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Einkaufen im Osten war wie ein Herthaspiel. Man wußte was man bekommt, wünschte sich aber Anderes. Wunsch und Wirklichkeit. Vor dem Einkauf litt man permanent unter Selbsttäuschung, in dem man eine Einkaufsliste schrieb. Herbstmeister. Auf dem Weg zur Kaufhalle kürzte man die Liste von einem Wunschzettel auf Wahrscheinlickeitszettel runter. Mittelfeld wär auch nicht schlecht. Sicher sozusagen. Vor dem Laden schmiss man die Liste weg, und nahm, was da war. Spätestens wenn man sich an die Menschenschlange anstellte, wußte man, wo man war. Ganz hinten.
Aber das galt nur für den Familieneinkauf, und für Extremsituationen, zum Beispiel wenn die Sachsen wieder mal einen Berlinfeldzug geplant hatten. Dann war erstmal zwei Wochen Schluß mit Caramelmilch und braunen Flaschen Berliner Pilsner.
Das was ich brauchte, war ein Schälchen Currysalat, zwei Brötchen, und zwei Bon Riegel, Zwei Jokerriegel, fertig. Und eine Tube Rasiercreme. Und dabei ging es nicht um Bartwuchs. Hatte mit 13 noch keine Probleme damit. Aber das Haupthaar stand nach der Behandlung mit Rasiercreme genauso sicher wie der Fernsehturm, und auch die Spitzen waren gen Himmel gerichtet. Billy Idol hätte mir wahrscheinlich eine geknallt, wegen Verunglimpfung, aber ihn zu treffen, nee, so unrealistisch sind nicht mal die Herthaner...obwohl...egal.
Ich war bereit, roch wie eine Drogerie nach einer Explosion, und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Hajo wartete bereits, nach dem Handschlag gings los.Zwei Kosmetikläden auf dem Weg zur besten Shoppingmeile der Welt. Plänterwald. Die Achziger waren in Berlin angekommen, und wer was sein wollte, brauchte Poster statt Tapete, Glitzies, und Sticker mit den westlichen Größen der Popgeschichte. Der Markt zog sich vom Bahnhof Plänterwald bis zum Eingang des Vergnügungsparks. Das Bravo Paradies, der Westen im Osten, das Tränental, denn die Preise waren schlimmer als Todesnachrichten, noch schlimmer das begrenzte eigene Budget.
Zwei Regeln. Nicht gleich am Anfang kaufen, und niemals, wirklich niemals an irgend etwas Interesse bekunden. Letzteres war kaum möglich.
Lag sie erstmal dort, die Doppelseite mit dem grinsenden, schieflippigen William Billy Idol Broad, aus der neusten Popcorn-Ausgabe, begann der Sabber zu laufen, und wenn ich noch so sehr Coolness heucheln wurde, meine zittrigen Hände verrieten mich. Noch mehr meine Stimme, die sich von Poster zu Poster zu verändern schien.
„Aaaalter....da....Hajao, da....haste ...jesehen...“
„Sccchhhht...logo, man, aber hör auf so zu zappeln....“
„Ja, aber,.., komm, wir fragen mal, wie teuer....“
„Nachher...man, ick will sie auch, aber lass uns erstmal weiter kieken...“
„Man...nur mal fregen...“
„Hey, wir sind gerade ausjestiegen, 2 Minuten...und du hast schon nen Abgang...“
Ich schmollte. Wollte das er die Begeisterung teilte...wollte wollte wollte...aber er hatte Recht.
Ich ging trotzdem hin, dachte, mit Schmollen wär ich die Ruhe in Person.
„Wieviel...“ fragte ich mit extra tiuefer Stimme, voll unter Kontrolle.
„Fuffzehn...“
„Nee, ich meine die Doppelseite...“
„Ach die, von Billy Erdöl,..., 35...“
„Hm...zeig mal...“
„Nich anfassen...erst Kohle....“
Ich schmulte zu Hagen, meine Hände zitterten, meine Knie auch, weil ich in die hocke gegangen war, um dem Unmöglichen etwas näher zu sein....Er fuchtelte mit den Armen, rollte mit den Augen, und machte Anstallten, weiterzugehen.
„zwanzig“ - quitschte ich schnell...
Der Typ lachte kurz, und sortierte weiter seine anderen Poster.
„Fünfundzwanzig“ .quitschte ich lauter.
„Verpiss dich“ - brummte der Typ, „oder gib mir 35 Piepen“
Er schüttelte den Kopf, und murmelte etwas von Kindergarten...
Ich trollte mich, und holte Hagen schnell ein.
„Und“ . Lächelte er.
„Vergiss es“ brummte ich zurück.
„35 stimmts?“
„Hm“
„War klar...der Typ steht nicht umsonst hier vorne“
Wir liefen weiter.
Es gab immer noch einen Nofallplan für die Posterbeschaffung. Der Tausch. Relativ einfach. Ich wußte, das Susi aus der 8b auch dieses Poster hat. Wußte, das sie Billy Idol verachtet, und wußte auch, und das war der Schlüssel, das sie auf Aha und David Bowie stand...heißt, ich bekam hier wahrscheinlich für meine paar Kröten mehr Aha Poster, und tauschte einfach. Fertig.
Hagens Rücken holte mich aus meinen Gedanken, als ich gegen ihn lief.
„was ist?“
„Na kiek ma nach oben.“
Ich sah gen Himmel. Graue Wolken. Dazwischen Dunkelgrau.
„Mist“ sagte ich.
„Eben“ sagte er. „Komm, lass uns lieber verschwinden. Dann schaffen wirs noch trocken in die S-Bahn.“
Ich zögerte.
„Äh...bei Niesel ist das alles noch okay...und es hat noch nicht mal angefangen“
Hajo schüttelt den Kopf.
„Nee, Alter, wir brauchen bestimmt zehn Minuten zurück, Ohne Schirm.“
„Ach komm. Noch die Stände bis zur Kreuzung...wenigstens noch ein zwei Sticker kaufen...“
„Na jut...“
Und weiter. Kurz vor der Kreuzung die ersten Tropfen. Ich kaufte schnell einen Depeche Mode Button, den konnte ich gut weiter verkloppen. Während des Bezahlens, dann Platzregen. Kein Niesel. Kein Einregnen. Gleich 100 Prozent. Hajo rennt los. Ich hinterher. Am Bahnhof bleiben wir keuchend stehen. Meine Augen brennen. Ich traue mich nicht mehr, hoch zublicken. Weiß, wie Hajo aussieht, und damit, wie ich selber aussehe. Irgendwann schaue ich doch hoch. Die Schaumkrone auf seinem Kopf ist gewaltig. Mir läuft die ganze Creme ins Gesicht runter, in den Nacken...wir haben nur unsere Jacken, keine Tücher, nichts.
Ich hatte mir eine ordentliche Portion Rasiercreme in die Haare geschmiert...Hajo nicht minder. Prost Heimfahrt...Mindest eine dreiviertel Stunde. Ohne Handtuch...Schaum aufm Kopp. Schaum im Nacken. Schaum in den Augen, im Mund, unter der Nase....Und am schlimmsten...keine Frisur mehr... Billy Idol hätte uns nicht mal mehr angefasst, um uns eine zu kloppen. Ich höre sein Lachen, seine verdammtes Lachen...Ich glaube, wenn der in den Regen kommt, stehen seine Haare trotzdem...wie macht der das bloss...Die S-Bahn fährt ein, Hajo blinzelt aus dunkelroten Augen, meine brennen auch nicht mehr, sind nur noch geschwollen.
„Niesel macht nicht so viel aus...“ Hajos vorläufig letzten Worte auf dem Heimweg, ansonsten nur noch Schaum in der S-Bahn.

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Tag der Veröffentlichung: 18.11.2009

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