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Missverständnisse führten schon unter unseren Vorfahren zu kleinen Katastrophen.
Ein Neanderthaler kommt in die Höhle gerannt, schreit „UGH“, sein Kumpel springt auf, flitzt aus der Höhle und wird von einem Säbelzahntiger gefressen.
Der Hinterbliebene macht „UGH“...
„UGH“ konnte „Essen ist fertig“ bedeuten, aber auch Gefahr...oder auch „MIST“.
Im weiteren Verlauf des Zeitgeschehens haben Missverständnisse zu Kriegen geführt, oder die Religionen gespalten, oder auch nur zerrüttet. Bis heute glauben wir, aufgrund eines Missverständnisses, eine Jungfrau hätte unseren Heiland geboren...ts ts...
Missverständnisse unter Liebenden führen oft zu Trennungen, und in der Politik zu Koalitionsverhandlungen.
In der folgenden Geschichte wird ein Missverständnis Menschen zu Monstern machen und eine größere Katastrophe hervorbringen.

Ein Seher, inmitten von Volk, ein Prophet, älter als die Eiche, an der er lehnt, blind von zu viel Gesehenem, sein Umhang zerschlissen, sein Geist hellwach. Würde man ihn verbrennen, seine Asche würde Worte bilden, während sie verweht, sein Schrei würde Kathedralen ruinieren.
Ein wissbegieriger Jüngling erhebt seine Stimme über dem Geschwätz der Umstehenden, und stellt eine Frage, die leider nur der Visionär und der Fragende hörten, da das Volk ja mit sich selbst beschäftigt war, bis, ja bis der Prophet zu sprechen begann, und die Worte hallten wie in einem Brunnenschacht...obwohl er doch nur zu flüstern schien:
„Ihr sollt eure Antwort haben, hier, und heute im Lichte der Sonne...genießt die Strahlen , so lange sie nicht von Rauch verdeckt sind...Die Welt, wie sie ist, wird lange noch sein wie ein Blumenmeer, jeder Zweifel wird Hoffnung bergen, und jeder Keim Früchte hervorbringen...der Mensch, einst seine Höhle verlassen, und mit Verstand gesegnet, wird sich erheben, wenn er denn bereit wäre...“
Lautes Räuspern, Schmatzen, ein Nieser, leises Stöhnen einer Frau unterbrachen die Rede des Alten. Er wartet, bis nur noch das Keuchen zu hören war, doch das konnte er übertönen.
„...ja, der Mensch, wenn er denn bereit wäre...äh...nun gut...also, der Mensch...was er mit Händen formt wird Gestalt haben, und Nutzen bringen...Heilung wird nicht mehr nötig sein, da es weder Krankheit noch Seuche geben wird, wenn, ja wenn der Mensch bereit wäre...“
Räuspern, Husten, Lautes Stöhnen und Ächzen mehrerer Frauen und Männer..., lautes Schmatzen, Kindergeschrei - dann Klatschen - lauteres Kindergeschrei – heftiges Klatschen.
Stille.
„Sprich lauter, alter Mann und nuschel nicht so...“
„Ja, genau, und mach mal, das die hier aufhören, wie die Schweine zu rammeln...“
„Man, das Fleisch schmeckt verdammt gut, Bernhard...“
„Sind noch Würstchen da...?“
„Was laberst du eigentlich von Krankheit und Seuche...“
Der Jüngling, der eingangs die Frage gestellt hatte, machte „Scht“ und wurde langsam ungeduldig. Bratenduft verstopfte die Nasen.
Der Seher rollte mit seinen weißen Augäpfeln, Schweiß verklebte sein langes Haar.
Und wieder erhob er seine Stimme, aus dem Flüstern wurde Zischen, dann grollender Bass.
„Der Mensch würde..äh...wäre bereit...“
Nocheinmal holte der Seher tiefen Atem, um dann noch lauter fortzufahren:
„Die Sonne, ein roter Ballon, schaut auf ein Meer von Lebenden, gemästet von Glück und Freude...“
„Gemästet“ –tönt es lachend aus der Menge, „wie der Arsch hier vor mir“
„Scht“, macht der Jüngling.
„Tschuldigung, aber das mit dem gemästet...“
Ein Klatscher, dann Kichern...dazwischen „Scht“ und „haltet endlich die Fresse, oder geht nach Hause“
Der Alte, jetzt in Schweiß gebadet, mit geröteter Stirn, hebt langsam seine zittrigen Hände, wie ein Marionettenspieler, und donnert weiter:
„Die Sonne will scheinen, wird scheinen, wird rot, wird heiß, wird verbrennen, jene, die sich nur nehmen...und jene, die zwar geben, aber nur gegen hohen Gegenwert, Altäre werden errichtet, und vor ihnen kniend Menschen ihr Leben verbringen...und...“
„So wie die Frau hier vor mir, Alterchen, die sich die ganze Zeit schon durchorgeln lässt während du da vorne plauderst...“
„ICH PLAUDERE NICHT“ kracht plötzlich der Zorn des Propheten in die Worte des Zwischenrufers, und die folgende Stille ist Unendlichkeit, nicht einmal Atmen ist noch zu hören...
Ein gegrilltes Würstchen klatscht an die Stirn des Alten. Vereinzelt Kichern, dann noch ein Würstchen. Jubelrufe, wieder „Scht“. Der Alte ignoriert das Geschehen, redet einfach weiter.
„Wollte ich plaudern, so lebte ich unter euch, und wäre nicht gestraft mit der Gabe der Vision...“Das Zischen als Lufthauch wenn Schwerter die Atmosphäre teilen...“Gestraft deshalb, weil ich sie an Ignoranten verschwenden muß..., an Fresssäcke, an Fettbäuche, an Sammler, ...,“
Ein Würstchenregen, gefolgt von Fleischstücken geht über dem Seher nieder. Lautes lachen.
„ich gehe...“ Und während er sich erhebt, zischt er weiter:
„Eine Frage an euch: Warum bleibt ihr stehen und werdet scheinbar Zuhörende, wenn ihr euch doch nur selbst reden hören wollt“
Der Jüngling, der brennend auf die Antwort des Sehers gewartet hatte, sieht sich betrogen, und ruft hektisch.
„Nichtgehen, bitte, nicht...“Und rückwärts in die Masse: „Haltet doch endlich eure Mäuler, oder verschwindet...ich muß die Antwort haben...bitte...“
DerAlte, jetzt stehend an die Eiche gelehnt, versucht nun die ersten Schritte...
Der jüngling, nun fast panisch, drängt sich zu dem Alten, und versucht ihn am Gewand zu halten...die Meute, nun durch die Hektik angestachelt, drängen mit und sehen nur den Jüngling, wie er nach dem Propheten greift, und zittrige Hände, die nach dem Greifer schlagen...sie sehen nicht das Flehen in beider Augenpaare, der eine der die Antwort haben will, der andere, der sich entschuldigend befreien will, um diesen Menschen zu entkommen...er ahnt das Entsetzliche, und will es doch nicht sprechen...und der Jüngling versteht nicht, und will den Alten beknien, ihm doch wenigstens noch ein paar Worte zu geben.
Die Meute drängt weiter, sie zerrt an dem jungen Fragensteller, ihn scheinbar vor den Klauen des Zauberers zu befreien, und wie so oft bei einer Zusammenrottung liegen plötzlich Knüppel in den Händen der schiebenden, aufgestachelten Menschen, und dem einen Schlag folgt der nächste, und dort an der Eiche, zwischen den Würstchen sammelt sich Blut, und in weißen langen Haaren klebt schon die Rinde, dann Kopfhaut, dann Schädel dann Gehirn, und weiße Augäpfel rollen nicht mehr...werden verdeckt von hartem Holz, und immer mehr Menschen drängen und werfen ihre Knüppel zu einem Haufen, nur der Jüngling kniet schockiert am Boden, hört nur noch Schnaufen, dann das Klatschen, und Zischen und Spucken, er kniet, und schaukelt, bricht zusammen und rollt auf dem Boden, die Hände auf den Ohren.

Das Feuer hört er nicht mehr, die Flammen sieht er auch nicht mehr, sieht nicht die Knüppel, die Fackeln werden, und nicht die anderen Knüppel, die einen Scheiterhaufen bilden, und auch nicht das hohe Flammenmeer, spürt nicht die Hitze, rollt auf dem Boden, weg von der Masse, weg von dem Gestank, als des Sehers Fleisch an der Eiche zu kochen beginnt.

Und der Morgen zeigt sich als blutrote Sonne, ein leerer Platz, als der junge Mann die Hände von den Ohren nimmt, Schlaf aus den vertränten Augen reibt, zwinkert und nur noch Glimmen an einer rußgeschwärzten Eiche sieht.
Die Erinnerung ist wage, der Mob längst in den Häusern verschwunden, und als ein Windstoß in die glimmende Asche fährt, folgt sein Blick diesen tanzenden Partikeln, folgt ihnen hinauf in den Himmel, ein schwarzer Schweif, der Kringel formt, und aus Schleifen Buchstaben werden...

Der Jüngling reibt noch mal die Augen, betrachtet schluchzend dieses eine große Wort:
„UGH“

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Tag der Veröffentlichung: 12.02.2010

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