Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz...Ein Mantra, eine Begleitung durch die Stadt, ein Singsang für die Ubahn, eine Melodie für die Nacht. Ein Märchen.
Es war einmal ein Zeigefinger, der sich um einen Abzug krümmte, ein Knall, etwas Rauch und ein kleines Loch in der Schläfe eines älteren Mannes. Weiß war sein Bart, rot die Spritzer auf den einzelnen Häärchen und Schwarz wurde es vor seinen Augen.
„Mit Sicherheit.“ - dachte der Kriminalinspektor, „war hier kein Messer im Spiel.“ Wie schade. Er liebte Messer. Er war vernarrt in jeden Gegenstand, mit dem er etwas aufspießen, filetieren oder zerstückeln konnte. Seine eigene Sammlung umfasste 234 Dolche, Messer, Säbel...Ja, er konnte sich auch glücklicher Besitzer eines Samuraischwertes nennen.
„Was für Diletanten, die sich ihren Frust von der Seele schießen müssen.“ grübelte er weiter, während er die kleine Küche betrat, um sich einen Kaffee einzugießen, der lauwarm aus seiner Thermoskanne gluckerte.
„Herr Inspektor, wir haben hier etwas gefunden, was Sie interessieren könnte.“ Der junge Polizist stand aufgeregt im Kücheneingang und hielt dem Kriminalinspektor eine kleine Plastiktüte entgegen.
„Nein“ staunte dieser, „Ein Zeigefinger“
Der junge Polizist lächelte stolz.
„Lag neben der Waffe. Um genauer zu sein, am Abzug“.
Freidhelm trank noch einen Schluck Kaffee, und öffnete dann behutsam die Plastiktüte. Seine Erregung übertrug sich auf seine eigenen Finger, das zittern erzeugte ein leises Knistern.
„Doch ein Messer im Spiel.“ - murmelte er sanft. „Danke Gott, das meine Rituale dich erreichen.“ Er dachte kurz an die 23 Schritte bis zur Ampel, bei Rot halten, 5 Sekunden, dann der U-bahneingang, keine Rolltreppe, dann doch die Rolltreppe, aber trotzdem laufen, 45 Schritte bis zum Kiosk, warten, 2 Papierschnipsel aufheben...
„Exzellenter schnitt“ - dozierte er in Richtung Polizist, der immer noch im Eingang wartete, und gierig auf den Kaffee starrte.
“Holen Sie mir ein paar Gummiefäustlinge, und lassen Sie sich Zeit, ich benötige hier einige Minuten“
Der Bulle verschwand, und Friedhelm tauchte seine Nase augenblicklich in das kleine Tütchen.
„Hmmmm“ - stöhnte er leise, nichts geht über den Duft geronnenen Blutes in luftdichtem Plastik gelagert. Mit geschlossenen Augen sog er tief die Luft ein, schmeckte Eisen weit hinten am Gaumen und rieb mit der Zunge über das Zahnfleisch, um den Geschmack noch zu verstärken. Er wollte den Finger ganz, wollte ihn in seinem Mund verbergen, auf ihm herumlutschen und genüßlich mit der Zunge an dem glatten Schnitt entlangfühlen, wollte so das Messer ertasten mit dem der Finger abgetrennt wurde.
Ein Räuspern weckte ihn. Er starrte mit zornigem Blick in das grinsende Gesicht des Polizisten, der mit den Handschuhen am Türrahmen lehnte.
„Ich sagte, ich benötige hier einige Minuten“ näselte er , da er seine Nase nicht so schnell aus der Tüte ziehen konnte. „...na egal, geben Sie her...“
Der Polizist verschwand wieder, ohne auch nur eine Bemerkung zu machen.
`Egal` dachte Friedhelm, `was sollte er schon sagen, was die anderen noch nicht wussten. Er liebte eben seinen Job.`
Eins mußte er aber noch erledigen, bevor er sich den Untersuchungen widmen konnte, und das sollten die anderen vielleicht doch nicht wissen. Seine Erektion störte ihn beim nachdenken, und so schob er das Tütchen in seine Manteltasche und schlich sich an den anderen vorbei, nach unten, rannte fast in das nächste Cafe, bestellte im vorbeigehen einen Espresso am Thresen und erreichte endlich die Toilette.
Weiß wie der Knochen, und rot wie das Fleisch...schwarz wie getrocknetes Blut, oh ja, rot..und weiß...und dann schwarz vor seinen Augen.
Am Tatort konnten sie nicht mehr viel ausrichten. Der alte Mann wurde abtransportiert, eine Hand konnte nicht gefunden werden, sosehr Friedhelm sich das auch gewünscht hätte, und da das Opfer noch alle Finger hatte, fehlte somit der Besitzer des Zeigefingers, und damit eventuell auch der Todesschütze.
Nach der Besprechung traf er sich mit Gunnar, seinem Partner, in der Kantine.
„Das kannst du nicht machen, Friedhelm, einfach mit einem Beweisstück verschwinden...“
Gunnar fuchtelte mit der Gabel vor seiner Nase herum. Der Inspektor kaute genüßlich auf einem Stück Lammfleisch.
„Hörst du mir zu, Friedhelm, du weißt das auch, und komm mir..“
Friedhelm blickte auf, gelassen, aber ernst:
„Habe ich das Messer identifiziert...hm hm...ja oder nein...Die Idioten vom Labor hätten Jahre dafür gebraucht.“
Er spießte ein neues Stück Fleisch auf.
„Und haben wir damit nicht einen Anhaltspunkt bekommen..hm hm... einmalige Schnittstärke, der Schliff...sogar den Griff konnte ich euch beschreiben...ich brauche eben ....Ruhe...“
Gunnar hielt dem Blick stand, und legte seine Gabel beiseite:
„Ich gebe Dir Recht, was die Messerkunst und deine schnelle Arbeit angeht, und ich überhöre auch die Kommentare der jungen Polizisten...nein, warte, laß mich ausreden...aber du kannst nicht einfach damit vom Tatort verschwinden...Warum kannst du deine ...Rituale nicht vor allen machen...“
Friedhelm hob kurz die Hand, und Gunnar verstummte:
„Erstens, ich bin damit nicht verschwunden, sondern habe ihn kurz betrachtet, und dann, ja gut, meine Nase reingehalten, und die Tüte sofort dem jungen Knilch wieder mitgegeben.“
Gunnar verdrehte die Augen.
„was was was...glaubst du mir nicht, Gunnar. Hm hm.“
Nein, Gunnar glaubte ihm nicht, aber was sollte er machen. Friedhelm war der Inspektor, und wenn er sagt, er hat es zurückgegeben, dann war das so.
Friedhelm sprach sanft weiter: „Und Zweitens: Du kannst die Entlassungspapiere für den jungen Bullen fertig machen. Lüge, Verleumdung eines Vorgesetzen...u.s.w.“
Gunnar haßte Friedhelm. Er hasste ihn mehr als seine Nachbarn, die sich ständig lauthals die Köpfe einschlugen, hasste ihn mehr als den Penner, der ihn jeden Morgen um Geld anbettelte, mehr als die Musikanten in den Bahnen...
„Wir können ihn nicht entlassen“ - brachte er jetzt hervor, „Und das weißt du auch...“
„Ach so, na dann!“ Friedhelm hatte sich erhoben, und grinste auf seinen Kollegen herunter. „Dann schickt ihn nach Buxtehude, nach Moskau, was weiß ich, ne Versetzung ist doch wohl drin. Er hat ein Beweisstück verbummelt, Gunnar, und das weißt du, und ich auch.“
Er drehte sich um, und blickte noch einmal über seine Schulter.„Und der junge Bulle weiß das auch.“ Ein Zwinkern, und weg war er.
Der Inspektor konzentrierte sich. 10 Schritte bis zur Ampel. Rot. 3 Sekunden warten. Laufen. Kein Auto. Glück. Autos und länger warten. Pech. So funktionierte der Deal mit Gott. So klappte das Leben. So bekam er alles. Hier draußen durfte er sich nur nicht verzählen. Nicht in Gedanken laufen. Nur Konzentration. Und das war momentan alles andere als möglich. Denn der Finger fehlte. Ein Prachtstück, ein Glanz, und er hatte es vermasselt.
`Bitte Gott, lege morgen ein neues Opfer für mich bereit, ich zähle auch mein Leben lang...`
10 Schritte bis zum Bekleidungsgeschäft, 5 bis zur Ecke, ein Hund, Glück für morgen, kein Hund, kein Opfer.
`Ich weiß, ich war zu hektisch, zu schnell, zu aufgeregt.`
15 Schritte bis zur Haltestelle. U Bahneingang. Keine Rolltreppe. Laufen. Drei Schnipsel Papier, eine Coladose, Warten.
`Und als ich das Ding aus der Tüte hatte, und mein Ding in der Hand, plopp, flutschte der Finger zwischen meinen hindurch und, plopp, rein ins Klo, rein ins Wasser, weg...Die Spülung, ich weiß auch nicht, warum ich dort raufgedrückt habe...reiner Reflex...was meinst du, zählt die Entblössung vor der kellnerin als Bonus...für drei Rituale und sicher ein Opfer morgen...Hm hm...Gut, es war ausversehen.,..hatte vergessen, mein Ding einzupacken, als ich so aufgeregt aus dem Klo stürmte...Überleg doch mal...mein Zeigefinger, ein Geschenk...`
Hupen holte ihn aus seinen Gedanken, er stand mitten auf der Kreuzung, irgendwo, war irgendwo ausgestiegen, und jetzt stand er hier, und wußte, das er verloren hatte, keine Rituale, und doch verlangte Gott diese, und er hat es richtig versaut.
„Scheiße“ - schrie er, „Scheiße scheiße scheiße...Beschissener Finger, beschissener alter Mann, beschissenes Denken... ich will meinen Finger!!!!“
Drei Schritte links, warten, Rot, 4 Sekunden, wenn dann grün, Glück, wenn nicht... ja, wenn nicht...hör auf zu denken...weiter, vier Schritte rechts, geradeaus, Ampel rot, rot, rot, rot wie Blut und weiß wie ein Laken und schwarz...wie der Morgen, schwarz wie der Tag, schwarz wie die Wunde an einem Finger...
Es war einmal ein Zeigefinger, und der steckte am nächsten Morgen in Friedhelms Mund. Als er die Augen aufschlug liefen ihm sofort Tränen die Wangen herunter und der Schmerz in seiner rechten Hand war kaum mehr auszuhalten. Er wollte schreien, bekam aber die Lippen nicht auseinander. In seinem Kopf drehte ein Kreisel seine Bahnen und stieß ab und zu erst an das Gehirn, und dann an die Schädeldecke. Mit seiner Zunge versuchte er den Gegenstand in seinem Mund zu entlarven, und als er gegenstieß dauerte es exakt 1 Sekunde, und er wußte, das es sich um seinen Finger handelte, abgeschnitten mit seinem Schatz, einem Gemüseschälmesser,6 cm Klinge, Nirosta Stahl, vor zwei Tagen eigenhändig geschliffen.
Der Schmerz zog seine Bahnen, der Kreisel im Kopf brummte, doch sein Verstand arbeitete. Er schmeckte auch den Klebstoff, mit dem der Finger an seinen Lippen befestigt war, und durch den Tränenschleier sah er auch das Gesicht von Gunnar. Dann sah er die Spritze, spürte den Druck in seiner Hand, nein, halt, in beiden Händen, und dann waren die Schmerzen wie weggeblasen. Aber kurze Zeit später seine Hände auch. Denn sie lagen jetzt auf seiner Brust, Gunnar winkte erst mit der Linken, und dann mit der Rechten. In Friedhelms Kopf kam der Kreisel zum erliegen, und Watte füllte seinen Schädel, doch der Verstand arbeitete unabläßig.
Gunnar nahm nun beide Hände hoch, winkte, kam näher, und schlug Friedhelm ins Gesicht. Dann nocheinmal. Blut spritzte. Rot an den Wänden, weiß am Gelenk und der Hass schwarz in seinen Augen.
Die Hände lagen wieder still auf seiner Brust, keine Schmerzen mehr, nur er und seine Gedanken. Danke, Gott, die Rituale müßen ja außerordentlich gut funktioniert haben, trotz des Patzers auf der Kreuzung, man man man, danke Gott, das du mir das nächste Opfer mit gleich drei Schnittwunden spendiert hast...ha ha ha...drei...Gott, du bist wirklich...
Eine Hand traf wieder sein Gesicht, dann seine Nase, wieder sein Gesicht, der Finger in seinem Mund schmeckte vergammelt, der Kleber stank...und doch, als er vor Schreck mit der Zunge gegen die Schnittfläche stieß, das Fleisch und das Knöchlechen spürte, geschah es , das sich sein Lümmel in seiner Hose aufrichtete. Er wollte es verbergen, doch hier siegte wohl sein kleines Geheimnis, das sich nun in voller Pracht Gunnar präsentierte.
„Wußt ichs doch, du alte Sau, wußte ich es doch...“ Gunnars Stimme.
„So wars doch immer. In all den Jahren, mit all unseren Beweisstücken...nee nee nee, komm, Herr Inspektor...und er sprach es aus, als wenn er von ganz tief unten Rotze hochzog....“ Ich war schon an deiner Vitrine, hatte ja die ganze Nacht Zeit...und, ach herje, wie komisch, da stehn unsere Beweise, feinsäuberlich in Formaldehyt oder Gießharz verewigt...Du Vollidiot, du krankes Stück Scheiße...was hm hm hm...was mümmelst du Greis, den letzten Schnitt, oh ja, den verpasse ich Dir, naja, und dann werden wir morgen früh wieder hier sein, die versammelte Mannschaft...nee, sag jetzt nichts, Friedhelm...ha ha ha...ach, du kannst nichts sagen...na, jedenfalls, morgen früh werden wir dann die Sauerei hier begutachten, und dich dann mitnehmen, und mal sehen, vielleicht kann sich ja unser junger Freund, den ich nun doch nicht zur Versetzung bewegen wollte...ja, da kannst du deine Augen aufreißen, wie du willst, Friedhelm... naja, wie gesagt, vielleicht kann sich ja unser junger Freund dann eine kleine Trophäe mitnehmen, so nebenbei, vielleicht deinen Finger, mit Lippen dran oder ohne, oder gleich eine ganze Hand...wer weiß...“ Und ehe Freidhelm seine Augen wieder schließen konnte, denn er war jetzt müde, sehr sehr müde, zuckte es kurz, und weiß wie Schnee , und er sah Gunnar, mit dem Gemüsemesser an seinem Gemächt rumsäbeln...oh Gott...ja, rot wie Blut...und er sah das Plastetütchen, und darin sein verschrumpeltes Glied...und dann den Schleier, und Schwarz die Nacht....So schwarz....
Tag der Veröffentlichung: 17.12.2008
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Bettina