„Sind wir bald da?“
Eine Frage, die wir alle kennen, die wir uns sicher selbst oft genug stellen und die wir erst dann so richtig fürchten lernen, wenn wir mit Kindern unterwegs sind. Nicht weil diese Worte so schrecklich sind, auch nicht, weil Kinder diese Frage stellen, während sie uns eine Waffe an den Kopf halten oder ähnliches. Nein, bei Kindern ist sie deswegen so schrecklich, weil sie ein und dieselbe Frage unentwegt wiederholen, als würden sie sich nach dem Aufbruch von zu Hause in eine Schallplatte mit Sprung verwandeln. Klar lässt sich dieses Drama nicht vermeiden, man kann es aber geschickt hinauszögern. Sei es nun durch Kekse, um die kleinen Mäulchen mit Krümeln zu verkleben, durch Spiele, um ihre Köpfchen auf andere Gedanken zu bringen oder durch geschickte Ablenkung.
Wenn der berühmte Satz „Sind wir bald da?“ fällt, wirkt es oft Wunder, wenn man ihn mit „Schau mal einen rosa Raketenkuh auf Turbo-Rollschuhen!“ konter und dabei einfach nach draußen deutet. Funktioniert, fast immer. Aber leider nicht auf Dauer. Und glauben Sie mir, mit Dauer hab ich echt Erfahrungen. Ich würde ja behaupten, dass ich mit Geduld gesegnet bin, so viel davon habe, dass man mich eigentlich schon zu einem Heiligen erklären könnte, aber auch dieses enorme Ausmaß ist nicht unbegrenzt.
Ein Kind für ein paar Stunden beschäftigen ist kein Problem, auch für ein oder zwei Tage. Ist das Ziel aber gute 250 Tage entfernt, möchte man irgendwann selbst die Raketenkuh satteln und einfach mit ihr davon düsen, um dem Gequengel zu entkommen. Hölle, es gab schon Tage, an denen ich daran gedacht habe, mich, ohne passenden Anzug, einfach aus dem Raumschiff zu stürzen. Klingt dramatisch? Ja, das denken aber auch nur Sie! Auch bei mir hat es gedauert, bis ich „da“ war, wo ich nun bin. Ganze 10 Jahre habe ich als Flugbegleiter für „Fun-Mars“ gearbeitet. Die Kinder von reichen All-Touristen betreut, damit sie ihre rauschenden Partys feiern konnten. Mich mit ihren Nobel-Plagen herumgeschlagen, damit Mami und Daddy, Sekt schlürfend über ihre Geschäfte plappern konnten. Irgendwann da hat es mir dann gereicht und ich habe mich dazu entschieden den Job zu wechseln. Jetzt muss ich keine Keks Krümel mehr von meiner Uniform zupfen, keinen Kaugummi mehr aus meinen Haaren kibbeln oder Filzstift Herzen von meinen Wangen schrubben. Das war immer der Horror, so habe ich gedacht, aber jetzt, da weiß ich es besser. Hinterher ist man eben immer klüger, nur dass es dann auch oft zu spät ist.
Job wechsel hin oder her, für die „Mars-C.O.R.P“ arbeite ich immer noch. Ihnen entkommt man nicht, das habe ich auf die harte Tour gelernt. Kinder betreue ich nicht mehr, trotzten, halst man mir nach wie vor Quälgeister auf.
Ich bin von einem Flugbegleiter zu einem Gefangenenaufseher gemacht worden. Man könnte meinen, dass da Welten dazwischen liegen, tja, Irrtum, und zwar ein so großer, dass er zweimal vom Mars bis zurückreicht. Es sind nicht länger fünf bis neunjährige, die mich nerven, nein, sie sind zehn Jahre älter und dabei kein Stück reifer.
Neuer Job, neue Uniform, neues Leben, doch die Frage aller Fragen bliebt: „Sind wir bald da?“
Bei Straftätern aus der Hochsicherheit helfen leider keine Raketnekühe. Schöne Scheiße ist das und ich stecke so tief drinnen, dass ich den Kopf lieber nicht hängen lasse …
Meine Vorgeschichte kennen Sie jetzt, mein Name ist übrigens Serino, ich bin 28 Jahre und fühle mich, als hätte man da noch eine fette Null hinten dran gehängt. Dafür gibt es viele Gründe, viele Nägel für meinen Sarg wenn man so will, doch die neusten Nägel toppen alles, was mir bisher untergekommen ist.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich bei einem Gefangenentransport dabei bin, also hab ich echt schon viel gesehen. Männer breit wie Kästen, Frauen, die versucht haben mich mit ihren langen Haaren zu erwürgen und das ganze dann noch mal umgekehrt damit es auch ja nicht langweilig wird. Aber es ist das erste Mal, dass ich Jugendliche zum Mars begleite. Sie werden nicht wie die Sprösslinge der Reichen in einem der Ressorts absteigen, auch nicht eine der nobel Unis besuchen, oder eine der vielen als Spas getarnten Entzugskliniken mit ihrer Anwesenheit beehren. Diese jungen Menschen bringt man ins sicherste Gefängnis der Galaxie, zumindest nennt man es im Fernsehen so. Unser Kapitän nennt es Irrenhaus, ich bin geneigt ihm zu glauben. So eine Einrichtung passt viel besser zu unseren vier Gästen. Scheiße, Teenager sind ja oft gruselig, aber diese Exemplare setzen dem ganzen die Krone auf!
Einer der Jungs hat so breite Schultern, dass er beinahe nicht durch die Türen des kleinen Schiffes passt, mit dem wir durch den Weltraum zischen, sein knall oranger Gefangenenzug spannt sich bedenklich über der breiten Brust. Seine Schuhe könnten einer Mauswanderer-Familie als Yacht dienen. Ja, ich bin so alt, dass sich diesen Film noch kenne, auch die Maus auf dem Mars, die Viecher gibt es dort übrigens wirklich, nur in viel schuppiger.
Junge Nummer Zwei scheint sehr ruhig zu sein. Er sitzt einfach auf dem Boden seiner Zelle und schaut durch die Gegend. Sein Haar ist braun und wuschelig und sein Blick sehr wach. Bei ihm frage ich mich, was er wohl verbrochen hat, um hier zu sein. Eine Frage, die ich bei Junge Nummer drei nicht zu stellen brauche. Er trägt ein Halsband mit einem netten roten Blinklicht daran, eine Fernbedienung dazu gibt es auch, sie befindet sich in meinem Besitzt. Auch, ohne dass er es mir sagt, weiß ich also warum er hier bei uns ist und auch warum man ihn nicht länger auf der Erde haben will. Er ist ein Mörder. Sein Aussehen trügt, und zwar gewaltig, schmale Schultern, sanfte Gesichtszüge und dunkle Locken, er sieht so harmlos aus, bis er einem in die Augen schaut. Hölle, sein Blick bringt mich zum Zittern.
Aber wenn der Schein bei ihm schon trügt, dann bescheißt er bei Nummer Vier nach allen Regeln der Kunst.
In der letzten Zelle sitzt ein Engel, zumindest war das mein erster Gedanke, als ich das Mädchen gesehen habe. Sie ist zart wie ein Püppchen, das lange schwarzblaue Haar wellt sich zu sanften Locken, es ist zu zwei Zöpfen gebunden, sie erinnern mich an Häschenohren. Ihr Blick ist so unschuldig und ihr Lächeln lässt einen dahinschmelzen, sogar der Kapitän hat es erwidert und der lächelt sonst nie! Zuerst habe ich ja noch gedacht, dass es vielleicht ein Irrtum ist, es sogar ein bisschen gehofft, weil sie noch mehr Kind als Frau ist, aber dann habe ich auch bei ihr das Halsband gesehen. Mord, also ist dieser Engel ein Teufel.
So unterschiedlich diese vier Gefangenen auch sind, ihr Ziel ist das gleiche. 245 Tage werden wir miteinander verbringen, danach trennen sich unsere Wege, für immer, denn einen Rückflug gibt es für sie nicht. Ihre Marsreise dient nicht zum Vergnügen.
Wie jeden Tag drehe ich meine Rund im Gefangenentrakt, lauf den Gang hin und her, dabei werfe ich hin und wieder einen Blick in die Zellen. Was soll ich sagen, einmal Flugbegleiter, immer Flugbegleiter. Nummer Eins, macht Liegestütze, immer wenn ich in seine Zelle schaue, tut er irgendetwas, um sich zu beschäftigen. Ich klopfe gegen die massive Eisentür und er hebt den Blick. Unterbricht sein Sportprogramm und nickt mir freundlich zu. Der Kerl sieht gruselig aus, auch wegen seiner Frisur, die an ein überfahrenes Stinktier erinnert,ist aber immer freundlich. Er macht keine Mucken, wenn ich ihn zum Essen in die Mensa bringe, bedankt sich bei der Putzkolonne, wenn sie seine Zelle säubern und hat sogar angeboten es selbst zu machen.
„Brauchst du was?“, frage ich ihn und verweise damit auf die leeren Wasserflaschen, die fein säuberlich an einer der Zellenwände gesammelt stehen. Er trennt sogar den Müll, so etwas erlebe ich hier zum ersten Mal.
„Danke, alles bestens, läuft bei dir auch alles rund?“ Seine Stimme ist tief und angenehm, dass er mich direkt anspricht, nehme ich ihm nicht übel, auch dass er mich duzt ist ok, das habe ich ihm selbst nach Tag 50 angeboten.
„Klar, ich hocke ja nicht in der Zelle.“ scherze ich und er lacht.
„Hab schon in schlimmeren Löchern gehaust. Futter jeden Tag, sauberes Wasser und ein Klo mit Spülung, was will man mehr?“
Der Typ ist wirklich ein Sonnenschein, da wird er die Muskeln im Gefängnis brauchen, denn dort geht es rau zu. Wer weis, wenn er seine Strafe absitzt, kann er sich rehabilitieren und in einer der Einrichtungen auf dem Mars eine Anstellung finden. Neuer Planet, neue Chancen.
Mit einem Klopfen, verabschiede mich, werfe auch in die anderen Zellen einen Blick. Nummer Zwei tut, was er immer tut, er analysiert die Lage, hin und wieder sagt er mal ein Wort oder auch zwei, mehr ist es aber nie. Auch beim Essen oder wenn ich ihn in die Dusche bringe, schaut er sich stumm um.
„Alles gut bei dir?“, frage ich trotzdem und er nickt einfach nur.
Nummer Drei ist ihm da recht ähnlich, nur dass er nicht nickt, sondern mir die Mittelfinger entgegenstreckt. Alles, was man von ihm als Antwort bekommt, ist ein Knurren oder ein Augenrollen, mit Freundlichkeit ist er nicht gesegnet.
Nummer Vier aber ist es, die mir wirklich Kopfzerbrechen macht. Meist sitzt sie mit dem Rücken an die Wand gelehnt, malt mit den Fingern Bilder in die Luft. Wir sind bereits 100 Tage unterwegs und ich hab noch nie erlebt, dass sie auch nur einen Ton von sich gegeben hat. Sie isst sehr wenig, rührt ihr Wasser kaum an. Ich habe schon mit dem Kapitän darüber geredet, auch wenn er meine Sorge versteht, so kann und will er nichts dagegen unternehmen.
„Es ist ihre letzte Reise, vielleicht will sie einfach nicht ankommen.“ Mehr hat er nicht dazu gesagt.
Kann ja sein, dass sie nicht auf dem Mars ankommen will, wenn man bedenkt, was sie dort erwartet, das verstehe ich auch. Aber ich kann sie doch nicht einfach so verhungern oder verdursten lassen, das ist doch unmenschlich.
Darum mache ich es wie immer, klopfe auch an ihre Tür.
„Mädchen, brauchst du etwas?“, diese Frage stelle ich ihr jeden Tag, 100 Mal schon und noch 145 weitere Male ehe die Reise endet. Sie hört auf, Bilder in die Luft zu malen, lässt die Hände sinken und hebt dafür den Blick. Zum ersten Mal sieht sie mich direkt an, dann veränder sich alles, denn sie stellt mir die eine Frage: „Sind wir bald da?“
Nach 100 Tagen beginnt auch meine letzte Marsreise.
Kaum dass Nummer Vier ihre ersten Worte ausgesprochen hat, geht ein Ruckeln durch das Schiff, die Alarmsirenen plärren los und der Gang wird in rotes Licht getaucht. Die Lautsprecher knacken, es fiept laut und die Stimme des Kapitäns brüllt gegen die Sirenen an: „Alle auf Position, das Schiff wird gekapert!“ Diese Worte wiederholt er zweimal, unterbricht sich nur um zu Fluchen. Schön dass er das noch kann, ich werde hier durchgeschüttelt, sodass meine Zähne aufeinander klappern und ich mir auf die Zunge beiße. Das Geschüttelt endet und ich lande unsanft auf dem Hintern, ich will nach den Gefangenen sehen, aber die Mühe kann ich mir Sparen. Während ich noch versuche mich auf die Beine zu kämpfen, öffnen sich nämlich die Zellentüren.
„Fuck Alter, musste das so schaukeln?“ Ich horche auf, diese Stimme habe ich bisher nur Knurren hören, Nummer Drei, der Mörder, er ist frei.
„Mach deinen Scheiß das nächste Mal selbst, wenn das Geschaukel nicht dein Ding ist.“ motzt Nummer Zwei.
„Sorry, die sind immer so.“ Diese Stimme kenne ich, auch die große Hand, die sich mir entgegenstreckt, beides gehört zu Nummer Eins.
Ich bin dezent überfordert mit der ganzen Situation, es haben ja schon viele versucht sich zu befreien, doch es ist das erste Mal, dass es tatsächlich gelingt. Der Zufall hat ihnen in die Hände gespielt, oder eher nicht? Sie sind viel zu gelassen, so als hätten sie genau gewusst, dass es so kommt.
„Keine Panik, es ist nur halb so schlimm wie du denkst.“ spricht Nummer Eins da wieder und wedelt auffordernd mit der Hand vor meinem Gesicht herum.
„Was zur Hölle soll das?“, jetzt darf ich auch mal knurren und mich gleich darauf daran verschlucken. Nummer Vier späht hinter Nummer Eins hervor, ihr sanftes Lächeln ist verschwunden und einem wölfischen Grinsen gewichen.
„Ist doch klar, wir klauen euer Schiff.“ trällert sie fröhlich. Süß, das ist sie immer noch, aber stumm war sie mir lieber, denn was sie sagt macht mir eine Scheißangst.
Sie haben mich eingekeilt, Eins und Zwei gehen vor mir, während Drei und Vier mir den Fluchtweg nach hinten abschneiden. Ich soll sie in den Maschinenraum führen und von da aus zu der Steuerzentrale. Zwei will das Schiff kennenlernen, dass sie von nun an als der Ihre ansehen. Es zu kapern war nicht so schwer, aber Steuern müssen wir es ja auch, so hat er den Anderen seinen Plan erklärt. Toll das sie sich da so einig sind, alles, was ich tun kann, ist darauf zu hoffen, dass mir jemand aus der Crew zu Hilfe kommt. Wie kann es überhaupt sein, dass zwar der Alarm vor sich hin plärrt, aber niemand auf den Gängen ist? Meine Hilfe suchenden Blicke werden bemerkt, Eins wirft mir über die Schulter einen Blick zu und lächelt entschuldigend.
„Unsere Kleine hat alle schlafen geschickt.“ Damit verweist er auf Vier, aber wie soll sie das angestellt haben? Ich hatte sie immer im Auge, nur in der Dusche war ich so höflich und habe natürlich nicht hingesehen, das gehört sich nicht.
Schiffe zu stehlen, gehört sich aber auch nicht! Blöd nur das sie Verbrecher sind und es ihnen am Arsch vorbeigeht. Sie arbeiten zusammen und das sicher schon die ganze Zeit über, aber wie und warum?
Ich habe Angst, aber neugierig bin ich trotzdem, das lässt sich nicht einfach so abstellen, leider.
„Ihr kennt euch, oder?“
„Ja und du kennst uns sicher auch. Eden, ist dir doch ein Begriff.“
Was Drei da sagt, unfreundlich wie immer, lässt es tatsächlich bei mir klingeln. Eden ist eine Forschungseinrichtung, ihre Niederlassungen findet man auf der Erde, aber auch auf dem Mars, das Gefängnis, das wir ansteuern gehört, auch dazu. Eden experimentiert im Gensektor, sie entwickeln Viren und anderes Zeug, die Laboratorien sind alle auf dem Mars, unter der Atmosphäre dort sind mögliche Ausbrüche leichter einzudämmen als auf der Erde.
„Ihr seid zu jung um für Eden zu arbeiten.“stelle ich fest.
„Yo, aber nicht zu jung, um von ihnen bearbeitet zu werden.“ Was Eins da so locker dahin sagt, sorgt dafür, dass ich einen Klumpen Eis im Magen spüre.
„Wir waren Experimente und jetzt wollen sie uns zu Ergebnissen machen“, macht Vier es noch schlimmer, so schlimm sogar, dass ich anhalte, um mich zu ihr herumzudrehen. Seltsam, sie sieht weder so aus, als sei sie wütend noch als hätte sie Angst. Viel mehr ist es so, dass ich Sicherheit in ihren Augen lesen kann, die Sicherheit, dass es nicht so kommen wird.
„Wir sollten dem Wohl der Menschheit dienen, als Opferlämmer zum Schafott geführt werden, doch....“ „Wir wollen nicht als Lämmer die Zukunft anderer sichern, lieber wollen wir als Wölfe für unsere eigene Zukunft kämpfen.“ unterbricht Drei sie und legt ihr von hinten die Arme um die Hüfte.
Sieht so aus, als sei ich in weit mehr als eine Geiselnahme verwickelt, na ja, wenigstens klebt mir hier niemand Kaugummi in die Haare.
Zwei inspiziert die Maschinen, legt dabei immer wieder die Stirn in Falten und mach Hmmm, es dauert nicht lange und doch fühlt es sich wie eine Ewigkeit an, da Drei mich dabei die ganze Zeit über anstarrt. Ich muss gestehen, dass ich kurz daran gedacht habe die Fernbedienung hervorzuholen, um den Knopf zu drücken, was genau dann mit seinem Halsband passiert weiß ich nicht, von paralysieren bis explodieren ist alles möglich. Gezögert habe ich nicht, weil ich ein guter Mensch bin, sondern weil mich nicht loslässt, was sie über Eden erzählt haben. Auch jetzt, da wir zu den Steuerkonsolen gehen, denke ich darüber nach. Ich war schon auf einigen Reisen von der Erde zum Mars und zurück, doch dort ausgestiegen bin ich nie. Was es dort zu bestaunen gibt, kenne ich nur aus dem Fernsehen oder aus Büchern. Ressorts, denen es nicht an Luxus fehlt, Villen, die auf großen Grundstücken stehen und von üppigem Grün umgeben sind, einen großen Wasserpark und Plantagen auf denen abenteuerliche Obst und Gemüsesorten gedeihen. Kurzum alles, was den Mars zum idealen Urlaubsparadies macht. So habe ich ihn auch immer den Reisenden beschrieben, es für sie in den herrlichsten Farben geschildert, ohne es je selbst gesehen zu haben. Es war ja mein Job. Aber jetzt, wo ich so richtig darüber nachdenke, kommt mir so einiges daran seltsam vor. Wo auf den Hinflügen immer rauschende Feste gefeiert worden sind, hat man die Reisenden auf den Rückflügen in künstlichen Schlaf versetzt, wenn sie dann wieder auf der Erde waren, das Schiff verlassen haben, haben sie alle seltsam matt ausgesehen. Graue Gesichter, glanzlose Augen, wie Zombies aus miesen Horrorfilmen.
„Du grübelst “, reißt Vier mich aus meinen Gedanken, sie lehnt an einer der Konsolen und ihre Finger tanzen wieder durch die Luft. Auch Zweis Finger tanzen, und zwar über die Tasten, der Junge ist schnell und ich bin mir sicher, dass er weiß, was er da tut.
„Sprich nicht mit dem da Prinzessin, später müssen wir ihn zum Schweigen bringen, vergiss das nicht.“ grummelt Drei und schenkt mir einen Killerblick.
„Sei lieb“, ermahnt sie ihn. „Ich bin immer lieb, zu dir.“ hält er dagegen und senkt dann den Blick. Interessant, es scheint ihn echt zu kümmern, was das Mädchen über ihn denkt.
„Worüber denkst du denn nach? Vielleicht können wir ein nettes Gedankenspiel daraus machen.“ spricht sie weiter.
Ich möchte nicht spielen, auch nachdenken möchte ich nicht wirklich, trotzdem kann ich die Worte nicht zurückhalten, die mir über die Lippen schlüpfen.
„Ist der Mars eine Lüge?“, schon sind sie raus, hängen im Raum zwischen mir, den vier anderen und den blinkenden Konsolen.
Vier hört auf Zeichen in die Luft zu malen und Drei klatscht mir sarkastisch Beifall.
„Wow, das zu erkennen hat dich ja nur dein halbes Leben gekostet. Hätte ich ’nen Hut, würde ich ihn ziehen und für dich geistig Armen rumgehen lassen.“
„Bringt es dich um, mal kein Arsch zu sein?“, fährt Eins ihn an. „Vermutlich“, kommt die patzige Antwort.
Vier ist kein Arsch, sie seufzt leise und schüttelt mitleidig den Kopf.
„Auf der Erde hat man euch belogen und das Paradies vorgespielt, als es sich als Fegefeuer entpuppt hat, hat man euch die Sterne vom Himmel versprochen und euch doch nur neue Lügen aufgetischt.“
„Was die Prinzessin damit sagen will ist, dass ihr immer nur das seht, was man euch sehen lässt. Frieden, Glück und Einigkeit auf der Erde. Felder, Wälder und Flüsse auf dem Mars. Mars-Reisen gehört zu Eden, sie nutzen es, um euch bei Laune zu halten. Karren euch auf einen fernen Planeten und waschen euch das Hirn. Weichgespült, stellt ihr keine Fragen.“
Was Drei da sagt, klingt grausam, widerlich und erschreckend, aber leider nicht wie eine Lüge. Viel mehr klingt es nach einer Erklärung für eine Frage, die immer irgendwo in mir gelauert hat. Ich habe sie nur nie gestellt, weil da nie jemand war, dem ich sie hätte stellen können. Jetzt bin ich dran mit seufzen, dabei lasse ich mich auf den Hinter plumpsen und schlage die Hände vors Gesicht, alles in allem ist mir jetzt echt zum Heulen. Ich war kein Flugbegleiter, ich war ein Trottel!
„Keine Sorge, ich bin erwacht und werde auch die anderen erwecken. Wir stehen am Beginn einer neuen Zeit.“ verkündet Vier und streicht mir dabei über den Kopf, ganz sanft ist sie dabei.
Ich hebe den Blick, schaue in ihre dunkelblauen Augen und es ist fast so als könnte ich Sterne darin funkeln sehen.
„Wer bist du?“, murmle ich und fühle mich so anders, so frei, trotz der künstlichen Schwerkraft ist es, als würde ich schweben.
„Sie nennen mich....“ „Pssssssht, Prinzessin.“ unterbricht Drei sie wieder, das scheint er gerne zu machen. Sie kichert leise und legt sich verschwörerisch den Zeigefinger an die Lippen.
"Das ist eine andere Geschichte, wer weiß, vielleicht erzählen wir sie dir, wenn wir wieder bei unserer Familie sind. Sie ist so viel schöner als all die Lügen über die Marsreisen. Spannend, emotional und chaotisch.“ nuschelt sie hervor, ohne den Finger von den Lippen zu nehmen.
Das könnte mir gefallen, sehr sogar. Irgendwas an dieser Truppe hat mich gepackt und lässt mich nicht mehr los und in mir regt sich der Wunsch eine weitere Reise anzutreten. Ich komme auf die Beine, klopfe mir imaginären Staub vom Hosenboden und schaue einmal in die Runde. Ich sehe sie nicht einfach nur als Gefangene, als Verbrecher, sondern als Menschen, anders als bei den Reisenden, die ich sonst so gesehen habe, brauchen sie keinen Alkohol, um zu glühen, ihre Gesichter sind auch nicht grau. Sie sind voller Tatendrang und der ist ansteckend.
„Freut mich, ich bin Serino euer Flugbegleiter. Im Namen von Mars-Reisen ist es mir ein Vergnügen, euch zu begleiten.“ Diesen Spruch habe ich schon oft gesagt, doch zum ersten Mal da bedeutet er mir persönliche etwas. Er ist nicht teil meines Jobs, gehört nicht zum guten Ton oder muss einfach sein, scheiße, nein, ich will sie wirklich begleiten. Die neue Zeit sehen, von der sie gesprochen haben.
„Sieht so aus, als hätten wir wieder nen Neuen. Flugbegleiter, das fehlt noch in der Sammlung.“ lacht Zwei da, und legt Drei einen Arm um die Schulter.
„Komm, deine Prinzessin bekommt ja immer ihren Willen, mach schnell und sag deinen Satz. Man wartet auf uns.“
Drei rollt mit den Augen, grinst dann aber schief.
„Nen Plan haben wir, ein Ziel auch. Dann schlagen wir mal los und klauen uns eine Zukunft.“ sagt er dann und zusammen lassen sie diesen Worten Taten folgen. Taten, bei denen ich von da an auch immer kräftig mitgemischt habe.
So, das war er, ein Teil meiner Geschichte, die so wie die Geschichten vieler nur ein Teil von etwas so viel Größerem ist. Das Leben und das All haben so einiges gemeinsam, egal was wir auch tun, es ist viel zu groß als dass wir alles zugleich sehen können. Wunder erwarten uns an jeder Ecke, doch die Planeten sind rund, darum müssen wir selbst dafür sorgen, dass sich etwas tut. Oft wird es jemanden geben, der uns ganz genau aufzählen kann, was wir alles nicht können, wozu wir zu schwach oder zu dumm sind. Menschen, die es einfach nur gut meinen und dadurch so einiges einfach nur schlechter machen. Aber es gibt auch andere, Menschen, die uns in den Arsch treten und uns dazu treiben nicht nur an unsere Grenzen zu gehen, sondern sie auch zu überschreiten. Dazu muss man nicht unbedingt eine Reise zum Mars antreten, wobei es bei mir genau so war. Von einem Flugbegleiter bin ich zu einem Aufseher geworden, nur um einer Frage zu entkommen. Sie hat mich eingeholt und hatte dabei noch so einige andere im Gepäck. Beantwortet habe ich sie damals nicht, auch nicht als ich von einem Aufseher zu einem All-Piraten geworden bin. Jetzt bin ich ein Gesetzloser und Hölle es fühlt sich verdammt gut an. Ich kann gehen, wohin ich will, kann zu fremden Orten reisen und auch den echten Mars besuchen. Schuppige Mäuse kraulen, während andere fröhlich die Labore von Eden zerpflücken und Reisende aus den Klauen der Regierung retten. Und manchmal, wenn mich die Abenteuerlaune so richtig packt, fordere ich mein Schicksal heraus. Dann lehne ich mich zu Drei, dessen Name doch ein ganz anderer ist, zwinkere Vier zu und stelle die Frage: „Sind wir bald da?“
Eine Antwort bekomme ich nicht, immer nur ein böses Funkeln, aber ich weiß auch ohne viele Worte, dass wir alle zusammen eine Reise in die Zukunft angetreten haben.Selbst ohne rosa Rakentenkühe auf Turbo-Rollschuhen erleben wir genügend merkwürdiges und wunderbares, ja, auch absonderliches.
Wer braucht schon eine Marsreise, wenn er auch eine Reise ins Glück haben kann? Wir sind frei, können hingehen, wohin wir wollen, an der Seite unsere Freunde und Familie.
Eine lange Geschichte, aber glaubt mir, sie ist es wert gelesen zu werden….
Tag der Veröffentlichung: 11.06.2023
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ein extra lauter Applaus und ein dickes Danke für das schöne Cover geht an Fizzy von Lunaria-Galaxie.