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Seit zwei Stunden kein Fahrgast mehr. Bis zwölf viele Kurzstrecken, Partymäuse, die Nacht war jung, Samstagabend. Ich lenkte dasTaxi an den Halteplatz Bahnhof Charlottenburg, öffnete das Brotpaket, genoss den ersten Schluck Kaffee und lauschte mit geschlossenen Augen einer Folknummer aus den 70 iger Jahren. Ich biss gerade in mein Sandwich, spürte einen dicken BatzenMajonaise zwischen meinen Beinen landen, als die hintere Tür aufgerissen wurde, sich ein schwerer Körper auf die Rückbank legte, mit den Worten:

„Fahr los.“

Der Schwung, mit dem alles gleichzeitig passierte, der damit verbundene Schreck ließ meine Gedanken erst nach und nach folgen, da spürte ich auch schon den kalten Abdruck im Genick,Gedankenfolge, auch wenn aus heutiger Sicht vielleicht eine kalte Colaflasche dort drückte, ich dachte sofort an eine geladene Kanone.

„Fahr endlich“

Das gesamte Brot landete in meinem Schritt, ich startete den Wagen, wir waren unterwegs. Im Rückspiegel sah ich Bewegung, am Bahnhofseingang vielleicht zehn, vielleicht fünfzehn Uniformierte, im gleißenden Licht der Bahnhofsbeleuchtung.

Auf der Rückbank keuchender Atem, schnaufen, dazwischen Husten, und ein Geruch, den ich kannte.

„HörenSie“, zischte es zwischen den Atmungen, „mein Bruder ist Kutscher, so wie sie...“

Husten.Spucken. Und wieder der Geruch, den ich kannte. Rasierwasser. Oder ein bestimmtes Bonbon.

Im nachhinein setzt sich alles zusammen, aus dem Geruch und der damit verbundenen Erinnerung, doch im Taxi sah ich nur auf die Straße,fragte nicht einmal, wohin, fuhr einfach, bog ab, fuhr durch Tunnel, und über Brücken, fuhr, und von hinten dieses ewige Schnaufen.

„Mein Bruder ist Kutscher, so wie sie, und wenn sie ihn treffen, sagen sie ihm einfach: Dumm gelaufen“ Okay, sagen sie ihm...“

Und da erkannte ich die Stimme, an dieser Redewendung kannte ich dieseStimme, diesen Menschen dort hinten auf der Rückbank, in meinemTaxi, diesen liebevollen Menschen, der, der ... Nein. Nein. Nicht er.Und doch ging ich soweit, einen Namen auszusprechen.

„Fred“stammelte ich, zischte es beinahe, was, wenn ich mich irrte, und meinVerstand sagte, du irrst dich, denn niemals würde ich meinen lieben Fred , verfolgt von dem Gesetz durch nächtliche Straßen fahren, selbst schon in einem Fluchtwagen gefangen, der doch eigentlich mein Taxi war, mit dem ich mich ernährte. Flucht.

„Halt die Schnauze. Sagen sie Charly einfach dumm gelaufen.“ Und obwohl ich meinen Namen hörte, fuhr ich weiter, fragte nicht mehr, derSchock trat aufs Gaspedal, der Schock bremste. Warum?

Warum bin ich losgefahren. Wegen der Knarre. Nur wegen der Knarre im Nacken? Heute grübele ich, wieso ausgerechnet mein Taxi, warum nicht das erste, oder das am Eingang, warum das letzte, hinten in derSchlange? Warum er?

Ich hatte Todesangst, ja, wegen dem kalten Gefühl am Hals, doch dieStimme, als ich sie erkannte, und doch nicht kennen wollte, ließ mich auf die Bremse treten, und als er es merkte, schrie er vonselbst: „Anhalten“ und „vergessen sie nicht, Charly...“und schon war er draußen, obwohl der Wagen noch rollte, war verschwunden in der Nacht, und ich sagte „Fred“ und stand dort so lange, bis die Sirene zu hören war, und dann meine Tür aufgerissen wurde, ich diesmal wahrhaftig in eine Mündung blickte:

„Steigen Sie bitte aus“ wurde in sachlichem Ton geschrien, dann der feste Griff an meinem Arm, die Hedderei mit meinem Gurt, und schon stand ich breitbeinig an meinem Taxi, die Arme auf dem Dach.


„Charly,ja, das ist mein Name. Das bin ich“ stammelte ich jetzt in die Lampe. Endlich. Zuerst sagte ich, ich heiße Paul Auster, weil ich gerade ein Buch von ihm las, weil ich fertig war, weil ich mich nicht erinnern konnte. Und die Bullen glaubten mir, weil sie ihn scheinbar nicht kannten, doch ehe ich meinen Versprecher korrigieren konnte, nannte mich einer, der den Namen überprüft hatte,Witzbold. Sein verzerrter Mund zeigte, das er es nicht so meinte.Ganz und gar nicht, und die Schwierigkeiten begannen jetzt richtig.

Während der Fahrt in dem Streifenwagen konnte ich nichts sagen. Und obwohl sie mir keine Handschellen angelegt hatten, vielleicht weil ich so fertig aussah, mit dem dicken Majofleck vorn, und dem verschmiertenGesicht, rot, und auch voll Majo, vielleicht, weil ich mich sofort ergeben, ja, hingegeben hatte, schrien sie trotzdem auf mich ein, ich solle sagen, wo das Schwein hin ist, und ich mache alles nur noch schlimmer, wenn ich einen Mörder decke... . das letzte schien dem Polizisten rausgerutscht zu sein, denn ein anderer zischte „klappe jetzt“ in den Fahrerraum.

DasWort Mörder kreiste durch meine Gedanken, und der Glaube daran,manifestierte sich. Gleichzeitig sträubte ich mich dagegen,verbog die Realität soweit, das ich einen Fremden auf meiner Rückbank hatte, bis dahin, das er meinen Namen brüllte beim Aussteigen. Da brach das Gebäude wieder zusammen.

Jetzt konnte ich meinen Namen wieder aussprechen, obwohl ich mich beraubt fühlte, von einem Fremden bestohlen, einem Fremden, der den Namen sooft benutzt hatte, und jetzt, im Taxi, beim Aussteigen, hatte er den, meinen Namen einfach gestohlen. Es musste sein, denn kein anderer als mein Bruder hat mich so genannt. Das stimmte natürlich nicht ganz, aber kein anderer hat ihn auf so liebevolle Weise ausgesprochen. Ein Fremder hatte ihn geklaut, hat sich für meinen Bruder ausgegeben und ihn dann benutzt .Oder...?

„Woversteckt sich der Scheißer? Warum haben sie ihm geholfen.Warum behindern sie unsere Arbeit“

Ja,kannte ich den Mann, und habe ich deshalb die Arbeit behindert,wollte ich der Polizei meinen eigenen Bruder vorenthalten.

„Ich kenne ihn nicht. „ sagte ich noch einmal, und fing an zu weinen.

„Wieso weinen sie dann?“

Ein anderer Polizist antwortete für mich. Gut oder schlecht?

„Man,Paul, der steht unter Schock. Er wurde bedroht! Von seinem eigenen... Jetzt das hier. Laß uns morgen weiter machen“

„Scheiß auf morgen. Das Schwein killt drei Frauen, und dieser Wichser hier vor uns kutschiert ihn durch die Stadt, und ich soll bis morgen warten.“

Seine Faust knallt bei dem Wort Wichser auf die Resopalplatte. Ich zuckte zusammen, Sah hoch.

„Drei Frauen, was?“ hauchte ich.

„Halt die Schnauze. Ich stelle die Fragen, du Wichser“ Und wieder knallt die Faust auf die Platte.

„Wir wissen das die Drecksau ihr Bruder ist. Es kann doch wohl kein Zufall sein, das sie dort standen, genau dort, genau zur richtigen Zeit.Sagen sie endlich, wo das Schwein steckt“

Bis heute bin ich das Gespräch immer und immer wieder durchgegangen.Bei Mörder unterbricht sich mein Verstand, und bei drei Frauen verweigert er das weiterdenken. Dann sehe ich eine Blümchenwiese,und einen See, ein Boot, und tausend Dinge bis ich alles vergessen habe, und Tage später wieder von vorn das Gespräch beginne.

In dieser ersten Nacht auf dem Revier brachte ich kein Wort mehr hervor,man steckte mich in eine Zelle, am nächsten morgen konnte ich Anrufe tätigen. Ich rief zu hause an, und Lilly hob ab, meine fünfjährige Tochter, und ich fing wieder zu weinen an.Lilly bekam einen Schreck, und legte auf. Ich rief noch einmal an,doch diesmal war es der Anrufbeantworter, und ich schluchzte ein paarWorte für Emma aufs Band, die sie nie im Leben verstehen konnte. Einen Anwalt kannte ich nicht, und sah nicht ein warum ich einen hätte anrufen sollen.

Nach dem dritten Tag war ich so eingeschüchtert, das ich mir einen Pflichtverteidiger wünschte. Emma war inzwischen zweimal dagewesen, durch eine dicke Scheibe versicherte sie mir, das alles in Ordnung kommen würde. Ich glaubte da auch noch dran, konnte es ihr aber nicht so richtig zeigen.

Nach einer Woche war meine Verwirrung so groß, ich dachte wahrhaftig daran, ein Fremder hätte erst Freds Namen, und dann meinen gestohlen, und alles sei ein großer Sumpf, aus dem wir beide irgendwann gerettet werden.

Rettung?

Der achte Tag war der schlimmste. In zweierlei Hinsicht.

Der Bulle mit Namen Paul kam in den Verhörraum, lächelte, was mich verunsicherte. Nahm mir die Handschellen ab, und sagte:„Entschuldigung. Wir waren alle etwas angespannt gewesen. Das vertsehen sie doch. „ Er zwinkerte mir zu. In der Art: Schwamm drüber.

Dann wurde er betreten, sagte, sie hätten meinen Br...na ja, sie hätten ihn geschnappt, und es tue ihm sehr leid.

Die Untersuchungen haben ergeben, das ich nichts davon gewusst haben könnte, und er , mein Br...also der Gefangene habe ein umfassendes Geständnis abgegeben.“

Er zwinkerte noch einmal, mit einem Lächeln. Müde. Mitleidig.

Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, das es kein Geständnis gegeben hatte, nicht von ihm. Die letzte Frau, die Nummer vier sozusagen, wurde in einer Wohnung, wo er sie alle gefangen gehalten hatte, befreit, und die hatte umfassend Bericht erstattet. Die Leiche meines Bruders fand man einen Tag nach meiner Festnahme.

„Geständnis“murmelte ich, und sah den Polizisten an, dachte an Fred, akzeptiertein dieser Minute, das es sich wirklich um meinen geliebten Bruder handelte, verstand es plötzlich, und dachte auch an drei Frauen,und an das Wort Mörder, die Konsequenzen für ihn, diesen immer für mich dagewesenen Bruder, den Bastler, und denGeschichtenerzähler.


Ich hörte mich nein sagen, hörte mich sagen, wen immer sie da haben, er lügt, hörte mich sagen, stellen sie sich mal vor,ich sei der auf der Rückbank gewesen, und habe den Fahrer, also meinen Bruder, gezwungen, auszusteigen, bin dann nach vorn, undweitergefahren, und habe mich von Ihnen schnappen lassen, und komme jetzt raus, weil ein Irrer ein Geständnis macht. Nein, ich bin es gewesen, mit den drei Frauen...Ich musste fast brechen, so nah war die Wirklichkeit.

Der Polizist ließ mich ausreden, und in einigen Momenten schien es,als wolle er meine Hand streicheln. Er ließ mich die gesamte Geschichte erzählen, und dann saßen wir beide in Schwiegen gehüllt, und er lächelte immer noch.

Nach einigen Minuten stand er auf, sagte „Sie können gehen. IhreFrau wartet vorn im Untersuchungszimmer. Sie bekommen gleich noch Ihre Sachen.“

Und ehe er die Tür öffnete sagte er nur: „Es tut mir Leid.Für Sie. Und für die Frauen...ach, scheiße, wir haben das Schwein endlich“

Dann war sie zu, die Tür, und später meine Sachen, und zu hause meine Frau, die immer irgendetwas sagte, weil ich nichts mehr sagen konnte. Und Lilly, die die andere Stille füllte.

Alsich Monate später mein Taxi abgeben wollte, weil ich unmöglich weiter in der Branche arbeiten konnte, entdeckte ich den verdammten Zettel unter meinem Sitz, und die Gespräche hören einfach nicht mehr auf, seit dem, und mein Kopf versucht sich an der Realität festzuhalten. Meinen geklauten Namen festzuhalten. Und seinen.

Dieser Zettel, und das eine Wort.

„Ich.“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für B. und A.

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