Erinnerungen an uns
Der Himmel ist grau und wolkenverhangen, kalter Wind bringt die Blätter der Bäume zum Tanzen. Faey kann den Blick kaum von ihnen nehmen. Sie tragen bereits ihre bunten Herbstgewänder, wenn sie von den Bäumen fallen und sich auf das Gras darunter legen, scheinen sie regelrecht zu erstrahlen. Wie Feuer, doch vermag es nicht, sie zu wärmen. Sie schlingt sie sich die Arme um den zitternden Leib und ist froh heute ihren roten Wollschal umgelegt zu haben. „Weißt du noch, damals, als wir spazieren waren und du auf dem regenfeuchten Gras ausgerutscht bist?“, fragt sie und kichert leise. „Es war im Frühling, alles war noch nass und du hast mich einen Hügel hoch gehetzt. Warst übermütig und, hast den Halt verloren", spricht sie weiter. Eine Antwort bekommt sie nicht, doch daran hat sie sich gewöhnt. Manchmal da tut es gut, wenn man einfach nur spricht und da jemand ist, der schweigend zuhört. Sie nimmt es ihm nicht übel. Dennoch fühlt sie sich manchmal sehr einsam, gegen diese Kälte hilft dann auch nicht ihr Wollschal. Auch ihr Mantel hilft nicht, völlig gleich wie dick gefüttert er auch ist. Sie seufzt, sieht, wie ihr Atem weiße Wölkchen in die Luft, malt. „Der Winter zieht ins Land, bald schon werden die Dächer der Stadt weiße Kappen tragen“, murmelt sie in ihren Schall, lässt sich zur Seite kippen, um sich an ihn zu lehnen. Nicht wie früher, leider. Nun schließt sie doch noch die Augen, sperrt den grauen Himmel aus und auch die tanzenden Blätter.
„Allery, manchmal wiegt dein Schweigen tonnenschwer.“
Sie faltet die Hände vor der Brust, spürt das Schlagen ihres Herzens und wünscht sich nur, dass er sie in die Arme nimmt, so wie früher. Früher war vieles anders, nicht immer besser, dennoch ist es schön hin und wieder in Erinnerungen abzutauchen. Ja, dafür ist sie auch heute hier hergekommen, um sich mit ihm zusammen zu erinnern. ...
Sie laufen durch den Botanischen Garten, folgen dem Pfad aus weißen Kieselsteinen, der sich durch die großen Rasenflächen windet. Herbe und süße Düfte vereinen sich, das Summen der Insekten ist wie Musik in ihren Ohren. Leise wehen die Stimmen der anderen Besucher an sie heran. An einem von der Sonne gesegneten Tag wie diesem tummeln sich viele Leute auf dem weitläufigen Gelände. Immer wieder begegnen sie anderen Pärchen, Männer und Frauen, gehüllt in schöne Gewänder. Faey fühlt sich etwas fehl am Platz in ihrem einfachen Kleid aus dunkelgrünem Leinen und dem dazu passenden Bonnet. Immer wieder erwischt sie sich selbst dabei, wie sie einige der widerspenstigen roten Locken darunter schiebt, die sich aus ihrem Haarknoten lösen. Allery, bei dem sie sich untergehakt hat, lächelt still vor sich hin. Als sie gerade wieder eine Locke unter die Haube schiebt, lacht er leise auf.
„Ich finde das nicht witzig. Ihr Master Allery Quenn, amüsiert euch über mein Leid.", versetzt sie ihn gespielt, beleidigt und schenkt ihm dabei einen vorwurfsvollen Seitenblick.
„Aber wie könnte ich denn Miss Faey? Viel mehr bedauere ich all die Menschen hier. Sie kommen nicht in den Genuss, eure überaus schöne Haarpracht zu bewundern“, erwidert er und ist sehr bemüht zu klingen wie einer der besonders feinen Gentleman denen sie beide nur allzu gerne aus dem Weg gehen. Davon laufen hier auch genügend durch die Gegend, zusammen mit ihren vorzeige Frauen, die in ihren seidenen Schnallenschuhen kaum einen Schritt gehen können, ohne hinzufallen. Eine Wolke aus Parfüm weht an sie heran, kündigt damit an, dass ihnen auch jetzt wieder so ein ganz besonderes Pärchen entgegenkommt. Sie weichen nicht aus, also sind es Faey und Allery, die ins Gras treten müssen.
„Der Klügere gibt nach“, murmelt Allery augenrollend. „Darum gehen immer nur die Dummen als Sieger hervor.“ „Denkt My Lady das wirklich?“
Faey nickt „Sieh dich doch nur um.“ sie macht eine ausladende Geste, verweist damit auf die anderen Besucher des Gartens. „Alles Söhne und Töchter aus gutem Hause, geboren mit einem Silberlöffel im Mund. Keiner von ihnen weiß, wie es ist zu hungern oder zu frieren. Selbst diesen Ort, diesen wunderschönen Garten beanspruchen sie nur für sich.“ „Bin ich denn nicht wie sie? Macht mich das in deinen Augen zu einem Dummen?“ „Sie sind nicht dumm, weil sie reich sind, sie sind dumm, weil sie auf alle herabsehen, die es nicht sind.“
Jetzt lach Allery auf, es ist kein herablassendes Lachen, auch nicht das verlegene Lachen, das er sie zu Beginn so oft hat hören lassen. Es ist das herzliche Lachen, das sie trotz all der Widrigkeiten immer wieder zu ihm zieht. Stand und Namen haben keine Bedeutung, solange er so an ihrer Seite lachen kann. Ihn kümmert es nicht, dass Faey nur eine Haushälterin ist, auch dass er weiß, für wen sie arbeitet ist ihm gleich. Etwas, das er ihr sicher schon hundert Mal gesagt hat. Worte aber bedeuten ihr nicht viel, umso mehr bedeutet es ihr, dass er es ihr auch immer wieder zeigt. „Wenn du es so siehst, ja, dann sind sie dumm. Aber wenn du sie durch meine Augen siehst, dann erkennst du auch, dass sie nicht nur dumm, sondern auch arm sind.“
Faey zieht die Brauen etwas zusammen, löst ihren Arm von dem seinen, um sich vor ihn hinzustellen. „Arm? Wir haben Frühling und dennoch fürchte ich, du hast einen Sonnenstich.“ Nun ist es Allery der den Kopf schüttelt, dabei umtanzen braune Locken sein Gesicht, die Frühlingssonne lässt sie sanft kupfern schimmern. Er hebt belehrend den Zeigefinger: „Erstens, habe ich keinen Sonnenstich", der Mittelfinger gesellt sich hinzu, ‚Zweitens, bemesse ich Reichtum nicht anhand von Gütern und‘, er hebt auch noch den Ringfinger, an dem sein Familienring steckt, ‚Drittens, haben sie alle nur das, was ihre Familien für sie als gut und richtig erachten und somit haben sie nichts.“
Er deutet auf eines der vorüber flanierenden Paare. „Sieh sie dir doch nur an, sie haben ja noch nicht einmal einander." Er streckt ihr seine Hand entgegen, legt sie ihr behutsam an die Wange, lässt sie etwas weiter nach oben wandern und löst eine der Locken, die sie sich vorhin so ungehalten unter die Haube geschoben hat. Langsam wickelt er die dünne Haarsträhne um seinen Finger. „Sie haben viel, kennen weder Hunger noch Kälte, da gebe ich dir recht. Aber sie haben auch die Chance auf ihr Liebesglück verpasst. Von der Wiege bis zur Bahre sind es ihre Familien, die über sie bestimmen.“ Der Blick seiner meerblauen Augen richtet sich auf Faey und ein sanftes Lächeln umspielt seine Lippen. „Auch ich erfülle zu einem großen Teil nur die Erwartungen, die meine Familie in mich setzt. Hätte ich dich nicht getroffen, würde auch ich irgendwann zu denen gehören, die verpassen, was das Leben erst wirklich lebenswert macht“, fährt er mit leiser Stimme fort, während Faeys Herz in ihrer Brust hämmert wie eine Trommel. Wieder sind es seine Taten, die ihr zeigen, wie besonders er doch ist. Hier, wo alle sie sehen können, kümmert es ihn, nicht, was sie über ihn denken, den Spross einer angesehenen Familie, der einfach so Zärtlichkeiten mit einem Nichts wie ihr austauscht.
Ihr wird warm, zuerst ums Herz und dann überall, Hitze schießt ihr in die Wangen und sie muss den Blick von ihm nehmen. „Sag sowas nicht, das ist“ „Die Wahrheit“, unterbricht er sie sanft und lässt ihre Locke von seinem Finger gleiten. Sie will sie sich wieder hinters Ohr schieben, doch er ist schneller, greift nach ihrer Hand, umfasst sie mit der seinen. „Komm.“, er ruckt leicht an ihr. „Wer immer nur auf den Wegen bleibt, verpasst das Abenteuer. Er verpasst das Leben und das Glück.“ Kurz überlegt Faey, ob sie ihm widersprechen soll, aber eben nur kurz, dann lässt sie zu, dass er sie einfach mit sich zieht.
Sie laufen über das Gras, querfeldein, weit ab der sauberen Kieswege. Vorbei an den in Form gestutzten Hecken, den sorgsam angelegten Blumenbeeten und den Glashäusern für die Tropenpflanzen. Allery hält ihre Hand, verschenkt seine Finger mit den ihren, während er schnell und immer schneller wird. Faeys Haube lockert sich, rutscht ihr vom Haar, wird nur noch von den seidenen Bändchen gehalten. Doch Allery hält nicht an, wird auch nicht langsamer, als sie einen kleinen Hügel hinauf laufen. Sie entfernen sich immer weiter von der Besucherfläche, dringen in einen Teil des Gartens ein, den die Gärtner noch nicht fertig hergerichtet haben. Hier wachsen die Büsche wild, sind nicht in Form getrimmt, auch das Gras ist nicht ebenmäßig geschnitten. Hie und da wachsen wilde Blumen auf dem üppigen Grün, das so viel saftiger wirkt. Es duftet nach nasser Erde, wilden Kräutern und etwas harzig. „Siehst du, das verpassen sie auch!“, ruft er aus und klingt ausgelassen wie ein Kind am Weihnachtsmorgen, macht sogar einen kleinen Luftsprung. Keine gute Idee, denn das Gras ist noch feucht vom Regen der vergangenen Nacht, so verliert er den Halt. Er rutscht aus und da er immer noch Faeys Hand hält, rutscht auch sie. Sie bekommt gerade noch ein kleines „Huch“ über die Lippen, ehe sie beide den kleinen Hügel herabrollen und sie nicht mehr weiß, wo oben oder unten ist. Es geht schnell, das Gras ist weich und so tut es auch nicht weh, dennoch rast ihr Herz, als sie endlich zum Liegen kommt. In ihrem Kopf dreht sich alles, sie hat noch nicht einmal bemerkt, dass sie die Augen geschlossen hat, als sie sie jetzt wieder öffnet, sieht sie über sich den blauen Himmel, Vögel ziehen ihre Kreise. Wie von alleine reckt sich ihre Hand dem Himmel entgegen. Wie oft hat sie sich schon gewünscht, so frei wie ein Vogel zu sein? So wie sie in den Himmel zu fliegen und die Welt von oben zu sehen. „Ob auch sie fürchten, das Leben zu verpassen?“, murmelt sie und schmeckt dabei Erde auf den Lippen. „Ich denke nicht, sonst könnten sie nicht so fröhlich ihre Lieder singen.“ erklingt die Antwort neben ihr, eine weitere Hand erscheint neben der ihren, reckt sich auch dem Himmel entgegen. „Was ist mit denen, die singen, ehe jemand sie fängt, um sie in einen Käfig zu sperren?“ Mit den Fingern malt sie einen Käfig in die Luft. „Zuerst verstummen ihre Lieder und später ihre Herzen, weil es für sie nur noch die Einsamkeit gibt“, seufzt sie, als sie den letzten Gitterstab malt, alleine daran zu denken macht ihr das Herz schwer. Einsamkeit, dieses Gefühl kennt Faey, wird es auch nie wieder vergessen. Allery sagt nichts, verhakt nur seinen kleinen Finger mit dem ihren. Zeigt ihr nicht nur mit Wort und Tat, dass er mehr ist, sondern nun auch durch sein Schweigen. Er schweigt oft, nicht, weil er nichts zu sagen hat, sondern um ihr Gehör zu schenken. Das ist schön, viel schöner noch als tausend Worte, um sein Verständnis zu bekunden. In der Ferne ist das Glockenspiel des Kirchturmes zu hören, tiefe dunkle Laute, die sich zu einer Melodie vereinen. Doch sie braucht den Kirchturm nicht, um zu wissen, dass es Mittagszeit ist. Die Sonne selbst lässt es sie sehen und auch spüren, lautlos ist sie über den Himmel gewandert, ihre Strahlen haben an Kraft gewonnen, wärmen Faeys Gesicht. Dafür ist das Gras angenehm kühlt, nur die Feuchtigkeit, die sich durch ihre Kleider drückt, stört etwas. Schwungvoll setzt sie sich auf und diesmal ist sie es, die Allery mit sich zieht. „Ein Glück, dass dein Kleid grün ist, die Flecken würde ich echt nur ungern erklären“, bricht er sein Schweigen und als sie ihm den Blick zuwendet, sieht sie, dass der Sturz auch bei ihm Spuren hinterlassen hat. An den Ärmeln seines Gehrockes sind braune und grüne Flecken zu sehen, die Knie seiner Hose sehen auch nicht besser aus, in seinem Haar haben sich ein paar Blütenblätter verfangen.
„Ihr Master Qinn, seid ein wahrhaft schrecklich ungestümer Mann“, mahnt sie ihn neckisch und streckt die Hand nach seinem Haar aus, zupft ihm ein Paar der Blätter aus den Locken. „Ungestüm, das mag ich sein, auch ein Mann, und zwar der eure, My Lady“, erwidert er und grinst spitzbübisch, dabei zeichnen sich Grübchen an seinen Wangen ab. „Wie bitte?“, schlüpft es ihr da über die Lippen und sie zieht erschrocken dir Hand zurück, spürt wie ihr das Blut in die Wangen schießt. „Oh, verzeih, ich hab mich wohl ungünstig ausgedrückt“, erwidert er und auch seine Wangen bekommen etwas Farbe. Und wie er das hat, zu Faeys rasendem Herz hat sich ein Kloß im Hals hinzugesellt. „Kein Problem, ich dachte nur, dass dieses Mal ich etwas verpasst hätte“, flüchtet sie sich in einen Scherz und ein verlegenes Lachen. „Oh doch, es ist ein Problem, und zwar eines von der gewaltigen Sorte. Als hätte der Sturz mir alle guten Geister aus dem Kopf ausgetrieben. Eine Schande, wenn man bedenkt, womit ich mir meinen Lebensunterhalt verdiene.“, er zwinker ihr zu. Sie seufzt leise, nicht weil er es als eine Schande sieht seine Arbeit zu vergessen, sondern viel mehr, weil sie kaum vergessen kann, was seine Arbeit alles beinhaltet. Wobei, ganz stimmt das nicht. Allery mag ein Mann der Kirche sein, einer ihrer Besten sogar, wenn es um das Austreiben von Geistern und Dämonen geht, doch er benimmt sich nicht wie die anderen seines Standes. Sie zumindest hat noch nie einen anderen Würdenträger im Gras sitzen sehen. Aber auch Allery sitzt nicht mehr lange, denn er kommt auf die Beine, hält ihr auffordernd eine Hand hin. Faey greift danach, lässt sich von ihm aufhelfen. Sie stehen sich gegenüber, sind sich nahe, so nahe, dass sie der zarte Duft seines Rasierwassers in der Nase kitzelt. Eine leicht waldige Note, angenehm, nicht zu schwer oder zu süß, wild und doch behaglich, es passt zu ihm. Sie hebt den Blick und bemerkt, dass er sie ansieht. Jetzt erst bemerkt sie, dass ihre Haube mehr als nur verrutscht ist, sie will sie richten, doch er hält sie davon ab. „Bitte nicht. Versteck nicht dein Haar, es ist so schön“, bittet er sie mit verlegenem Blick. Sie ist ja versucht ihm zu sagen, dass es sich für eine Frau nicht gehört ihr Haar offen zu zeigen, dass nur ihr Ehemann sie so sehen darf, doch das weiß er alles selbst. So wie er auch sicher weiß, dass es sich für ein unverheiratetes Paar nicht geziemt, sich so nahe zu sein, wie sie es gerade sind. „Deine Haut ist blass wie der Schnee im Winter“, beginnt er und legt ihr eine Hand an die Wange, streicht sanft darüber. „Deine Augen, so grün wie die Blätter der Bäume, wenn der Frühling sie erblühen lässt“, er zieht sie etwas näher an sich und ihr Herz macht einen Sprung. „Wenn du lächelst, strahlst du heller und wärmer als die Sommersonne. Was jedoch wäre ein Jahr ohne den Herbst und seine zarten roten Blätter, die mich so sehr an dein Haar erinnern?“, er beugt sich ihr entgegen und ihr stockt der Atme. Er wird doch nicht versuchen, sie zu küssen, oder? Aber was, wenn er es doch versuch? Was soll sie dann tun, was soll sie sagen? Was, wenn sie den rechten Moment verpasst, zu reagieren? „Fehlt auch nur eine Jahreszeit, so ist ein Jahr nicht komplett. So bin auch ich nicht komplett, ohne dich“, flüstert er ihr da ins Ohr, dabei streicht sein Atem über ihre sicherlich knallroten Wangen. Faey ist wie erstarrt, kann nichts erwidern, sich nicht bewegen, ja kaum atmen. Sie kann nur dabei zusehen, wie Allery langsam vor ihr auf ein Knie sinkt, nach ihrer Linken greift, während er mit seiner anderen Hand ein kleines Schächtelchen aus seiner Rocktasche holt und es aufklappt. Er hebt den Blick, sucht den ihren und als sie sich treffen holt er tief Luft.
„My Lady, Faey, ich mag schrecklich ungestüm sein, wie man mir erst unlängst sagte. Ich habe lange nur dafür gelebt, die Erwartungen anderer zu erfüllen, wollte meine Pflicht tun und so meinen Wert beweisen. Ich habe so viele Möglichkeiten ungenützt verstreichen lassen, mein Glück nur in der Zufriedenheit anderer gesucht. So vieles habe ich verpasst. Doch nun, da bin ich klüger, weis, was ich will und auch was ich auf keinen Fall verpassen will. Darum frage ich dich: Willst du mich heiraten?“
Faey kann nicht anders als ihn anzustarren, in ihrem Kopf rasen die Gedanken und ihr Herz rast mit ihnen. Das Blut rauscht in ihren Ohren und scheint immer wieder denselben Satz zu wiederholen „Willst du mich heiraten?“ Ja will sie denn? „Ich, also, ich...“, stammelt sie mühsam hervor und hat keine Ahnung, wie sie diesen Satz zu Ende bringen soll.
Ja? Nein? Womöglich? Sollte jetzt nicht der Himmel voller Geigen hängen? So wie in den Büchern oder Bühnenstücken? Davon das einem die Knie zittern und der Magen auf der Zunge tanzt, hat sie noch nie gelesen! Sie würde sich am liebsten einfach übergeben, nicht wegen Allery, nein ganz sicher nicht seinetwegen. Er ist, perfekt. Liebevoll und klug, aufmerksam, aber nicht anhänglich. Übergeben will sie sich viel mehr, um zumindest irgendetwas zu tun. Ja, wie lange steht sie denn schon einfach nur da, lässt den Armen im feuchten Gras knien und warten? Aus, genug, vorbei! Sie zwingt sich, tief Luft zu holen. Atmen, ja das funktioniert, das kann sie, macht es schon ihr ganzes Leben lang. Zu reden schafft sie sicher auch. „Allery, ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll“, bringt sie mühsam hervor. Sicher nicht das Beste, was man in so einer Situation sagen kann, aber eben auch das einzige, was der Wahrheit entspricht. Kein klares Ja oder Nein, beides wäre nur die halbe Wahrheit. Jetzt ist es an Allery zu reagieren, sie würde verstehen, wenn er wütend wird, sie einfach stehen lässt und geht. Aber so ist er nicht, genau darum kann sie auch nicht aus vollem Herzen Nein sagen. Er nickt einfach nur, kommt auf die Beine und stellt sich vor sie hin. „Denk einfach darüber nach. Lass dir Zeit, so wie auch ich mir Zeit gelassen habe“, sagt er und lächelt sie dabei an. „Wirklich? Das ist in Ordnung für dich?“, vergewissert sie sich und spürt, wie ihr ein Stein vom Herzen rollt. „Natürlich, ich darf doch nicht erwarten, dass du in einer Sekunde eine Antwort auf eine Frage findest, über die ich mindestens“, er hebt drei Finger hoch, „So lange nachgedacht habe.“ „Drei Tage?“ Er lacht leise auf, stupst ihr sanft gegen die Nasenspitze. „Drei Monate, vielleicht auch doppelt so lange.“ „Wir kennen uns doch kaum ein Jahr, das ist …“ „Schrecklich ungestüm?“, unterbricht er sie. „Ich wollte nicht noch einen weiteren Moment verpassen, indem ich ihn einfach vorüberziehen lasse“, setzt er nach kurzem Schweigen hinzu. „Master Qinn, auf dem mit dem Verpassen reiten sie schon sehr herum.“ „Das ist eben ein Thema, das mich bewegt.“ er zwinkert ihr zu und bietet ihr dann wieder seinen Arm an, um sich unterzuhaken. Ganz plötzlich ist ihr wieder leicht ums Herz, es ist gar nicht schwer seiner Aufforderung nachzukommen. So wie es auch nicht schwer ist den Kopf gegen seine Schulter zu lehnen. Er bettet sein Kinn auf ihr Haar und hält ihr die Ringschachtel vor die Augen. „Auch wenn du noch nicht weißt, wie du antwortest, nimm ihn bitte. Bald schon muss ich wieder meinen Verpflichtungen nachkommen, eine längere Reise steht an und da will ich nicht gehen, ohne den Ring in guten Händen zu wissen.“ Wenn er von Verpflichtungen spricht, jagt ihr ein kalter Schauer den Rücken herab. Diesen Teil seiner Arbeit könnte sie noch nicht einmal vergessen, wenn sie es wollte. Er zieht in die Schlacht, treibt allerorts das Übel aus, welches andere in den Wahnsinn treibt. Viele, die sind wie er, kehren nur als Hüllen ihrer selbst wieder, wieder andere kehren nie wieder zurück. „Willst du ihn nicht lieber bei deiner Familie lassen?“, fragt sie, dabei hat sie den Blick auf den grünen tropfenförmigen Stein des Ringes gerichtet. „Nein, er gehört dir. Zu viele vor mir haben versäumt, ihn der Person zu geben, die ihr Herz erwählt hat. Ich trete in die Fußstapfen meiner Ahnen, aber ihre Fehler wiederhole ich nicht.“ Das kann Faey verstehen, anstecken wird sie ihn sich nicht, noch nicht, aber sie wird ihn bei sich tragen. Alleine schon, weil er sie an Allery erinnert, solange er fort ist. „Wenn du wieder zurückkehrst, werde ich auf dich warten. Dann werde ich dir deine Antwort geben.“ verspricht sie ihm, als sie das Schächtelchen in ihre Kleidertasche steckt. „Dann werde ich dich nicht zu lange warten lassen“, lacht er. Kurz darauf laufen sie Seite an Seite durch die Wiese. Genießen die Sonnenstrahlen auf der Haut und dem sanften Frühlingswind, der so viel Hoffnung mit sich trägt.
Sie hat sich, wie sooft, in ihren Erinnerungen verloren, ist einfach darin versunken. Nur langsam gelingt es ihr, daraus aufzutauchen. Irgendwann als sie so an ihn gelehnt da gesessen hat, muss es angefangen haben zu regnen. Sie spürt die Tropfen auf der Haut, kalt sind sie, bis auf den einen, der ihr langsam über die Wange rollt und sich salzig auf ihre Lippen legt. „Es tut mir leid“, bringt sie mühsam hervor und hasst sich dafür, wie schwach ihre Stimme dabei klingt. „Auch ich habe eine Gelegenheit verpasst. Alles, was ich jetzt noch tun kann, ist mich zu fragen, was alles hätte anders kommen können.“ Ihr Herz, es ist so schwer und das wo es in ihren Erinnerungen doch so leicht gewesen ist. Sie hebt die Linke hoch, sieht den Ring daran funkeln, nicht länger erinnert der Stein sie an einen Tropfen, er ist für sie zu einer Träne geworden, zu einer von vielen, die für ihr Bedauern stehen. „Ich weiß immer noch keine Antwort auf deine Frage.“, Faey dreht sich etwas zur Seite, haucht ihm einen Kuss auf. „Aber ich weiß, dass ich dich vermisse.“, ihre Stimme bricht, ihre Finger sanft über Allery streichen. Nicht länger über Allery den Menschen. Nur über einen Namen, eingemeißelt in kalten Stein. Zurückgekehrt ist er, doch es war ihm nicht vergönnt lange zu verweilen. Sein Herz tat seinen letzten Schlag, als er seine Pflicht erfüllte. Faeys Herz brach, als sie ihn gehen lassen musste.
Auch jetzt ist es ihr so, als würde es aufs Neue brechen, so wie immer, wenn sie hier bei ihm ist, sich an das erinnert, was war, sich dabei bewusst wird, was nie sein wird. Wenn sie sich fragt, ob sie ihre Chance auf ihr Glück verpasst hat. Ganz alleine mit ihren Gedanken, kalter Regen, der wie Nadeln auf ihrer Haut sticht, während die Tränen in ihren Augen brennen.
Eine sanfte Berührung lässt sie hochfahren, die hebt den Blick und kann durch den Schleier ihrer Tränen kaum mehr als einen verschwommenen Umriss erkennen.
„Er würde nicht wollen, dass du hier im Regen sitzt“, hört sie eine sanfte Stimme. Eine blasse Hand reckt sich ihr entgegen, sie zögert danach zu greifen.
„Komm schon, Faey“, die Finger zucken auffordernd, zaghaft legt sie ihre Hand in die andere, spürt den sanften Druck, als sie zugreift und sie hochzieht.
„Schon besser und jetzt“, ein Arm legt sich um sie, sie wird an einen warmen Körper gezogen, spürt den Herzschlag des anderen. „Gehen wir nachhause“, spricht die andere Stimme weiter.
„Warum bist du hier?“, bringt sie mühsam hervor. „Wir haben auf dich gewartet und als du nicht nachhause gekommen bist, wollte ich nach dir sehen. Nicht, dass du noch den Fünfuhrtee verpasst.“
„Ist das eine Ausrede?“, murmelt sie in ihren Schal.
„Total, aber es klingt besser als ein: Ich wollte nicht, dass du einsam bist.“
Faey nickt, um noch etwas zu sagen, fehlt ihr die Kraft und so ist sie froh, dass da jemand ist, der sie hält. Dass sie vielleicht doch nicht ihre Chance auf Glück verpasst hat.
Tag der Veröffentlichung: 21.08.2023
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
An alle denen nur noch die Erinnerung bleibt.