber sie bekam nicht mehr viel davon mit. Er hatte auch besitzergreifend irgendeinen Tentakel um sie gelegt, der sich langsam an ihren Busen schlängelte. Ein anderer von seinen vielen Tentakeln lag auf ihrem rechten Bein und wollte sich wohl unter ihren Rock drängen. Irma presste die Beine zusammen. Sie war ein bisschen wie gelähmt, aber sie hatte jetzt die Nase voll.
„Ich geh jezz nach Hause“, sagte sie mit einer Stimme, die sich komisch anhörte. Sie erhob sich, aber irgendwie rutschte ihr ein Bein weg und sie musste sich an einem Pfosten festhalten. Du bist aber ein netter Pfosten, dachte sie dankbar. Aber sie traute sich nicht, ihn loszulassen, den netten Pfosten.
Dann auf einmal spürte sie, wie jemand sie festhielt, und es handelte sich nicht um den Pfosten, sondern um...
Sie kannte ihn. Es war Chris. Er war noch da. War nicht mit dem Tittenmonster abgehauen. Das war gut.
Oh Chris, du hast mich gerettet! Das sagte sie natürlich nicht laut, sondern dachte es nur. Aber dafür hörte sie, wie ER laut sagte: „Das war jetzt genug! Du kannst abhauen!“ Und Irma war sich sicher, dass er nicht sie damit meinte.
„Ssssüss Holger“, sagte sie fröhlich. „Mach’s gut und dange für den Tee!“
„Du warst doch wohl nicht eifersüchtig?“ hörte sie verschwommen Chris’ Stimme, während er sie wohl nach Hause schleifte.
„Wer, ich?“ Sie versuchte, ihre Stimme ein bisschen deutlicher klingen zu lassen. „Ddu schpinnst doch wohl! Ich und eifersüschtisch? Nich auf eine auss Sssilicon-Valley!“ Sie prustete verächtlich – und verwünschte ihre Stimmbänder, die anscheinend mit der Sprache nicht mehr zurechtkamen.
„Bist du besoffen oder was?“
„Nö, ich hab nur so’n Tee gedrungen.“ Irma hörte ihn lachen, und das war das letzte, was sie in dieser Nacht hörte.
Samstag am späten Morgen - Der Ex
Sie hat geträumt, Irgendwas von dicken Efeuwurzeln und einem Sturz. Es war furchtbar. Sie wacht verstört auf und findet sich in Christophers Armen wieder. Es ist ein gutes Gefühl. Sie spürt hinter sich seinen vertrauten Körper, und er gibt ihr das Gefühl der Sicherheit, als wäre sie nach einem schlimmen Unwetter in einem sicheren Hafen gelandet. Das erschreckt sie, es darf nicht sein. Was soll er von ihr denken? Es gibt so etwas nicht zwischen ihnen, und sie hat sich bestimmt nur an ihn geschmiegt, weil sie schlecht geträumt hat. So muss es gewesen sein. Ganz langsam, während sie versucht, ihr laut klopfendes Herz stillstehen zu lassen, entfernt sie sich vorsichtig aus seinen Armen und legt sich auf ihre Seite des Bettes. Alleine, wie es sich gehört.
Ein paar Stunden später wachte sie auf. Ihr Wecker zeigte elf Uhr an. Chris war nicht da, aber sie hörte, wie jemand in der Küche herumhantierte, und es roch nach Kaffee und nach frischen Brötchen.
Sie bewegte vorsichtig den Kopf, er tat nicht weh, dem Himmel sei Dank! So ein richtiger Kater hätte ihr gerade noch gefehlt.
Kurz darauf kam Chris ins Schlafzimmer. Schade, er war voll angezogen. Normalerweise würde er nackt herumlaufen, und sie würde anfangen zu sabbern vor Verlangen. Er sah ja aus wie ein Gott, wie Apollo, so golden und so männlich.
Er hatte ihr eine Tasse Kaffee mitgebracht mit Milch darin. Wie süß von ihm, er hatte sich gemerkt, dass sie Kaffee nur mit Milch trank. Dann stutzte sie. Das war doch nicht normal! Die meisten Männer wussten auch nach Jahrzehnten nicht, wie ihre Frau den Kaffee trank. Das war eine Finte von ihm, also aufpassen... Sie richtete sich auf und stellte fest, dass sie ihr Top noch anhatte, den Rock aber nicht. Hatte sie ihn selber ausgezogen? Oder hatte Chris etwa? Keine Ahnung. War aber auf jeden Fall besser, als im Rock zu schlafen.
„Wie geht’s dir?“ fragte Chris und grinste sie dabei unverschämt an.
„Gar nicht so schlecht“, Irma fühlte sich etwas verlegen und nippte am Kaffee, den ihr Körper anscheinend wie ein Schwamm aufsaugte. „Hab’ ich was angestellt?“ Fragen konnte nicht schaden.
„Na, ich hoffe doch nicht...“ meinte Chris spöttisch.
„Dann dusche ich jetzt.“ Irma fühlte sich erleichtert. Sie erhob sich und meinte, seine Augen auf ihren Beinen zu fühlen, aber das konnte auch nur Einbildung sein.
Als sie nach einer halben Stunde einigermaßen fertig war, sah sie, dass er im Wohnzimmer die Tageszeitung las. Er schaute sie kurz an und wandte dann den Blick ab.
Gelle, das kannst du nicht ertragen, dass ich so herumlaufe, dachte sie. Sie trug nämlich nur ein hauchzartes weißes indisches Batistshirt, es sah aus wie ein Minikleid, war aber fast durchsichtig, und normalerweise benutzte sie es als Nachthemd. Hatte sie es nicht in ihrer ersten Nacht mit ihm getragen? Ja...
Es schellte. Ach du lieber Himmel, sie hatte ganz vergessen, dass ihre Freundin vorbeikommen wollte, um ihr Krabben aus Holland mitzubringen. Anscheinend war Jessi erfolgreich gewesen, denn sie drückte Irma eine mittelschwere Plastiktüte in die Hand.
„Toll! Danke Jessi.“ Man begrüßte sich mit Küsschen und ging in die Küche.
„Hast du Besuch?“ fragte Jessi neugierig. Sie hatte wohl irgendwas im Wohnzimmer gesehen.
„Na ja, so kann man’s nennen. Chris ist hier...“ sagte Irma leise.
„Wow, dann werd’ ich deinen Stecher ja endlich mal kennen lernen“, meinte Jessi begeistert, und bevor Irma sie aufhalten konnte, marschierte sie ins Wohnzimmer, wo Chris immer noch mit seiner Zeitung beschäftigt war. Irma lief ihr hinterher, um Schlimmeres zu verhindern. Stecher! Oh Gott, wenn er das gehört hatte! Obwohl, es stimmte ja, mehr war er nicht.
Christopher war sehr charmant zu Jessi. Seltsam, zu ihr war er nie so charmant, der Blödmann..
„Nicht schlecht!“ meinte Jessi anerkennend, als sie sich zehn Minuten später von Irma verabschiedete.
„Pssst, nicht so laut! Und was kriegst du für die Krabben?“
„Das machen wir nächste Woche. Aber jetzt will ich dich nicht weiter stören...“ Jessie grinste anzüglich.
Von wegen nicht weiter stören. Wobei denn, fragte sich Irma. Jessi war wirklich ein Witzbold!
Irma blieb zurück mit zwei Kilo Krabben, die natürlich noch in ihrer Schale steckten. Sie fing sofort mit dem Pulen an, denn ihr schwebte ein leckerer Krabbensalat zum Frühstück vor. Sie wollte Chris beeindrucken, denn Sex ging auch durch den Magen. Oder war es Liebe? Wie auch immer, es konnte nicht schaden.
Es schellte wieder. Das war bestimmt noch mal Jessi, die irgendwas vergessen hatte.
Es war aber nicht Jessi, sondern Irmas Exfreund Oliver, der sie begehrlich anschaute. Kein Wunder bei diesem dünnen Hemdchen. Und kein Wunder bei Oliver...
„Was willst du?“ fragte sie unfreundlich. Der hatte ihr gerade noch gefehlt! Ihre Trennung fand vor neun Monaten statt. Er hatte sich in eine andere verliebt, und Irma war heilfroh, dass sie ihn auf diese Weise loswerden konnte. Es kriselte schon lange bei ihnen, vielleicht weil sie ihn nicht wirklich liebte und er schlau genug war, das zu erkennen. In der ersten Zeit nach der Trennung trafen sie sich noch oft – sie wollte ihn ganz langsam von sich abnabeln, ohne seinen Hass auf sich zu ziehen, denn er war ein Scheißkerl! Das hatte anscheinend geklappt, und jetzt kam er nur noch vorbei, wenn seine Neue wieder mal ausgezogen war.
„Es ist alles so ungewohnt“, jammerte Oliver. Er hatte sich neben sie an den Küchentisch gesetzt und schaute ihr beim Krabbenpulen zu.
„Was ist ungewohnt?“ fragte Irma genervt. Himmeldonnerwetter, sie waren jetzt schon neun Monate auseinander, und er hatte sich immer noch nicht an sein neues Leben gewöhnt. Das erzählte er ihr jedenfalls andauernd. Am Anfang hatte sie sich ja noch geschmeichelt gefühlt durch dieses blöde Gewäsch, aber mittlerweile war es einfach nur peinlich.
„Mit dir war es anders...“
„Glaub’ ich dir gerne“, erwiderte Irma ein wenig säuerlich. „Ich hab’ mir ja alles gefallen lassen.“
„Weißt du, dass ich am liebsten alles rückgängig machen würde?“ Oliver rückte ein Stückchen näher an sie heran und wollte doch tatsächlich ihre Hand ergreifen, die gerade eine Krabbe hielt.
„Das geht nicht“, sagte Irma ärgerlich und wischte seine Hand ohne weiteres beiseite.
„Alles geht, wenn man es will. Wir könnten heiraten, und diesmal wird es klappen.“ Oliver gab nicht auf.
„Du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank!“ Irma war empört. Was dachte sich dieser Typ eigentlich? Er hatte ihr schon vor neun Monaten einen Heiratsantrag gemacht, kurz bevor sie sich trennten. Sie hatte dankend abgelehnt und die Trennung gewählt. Und sie war immer noch froh darüber.
Sie hörte ein Geräusch und blickte hoch. Chris war in die Küche gekommen und baute sich gerade bedrohlich vor dem Küchentisch auf. Wie viel hatte er von dem Gespräch wohl mitbekommen? Vielleicht das mit dem komischen Heiratsantrag? Das wäre ausgezeichnet. Andere Männer wussten sie nämlich zu schätzen, hahaha…
„Hallo meine Haselmaus“, sagte er scheinbar zärtlich zu ihr. Er beugte sich zu ihr hinunter, küsste sie auf die Wange und fragte mit sanfter Stimme: „Willst du mir deinen Besuch nicht vorstellen?“
Irma war baff. Haselmaus? Was für eine niedliche Bezeichnung! Chris’ Stimme klang allerdings nicht wirklich niedlich, sondern hinterhältig gefährlich, und wenn sie diese Stimmlage hatte, dann war nicht gut Kirschen mit ihm essen. Aber eigentlich war sie froh drüber, dass er sich einmischte. Es wäre nicht schlecht, wenn Oliver endlich mit eigenen Augen sah, dass sie tatsächlich was mit einem anderen Mann hatte. Und mit was für einem...
„Hi Schatzilein!" Klar würde sie mitspielen, allein das Gesicht von ihrem Ex war es wert. Sie sah Chris zärtlich an, und sie fand, dass sie es irre gut hinkriegte. „Das ist Oliver, mein Ex“, sagte sie leichthin. „Er wollte mir endlich die Wohnungsschlüssel geben.“ Was für ein genialer Geistesblitz von ihr!
Exfreund Oliver sah sie zuerst erstaunt und dann empört an.
Irma beobachtete ihn misstrauisch. Mein Gott, der Typ war gefährlich, das fiel ihr gerade ein, dieses Wissen hatte sie wohl verdrängt. Oliver legte sich mit jedem an, und er hatte ziemlich widerliche Überraschungsangriffe auf Lager. Ohgottogott! Sie blickte unauffällig zum Küchenschrank und überlegte in Blitzesschnelle, ob sie noch rechtzeitig an die Bratpfanne kommen würde, falls er Chris... Sie würde nicht zulassen, dass er Chris etwas antat.
Aber Oliver guckte nur blöd, anscheinend fielen ihm auf Anhieb keine Gegenargumente ein. Es war unglaublich, Chris’ selbstsichere Erscheinung hatte ihn tatsächlich eingeschüchtert. Er stand widerwillig langsam auf, kramte erst in seiner Hosentasche und dann an seinem Schlüsselbund herum und warf schließlich die Schlüssel auf den Küchentisch, wo sie fast in den ungepulten Krabben landeten. Dann drehte er sich um und ging hinaus, wobei er kräftig die Tür zuknallte.
„Gott sei Dank“, stöhnte Irma erleichtert. „Aber Haselmaus? Ich kann nicht mehr...“ Sie bekam einen Lachanfall, in den sie sich immer mehr hineinsteigerte.
Aber Chris lachte nicht mit, sondern betrachtete sie nur skeptisch, während sie sich immer noch vor Lachen kringelte. „Sag’ mal Irma, was treibst du da eigentlich?“ Seine Stimme hörte sich irgendwie aufgebracht an.
„Wer ich? Wie meinst du das?“ Na klar, sein Ego war anscheinend mal wieder angekratzt...
„Und wieso steht der Name von diesem Arsch immer noch auf dem Türschild?“
„Ich hatte einfach keine Zeit dafür“, versuchte Irma zu erklären, sie hatte immer noch Tränen in den Augen vor Lachen, und sie konnte sich einfach nicht beruhigen. Himmel, das mit dem Schild war ihr einfach egal gewesen. Und jetzt fiel ihr auch ein, dass Chris in der Nacht, als sie sich kennen lernten, das Türschild irgendwie blöd fixiert hatte. Na ja, danach war sowieso alles schiefgelaufen, und sie hatte ihn aus ihrer Wohnung rausgeschmissen mit den Worten: Hau bloß ab und lass dich nie wieder hier blicken!
„Hast du einen Schraubenzieher?“ fragte Chris grimmig.
„Da in der Schublade!“ Irma deutete auf ihren rot gestrichenen alten Holzschrank.
Tatsächlich ging Chris mit dem Schraubenzieher hinaus, montierte das Türschild ab, schnippelte aus einem Stück Papier ein neues, schrieb ihren Namen darauf – und montierte es wieder an.
„Toll!“ Irma hatte ihm fassungslos zugeschaut. „Aber ich werde trotzdem ausziehen müssen, der hat bestimmt noch ein paar Schlüssel in Reserve.“
Chris sah sie an, als wäre sie nicht ganz gescheit. „Schon mal was von einem neuen Schloss gehört?“ fragte er schließlich unfreundlich.
„Das war ein Witz“, sagte sie lahm. Allmählich wurde er ja richtig pampig. Und was ging es ihn überhaupt an?
„Oder willst du etwa, dass er dich weiterhin anmacht?“
„Nein, natürlich nicht! Aber so einfach ist das nicht...“ Irma wollte nicht mit ihm über ihren Ex sprechen. Sie hatte genug Mist mit dem erlebt, und diesen Mist würde sie einem Mann namens Chris niemals erzählen, er würde es ja sowieso nicht verstehen.
Außerdem waren mittlerweile genug Krabben gepult, um für einen Salat zu reichen. „Wir sollten jetzt endlich frühstücken“, sagte sie, um ihn von ihrem Ex abzulenken. „Sonst werden die Brötchen noch hart. Und wie kommst du überhaupt auf Haselmaus?“
„Weil du so große braune Augen hast und überhaupt – du bist eben ein braunes Mädchen...“
„Aber doch nicht überall“, Irma schaute ihn verheißungsvoll an. Vielleicht war das ja die Gelegenheit, um…
Aber Chris, dieser zähe Brocken ignorierte die Anspielung. Na gut, dann eben nicht, lieber Onkel! Aber die Bezeichnung Haselmaus war trotzdem spitzenmäßig...
„Du hättest ja auch Haselnuss sagen können.“ Irma fing wieder an zu kichern.
„Nein, die ist doch schwarzbraun“, sagte Chris und fing endlich auch an zu lachen.
Samstag am Nachmittag - Pretty Woman
Nach dem sehr späten Frühstück – eigentlich handelte es sich ja um einen wirklich hervorragenden Brunch – zog man sich zurück. Chris ging ins Wohnzimmer und Irma ins Schlafzimmer. Sie wunderte sich ein wenig darüber, wieso er keinen Versuch machte, ihr an die Wäsche zu gehen. Aber vielleicht war es besser so, Anmachen war risikoreich, und man konnte leicht zum Verlierer werden...
Es war überhaupt seltsam, ihn so lange in ihrer Wohnung zu haben. Bis jetzt waren sie meistens in seiner Wohnung gewesen, irgendwie hatte sie es vermieden, ihn hier zu treffen. Möglicherweise wegen Exfreund Oliver. Denn wenn der einfach hier hereinplatzen würde, mit seinem Wohnungsschlüssel und seinem ekligen Besitzdenken in Bezug auf sie, nicht auszudenken... Jedenfalls fand sie es mit Chris nicht unangenehm und auch nicht peinlich. Eigentlich war es richtig nett.
Die Ruhepause dauerte nicht lange, denn Chris kam energiegeladen ins Schlafzimmer und schlug vor, ein bisschen spazieren zu gehen. Darauf hatte Irma nur gewartet. Chris liebte es, hinaus in die Natur zu gehen, das wusste sie aus seinen Erzählungen – und nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht hatte er sie ja auch ganz schön in der Gegend herumgeschleift... Wie auch immer, jedenfalls war das die Gelegenheit, um Plan B zu starten.
Sie regte also an, in den Städtischen Garten zu gehen. Dort kannte sie sich aus, und es würde ihr sogar Freude bereiten, Chris all die Plätze zu zeigen, an denen sie sich gerne aufhielt. Und natürlich war er damit einverstanden.
„Ich zieh’ mich nur schnell an“, meinte Irma und verschwand im Badezimmer. Sie schlüpfte in die aufregenden Dessous, die sie noch nie getragen hatte und streifte sich das selbst genähte elegante Kleid über. Es saß wie angegossen, betonte alle guten Seiten ihres Körpers, es war hell, bequem, passte gut zu dem mittlerweile sehr schwülen Wetter – und es war leicht aufzuknöpfen… Sie widerstand der Versuchung, Turnschuhe dazu anzuziehen und trug stattdessen die halbhohen Sandalen von gestern. Sie steckte sich das glatte dunkelbraune Haar lässig hoch, so dass ihr einige Strähnen in die Stirn und auf die Schulter fielen, und sie sah fast so aus wie Julia Roberts in Pretty Woman. Nicht so hübsch natürlich, aber doch recht anziehend, wie sie aus Erfahrung wusste. Und ihr Mund war schöner als der von Julia, wie sie fand.
Sie ging mit dem Telefon hinaus auf den Balkon, wo keiner sie hören konnte, wählte eine Nummer – und als jemand abnahm, sagte sie: „Okay, wir gehen jetzt los. Ich schätzte mal, in zwei bis drei Stunden kommen wir vorbei. Du wirst doch da sein?“ Sie lauschte in den Hörer, und die Antwort schien ihr zu gefallen. „Dann bis später, Süßer!“ sagte sie und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
Der Städtische Garten war das Überbleibsel einer ehemaligen Bundesgartenschau, er war teils total verwildert, teils recht gepflegt, und er bot viele lauschige Ecken zum Träumen und vielleicht zum... Na ja, Chris schien nicht sehr in Stimmung zu sein, er machte so einen abwesenden Eindruck. Was sollte man davon halten? Keine Ahnung, aber sie würde trotzdem den Tag genießen.
Irma stellte fest, dass die Leute sie anschauten. Die Frauen starrten natürlich Chris an. Ob er es wohl mitkriegte? Wenn ja, dann ließ er sich nichts anmerken, der arrogante Kerl!
Wo war sie? Ach ja, die Männer schauten sie heute ganz besonders intensiv und bewundernd an. Normalerweise fühlte sie sich wie eine unscheinbare Maus, wie eine Haselmaus – das Kichern steckte ihr immer noch in der Kehle – aber das neue Outfit machte unheimlich was her. Und sie fühlte sich heute zum erstenmal Chris ebenbürtig, was das Aussehen betraf.
In der großen Fensterscheibe eines Restaurants konnte man ihre Spiegelbilder sehen: Chris groß und sehnig mit seinem dunklen, etwas zu langen leicht gelockten Haar und der affigen weißen Strähne darin – und sie mit ihrer elegant wirkenden Hochsteckfrisur und ihrer wirklich guten Figur. Sie wirkte neben Chris fast wie ein Schulkind, obwohl sie immerhin stolze 172 Zentimeter groß war. Schulkind war gut... Chris machte gerade auf Referendar im Goethe-Gymnasium, er hatte Biologe und Chemie studiert, wollte aber nicht in der Wirtschaft arbeiten, und er war tatsächlich Lehrer, oder würde zumindest einer werden. Außerdem war er sechs Jahre älter als sie, hatte mit absoluter Sicherheit wahnsinnig viel Erfahrung mit Frauen – und war bestimmt ein Schweinehund.
Sie zeigte ihm alles:
Das Kaninchengehege mit den Hoppelhasen, wie sie die Kaninchen bezeichnete. Und Chris musste über diesen Namen lachen.
Den Froschteich, der zur Zeit aussah wie die Ursuppe des Lebens, er quoll fast über von Froschlaich, und die Frösche quuaaarzten so laut, dass es eine helle Freude war.
Die Vogelkäfige an einer dunklen Stelle des Parks. Große unglücklich aussehende Eulen und Käuze hockten darin „Ich hab’ schon mal überlegt, sie zu befreien“, sagte Irma bedrückt. „Aber wo sollen sie hin? Sie sind doch schon hier geboren. Oder geschlüpft oder so...“ „Das ist eine Schweinerei“, meinte Chris dazu.
Die Sonnenterrasse, die überwuchert von duftendem Lavendel war und auf der sich hohe Gräser im Wind wiegten. Man hatte die Illusion, sich auf dem freien Lande zu befinden, und nur die in die Luft ragende Wand einer Messehalle zerstörte diesen Eindruck. „Manchmal sitze ich abends hier und mache mir Notizen für...“ Irma hörte auf zu reden, denn das war schon viel zu persönlich und hatte ihn auch gar nicht zu interessieren.
Chris sagte nichts, aber er fotografierte sie, als sie auf einer alten Holzbank saß und irgendwie verträumt in die Gegend guckte. „Nicht fotografieren!“ Sie wedelte mit der Hand vor seiner Digi herum. Aber er versuchte es trotzdem.
„Haselmäuse gibt es hier leider nicht“, sagte Irma schließlich, als sie alles durch hatte. „Und Haselmäuse sind gar keine Mäuse, ich glaube, sie gehören zu den Bilchen.“
„Da hast du recht, aber nur fast. Eine gibt es hier...“ sagte der Biologe Chris spöttisch lächelnd. Irma liebte dieses Lächeln, es war üblicherweise immer der Auftakt zu Intimitäten, aber im Moment lief überhaupt nix in der Art. Er verhielt sich irgendwie seltsam, fast so, als wollte er die Wette gar nicht gewinnen. Oder war das nur eine Finte von ihm? Vorsicht war geboten...
„Die größten Kritiker der Bilche sind selber wilche…“ fiel ihr ein.
Darüber musste Chris lachen, und er gab noch einen drauf: „Die größten Kritiker der Bilche sind selber Knilche.“
„Die sind nachtaktiv“, wusste Irma zu berichten.
„Wer, die Knilche?“
„Nein, die Bilche!“
Und daraufhin mussten sie beide lachen. Irma war aber nicht so richtig bei der Sache - obwohl sie normalerweise die Wortspielereien zwischen ihr und Chris liebte – denn sie musste an Plan B denken.
Plan B war unheimlich gut. Irma pflegte viele Freundschaften, und eine dieser Freundschaften war ein schwuler Typ, der in einem dieser Läden arbeitet, in denen gutgebaute Girls sich an gutgebauten stählernen Stangen vergnügten, um damit ein fast ausschließlich männliches Publikum zu vergnügen. Irma hatte sich mit ihrem schwulen Freund kurzgeschlossen und eine kleine Aufführung geplant. Und sie musste jetzt schon kichern, wenn sie nur dran dachte.
Samstag am späten Nachmittag – Plan B
Sie machten sich langsam auf den Heimweg. Der Himmel hatte sich mittlerweile gelblich verfärbt. Die Luft war unheimlich schwül, und es würde bestimmt ein Gewitter geben.
„Was meinst du, sollen wir essen gehen?“ fragte Chris sie. „Ich lade dich ein.“
Das wundert Irma sehr, denn normalerweise zahlten sie streng getrennt. „Ich wollte eigentlich Pizza machen“, sagte sie.
„Pizza ist auch gut“, meinte Chris anzüglich lächelnd. „Aber die machst du doch sowieso demnächst. Weil ich gewinnen werde.“
„Bilde dir ja nichts ein!“ Irma wollte schon aufbrausen, aber sie beherrschte sich und sagte lässig: „Oh, da fällt mir gerade ein, lass uns die Hauptstraße nehmen. Ich hab’ da was gesehen.“
„Was denn?“ Christopher blickte sie fragend an.
„Einen Job! Ich verdiene einfach zu wenig.“ Irma schaute absichtlich ein wenig traurig drein, bevor sie fortfuhr: „Weißt du, so ein Zweidritteltagsjob ist ja ganz toll und verschafft einem viel Freizeit, aber so geldmäßig...“ Sie schwieg vielsagend. Natürlich log sie ein bisschen, sie verdiente recht gut – andererseits war die Wohnung, dieses Erbteil von Exfreund Oliver auch ziemlich teuer...
„Hmmm...“ Chris schien nachzudenken.
„Da ist es! Schau’ mal, die suchen eine Angestellte!“ Irma triumphierte innerlich. Sie hatte es geschafft, ihn gerade im entscheidenden Augenblick vor den Pornoladen zu locken, der ‚SEX 4 YOU’ hieß.
Im Schaufenster prangte neben Bildern von halbnackten Frauen ein großes Schild, das verkündete:
WIR SUCHEN DRINGEND FREIZÜGIGE MITARBEITERINNEN !!!
Und eine Telefonnummer stand auch dabei.
„Ich könnte doch hier arbeiten.“ Irmas Stimme klang begeistert.
„HIER?“ Christopher schaute ziemlich verwirrt aus der Wäsche.
„Da steht eine Handynummer. Weißt du was? Ich ruf’ da gleich mal an.“ Mit diesen Worten zückte Irma ihr Handy und wählte flugs die Nummer, bevor Christopher auch nur Piep sagen konnte.
Natürlich ging sofort jemand ans Telefon, und dieser jemand sagte ihr, sie könne sofort vorbeikommen.
Also klingelte sie an, und ihr alter schwuler Freund Yogy öffnete die schwere vergitterte Eingangstür.
„Hallihallöle, du bist wegen dem Job da?“ fragte er. „Das ging aber echt schnell!“
Sie blinzelte ihm zu, denn Chris stand hinter ihr und konnte sie nicht sehen. „Klar doch, genau! Wegen dem Job.“
„Okay“, sagte Yogi. „Dann kommt mal mit!“
Irma ging hinter ihm her. Sie warf kurz einen Blick über die Schulter und sah befriedigt, dass Chris ihr folgte.
Im Hintergrund hörte man irgendeinen Soul-Song.
Der Laden war gar nicht so dunkel, wie sie vermutete hatte. Es lag wahrscheinlich daran, dass er noch geschlossen war. Natürlich, sonst hätte sie diese Nummer gar nicht durchziehen können.
„Da ist der Tisch, und da ist die Stange!“ sagte Yogi.
„Was für eine Stange? fragte Irma verdattert. Jedenfalls hoffte sie, dass es sich verdattert anhören würde.
„Na die zum Tanzen!“ Yogis Stimme klang, als würde er einer blöden Tussi etwas ganz Einfaches erklären.
„Ach so!“ sagte Irma erstaunt. „Und dazu muss man wohl auf den Tisch klettern?“
„Du bist ja echt auf Scheibe“, meinte Yogi herablassend.
„Und wie ist die Bezahlung?“ Irma frohlockte innerlich, weil Yogi seine Rolle so gut spielte.
„Der Stundenlohn ist gering. Nur zehn Euro. Aber wenn du gut tanzt, dann stecken sie dir genug Kohle ins Höschen. Abgesehen von den anderen privateren Möglichkeiten...“
„Das ist ja irre! Und ich kann gut tanzen, nicht wahr Christopher?“ Irma wartete Christophers Antwort nicht ab, sie knöpfte in Windeseile ihr Kleid auf, ließ es auf den Boden fallen – und stand in einem verführerischen roten BH und einem Nichts von einem ebenso roten Höschen da.
Geschickt kletterte sie auf den Tisch. Sie griff nach der Stange und fing an, sich langsam und einschmeichelnd um sie zu drehen. Sie hatte das vorsichtshalber an einer Straßenlaterne geübt. Sie schmiegte sich verführerisch an die Stange, ließ sich zurückfallen, hielt sich mit einer Hand elegant daran fest und warf die Haare gekonnt in den Nacken – ihre Aufsteckfrisur war mittlerweile hin, bei glattem Haar hält ja nix lange... Sie schlang wollüstig ein Bein um die Stange und tat so, als wäre die Stange ihr Liebhaber, wobei die Vorstellung, die Stange wäre Chris, sie zusätzlich beflügelte. Und dadurch wurde sie angeregt, ihre Hüften ein wenig aufreizend kreisen zu lassen, während sie sich vorstellte, wie sie es mit Chris... nein natürlich mit der Stange trieb. Wow, das machte echt Spaß!
Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Chris sie fasziniert anstarrte. Er war bestimmt unheimlich scharf auf sie, er musste es sein...
„Du bist ja echt ein Naturtalent, Schätzelein.“ Yogi pfiff anerkennend. „Wann kannste denn anfangen?“
„Weiß nicht. Nächste Woche?“
„Ist gebongt!“ Yogi wandte sich nun Chris zu. Er sah ihn irgendwie verlangend an, und Irma ahnte Schlimmes.
„Christopher, was für ein schöner Name, mein Freund...“ Yogi sang das förmlich. Hilfe! Wenn Chris jetzt merkte, dass Yogi abgrundtief schwul war, dann würde er Verdacht schöpfen. Hatte sie ihm nicht irgendwann mal von einem schwulen Freund erzählt, der in einer Porno-Bar arbeitete? Hoffentlich brachte Chris das nicht in einen Zusammenhang, er war ja clever...
„Erstens“, fuhr Chris den armen Yogi an, „bin ich nicht dein Freund. Zweitens tanzt das Mädel nur für mich. Und drittens“, fügte er hinzu, legte seine Hand auf Yogis Brust und schob ihn einen Meter zurück, „habe ich jetzt genug!“
„Du bist aber stark!“ stammelte Yogi verliebt. Und deine Hände sind so schön und so kräftig. Wirst du beim Christopher Street Day dabei sein? Du weißt ja, Nomen est Omen...“
Oh nein! Schwuli… äääh Yogi hat wohl vergessen, wen er darstellen soll. Er ist jetzt wieder normal und spielt nicht mehr den harten Porno-Bar-Türsteher. Und er ist auf Chris scharf. Das darf nicht wahr sein! Aber der scheint es nicht zu merken, Gott sei Dank!
Chris schnappt sich Irmas Kleid, das auf dem Boden herumlag und wirft es ihr zu. Irma fängt es geschickt auf und beeilt sich, vom Tisch herunter zu hüpfen, denn Chris’ Augen sehen echt gefährlich aus. Und wieso hat sie eigentlich soviel Respekt vor ihm? Er ist doch nur ein furchtbar eingebildeter Typ. Und Plan B ist Müll! Er zeigt zwar Wirkung, aber eine andere, als sie erwartet hat. Denn wie es scheint, ist Chris nur furchtbar sauer, und er ist gar nicht begierig auf ihren Körper. Das hat sie sich etwas anders vorgestellt. Schade, es fing so gut an, mit Exfreund Oliver und einem Heiratsantrag, aber jetzt... Nichts klappt, alles geht schief. Sie zieht das Kleid an und knöpft es hastig zu.
Chris nimmt sie bei der Hand und zerrt sie ohne weiteres aus dem ‚SEX 4 YOU’. Er sieht so wütend und finster aus, wie Irma ihn noch nie erlebt hat.
„Was ist denn los?“ fragt sie, als sie schon ein gutes Stück von der Porno-Bar weg sind.
„Ach nichts...“ Chris hat sich anscheinend beruhigt, und er scheint nachzugrübeln, während er immer noch ihre Hand festhält. So fest, dass es wehtut.
Irma grübelt auch nach. Was sollte dieser Auftritt? Unwissende Gemüter würden vielleicht denken, er wäre eifersüchtig, aber das ist vollkommen unmöglich. Warum also verhält er sich so? Genau, er hat Angst davor, dass seine Freunde sie in diesem Pornoladen sehen könnten. Sie kennt zwar nicht viele Freunde von ihm, eigentlich nur einen, nämlich diesen Sigi, der vor vierzehn Tagen einfach bei Chris hereinspazierte und sie anglotzte wie ein seltenes Insekt. Er schaute ihr auf den Busen und auf die Beine, dieser Idiot – und außerdem fragte er Chris nach seiner beknackten Kusine aus... Alles klar, es ist ihm peinlich! Der große Chris schläft mit einer Frau, die im ‚SEX 4 YOU’ auftritt. Welche Schande!
Sie befreit ihre Hand aus seinem eisernen Griff und ist irgendwie sauer. Nichts läuft so, wie sie es geplant hat.
Ein Mann, der ihnen entgegenkommt, starrt Irma mit offenem Mund an und fängt heftig an zu grinsen. Was zum Geier??? Irma blickt an sich herunter. Oh nein, auch das noch! Das Kleid ist nur halb zugeknöpft, und es lässt tolle Einblicke in sie zu...
„Oh Gott! Daran bist nur DU schuld“, sagt sie genervt zu Chris und bleibt stehen, um sich wieder respektabel zu machen. „Und den Job kann ich wohl auch vergessen!“
Chris würdigt sie aber keiner Antwort, sondern schnaubt nur verächtlich vor sich hin.
Samstag am frühen Abend – Verlangen...
Als sie in Irmas Wohnung ankommen, ist die seltsame Spannung zwischen ihnen fast verschwunden. Chris bemüht sich sichtlich, einen unbeteiligten Eindruck zu machen, und Irma fühlt sich erleichtert, dass die Sache nicht mehr erwähnt wird. Plan B, was für eine blöde Idee von ihr! Und wie peinlich!
„Ich fange sofort mit der Pizza an“, sagt sie .
„Ich helfe dir“, bietet Chris an, und Irma freut sich darüber.
Sie lässt ihn den Schinken und die Salami schneiden, öffnet eine Dose Thunfisch, eine Schachtel mit Pizzatomaten und eine Packung mit Pizzakäse. Sie schneidet Pfefferschoten, Knoblauch und eine Zwiebel klein und fängt dann an, den Fertigteig leicht auszurollen.
Sie belegen den Teig abwechselnd und finden es sehr lustig.
Als die Pizza im Ofen ist, lässt Irma Spülwasser ein und beginnt, das schmutzige Geschirr abzuspülen. Chris greift sich ein Geschirrtuch und trocknet tatsächlich ab.
Irma überkommt auf einmal ein seltsames Gefühl. Es ist, als ob sich alles in ihr auf einen Punkt zusammenzieht, auf einen aufregenden Punkt. Sie fühlt Chris’ Nähe so deutlich, sie ist so betäubend, so verführerisch, so überwältigend! Und wie er die Teller abtrocknet, das ist so unglaublich sexy. Das ist viel besser als eine Spülmaschine...
Chris scheint es zu spüren, er hat wohl einen siebten Sinn dafür. Er schaut ihr kurz in die Augen, die wahrscheinlich leicht verschleiert aussehen – und hebt sie dann ohne weiteres auf die Arbeitsplatte.
Er zwängt ein Bein zwischen ihre Schenkel, und dabei muss er sich nicht besonders anstrengen, denn sie hat ihre Schenkel schon bereitwillig für ihn geöffnet. Mit routinierter Hand knöpft er langsam ihr Kleid auf. Dann fängt er an, ihre Brüste zu streicheln, und das trotz BH. Was für ein irres Gefühl! Irma starrt ihn an wie hypnotisiert, und das intensive Gefühl verstärkt sich – irgendwo in den unteren Zonen ihres Körpers. Nein, eigentlich überall..
Gleich wird es passieren, sie hat es so vermisst. Und diese blöde Wette ist ihr egal. Sie spürt sein forderndes Bein zwischen ihren Schenkeln und versucht, noch ein bisschen näher heranzurutschen.
„Hattest du mir nicht von einem schwulen Typen erzählt, der in einer Porno-Bar arbeitet?“
Was ist das? Was quatscht er da? Er soll ihr lieber seine Zunge in den Hals stecken und dann was anderes von ihr küssen – oder was anderes in sie... „Hmmmmm...“ stöhnt sie auf, legt ihre Arme um seinen Hals und drängt sich mit ihrem Körper noch näher an ihn.
Aber er lässt sie los wie eine heiße Kartoffel.
Irma sitzt da mit leeren Armen und empfindet ein furchtbares Gefühl des Verlustes. Sie muss schlucken. Das ist gemein, sie einfach hier hängen zulassen! Sie ist gefrustet und enttäuscht, aber das darf sie sich nicht anmerken lassen.
„Ja und?“ sagt sie schließlich mit ruhiger Stimme.
„Ich dachte nur so...“ Er lächelt etwas schief bei diesen Worten, dann nimmt er auf einmal ihre Hand, es ist die, die er in der Porno-Bar so hart umklammert hat, er drückt einen leichten Kuss darauf und sagt leise: „Es tut mir leid.“
Dann marschiert er aus der Küche heraus und lässt sie hier sitzen mit ihrem aufgeknöpften Kleid, ihrem erhitzten Gesicht und ihren unerfüllten Wünschen. Und was tut ihm leid? Dass er sie hier sitzen lässt?
Sie betrachtet ratlos ihre Hand. Sie scheint zu brennen, ein seltsames Gefühl. Er hat sie vorher noch nie auf die Hand geküsst.
Irma lässt sich langsam von der Arbeitsplatte gleiten und knöpft ihr Kleid wieder zu. Wie oft hat sie das heute schon getan? Verdammt noch mal, ihre Knie zittern, sie ist ein wenig verwirrt, und außerdem hat er auch noch Verdacht geschöpft. Er ist nicht blöd, nein, das ist er wirklich nicht.
Sie hört aus dem Wohnzimmer einen Fußballkommentar. Chris guckt wohl irgendeine Sportsendung.
Irma hat sich mittlerweile beruhigt, denkt aber immer noch an die verpasste Gelegenheit. Was für eine Schande, so etwas auszulassen! Er ist halt ein Mistkerl, er will sie niedermachen, will ihr zeigen, dass sie ein Nichts für ihn ist, will ihr zeigen, dass er ihren Körper besitzt. Und dass er nicht so scharf auf sie ist, wie sie auf ihn. Gut, er besitzt ihren Körper. Doch sonst besitzt er nichts von ihr!
Und diese Entschuldigung war bestimmt nur ein Trick von ihm, um sie weich zu klopfen. Oder war es kein Trick? Denn eigentlich hat sie die Wette ja schon verloren, aber er hat es vielleicht gar nicht gemerkt. Sehr seltsam...
Eigentlich fühlt sie sich gar nicht übel. Der Duft der Pizza verbreitet sich appetitanregend in der ganzen Wohnung, und direkt im Zimmer nebenan sitzt ein attraktiver Mann und schaut Fußball.
Es kommt ihr unheimlich vertraut vor, und dann fällt es ihr ein: Die Samstagabende im Haus ihrer Eltern, als sie noch ein Kind war. Die beiden waren furchtbar ineinander verliebt gewesen, und Irma hatte manchmal gedacht: Wenn ich mal alt bin, so um die dreißig. dann will ich auch noch so furchtbar verliebt sein.
Blöderweise ist sie noch nie so richtig ‚ohnewennundaber’ verliebt gewesen, und das mit fünfundzwanzig. Ist das normal?
Und außerdem muss sie daran denken, wie sehr ihre Eltern es sich wünschen, dass sie studiert und nicht mehr in diesem Büro arbeitet, wo sie, wie ihre Eltern wissen, zwar sehr erfolgreich ist, aber sie könnte weit Größeres leisten. Irma lächelt in sich hinein. Die alten Herrschaften haben Recht. Sie hat sich entschlossen. Sie wird Tiermedizin studieren, hier in der Stadt gibt es eine Uni, die das Fach anbietet, eine von fünf in ganz Deutschland. Sie hat einiges gespart, und sie könnte nebenbei arbeiten, natürlich nicht in dieser Porno-Bar. Jetzt kann sie drüber lachen. Sie weiß gar nicht mehr, warum sie sich vorhin so über Chris aufgeregt hat. Er hat sie zwar hart angefasst, aber dieser Kuss und die Entschuldigung waren die Sache wert. Ihre Hand glüht immer noch so sonderbar... Und den Rest des Studiums werden ihre Eltern freudig finanzieren. Es wird trotzdem hart werden, aber sie ist stur, liebt Herausforderungen, und sie will so wenig Geld wie möglich von den Eltern annehmen.
Jedenfalls erscheint ihr dieser Tag vertraut normal, es ist ja fast, als wäre sie mit einem Mann verheiratet, der gerade die Sportschau guckt, während sie als Ehefrau – die nebenbei eine sehr gute und vor allem nicht geldgierige Tierärztin ist – gerade das Abendessen macht. Was sie natürlich nicht immer tut, manchmal macht Chris es, er hat ja mehr Zeit als sie. Meine Güte Irma, was träumst du da, das ist doch total unrealistisch. Weiß ich, sagt Irma zu sich selber, aber es ist so total gut, und ich kann einfach nicht damit aufhören...
Samstag am frühen Abend - Träume und Wirklichkeit
Sie deckt den Tisch auf dem Balkon. Es ist immer noch schwülwarm, und es wird bestimmt ein Gewitter geben.
Irma träumt weiter: Und später werden sie vielleicht irgendwelche Freunde besuchen oder ins Kino gehen und dort Händchen halten, oder mehr. Auch nicht unangenehm...
Irma holt die Pizza aus dem Backofen und stellt sie zum Abkühlen auf die Arbeitsplatte.
Sie findet in der Abstellkammer einen annehmbaren Rotwein, den sie vor zwei Wochen bei einer dubiosen Grillparty abgestaubt hat. Ein richtig netter Typ hatte sie dorthin eingeladen, sie verpassten natürlich die letzte S-Bahn und übernachteten in einem klitzekleinen Bett in einem klitzekleinen Wohnwagen. Eigentlich hatte sie ja vorgehabt, mit ihm zu schlafen, denn sie war zu dieser Zeit furchtbar sauer auf Chris. Sie hatte ihn zufällig in der Oper getroffen, und zwar mit seiner jungen Kusine. Irma schüttelt unwillig den Kopf, um den Gedanken an diese hübsche Schlampe zu verdrängen. Aber dann konnte sie es doch nicht übers Herz bringen, mit dem netten Typen ins Bett zu gehen, es ging einfach nicht, und es hätte ihr auch gar nichts gebracht. Automatisch muss sie an das Fiasko mit dem dunklen Felipe denken, oh Gott, was für eine Pleite! Und warum soll sie einen Mann wie Chris wegen einer Kusine aufgeben, die geil auf ihn ist? Wieder sieht sie die Hand von dieser Mandy auf Chris’ Arm, und es macht sie sauer. Am besten verdrängen, verdrängen, verdrängen... Es klappt mit der Verdrängung. Jedenfalls kann sie nicht auf Chris verzichten, dafür ist er einfach zu gut im Bett. Genau!
Was hat sie sonst noch so getrieben? Genau, Kneipen besucht. Und ein paar Mal war sie tatsächlich zu Hause geblieben, weil sie zu nichts Lust verspürte.
Was hat Chris wohl um die gleiche Zeit getrieben? Ist bestimmt besser, es nicht zu wissen, denn der Chris aus ihrem Tagtraum hat nichts mit dem wirklichen Chris zu tun. Obwohl es schön wäre...
Chris kommt in die Küche, vom Duft der Pizza angelockt.
Er behauptet, er hätte fürchterlichen Hunger und dass, wenn die Pizza so gut schmeckt wie sie riecht, er sie ganz alleine aufessen würde. Der Rotwein mundet ihm anscheinend auch, denn er gießt sich noch ein zweites Glas ein, während sie in der schwülwarmen Hitze auf dem Balkon sitzen.
Um sie herum breitet sich eine spätsamstägliche Stille aus. Diese Stille wird seltsamerweise nicht gestört durch den uralten Schlager, der von irgendwoher erklingt und der etwas mit einem Puppenspieler von Mexiko zu tun hat, der einmal traurig und einmal froh war. Und über den sie beide lachen müssen.
Aber als das Lied zu Ende ist, hört man nur noch Kirchenglocken in der Ferne läuten. Es klingt sehr friedlich.
Irma fühlt sich ein wenig verlegen, weil sie Chris so in ihre Tagträume eingesponnen hat, und sie hofft, dass er es nicht bemerkt, er ist ja unglaublich scharfsinnig. Und scharfsinnlich auch... Sie schaut ihm gerne beim Essen zu, es sieht so unheimlich verführerisch und sexy aus, wenn er etwas verspeist, und irgendwie überkommt einen dann der Wunsch, selber von ihm verspeist zu werden. Aber anders... Sie fühlt wieder dieses Verlangen nach ihm, aber diesmal soll er es nicht spüren, denn noch eine Abfuhr könnte sie nicht ertragen. Trotzdem hängen ihre Augen an seinem Mund.
„Ist ein guter Tag für dich, nicht wahr? Erst der Krabbensalat zum Frühstück und jetzt die Pizza...“ Sie reißt ihre Augen von seinem Mund los. „Und der Rotwein ist auch nicht schlecht.“
„Du hast recht, Haselmaus. Es ist ein guter Tag für mich, aber nicht nur essensmäßig.“ Er sieht aus, als wolle er noch etwas sagen, aber dann schweigt er und schaut abwesend vor sich hin.
Und Irma fängt wieder an zu träumen. Sie sieht ihn wie durch einen leichten Nebelschleier hindurch. Er wird ihr gleich sagen, wie sehr er sie liebt, das tut er öfter. Er setzt sich neben sie und legt seinen Arm um sie. Er schaut sie mit diesem ganz besonderen Blick an, von dem ihr ganz heiß wird und von dem sie weiche Knie bekommt. Er nimmt ihre Hand und führt sie an seine Lippen. Dann beugt er sich vor und küsst sie zart auf ihren Mund und dann nicht mehr ganz so zart...
In diesem Augenblick klingelt leise das Telefon. Wer könnte das sein? Vielleicht jemand, der ein krankes Tier vorbeibringen will? Sie ist eine gute Tierärztin, und bei Notfällen kann man sie auch am Wochenende erreichen.
„Irma?“
Sie wacht auf und schaut Chris verwirrt an. „Ja was denn?“ Sie spürt, dass sie ein bisschen rot im Gesicht wird.
„Das Telefon klingelt.“ Chris sieht sie erstaunt an.
„Oh!“ sagt Irma und begibt sich schnell in die Küche, um den Anruf entgegen zunehmen.
„Hier ist Irene, kann ich Chris bitte sprechen?“ Aus dem Hörer ertönt eine dunkle melodische Frauenstimme.
Irma ist so verblüfft, dass sie der Anruferin keine Antwort gibt. Sie geht auf den Balkon, reicht Chris wortlos den Hörer und zieht sich dann unauffällig ins Wohnzimmer zurück. Er soll nicht etwa denken, sie wäre neugierig.
Aber sie IST verdammt noch mal neugierig! Was zum Teufel soll das? Wieso gibt er anderen Frauen ihre Telefonnummer? Und woher wissen andere Frauen, dass er hier ist?
Sie wird allmählich sauer. Bis jetzt hat sie nicht viel mitbekommen von dem, was er sonst noch treibt. Ha, bis auf die junge Kusine natürlich... Sie hat die Gedanken daran genial verdrängt, und sie hat sich ja selber auch ein bisschen vergnügt mit anderen Männern. Mit Betonung auf ‚ein bisschen’. Das war aber wohl ‚ein bisschen’ zu wenig im nachhinein... Und vor allem hat sie sich nicht von anderen Männern bei ihm anrufen lassen. Aber mit ihr kann er es ja machen! Erst die Kusine und dann das!
Sie wird ihn gleich rausschmeißen. Genauso wie sie ihn in der ersten Nacht rausgeschmissen hat. Es gibt Grenzen!
Kurz danach kommt er ins Wohnzimmer. Das Gespräch mit der Frau ist wohl beendet, und er teilt ihr mit: „Tut mir leid, Haselmaus. Es ist ein Notfall. Ich muss weg...“
„Okay.“ Sie wird ihm nicht zeigen, wie sauer sie ist. Ein Notfall? Das wird ein schöner Notfall sein. Absolut lachhaft!
„Ich komm’ nachher wieder“, sagt er etwas unschlüssig.
„Brauchst du nicht, ich weiß nicht, ob ich nachher da bin...“ Was zum Geier sagt sie da? Soll das vielleicht eine Drohung sein? Wenn du jetzt von hier abhaust, dann brauchst du nicht wiederkommen? Bei Gott, es ist eine Drohung! Und bei Gott, als ob ihn diese lächerliche Drohung davon abhalten würde, jetzt von hier zu verschwinden.
Irma fühlt sich machtlos, und allein der Gedanke, hier herumzusitzen und auf seine Rückkehr zu warten, lässt sie vollends ausrasten. Nein danke, das haben wir nicht nötig! Wir haben so etwas wie IHN nicht nötig! Dieser Mann ist so überflüssig wie ein Kropf!
„Nimm dir doch ein Stück Pizza mit.“ Sie meint es hämisch, aber tatsächlich greift er sich ein Stück Pizza, küsst sie auf die Stirn – das ist seine übliche Abschiedsmache – und weg ist er.
Na fantastisch!!! Irma weiß nicht, wie sie sich fühlt. Aber gut ist es nicht... Jedenfalls schaut die Flasche mit dem Rotwein sie nett an, und sie schaut nett zurück. Kann er überhaupt noch fahren. Er hat bestimmt nur das eine Glas Rotwein getrunken, er ist ja so maßvoll, bei ihm wird alles vom Verstand diktiert. Alles, nur der Sex nicht… Aber sogar den hat er an diesem Wochenende in den Griff gekriegt. Warum? Weil er sie satt hat, das ist es! Und das liegt bestimmt an dieser neuen Tussi, an dieser Irene mit der schönen Stimme. Und wieso macht sie sich überhaupt Sorgen um diesen Sack? Das ist überaus ärgerlich und vor allem vollkommen überflüssig!
Was tun jetzt? Na was wohl? Am besten richtig gut durch die Häuser ziehen, irgendeinen Typen aufreißen, oder sogar zwei – und dann wirklich Ernst machen. Bis jetzt hat sie sich ja zurückgehalten aus dubiosen und lächerlichen Gründen, aber jetzt ist sie so stinksauer, da muss sie es einfach tun!
Am besten noch ein Gläschen Rotwein trinken, seins steht ja noch auf dem Tisch, also her damit.
Sie versucht, ihre Freundin Jessi anzurufen, aber niemand geht ans Telefon. Auch gut, dann muss sie es eben alleine durchziehen.
Als Irma sich die Turnschuhe anzieht, ist sie fest entschlossen, sich zu amüsieren, egal mit wem oder mit was.
Sie hat kein bestimmtes Ziel. Sie weiß nur, dass in irgendeiner still gelegten Fabrik irgendwas mit Disco stattfindet, und abtanzen wäre nicht schlecht. Abreagieren sowieso. Abschleppen auch, egal was! Sie hat sich lange genug zurückgehalten. Sie hätte die nettesten Männer haben können. Blöderweise waren die alle zuuuu nett und überhaupt nicht interessant. Jedenfalls nicht so interessant wie dieser elende Scheißkerl. Der sie sowieso nur vergackeiert hat. Aber soll er doch mit seinen Schlampen rummachen! Wen juckt’s! Irgendwo wird es doch bestimmt einen Mann geben, der sie zu schätzen weiß.
Sie setzt sich ihre Kopfhörer auf und wählt ein bestimmtes Lied auf dem Player aus. Und sie singt laut mit, während grelle Gitarrenklänge den Punksong begleiten:
I don't want you
to know
too much about me,
OH NO!
Cause I know you'll take advantage
of the words that I say
You're looking for a way to depress me,
make me pay...
Was für ein geiles Lied und wie überaus passend! Singend macht sie sich auf den Weg.
Samstag am späten Abend - Erkenntnisse
Er wohnt im dritten Stock, seine Wohnung ist groß, und in dem größten Zimmer steht ein Flipper. Ist gar nicht übel, so ein Flipper, obwohl ein Billardtisch besser wäre... Automatisch muss sie an den irren Samstagvormittag denken, als sie mit Chris gewettet hat... Sie hat zwar verloren, warum, weiß sie immer noch nicht, aber hinterher war es einfach überwältigend... Nein, nicht dran denken!
Sie betrachtet die schwach erleuchteten Türschellen. Soll sie oder soll sie nicht? Sie schüttelt ratlos den Kopf. Sie fühlt sich ziemlich konfus, denn in ihr toben unterschiedliche Gefühle. Der Zorn ist immer noch da, aber sie heizt ihn nicht mehr an, obwohl der Punksong Klasse ist. YOU don’t like me, I don’t like you… Sie will nicht mehr zornig sein, denn dann müsste sie auf sich selber zornig sein. Auf ihre Blödheit zum Beispiel. Doch außer dem Zorn ist da noch ein anderes Gefühl, sie kann es nicht benennen, also ignoriert sie es.
Und sie muss jetzt irgend etwas tun, sonst dreht sie durch...
Denn es war ein wirklich beschissener Abend! Niemand hat sie angeschaut, geschweige denn bewundert. Aber warum? Was ist mit ihr passiert? Heute Nachmittag hat sie sich noch wie eine Göttin gefühlt, so schön und so begehrenswert.
Es liegt natürlich an ihr selber. Sie ist so mies drauf, dass kein Mann etwas mit ihr zu tun haben will. Vor allem dieser eine Mann nicht. Wieder kommt der Zorn hoch, und sie beißt sich auf die Lippen. Das E-body war ziemlich leer, und auch die Wirtin, mit der man immer gut über Männer ablästern konnte, war nicht da. Was trieben die alle? Hingen vermutlich in irgendwelchen Biergärten herum.
Sie kam sich reichlich bescheuert vor, so ganz alleine, denn die wenigen anwesenden Männer befanden sich auch noch in weiblicher Begleitung. Tatsächlich sah sie überall nur Pärchen, und das tat irgendwie weh, obwohl sie doch sonst nicht davor zurückscheute, ganz alleine irgendwohin zu gehen.
Hat sie dabei etwa Chris im Hinterkopf gehabt, nach dem Motto: Ich bin zwar alleine hier, aber eigentlich hab’ ich es gar nicht nötig, durch die Kneipen zu ziehen, denn ich bin in festen Händen.
Oh Gott, wie schrecklich! Wie falsch und wie peinlich!
Und in den anderen Kneipen ist auch nix los gewesen. Die Tanzerei in der alten Fabrik entpuppte sich als lahmarschiger Altpärchenabend – schon wieder nur Pärchen – und sie kam sich fast vor wie Amy Winehouse im Vergleich zu den anwesenden Frauen. Und trotzdem hat sie niemand angeschaut. Ist sie unsichtbar?
Jetzt gibt es wirklich nur noch den einen, der etwas von ihr will und der sie begehrt. So sehr begehrt, dass er ihr einen Heiratsantrag gemacht hat Er ist ihre letzte Hoffnung, ihr Rettungsanker. Er ist derjenige, der sie wirklich will, im Gegensatz zu diesem anderem, der sie verschmäht und veräppelt hat.
Irma kennt Olivers Wohnung. Vor ein paar Monaten war sie dort – und sie fühlte sich wie eine Frau, die es mit einem verheirateten Mann trieb. Er war ihr fremd geworden, und das nach so kurzer Zeit...
Sie wird mit ihm ins Bett gehen. Er ist der Richtige dazu. Chris mag ihn anscheinend nicht, und deswegen wird es ihn auch treffen. Aber warum sollte es ihn treffen? Es interessiert ihn nicht, denn er ist einfach weggegangen, und das tut irgendwie weh... Verdammt!
Zögernd streckt sie ihre Hand aus, um anzuklingeln. Aber gerade in diesem Augenblick zuckt der erste Blitz grell über den Himmel. Das lang erwartete Gewitter findet endlich statt.
Und Irma zieht irritiert ihre Hand von der Türschelle zurück.
Eigentlich will sie das gar nicht. Sie kann ihn nicht ausstehen. Sie hat sich nicht umsonst von ihm getrennt.
Und was macht sie da überhaupt für irrationale Sachen? Was ist mit ihr geschehen? Diese bescheuerte Wette hat ihr Leben auf den Kopf gestellt. Davor war alles so einfach und überschaubar. Keine Gefühle, keine Enttäuschungen, keine Verpflichtungen – und vor allem toller Sex. Und jetzt steht sie hier und will aus Rache mit diesem Kerl pennen? Wegen eines anderen Kerls, der sie überhaupt nicht mag? Oh mein Gott, warum tut sie sich das an?
Leise schleicht sich eine Ahnung in ihre wirren Gedanken. Sie denkt an die Tagträume, die gerade mal ein paar Stunden her sind. Du lieber Himmel! So ein Mist! Und wieso hat sie es nicht früher gemerkt. Wie konnte das nur passieren. Der Ritt auf dem Tiger... Sie hat sich eingebildet, sie könnte ihn unbeschadet wagen. Ja sicher, du blöde Nuss! Bist ganz schön runtergefallen, gelle? Hast gedacht, du wärst unwahrscheinlich cool...
Nein, sie ist nicht cool, und sie muss etwas tun, sonst wird sie daran zugrunde gehen. Wird alles an Selbstachtung verlieren, was sie noch hat. Sie muss es ihm sagen. Auch wenn es furchtbar schwer ist, denn sie empfindet etwas für ihn, sonst würde sie nicht so chaotisch reagieren. Das ist ihr mittlerweile klar geworden.
Sie erinnert sich an den Abend, als sie Chris kennen lernte. Ab und zu denkt sie daran, aber nicht gerne, denn dieser Abend fing so gut an, aber dann lief er total aus dem Ruder und endete im Fiasko...
Er kam ihr so vertraut vor. Sie unterhielten sich, sie lachten über die gleichen Dinge, als ob sie sich ihr Leben lang gekannt hätten.
Und sie küssten sich – es war schön, beruhigend und erregend zugleich – und auch sein Körper schien ihr vertraut, obwohl es ihr sonst widerstrebte, einen Mann so nahe bei sich zu dulden. Aber bei ihm war es kein Dulden, es war ein Verlangen nach mehr...
Sie gingen Hand in Hand zu ihr nach Hause. Sie war so glücklich, dass sie ihn getroffen hatte – und dann... Er fing an, blöde Bemerkungen zu machen, wie gut er im Bett wäre und wie er es ihr... Irma verzieht das Gesicht, als sie daran denkt. Er wollte nur mit ihr schlafen, und sie war zuerst am Boden zerstört und dann so sauer wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Denn sie hatte zumindest ein bisschen Respekt verdient und nicht diesen... Scheiß!
Und sie schmiss ihn aus der Wohnung. „Hau’ bloß ab und lass’ dich nie wieder hier blicken!“ sagte sie zu ihm. Und er ging. Aber er warf ihr vorher noch einen mörderischen Blick zu, der sie erbeben ließ. Was war los mit ihm? Sie konnte es nicht verstehen.
Und ein paar Wochen später ließ sie ihn wieder herein, nachdem sie ihn auf dieser Party getroffen hatte. Sie wollte ihn, sie konnte nicht anders, denn er war so verführerisch gut. Sie kriegte ihn, oder kriegte er sie? Und es lief total ohne Zärtlichkeiten ab, war aber trotzdem grandios! Gefühle ihm gegenüber waren sowieso gefährlich, sie wusste ja mittlerweile, dass sie nichts von ihm erwarten konnte. Und von ihr konnte er auch nichts erwarten, nur ihren Körper.
Irma schüttelt den Kopf. Ein Tag mit ihm zusammen hat gereicht, und schon ist das ganze Luftschloss in sich zusammengefallen. Einfach so. Ein blöder Kuss von ihm auf ihre Hand, und was tut sie? Sie fängt doch glatt an, von einer Zukunft mit ihm zu träumen. Das ist wirklich unglaublich bescheuert und blöde!
Trotzdem wird sie an ihren Zukunftsplänen festhalten, es geht auch ohne ihn, sie braucht ihn nicht dazu. Aber vielleicht empfindet er ja etwas für sie. Irgendwas... Ach Irma, hör’ auf, dir was vorzumachen. Der doch nicht! Und wenn, dann willst du doch ALLES und nicht irgendwas. Und wahrscheinlich wirst du ihn gar nicht wiedersehen.
Ihre Mundwinkel zucken, sie hat sie nicht unter Kontrolle. Nicht anfangen zu weinen, bitte nicht weinen! Sie versucht, die Tränen zu unterdrücken, und es scheint zu klappen.
Sie macht sich auf den Weg nach Hause, ihre Füße sind schwer. Nach einer Weile fängt es an zu regnen, erst wenig, dann immer mehr, bis sie schließlich wie durch eine Wasserwand hindurch läuft. Es fühlt sich am Anfang erfrischend an nach der Schwüle des Abends, aber dann ist es einfach nur kalt und ekelhaft. Ihr schönes Kleid wird als erstes nass, und danach sind es die Stoffturnschuhe, mit denen sie unachtsam durch riesige Pfützen läuft. Dann sind die Haare dran und ihr Gesicht, aber sie ist froh darüber. So kann niemand sehen, dass sie weint, denn die Tränen werden einfach weggespült. Nur sie selber weiß es, und sie schmeckt es. Der Regen schmeckt salzig, und das bringt sie dazu, noch mehr zu weinen.
Sie ist klatschnass, als sie vor ihrem Haus ankommt. Ihre Haare triefen vor Nässe, das Wasser läuft ihr in die Augen, und sie muss blinzeln, um überhaupt etwas sehen zu können. Ihre Tränen sind versiegt und haben allgemeiner Trostlosigkeit Platz gemacht.
Als sie gerade den Haustürschlüssel ins Schloss steckt, wird hinter ihr eine Autotür zuschlagen, und kurz darauf hörte sie Schritte, die näher kommen.
Gereizt dreht sie sich um, sie ist im Augenblick trotz ihres desolaten Zustands durchaus in der Lage, jedem Verfolger in irgend etwas zu treten, falls er ihr zu nahe kommen sollte.
Samstag ganz spät am Abend – Bekenntnisse
Sie holt tief Luft, als sie erkennt, wer da hinter ihr steht.
Es ist Chris.
„Was willst du hier?“ fragt sie, und ihre Mundwinkel zittern wieder.
„Ich hab’ doch gesagt, dass ich komme. Wo warst du? Und was ist eigentlich los?“
„Ich muss mit dir reden“, sagt Irma kraftlos und schließt die Tür auf. Chris folgt ihr und geht wortlos ins Wohnzimmer.
Irma holt sich ein Handtuch aus dem Bad und frottiert ihre Haare, damit sie wenigstens wieder gucken kann. Dann schlendert sie ganz langsam ins Schlafzimmer, knöpft umständlich das nasse Kleid auf und lässt es zu Boden fallen. Die aufgeweichten Stoffturnschuhe sind schwerer loszuwerden, und ihre langen nassen Senkel lassen sich kaum lockern. Dadurch gewinnt sie viel Zeit, und das ist gut. Aber die aufregenden roten Dessous, die jetzt ekelhaft nasskalt an ihrem Körper kleben, wird sie schnell los. Zu schnell…
Ihre Augen sind immer noch nass, obwohl sie sich die Haare frottiert hat. Oder sind sie wieder nass? Irma beißt sich auf die Lippen.
Sie öffnet den Kleiderschrank und greift wahllos hinein. Ein Slip, ein weites graues T-Shirt und bequeme Jazz Pants... Sie zieht sich schnell an – sie hat Angst, Chris könnte hereinkommen und sie nackt und verletzlich sehen, und das will sie nicht.
Dann verlässt sie nach kurzem Zögern das Schlafzimmer. Es muss sein, obwohl sie sich davor fürchtet.
Sie geht ins Wohnzimmer, wo Chris am Fenster steht und sie erstaunt anblickt, als sie sich auf den Sessel setzt und nicht auf das Sofa wie normalerweise. Irma schaut nach unten und betrachtet ratlos ihre nackten Füße. Sie sehen so aufgeweicht aus.
„Was ist los, Irma?“
Irma stöhnt auf und hält sich die Hände vors Gesicht. Es ist so weit. Und so schnell, es gibt keine Schonfrist mehr. Sie will es eigentlich ja gar nicht, aber es muss wohl sein – und es wird weh tun.
„Ich kann das nicht mehr!“ sagt sie.
„Ja was denn?“ Seine Stimme klingt bestürzt.
„Das was wir machen.“ Irma spricht zuerst stockend, aber dann bricht es aus ihr heraus: „Es ist nicht gut für mich. Ich gehe kaputt dabei. Ich habe gedacht, es geht, aber jetzt weiß ich, ohne Gefühle ist das alles nichts!“
Er starrt sie betroffen an und sagt dann: „Du willst also Schluss mit mir machen?“
„Schluss machen?“ murmelt sie mit gesenktem Kopf vor sich hin. „Nicht wirklich. Es hat ja nie richtig angefangen. Wie kann man da Schluss machen? Aber ist ja auch egal, von mir aus will ich Schluss machen. Ich will anders leben, ich möchte, dass mich irgendwann jemand richtig liebt...“ Sie macht eine Pause und redet dann schnell weiter: „Und ich möchte, dass ich auch jemanden richtig lieben kann. Und ich will ihm vor allem vertrauen können.“ Sie blickt kurz von ihren Füßen weg und zu Chris hin, und sie kann es kaum ertragen, aber trotzdem muss sie ihn anschauen.
Wieder kommen ihr die Tränen, und sie versucht krampfhaft, sie zurück zu halten. „Das alles kann ich bei dir nicht.“ stößt sie endlich mühsam hervor.
Chris sagt eine ganze Weile nichts. Er sieht fassungslos aus, und so kennt sie ihn gar nicht. Dann fängt er leise an zu reden.
„Ich kann dich verstehen. Und wenn du meinst, es geht nicht, dann muss ich das akzeptieren. Aber bevor ich gehe, möchte ich dir eine Geschichte erzählen.“
„Warum?“ fragt Irma gequält. Er soll besser sofort gehen, sonst wird sie es sich noch anders überlegen.
„Du solltest es wissen.“ Auch Chris’ Stimme klingt gequält, während er nervös hin und her läuft.
Irma schließt wieder die Augen. Sie will ihn nicht sehen, denn wenn sie ihn sieht, wird sie vielleicht schwach werden.
„Es war einmal ein Mann, der hatte einiges erlebt. Er war ziemlich arrogant und bildete sich eine Menge darauf ein, wie gut er die Frauen kannte. Er wusste, wie man sie anmacht und hatte immer Erfolg damit. Aber irgendwann machte es ihm keinen richtigen Spaß mehr, alles war schal geworden, alles war berechenbar, alles war immer gleich... Er verspürte instinktiv den Wunsch, sein Leben zu ändern, aber er hatte absolut keine Ahnung, wie er das tun sollte. Also machte er weiter wie bisher.“
Irma hört seine Worte, aber sie ergeben keinen Sinn.
„Dann eines Nachts sah er in einer Kneipe eine junge Frau, die ihn irgendwie faszinierte. Sie stand ganz alleine an der Tanzfläche und war in Gedanken versunken. Frisch getrennt, stellte er automatisch fest, denn mit Beziehungen kannte er sich gut aus, obwohl er dabei immer nur Zuschauer gewesen war. Diese Frau fühlte sich einsam und sehnte sich mit Sicherheit nach ein bisschen männlicher Gesellschaft. Und natürlich nach mehr... Sie war die ideale Beute.
Und tatsächlich ließ sie sich ohne weiteres von ihm ansprechen. Er entdeckte belustigt, dass er sich sehr von ihr angezogen fühlte, sie war interessant und witzig, sie war so überaus lebendig – und sie lachten beide über die gleichen Sachen...
Man ging zu ihr nach Hause, und dann kam der Schlag: Auf ihrem Türschild stand noch ein anderer Name, ein Männername. Das ärgerte ihn maßlos, und er war schockiert über sich selber. Normalerweise war es ihm egal, wenn seine Eroberungen mit anderen Männern liiert waren, er fand es sogar bequemer, denn dann würden sie ihm nicht hinterherlaufen. Und aus dem gleichen Grund nahm er auch generell keine Frau in seine Wohnung mit.
Aber dieses Mal war er unglaublich sauer. Das verdammte Türschild ging ihm nicht aus dem Sinn und diktierte sein Verhalten. Er verhielt sich daraufhin wie der Arsch, der er eigentlich war und der sie nur ins Bett kriegen wollte, um danach abzuhauen, ohne sich jemals wieder bei ihr zu melden.“
Irma hört zerstreut zu, es kommt ihr vage bekannt vor, bis auf das Türschild. Was hat er mit dem Türschild? Aber das ist jetzt egal, er wird bald aus ihrem Leben verschwinden. Wie wird es wohl sein, wenn er nicht mehr da ist? Trostlos wahrscheinlich und öde.
Wieso hat sie sich noch nie Gedanken darüber gemacht, dass es einmal aus sein könnte? Nein, sie war so stur, sie hat ihr Ding durchgezogen auf Teufel komm raus. Vielleicht wenn sie ein bisschen netter zu ihm gewesen wäre... Ach Irma, das ist doch jetzt egal, es ist gelaufen, und es ist nicht mehr zu ändern.
„Sie warf ihn tatsächlich hinaus... Er war stinksauer! Keine Frau hatte ihn jemals hinausgeworfen, keine Frau hatte ihn jemals so in Rage gebracht. Und er schwor sich, ihr das heimzuzahlen. Er wusste nur nicht, wie und wann.
Ein paar Wochen später kam die Gelegenheit. Er war leicht für ihn, auf die Party eingeladen zu werden, zu der sie auch kommen würde.
Und dieses Mal ging es. Er schlief mit ihr, und es war grandios. Es lief ohne jede Zärtlichkeit ab, er wollte es so, und anscheinend wollte sie es auch so. Aber ihre Leidenschaft und Hingabe waren auch ohne jede Zärtlichkeit überwältigend.“ Er macht eine Pause und sieht nachdenklich aus dem Fenster, bevor er weiterspricht.
„Er dachte, die Sache wäre erledigt. Er hatte sie gekriegt, es musste erledigt sein! Aber es war wohl doch nicht erledigt, er war immer noch wütend auf sie. Er rief sie an, und sie landeten wieder im Bett. Wieder lief es fantastisch, und man traf sich danach einmal in der Woche. Nicht mehr aber auch nicht weniger, wie er dachte.
Und er empfand immer noch dieses sonderbare Gefühl, diese Mischung aus Zorn und etwas Unbekanntem. Und dieses Türschild mit dem Männernamen neben ihrem, das machte ihn einfach fertig. Immer wenn er es sah, durchzuckte ihn etwas, er wusste nicht, wie er es nennen sollte. Und wieso trafen sie sich meistens in seiner Wohnung? Was trieb sie so? War sie immer noch mit dem Typen zusammen? Wohnte er etwa noch bei ihr? Und diese Gedanken machten ihn so zornig, dass er diesen Zorn durch andere Frauen auslöschen wollte. Aber er tat es nicht. Er konnte es nicht. Er wollte nur sie, sie war die einzige Frau, die ihn beschäftigte, er wollte sie demütigen, sie sollte sich ihn verlieben, dann wäre alles vorbei und er könnte abhauen und sein altes Leben wieder aufnehmen, diese Mischung aus Freiheit, sehr viel Egoismus und unverbindlichem Sex...
Er war wirklich verrückt, dieser Mann, vollkommen durchgeknallt und so absolut auf sein dämliches kleines Ich bezogen, so rachsüchtig und so blind...“ Chris stöhnt unmerklich auf und schüttelt den Kopf, bevor er mit seiner seltsamen Erzählung fortfährt.
„Aber natürlich verliebte sie sich nicht in ihn... Und der Zorn, den er am Anfang gespürt hatte, der verschwand irgendwann. Zurück blieb eine Mischung aus Schmerz, Begehren und Verwirrung. Und so etwas hatte er noch nie gefühlt.“ Chris lässt sich langsam auf das Sofa fallen. Er schaut Irma nicht an, als er stockend weiter spricht.
„Und allmählich fing er an, etwas zu vermissen. Er stellte sich vor, wie es wohl wäre, wenn diese Schranke zwischen ihnen fallen würde. Und er wünschte sich, dass sie ihn brauchte, nicht nur im Bett. Dass sie ihn einfach mal küssen würde, einfach nur so. Dass sie ihn um Rat fragen oder ihm von ihren Problemen erzählen würde.
Er wünschte sich, dass sie ihn liebte. Aber warum?
Die Erkenntnis war schwer, aber irgendwann hatte er kapiert, was mit ihm los war. Sie war viel mehr für ihn als nur eine Bettsache. Es war eine vollkommen neue Erfahrung für ihn, und es tat weh... Er hatte bis jetzt nicht gewusst, wie weh Liebe tun konnte. Das gab es nur bei anderen, aber doch nicht bei ihm. Und er hatte Angst, es ihr zu sagen. Hatte Angst vor ihrem Spott und ihrer Zurückweisung...“
Was erzählt er da überhaupt? Doch nicht von ihr? Das kann nicht sein. Irma wirft einen verstohlenen Blick auf ihn. Er schaut zerstreut auf seine Hände und bewegt sie nervös. Er sieht unglücklich aus, und sie verspürt den brennenden Wunsch, ihn zu trösten. Er greift sich unbehaglich an seinen Nacken, er hat immer Probleme mit seiner Nackenmuskulatur, es kommt von seiner Größe, und wieder verspürt sie den Wunsch, ihn zu trösten, ihn sanft zu massieren und seinen Schmerz wegzuküssen, aber sie traut sich nicht.
„Er gab ihr die Schlüssel von seiner Wohnung in der Hoffnung, sie würde einfach mal vorbeischauen oder vielleicht schon da sein, wenn er nach Hause kam. Aber natürlich benutzte sie die Schlüssel nicht. Nichts änderte sich, alles stagnierte, und er fühlte, dass er dabei war, sie aufzugeben, denn so konnte er nicht weitermachen. Er kam sich vor wie eine gut geölte Maschine, die ihr die körperlichen Freuden verschaffte, die sie von ihm haben wollte. Was anders wollte sie wohl nicht von ihm. Und das konnte er auf Dauer nicht ertragen...“
Irma hört mittlerweile gebannt zu. Er will sie bestimmt veräppeln, was anderes ist nicht möglich. Es kann nicht sein, dass er sich benutzt fühlt. So ein Blödsinn! Er hat ja keine Ahnung...
„Aber eines Tages ergab sich die Gelegenheit, längere Zeit mit ihr zu verbringen. Ein ganzes Wochenende! Und er hegte die irrsinnige Hoffnung, dass sich etwas ändern würde.
Aber der Zeitpunkt war absolut schlecht. Sein Vater war kurz vorher ins Krankenhaus eingeliefert worden, er machte sich große Sorgen um ihn und war nicht ganz bei der Sache. Trotzdem genoss er die Zeit mit ihr, obwohl sie ihn fast zur Weißglut trieb. Er ließ sich sogar dazu hinreißen, ihr weh zu tun. Was für ein Idiot er doch war!“ Chris schüttelt wieder den Kopf. Dann spricht er hastig weiter, als ob er zum Ende kommen will.
„Er hatte seiner Schwester ihre Telefonnummer gegeben für den Notfall. Und tatsächlich rief Irene an, sein Vater war notoperiert worden, und er wollte schauen, wie es seinem alten Herrn so ging. Tja... Und als er davon zurückkam, da machte sie Schluss mit ihm.“
Chris erhebt sich langsam. Er schaut sie einen kurzen Moment lang fragend an, und es sieht aus, als will er noch etwas sagen. Aber er sagt nichts. Dann strafft sich seine Gestalt, und er geht. Hinter ihm fällt die Wohnungstür leise ins Schloss.
Er ist weg. Irma fühlt sich wie gelähmt. Seltsam, sie besitzt einen Schlüssel von ihm, sie hat ihn natürlich nie benutzt, hat Angst gehabt, irgendwo reinzuplatzen, hat Angst gehabt vor seinem spöttischen Grinsen, wenn sie sehen würde, wie er mit einer anderen... Scheiße, Scheiße, Scheiße! Der Schlüssel! Sie hat den Schlüssel. Und es ist der Schlüssel zu ihm.
Vielleicht hat sein Freund Sigi sie deswegen so merkwürdig angeglotzt, weil er kaum eine andere Frau mit zu sich nach Hause genommen hat. Ist sie vielleicht die erste, die öfter...
Das ist unmöglich! Aber wenn doch? Und sein Verhalten an diesem Wochenende... Er wollte gar nicht gewinnen, und er wollte auch nicht, dass sie gewann. Wollte er einfach nur mit ihr zusammen sein? Und dieses Reizwort Irene, die Frau, die bei ihr angerufen hat. Chris mag keine Handys und er hat auch keins. Wenn das wirklich stimmt, wenn sie seine Schwester ist und sein Vater krank ist? Kann es wirklich sein? Mühsam bringt sie alles in einen Zusammenhang.
Was muss es ihn gekostet haben, ihr das zu sagen. Bei seinem ausgeprägten Stolz. Und was hat sie ihm eigentlich erzählt? Nichts über ihre Gefühle, sondern nur blödes hochtrabendes Zeug über ihre gekränkte Eitelkeit. Sie hat nichts zugegeben, ist stur wie immer gewesen bis zum letzten Augenblick. Sie ist ja so... feige! Während er alles gesagt hat, was er wohl fühlt. Fühlt er das wirklich? Wenn ja, oh Gott! Er mag sie, und sie hat alles kaputt gemacht. Sie ist furchtbar, sie ist grausam, sie ist total bescheuert. Wie muss er sich gefühlt haben an diesem Wochenende, mit dem Vater im Krankenhaus und einer Verrückten, die ihn folterte.
„Chris! Warte!“ ruft sie und springt auf. Sie stößt mit dem nackten Fuß ans Tischbein, aber sie spürt den Schmerz nicht.
Irgendwann zwischen Ende und Anfang:
Wo zum Geier war sein Auto? Irma befiel eine mittelschwere Panik. Es standen so viele parkende Autos auf der Straße, und im Dunkeln und im Regen sahen die alle gleich aus. Oder war er schon weg? Bitte nicht! Dann hörte sie, wie ein Motor angelassen wurde, sah Scheinwerfer aufleuchten. Das musste er sein! Und sie rannte drauf los.
Sie drängte sich an die Beifahrertür und klopfte heftig an die Scheibe. Mach’ die Tür auf, mach’ bitte die Tür auf, dachte sie.
Er schaute zu ihr hin – er schien überhaupt nicht überrascht zu sein, sie zu sehen – dann beugte er sich herüber und öffnete die Tür. Sie stieg ins Auto und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen.
„Die Tür war offen!“ sagte er und stellte den Motor ab.
„Oh...“ Irma kam sich ein bisschen blöd vor.
„Und was willst du?“ fragte er. Seine Stimme klang nicht gerade begeistert, und Irma starrte ihn an. Fast kamen ihr wieder die Tränen. Was sollte sie tun, irgendetwas musste sie sagen…
„Ich will nicht, dass du gehst“, brachte sie schließlich mühsam hervor. Sie zog ihre Beine hoch und umschlang sie mit den Armen. Ihr rechter kleiner Zeh tat weh.
„Ach! Und WARUM willst du das nicht?“
Himmeldonnerwetternochmal, er wollte sie wohl quälen.
„Ich wwweiß jetzt, dass…“ stammelte sie und brach mitten im Satz ab. Sie konnte es einfach nicht sagen. Warum eigentlich nicht? Beim Sex mit ihm hatte sie schon soviel schweinische Sachen von sich gegeben, und das mit den Gefühlen brachte sie nicht über die Lippen?
„Du musst es mir schon sagen.“ Chris schaute sie forschend an. „Warum willst du nicht, dass ich gehe?“
„Weil ich… Weil...“ Nein, es ging nicht! Sie sah ihn hilflos an. Er hatte den Blick von ihr abgewendet und schaute auf die Straße. Was war los mit ihm, hatte er sie etwa verarscht? Hastig wanderten ihre Gedanken zurück, und ihr fiel ein, dass er nur über eine dritte Person erzählt hatte, von ihm selbst war nie die Rede gewesen. Das Blut schoss ihr in die Wangen, und sie saß da wie gelähmt. Er hatte ihr ein Märchen erzählt. Und sie war drauf reingefallen!
Sie schüttelte ihre Lähmung ab und sah ihn empört an. Alles war gelogen! Und was machte sie überhaupt hier? Antwort: Sie rannte einem Kerl hinterher, der sie nicht haben wollte. Verunsichert drückte sie den Türgriff hinunter. Sollte sie aussteigen? Eigentlich wollte sie es ja nicht, aber es blieb ihr nichts anderes übrig.
Sie hatte schon einen Fuß auf der Straße, da fühlte sie, wie jemand sie am T-Shirt festhielt und fast im gleichen Augenblick befand sie wieder im Auto.
„Was zum Teufel...“
„Ach halt die Klappe, Irma“, sagte Chris überaus frech – und nahm sie in seine Arme.
Irma war so geschockt durch seine unerwartete Nähe, dass sie es sich gefallen ließ. Und es war angenehm, sehr angenehm. Sie legte den Kopf an seine Schulter und atmete seinen Geruch ein, während er beruhigend ihren Rücken streichelte, als wäre sie eine aufgebrachte Katze. Und tatsächlich fühlte sie, wie ihr Zorn sich legte. Sie war hier, sie war bei Chris, und alles andere war egal. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn zärtlich, auf die Augen, auf die Nase und dann auf den Mund. Vielleicht konnte sie ihm ja so zeigen, was sie für ihn empfand.
„Du bist ganz schön stur, gelle?“ Chris schob sie von sich.
„Was, wie...“ Er sollte sie wieder in den Arm nehmen.
„Na sag’ schon, dass du mich magst.“
Seine Hände wanderten unter ihr dünnes T-Shirt – und sie fing an zu zittern und versuchte, ihm noch näher zu kommen.
„Ich hab’s kaum ausgehalten ohne dich...“ Chris’ Stimme klang rau. Er schob ihr T-Shirt hoch und fing an, ihre Brüste zu küssen.
„Ich auch nicht“, keuchte Irma. Ihr Körper wand sich unter seinen Lippen, und sie konnte kaum sprechen. „Und verdammt noch mal, ich mag dich, du Blödmann, ja, ich mag’ dich...“ stieß sie hervor.
„Gut! Dann sollten wir jetzt besser reingehen, sonst breche ich mir noch das Kreuz.“
„Du bist ja schon ein alter Mann, aber ich mag dich trotzdem.“
„Und du bist wirklich ein unverschämtes Weib, ich weiß nicht, was ich an dir finde...“
„Weiß ich auch nicht. Vielleicht weil ich verrückt... nach dir... bin?“
„Ach ja? Du bist verrückt nach mir? Danach etwa?“ Chris ließ seine Zunge langsam tiefer über ihre samtweiche Haut gleiten, während seine Hände ihre Brüste streichelten.
„Danach, ja...“ Irma stöhnte auf. „Aber nicht nur...“
„Dann bin ich ja beruhigt!“ Chris ließ sie los.
Irma sah ihn entsetzt an. Was würde er tun? Schluss machen?
Er stieg aus, ging um das Auto herum und öffnete die Beifahrertür für sie. Das hatte er noch nie getan. Irma kletterte sprachlos aus dem Wagen, aber schon beim ersten Schritt tat der kleine Zeh furchtbar weh, und sie fing an zu humpeln.
Chris schaute sich das ein paar Sekunden lang an, dann hievte er sich Irma kurzentschlossen über die Schulter. „Als erstes werden wir mal deinen Fuß verarzten“, sagte er. „Und dann...“
„Ja was denn?“ Irma machte große Augen.
„Dann werde ich dich...“
Oh nein, nicht das, Irma musste automatisch an die verflixte Nacht denken, als sie ihn zum ersten Mal traf. Jedes Wort hatte sie in Erinnerung behalten, und jedes Wort hatte weh getan...
„Lass’ uns ins Bett gehen“, er deutete lässig mit der Hand in Richtung Schlafzimmer.
„Nein, will ich nicht!“ sagte sie heftig. Eigentlich wollte sie ja doch, aber nicht so. Es sollte schon ein bisschen netter ablaufen...
„Stell’ dich nicht so an!“ Bei diesen Worten grinste er böse. „Letztens bin ich mit der Freundin eines Kollegen ins Bett gegangen, und hinterher habe ich den Arm um sie gelegt, und sie hat mir von ihren Problemen erzählt...“
„Ich hab’ aber keine Probleme, und außerdem wäre es sowieso viel zu gefährlich für dich, mit mir zu schlafen!“
„Und wieso bitte?“ Seine Stimme klang amüsiert.
„Jeder Mann, der mit mir schläft, verliebt sich in mich.“ Er glotzte sie daraufhin ungläubig an und schnaubte verächtlich.
Bis zu diesem Moment hatte sie immer noch seine Hände um ihre Taille gespürt, es war ein gutes Gefühl, aber nun ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. Konnte man sich in ein paar Stunden so an den Körper eines Mannes gewöhnen? Das war doch nicht normal! „Und außerdem“, ihr Mund wollte nicht aufhören, Blödsinn zu reden, „bin ich sowieso frigide!“ Das war wohl ein wenig zuviel für ihn, denn er fing an zu lachen und konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen.
Bis ihr schließlich der Kragen platzte und sie ihn anblaffte: „Wenn du’s nicht glaubst, dann kannst du ja abhauen!“
„Natürlich glaube ich das nicht“, sagte er gefährlich ruhig, und seine Augen glitzerten irgendwie. „Aber ich kann dir ja mal zeigen, wie das geht. Ich werde dich lecken, bis du mich anflehst, dich zu…“
„Halt’ die Klappe! Halt’ ja die Klappe!“ Sie hörte ihre Stimme wie durch einen Nebel hindurch, sie klang laut und hysterisch. Aber noch schlimmer war, sie stellte es sich vor, wie er sie zuerst leckte und dann, na ja... Und es machte sie an!
Kurz danach warf sie ihn hinaus.
„...dich küssen, dich einfach nur festhalten, es sei denn, du willst etwas anderes...“ Seine Stimme klang so zärtlich, und Irma atmete erleichtert auf.
„Ich muss dir noch was sagen, Chris.“
„Ja was denn, Haselmaus?“
„Ich bin überhaupt nicht frigide...“
„Das ist aber jetzt eine Überraschung!“, Chris lachte, während er sie über die Schwelle trug, und Irma kam sich vor wie eine Braut. Ein bisschen jedenfalls...
ENDE
(na ja, nicht direkt Ende, ich habe auch darüber geschrieben, wie sie sich kennenlernten, und wie es nach der Wette weiterging)
Texte: Titelbild in Öl gemalt nach einem Cover von Genesis
Text © Alias.I
Tag der Veröffentlichung: 20.10.2009
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