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Wofür lohnt es sich denn zu leben? Zu sterben? Zu kämpfen?
Nur für die Liebe! Alles andere ist nichts dagegen.
Reichtum, Erfolg, Macht, all das ist nicht wichtig.
Nur für die Liebe lohnt es sich, zu leben, zu sterben und zu kämpfen.

NA ALSO! Ist das nicht schön? Ist das nicht reich? Sind das nicht gewaltige universelle Worte? Wer hätte gedacht, dass sie aus einer Seifenoper stammen, genauer gesagt aus der erfolgreichsten Seifenoper der letzten Jahre. Ich bin süchtig danach. Tschuldigung, aber ich hab’ mir das Rauchen abgewöhnt und kann mir ja wohl so eine klitzekleine Sucht leisten...

...Leider aber muss ich tagsüber arbeiten, und leider kommt diese Soap morgens um elf Uhr auf dem ZDF (genau, auf dem Oldie-Kanal – Traumschiff, Wetten dass und so weiter), und ich muss sie immer mit dem Videorekorder aufnehmen. Übrigens der einzige Grund, diesen Videorekorder am Leben zu erhalten.
Das Aufnehmen der Folgen kann natürlich auch in die Hose gehen, denn wenn man den falschen Tag oder sonst irgendeinen Mist einprogrammiert hat, dann steht man ziemlich blöde da nach der Vorfreude.
Doch noch schlimmer sind die Tage, an denen man alles richtig gemacht hat und dann nach Hause kommt und feststellt: Das Zweite hat nicht ‚Reich und schön’ gesendet, sondern elendig nervigen Skilanglauf oder die Verabschiedung eines Bundesverfassungsrichters, der in Pension gegangen ist. Wen zum Teufel soll das interessieren? Jedenfalls nicht mich und meine Arbeitskollegin, mit der ich immer tief philosophische Unterhaltungen über ‚Reich und schön’ führe...

„Äääh, hast du gestern geguckt?“
„Also, ich bin zwar keine Ärztin“, meine Arbeitskollegin war sofort im Bilde, „aber das glaub’ ich einfach nicht! Ein zehnminütiges Koma? Danach muss man doch schwer hirngeschädigt sein. Falls man überhaupt noch mal aufwacht...“
Klar doch, jeder andere wäre vielleicht schwer hirngeschädigt nach solch einer Tortur, aber nicht unsere Leute aus ‚Reich und schön’. Die sind hart im Nehmen.
„Geeenau!“ Natürlich pflichtete ich ihr bei, und wir schwiegen beide ein Weilchen vor uns hin.
„Hast du übrigens gesehen, wie Taylor aus ihrem Körper herauskam und sich selber von oben sah? Oh Gott nein! Was sollte das denn?“ Meine Arbeitskollegin schüttelte sich unwillig, aber trotzdem sahen ihre Augen irgendwie feucht aus.
„War ziemlich unglaubhaft“, musste ich zugeben, während auch ich ein bisschen mit den Tränen kämpfte.
„Sie kam zurück!“ Meine Arbeitskollegin schaute mich entrüstet an. „Da hab’ ich doch tatsächlich umsonst geflennt...“
„Absolute Verarsche ist das! Ich glaub’, ich hab’ die Nase voll“, sagte ich grimmig. „Es muss ein Ende haben, ich guck’ mir das nicht mehr länger an!“
„Ich mir auch nicht!“
Während wir beide grübelnd vor uns hinschwiegen, wuchs in mir der Vorsatz, es am nächsten Tag auf jeden Fall wieder aufzunehmen, der letzte Entzug war einfach entsetzlich gewesen. Und noch ein verpasster Teil – kaum auszudenken!
Aber am nächsten Tag war es wieder in die Hose gegangen, ich musste mir anschauen, wie die neue konservative Oberste Verfassungsrichterin ihre Einführungsrede hielt, mein Frust wuchs ins Unermessliche, und ich empfand das Gefühl eines grauenhaften geistigen und gefühlsmäßigen Mangels.

Als Ersatz griff ich mir DAS Buch. Ich hatte es vor einem Monat als preisreduzierte Remittende erstanden. Es handelte sich um ein ziemlich dickes Buch, hübsch anzuschauen mit seinem in rotem Kunstleder und Gold geprägten Einband. Es sah überaus wertvoll und vor allem nach geballter Literatur aus.
Das letzte Buch, das ich gelesen hatte, war von einem amerikanischen Schriftsteller gewesen, er hieß so ähnlich wie Henry James Jones Grace Smith – ein Name ebenso amerikanisch wie nichtssagend. Dieses Buch hatte mir überhaupt nicht gefallen. Schriftsteller sind seltsame Wesen, und gut, jeder schreibt vielleicht über diverse Probleme, aber was manche sich dabei leisten, geht über jede Hutschnur. Ich (irgendwie weiblich) versuche ja wenigstens, die Leute ein bisschen zu amüsieren, während ich ihnen klammheimlich meine Probleme unterjubele, aber andere kennen wohl keinerlei Grenzen. Am schlimmsten finde ich es, wenn sich ein männlicher Schriftsteller in Frauen hineinversetzt. Was für Unterstellungen, was für krause Ansichten! Was für ein Müll!
Ich glaube, das Buch von diesem Henry James Jones Grace Smith hieß: ‚Verdammt sind sie alle’. Unter anderem kam darin eine vierzigjährige Frau vor, die ihr Jungfernhäutchen noch hatte (ich glaube, das ist so eine fixe Idee von Männern) und die absolut nicht wusste, wie sie es loswerden konnte. Klar doch, wer so etwas schreibt, der ist wirklich verdammt.

Aber nun wieder zu meiner preisreduzierten Remittende, zu meinem kostbar in Kunstleder und Gold geprägten Buch, das mich so verheißungsvoll anschaute. Das Buch hieß ‚Lucien Leuwen’ – verfasst von einem gewissen Stendhal. Genüsslich öffnete ich es und fing respektvoll an zu lesen.

Upps! Die so genannte Einführung war fünfunddreißig Seiten lang. Danach kamen das erste, das zweite und das dritte Vorwort, vom Autor selber geschrieben (drei Seiten).
Dann wurde kurz Lord Byron (geiler Typ und irgendwie Gothic) zitiert:
‚In Paris lebte einst eine Familie, die von ihrem Oberhaupt, das viel Geist hatte und obendrein zu gebieten verstand, vor gemeinen Ideen bewahrt worden war.’


Häääh! WAS? Gemeine Ideen? Musste ich das verstehen? Hatte ich vielleicht den falschen Byron erwischt, keine Spur von Gothic in dieser Aussage. Na gut, also weiter...
Und wieder kam ein Wort vom Autor selber, diesmal an den ‚Wohlwollenden Leser’, gerichtet, in dem er diesen vor dem warnte, was kommen würde.
Natürlich nahm ich seine wohlgemeinten Warnungen nicht ernst und las trotzdem weiter.
Okay... Es ging dann tatsächlich los mit 810 (in Worten achthundertzehn) Seiten geballter ‚Handlung’, und danach folgte noch ein kleiner Anhang von circa elf Seiten, wieder an den ‚Wohlwollenden Leser’ gerichtet, in dem Stendhal ein paar sogenannte Skizzen, Bruchstücke und Testamente zum Besten gab und irgendein anderer Typ noch seinen Senf zu den Skizzen, Bruchstücken und Testamenten sowie zu anderen Romanen von Stendhal abgeben musste.
Danach kamen Anmerkungen zu Fußnoten, die den Rahmen der Seiten gesprengt hätten, wären sie jeweils unten auf der entsprechenden Seite erschienen.
Dies alles nahm wieder uninteressante fünfunddreißig Seiten in Anspruch.
Und ganz zum Schluss erschien noch ein kleines Nachwort des Herausgebers, weil der auch noch unbedingt seine Meinung kundtun musste – zum Glück war es nur eine schlappe Seite lang.

Aber um was zum Teufel ging es überhaupt? Also zur Handlung:

Es spielt in Frankreich unter irgendeinem Napoleon. Nein, es ist nicht DER Napoleon, sondern ein späterer. Lucien, ein junger Mann aus Paris und aus sogenannten guten Verhältnissen verliebt sich in eine junge rotblonde Witwe. Leider kommt nichts dabei herum, weil der feige Sack im entscheidenden Augenblick einen Rückzieher macht.
Danach geht er in die Politik.

Na super, das war schon alles! Nicht unbedingt das, wovon ein Mädchenherz so träumt, aber ich habe durchgehalten und den ganzen Roman gelesen „Laaangweilig!“, stöhnte ich öfter vor mich hin wie ein gewisser Homer Simpson. Dennoch habe ich sehr viel gelernt aus diesem Buch. Danke Stendhal! Ich hoffe nämlich sehr, dass ich meine eigenen Leser nicht so langweile wie Stendhal mich gelangweilt hat. Klar, mein Geschreibsel ist bestimmt nicht so künstlerisch wertvoll wie seins, aber dafür auch nicht mit so vielen Vorworten, Nachrufen, Registern, Fußnoten, Appellen an den wohlwollenden Leser und sonstigem Firlefanz gespickt.
Und ‚Reich und schön’ ist gar nicht so übel. Zumindest hat es keinen literarischen Anspruch. Die Handlung ist zwar ähnlich unergiebig wie bei Stendhal und bei Henry James Jones Grace Smith, aber es gibt Kombinationen bei den Liebespaaren, da schlackert man mit den Ohren. Außerdem geschehen dort Wunder! Und wer wünscht sich das nicht?

„Weißt du eigentlich, dass Taylor demnächst wiederbelebt wird?“ Diese Information hatte ich im Internet gelesen, und ich wollte meine Arbeitskollegin ein bisschen damit schocken.
„NEIN, das kann nicht sein! Ich hab’ doch gesehen, wie sie beerdigt wurde!“
„Es gibt mehr im TV, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt...“, sagte ich kryptisch.


ENDE, ja wirklich Ende, die Verfasserin ist mittlerweile suchtfrei, könnte es daher kommen, dass ‚Reich und schön’ nicht mehr gesendet wird?

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.09.2009

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