Tödliche Eifersucht
Ich bekam einen Anruf, in dem mir gesagt wurde, ich solle schnellst möglich zum St Andrew's Hospital kommen. Es war an einem Samstag, an dem Dima und Sean ihre Tante, K.B, in Russland besuchten. Die beiden nannten sie immer so und ich fragte mich wie sie wirklich hieß. Sie würden also so schnell nicht wiederkommen. Ich war wie gesagt alleine und musste damit irgendwie zurechtkommen. Zwar hatte ich Sean angerufen, weil Claire, seine Freundin, im Krankenhaus lag aber an sein Handy ging nur die Mailbox.
Claire. Die gutherzige und dazu noch schlagfertig Claire. Ich fuhr zu ihr, um zu sehen wie es ihr ging. Doch als ich ankam, wurde mir nur gesagt ich könne sie nicht besuchen gehen, da sie noch immer in Lebensgefahr schwebe. Völlig kaputt wartete ich im Wartezimmer und beschloss erst wieder zu gehen, wenn sie Stabil genug sein würde. Wenn …
Ich wollte nicht mehr daran denken, deshalb ging ich zu einem Automaten und holte mir einen heißen Kakao. Er schmeckte bitter und verbrannte mir leicht die Zunge. Dennoch spürte ich nichts. Es war, als wäre ich gelähmt. Danach setze ich mich an einen Tisch, der nicht Weit vom Wartezimmer entfernt war und schluckte weiterhin den ekligen Geschmack der Brühe herunter. Zwar knarrte und quietschte der viereckige Tisch, der an einer Wand stand und wo darüber ein kunstloses Bild hing aber es machte mir nichts aus. Geschockte Menschen realisieren es zwar, können aber eh nichts dagegen tun. Jemand setze sich an den Tisch und sofort wusste ich, was wieder da war. Dieses Gefühl der Angst. Mein Blick wanderte hoch, bis ich in ein Gesicht von einem jungen Mädchen schaute. Aleksandra saß mir gegenüber und ihr Gesicht verriet mir, das sie Bescheid wusste. Über alles, vielleicht wusste sie sogar mehr als ich. Die Tatsache, das sie bis über beide Ohren grinste, machte es nicht gerade besser. „Was willst du hier?!“, knurrte ich unter zusammengebissenen Zähnen hervor und stach sie mit meinem Blick nieder. Sie rührte sich nicht, schaute kühl von einer in die andere Richtung und blieb bei mir wieder stehen. Ihre Lippen formten zuerst einen Kuss-Mund, dann setzte sie an. „Meine Tat zu Ende bringen, was denn sonst?“ übrig blieb ein schäbiges grinsen, welches bei mir einen Würgereiz hervor brachte. Ich legte meine Hände auf den Tisch und schaute sie nur an. Zu mehr war ich nicht imstande, auch wenn ich ihr am liebsten selbst irgendetwas angetan hätte. Meine Vernunft überrumpelte mich und so kam es das wir uns schweigend gegenüber saßen und nichts taten, bis sich ihre Hand auf die meine legte. „Du wolltest ja nicht, jetzt wirst du sehen was du davon hast …“, mehr sagte sie nicht, stand auf und ging weg. Ich atmete langsam aus und versuchte mich wieder zu fangen. „Ist hier ein Angehöriger von Claire Heaton?“ hallte es plötzlich hinter mir und durch bloßen Reflex stand ich auf. „Ja, hier. Ich bin ein Freund von Claire. Aaron Wood“, sagte ich mit zittriger Stimme und versuchte vergeblich ruhig zu wirken. Ein Mann in einem Weißen Kittel kam zu mir und schüttelte meine feuchte Hand. Er hatte kein Namensschild oder etwas ähnliches, worauf ich seinen Namen beziehen konnte aber zumindest erzählte er mir etwas über Claire:„Mrs. Heaton scheint im Moment stabil zu sein. Sie wird höchstwahrscheinlich durchkommen, wenn alles gut läuft. Es steht aber noch eine Operation bevor. Natürlich nur, wenn es schlechter wird. Falls es nicht der Fall ist, kann sie auch schon morgen entlassen werden. Es kommt ganz auf ihren Zustand an und das sie ja genügend Ruhe bekommt.“ Der Arzt schaute noch mal in Claires Akte und lächelte. Ich runzelte die Stirn. Fragend spähte ich in seine Unterlagen, konnte jedoch nichts entdecken. „Was ist denn passiert?“ wollte ich noch wissen und achtete auf sein Gesicht. Er schien ungewollt erschüttert. „Sie soll aus einem Fenster im 1. Stock, in ihrem Internat gestürzt sein. Noch ist aber unklar wie das passieren konnte. Wir vermuten sie ist von allein gefallen, es deutet aber auch eine Wunde auf einen nicht allzu starken Kampf hin. Vielleicht wurde demnach nachgeholfen. Sie dürfen gleich erst mal zu Mrs. Heaton, danach wird wohl ein Polizist zur Stelle sein und Befragt Sie als Zeugen.“ ich wusste nicht was ich ihm sagen sollte. Sollte ich ihm vielleicht von Aleksandra erzählen? Nein, lieber nicht. Ich erwähne sie doch besser erst beim Polizisten. Sie muss ihre Strafe bekommen.
Der Arzt führte mich zum Krankenzimmer von Claire, er versuchte die Tür zu öffnen, schaffte es aber nicht. Mir wurde mulmig zumute und mir schwebte etwas schlimmes bevor. „Wir müssen die Tür irgendwie auf bekommen! Claire ist in Gefahr!“ schrie ich mir die Seele aus dem Leib und versuchte die Tür mit roher Gewalt zu öffnen. Ich war nicht stark genug, zum Glück half mir der Arzt, dessen Namen ich noch immer nicht wusste und gemeinsam schafften wir es die Tür aufzureißen. Das erste was ich sah, war ein Messer. Aleksandra hielt es über Claire und wollte vermutlich zustechen. Der Arzt rief sie solle gefälligst aufhören, mir war aber klar, dass das nichts bringen würde, so dass ich einfach auf sie zu stürmte. Im Sprung packte ich sie am Handgelenk und wuchtete sie zu Boden, das Messer jedoch war noch immer in Bewegung und schlitzte mir den Arm auf. Blut strömte heraus, es sah aber nicht so aus als hätte sie eine Schlagader getroffen. Meine Versuche das Messer aus ihrer Hand zu schleudern funktionierten nicht so ganz, wie ich mir vorgestellt hatte. Sie war stärker als ich gedacht hatte. Deshalb drückte ich sie mit meinem ganzen Körper zu Boden, in der Hoffnung das Messer würde mich nicht mehr treffen: im Glücksfall ihr sogar aus der Hand fallen. Sie schaffte es, mich noch einmal an der Wange zu streifen, so dass rote kugelförmige Tropfen herunter quollen, dann aber wurde ihr das Messer aus der Hand geschossen. Sie blieb unverletzt.
Ein Polizist, mit einer Pistole, stand breitbeinig hinter uns und hatte auf das kleine Messer gezielt. Er kam auf uns zu und nahm schnell das Messer, dann packte er Aleksandra, nickte mir zu und verschwand. Ziemlich cool, wenn man später darüber nachdenkt. Danach kam ein anderer Polizist, der mir wie davor schon erwähnt, fragen stellen wollte. Jetzt würden es wohl nicht mehr dieselben sein. Mir wurde aber noch erlaubt mit Claire zu sprechen. Was für ein Glücksfall, das sie dieses Szenario nicht mitbekommen hatte und erst kurze Zeit später aufgewacht war. Ich hatte bereits einen Verband um meinen Arm und ein Pflaster auf meiner Wange. Das würde ausreichen, hatte man mir gesagt.
Als sie ihre Augen öffnete, lächelte sie mich an. Ich weiß noch genau, wie ihre braunen Augen gefunkelt haben, als wäre ich in einem Traum. „Claire? Claire …wie geht es dir? Ist alles okay?“, hatte ich ein wenig 'unschuldig' gefragt und bin ihr mit meiner unverletzten Hand durch ihr rotes Haar gefahren. Sie schien nicht zu verstehen, was ich damit meinte und interessierte sich auch nicht weiter dafür. Standessen streckte sie vorsichtig ihre Hand nach meiner beklebten Wunde aus und berührte sie, bis es brannte. Ich kniff die Augen zusammen, versuchte nicht zu zeigen das ich schmerzen hatte. Claire war wie eine Schwester für mich geworden. Und ich war froh das es ihr wieder gut ging. Das wir es geschafft haben. Ich saß noch einige Minuten still bei ihr und hielt ihre Hand fest in meiner, bis mein Handy anfing zu klingeln. Der Anrufer war unterdrückt. Zuerst hatte ich die Vermutung, Aleksandra würde anrufen, so krank wie sie war aber wie hätte das möglich sein können? Also nahm ich ab. Es war Dima und neben ihm hörte ich Sean aufgeregt reden. „Hey, Aaron, was gibt’s?“ fragte er aufgeweckt und so fröhlich, wobei ich feststellte das ich sein Lachen unglaublich vermisst hatte! Und jetzt musste ich auch noch mit dieser Nachricht kommen … mist.
„ …h-ey“ sagte ich stotternd und unterdrückte etwas in mir, was ich zuvor nicht allzu oft gespürt hatte. Verzweiflung. „Claire … Claire ist im St Andrew's Hospital, sie ist aus einem Fenster gefallen. Mehr kann ich jetzt nicht sagen. Wie schnell könnt ihr hier sein?“, stille. Man hörte nichts, außer den Atem von Dima, dann fing ein leises tuscheln an und ging weiter bis zu russischen Flüchen, die ich später unbedingt nachschlagen wollte. Nachdem sie fertig mit fluchen waren, ging Dima wieder an den Hörer. „Wir sind am Flughafen, … ich mein wir sind gleich da.“ das waren seine letzten Worte, danach war die Leitung leer. Ich schaute zu Claire. Sie schlief wieder, also konnte ich trostlos eine Aussage bei dem Polizisten machen. Zuvor versicherte ich mich aber, dass Claire in Sicherheit war und das immer jemand da sein würde, solange ich weg wäre oder bis Sean und Dima kommen würden.
Nach der Aussage und ich hatte wirklich alles erzählt – von den harmlosen Anfängen mit Aleksandra bis zu dem Kampf mit dem Messer – konnte mir keiner so recht die Frage beantworten, ob sie aus dem Internat fliegen würde.
Und schon wieder plagte mich diese Ungewissheit. Unsere Betreuerin solle das Entscheiden, dabei wissen wahrscheinlich wir alle, dass das nichts gutes heißen würde. Aleksandra würde es wieder und wieder versuchen. Na hoffentlich würde die Polizei Mrs. Clarks sagen was passiert war, dachte ich nur und ging zu Claire.
Als ich in ihr Zimmer kam, war der Vorhang zu ihr zugezogen. Zuerst packte mich der Schrecken und ein kalter Stich schmerzte mich am Arm, dann aber, nachdem ich den Vorhang aufgezogen hatte, breitete sich die Erleichterung aus. Sean und Dima waren schon angekommen und kümmerten sich fürsorglich um Claire. Das ist ein Foto wert! Schnell zog ich mein Handy hervor und knipste ein tolles Foto von den dreien. Sean war erschrocken und wollte schon anfangen sich aufzuregen, damit das Foto gelöscht wird. Dima allerdings grinste mich von der Seite an und umarmte mich. „Ich hab gehört was du gemacht hast! Reife Leistung, kleiner! Und eine schöne Verletzung hast du da“ dabei klopfte er mir auf die Schulter, so dass sie ein wenig schmerzte.
Ich zog, leicht schmerzlich, die Brauen hoch und versuchte nichts dazu zu sagen, obwohl es in meinem Inneren schon wieder brodelte. Und dabei zuckte mein Auge wieder. Aber Dima konnte man einfach nicht böse sein! Irgendwann muss man eh das Ende einer Geschichte, die doch nicht so tragisch war, wie ich gesagt hatte, genießen. Vielleicht war das ein gutes Ende?
Mrs. Clarks war ganz empört von Aleksandra. Dabei war sie so eine gute Schülerin, hatte sie uns allen in ihrem Büro erzählt. Ich konnte darüber nur lachen, ebenso wie Dima. Claire konnte nach diesem Erlebnis wenigstens Kichern, aber viel hatte sie auch nicht mitbekommen. Und zum erstem mal sah ich auch Sean lachen. Zwar hatte ich schon am Anfang gewusst, das ich ihn mögen würde aber das es sich so weit entwickelt, hätte ich nicht gedacht. Ich sollte wirklich mal an mehr glauben!
Ein paar Sachen sind dann aber doch noch passiert: Meine Eltern, Alec und Elena Wood hatten sich wieder vertragen und waren wieder zusammen. Nachdem ich ins Internat gezogen war, fühlten sie sie angeblich schuldig, wobei ich eher denke das meine Mutter sich tatsächlich schuldig fühlte und mein Vater das nur behauptete, um sie wieder um sich zu haben. Zwar waren sie noch nicht bereit für die Beziehung, die sie schon einmal hatten aber es war ein Anfang und vielleicht aber auch nur vielleicht würde doch noch etwas daraus werden. Man weiß ja nie. Auf jeden Fall sollte ich noch ein wenig länger wegbleiben, dann bekomme ich möglicherweise ein Brüderchen. Eine Schwester wäre auch nicht schlecht.
Bei Aleksandra Nowak bin ich mir gar nicht mehr so sicher. Ich habe gehört, sie soll in eine Anstalt gekommen sein aber es gibt so viele Gerüchte, wie soll man denen schon glauben? Zu unserem guten ist sie wenigstens vom Internat geflogen, nachdem Mrs. Clarks weitere Messer gefunden hatte. Es stellte sich heraus, das sie überhaupt keine Betreuerin war. Sie arbeitete in Wirklichkeit bei einem Geheimdienst, dessen Namen ich nicht weiß. Sonst würde es aber auch nicht Geheimdienst heißen. Das erklärt natürlich ihre rechte Hand, die so ungewöhnlich rau war für eine Frau, die angeblich nur am Schreibtisch arbeitet. Aleksandra soll versucht haben ihr ein solches Messer unterzujubeln, welches sie auch schon im Krankenhaus benutzen wollte oder benutzt hat. Tja, hat sie anscheinend mit der falschen Person gespielt. Vor allem kommt aber, das wir vier noch immer die besten Freunde sind. Vielleicht hat die Tat von Aleksandra uns nur noch mehr zusammen geschweißt? Wäre total abgefahren!
Und eins ist sicher: Wenn ich wieder nach Hause komme, streiche ich mein Zimmer in der Farbe Mokka. Egal, wenn jemand etwas dagegen hat. Ich mag diese Farbe.
Tag der Veröffentlichung: 23.05.2011
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