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Der Hubschrauber konnte nur schwer seinen Weg durch die himmlische graue Suppe finden. Er versuchte wackelig sich dadurch zu kämpfen. Und für die Menschen, die darin saßen, war es schwer, miteinander zu kommunizieren. Sie konnten sich nämlich nicht sprechen hören, weil die Maschine zu laut war. Auch wenn Alya, die weltberühmte koreanische Sängerin, daran gewöhnt war, zu reisen, war so viel Lärm für sie unerträglich. Zu anstrengend... Sie warf einen Blick auf Kim, ihren treuen Freund und rechten Arm. Die Lautstärke schien ihn nicht zu stören. Er war in jeder Situation, in jedem Moment, wie immer, die Ruhe selbst. Das war sogar manchmal unheimlich. Sie widmete dann den Wolken ihre völlige Aufmerksamkeit und versuchte den Lärm zu vergessen. Sie flogen endlich über die Wolken. Die graue Suppe lag unter ihr. Da oben war es so friedlich, eine Symphonie der Farben und der Stille. Es tat ihr gut, sich dieser Stille hinzugeben und ihren innerlichen Gefühlswirbel hinter sich zu lassen. Sie sah, wie es da unten regnete, aber der Hubschrauber flog höher, über die Wolken, wo die Sonne noch schien und mit ihren Strahlen die Maschine streichelte. Die Sonnenstrahlen breiteten sich im ganzen Himmel aus, aber konnten nicht den grauen Wolkenbrei durchdringen, welcher die ganze Erde wie eine traurige Wolldecke zu bedecken schien. Alya wusste, dass sie früh genug den Regen da unten wieder finden würde, deshalb genoss sie das reine Spektakel der Natur und tankte neue Energie aus den warmen und beruhigenden Sonnenstrahlen. Sie versuchte ihre Ängste und Zweifeln los zu lassen. Sie schloss dabei die Augen. Was Kim und sie für diesen Abend planten, machte ihr für ein paar Sekunden Angst, aber Kim schien es egal zu sein. Er hatte seine Entscheidung getroffen und hielt sich daran. Es war immer erstaunlich, wie er anscheinend so leicht seine Gefühle verbergen konnte. Alya fragte sich sogar, ob er im Stande war, überhaupt etwas zu spüren oder zu fühlen. Ist sein Herz mit der Zeit eiskalt geworden oder woher nimmt er die Kraft dazu, seine Gefühle so beherrschen zu können? Obwohl... sie konnte sich daran erinnern, wie Kim zum ersten Mal ihre Texte gelesen hatte...

Sie sah die Szene vor ihren Augen, als ob es gestern geschehen wäre.


Sie saß am Klavier und arbeitete an einen neuen Text. Sie hatte nicht mal mitbekommen, dass Kim herein gekommen war, denn sie war zutiefst aufs Schreiben konzentriert. Er bewegte sich leise auf sie zu und berührte sanft ihre Hand. Sie lächelte ihn an. Kim fühlte sich an jenem Tag sehr gut und lächelte zurück. Er setzte sich in den schwarzen Ledersessel, der an der Wand hinter dem Klavier stand. Ohne ein Wort zu sagen, ging Alya zu ihm und gab ihm ihre Texte für ihr erstes Album in die Hand. Er begann zu lesen. Sie war so aufgeregt... und hatte Angst vor seiner Meinung. Aber sie sah allmählich wie eine Träne seine Wange herunter kullerte und wie sie dann auf seiner Oberlippe perlte. Sie bemerkte, dass er gerade den Textteil "Kaputte Schwalben" entdeckt hatte. Schweigend und mit einer Träne im linken Auge, las er weiter und weiter. Alya hatte Kim noch nie vorher weinen sehen. Sie kam nicht aus dem Staunen heraus. Er hatte jetzt den Text "Kampfbruder" in der Hand. Als er mit dem Lesen fertig war, wischte er mit der Hand die Träne ab und schaute Alya tief in die Augen.
„Volltreffer“, sagte er dann mit einer leisen Stimme. „Die Worte...“
„Sind ja überflüssig", antwortete Alya. „Deine Träne spricht für sich.“
„Ich hätte nie gedacht, dass weinen so befreiend sein kann...In deinen Texten stecken so viel Feuer, Engagement und Kraft... Die Bilder unserer Vergangenheit hast du wieder zum Leben erwecken lassen.
„Das war fesselnd." Auch Alya spürte die Tränen in ihren Augen. Das war das erste Mal, dass sie ihn so berührt und verletzlich erlebte. Das war für sie der größte Lob überhaupt. Sie war dankbar für diesen Augenblick und umarmte Kim. Sie verspürte das Bedürfnis ihn zu beschützen.
Sie kuschelten so eine ganze Weile und genossen die Gegenwart des Anderen. Eines Anderen, der ohne Worte alles verstehen konnte. Sie ließen sich mit einem Lächeln im Gesicht sanft los. Mit der Fingersprache, welche die Beiden vor langer Zeit in Nordkorea erfunden hatten, sagte Kim schließlich: „Sei gewiss, dass ich..." Alya antwortete mit den Fingern: „Ja, ich weiß... Sei gewiss, dass ich..." Sie schwiegen noch eine Weile und Kim las noch weitere Texte vor sich hin. Alya hatte sie "Überleben" und "Wozu" genannt. Er war von Alyas Talent total verblüfft. Er wusste schon immer, dass sie voller Geheimnisse und Überraschungen war. Deshalb hatte er sie immer gemocht und respektiert. Sie war wie der Phoenix und konnte aus ihren eigenen Aschen immer wieder auferstehen. Sie gab nie auf und war zielstrebig, nicht nur stark sondern auch träumerisch. Sie hatte diese Mischung von Zerbrechlichkeit und Stärke, die ihn verrückt nach ihr machte. Er begriff, dass ihre Kraft in ihren Träumen lag. Das alles kam sehr kraftvoll in ihren Texten zum Ausdruck. Deshalb auch die Träne und dieser Volltreffer... Die Beiden waren sich dessen bewusst, dass ihre Beziehung an jenem Abend einen Schritt weiter gekommen war. Sie kamen sich körperlich und geistig näher und ließen es zu. Sie guckten sich das Poster an, welches im Raum an der Wand hing und einen Regebogen darstellte. Sie lachten herzlich bei dem Gedanken, dass, wenn ein Journalist fragen würde, wie solche Texte entstanden wären, ob Kim etwa der Kampfbruder sei, Alya einfach antworten könnte: „Die Wahrheit befindet sich zwischen dem Regen und dem Regenbogen. Genau gesehen stellen meine Songs einen Regenbogen voller Hoffnung und Menschlichkeit zwischen Regen und Sonne dar."

In dem Moment, wo Alya wieder zu sich kam und diese Erinnerung verblasste, schaute sie nach unten und glaubte, den Regen wieder sehen zu müssen. Aber sie sah einen Regebogen, denn es hatte aufgehört, zu regnen. Und die Sonne versuchte schüchtern, sich wieder am Himmel durchzusetzen. Die Angst, die Alya vorhin spürte, war weg. Auf diesem Weg wollte sie Kim bis zum bitteren Ende folgen. Sie konzentrierte sich auf die Landschaft, die unter ihr zu tanzen schien. Endlich sah sie das Ziel ihrer Reise. Ein Amphitheater. Alya konnte immer noch nicht glauben, dass sie hier singen durfte, in diesem riesigen und alterslosen Amphitheater, wo vor Ewigkeiten die griechischen Dramen aufgeführt worden waren. Ein paar Minuten lang stellte sie sich die alten griechischen Schauspieler auf der Bühne vor. Sie lächelte bei diesen Gedanken. Sie fühlte sich aufgeregt und auch geehrt, hier singen zu dürfen. Sie war bereit, den Plan jetzt und hier durchzuziehen. Von hier oben betrachtet, glänzte das Amphitheater im regnenden Mondlicht. Vom Hubschrauber aus hatte sie einen atemberaubenden Aussicht. Da fiel ein weißer und unerwarteter Nebel des Vergessenen in ihren Augen, der ihre Gedanken in die Vergangenheit entführte. Sie sah....

Kim und Alya standen im Regen vor der Westminster Church in London. Die Mauer der Kirche glänzten unter dem Regen und in dem grauen Tageslicht. Ein typisches London Wetter. Alya hatte gerade ihre erste internationale Musiktour angefangen und war sehr aufgeregt. Es war für sie unvorstellbar, dass sich Menschen auf der ganzen Welt von ihren Songs berührt fühlten und sie mochten. Vor dem letzten Konzert des Tours tat es ihr gut, die Stille einer Kirche und die Stärke Kims zu spüren. Sie war von so viel Schönheit und Kunst überwältigt. Sie war sprachlos, als sie aus der Westminster Church hinauskam und mit Kim in einen Bus einstieg. Sie freute sich auf die Stadtrundfahrt durch London. Sie wollten vor dem letzten Konzert und der Abreise die Hauptsehenswürdigkeiten Londons sehen. Das war für sie wie in einem Traum. Europa... Sie genossen die Zeit zusammen und lachten viel. Alya war so dankbar, diesen schönen Augenblick mit Kim erleben zu dürfen. Sie hätte es ohne ihn nicht so weit schaffen können. Sie sah nach vorne und legte ihre Hand auf die seine. Kim nahm ihre Hand und hielt sie fest. Ihre Blicke trafen sich und tauschten die verschiedensten Gefühle aus. Vor allem Dankbarkeit, Glück und reine Liebe. Sie stiegen am Trafalgar Square aus und gingen Hand in Hand über den Platz. Sie setzten sich hin und schauten sich einfach um. Sie waren von der Hektik der Stadt fasziniert, genauso wie sie früher von Seoul fasziniert waren. Die Sonne wagte sich endlich, aber noch schüchtern hervor. Ein Künstler kam zufällig an den Beiden vorbei und schlug ihnen vor, eine Karikatur von ihnen zu malen. Kim und Alya fanden die Idee lustig und ließen sich porträtieren. Sie lachten ohne Ende. Alya wollte dann Shoppen gehen. Kim tat so, als ob er keine Lust dazu hätte und seufzte bis er schließlich lachte, nahm sie wieder bei der Taille und machte ihr ein unwiderstehliches Angebot, nämlich ihr ein komplettes Outfit zu kaufen. Er wollte ihr so dabei helfen, ihre offenen Wunden der Kindheit und des früheren gemeinen Lebens zu heilen. Er wollte sich auch bei ihr dafür bedanken, dass sie immer da war und zu ihm gehalten hatte, dass sie stark und einfach sie selbst war und bleibt. Das wusste sie genau und deshalb weigerte sie sich am Anfang. Sie war zu stolz, aber sie ließ sich leicht dazu überreden. In einem Geschäft in Notting Hill fanden sie das perfekte Outfit für sie, ein typisches, buntes, modisches und ausgeflipptes Londoner Outfit, das ihr Lächeln und Gesicht zur Geltung brachte. Sie hatte sich schwarze Leggins, einen violetten Rock und die passende schottische Bluse à carreaux dazu ausgesucht. Alya prahlte in ihrem neuen Outfit und fühlte sich frei. Sie wollte es unbedingt beim letzten Konzert ihrer Tour tragen. Sie gingen aus dem Laden hinaus und genau in diesem Moment fing es wieder an zu regnen. Aber sie strahlte so, dass Kim nur das Licht sah, das aus ihr herausströmte und den Regen nicht mehr spürte. Sie sprachen aber nicht, denn die Beiden wussten, Worte sind überflüssig. Sie waren einfach glücklich wie noch nie und... voll nass! Es regnete in Strömen. Sie gingen in eine Kneipe hinein und tranken zum ersten Mal englisches Bier. Sie saßen da einfach gemütlich, tranken, scherzten und lachten herzlich. Sie genossen zusammen jenen Tag des Glücks, einen solchen Tag, wo man das Gefühl hat, dass alles um einen herum stimmt und dass man das innere und äußerliche Gleichgewicht gefunden hat, auch wenn es draußen in Strömen regnen kann! Sie war bereit für das Konzert. Wie geplant fand es in einem Stadion statt und war ein großer Erfolg. Kim fühlte sich von ihrer Power und Ausstrahlung auf der Bühne überwältigt. Sie hatte das gewisse Etwas, diese bestimmte Stärke, die man spüren, aber nicht ausdrücken kann. Einfach unwiderstehlich. Nach dem Konzert feierten sie zusammen den Erfolg bis zum Morgengrauen mit einer Flasche Champagner in Alyas Hotelzimmer. Alya liebte die Leichtigkeit des Champagners. Nach ein paar Gläsern Champagner flüsterte Kim ihr zu: „Alya, hör´ mal zu... Ich habe eine Überraschung für dich. Guck´ mal." Er überreichte ihr ein schön in rotes Papier verpacktes Geschenk. Alya errötete, nahm zögernd das Geschenk entgegen, welches Kim ihr gab und wunderte sich über so viel Aufmerksamkeit seinerseits. „Ja Alya, ich wollte deinen Erfolg feiern. Das hast du dir verdient." Alya fühlte sich geschmeichelt. Normalerweise hatten seine Aufträge und seine one-night-stands seine völlige Aufmerksamkeit. Sie war gespannt, was darin sein könnte. Sie machte langsam das Geschenk auf und genoss es. Sie konnte erst mal nur eine Kiste unter dem Geschenkpapier spüren. Sie entdeckte dann das schönste Tento der Welt, ein japanisches Kampfmesser. So ein Messer hatte sie sich immer gewünscht. Es war mit Skulpturen und Diamanten verziert. Dieses Tento hatte wahrscheinlich eine Menge Geld gekostet.
„So ein schönes Tento! Wie hast du das gewusst, dass ich das mir gewünscht habe?“
„Ich habe dich beim Aikidotraining beobachtet. Mit dem Tento warst du der Hammer. Es schien so als ob du deine ganze Kraft in dem Tento kanalisiert hättest, als ob es dich unbesiegbar gemacht hätte. Du warst einfach wunderschön und ich habe mir gedacht, dass es dir vielleicht gefallen würde, dein eigenes zu besitzen. Dein Gesichtsausdruck sagt mir, dass ich richtig lag. Das ist für mich Belohnung genug. Schön dich glücklich zu sehen.“
„Danke dir, Kim. Das ist...wow! Ich ... ich... ich weiß nicht, was ich sagen soll...! Danke sehr, von ganzem Herzen!"
Kim umarmte sie und küsste sie auf die Stirn. Es wurde ihnen viel wärmer und seine Lippen wanderten bis zu ihrer Oberlippe, worauf noch eine Freudeträne kullerte. Er küsste die Träne weg. Das schmeckte salzig. Er flüsterte ihr dann zu: „Weine nicht mehr... Ich will dich nie mehr weinen sehen... Du hast dir das Glück verdient. Weine nicht mehr...Deine schönen schwarzen Augen sollen nur leuchten und lachen..." Sie küssten sich weiter und seine Hände streichelten sanft ihre geschmeidigen und schwarzen Haare und glitten an ihrem Rücken hinunter. Alya hatte sich im ersten Moment gefragt, was mit ihm los war. Aber sie freute sich über diese Änderung in Kims Verhalten. Heute war sie im Zentrum seines Lebens und seiner Aufmerksamkeit. Das war für sie die Erfüllung ihres geheimen Wunsches. Sie küsste zurück und dachte nicht an Morgen. Diese Nacht... nur Kim und sie.... Das reichte ihr schon, versuchte sie sich selbst anzulügen. Aber plötzlich hörte Kim auf und schob sie sanft weg. Er schaute sie verwirrt an und murmelte: „Tut mir Leid... Was mach´ ich da... ich habe wahrscheinlich zu viel getrunken... das sollte nicht passieren... tut mir Leid. Ich wollte dich nicht ausnutzen... Wir sehen uns morgen früh zum Brunch..." Er ließ Alya alleine und war im Nu verschwunden. Sie war zerrissen und wusste nicht, was sie davon halten sollte. Es schmerzte einfach. Sie fing an zu weinen. Nach Kims Abgang fühlte sie sich wertlos, nutzlos und hässlich. Was hatte sie nicht, was die anderen Frauen hatten? Was machte sie so anders? Sie wollte sich aufmuntern und ging ins Bad. Sie wollte baden. Sie ließ das warme Wasser in die Badewanne fließen und das Geräusch des Wassers beruhigte sie. Sie legte ihre Lieblingsplatte ein und zündete Kerzen an. Sie zog sich aus. Sie legte sich in die Badewanne und schloss die Augen. Sie versuchte den Sturm in ihrem Kopf zur Stille zu bringen aber es klappte nicht. Es schmerzte einfach zu sehr. Sie konnte ihren eigenen Herzschlag vor lauter Schmerz nicht mehr hören. Sie konnte nicht mal richtig durchatmen, weil sie das Gefühl hatte, ihr Schmerz würde ihr Herz kontrollieren. Sie wollte nicht daran denken, was Kim jetzt tat und mit wem. Aber es war stärker als sie. Letztendlich gab sie sich dem Schmerz hin und genoss den bitteren Geschmack dieses Moments des Leidens und der Verletzlichkeit. Sie war wie von einer Gefühlsspirale eingesaugt. Sie ließ sich von ihr führen und unternahm eine Reise auf ihren windigen und riesigen Wellen. Bewusst prägte sie sich auf dieser Reise alle Eindrücke und Gefühle ein. Das ganze war für sie Material für neue Songs. Es fiel ihr immer leicht, über den Schmerz und das Leiden zu schreiben. Ganz anders ging es ihr mit dem Glück. Über glückliche Momente zu schreiben war für sie eine echte Herausforderung. Vielleicht sollte sie damit anfangen, über das Glück zu schreiben... Wer weiß, was dabei heraus kommen würde...

Alya kam wieder zu sich und lächelte bei dieser Erinnerung. Sie ließ die Eindrücke vom Anblick des im Mondlicht glänzenden Amphitheaters und dessen Schönheit auf sich wirken. Sie fühlte jetzt die gleiche innerliche Ruhe, wie in London, Sie guckte kurz zu Kim. Er nahm diese Schönheit nicht mal wahr und blieb von dieser Aussicht unberührt. Er sah aber die bewaffneten Männer da unten, welche die Sicherheitseinheiten bildeten und bereit waren, für Alyas Sicherheit zu kämpfen. Alya folgte Kims Blick und bemerkte die glänzenden Waffen.
Wie immer waren für Kim die Schönheit und die Liebe zweitrangig. Für ihn standen Ehre und Pflicht an erster Stelle. Kim lächelte Alya an, die seinen Blick mit Entschlossenheit erwiderte. Alya wurde immer ungeduldig und wollte endlich auf die Bühne. Sie landeten in einem gewaltigen Krach und stiegen im Regen aus dem Hubschrauber hinaus. Rennend erreichten sie das Amphitheater. Alya wurde immer aufgeregter. Mehr als je zuvor fühlte sie sich bereit für ihren großen Auftritt. Sie schlichen sich dann durch die schmalen Gänge der Kulissen. Kim drückte kurz Alyas Hand und musste nach rechts zum Sicherheitsbüro. Währenddessen ließ Alya sich schminken. Das war einer ihrer Lieblingsmomente, in denen sie loslassen und sich ausruhen konnte. Sie schloss die Augen und bereitete sich geistig für die Bühne vor. Sie sah den Konzertablauf, das Publikum vor ihren geschlossenen Augen. Sie stellte sich ihre steigerte Kraft und die Begeisterung des Publikums vor. Diese Meditation gehörte zu ihren Ritualen. Dann fühlte sie sich freier und selbstsicherer. In der Zwischenzeit, nachdem er die Lage im Sicherheitsbüro gecheckt hatte, ging Kim zu seinem privaten und für das Konzert reservierten Balkon. Zwei Leibwächter standen vor der Tür und waren für seine Sicherheit verantwortlich. Vom Balkon aus hatte er den besten Überblick und konnte alles beobachten, egal was auch geschehen mochte. Er ging zu dem runden Tisch, der in der Mitte des Raumes stand, und schenkte sich einen Whisky ein. Dann setzte er sich auf das schwarze Ledersessel und machte die Augen zu, bereitete sich auch für den Abend vor. Er trank langsam und genoss jedes Tröpfchen des alkoholischen Getränks. Aus der Stille drang Alyas Stimme heraus. Alles blieb dunkel auf der Bühne, nur Alyas Stimme war zu vernehmen. Er spürte wie der Klang ihrer Stimme um sein Herz herumwirbelte. Der Vorhang ging auf und das Konzert begann. Alya stand im Licht auf der Bühne, wo sie immer hingehört hatte. Kim genoss die Musik und freute sich darauf, dass er zu Alyas Erfolg beigetragen hatte. Er bereute keine Minute, diesen Weg mit Alya eingeschlagen zu haben. Plötzlich holten ihn Geräusche von Schritten hinter der Tür aus seiner Träumerei heraus. Er vernahm eine klare und fröhliche Stimme, die er überall erkannt hätte und die John, einen seiner Leibwächter, fragte: "Hallo, John! Wie geht´s heute? Darf ich zu Kim?" Kim konnte das Lächeln und die Frische in ihrer Stimme hören, ihre liebe Dawn. John antwortete ihr mit sanfter Stimme:
„Ja, Dawn, du darfst reingehen." Dawn machte die Tür auf und sah Kim in seinem Ledersessel. Dawn stand vor ihm in ihrem zu kurzen Outfit - Kims Meinung nach jedenfalls. Aber er hatte es seit langer Zeit aufgegeben, etwas daran ändern zu wollen. Sie trug ein zu knappes, gelbes T- Shirt, worauf eine wunderschöne, weiße Taube zu sehen war. Dazu hatte sie sich den passenden, mit Perlen geschmückten Jeansrock ausgesucht. An ihren Ohren funkelten zwei sternförmige Silberohrringe. Und weil sie Sterne über alles liebte, trug sie dazu die passenden, sternförmigen Fingerringe. Kim war überwältigt von ihrer frischen und unschuldigen Art und Weise, den Menschen gegenüber zu treten und von ihrer klaren, starken Ausstrahlung. Und dazu dieses Lächeln in ihren schwarzen Augen... Kein Geld der Welt könnte das ersetzen. Sie sprach mit begeisterter Stimme: „Das Konzert hat gut angefangen. Das Publikum ist heiß! Warum siehst du so traurig und einsam aus?" Kim blieb stumm und schaute sie mit einem müden und melancholischen Blick an, ein trauriges Lächeln auf den Lippen. Dawn ließ unschuldig ihre Hand über ihre Haare streicheln und wartete ruhig auf Kims Antwort. Letztendlich fasste er sich ein Herz, machte den Mund auf und antwortete: „Es ist alles gut, Liebling. Keine Sorge, ich bin  nur ein wenig müde. Es läuft alles nach Plan. Alles OK." Dawn verstand ja nicht so ganz, was das zu bedeuten hatte "alles nach Plan " aber richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Bühne und Alya, die gerade den ersten Song fertig gesungen hatte und schrie: "Vielen, vielen Dank!!! Ihr seid großartig! Wollen wir zusammen durch meine Musikwelt weiter reisen?" Das Publikum jubelte.
„Super! Dann machen wir weiter! Der Song, der jetzt kommt, ist einer meiner Lieblingssongs und ich fühle mich geehrt, dass ich ihn mit einem besonderen Sänger singen darf und zwar mit Derreck Hayes." Die Leute im Publikum schrien vor Begeisterung. Im selben Moment tauchte Derreck auf die Bühne auf. Das Publikum schrie lauter. „Hallo! WOW! Was für ´ne Stimmung hier!! Ihr seid heiß!! Macht noch mehr Lärm!!!" begrüßte Derreck das Publikum. Die Leute kreischten, schrien lauter. Derreck fuhr fort: "Alya und ich werden euch einen besonderen Song vorsingen, `Lose ourselves´. Seid ihr bereit zu rocken?" Das Publikum schrie ein lautes "JA!" Aber es war für die beiden Sänger nicht laut genug. Alya frage nochmal „Seid ihr bereit zu rocken?" "JA!" antworteten die Menschen im Publikum wie ein Mann. „Los geht’s!" schrie Alya. Die beiden Sänger stellten sich Rücken an Rücken. Alya begann mit ihrer klaren Stimme zu singen. Alya war froh, mit Derreck singen zu dürfen. Sie fand ihn süß. Ja, zugegeben, sie hatte eine Schwäche für ihn. Und sie, die Wilde aus dem koreanischen Wald, durfte mit ihm auf der Bühne performen. Es war ihr klar, dass er völlig iihre Schönheitsvorstellung verkörperte, was Männer betrifft. Seine Gesichtszüge waren zart und fein. Er hatte wunderschöne, dunkle Haare.  Und sie brachten nicht nur seine sehr helle Haut, sondern auch seine grünen Augen zur Geltung.  Sie könnte sich in diesen Augen verlieren. Und seine Stimme... er konnte sowohl tief als auch hoch singen. Er hatte die Stimme eines Engels. Jetzt war er dran. Er fing an zu singen. Sie drehten sich um und schauten sich den ganzen Refrain lang in die Augen. Alya war innerlich hin und weg, aber zeigte nichts äußerlich, was dies verraten könnte. Aber der Höhepunkt war der Moment, in dem er sich hinter sie gestellt und sie fest umarmt hatte. Die Beiden fühlten die Magie dieses Augenblicks. Sie drehte sich zu ihm um. Er hielt noch ihre Hände fest... Und die Musik, die überall durch die Luft schwang... Der Song war bald zu Ende. Noch ein letztes Mal den Refrain. In einem letzten Blickaustausch näherten sich ihre Lippen und sie küssten sich. Der Kuss war angenehm und warm. Sie wünschte, er möge nicht mehr enden. Als die Musik aber zu spielen aufhörte, trennten sich ihre Lippen. Die beiden Künstler lächelten ein wenig verlegen aber zufrieden. Das Publikum jubelte. Derreck verabschiedete sich von der Bühne. Aber bevor er weg ging, flüsterte er in Alyas Ohr: „Es war wunderschön. Ich will dich heute Abend noch treffen. Du bist umwerfend. Aber es geht dir nicht gut. Was ist los? Ich habe fast das Gefühl, du willst dich von allem verabschieden... Singst du zum letzten Mal?...Ich mache mir Sorgen..." Alya lächelte ihn ein letztes Mal an, ließ ihn los,  sagte aber nichts und wollte das Konzert fortsetzen. Aber Derreck nahm sich ein Mikro zurück und änderte seine Meinung. Als Alya den nächsten Song im Programm singen wollte, tauchte er wie aus dem Nichts auf und fing an, sein Lied "Crash and burn" zu singen, ein Lied über Zusammenhalt und Freundsdchaft in schlechten Zeiten. Derreck ließ sich nicht von Alyas genervtem Gesichtsausdruck beeindrucken und sang weiter. Er ging zu ihr und lud sie zu tanzen ein. Derreck hoffte, dass der Song sie besänftigen würde. Und das war der Fall. Er ließ sie nach und nach durch die ganze Bühne wirbeln und sogar fliegen. Er sang diesen Song nur für sie und das wußte sie auch...Am Ende des Lieds hatte sie wieder ein Lächeln in den Augen. Als Derreck die Bühne endgültig verließ, flüsterte er Alya zu:"ich habe keine Ahnung, was in deinem Leben gerade los ist, aber ich konnte dich nicht so traurig verlassen. Jetzt strahlen deine Augen wieder. Jetzt kann ich gehen. Und meine Einladung für heute Nacht gilt immer noch..." Alya lächelte ihn dankbar an und umarmte ihn. Derreck wischte eine Träne weg und küsste Alya auf die Stirn. Dann verschwand er. Kim stand überrascht da. Was war denn da gerade auf der Bühne passiert? Er versuchte die Tatsache zu verdrängen, dass er eifersüchtig war. Kim stand auf und ging zum Fenster. Es beruhigte ihn, die Sicherheitseinheiten draußen zu sehen. Eine Sekunde lang lief ihm einen Zucken den Rücken herunter. Ein unauffälliges und ungewolltes Zittern. Dawn konnte das aber wahrnehmen und fragte sich, was wohl im Kims Kopf los war und guckte dann vom Fenster ebenfalls nach unten. Sie fühlte sich immer verwirrter. Wozu diese Sicherheitseinheiten??? Aber sie wagte es nicht, einfach Kim danach zu fragen. So behielt sie die Frage für sich. Diese entscheidende Frage stellten sich auch die drei Befehlshaber der Sicherheitseinheiten, die neben Kims Balkon im aus Glas gebauten Sicherheitsbüro standen, und, die von da aus Befehle erteilten und im ständigen Kontakt mit ihren Truppen waren. Der erste Befehlshaber fragte:
„Ist es wirklich notwendig, all das Geld in diese Sicherheitsmaßnahmen zu stecken? Kim hat ja drei Einheiten für diesen Abend mobilisiert. Den Gerüchten nach ist er yakuza. Dann hat er mehr Geld als genug... Er kann´s sich leisten. Aber warum hätte Alya das nötig?“
„Ich verstehe das auch nicht und weiß nichts darüber. Ich mache meinen Job und das ist alles“, antwortete der zweite Befehlshaber.
„Wollen wir wetten, dass es heute Abend nichts passiert? Ihr werdet sehen. Kim hat völlig übertrieben.“
„Es wird nichts geschehen...“, erwiderte der Dritte.
Plötzlich verschwanden die Bilder der Überwachungskameras von den Bildschirmen. Der erste Befehlshaber schrie: „Ich glaube, jetzt hast du deine Antwort! Gleich wissen wir, warum!"
Die drei Befehlshaber brüllten noch ein paar Befehle und nahmen ihre eigenen Waffen. Sie rannten nach draußen zu ihren Truppen. Einer der Befehlshaber berichtete John von der Lage. Kim war so in der Betrachtung von Dawn vertieft, wie betäubt, dass er nicht mal bemerkte, dass John sich ihm näherte, um ihm von der Lage zu berichten. Es schien ihm, als ob es gestern gewesen sei, dass Dawn noch ein kleines Mädchen war. John berührte ihn kurz am Arm. Kim kam wieder zu sich. John lächelte ihn an und begann mit dem Bericht. „Es ist soweit. Sie greifen an. Die drei Sicherheitseinheiten sind jetzt voll im Einsatz. Sie kämpfen gerade draußen." Kim wusste jetzt, dass es kein Zurück mehr gab und dass das "Spiel" angefangen hatte, die erste Etappe. Er rauchte noch eine letzte Zigarette mit vollem Genuss. Er befahl John mit Dawn wegzufahren und auf sie wie auf sein eigenes Leben aufzupassen. Dawn hörte das zwar alles, verstand aber nichts. Was war hier los? John fasste sie an ihre Wespentaille an, zog sie sanft zu sich und flüsterte ihr ins Ohr: „Wir müssen gehen. Du hast gehört was Kim gesagt hat." Dawn weigerte sich mit John wegzufahren. Sie schrie verzweifelt und hilflos: „Kim!" Sie wollte verstehen. „Warum, Kim?" Sie stellte diese Frage mehrmals, bekam aber keine Antwort. Sie heulte und schrie immer lauter. Sie wehrte sich weiter und schlug John mitten ins Gesicht. Er grinste eine Sekunde vor Schmerz aber dann lachte er sie an. Er hielt sie noch immer an der Taille fest und sagte: „Es wird alles wieder gut. Beruhige dich." Müde hörte sie auf um sich zu schlagen und zu schreien. Kim schaute sie in die Augen und sagte ruhig mit leiser, aber eiserner Stimme: „Du hast keine Wahl. Das ist mein letztes Wort. Ich meine es ernst, Liebling. Seitdem ich dich kenne, habe ich mir geschworen, für deine Sicherheit und dein Glück zu sorgen. Du tust jetzt genau, was ich dir befehle. John passt jetzt auf dich auf und du wirst sehen, alles wird gut. Geh jetzt mit John weg." Dawn war verwirrt und zerrissen. John sagte ihr schließlich ganz leise und sanft: „Jetzt, komm! Uns rennt die Zeit davon. Tu was Kim sagt. Glaube mir, es ist das Beste." Kim lächelte sie an, während sie weinend mit John - immer seinen Arm um ihre Taille - durch die Tür ging. Auf Dawns Gesicht kullerten die Tränen ununterbrochen. Sie blickte ein letztes Mal zurück und sah Kim ruhig mitten im Raum stehen, zuversichtlich und immer lächelnd, mit diesem besonderen und starken Ausdruck im Gesicht und in den Augen. Das gab ihr Mut. Wie konnte sie auch wissen, was dann passieren sollte? Als Dawn weg war, schloss sich die Tür und ließ Kim allein, der jetzt keine Zeit für die Traurigkeit hatte und der sich mit einem kalten Lächeln im Gesicht kaiserlich umdrehte. Die Situation vom Fenster aus betrachtend, erteilte er seinen Männern Befehle per Handy. Bevor er den Balkon verließ und hinunter ging, sah er zu Alya herunter auf die Bühne. Er schickte ihr einen fliegenden und imaginären Kuss. Das war das Zeichen und Alya wusste nun, dass es angefangen hatte. Sie sang noch kräftiger und lauter. Sie spürte eine durch ihre Körper neue fließende Energie. Indem sie sang, streichelte sie ihren Gürtel, in dem ihr Kampfmesser, das Tento versteckt war. Sie war bereit und resigniert. Kim eilte Richtung Bühne und wollte durch die Kulissen zu Alya gehen. Als er blitzartig in die schmalen Gängen des Amphitheaters rannte, traf er die ersten Extremisten, die in dem Amphitheater eingedrungen waren. Er holte seine Waffe heraus und rasch wie der Wind erschoss er sie. Er schoss, schoss. Er konnte auch immer deutlicher die Stimme Alyas hören und die Begeisterungsrufe der Zuschauer. Seine Schnelligkeit und die Schreie des Publikums entführten ihn in eine vergangene Zeit, als Alya, Dawn und er nach der Flucht aus Nordkorea in Südkorea gelebt hatten und eine neue Lebensart entdeckt hatten...

Er rannte mit Alya und Dawn auf einen Jahrmarkt in Seoul. Alles war so neu und so bunt um sie herum. Das hatten sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Dawn wollte unbedingt alles sehen und erleben, was nur möglich war. Sie waren aufgeregt und außer sich. Alles war so unentdeckt und neu. Sie wussten nicht, womit sie anfangen sollten. Das war so ein Überfluss von Farben, Spiel- und Kaufmöglichkeiten... Das alles verdrehte ihre Köpfe. Am besten, alles auf einmal. Sie rannten immer schneller zur Achterbahn. Sie stiegen ein und das übertraf ihre kühnsten Träume. Die Achterbahn ging herauf und herunter, rauf und runter... Das war so spannend, sie lachten und schrien vor Begeisterung. Als sie ausstiegen, lachten sie herzlich. Aber Dawn musste Kotzen. Sie gingen dann Enten angeln und am Schießstand schaffte es Kim, mehrere Stofftiere für Dawn und Alya zu gewinnen. Der Besitzer des Schießstandes hatte noch nie jemanden so begabt für das Schießen gesehen. Er lachte und sagte zu Kim: „Wenn alle so begabt wären, könnte ich mein Geschäft schließen!!“ Sie rannten dann weiter von Stand zu Stand und kauften Dawn eine Puka Tasche - Dawn liebte Puka. Schließlich bemerkten sie ein kleines Restaurant, wo sie leckere Nudelsuppen, scharfe Samusas und Mandelnkekse aßen. Dabei tranken sie Tee. Sie scherzten und alberten herum. Das neue Gefühl von Freiheit war unbeschreiblich. Sie genossen es mit vollen Zügen. Sie grillten Fleisch- und Fischstücke am Tisch, wie es in den koreanischen Restaurants üblich ist. Sie freuten sich über diese gemeinsame verbrachte Freizeit. Zum Nachtisch gab es süße Crêpes und Waffeln. Kim erzählte noch ein paar Witze. Alya wusste nicht, dass er so witzig sein konnte und so viele Witze kannte. Sie lachten sich kaputt. Das neue Gefühl von Freiheit hinterließ aber bei Kim einen bitteren Geschmack. Er dachte nämlich an alle, vor allem an die Waisenkinder, welche noch in Nordkorea lebten und dort leiden mussten. Er wusste, dass Alya auch daran dachte. Er konnte das von ihren Augen ablesen. Aber das Lächeln von Dawn heilte alles. Es tat ihm gut, sie lachen zu hören. Das war das Wichtigste in diesem kostbaren Moment. Am Ende des Tages gingen sie zum großen Rad und stiegen ein. Sie betrachteten den Sonnenuntergang und Seoul vom oben herab. Die Schönheit dieses Augenblickes war unmöglich mit Worten zu beschreiben. Nur genießen, nur genießen und neue Energie aus dieser Schönheit tanken. Sie hofften, dieses Glück würde kein Ende nehmen. Alya sah schon in ihrem Kopf die Wörter für neue Texte tanzen. War sie jetzt bereit über das Schöne zu schreiben? Es schien ihr, als hätte sich eine Tür geöffnet und die Antwort könnte "ja" sein. Aber es war ihr bewusst, dass sie noch viel Zeit brauchen würde, um ihre Wunden zu heilen. Erstmal spürte das Bedürfnis, dunkle und tiefe Texte zu schreiben. Das war die schönste Pause in jenem ersten Jahr in Südkorea, die sie je erlebt hatten, seitdem sie geflüchtet waren. Das Jahr war anstrengend gewesen, zwischen der Eingewöhnung in Seoul, der Schule und den Nebenjobs. Alya hatte aber ein anderes Ziel, und zwar, Popsängerin zu werden. Alya freute sich riesig auf diese neue musikalische und menschliche Erfahrung. Nur sie, ihre Musik und die Bühne. Sie, ihre Botschaft, die Bühne und das Publikum. Sie konnte es kaum noch erwarten. Aber momentan war sie nur dankbar für so viel Glück und schaute liebevoll zu Kim. Er erwiderte diesen Blick und war auch für alles dankbar, was Alya für ihn und Dawn getan hatte. Er war einfach dafür dankbar, dass Alya existierte. Sie war für immer Teil seines Lebens, wie Dawn. Sie waren die zwei Frauen seines Herzens, seine Inspiration.


Kim kam aus seiner Träumerei heraus und rannte, rannte, rannte. Die Wut in ihm stieg noch mehr und er spürte ihre Wärme. Dieses Glück war jetzt vorbei und gehörte zur Vergangenheit. Er sagte sich, dass das Glück nur eine Serie von schönen Momenten war. Das konnte leider nicht von Dauer sein. Leider?! Tja! Ohne zu leiden, kann man sich nicht weiterentwickeln und wachsen. Indem er darüber nachdachte, tötete er kaltblütig, rasch und sauber die Extremisten, die immer zahlreicher seinen Weg kreuzten.
Im gleichen Moment folgte Dawn John widerwillig. Er ließ sie nicht los.
„Ich will wissen, was los ist und ich werde nicht weiter laufen, solange du mir nicht erklärst, warum das alles geschieht“, befahl Dawn.
„Du willst es wissen, OK“, erwiderte John in einem genervten und trockenen Ton. „Geh da hinein und beklage dich nicht." Er zeigte ihr eine geschlossene Tür, schloss sie auf und schubste Dawn in den Raum. Sie betraten einen großen, dunklen Raum. Als sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, konnte Dawn zwei wunderschöne, gegenübergestellte weiße Sofas und einen kleinen Couchtisch erkennen, auf dem ein Tablett mit Gläsern und Alkohol stand. Das war ein wunderschöner, modern und geschmackvoll eingerichteter VIP Salon. In der Ecke gegenüber stand ein Möbel mit einem Fernseher und einem DVD Player. Rechts vor dem Fenster standen ein großer Glastisch und einige Stühle. Dawn dachte, die VIPs haben wahrscheinlich hier ganz schön nach den Konzerten gefeiert. Der Salon wirkte beruhigend auf sie. Aber für wie lange?
„So, jetzt, wenn du es wirklich wissen willst, dann brauchst du nur die Vorhänge aufzumachen. Die Antwort zu deiner Frage befindet sich dahinter."
Dawn traute sich zuerst nicht. Sie ging zögernd und ihr Herz schlug immer schneller. In ihrem Kopf drehten sich die Fragen im Kreis, wie in einer höllischen Spirale. Sie fühlte sich, als ob diese Spirale sie verschlucken wollte. Sie wollte nur davor weglaufen. Das machte ihr eine solche Angst. Aber John war ja bei ihr. Er sagte dann leise zu ihr, um sie zu ermutigen: „Na, geh schon, mach auf. Keine Angst. Nur Mut. Das schaffst du schon." Dann wurde die Neugierde so stark, dass sie sich zusammenriss, sich langsam dem Vorhang näherte und ihn mit zitternder Hand zurückschob. Aber was sie dann sah, übertraf alles, was sie sich vorgestellt hatte. Ein kalter und bitterer Regen fiel ununterbrochen vom Himmel herab, als ob er die Sinnlosigkeit der Situation wiederspiegeln wollte. Sie spürte die Kälte bis in ihre Knochen. Nach einer Weile bemerkte sie, wie die von den Sicherheitseinheiten eskortierten Menschen aus dem Amphitheater hinaus marschierten. Aber warum? Sie verstand den Grund dieser Evakuierung nicht sofort. Die Wände um sie herum zitterten wegen des Lärms draußen aber auch wegen Alyas Musik, die überall im Hintergrund die Luft schweben und vibrieren ließ. Diese starke und charaktervolle Musik verkörperte Alyas Kampf und begleitete die Szene, die sich vor Dawns Augen gerade abspielte. Sie sah wie die Sicherheitstruppen von einer gewalttätigen, extremistischen Gruppe angegriffen wurden. Sie war fassungslos. Die Sicherheitseinheiten waren erst mal überrascht. Das konnte Dawn auf den Gesichtern der Sicherheitsleute sehen. Sie verstanden nicht, was los war. Dies war ein Überraschungsangriff. Wer griff an und warum? Sie wurde Zeugin, wie die Sicherheitsleute nach und nach von der Extremistentruppe getötet wurden. Die Extremisten wurden immer zahlreicher, wie ein See, der in kurzer Zeit zum Meer geworden war. Die Sicherheitseinheiten waren umzingelt. Dawn sah diese hoffnungslose Situation. Sie war verwirrter als vorher. Warum diese Gewalttätigkeit? All das fließende Blut? Sie schaute nach unten, weil ein Geräusch ihre Aufmerksamkeit erweckt hatte. Ein verletzter Mann war gerade vor ihren Augen hingefallen und sein Kopf hatte sich gegen das Fenster gestoßen. Er hatte es voll mit Blut verschmiert. Dawn war mehr als erschrocken. Sie konnte nicht mehr reden und stand erstarrt da wie unter Schock. Wie er mit einem leeren Blick, da,  auf der kalten und feuchten Erde lag, ähnelte der sterbende und nass gewordene Mann in jeder Hinsicht einem Jungen, den sie vor langer Zeit gekannt hatte... Eine Vergangenheit, die sie am liebsten vergessen wollte. In ihren Augen tauchte die Nebel der Kindheit und des Vergessenen auf und nahm sie weg, weg von der Realität. Sie war im Gedanken nicht mehr mit John im Amphitheater.


Sie war fünf Jahre alt und in Nordkorea, im Arbeits- und Konzentrationslager für die Neuerziehung von den Rebellen, von den Gegnern der Partei, seien sie Erwachsenen oder Kinder... Es regnete an jenem Tag. Der tote Körper eines Kindes lag auf dem Boden. Der Junge wurde vor den Augen der anderen Kinder des Lagers umgebracht. Das war die Strafe. Er hatte was zu essen gestohlen und wurde dabei auf frischer Tat ertappt. Die anderen Kinder bildeten einen Kreis um ihn herum und mussten dabei zusehen, sonst wären sie als verdächtigt verurteilt und auch getötet worden. Um zu überleben, mussten die Kinder sogar daran teilnehmen und die Verdächtigen steinigen. Das war Pflicht. Diese Kinder waren hier Gefangene, so wie ihre Eltern, die sich auch im selben Arbeitslager befanden. Dawn stand neben Alya, einem dreizehnjährigen, von der nordkoreanischen Roten Armee gekidnapptes Waisenkind, das sich um sie kümmerte. Die Beiden waren von Anfang an befreundet. Ihr war kalt, obwohl die Luft feucht und warm war. Es war nämlich Monsunzeit. Sie fühlte sich erschöpft. Ihr Blick wanderte von dem toten Jungen zur alten, feuchten und wackeligen Holzbaracke, wo sie die Zeit verbrachte, wenn sie nicht zur Arbeit oder zum Appell musste. Sie wollte einfach schlafen und abschalten. Sie war so dankbar, dass Alya da war und sie schützte. Das Gefühl von Hunger verließ sie nie. Davon war es ihr immer schwindlich. Der Hunger trieb alle Kinder hier in den Wahnsinn. Noch mehr wenn die roten Soldaten vor ihren Augen genussvoll aßen. Die Kinder hatten zu wenig Schlaf. Mitten in der Nacht wurden sie geweckt, um irgendwelche militärische Übungen zu machen oder um zu arbeiten. Dawn konnte die Stimme eines auf den Steinigungsablauf aufpassenden roten Soldaten nicht mehr wahrnehmen, welche die üblichen Beleidigungen herausbellte. Es fiel ihr schwer, bei Bewusstsein zu bleiben. Aber sie sah noch wie Alya ihre Finger in einer Reihe von Zeichen bewegte. Mit den Augen suchte sie den Empfänger dieser Fingerbotschaft und bemerkte Kim, nicht weit entfernt von ihnen. Der dreizehnjährige Kim war auch ein Freund von Alya. Unauffällig antwortete er mit der nur den Beiden bekannten Fingersprache. Worüber konnten sie denn reden? Dawn konnte nicht ahnen, dass sie sich über sie unterhielten und sich Sorgen machten. Alya fragte: "Glaubst du, dass Dawn das noch lange aushalten kann? Ihr Blick ist so leer und jeden Tag wird er leerer.“
„Ich weiß es nicht und ich mache mir Sorgen“, antwortete Kim.
„Aber wir müssen...“
„Ja, für sie durchhalten und überleben." Dann bewegten sich Kims und Alyas Finger nicht mehr. Aber ihre Blicke waren entschlossener denn je.


Johns Stimme brachte sie ins Hier und Jetzt zurück.
"Alles in Ordnung? Ich hatte dich gewarnt, flüsterte John, wir müssen jetzt weg. Wie du siehst, ist es stürmisch draußen." Dawn machte die Augen auf und John konnte die Wut und den Hass darin sehen, den gleichen, der sich auch im Blick von Alya und Kim widerspiegelte. John fühlte sich eine Sekunde unwohl. Er nahm sie bei der Hand und sie gingen los. Er bflüsterte ihr zu: "Ich erkläre dir den Rest im Auto." Dawn war noch benommen vom Flash-back und folgte ihm wie betäubt und ohne Widerstand. Sie schlichen sich ganz schnell durch den Hinterausgang hinaus. Eine Limousine wartete schon auf die Beiden. Bevor sie wegfuhren, blickten sie ein paar Sekunden zurück... und überließen Kim und Alya ihrem Schicksal. Entschlossen stand Alya noch auf der Bühne und sah wie nach und nach die Menschen weg eskortiert wurden. Ihr letzter Song war jetzt fertig. Die Letzten waren nicht mal in Sicherheit gebracht, als die Extremistentruppe in das Amphitheater hineinplatzte. Ein schwarzer Mann versuchte noch zu fliehen und den Sicherheitsleuten zu folgen. Ein Extremist bemerkte das und mit seiner Waffe schoss ihn in den Hinterkopf. Er schrie dann: "Wir töten euch alle sowieso!!!" Ein Sicherheitsmann schoss zurück und traf ihn ins Herz.
Im selben Augenblick schaffte sich Kim Zugang zur Bühne. Die Extremisten waren schon überall. Im Flur musste er schon mehr als drei umlegen. Er hatte sich wie eine Katze hinter sie geschlichen und sie getötet. Aber endlich sah er die Bühne vor sich. Und Alya stand fest in ihrer Position in der Mitte. Was für ein atemberaubender Anblick! Ihre Ausstrahlung konnte man spüren. Sie war rot vor Wut und Hass... Das verbreitete sich über die ganze Bühne und im Raum. Sie hatte ihre Finger auf ihrem Gürtel und war jeder Zeit dazu bereit, ihr Messer in einer raschen Bewegung herauszunehmen. Ihr schwarzes, glattes Haar fiel wie ein sanfter Morgenregen auf ihre Schulter. Alya spürte Kim hinter sich und drehte sich um. Sie lächelte ihn an. Das leuchtende schwarze Licht in ihren Augen war noch mehr beeindruckend und hypnotisierend. Eine Göttin der Gewalt. Er lächelte zurück und mit den Fingern sagte ihr: „Ich bin bereit und sei gewiss, dass ich..."
Er warf einen Blick auf den schwarzen Mann, der jetzt tot war und so auf dem Boden lag, dass er in seinen nebeligen Gedanken und in die Vergangenheit zurückging. Es erinnerte ihn an...


Mit Waffen in den Händen rannten Alya und Kim so schnell sie nur konnten. Sie wurden jetzt von den roten Soldaten gezwungen “Balls fighting” zu spielen. Die Kinder wurden in zwei Teams aufgeteilt und das Ziel war es, die meisten Kinder des anderen Teams zu töten. Die Soldaten überwachten den Spielablauf. Nur die Stärksten konnten gewinnen. Die zwei Teams rannten durch das Lager und versteckten sich, suchten Schutz aber die Gegner kannten keine Gnade und schossen einfach drauf los. Alle wollten gewinnen. Dawn und Alya gehörten zum selben Team und spielten also gegen Kim. Alya schützte Dawn die ganze Zeit und verbat ihr sogar, die Waffe zu benutzen. Sie schoss also für zwei und passte darauf auf, dass Dawn keine Kugel abkriegte. Sie sollte ja so lange wie möglich gesund, rein und unschuldig bleiben. Sie war der Grund, warum Kim und Alya jeden verdammten Tag aufwachten. Sie wollten sie um jeden Preis schützen. Sie verkörperte ihren Sinn des Lebens. Unglücklicherweise gerieten Alya und Dawn in einer Falle und es wurde von jeder Seite geschossen. Alya verteidigte sich wie eine Furie aber sie übersah, wie eine Kugel Dawns Schulter traf. Dawn fing an, vor Schmerz zu weinen. Voll konzentriert auf die Schlacht hörte sie Dawns Schmerzrufe nicht. Letztendlich schaffte Alya alle zu erschießen und ging zurück zu Dawn. Sie bemerkte ihre Verletzung und vergaß ihre eigenen. Sie zerriss ein Stück ihres Oberteils und band es auf und um Dawns Verletzung herum. Kim war auch einer von den fünf Gewinnern. Er rannte sofort zu den Beiden und half beim Verbinden. Dawn schien tot zu sein. Sie atmete kaum noch. Kim und Alya spürten, wie sich die Wut in ihren Adern steigerte und ihnen volle, neue Kraft gab. Vor Wut erstarrt standen sie mitten im Lager, mitten auf dem Totenfeld. Plötzlich lautete eine Sirene aus dem Erwachsenenlager. Die meisten roten Soldaten mussten dorthin, weil gerade ein Fluchtversuch geschehen war. Sie mussten nach den Flüchtlingen suchen. Es blieben nur wenige rote Soldaten übrig, um die Kinder zu überwachen. Das war ja nicht weiter schlimm, denn es gab sowieso wenige überlebenden Kinder und sie wollten auch - laut Befehl des nordkoreanischen Armeebefehlshabers - das Lager abräumen, zuerst das Kinderlager und dann das der Erwachsenen. Die drei roten Soldaten, die bei den Kindern geblieben waren, befahlen ein neues Spiel zu beginnen. Sie entschieden sich für eine Jagd, eine Kinderjagd… Kim und Alya wurden immer wütender und voller Hass.
Und dieser Hass kontrollierte jetzt ihren Körper und ihren Geist. Sie würden sich beim nächsten Spiel rächen.


Die Schritte eines Extremisten näherten sich der Bühne. Er schien der Chef der Truppe zu sein. Und dieses gewöhnliche Geräusch von Schritten und Stiefeln weckte Kim auf. Er schaute dem Mann in die Augen und seine Augen glühten voller Wut. Eine einzige Träne lief seine Wange herunter. Er fasste seinen ganzen Hass in sich zusammen und war kampfbereit. Bereit dazu, ihn wie ein roter Tiger anzugreifen und zu töten. Die Zeit schien für einen Augenblick stehen zu bleiben, als der Terrorist sich der Bühne näherte. Kim und er schauten sich tief in den Augen. Kim sah wie er einen Mann erschoss, der sich unter einem Tisch verkrochen hatte. Er hatte nicht den Sicherheitseinheiten folgen können… Die Zeit war zu knapp gewesen. Diese Szene ließen düstere Erinnerungen aus seinem Gedächtnis hervorkommen. Und Kims Gedanken flogen noch einmal in den Nebel der Vergangenheit. Er sah…


Nordkorea. Die erwachsenen Flüchtlinge waren noch nicht gefunden und es herrschte Chaos. Die überlebenden Kinder waren auf dem Appellplatz versammelt. Und die Spielregeln wurden erklärt. Die Kinder hatten eine Stunde Vorsprung, sollten laufen und ein Versteck finden. Die roten Soldaten würden dann nach einer Stunde die Suche starten, die Kinder finden und schließlich töten. Die Jagd begann… Die roten Soldaten nahmen den Kindern die Waffen weg. In der Stunde Vorsprung waren Kim und Alya entschlossen, die Stellung nicht zu verlassen, sich zu rächen. Seitdem sie hier im Lager lebten, hatten sie die Zeit und die Cleverness, Waffen zu stehlen und zu verstecken. Kim holte die Waffen aus dem Geheimversteck heraus, während Alya sich um Dawn kümmerte. Sie kam wieder zu sich. Alya gab ihr etwas zu trinken, Regenwasser, das sie für sich selbst versteckt und behalten hatte. Und Dawn fühlte sich besser. Sie versuchte, sich aufzurichten. Der Schmerz war noch da, aber zum Glück hatte die Kugel keine wichtigen Adern oder Organen getroffen. Sie blutete nicht mehr so viel. Kim kam zurück und freute sich über die Besserung von Dawns Zustand. Das gab ihnen Mut. Sie wollten jetzt kämpfen und waren bereit. Ein Kampf für ihre Freiheit. Sie hielten solange die Stellung auf dem Platz und warteten, dass die Stunde vorbei war. Die beste Verteidigung blieibt der Angriff. Zwei roten Soldaten gingen endlich aus der Kaserne heraus. Kim und Alya zielten mit ihren Waffen auf sie. Die Soldaten waren überrascht und starben mit einem Schrei. Jetzt mussten sie fliehen, so schnell es nur möglich war. Kim fing an, Richtung Ausgang wegzurennen. Alya folgte ihm mit Dawn, die nicht so schnell laufen konnte, an der Hand. Sie fiel ein paar Mal hin. Alya, die genau wusste, dass die Zeit knapp war und dass Dawn erschöpft war, nahm sie in ihre Armen. Der dritte rote Soldat hatte von der Schießerei nichts mitbekommen, weil er sich in dem anderen Flügel der Kaserne befand und mit den Soldaten in dem Erwachsenenlager telefoniert hatte. Als er heraus kam, um seinen Kollegen bei der Jagd zu helfen, fand er sie tot auf dem Platz. Er sah die geöffnete Ausgangstür und verstand sofort, was passiert war. Er stieg in seinem Jeep und fuhr auf der Spur der kleinen Flüchtlinge. Auf dem Weg zum Wald, der das Lager umgab, hörten Kim und Alya einen Wagen kommen. Sie versteckten sich am Rand des Weges und warteten. Nach kurzer Zeit sahen sie den Jeep mit ihrem Feind am Steuer. Kim zielte so gut er konnte, erst mal auf die Reifen und dann auf den Soldaten. Er traf jedes Mal. Er konnte wie kein Anderer schießen und treffen. Das war seine Begabung, dachte er manchmal. Und wenn er später damit Geld verdienen würde…. Während Kim so beschäftigt war, hielt Alya Dawn in den Armen und sang ihr einen ruhigen Song. Sie wollte Dawn ablenken, damit diese nicht sah, wie Kim jemanden töten musste. Sie wollte ihr das ersparen, so gut es ging. Aber es war nicht immer möglich. Kim guckte schnell zu Alya und sie wusste, dass der Weg frei war. Sie gingen weiter auf dem Weg zum Wald und wollten in den Süden, nach Südkorea fliehen. Einmal auf dem Weg sah die kleine Dawn den toten Körper des Soldaten auf dem Boden liegen. Sie ging zu ihm, obwohl Alya sie aufhalten wollte. Sie überzeugte sich, dass er schon tot war und schlug ihn mehrmals mit voller Kraft. Alya ging zu ihr und nahm sie in die Arme. Sie begann wieder zu singen und Dawn beruhigte sich. Sie weinte jetzt auf Alyas Schulter. Alya wiederholte immer wieder zwischendurch: „Es wird alles gut, es wird alles gut, glaube mir und vertraue mir.” Immer noch singend verließen sie dann endlich diesen schrecklichen Ort.

Kim schaute den Extremisten in die Augen, der sich ihm und Alya immer mehr näherte. Kims Gesichtsausdruck war erschreckend und aus seinen Augen schwitztes Hass heraus. Er hielt immer noch seine Waffe fest in der Hand. Von der Hintertür kamen immer mehr Extremisten in den Konzertsaal herein. Kim sah in der rechten Hinterecke einen, der auf Alya zielte. Sie konnte das unmöglich wahrnehmen. Sie guckte nach vorne und war auf die anderen Gegner konzentriert, die jetzt herein kamen. Kim ging zu ihr, umarmte sie mit voller Kraft und ließ sich mit ihr auf den Boden fallen. Alya war überrascht, aber während des Sturzes hörte sie den Schuss und verstand, dass Kim sie schützen und ihr Leben retten wollte. Einmal auf dem Boden, Kim auf sie liegend, guckte sie ihn mit einem dankbaren Blick. Aber die Schießerei war noch nicht vorbei. Die Schüsse schienen von allen Seiten zu kommen. Von diesen Geräuschen umzingelt, hatten Alya und Kim keine Angst. Er lag immer noch auf sie und Augen in Augen rollten sie zusammen im Rhythmus nach links und nach rechts über die Bühne. Ihr Blick war voll von Sicherheit und Entschlossenheit. Kim küsste sie auf die Stirn und sein Mund wanderte von ihren Augen bis zu ihren Lippen. Schon lange hatte er sie noch einmal küssen wollen. Nur der Mut hatte ihm gefehlt. Er wollte weder seine Freiheit (er war mit one-night-stands sehr zufrieden), noch die Stärke seiner Beziehung zu Alya wegen der blöden Liebe verlieren. Er wollte sich nicht binden, weil er genau wusste, dass man von einem Tag zu dem anderen alles verlieren kann. Der Nebel in seinen Augen machte den Vorhang für alte Erinnerungen auf. Lächelnd sah er…


Es war eine schöne Nacht und das Konzert von Alya war großartig gewesen. Er war noch von ihr und ihrer besonderen Ausstrahlung verzaubert… Alya war jetzt im Hotel und feierte mit Freunden. Er hatte ein hübsches Mädchen in einer Bar kennen gelernt und mit ihr den Rest der Nacht verbracht. Sie hieß Ashley und war eine amerikanische Studentin. Sie durfte ein Jahr lang hier in Tokyo studieren. Sie hatten viel gelacht… und auch ein wenig getrunken. Sie gingen in Kims Hotel und verbrachten eine wilde Nacht. Sie taten es mehrmals und probierten mehrere Stellungen aus. Das war unbeschreiblicher Sex gewesen. Aber nur Sex. Das wussten die Beiden von Anfang an und mehr wollten sie auch nicht. Ihre Hände und Zungen, ihre ganzen Körper tanzten unaufhörlich bis zum Morgengrauen. Kim zündete sich im Bett eine Zigarette an und beobachtete Ashley beim Schlafen. Er konnte nicht einschlafen. Das alles hatte einen bitteren Nachgeschmack, aber was soll´s?! Seine Gedanken und verdrängten Gefühle, wirbelten in seinem Kopf. Er lächelte und war dankbar für diese schöne Nacht und sein jetziges Leben, das ihm besonders gefiel. Er hatte sich alles mit der eigenen Faust aufgebaut, für sich selbst, für Alya und für Dawn. Er genoss seinen Erfolg und seine „Nach dem Sex Zigarette“. Er hörte ein Klopfen an der Tür und erinnerte sich daran, dass er Alya versprochen hatte, mit ihr zu frühstücken. Er stand auf, zog ganz schnell einen Schlüpfer an und machte die Tür auf. Er stand verlegen und halb nackt vor ihr. Alya lächelte ihn an, kam herein und sah dann die nackte, in Kims Bett schlafende Frau. „Du hattest anscheinend eine schöne und angenehme Nacht. Sie ist sehr hübsch. Glückwunsch! Du stehst also mehr auf dem amerikanischen Typ… Gut zu wissen. Und, welche sind deiner Erfahrung nach die Besten im Bett? Amerikanerinnen oder Asiatinnen?”
Alya schaute ihm tief in die Augen und hatte ein bitteres Lächeln auf die Lippen. Sie versuchte ihre Würde und ihren Stolz zu retten, damit sie ihre wahren Gefühle unter einer Maske von Ironie verborgen halten konnte. Seinerseits wollte Kim das nicht wahrhaben und die Eifersucht von Alya nicht sehen. „Alya, jetzt reicht´s aber! Wozu dieses ganze Theater? Komm schon, du weißt doch, dass ich Asiatinnen am liebsten habe und abenteuerlustig bin. Mein Leben gefällt mir wie es jetzt ist. Ich möchte in meinem Privatleben nichts mehr als one-night-stands haben. Was Anderes brauche und will ich nicht. Vielleicht später. Komm, gehen wir frühstücken. Ich habe Hunger. Nach dieser wilden Nacht ist das kein Wunder. Und übrigens, wie war dein one-night-stand?” Alya lächelte ihn an, konnte aber nichts antworten. Er lachte herzlich und nahm Alya bei der Hand. Sie gingen dann in den Frühstücksraum. Sie sprachen nicht, schauten sich nur in die Augen und strahlten wie zwei Sterne.

 

Er war übrigens die ganze Zeit überzeugt, dass es ihm reichte und er damit glücklich war. Aber jetzt musste er zugeben, dass er sich getäuscht hatte. Er hatte das Verlangen, sie zu küssen, sich seine Gefühle für sie hinzugeben. Er hatte sich immer mehr von Alya gewünscht. Alya war erstaunt und küsste nicht sofort zurück. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie hatte immer geglaubt, er würde sie nicht begehren, sie wären nur sehr gute, für immer durch dick und dünn verbundene, Freunde. Aber tief drinnen hatte sie ihn immer bewundert und geliebt. Das wusste sie genau. Sie kämpfte nicht gegen ihre eigenen Gefühle und küsste ihn zurück. Er legte seine sanfte Hand auf ihre Oberschenkel. Sie rollten und rollten weiter, mal links, mal rechts zwischen den Kugeln, inmitten der Schießerei. Sie hörten gar nichts mehr, spürten nur noch die Energie und die Wärme des Anderen. Sie sahen vor sich die leuchtenden Sterne, die sich um sie herum wie in einem Ballett bewegten. Während eines langen Augenblicks tanzten sie so zusammen auf dem zerbrechlichen Faden des Todes und des Lebens, ohne herunter zu fallen. Alya war froh, dass er endlich zu seinen Gefühlen stehen konnte, obwohl die jetzige Situation dazu beigetragen hatte. Sie genoss diesen besonderen und gemeinsamen Tanz. Ihre Gedanken verloren den Faden und der Nebel nahm Besitz von ihr. Sie sah…

Sie hatte noch ein erfolgreiches Konzert in Seoul hinter sich. Kim war nicht mehr da. Er hatte sich mit irgendeinem Vorwand aus dem Staub gemacht und war wahrscheinlich, soweit Alya es beurteilen konnte, mit irgendeiner Frau in irgendeinem Bar… Oder musste er heute Abend noch jemanden umlegen… Vielleicht… Wie auch immer… sie wollte auch feiern. Sie ging mit ein paar Freundinnen in eine Bar. Sie begann, sich zu amüsieren und zu trinken. Aber nicht zu viel. Sie war ein Kontrollfreak und mochte es nicht, wenn sie die Kontrolle über sich selbst verlor. Es war auch nie passiert. Ein attraktiver Mann saß allein an der Theke und sah in ihre Richtung. Sie lächelten sich eine Weile an. Der Mann stand dann auf und ging auf sie zu. Er sprach sie an und sie lachte. Im selben Moment betrat Kim die Bar, mit einer hübschen Puppe an der Hand. Er hörte das ihm wohl bekannte Lachen Alyas und sah sie mitten unter den anderen. Sie schien sich gut zu amüsieren. Alya und der Typ gingen Hand in Hand tanzen. Auf der Tanzfläche legte er seine Hände auf ihre Wespentaille. Sie tanzten Augen in Augen. Dann streichelte er ihre Wange und näherte seine Lippen den ihren. Er ging ganz schön ran. Das gefiel Alya, umso mehr, weil sie Kim bemerkt hatte… Sie sah in seinen Augen, wie eifersüchtig er war…. Sie küsste ihn. Sie hatte noch die Augen auf und guckte frech zu Kim. Dann schloss sie ihre Augen. Das war zu viel für Kim. Er ging mit seiner Begleitung auf die Tanzfläche. Sie tanzten wild und küssten sich. Alya, ihrerseits, ignorierte ihn und machte mit ihrem Begleiter weiter. Schließlich gingen Alya und ihr Begleiter hinaus und liefen bis zu Alyas Wohnung, die nicht so weit weg war. Bevor sie die Disco verließen, guckte Alya nicht mal zu Kim, der verzweifelt war, sich dies selbst aber nicht gestehen wollte. Am folgenden Morgen weckte Kim Alya. Er hatte die Schlüssel zu ihrer Wohnung und betrat das Schlafzimmer. Er sah wie Alya und der Typ, sich umarmend schliefen. Er weckte Alya und sagte ihr leise, dass sie einen Termin für die neue CD hätten, dass ihr Privatleben nicht ihrem Beruf schaden müsste.
„Warum bist du so schlecht gelaunt, lieber Kim?", antwortete Alya ganz leise. „Das ist ein so schöner Morgen… langsam, meine liebe Schwalbe.“
„Wir haben doch gleich den Termin. Und zieh dich an!“ Er warf ihr eine Jeans und einen Pulli, welche auf dem Boden lagen, ins Gesicht. „Lege auch Make-up auf. Du siehst müde aus!“ befahl er ihr mit leiser, trockener Stimme. Der Mann schlief immer noch.
„Deine Ironie so früh am Morgen, ist unwiderstehlich. Das ist ja ein Grund, warum ich dich so mag…“
„Übrigens wie war dein one-night-stand gestern Abend? Meiner war wundervoll!“
„Danke der Nachfrage“, erwiderte sie leise.
„Schön für dich… Zieh dich an. In fünf Minuten sehe ich dich in der Küche. Zitronen- oder Pfefferminztee?“ Er gab Alya die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Seine Hand wie auch seine Augen waren zarter und fröhlicher geworden.
„Kaffee, bitte.” Der Mann wachte auf und sah Kim mitten im Schlafzimmer, wie er Alya beim Aufstehen half. Die Decke glitt herunter und ließ Alyas nackten Körper zum Vorschein kommen. Der Mann war bezaubert aber bekam Angst. Wie sich die Beiden verhielten, dachte er, dass sie zusammen wären und wollte jetzt nur noch abhauen. Kim sah, dass er wach war und warf ihm seine Klamotten mit den Worten zu: „Ziehen Sie sich an und dann verschwinden Sie. Alya hat jetzt einen wichtigen Termin.” Der Mann begriff, dass er bei Alya war, dem koreanischen Superstar! Er hatte sie nicht erkannt. Das musste also Kim sein. Er hatte irgendwo gelesen, dass er yakusa sein sollte. Die Beiden, Kim und Alya, waren unzertrennlich aber keiner wusste, welche Art von Beziehung die Beiden hatten. Nichts wie raus hier! Kim sagte noch zu Alya: „In fünf Minuten in der Küche”, und verließ den Raum. Alya wendete sich dem Mann zu und sagte: „Keine Angst! Es ist alles in Ordnung. Es war eine schöne Nacht. Tut mir Leid wegen Kim.“
„Ist nicht schlimm. Ich bin weg. Danke für die Nacht… Mach´s gut…“
„Du auch. Bis Bald.” Obwohl Alya wusste, sie würde ihn nie wieder sehen... Sie konnte sehen, dass er Angst vor Kim hatte. Aber das war ihr recht so.
Der Mann verschwand und sie ging in die Küche. Sie schrie erst mal herum. Was wohl in ihn gefahren wäre, für wen würde er sich eigentlich halten, sich in ihr Privatleben einzumischen und zu stören. Sie würde auch nicht herein platzen, wenn er mit einer Frau zusammen wäre.
Kim wurde verlegen und konnte nichts antworten. Er goss ihr Kaffee in die Tasse ein und fasste ihre Hand an. „Tut mit Leid, Alya. Ich möchte dich nur schützen…”


Alya kam wieder zu sich und spürte den Boden unter ihrem Rücken. Sie nahm die Wärme Kims wieder wahr, die Lust, seine Hände auf ihren Haaren und die Bewegung seiner Zunge, aber auch ihrer zwei Körper, die hin und her, links und rechts im Rhythmus rollten. Das war ein unbeschreibliches Gefühl der Stärke und des Sieges. Kim fühlte sich unverwundbar und unbesiegbar. Zu Zweit waren sie immer am stärksten und hatten schon so viele Hindernisse überwunden. Zusammen hatten sie immer jeden Kampf gewonnen. Sie war seine Seelenverwandte und er hatte das immer gewusst. Er wollte nur es nicht wahrhaben. Die Tatsache, dass er sie liebte, hatte ihm Angst eingejagt. Wegen seiner Gefühle wollte er nicht schwächer oder angreifbar werden. Er wollte sich beweisen, dass er ohne sie leben konnte. Im Grunde wollte er sie nur schützen. Aber die Realität war anders. Er hatte sie immer geliebt, seit dem Tag, am dem sie sich kennengelernt hatten. Aber der entscheidende Moment, in dem er zum ersten Mal seine Gefühle für Alya gespürt hatte, war ganz anders und besonders. Und der Atemrhythmus und die Körperwärme Alyas unter ihm brachte ihn zu diesem Augenblick zurück, wo…


Kim suchte Alya überall. Wo konnte sie nur sein? Sie war sofort nach ihrem Konzert abgehauen. Was war denn los mit ihr? Sonst trafen sie sich immer nach dem Konzert auf einen Drink. Das war so eine Art Ritual. Er suchte und suchte weiter. Er ging schließlich zu Alyas Wohnung und, da er einen Schlüssel hatte, trat er hinein. Er hörte kleine, kurze Schreie aus Alyas Schlafzimmer. Er ging leise in diese Richtung. Die Tür war nicht völlig geschlossen und auf diesen Anblick war er nicht vorbereitet. Alya stand völlig nackt mitten im Zimmer. Sie hatte ihr Tento in der Hand und übte Kampfstellungen und Katas. Sie schrie an gewissen Stellen des Katas und übte weiter und weiter. Sie wurde immer schneller. Sie setzte sich hohe Ansprüche wie immer. Kim konnte nicht fassen, wie schnell und präzise sie war. Sie übte gerade das letzte und schwierigste Kata. Sie bewegte ihre Hand graziös und drehte sich ganz schnell in der Luft. Sie wurde immer schneller und schneller, aber verlor nichts von der Präzision ihrer Bewegungen. Ihr Atem blieb ruhig und tief. Aus ihren Augen strahlten der Hass und die Wut, der Wille zu töten. Sie war wie von einem roten Licht umgeben, obwohl der Vollmond an jenem Abend schien. Eine göttliche fast unreale Erscheinung. Kim wusste nicht, dass sie so viel Talent hatte. Er war beeindruckt und auf einmal verliebt in diesen kraftvollen und sinnlichen Anblick. Aber gleichzeitig machte er sich Sorgen um sie. Sie übte zu schnell. Alles ging zu schnell. Plötzlich fiel sie bewusstlos auf dem Boden. Kim rannte zu ihr und versuchte, sie wach zu kriegen. Aber sie reagierte nicht. Er spürte den schwachen Puls und küsste sie verzweifelt. Er weinte und sprach zu ihr: “Wach auf! Du hast noch so viel zu tun! Du und Dawn sind der Grund, warum ich jeden Tag aufstehe. Ohne dich komme ich nicht weiter. Komm zu dir! Ich hatte dich doch gewarnt. Du darfst nicht so schnell diese Katas üben! Ich liebe dich doch!” Er holte ein Glas Wasser und ein Handtuch. Er warf ihr Wasser ins Gesicht. Sie kam wieder zu sich und hustete. Er hob sie langsam hoch und ging mit ihr ins Schlafzimmer. Er zog ihr ein frisches Nachthemd an und legte sie ins Bett. „Ich hatte eine solche Angst um dich. Tue mir das nie wieder an! Geht es dir jetzt besser?” Alya machte mühsam die Augen auf und antwortete: „Ich wusste nicht, dass du dir so viel Sorgen um mich machst. Ich fühle mich besser. Ich brauche jetzt nur Schlaf. Es war nur wegen einer kleinen Überanstrengung…”
Kim küsste auf der Stirn und antwortete ihr:
„Eine kleine Überanstrengung? Du bist in Ohnmacht gefallen! Wenn ich zufällig nicht da gewesen wäre… Was wolltest du dir damit beweisen? Ich will dich doch nicht verlieren… Wir haben doch noch so viel vor… Und denk an Dawn. Du darfst mich nicht allein lassen. Versprichst du mir, dass du mehr Rücksicht auf dich nimmst, nicht mehr so schnell übst und etwas isst?“
„Was soll dieses Theater? Ich wollte ja nur üben und meine Grenzen testen. Das ist alles. Ich möchte weder dich noch Dawn allein lassen. Ich liebe die Bühne auch… Das war wie gesagt eine kleine Überanstrengung. Ich muss jetzt schlafen. Geh bitte.” Kim schwieg, deckte sie zu und ging aus dem Schlafzimmer heraus. Aber er blieb in der Wohnung und schlief auf der Couch. Allein im Bett, lächelte Alya. Sie hatte gehört, was er verzweifelt gesagt hatte, als sie bewusstlos lag. Aber sie sprachen das nie wieder an. Das war auch wahrscheinlich besser so. Das wäre sonst zu kompliziert.


Im selben Moment saßen Dawn und John in der Limousine. John fuhr schnell und schwieg. Er wollte Dawn die Zeit lassen, sich zusammenreißen zu können, bevor er mit der Erklärung begann. Er wartete auf ihre erste Frage. Sie gönnte ihm nur verwirrende und wütende Blicke. Sie fuhren am Eingang des Amphitheaters vorbei und sahen, dass die Evakuierung der Menschen fast beendet war. In der Menge bemerkte Dawn ein kleines Mädchen, das bitterlich weinte und seine Bezugspersonen verloren hatte. Dawn sah vor ihren Augen Bilder der Vergangenheit tanzen und befand sich wieder im Nebel ihrer Gedanken.


Kim, Alya und Dawn waren erschöpft, hatten alles aufgegessen, was sie geklaut hatten und hatten nichts mehr zu trinken. Sie waren seit Tagen unterwegs. Dawn hatte Fieber und schlief die meiste Zeit. Kim und Alya gaben ihr das meiste Wasser und die meisten Lebensmittel, die sie gefunden oder gestohlen hatten, damit sie wieder auf die Beine kam. Manchmal kurz vorm wach werden rief sie: „Mama!”, und weinte. Dann kam Alya sie beruhigen und sang ihr leise ein Lied. Dawn konnte noch die Wärme Alyas Herz und Arme fühlen. Manchmal rief sie: „Papa!“, und heulte. Kim nahm sie dann in die Arme und tröstete sie. Dawn konnte noch Kims Atem und streichelnde Hände auf ihre Haare spüren. Indem sie Dawn abwechselnd trugen, kamen die drei Kinder ihrem Ziel näher. Aber der Hunger und die Müdigkeit machten sie immer schwächer. Trotz alledem blieben Kim und Alya zielstrebig, vernichteten ihre Spuren, schliefen in Gruben am Wegrande oder in Höhlen und liefen meistens nachts weiter. Das alles, damit die roten Soldaten sie nicht finden konnten. Einmal liefen sie nachts durch eine Kleinstadt. Sie wollten was zum Essen stehlen. Sie fühlten sich mehr als hungrig. Sie brachen in ein Haus ein und wurden findig. Sie stahlen Reis, Gemüse und Eier, sogar Geflügelfleisch. Währenddessen schlief Dawn auf Alyas Rücken. Dann liefen sie schnell weg aus diesem Haus hinaus und wollten ihre Beute in Sicherheit bringen und endlich essen. Der Weg war steinig und staubig. Sie liefen an einem Hotel vorbei und hörten komische Geräusche, die scheinbar aus dem Hotel kamen. Geräusche wie Klagen, Schreie… Sie näherten sich langsam dem Eingang des Hotels und sahen erschrocken Kinder an den Gitterfenstern des Gebäudes. Sie weinten und schrien in der Nacht voller Verzweiflung und Verletztlichkeit. Kim und Alya sahen sich an und dachten im selben Moment das Gleiche. Sie beobachteten die Lage, wie viele Soldaten im Gebäude Wache hielten. Und dann griffen sie an. Die zwei Soldaten am Eingang schliefen… Alya und Kim töteten sie mit ihren Messern in einer raschen und sicheren Handbewegung. Die zwei arme Seelen hatten keine Zeit zu verstehen, was gerade mit ihnen passierte. Kim und Alya schlichen sich dann ganz leise in das Hotel hinein, nachdem sie die Schlüssel aus den Taschen der Soldaten herausgenommen hatten. Die Flure des Gefängnis-Hotels waren leer und traurig. Überall waren diese leisen aber klagenden, schreienden Stimmen zu hören. Sie fühlten sich wie vorher im Lager. Die Wände schwitzten Traurigkeit, Armut, Angst und Unbehagen. Sie gingen von Tür zu Tür und befreiten die Waisenkinder, die armen fliegenden Schwalben, die da wegen eines Regierungsbefehls eingesperrt waren. Sie gaben den Kindern die Waffen, die sie gefunden hatten, und zusammen gingen sie Richtung Ausgang. Sie töteten ein Paar Soldaten, die etwas von der Flucht mitbekommen hatten und im Weg standen. Sie schafften es, gesund und heil mit allen Kindern aus dem Gefängnis-Hotel zu fliehen. Danach trennten sich ihre Wege. Dawn wurde wach und sah die zwei tote Soldaten am Eingang des Hotels. Sie sprang auf einmal von Alyas Rücken runter und rannte zu ihnen. Sie fing an sie zu schlagen, und gleichzeitig zu heulen... Alya rannte hinter ihr her und nahm sie in ihren Armen. Sie sagte zu ihr: "ok, willst du ein Spiel spielen? ich kenne nämlich ein schönes Spiel..." Dawn nickte. "Sehr gut, fuhr Alya fort. Schliess deine Augen. Ja, genauso, sehr gut. Und jetzt stelle dir ein Haus, oder ein Gebäude vor. Bist du soweit? Siehst du dein Gebäude vor dir? oder dein Haus?" Dawn nickte und heulte schon weniger. Sie schluchzte noch ab und zu... "Sehr schön! Jetzt geh darein! Mach die Tür auf von deinem Haus und geh darein!" Dawn gehorchte und betrat das Haus in Gedanken. Das war übrigens ein wunderschönes Landhaus mit einem Dach aus Heu und die Wände aus Holz. In Haus selber war es sehr hell und angenehm. "Ok, Dawn, jetzt betrittst du den Flur des Hauses und vor dir stehen mehrere Türe. Such dir eine aus!" Dawn sah sich in diesem Flur stehen, ganz hell, mit Spiegeln und Glas dekoriert. Vor ihr standen tatsächlich mehrere Türe... Und sie wählte die zweite links... " Hast du dir deine Tür ausgesucht?, wollte Alya wissen." Dawn nickte. "Dann mach jetzt diese Tür auf. Wenn du Angst hast, den Raum zu betreten, kannst du dir vorstellen, dass ich oder Kim oder ein Tier bei dir ist..." Dawn gehorchte wieder. Sie macht die Tür auf und betrat den Raum, aber nicht alleine, sie war in der Begleitung von zwei Tigern, zwei roten Tigern. "Wie ist die Farbe in diesem Raum?, wollte Alya wissen." Dawn antwortete mit einer leisen Stimme: "rot, der Raum ist rot und es ist bedrückend und heiß, als ob hier ein Feuer brennen würde..." Alya sagte dann zu ihr: "-  Hat dieses rote Monster auch ein Gesicht oder einen Namen?

                     - Woher soll ich das wissen? Es ist mehr unangenehm...

                     - Frag ihn einfach... Sei versichert, dass dieses Monster mit dir reden will... Dann wird es        sich beruhigen

                   - Ok, ich frage ihn, warum er so rot ist und was los ist... " Nach ein paar Sekunden erklärt Dawn, dass dieses Monster WoRo heißt, und dass es sich wütend fühlt, sehr wütend... "Warum ist er wütend? fragte Alya." Dawn machte die Augen auf und erwiderte: "weißt du, er versteht nicht wieso Soldaten zu essen haben und wir nicht, wieso Kinder von Soldaten erschossen werden. Er findet das total ungerecht, dass ihr deswegen kämpfen und töten müsst... Er hat Angst, dass euch was passiert. Er hat Angst wieder allein zu sein. Er möchte so viel mehr mehr tun, um euch zu helfen, aber kann es leider nicht. Das ist so frustrierend für ihn... " Dawn weinte wieder aber war ruhiger... Alya drückte sie fest und antwortete ihr: " Hey, weißt du, ich verstehe das auch nicht, warum es so ist... Aber was du machen kannst ist dies: streichle mal WoRo, sing iihm was vor und sag ihm, dass er nie, nie mehr alleine sein wird... Sag ihm, dass wir jetzt nach Süden laufen und einen Weg finden werden, eine besseres Leben zu finden. Wir werden alles dafür tun... Sag ihm, dass das Wichtigste ist, dass die beste Hilfe darin besteht, am Leben zu bleiben und uns zu vertrauen... DU gibst uns schon so viel, Dawn, ich kann das dir versichern!" Alya hatte Tränen in den Augen und Dawn weinte, schluchzte laut.... "Hast du das alles WoRo gesagt?" fragte Alya nach einer Weile. Dawn weinte jetzt nicht mehr und sagte: "Ja, habe ich. WoRo ist jetzt ganz kuschelig und ganz klein und weiß geworden und will spielen..." Alya lächelte trotz ein paar Tränen in den Augen und sagte: "Siehst du, war doch OK... Das nächste Mal, wenn WoRo wieder so groß und rot wird, dann kannst du mit ihm reden und ihn streicheln, damit er wieder ruhig wird..., so wie ich jetzt es dir gezeigt habe...ok? Dann stört es dich nicht mehr... geht es dir jetzt besser?" Dawn umarmte lange Alya. Das war ihre Antwort.  Kim, der alles von der Ferne beobachtet und gehört hatte, spürte, wie eine Träne von seiner Nasenspitze tropfte...


Dawn hörte eine Minute lang das Mädchen heulen und nach ihren Eltern rufen. Dawn konnte ihre Verzweiflung und Angst genau nachfühlen und verstehen. Sie wollte zu dem Mädchen, es in den Arm nehmen und trösten. Ihr sagen, dass alles gut wird, dass ihre Eltern nicht weit weg sind. John blieb stumm und ließ sie weitere Eindrücke sammeln. Sie brauchte noch Zeit, um alles wahrnehmen und nachvollziehen zu können. Ihre Augen wurden dann nebeliger und weißer.Sie wanderte mit ihren Gedanken wieder auf dem Weg in die Vergangenheit zurück.

 

Kim und Alya wussten nur, sie mussten weiter Richtung Süden gehen. Sie trugen Dawn abwechselnd. Die arme Dawn hatte noch mit den Schmerzen ihrer Verletzung an der Schulter zu tun. Aber das Fieber war weg und sie konnte wieder besser laufen. Sie legten sich auf dem Boden zwischen einem Feld und einer Straße und wollten versuchen zu schlafen, um nicht an den Hunger zu denken und um Kräfte zu sammeln. Sie waren erschöpft und konnten nicht mehr laufen. Als der Morgen aufbrach, stand ein Priester vor ihnen und weckte sie auf: „Wacht auf, meine fliegenden, verirrten Schwalben, meine Kinder. Hier könnt ihr nicht bleiben. Oder wollt ihr in einem Hotel sterben? Wisst ihr nicht, dass die Regierung Kinder wie euch in Hotels versteckt, einsperrt und dort hungern lässt? Schnell, steht auf und kommt mit. Ich gebe euch etwas zu frühstücken.” Die Kinder vertrauten und folgten ihm. Sie gingen zusammen zu einem geheimen Ort, in dem naheliegenden Dorf. Der Priester war nämlich Mitglied einer geheimen und vom Nordkoreanischen Staat als Feind Nummer 1 betrachteten Organisation, die Waisenkinder rettete und ihnen halfen, nach Südkorea zu fliehen. Die Zahl der Waisenkinder und dementsprechend der Straßenkinder war noch in den letzten Jahren gestiegen. Sie wurden „Fliegende Schwalben“ genannt. Ganze Familien verhungerten oder mussten irgendwie versuchen, in den Lagern zu überleben. Von daher waren die Organisation und ihre Arbeit von großer Bedeutung. Unbemerkt und lautlos gingen sie durch die leeren Straßen des Dorfes. Es war 4 Uhr 32. Die Dunkelheit war noch nicht richtig verschwunden. Sie kamen in einem Hinterhof. Links stand ein kleines Haus, das sie jetzt betraten. Kim und Alya erkannten das Haus. Am Tag davor hatten sie doch in diesem Haus was zu essen geklaut. Aber sie sagten nichts. Der Priester zeigte den Kindern den Tisch und die Bänke, worauf sie sich hinsetzen konnten. Er frühstückte dann mit ihnen. Sie genossen das Frühstück. Sie hatten seit Jahren nicht so gut gegessen: Reis, Fisch, Gemüse, Milch, Eier… Der Priester musste sie manchmal stoppen und beruhigen, damit sie sich nicht vollstopften und später davon Bauchschmerzen bekamen. Nach dieser nötigen und nahrhaften Verstärkung erzählte Alya ihrer Geschichte. Kim konnte nichts sagen, er blieb stumm. Dawn schlief noch einmal ein. Das war zuviel Essen auf einmal… Danach fragte Kim, der immer praktisch dachte, was sie jetzt machen sollten, welche Aussichte sie noch hätten. Der Priester machte ihnen Hoffnung und Mut. Er erklärte, dass sie mit Hilfe seiner Organisation nach Südkorea fliehen und dort ein neues Leben beginnen könnten. Er kündigte auch an, dass er schon ihre Abreise geplant hätte. Sie sollten sich aber erst mal noch zwei Tage hier erholen und dann würden sie nach Seoul abfahren.

Der Nebel zog weg und Dawn kam wieder zu sich. John fasste sie an der Hand an und wollte wissen, ob alles in Ordnung sei. Dawn lächelte ihn an. Und sie fing an, zu weinen und ihn zu schlagen. Sie fragte immer wieder: „Warum lässt du das zu? Warum lässt du das zu?” Währenddessen im Amphitheater setzte sich der Todestanz fort. Kim und Alya rollten weiter auf dem Boden herum und gaben sich ihren Gefühlen und dem Küssen hin. Alya machte die Augen auf und bemerkte einen Rest von einem Hamburger unter einem Stuhl. Die Person, der er gehört hatte, hatte ihn wahrscheinlich in der Eile fallen lassen. Alyas Gedanken gingen dann in dem Nebel der Vergangenheit und des Vergessenen zurück… das Essen in Südkorea.

 

In der Tat, gesagt, getan.
Zwei Tage später befanden sie sich auf dem Weg zur Grenze. Vom Brunnen aus, der mitten im Garten des Hauses lag, waren sie in der Begleitung eines Mitarbeiters der Organisation losgegangen. Sie hatten zwei lange unterirdische Reisetage vor ihnen. Die Organisation hatte es tatsächlich mit der Hilfe von vielen freiwilligen Mitgliedern geschafft, einen 50 Kilometer langen Tunnel zu graben, der bis hinter die Grenze zu Südkorea führte. Sie gingen langsam aber sicher, ihre eigenen Kräfte schonend. Zwei Tage später überquerten sie endlich unterirdisch die Grenze und betraten beim Einbruch der Nacht den südkoreanischen Boden. Die Sterne leuchteten hell am Himmel, als wären sie Hoffnungszeichen auf ein neues und glückliches Leben. Das war für die kleine Truppe, die Tage lang den Himmel nicht mehr gesehen hatte, atemberaubend und unbeschreiblich. Sie hatten Glück und kamen schnell voran, problem- und lautlos. Sie kamen in eine nahe liegende, mittelgroße Stadt an und liefen dort bis zum Bahnhof. Sie mussten so schnell wie möglich den nächsten Zug nach Seoul nehmen. Das war aufregend. Der Zug kam endlich. Zum ersten Mal in ihrem Leben stiegen sie in einen Zug ein und konnten die Erfahrung der Schnelligkeit machen… Solch ein schnelles Verkehrsmittel hatten sie noch nie gesehen. Das war berauschend. In Seoul angekommen, fuhren sie mit der Straßenbahn bis zum Haus der Organisation. Sie hatten von dem Begleiter neue Papiere, Fahrkarten und Geld bekommen. Aus dem Fenster der Straßenbahn blickend, konnten die drei kleinen Nordkoreaner ihr Glück nicht fassen und waren überwältigt von so viel Reichtum und Farben auf den Straßen. Die Leute lachten und feierten. Es war Nacht. Sie hörten sogar eine Gruppe von Jugendlichen singen. Die Leute kauften um diese Uhrzeit noch ein. Das war eine andere Welt und auch eine andere Sprache. Sie verstanden nicht alles, was sie hörten. Die koreanische Sprache hatte sich im Süden anders entwickelt, andere Wortschätze, die sie noch lernen mussten. Nach dieser nächtlichen Fahrt durch Seoul trafen sie endlich im Haus der Organisation ein.
Es war ein großes Haus und gehörte der evangelischen Kirche von Südkorea. Nach einem leckeren Abendessen schliefen sie zum ersten Mal seit Jahren wie Prinzen in sauberen Betten. Am folgenden Tag wurde ihnen erklärt, dass sie jetzt von der Organisation adoptiert würden. Sie dürften zur Schule gehen und eine Ausbildung ihrer Wahl machen, sich an diese Gesellschaft gewöhnen und darin ihren Platz finden. Mit ihrem Begleiter gingen sie auch am selben Tag die Stadt besichtigen. Das war ein unbeschreibliches Gefühl von Freiheit. So viele Geschäfte, Einkaufszentren, der Wochenmarkt mit seinen besonderen Gerüchen und Geräuschen. Noch nie hatten sie so viele Waren, so viel zu essen gesehen. Die verschiedenen Fische, Früchte oder Gewürze versetzten sie im Staunen. Und sie kamen nicht aus diesem Staunen heraus, sei es vor den Schaufenstern eines Handyladens oder eines Modehauses. Sie konnten sogar Jugendliche auf einer Maschine tanzen sehen. Den Namen der Maschine hatten sie sich nicht merken können. Sie gingen an ihrer zukünftigen Schule vorbei. Sie waren mehr als beeindruckt. Aber dieses neue Leben machte ihnen auch Angst. Und so viele Menschen, eine Masse von Menschen. Die zwei Koreas waren so verschieden. Konnten sie sich wirklich anpassen? Eine echte Achterbahn der Eindrücke und Gefühle. Alles war so neu, so bunt, so laut, so frei, so viel… viel zu viel. Die Menge von Menschen, die sich jeden Tag auf den Bürgersteigen bewegten. Sie passten einen Moment nicht auf die kleine Dawn auf… Sie war erschrocken, so viele Leute auf einmal zu sehen. Sie geriet in Panik. Sie wurde geschubst und getreten. Sie begann zu heulen, weil Kim und Alya im gleichen Moment außer Sicht waren. Aber Alya bemerkte schnell, dass Dawn fehlte und ging zu ihr zurück. Sie fragte Dawn: "wie geht´s WoRo?" Und Dawn beruhigte sich schnell...


Von der Limousine aus sah Dawn wie das Mädchen von einem Sicherheitsmann geholt wurde, und mit diesem ihre Eltern suchte. Das Mädchen fühlte sich in Sicherheit und weinte nicht mehr. Sie würde bald ihre Eltern wieder finden, dachte Dawn, hoffnungsvoll. Schließlich öffnete sie den Mund und fragte entsetzt: “Warum tust du nichts, um den Beiden zu helfen? Warum lässt du das zu?” John seufzte und wusste, die Zeit war jetzt gekommen, um einen Teil der Wahrheit zu enthüllen. Dawn fragte weiter: „Was wird aus Alya und Kim? Ich mache mir solche Sorgen. Ich will sie nicht verlieren. Sie bedeuten alles für mich.” John antwortete: „Für mich auch, Dawn. Glaube mir, für mich auch…” John und Dawn konnten sich nicht vorstellen, was im Amphitheater los war, dass sich Kim und Alya im selben Augenblick in diesem Chaos küssten. Sie lagen unzertrennlich auf dem Boden… und forderten die Kugeln ihrer Gegner heraus. Sie rollten links und rechts und konnten sich nicht loslassen, bis Alya eine am Boden liegende Teetasse bemerkte. Von dieser Tasse hatte sie vor dem Konzert getrunken und hatte sie auf den Tisch in den Kulissen direkt hinter der Bühne hingestellt. Sie war sicher während des Kampfes hinuntergefallen. Der Nebel der Vergangenheit stieg wieder in ihren Augen auf.


Alya arbeitete als Kellnerin in einem koreanischen Restaurant in Seoul. Sie wollte ja unabhängig werden und dafür neben ihrem Studium - Anglistik und Musik - arbeiten. Diese Arbeit gefiel ihr. Sie kam ins Restaurant herein und war bereit für ihre Arbeitsschicht. Aber sie war wütend. Sie war vorhin bei einem Produzenten gewesen. Sie wollte als Musikerin und Sängerin berühmt werden… Doch das Treffen war nicht so gelaufen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Als sie einen Tisch abdeckte, sah sie Kim mit einem anderen Mann, der ihm Geld gab. Und dieser Mann war ein Yakuza. Kim kam dann herein und wusste nicht, dass Alya diese Szene gesehen hatte.
„Na, Alya… Wie geht es dir? Wie ist es denn gelaufen?“
„Alle Männer sind Schweine!!“
„Was?? Wie bitte!!?? Was ist denn passiert?“
„Tja! Eine arrogante Sekretärin hat mich zuerst im Büro empfangen. Das Büro war genauso kalt und wenig einladend wie der Produzent selbst. Nach einem kurzen Gespräch wusste ich, dass er böse ist. Er wollte mich zwar produzieren, aber unter der Bedingung, dass ich mit ihm schlafe… Immer dieselben Argumente: man muss schlafen, um in seiner Karriere vorwärts zu kommen.... Alle machen das.....Er hätte viel Macht und, wenn ich nicht mache, was er von mir verlangt, dann wäre ich in der Branche erledigt..... Ich wollte mich nicht prostituieren und meine künstlerische Freiheit verlieren. Ich habe ihm also meine Meinung gesagt und ihm eine Ohrfeige verpasst. Ich habe auch seine Hose mit frischem Wasser nass gemacht, damit er sich beruhigen konnte. Sag mal, sind alle Männer so?“
"Jein!" … zögerte Kim. Tja! Männer sind von den Hormonen gesteuert… Du hast es gut gemacht und es ihm gezeigt, Alya. Du weißt dich immer zu wehren und du bist stark. Er hatte es verdient! Er wollte nur seine Macht als Produzent auf eine unfairen Art und Weise ausüben…" Alya musste diese Bemerkung erst mal schlucken. Von außen gesehen sah sie vielleicht stark aus. Das war wahr, dass sie sich verteidigen konnte. Aber in diesem Moment hätte sie am meisten Kims Arme gebraucht. Sie stand immer noch unter dem Schock der Begegnung mit dem Produzenten. Und alles was Kim dazu zu sagen hatte war: „Du bist stark. Du weißt dich zu wehren." Sie bräuchte eher seine Arme und seine Zärtlichkeit. Aber sie musste ja vor ihm immer die Starke spielen, um seine Achtung und Freundschaft nicht zu verlieren. „Du weißt“, fügte Kim hinzu, „falls du deine Musikkarriere starten willst, kann ich dir helfen und deine CD produzieren. Nimm dieses Geld, auch für alles, was du für uns getan hast. Du hast es verdient.“ Er legte den Umschlag auf den Tisch.
„OK, warte mal. Ich möchte wissen, woher das Geld kommt.“
„Zitronen- oder Pfefferminztee, was möchtest du trinken? Ich lade dich ein“, fragte Kim, mit einem unschuldigen Lächeln.
„Wieso antwortest du nicht?“
„Zitronen- oder Pfefferminztee?” Alya wurde sauer und wusste genau, was er zu verbergen versuchte. Nämlich, dass er Yakuza geworden war. Sie reagierte impulsiv, ließ ihre Gefühle sprechen und schlug ihn voll ins Gesicht. Kim konnte diese Geste nachvollziehen, aber ließ sie damit nicht durchkommen. Er schubste sie mit Gewalt gegen die Wand und hielt sie dort ein paar Minuten fest. Ihre Blicke lieferten einen Kampf und es wurde eine Runde lamg scharf geschossen. Dann entspannte sich Kim und ließ sie los. Lächelnd fragte er noch mal: „Zitronen- oder Pfefferminztee?“
„Du weißt genau wie ich, dass die Worte jetzt überflüssig sind.“
„Ja, du hast Recht, Kim, damit ist wohl alles geklärt. Und jetzt lass mich allein.”
Sie wollte in diesem Augenblick es nicht zugeben, aber sie konnte ihn verstehen und hatte ihm schon lange verziehen.


Der Nebel zog von ihren Augen fort und sie spürte Kims Zunge in ihrem Mund und erneut seine Wärme. Sie tanzten und tanzten weiter, bis Kim seine Augen aufmachte und schrie: „Alya??? He! Alya? Alles klar?” Komisch. Warum regte er sich so auf? Dann fühlte sie plötzlich den Schmerz in ihrer rechten Schulter und verstand warum. Eine Kugel hatte sie getroffen. Alya lächelte und sagte: „Nur ein Kratzer, kein Problem. Ich habe Schwierigeres überstanden.“ Sie erhoben sich vorsichtig und stellten sich Rücken an Rücken in die Mitte der Bühne. Sie schossen wie blind um sich und versuchten dabei, so viele Extremisten wie möglich umzubringen. Alya schlug dann schnell und sauber mit ihrem Messer zu, sprang wie ein Panther von Gegner zu Gegner. Aber der Führer der Extremisten schien auch die Kugeln herauszufordern und war jetzt vor der Bühne. Alya und Kim konnten im Hintergrund den Schrei der Menschenmasse draußen und das Ballet der Autos hören. Dawn und John saßen in der Limousine und waren stumm. John fuhr schnell und sicher bis zum Treffpunkt hin. Er musste Dawn jetzt antworten. Er hatte keine Wahl mehr.

 


„Dawn“, erklärte er leise, „du musst zuerst wissen, dass ich ein ehemaliger Terrorist bin. In meiner Jugend habe ich einer solchen extremistischen Truppe in den USA zugehört, genau wie diese, welche wir heute im Amphitheater haben sehen können. Das ist wie bei einer Sekte. Mein ganzes Leben drehte sich nur um Treffen, Meetings, Konzerts… mit solchen Leuten. Ich habe für diese Ideologie gelebt und geatmet. Auch meine Eltern gehörten seit Ewigkeit dazu. Ich war praktisch seit meiner Geburt dabei. Und dieser politische, von Ideologien geprägte Weg, war für mich legitim und normal. Ich habe nicht einmal versucht, die anderen Denkweisen zu verstehen. Ich war intolerant und blind… Bis ich eines Tages einen Song von Alya im Radio hörte. Ich saß in meinem Auto und kam von einem Meeting zurück. Der Text war so überzeugend und so wahr, die Musik so stark und hypnotisch, dass ich zu zweifeln begann. Das war am Anfang ihrer Karriere. Danach habe ich alles in Frage stellen müssen und meine Welt ist zusammen gebrochen. Im Endeffekt haben sich meine Augen geöffnet. Und die Bedeutungslosigkeit meiner bisherigen Überzeugungen, Meinungen, und die darauf aufgebauten Freundschaften, erschienen mir immer deutlicher und unerträglicher. Um meinen Glauben zu festigen, habe ich Unterstützung bei meiner Familie und Freunden gesucht, habe Fragen gestellt. Aber sie verstanden meine Zweifel nicht. Es ging so weit, dass ich endlich die Größe der Lüge begriff, in der ich seit meiner Geburt gelebt hatte. Ab diesem Zeitpunkt war ich allein und auf mich gestellt, einsam und weit entfernt von der Welt der Extremisten. Ich wollte sie bekehren, damit sie auch verstehen konnten, was mich verändert hatte. Aber, das kannst du dir gut vorstellen, ich wurde als Schwindler, Verräter bezeichnet. Solche Leute kennen keine Gnade. Eines Tages freute ich mich auf meinen Feierabend. Tja! Sie auch. Sie hatten auf mich gewartet und schlugen mich fast tot. Zum Glück, am gleichen Abend, kamen Kim und Alya aus dem Tonstudio, das sich in der Nähe befand und liefen an mir vorbei. Sie lebten seit kurzem in den USA und wollten dort die neue CD Alyas aufnehmen und eine Weltkarriere starten. Tja, wie auch immer… Sie bemerkten mich nicht sofort, aber konnten meine Schreie hören. Sie tauchten wie aus dem Nichts auf und fanden mich. Kim mit seiner Kanone und Alya mit ihrem Messer. Sie betrachteten die Lage und überlegten nicht lange. Sie griffen die Extremisten an, die vorher meine Freunde waren. Eine sich auf Hass stützende Kraft stieg in den Beiden auf. Dann hatten ihre Feinde keine Chance mehr. Leicht und grazil, immer in Bewegung bleibend, schoss Kim auf die ersten Extremisten, die nach und nach tot umfielen. Erbarmungslos beschäftigte sich Alya mit den Restlichen und fiel über sie wie eine wütende Wölfin. Sie tötete eifrig mit ihrem gnadenlosen Messer. Ich hatte noch nie zwei Menschen gesehen, die so gut mit dem Tod tanzen konnten. Ein mit Leichtigkeit und Präzision getanztes Ballet des Todes. Der Hass erfüllte die ganze Luft um sie herum und nährte ihre Ausstrahlung. Sie haben mein Leben gerettet, Dawn. Dank ihnen habe ich ein neues Leben führen können, ein neues Kapitel meines Lebens schreiben können. Sie haben mir von Anfang an vertraut, mich nicht verurteilt und mir eine faire Chance gegeben. Ich habe ihnen Informationen über die Organisation sowie die Namen der bedeutendsten Personen dieser terroristischen Vereinigung gegeben. Bei diesen Recherchen haben wir festgestellt, wie schwach unsere demokratische Gesellschaft ist und wie leicht es ist, unsere jetzige Ordnung zu zerstören. Alya wollte, dass sich alle dessen endlich bewusst werden. Und sie kannte dafür nur einen Weg: Singen. Dank ihr und Kim sind heute sämtliche extremistischen Kirchen, Vereine, Organisationen und deren Websites verboten. Du kannst dir also vorstellen, dass sie viele Feinde haben. Die Beiden haben eine außergewöhnliche Überzeugungskraft. Alya hat ihre Autobiographie geschrieben und in ihrem Buch die Folgen der Ideologien insgesamt denunziert. Einerseits hatte sie viel Erfolg - vor allem bei den Jugendlichen - und anderseits vermehrte sich die Zahl ihrer Feinde kontinuierlich und unaufhörlich.
Heute bezahlen die Beiden den Preis dieses Hasses, den sie auf ihrem Weg gesät haben. Alya hat über ihren Hass in ihren Songs gesungen und Kim hat ihn in seinen Yakuza - Aufträgen zum Ausdruck gebracht. Ihr Hass und Gewalt haben sich immer ergänzt. Zweifele nie an meiner Loyalität Kim und Alya gegenüber. Ich würde jetzt lieber bei ihnen sein und an ihrer Seite kämpfen. Aber ich habe einen Auftrag zu erfüllen, wie Kim es mir befohlen hat.
„Warte mal“, sagte Dawn plötzlich, „Kim ist ein Yakuza…?“
„Woher glaubst du, dass so viel Geld kommen kann?“
„Von der Börse, wie Kim es mir immer gesagt hat und von Alyas Musik…“
„Dawn, Liebling, gewöhne dich dran, er ist ein Yakuza… Er ist sogar einer der Sôchôs, ein Leader, einer der größte in der Branche.“
„Das machte Alya auch viel zu schaffen. Sie haben sich manchmal deswegen gestritten.” Dawn war schockiert, verstand jedoch alles. Es ergab plötzlich Sinn. Deshalb die Leibwächter, die geheimnisvollen Termine… Sie fühlte wie ein Unbehagen, wie ein unvermeidlicher Wirbel von ihrem Bauch aufstieg. Im selben Moment stoppte John den Wagen und ein Yakuza näherte sich. Dawn sah die vielen Yakuzas, die da steif und unentschlossen standen. John öffnete das Fenster: „Ist alles bereit?” Der Yakuza antwortete: „Ja. Wir treffen uns alle sobald die Nachricht überbracht wird und dann müssen wir warten, welche Entscheidung die anderen Sôchôs getroffen haben.” Dawn war im nebeligen Netz ihrer Gedanken und Fragen verloren.
„John, wenn das die Yakuzas Armee von Kim ist, warum bleiben wir hier und warten, dass die Beiden sterben? Wir müssen sie überzeugen, in das Amphitheater zurückzufahren. Es ist ja vielleicht noch nicht zu spät. Wir können Kim und Alya retten.”
Sie wollte aus dem Wagen aussteigen und die Männer ansprechen, aber John hielt sie am Arm fest, bevor sie sich bewegen konnte. „Verstehst du nicht, Dawn? Kim und Alya haben sich heute Abend dafür entschieden, zu sterben, Liebling. Wir müssen diese Entscheidung respektieren und die Beiden für ihre Lebenswerke ehren. Sie sterben, wie sie es möchten, im Feuerwerk ihres Hasses, Opfer ihrer Wut. Wir können das jetzt nicht mehr aufhalten. Und Kims Männer würden sich auch nicht bewegen. Sie ehren Kim zu sehr, um seine Entscheidung in Frage zu stellen und um Kim diesen ehrenwürdigen Yakuza-Tod im Kampf nicht zu gönnen. Das ist eine Frage der Ehre. Und du weißt, Liebling, wie wichtig die Ehre für die Yakuzas ist.” Dawn hatte nichts mehr zu entgegnen, obwohl sie sehr wütend war. Kim und Alya waren ihr Ein und Alles. Eine Welle von zusammen geflochtenen Reaktionen und Eindrücken kam in ihr hoch, Müdigkeit und neue Energie, Traurigkeit und Hoffnung, eine süß-bittere Mischung aus Mitgefühl und Unverständnis, Liebe, Hass, Zärtlichkeit und Wut… John bemerkte wie zerrissen sie war. Ein Opfer ihrer Gefühle, mit denen sie sich allein auseinandersetzen musste.
„Was soll ich jetzt tun, John? Was erwarten Kim und Alya von mir?“
„Du bist ihre einzige, anerkannte Erbin. Daraus kannst du etwas Gutes oder Schlechtes machen. Du kannst dich für die Rache entscheiden oder für die Vergebung und für etwas Konstruktives. Alles liegt in deiner Hand.
„Aber kann ich das? Bin ich fähig, dazu bereit, eine solche Verantwortung zu übernehmen? Ich kann noch nicht verzeihen.“
„Liebling, zweifle nie an dir… zweifle nie an dir… „
„Wie Kim im Alyas Schatten gearbeitet hat, bleibe ich bei dir und bin dein treuer Schatten.” Indem er ihr Mut machte, fühlte er sich mehr als je zuvor von ihr angezogen. Er folgte seinem Instinkt und küsste sie. Sie war überrascht, aber sie hatte immer eine Schwäche für ihn, ihren jungen Leibwächter-Yakuza, der sie als einziger beruhigen konnte, zu dem sie stets Vertrauen hatte.
Dieses Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit bei John war unersetzlich. Dawn fragte sich schließlich, ob Kim und Alya bereits gestorben waren.
Dieser Gedanke war für sie unerträglich. Sie wünschte sich so sehr, dass sie noch leben und lebend aus ihrem Kampf zurückkommen würden. Sie brauchte die beiden doch noch! Wie konnte sie ohne die Beiden überleben? Aber sie hatten sich diese Nacht für ihren Tod ausgesucht. Ach! Sie waren so stur. Dann verlor sie den Faden ihrer Gedanken und ließ sich im Wirbel ihrer Eindrücke fallen. Diese Lust, diese Wärme, diese Geborgenheit… John ließ sie los und mit einem entzückenden, warmen Lächeln sagte er: „Liebling, ich hätte Hunger. Willst du auch etwas essen? Ich hätte Lust auf Nudeln…” Dawn lächelte traurig zurück und antwortete:
„Du weißt, wie man mich trösten kann. Ich könnte auch Nudeln gut vertragen. Ich liebe Nudeln… aber das war nicht immer so. Das erste Mal, dass ich Nudeln gegessen habe, hat es mich buchstäblich KO geschlagen. Dieser fettige aber vielseitige Geschmack… Das war für mich zu viel, für mich, dem kleinen Wildling aus dem Lager. Ich habe anschließend brechen müssen. Kim und Alya haben darüber viel gelacht und lange Witze erzählt. Nur nach einer Weile, nachdem sich mein Verdauungssystem besser angepasst hatte, habe ich reichinhaltliche, feste Sachen essen können. Die erste kulinarische Anpassung ist für mich am schwierigsten gewesen… Fahren wir… Ich habe auch Hunger und das ist das Beste, was wir jetzt machen können.“
„Ja, Liebling. Ganz deiner Meinung.”


Im Amphitheater standen Kim und Alya immer noch Rücken an Rücken und schossen in alle Richtungen. Alya hatte ihr Messer in ihrem Gürtel gesteckt und schoss mit Kim auf alle beweglichen Ziele, aber es schien, als ob die Extremisten immer zahlreicher würden. Der Bach wurde zum Meer. Sie wussten, bald würde das Ende des Kreises erreicht sein, in dem sie ihre innerliche Ruhe finden konnten. Der Anführer der Extremisten war nah wie nie zuvor. Er zielte direkt auf Alya, die das nicht sehen konnte, da sie ihm in diesem Moment den Rücken zeigte. Aber Kim bemerkte es und schoss schneller. Er tötete ihn, bevor der Mann überhaupt schießen konnte. Lautlos wie ein Stein fiel er auf den Boden der Bühne. An seinem Finger steckte ein Ring, ein Ring, den Kim und Alya, besonders Alya, sehr gut kannten. Kim sah die Szene vor sich, schoss mit seiner Waffe weiter und verteidigte Alya. Er zitterte vor Hass, als er sich daran erinnerte, dass………

 


Kim und Alya waren in die USA gezogen und dort geblieben, denn Alyas Musik wurde immer erfolgreicher und überall gefeiert. Es war eine Traum der Beiden, in den USA zu leben. Alya arbeitete an einer neuen CD. Sie hatten Feierabend, hatten einen langen Tag im Tonstudio verbracht. Alya hatte letztendlich das Geld von Kim angenommen. Sie redeten über ihre verschiedenen aber verbundenen Lebenswege. Alya hatte es schwer, zu akzeptieren, dass Kim ein Yakuza war.
Und eine Frage brannte seit langer Zeit ihre Lippen:
„OK, Kim. Du bist ein Yakuza. Aber warum??“
„Na, ja. Du weißt, dass Gewalt und Hass uns verbinden. Ich wollte meine Revanche für das Leben haben. Alles hat mit einem Wettbewerb angefangen. Wir waren doch am Schießstand auf diesem Jahrmarkt. Und ich habe mehrmals gewonnen, immer getroffen. Ein Mann hat mich angesprochen, während du etwas zu essen besorgt hast. Er wollte mich zu einem Wettbewerb einladen. Ich ging dahin und war der Beste. Ich habe immer in die Mitte des Zielobjektes getroffen. Das war für mich ein Segen. Mitten unter diesen Menschen habe ich mich akzeptiert, normal und stark gefühlt. Ich hatte den Eindruck, ich konnte dort meine Fähigkeiten entwickeln und zu mir finden. Mein Hass hatte endlich einen Verwendungszweck gefunden. Ohne mein Geld hättest du es nicht so weit gebracht, oder? Unsere Ziele waren doch immer verbunden. Mit meiner Hilfe im Hintergrund, hast du gegen jede extremistische Bewegung kämpfen und die Leute mit deiner Musik erreichen können. Du bist doch mit deinem Erfolg zufrieden, oder? Das Geld der Gewalt für eine bessere Welt. Ist doch eine schöne Ironie.“
„Das hast du schön gesagt, Kim. Ich glaube, dass unsere innere Wut und Gewalt uns zu denen gemacht haben, was wir heute sind. Du hast mir meinen Traum erlaubt, mit meinen Songs die Mentalitäten, die Gesellschaft zu ändern und die Menschen aufzuwecken.
„Das ist ein alter Traum, den ich vergessen habe.“
„Du gehst jetzt mit offenem Gesicht auf deinem Weg und schutzlos. Aber vergiss nicht, ich bin dein Schatten.“
„Ich weiß, danke. Sch….. hörst du nichts?”

 


Kim hörte Alyas Atem, der im Kampf immer regelmäßig blieb. Sie hatte schon immer eine perfekte Kontrolle über ihren Körper gehabt. Eine wichtige Eigenschaft, um zu überleben. Ihre Bewegungen waren präzise, grazil und gnadenlos wie beim Tanzen. Sie war verletzt aber kämpfte wie eine Wölfin. Alyas Augen leuchteten wie Feuer. Keiner konnte sie aufhalten. Er konnte seine Augen nicht von ihr lassen. Ein wunderschöner, bewundernswerter und anziehender Anblick… Alya und ihr treues Messer. Immer wenn sie zusammen kämpften, schien die Zeit langsamer zu laufen, zu stoppen. Sie befanden sich in einer blutigen und berauschenden Raserei. Dadurch waren sie unzerstörbar. Sie hatte sich gerade umgedreht und sah nach rechts zu Kim. Er glühte auch vor Hass und gemeinsam töteten sie die Extremisten, welche aus allen Richtungen erschienen, weiter. Präzise, grazil und gnadenlos. Alya befand sich so im Rausch des Kampfes, dass sie den Ring am Finger des am Boden liegenden Extremisten noch nicht bemerkt hatte. Als sie sich aber niederkniete, um ein paar Kugeln zu entgehen, sah sie ihn vor sich. Sie war fassungslos, aber erleichtert, dass der Mann - falls man so ein Schwein einen Mann nennen darf – jetzt dort tot lag. Sie fühlte sich wie benommen und es dauerte nicht lange, bis ihre Gedanken vom Nebel der Vergangenheit und des Vergessenen gefangen wurden. Unbewusst berührte sie eine bestimmte Stelle an ihrer Brust und spürte erneut den Schmerz. Sie flog bis zu jenem Moment, in dem Kim und sie diesem Geräusch gelauscht hatten.

 


„Doch, ich höre da jemand kommen. Es hört sich wie Stiefel an, wie ein Konzert von Stiefeln", antwortete Kim. Die Beiden eilten, um den Wagen zu erreichen. Aber es war zu spät. Sie waren von Extremisten umzingelt. Diese zwangen sie, in eine kleine, ruhige, verlassene Nebenstraße zu gehen. Der Mann, welcher der Chef der Truppe zu sein schien, fing mit Freundlichkeiten an, wie: „So, so, heute Abend dürfen also gelbe Untermenschen ausgehen… Morgen sind die schwarzen dran. Zum Glück sind wir da, um alles wieder in Ordnung zu bringen.” Da Alya und Kim nicht erwiderten, fühlte er sich beleidigt und wurde noch wütender.
„Na, habt ihr in eurem Looserland nie sprechen gelernt? Seid ihr so unterentwickelt, dass ihr nicht mal die einfachsten Grundregeln kennt? “Wenn man gefragt wird, muss man höflich antworten. Aber als Untermenschen könnt ihr das nicht kennen…” Das war zu viel für Alya.
„Du bist es nicht wert, dass man Zeit dafür vergeudet, dir zu antworten!! Der beste Beweis ist, dass du deine Truppe brauchst, um uns beleidigen zu können!! Feigling!", schrie Alya.
„Sieh an, sieh an! Sie können doch reden…“, stellte der Chef der Extremisten fest. Schade nur, dass es die falsche Antwort ist…” Er war schon im Begriff Alya zu verprügeln. Aber Kim war schneller und nahm seine Kanone heraus. Er zielte auf ihn. Der Chef der Extremisten hatte gleichzeitig auch seine Pistole gezogen und setzte sie jetzt auf Alyas Stirn.
„Bitte, wie unhöflich von mir… Wo sind denn meine Manieren… nennt mich doch Karl. Und wie heißt ihr?” Alyas und Kims Munde blieben verschlossen. Alya aber wurde so genervt, dass sie auf Karl spuckte. Karl lächelte die Beiden an und ließ sich nicht beeindrucken. Er wendete sich Kim zu.
„Ihr habt ja Charakter und Mut. Ich mag das. An deiner Stelle würde ich mir das gut überlegen. Sei nicht zu übermütig. Mach keinen Unsinn, sonst stirbt deine kleine Freundin.” Kim ließ seine Waffe fallen. Ein Junge, der erst kürzlich in die Truppe aufgenommen worden war, hatte den Auftrag, auf ihn aufzupassen. Kim fühlte seine Waffe dicht an seinem Rücken. Karl nahm ein Bild eines Anführers aus der Tasche. Er zeigte es Alya und befahl ihr: „Knie nieder vor ihm und bete ihn an! Das ist deine einzige Chance, lebend hieraus zu kommen.” Ein anderer Extremist schlug sie in den Rücken, damit sie auf den Boden fiel und sich niederkniete. Alya aber stand wieder auf und blieb stumm. Sie behielt die ganze Zeit den Augenkontakt zu Karl und dachte: „Wenn du nur wüsstest! Ich habe viel Schlimmeres erlebt, du hast keine Ahnung.” Es war für ihn verwirrend, aber er ließ sich nicht beeindrucken. Oder doch… Er schrie: „Jetzt tust du, was ich dir befehle, Sklavin. Das ist es doch, was du bist. Du kommst doch aus einer Sklaven- und Unterrasse. Wenn du es nicht machst, wird dein Freund sterben.” Alya ließ sich nicht verwirren und erwiderte leise:
„Nie im Leben und auch nicht in deinen Träumen.“
„Wie kannst du es wagen, mir zu widersprechen! Das ist eure einzige Chance zum Überleben. Ihr seid sowieso nur Hunde. Ihr habt den Tod verdient!“
„Ich verkaufe meine Seele nicht! Ihr werdet uns sowieso töten!” Sie flüsterte nur und ihr Mund bewegte sich kaum. Sie spuckte auf das Bild. „Wenn ich nur mein Messer hätte!!!! Warum habe ich es gerade heute nicht mitgenommen?”, dachte sie.
Ihre Entschlossenheit entwaffnete Karl, der deswegen immer gewalttätiger wurde.
Er schlug sie ins Gesicht und brüllte:
„Wenn du mir nicht gehorchst, dann sollst du dich immer an mich erinnern können und an das, was du wirklich bist, eine Hündin.”
Ein paar Extremisten zündeten ein Feuer an. Er ließ seinen eisernen Ring darauf erwärmen. Das Zeichen auf dem Ring glühte rot. Nach einer Weile nahm Karl den Ring aus den Flammen heraus, währenddessen ein anderer Alyas Bluse aufmachte. Sie wusste sich zu wehren, aber das reichte nicht. Sie hatten ihr die Hände gebunden. Karl näherte sich ihr und sie verstand, was er vorhatte. Sie schaute ihm direkt in die Augen und zeigte keine Furcht, was Karl immer mehr störte und Angst einjagte. Sie bewegte sich nicht mehr und biss die Zähne zusammen. Alles in ihr strahlte Provozierung aus. Dadurch war Karls Wut nicht mehr zu stoppen. Er setzte seinen heiß gewordenen Ring auf Alyas Brust. Er erwartete, dass sie vor Schmerz schrie. Aber sie tat es nicht, sie sah ihn nur unentwegt an und erzitterte nicht einmal. Dabei spürte sie die quälende Hitze, die ihre Brust und Schulter paralysierte.
Sie biss die Zähne zusammen, so stark, dass ihre Oberlippe zu bluten anfing. Nach einer Geste des Anführers wartete sie auf den einen erneuten Schlag. Und der kam in ihren Rücken, dann sah sie die Sterne und lag auf dem Boden, die Hände noch immer gebunden, die Bluse offen. Auf ihrer Brust war eine rote Wunde zu sehen… Sie warf einen schnellen Blick auf Kim, der innerlich litt aber sich das nicht anmerken ließ. Er war ihre letzte Hoffnung. Sie lag auf dem Boden und wurde mit Gewalt festgehalten. Ein Mann kam und sie versuchte ihn mit ihren Beinen von sich fernzuhalten. Sie musste aber schnell einsehen, dass es nichts einbrachte. Sie spürte, wie er sich zwischen ihre Oberschenkel drängte und sein dreckiges Ding in ihr größer wurde. Sie hörte seinen schnellen, ekelhaften Atem. In diesem Augenblick schrie sie wie eine Furie vor Wut und Hilflosigkeit. Sie war wie eine verletzte Wölfin. Eine bewundernswerte Wölfin wie Kim es immer gefunden hatte. Dann war sie wie abwesend, sie hatte abgeschaltet. Ab jenem Moment schalte sie ihr Gehirn ab, um sich selbst zu schützen, mit so einer Art Selbstschutzprogramm. Das hatte sie im Lager gelernt, sonst hätte sie all die Jahre dort nie überlebt. Sie konnte sowieso nichts mehr machen… Kim musste der Szene beiwohnen…, ohne etwas dagegen unternehmen zu können. Die wahnsinnige Wut steigerte sich immer mehr in ihm und daraus tankte er eine neue Energie. Er wusste genau, dass die anderen auch daran teilhaben wollten. Das war nur der Anfang. Und all diese stinkenden, kleinen, schmutzigen Hände, die von ihrem Körper Besitz nahmen. Ihr innerlicher Schrei wurde noch lauter. Kim bemerkte, wie sich der junge Extremist im Rausch dieser Szene befand, wie er die Stärke seiner Truppe bewunderte. Er war nicht mehr auf Kim konzentriert. Kim schlug ihn mit bloßen Händen auf den Kopf und er fiel um. Er nahm seine Waffe und fing an, die Extremisten zu töten, die vor ihm standen. Ein Dritter war gerade dabei, die Vergewaltigung fortzusetzen und fiel überrascht und tot auf Alyas Körper. Kim erschoss die anderen Extremisten, die noch wie betäubt da standen und versuchten, Kims Schüssen zu entfliehen. Alya konnte seinen kräftigen Schatten sehen. Wie sehr sie ihn liebte, diesen Schatten. Macht, Stärke und Sicherheit strahlten von ihm aus. Sie wurde ruhiger und mit raschen Bewegungen befreite sie sich von dem toten Körper, der auf ihr lag. Sie konnte endlich die Pistole des Extremisten nehmen und tötete die Extremisten, welche sie noch umzingelten. Ihre Augen wurden rot und ihre Bewegungen präzise, gnadenlos und grazil. Sie war wieder auferstanden und wunderschön. Aber sie war verletzt und erschöpft. Nachdem sie den Letzten gekillt hatte, fiel sie in Ohnmacht. Kim war es egal, dass seine Gegner auch zurückschießen konnten. Er forderte Alya zuliebe den Tod noch einmal heraus. Und tatsächlich schossen die Beiden zurück aber sie waren so überrascht von dieser Wende. Daran hatten sie bei ihrem Plan nicht gedacht… Karl und seine restlichen Freunde flohen. Das war ihnen zu gefährlich geworden. Aber das nächste Mal wären sie besser vorbereitet. Das verlangte nach Rache. Das wussten auch Kim und Alya, die seitdem damit rechnen mussten, dass diese Extremisten irgendwann kampfbereit wieder auftauchen würden. Nach ihrem Abgang blieb Alya vor Schmerz noch liegen. Kim kniete vor ihr nieder und half ihr, sich erst einmal hinzusetzen. Alya fühlte sich noch benommen. Kim umarmte sie. Sie begann vor Wut zu weinen und schlug Kim mehrmals. Sie sah ihre Wunden und das Zeichen der Extremisten auf ihrer Brust. Sie schlug Kim noch stärker und weinte lauter. Er ließ sich ohne Abwehr schlagen. Nach diesem schockierenden Erlebnis musste sie Dampf ablassen. Kim umarmte sie sanfter und flüsterte ihr zu, dass er immer für sie da sein werde, dass sie sich rächen würden. Er erzählte ihr wie stark, mutig und wunderschön sie war. Nach einer langen Weile kam sie zur Ruhe und stand auf.

Sie kam wieder zu sich. Der Schmerz in ihrer Brust ließ nicht nach… Sie schoss noch ein paar Mal auf den Toten auf der Bühne, nur um sicher zu gehen und um sich ihre Rache schmecken zu lassen. Kim und Alya sahen sich in die Augen und trotz aller Wunden erschossen sie immer mehr Extremisten. Alya verwendete auch ihr gnadenloses Messer. Die Beiden tanzten mit den Kugeln. Sie schienen sich elegant und schnell zwischen den Kugeln zu bewegen und zu drehen, unaufhörlich, unerreichbar, unzerstörbar. Zwei Engel des Todes und der Wut.
Alya fragte ihn in der Fingersprache: „Es ist jetzt Zeit. Es sind zu viele… glaubst du, dass wir die richtige Wahl getroffen haben?“
„Was auch immer wir tun, eines Tages taucht unsere Vergangenheit wieder vor uns auf. Jetzt oder nie.” Mit diesen letzten Worten drückte er auf einen roten Knopf. Sie zählten die Sekunden bevor… es plötzlich zuerst in der rechten Ecke und dann überall im Raum krachte und blitzte. Kurz vorher hatten sie mehrere Bomben im Konzertsaal versteckt. Während der Explosion hielten sie Augenkontakt und wurden ein letztes Mal Opfer ihrer Wut und den Nebeln der Vergangenheit. Sie bereuten nichts, keine ihrer Entscheidungen.
Sie lächelten den Tod an und sahen…
wie sie sich zum ersten Mal trafen. Nordkorea.


Ein wildes, kleines Mädchen rannte durch die Straßen einer leblosen Stadt in Richtung Wald. Sie wurde von roten Soldaten verfolgt. Sie hatten ihre Eltern getötet und das Mädchen war seitdem gezwungen, allein als Wildling im Wald zu überleben. Es hatte keine Familie mehr. Es hatte etwas zu essen gestohlen und die roten Soldaten hätten es diesmal fast geschnappt. Aber zum Glück wurde es wie von einer Zauberhand gepackt und nach unten gezogen. Das war Kims Hand. Er hatte Alya seit ein paar Tagen bemerkt. Er war auch ein Waisenkind und lebte mit anderen Waisenkindern in den unterirdischen Höhlen unter der Stadt. Die Waisenkinder hatten sich zusammengetan, um zu überleben und gegen die roten Soldaten zu rebellieren. Sie waren ab diesem Zeitpunkt unzertrennlich. Kurz darauf wurden sie aber dabei erwischt, als sie Lebensmittel auf dem Markt stehlen wollten. Auf dem Markt befanden sich mehrere Bauern, die Gemüse, Obst, Reis, Fleisch und Fisch verkauften. Die meisten Sachen kamen aus dem Westen. Nachdem die Armee und die Regierung sich bedient hatten, wurde der Rest teuer an die Bevölkerung verkauft. Es gab so wenig zu verkaufen und es war so teuer, dass nur bestimmte Leute was kaufen konnten. Aber nicht die fliegenden Schwalben, die überall herumflogen. Wegen des Mangels an Tieren konnte man dort auch Menschenfleisch finden. Die Regierung hatte das verboten, aber der Hunger war stärker. Jeder musste darauf aufpassen, kein Opfer des Hungers des Nachbarn zu werden. Kim und Alya waren mit anderen Kindern auf dem Markt und wollten was zum Essen stehlen. Aber sie waren diesmal nicht schnell genug und wurden von mehreren roten Soldaten gefasst, als sie Obst klauen wollten. Sie wurden in das Neuerziehungslager geschickt. Die Busreise zum Lager war furchtbar. Nichts zu essen, zu trinken, keine Pause. Eine Dose stand in der Mitte des Busses für natürliche Bedürfnisse. Es stank fürchterlich. Nach dem ersten regnerischen Tag im Lager war Kim so erschöpft - er wurde öfter verprügelt -, dass Alya ihm unbemerkt ihr Schälchen Reis gegeben hatte. Er bedankte sich, indem er ihre Hand sanft und lange berührte… Seitdem behielten sie immer Reis oder was auch immer sie sonst finden konnten und teilten das nachts miteinander, wenn alle schliefen und die Wachen weniger aufmerksam waren. Als die Wache einmal mitten in der Nacht auftauchte, wurden sie fast auf frischer Tat ertappt. Aber unbemerkt hatte sich Kim verstecken und in seine Baracke zurückziehen können, bevor die Wache die Jungen aufwecken ging.

Dawn und John aßen die Nudeln im Wagen. Sie musste bei dem Gedanken daran lächeln.
Dawn erinnerte sich an ihr erstes Schulessen in Seoul. Die Cafeteria war riesig und die Wände kalt. Nur ein Poster über die gesunde Ernährung hing an der Wand. Alle Wände waren in Weiß gestrichen. Im riesigen Raum standen drei Reihen großer Tische. Die meisten Schüler saßen schon mit Freunden am Tisch, unterhielten sich und aßen die Nudelsuppe. Der Lärm der Gespräche störte Dawn. Alles wirkte kühl auf sie. Sie fühlte sich alleine und keiner wollte mit ihr essen, da sie so komisch sprach und so neu war. Zum Glück hatte sie an einem anderen Tisch in der rechten Ecke des Raums Kim und Alya gesehen. Alya rief ihr zu: „Komm, Dawn! Du kannst mit uns essen!" Sie hatte mit ihnen Mittag gegessen und fühlte sich besser. Alya sah trotzdem, dass was nicht stimmte: „Sag mir, Schatz, warum bist du so traurig?“
„Tja! ich bin so alleine und keiner in der Klasse will mit mir spielen oder sprechen...“
„Jeder Anfang ist schwer. Aber wenn du dir noch Zeit lässt und offen bleibst, dann wirst du dich einleben können und Freunde haben.“
„Glaubst du?“
„Ja! Klar! Du bist so bezaubernd, warum auch nicht..." Dawn fiel ein Stein vom Herzen und drückte kurz Alya fest... Dann war sie bereit für den Rest des Tages. Alya hatte Recht. Kurz darauf hatte sie zwei Freundinnen gefunden, Yoko und May mit denen sie ihre Lieblingsmusik hören und scherzen konnte. Sie waren sogar auf dem Konzert von JYJ zusammen und hatten viel Spaß an der Manga Exposition in Seoul. Sie hatten sich als Puka verkleidet... Aber am besten hatte ihr ihre erste Pyjamaparty gefallen. Mit ihren zwei Freundinnen hatte sie die ganze Zeit in Dawns Zimmer rumgealbert, sich gegenseitig die Nägel lackiert, dabei nette Musik angehört und viel gelacht. Sie hatten sich sogar in Alyas Reich rein geschlichen und ihre Perücken geklaut. Alle wurden ausprobiert und die tollsten Posen gemacht. Dawn fotografierte ihre Freundinnen dabei. Das hatte ihr sehr viel Spaß bereitet. Vor dem Einschlafen hatten sie sich gruselige Geschichten erzählt und eine Pizza gegessen.

Sie kam wieder zu sich. John und Dawn hörten die Explosion. Sie sahen wie alles in Flammen aufging. Dawn begann, zu weinen. John nahm sie in seine Arme und tröstete sie.
„Ich will sie rächen, John. Wir können diese Extremisten nicht einfach so entkommen lassen.“
„Rede nicht so, Dawn. Rede nicht wie Alya. Lass dich nicht von Wut und Hass beherrschen. Weißt du, Wut, Rache und Hass machen blind. Kim und Alya liebten dich, lieben dich, weil du so anders bist, weil du für sie Frische, Unschuld und Reinheit verkörpert hast. Du warst für sie das Schöne, der Sonnenaufgang, der Sonnenschein im Leben. Werde nicht besessener als deine Gegner, Opfer deines Hasses, deiner Wut, wie Alya und Kim es geworden sind.“
„Aber ich will Rache… Ich kann nicht verzeihen. Sie fehlen mir so. Ich kann nichts ohne sie. Sie waren alles für mich, mein Leben, mein Wasser, meine Luft… Ohne sie und ihre Unterstützung, ihre Stärke geht es nicht. Ich kann´s nicht…“
„Doch, du wirst es können, mit Hilfe der Zeit und mit meiner Hilfe. Hör auf meinen Rat. Werde nicht wie Alya, die innerlich von ihrem Hass zerfressen war.
Und ich bin immer da. In deinem Schatten, um dich zu unterstützen, egal wofür du dich auch entscheidest… Ich habe es Kim, Alya und dir doch versprochen.“
„Wie kann ich meinen Hass besiegen?“
„Durch die Liebe. Liebe ist immer die Lösung und besiegt alles, Bitterkeits- und Hassgefühle. Lass es mich dir beibringen, Liebling, wir haben Zeit….”
Er umarmte sie und hielt sie fest. Sie fühlte sich geborgen und geschützt. Dawn grüßte noch einmal in Gedanken WoRo, der wieder ganz groß und rot geworden war.
John streichelte ihre Wange, und küsste sie. Zwischen zwei Küssen murmelte er ihr leise ins Ohr: „Keine Angst. Ich bin da. Ich bleibe bei dir. Ich werde immer für dich da sein. Ich verspreche es dir. Keine Angst. Es wird alles wieder gut.”
„Weißt du was? Du hast Recht, John. Und ich weiß schon, wie ich das Geld von Alya und Kim verwenden werde. Ich möchte, dass du morgen ein paar Baufirmen und Banken anrufst und Termine festlegst.
Ich möchte nämlich, ein besonderes Einkaufszentrum eröffnen. Ein Einkaufszentrum mit Geschäften, die nur mit Bio-Waren und fairem Handel arbeiten. Ich sehe es vor mir, Biolebensmittel, Bioklamotten, Biobüroartikel, Biomusik, Biokörperpflegeartikel… Im dem ersten Stock wird es einen Konzertsaal geben, in dem alle Arten von Kulturevents stattfinden können. Dieses Kulturelement finden wir auch unten, im ganzen Einkaufszentrum verstreut, z.B. durch eine Ausstellung über Kunst, über Tiere, Pflanzen… usw. …. So könnten Alya und Kim an der Verbesserung und dem Frieden auf der Welt teilhaben. Es geht in meinem Projekt darum, dass die Menschen bewusster einkaufen und die Augen für die Welt öffnen, dass sie nicht mehr Konsumschaffe bleiben und ihr Leben bewusster leben. Mit Toleranz und Intelligenz, Freiheit und Respekt. Dass sie lernen, den Anderen richtig anzusehen und ihn ohne Angst zu respektieren. Was meinst du, John?“
„Das ist ein wunderbares Projekt, Liebling. Ich wusste es doch, dass du es kannst. Wir werden alles in Bewegung setzen, damit es auch klappt. Ich werde diese Termine für dich vereinbaren und dir so gut es geht, dabei helfen, deine Visionen zu verwirklichen. Ich bin dein Schatten und wie Kim es für Alya war, immer bei dir.
„Du bist ein Schatz… Vielen Dank… ohne dich… Eine ihrer Tränen perlte auf ihrer Oberlippe. Sie war unwiderstehlich und so süß, teilweise hilflos und schwach, teilweise so stark und entschlossen. Sie hatte irgendwo die Kraft wieder auferstehen zu können. John konnte nicht mehr widerstehen. Er wollte sie, und nur sie. Sie beschützen und unterstützen, sie lieben und ehren, sie küssen und ihren Atem spüren, jede Seite von ihr kennenlernen.
„Sch…. ” Sie küssten sich noch einmal, lange und tief. Er hatte das Gefühl, sie teilten sich jetzt die gleiche Vision, das gleiche Herz, den gleichen Atem. Mit diesem Kuss fusionierten sie zu einer Person. Und Dawn wusste, sie würde mit ihm an ihrer Seite alles schaffen.


ALYAS TEXTE





LOSE OURSELVES


I saw you coming
Through the crowd.
You were sadly smiling.
In your eyes' reflections
I could see my feelings.
We tried to find a solution.
We couldn't follow this road
Together, here it had to be ending.

You know, we are right
Otherwise we lose ourselves
In an ocean of violence and darkness.
Please, keep seeing this light
Even if you're in the deep darkness.


We felt the shadow of hate
Growing deep inside in our heads.
We didn't want to be toys of Fate.
So we could go far away, ahead.
Can you hear my heart-dove?
I hope my true love
Will fly you above
And lead you to the final attack.
So you could win at the final act.
And finally join me
Not in Death, but in Heaven
We could built in this world,
With all the love we're given
To survive against Humanity
And all its bad and sad habits.
Because we're too young now
Not to stand our souls anymore
Because we're too proud now
To destroy ourselves at the door,
We don't want to go through.
I'm still waiting for you
And still working for a better time.
I know, one day you'll be mine.


© 2003 by Sandra Gablowski – All rights reserved


Kaputte Schwalben

In den dreckigen und einsamen Strassen
laufen die Schwalben mit kaputten Flügeln.
Langsam kommen sie, leise und ziellos,
mit kleinen, verdreckten, und leeren Händen.
Ihre Augen leuchten müde und hoffnungslos.
Sie reflektieren die bitteren Grausamkeiten
ihrer alltäglichen und gefangenen Realität.
Nur mühsam kommen sie ohne Grund weiter.
Gebrochen ist für sie die große Lebensleiter.

Falls sie von bösen Henkern gefangen werden,
sterben sie kreischend und bitterlich weinend aus
hinter Hotelgittern, alles wäre endlich passé.
In ihren trockenen Tränen fließt das Vakuum,
sie fragen sich nicht mehr, wozu oder warum.
Sie tragen tief im Inneren die unendliche Trauer,
geschaffen von politischen Profiten und Hunger.
Eine reine Flamme behalten manche noch in sich
und bereiten sich für eine gefährliche Reise vor.
In ihren harten Seelen flackert dann ein kleines Licht,
seltsame Mischung von Akzeptanz, Mut und Amor.
Nicht unbeschwert kommen sie am neuen Ufer an,
wo es ihnen leichter fällt, zu überleben, zu atmen.

Auch wenn sie dann die feuchte Hölle überstanden haben,
nie werden sie diese Bilder des Schreckens vergessen,
welche tief in ihren Seelen verankert sind, in ihren leeren Augen,
die in ihren Gesichtszügen für immer geritzt sind, vergebens.
Sie wissen, die Welt hält die Augen lieber zugeschlossen,
Sie wissen, sie sind von der Welt vergessen und verlassen.

Sie haben sowieso früh gelernt, sinnlos zu überleben,
sie haben früh gelernt, die Grausamkeit nicht zu hinterfragen.
Diese einzige Frage brennt jede Nacht in meinen Gedanken:
Können sie uns eines Tages unser Verhalten verzeihen?


WOZU?

Wozu gewinnen wollen
alles was sie uns anbieten?
Denn auf Erden in einem Leben,
ich weiß, nichts kann dauern.
Wozu kämpfen wollen,
gegen diese Gipsstatuen?
Denn unsere Alltagskämpfe
können im Grunde nichts ändern.

Wozu glauben wollen,
der Mensch sei gutmütig?
Denn wir alle kennen das Lied.
Alles nur sinnloses Glauben.
Wozu hoffen wollen,
die Menschen ändern zu können?
Denn sie lassen sich unter Volldämpfe
von Papiergeiern manipulieren.

Wozu sich engagieren wollen,
um eine bessere Zukunft zu schaffen?
Wegen eines vergesslichen Verstands
sind alle in einem Konsumtraumzustand.
Wozu miteinander teilen wollen,
denn hier herrscht der Individualismus.
Meistens versteckt sich hinter dem Teilen
Eitelkeit, Steuererklärung und mehr Egoismus.

Diese Worte drehen sich in meinem Kopf,
bilden eine Kette, einen verflochtenen Zopf.
Aber innerlich ist es mir in diesen Zeiten klar,
ich glaube, dass man vorwärts gehen kann.

Das „WOZU“ verschwindet mit Helligkeit,
wenn ich in den Augen der Menschen
Blitze von Menschlichkeit sehen kann,
ich weiß, ich vergeude nicht meine Zeit.


ÜBERLEBEN

Ein Kind sitzt einsam und weint,
stumm, ohne einen kleinen Schrei.
Er sitzt allein in der kalten Nacht,
die seine Angst verdreifacht.
Was weiß es von der Unschuld?
Es kennt hier nur Leid, wer hat Schuld?
Die Liebe ist für es nur sinnlos.
ES kennt nicht ihre Umrisse, ihre Essenz.
Die Zeit vergeht still und hoffnungslos,
aber es kämpft weiter für seine Existenz.

Hör auf, mir ständig zu sagen,
du würdest überhaupt nicht hören,
die Klänge von diesen Kämpfen.
Hör auf, dich selbst zu verraten,
hör auf, dich hinter leeren Vorwänden
zu verstecken und abzuwarten.

Mitten im Matsch steht ein kluges Mädchen,
durch den Matsch muss sie jeden Tag laufen.
Matsch, dem hinterlistigen Unmenschen
auf ihrem Weg für sie da ausgegossen haben.
Sie kämpft tapfer gegen ihr leeres Schicksal,
und verirrt sich in diesem gemeinen Dedal.
Sie stößt sich leise gegen schmutzige Wände
und wünscht sich durch freundliche Winde,
sei es nur einen kleinen Ausflug zu machen,
weit weg von diesem ekelhaften Überleben.

Hör auf dich selbst zu belügen, zu denken,
die Welt würde sich immer weiterdrehen,
alles würde bald seine Ordnung finden.
Hör auf und schau mir in die Augen.
Sag mir, was du alles darin sehen kannst,
ob du noch diesen Kampf ignorieren kannst.

Auf einer Bank liegt ein trauriger Mann,
fragt sich: wie komme ich nun voran?
Wie kann er seine Würde wiederfinden
und der kalten Gesellschaft verzeihen,
was ihm angetan wurde, diese Leiden
Diese Ungerechtigkeit, ohne Erbarmen
dass seine Geschäfte so laufen würden,
hätte er nie im Leben glauben können.
Alles verlieren von heute auf Morgen.
Kann er noch den Mut tief in sich finden,
um einen neuen Weg einzuschlagen? .

Hör auf, dich ständig zu belügen,
du könntest nichts dagegen machen,
ich könnte nichts daran ändern
Du musst es nur ehrlich wagen.
Hättest den Mut, die Courage
für dein Überleben zu kämpfen?
Hör auf und schau dich an.
Vergiss eine Sache aber nicht,
du bist für dein Licht verantwortlich
Alles kann wieder neu anfangen,
den Weg machen die Leiden.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.04.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
... ODER DIE HASSDÄMMERUNG Ich widme dieses Buch an meine Familie und Freunde, die mich immer unterstützt und mir bei meiner Entwicklung geholfen haben. Dieses Buch ist für alle, die an die Menschheit glauben und Hoffnung in sich behalten. An alle verirrten Schwalben...

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