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Als die Fahrstuhltür zur Seite glitt, traf mich die subtropische Hitze unvorbereitet. Beinahe so unvorbereitet, wie der herzförmige Pfeil, der mir entgegen geflogen kam und dessen Spitze die Größe eines kleinen Nagels hatte.
Wahrscheinlich würde ein Treffer kaum mehr als ein Pieksen verursachen … zumindest, wenn ich ein Mensch wäre. War ich aber nicht. Mich konnte so etwas zu Froschfrikasse verwandeln.
Ich hopste zur Seite und entkam dem Liebespfeil im letzten Moment, nur um beinahe in den Zwischenraum zwischen Fahrstuhl und Büro zu fallen. Wieder so eine ätzende Todesfalle, mit der sich normale Lebewesen nicht beschäftigen mussten.
Ich sah wie der Schütze, ein kleiner, fliegender Engel mit Windeln und entzückenden goldblonden Locken erneut anlegte und auf mich zielte. Zu meinem Glück achtete die verrückte Putte (das ist die Fachbezeichnung für kleine, fliegende Engel mit Windeln und entzückenden goldblonden Locken) dabei nicht auf seine Umgebung und landete an einem Fliegenfänger an dem schon drei seiner Artgenossen klebten, strampelten und zeterten. Ihre hellen, vollkommen unmusikalischen Stimmchen klangen wie ein verzerrtes Glockenspiel – oder wie Heino auf Crack. Kein Vergleich zu mir oder meinen privaten Chor.
„Entschuldigung!“
Eine freundliche, ältere Dame mit langen, weißen Haaren, strahlte mich über den Empfangstresen hinweg an. Ihr Lächeln hatten denselben Effekt auf mich wie Sonne auf Schnee. Ich schmolz geradezu und meine kurze Wut ob der Ungerechtigkeit des Schicksals verpuffte. Einfach so.
„Die lästigen, kleinen Eroten werden wir einfach nicht los.“
„Ahhhhh!“, machte ich. Die Geschöpfe des Eros. Schlecht erzogen und halfen nur ihm. Behauptete er zumindest. Der Rest der Welt nicht. „Hab von ihnen gehört.“
„Und hören tun die kein bisschen!“
Die Frau schüttelte ihre beeindruckende Mähne und das Funkeln in dem Weiß machte mir klar, dass hier eine Winterholle (Ja, genau. Wie in „Frau Holle“) kurz davor war, den Babyengeln Frostbeulen zu verpassen. Leider war ich eine Amphibie und fand Kälte mindestens genauso blöd wie Babyengel. Dachte ich zumindest, bis sich der schießwütige Erot von dem klebrigen Fliegenfänger losriss – meine Zunge verselbstständigte sich wie von selbst. Gott sei Dank erwischte sie nur die (hier noch einmal einen besonderen Dank an Gott!) leere Windel.
Einen Moment lang hing der kleine Erot in der Luft, dann fiel er zu Boden, weil er damit beschäftigt war, seine Blöße zu bedecken. Schamrot und mit um sich geschlungenen Flügeln hastete er zwischen zwei Blumentöpfe.
„Woah...“, machte die Winterfee und so etwas wie Respekt schlich sich in ihre Mine. „Eine verdammt gute Idee. Ich bin mir sicher, Lilly wird begeistert sein. Wenn Sie mir folgen!“
Die Chefin selbst? Wow, was für eine Ehre!
Ich hüpfte der Fee hinterher und in das Büro. Erst auf dem Gästestuhl angelangt stutzte ich. Und gleich noch einmal. Lilly Valentina war entzückend. Selbst der etwas entgeisterte Gesichtsausdruck, mit dem sie mich musterte, war süß. Wenn ich nicht bereits verliebt wäre, würde ich mich sofort in sie verlieben.
„Schön, dass sie die Matching-Myth für ihre Liebesvermittlung in Betracht ziehen. Verraten Sie mir Ihren Namen und Ihr Anliegen?!“ Nach einem minimalen Zögern fügte sie „Ihre Hoheit“ hinzu.
„Genau das ist das größte Problem“, seufzte ich und ignorierte das faszinierende Wechseln der Fotos in dem Bilderrahmen auf Lilly Valentinas Schreibtisch. Der Rahmen war wirklich hübsch. „Eben bin ich ein glücklicher Prinz. Ein Mann, dann plötzlich nur noch ein Frosch mit einer Krone.“
„Und welcher Prinz waren Sie vorher?“
Sie fragte, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, dass ein Froschprinz in ihre Vermittlungsagentur gehüpft kam. War es vielleicht auch. Liebesvermitteln musste ein ziemlich aufregender und cooler Job sein. Mein Blick wanderte zu dem Bilderrahmen, wurde aber von dem silber-glänzenden Rahmen abgelenkt und sofort verzauberte mich mein Anblick. Erneut.
Ich war wirklich ein Hübscher. Selbst als Frosch. Ich plusterte meine Brust auf und reckte mein Kopf noch ein wenig höher, damit die Krone gut zur Geltung kam. Ja, wirklich gut aussehend.
Lilly räusperte sich.
Ich quakte empört. Manche Leute hatten wirklich kein Auge für Schönheit – oder Zeit. Wieder wechselte das Foto in dem Rahmen. Irritierend.
„Ich erinnere mich nicht mehr“, antwortete ich trotzdem
„Und alle anderen?“
„Welche anderen?“
„Familie, Freunde, Hofstaat, Medien … alle anderen Wesen eben.“
„Nein, niemand erinnert sich. Ich mich auch nicht.“
„Und die Welt im Großen und Ganzen?“
„Ich bin komplett aus allem getilgt worden.“
„Google? Facebook? Das Internet vergisst nicht.“
„Mich schon.“
Trotz meine Worte griff die Chefin der Matching-Myth zu ihrer Tastatur und machte den Bildschirm des Computers an. „Alter? Aussehen? Geografische Ansiedlung? Irgendwelche Erinnerungsfetzen?“
Ich dachte noch über die vier Fragen nach, als ein leises, wohlklingendes „Ping“ ertönte und sich ein rosa Funkeln aus dem Monitor auf Lilly ergoss.
„Ein Zauber“, quakte ich entsetzt.
„Scheiße“, kommentierte sie, allerdings wütend und kein bisschen entsetzt. Dann erst bemerkte sie meine Panik und schüttelte den Kopf als Antwort auf meine Behauptung. Es beruhigte mich kein bisschen, ich sprang ging hinter dem Bilderrahmen in Deckung.
„Dies ist ihre ...“, ein infernales „Piep“ unterbrach die freundliche Frauenstimme, „... 104 ...“, wieder ein „Piep“, „... Erinnerung an ihren Wunsch. Bitte setzten Sie sich mit Ihrer ... PIEP … guten Fee … PIEP … Sabine in Verbindung.“
„Ist nur Spam“, murmelte Lilly und der Unterton in ihren Worten machte mir beinahe mehr Angst, als Zauber und Gute-Fee geschafft hatten.
„Also, zurück zu Ihrem Anliegen … so wie ich es sehe, kann nur das helfen, was in jedem guten Märchen hilft.“
„Ich bin nichts Besonderes?“ Ich brauche eine andere Vermittlungsagentur. Jetzt.
„Doch, selbstverständlich!“ Lilly lächelte und ich vergaß meinen Gedanken. Natürlich war ich etwas Besonders. Ich war hübsch. Schon immer gewesen und ein Traumprinz. Ein Traum-Froschprinz.
„Sie sind so besonders, dass nur eines Sie erlösen kann: „der wahren Liebe erster Kuss“ .“
„Hatte ich schon.“
„Dann war es nicht die wahre Liebe.“
„Doch, schauen Sie!“ Ich deutete auf den Bilderrahmen. „Ist der eigentlich magisch?“

„Magischer Bilderrahmen? Quatsch – digital!“


„Digital?“ wiederholte ich verwundert und versuchte mich von dem hinreißenden Anblick im Rahmen loszureißen.
„Ja, digital. Wollen wir nun mit der Vermittlung weitermachen?“ fragte Lilly schmunzelnd.
„Selbstverständlich“ seufzte ich, soweit das für einen Frosch möglich ist.
„Nun, da Sie sich nicht an persönliche Daten erinnern, können wir auch gleich zu der Bestimmung einer Dame übergehen.“
„Oh ja“ ich richtete mich zu 7cm voller Größe auf. „Wie steht es denn eigentlich um die bezaubernde Empfangsdame, wenn ich fragen darf?“
„Oh, das tut mir Leid aber Personal von Matching Myth darf ich nicht vermitteln.“
Ich ließ den Kopf hängen, wobei ich trotz meines Krönchens ganz elendig aussah. „Schade. Wissen sie“ sagte ich in einem Anflug von Selbstmitleid, „es kann ganz schön einsam sein so als Frosch.“
„Na, na, wir werden bestimmt jemanden für sie finden.“
Ich sah wie sie einen zweifelnden Blick auf ihren Computerbildschirm warf. Doch dann lächelte sie mich wieder mit gespielter Zuversicht an. „Also darf ich davon ausgehen, dass sie dem Aussehen einer Fee nicht abgeneigt sind?“
„Das dürfen sie.“ Mein Blick war unterdessen wieder zu dem Rahmen geglitten, in dem ich nochmals mein Aussehen überprüfte.
Lilly tippte emsig auf der Tastatur herum, dann sah sie mich an. „Charaktereigenschaften?“
„Hm?“ Ich wandte mich ihr zu. „Oh, ich denke die sind nicht so wichtig.“
Lilly zuckte mit den Schultern und drehte sich zurück zum Bildschirm. „Nun, das macht die Sache einfacher.“
„Solange sie sich mit der Etikette auskennt, Sinn für Humor besitzt, immer pünktlich und manierlich ist, niemals laut wird, nicht die Fähigkeit besitzt Magie anzuwenden und selbstverständlich nichts gegen Frösche einzuwenden hat, habe ich keine besonderen Ansprüche.“
„Oh.“ Machte Lilly. „Nun ja, mal schauen was dabei so rauskommt.“ Sie betätigte einen Schalter und schon begann der Bilderrahmen leise zu surren und die Fotos in ihm wechselten immer schneller und schneller, dass mir vom Hingucken ganz schwindelig wurde. Dann endlich blieb das Bild stehen. Das reizende Gesicht einer jungen, zierlichen, rotblonden Frau war zu sehen. „Nun?“ Lilly lächelte scheinbar stolz. „Das ist Madam Rosette. Sie lebt hinter den sieben Bergen im Wald. Wie findet Ihr sie?“
Obwohl ich mich doch über den merkwürdigen Wohnort solch einer schönen Frau wunderte, war ich ihr durchaus angetan. „“Ich würde sie gerne kennen lernen.“ quakte ich freudig.
„Wunderbar“ rief Lilly und klatschte in die Hände! Dann los!“ Sie betätigte einen anderen, bedrohlich rotleuchtenden Schalter und es kam mir vor alles würde ein kurzes Erdbeben den Raum erschüttern. Dann stand plötzlich ein anmutiges Wesen vor mir, die schokobraunen Augen erstaunt geweitet, das lange Haar offen über der Schulter tragend, in ein langes beigefarbenes Gewand gehüllt, unter dem graziöse Ziegenbeine hervorlugten – Moment mal! Ziegenbeine?! Mir entfuhr ein erschrockener Quaklaut und ich bedachte Lilly mit einem vorwurfsvollen Blick. Diese nickte enttäuscht, schenkte der Ziegendame, welche wohl noch immer nicht recht wusste wie ihr geschah, ein bezauberndes Lächeln und schickte sie mit demselben Schalter wieder heim.
„Das war wohl nichts.“ empörte ich mich.
„Tut mir Leid, das konnte ja keiner ahnen.“ Sagte die nun ganz kleinlaute Lilly. Sie sah so zerbrechlich und entzückend zugleich aus, dass ich ihr nicht böse sein konnte. „Es war einen Versuch wert“ sagte ich und hüpfte ernüchtert von dem Gästestuhl herunter. „Nun, es war trotzdem nett ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Lilly.“ Ich wollte mich schon der Tür zuwenden als eine zarte Stimme mich zurückrief. „Warten Sie! Das muss doch unserer Vermittlungsarbeit nicht gleich ein Ende setzen! Ich werde weitersuchen, in Ordnung?“
Ich drehte mich mit zweifelndem Blick um. „Glauben Sie, dass Sie jemand Geeignetes finden werden?“
Sie lächelte mich zaghaft an. „Wie Sie schon sagten, einen Versuch ist es wert.“ Aufmunternd fügte sie hinzu: „Ich habe schon für schwierigere Kandidaten Partner gefunden.“
„Gut, dann melden Sie sich wenn Sie Glück hatten.“ Ich verabschiedete mich mit einer leichten Verbeugung, bei der ärgerlicherweise meine Krone verrutschte und ich deshalb nicht ganz so stilvoll aussah wie beabsichtigt, und verließ ihr Büro.
Als ich aus der Tür hüpfte, kam die Winterfee lächelnd hinter dem Empfangstresen hervor. „Hatten sie Erfolg?“ fragte sie.
„Ich fürchte es hat sich bis jetzt nichts ergeben.“ Seufzte ich.
In dem Moment kam zwischen zwei Blumentöpfen die kleine Putte, der ich vorhin die Windel entwendet hatte, hervor. Sie hatte sich inzwischen eine Neue besorgt und auch ihren Pfeil wieder aufgesammelt. Und mit besagtem zielte sie jetzt mit boshaftem Grinsen auf den Windeldieb. Mich. Ausgerechnet mich hatte sie sich ausgesucht, als hätte ich armer ungeküsster Frosch nicht schon genug Probleme. Glücklicherweise hatte ich den Eroten aber rechtzeitig gesehen und als der Pfeil lossauste, machte ich schreiend einen heldenhaften Sprung zur Seite, wobei ich um ein Haar ein Goldfischglas, aus welchem zwei Fische mich dumm anglotzten, umwarf, und brachte mich hinter dem Tresen in Sicherheit. Das Geschoss pfiff durch die Luft und verfehlte sein Ziel, stattdessen traf es die verblüffte Winterfee. Mitten ins Schwarze, wie man so sagt. Es traf sie auf die Stirn und mit einem erstaunten Seufzer ging sie zu Boden. Erschrocken rettete ich mich noch einmal mit einem Hüpfer zur Seite bevor sie mich unter sich begraben konnte. Das hätte einen schönen Froschpfannkuchen gegeben, so ziemlich das Unappetitlichste überhaupt, da werdet ihr mir bestimmt zustimmen.
Hinter mir gab die Putte einen ängstlichen Piepston von sich und verkrümelte sich.
Besorgt um die arme Fee rückte ich ein Stück näher an sie heran um ihr Gesicht sehen zu können. Und was sah ich da! In dem wie von Zauber verjüngten Gesicht schauten mich die schönsten Augen an, dich ich je erblickt hatte. Die süßen, roten Lippen formten ein oh als sie mich betrachtete. Dann lächelte sie. „Ich glaube ich habe mich verliebt.“ Ohne dass ich wusste wie mir geschah, küsste die Fee mich und ich spürte in mir ein wohliges Kribbeln. ich hatte Schmetterlinge im Bauch (vielleicht waren es auch nur unverdaute Fliegen, aber das behielt ich für mich). Und dann von einem auf den anderen Moment war ich plötzlich ein Mensch. Einfach so. Aber ich war ja nicht irgendein Mensch. Ich war ein echter Traumprinz.

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Bildmaterialien: kirchengemeinde-tamm.de
Tag der Veröffentlichung: 11.10.2012

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