Cover

Der Fischer



Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach dem Angel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
Teilt sich die Flut empor:
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
»Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.

Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew'gen Tau?«

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Netzt' ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war's um ihn geschehn;
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehn.

Von Johann Wolfgang von Goethe (1779)




Prolog




Es war ein warmer Sommertag. John Bennett musste für seine Familie etwas zu essen besorgen. Seine Familie war sehr arm und hatte nie genug zu essen. Nicht selten passierte es, dass sie eine ganze Woche nichts zu essen bekamen. Seine beiden Töchter waren Zwillinge, gerade mal 3 Jahre alt. Seine Frau Katharina war schwanger. Seine Familie brauchte das Essen, also ging er los zum Fischen. Er hatte ein großes Fischerboot von seinem Vater geerbt.
Sein Vater ging für sein Leben gern Fischen, es war für ihn der einzige Sinn in seinem sonst so trostlosem Leben. Doch eines Tages kam er nicht mehr zurück. Er war wie vom Erdboden verschluckt, man konnte ihn nicht finden. Noch nicht einmal seine Leiche. Man ging davon aus, dass sein Schiff mit ihm zusammen versunken war. Doch einige Tage später stand sein Boot am Hafen, als ob es nie weg gewesen wäre. Doch von ihm fehlte immer noch jede Spur.
Mittlerweile war es schon sehr spät und John war auf seinen Schiff eingeschlafen. Dann riss in ein lauter Knall urplötzlich aus seinen Träumen. Er fuhr hoch und sah sich hektisch um. Doch er konnte nichts entdecken. Wahrscheinlich hatte er das nur geträumt, dachte er. Er wollte sich gerade hinsetzen, als erneut ein lauter Knall erklang. Diesmal gefolgt von einem Geräusch, das Katzen machen, wenn sie an einer Tür kratzen. Das Geräusch wurde immer lauter und aufdringlicher. John wurde klar, dass sich dort etwas im Meer befand, was an seinem Boot kratzte. Doch was für ein Tier hätte solche Geräusche machen können. Er beugte sich hinunter zum Meer um vielleicht mehr sehen zu können. Und tatsächlich sah er etwas. Es glitzerte. Allerdings schwamm es zu schnell, weshalb John nicht erkennen konnte, was es war.
So schnell wie dieses Wesen aufgetaucht war, verschwand es auch wieder. Genau wie die kratzenden Geräusche an seinem Boot. Erst jetzt merkte John, wie sehr sein Herz pochte und wie schnell er atmete. Er hatte Angst. Angst, dass etwas im Wasser war. Etwas unbekanntes, dass gefährlich für ihn sein könnte. Doch anscheinend war dort nichts und er setzte sich beruhigt wieder hin.
Dann hörte er plötzlich eine Stimme. Die Stimme war sehr fein und er konnte erst nicht verstehen was sie sagte. Doch nach einer Weile begriff er es. Die Stimme rief seinen Namen. Er stand auf und sofort sah er sie. Dort war eine junge Frau im Wasser. Sie hatte langes blondes Haar, das den Großteil ihres nackten Oberkörpers verdeckte. Im Wasser unter ihr war wieder dieses glitzern. Diesmal konnte er erkennen was es war. Es war eine Schwanzflosse. John war sich nicht sicher, ob er gerade träumte, oder ob diese Meerjungfrau im Wasser echt war.
Sie kam näher auf das Boot zu, ohne John aus den Augen zu verlieren. Er war schockiert. Einerseits, weil er gerade eine Meerjungfrau sah. Andererseits, weil sie so wunderschön war.
Als sie am Boot ankam, streckte sie seine Hand nach John aus. Ohne lange zu überlegen griff er nach ihrer Hand, um sie auf das Boot zu ziehen. Doch dann geschah alles ganz anders. Die Meerjungfrau zog ihn hinunter ins Wasser.
Unter dem Wasser sah er noch viel mehr Meerjungfrauen. Es waren unglaublich viele. Sie zogen ihn unter Wasser und ließen ihn nicht mehr los. Er wehrte sich doch er hatte keine Chance zu entkommen. Auf einmal sah die Meerjungfrau in seinen Augen nicht mehr wunderschön aus. Eher furchterregend und bösartig. Plötzlich spürte er einen unglaublich schrecklichen Schmerz an seinem rechten Arm. Er versuchte zu schreien, doch alles was passierte war, dass sich seine Lunge mit Wasser füllte. Er blickte zu seinem Arm und was er dann sah schockierte ihn. Dort, wo früher sein Unterarm war, befand sich jetzt nur noch blutrot verfärbtes Wasser. Eine dieser verdammten Meerjungfrauen hatte ihm doch allen ernstes einen Arm ausgerissen. Der Schmerz war unerträglich.
Eine Meerjungfrau richtete sich gegenüber von ihm auf und grinste ihn an. Dann streckte sie ihre Hand in seine Richtung aus. In der Hand hielt sie Johns Unterarm. Mit einem Ruck lies sie den Arm zu ihren Mund gleiten und biss genüsslich hinein. Dann gab sie den Arm an eine andere Meerjungfrau weiter, die ebenfalls hinein biss. So ging es immer weiter, bis nur noch der Knochen zu sehen war. Sie ließen den Knochen ins Meer hinab sinken, rissen ihm den anderen Arm aus und aßen auch den komplett auf. Nachdem sie anschließend seine beiden Füße abgerissen und verspeist hatten verlor er das Bewusstsein. Die Meerjungfrauen fraßen in aller Ruhe den Rest von seinem Körper auf und verschwanden danach wieder in den unendlichen Tiefen des Meeres.


Kapitel 1



Langsam schwamm ich in dem salzigen Wasser der Nordsee umher. Ich liebte es, schwimmen zu gehen. Seit ich sieben Jahre alt war, war ich in einem Schwimmverein. Mittlerweile war ich siebzehn, also waren das schon zehn Jahre. Wasser war schon immer mein Element, ich fühle mich dort frei und vergaß alle meine Probleme, die mich sonst beschäftigten.
Ich genoss gerade das kalte Wasser an meiner Haut, als meine Mutter mich rief. Ich drehte mich um und erblickte sie am Strand. Widerwillig schwamm ich zu ihr hin, um nachzufragen, was sie von mir wollte.
„Ja, was gibt es Mama“, fragte ich.
„Ich gehe jetzt einkaufen“, antwortete sie, „pass auf, das dein Bruder keinen Unsinn anstellt“.
Sie drehte sich um und ging wieder. Sie wusste, dass ich ihr alles mögliche an den Kopf werfen würde, deshalb wollte sie so schnell wie möglich weg. Ständig sollte ich auf meinen kleinen Bruder aufpassen. Luca war erst acht Jahre alt und als er noch ganz klein war musste ich manchmal auf ihn aufpassen. Ich hab es immer wieder gerne gemacht. Aber seit mein Vater tot war, musste ich fast jeden Tag auf ihn aufpassen. Als hätte ich kein eigenes Leben.
Mein Vater starb vor fünf Jahren bei einem Autounfall. Es war im Winter, einen Tag vor Heiligabend. Er hatte an dem Tag verschlafen und musste sich beeilen. Er durfte auf keinen Fall zu spät zur Arbeit kommen, weil an dem Tag ein wichtiges Meeting an stand. Er fuhr viel zu schnell, obwohl die Fahrbahn sehr glatt war. Irgendwann ist er dann ins schleudern geraten und von einer Klippe gestürzt. Er war sofort tot.
Die Zeit danach war schrecklich für uns. Meine Mutter hatte keine Arbeit, weil sie sich nur um uns Kinder gekümmert hatte. Meine Noten in der Schule wurden immer schlechter und generell ging es uns allen sehr schlecht. Auf einmal war mein Vater nicht mehr da. Ich hab mich immer wieder gefragt, warum es ausgerechnet ihn erwischen musste. Am schlimmsten war die Situation für meinen kleinen Bruder. Er fragte immer wieder, wann sein Papa denn endlich wieder nach Hause kommen würde. Ich sagte ihm immer wieder, dass Papa niemals zurück kommt und das er jetzt vom Himmel aus auf ihn aufpassen würde. Doch er konnte, oder wollte, es nicht verstehen. Erst nach einen halben Jahr begriff er langsam, dass er seinen Vater nie wieder sehen würde. Zu der Zeit schlief er entweder sehr schlecht oder gar nicht, er sprach kaum ein Wort und aß kaum etwas. Meine Mutter und ich waren mit der Situation total überfordert. Aber wir haben uns alle gegenseitig unterstützt und mittlerweile konnten wir unser Leben wieder genießen.
Ich ging in unsere Ferienhütte und fand meinen Bruder im Wohnzimmer. Er las gerade einen Comic und stopfte sich gleichzeitig mit Kartoffelchips voll. Entschlossen ging ich auf ihn zu und riss ihm die Tüte aus der Hand. Er blickte mich finster an und versuchte mir die Tüte wieder weg zu nehmen.
„Du sollst nicht immer so viele Chips essen“, ermahnte ich ihn, „erst recht nicht vor dem Abendessen. Wozu soll sich Mama denn die Mühe machen und was leckeres kochen, wenn du von den Chips schon satt bist?“
„Ist ja gut, Boss“, antwortete er trotzig und widmete sich wieder seinen Comic. Ich habe es schon immer gehasst, wenn er mich so nannte. Er tat es immer, wenn ich ihm etwas sagte, was ihm nicht passte.
Ich verdrehte die Augen und ging in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Doch dann klopfte jemand an der Tür. Ich öffnete die Tür und blickte in die müden, blauen Augen einer älteren Frau.
„Kann ich etwas für sie tun“, fragte ich sie freundlich.
„Du bist das Mädchen, das eben in dem Meer geschwommen ist“, sagte sie.
„Ja, aber da waren doch noch viel mehr Leute im Meer, warum kommen sie ausgerechnet zu mir“, fragte ich verwirrt.
„Weil du am weitesten geschwommen bist und weil du das Wasser liebst.“
„Woher wissen sie, dass ich es liebe?“
„Man sieht es dir in deinen Augen an“.
Irgendwie machte die Frau mir Angst. Was war sie? Eine Hexe? Ich überlegte kurz, ob ich ihr einfach die Tür vor der Nase zu knallen sollte. Aber den Gedanken warf ich schnell wieder aus meinen Kopf heraus, so unhöflich war ich nicht. Und außerdem wusste ich immer noch nicht, was sie eigentlich von mir wollte,
„Was genau wollen sie jetzt von mir“, fragte ich und versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen, dass ich genervt war.
„Du darfst nicht zu weit ins Meer hinaus schwimmen“, sagte sie mit aufgerissenen Augen, „vor allem nicht nachts. Es ist zu gefährlich“.
„Und wenn ich doch nachts schwimmen gehe? Werde ich dann von Fischen gefressen“, fragte ich sie sarkastisch.
„Nein“, antwortete sie , „nicht von den Fischen“.
Langsam hatte ich die Befürchtung, dass diese Frau den Verstand verloren hat. Ich fragte mich, wie ich sie wohl am besten loswerden konnte. Tür vor der Nase zuknallen wäre unhöflich. Aber eigentlich blieb mir ja gar nichts anderes übrig.
„Ich glaub es ist besser, wenn sie jetzt gehen“, sagte ich schließlich, so freundlich ich konnte.
„Nicht bevor du mir versprochen hast, nicht nachts schwimmen zu gehen“.
„Okay, okay ich verspreche es“, sagte ich. Sicher ist es ihr mittlerweile aufgefallen, dass sie mich nervte.
„Gut, es ist wirklich wichtig, dass du es nicht tust. Mein Mann ist vor einigen Jahre nachts fischen gegangen und ist nicht mehr nach Hause gekommen. Nur das Boot ist wieder aufgetaucht. Genau das gleiche war auch seinem Vater passiert, weil er nachts fischen gegangen war.“
„Das tut mir sehr Leid für sie, aber das heißt doch noch lange nicht, dass es nachts gefährlich ist. Sonst müssten ja auch tagsüber schreckliche Dinge passieren“.
„Vielleicht sind es irgendwelche Gestalten die sich tagsüber nicht nach draußen trauen, weil sie gesehen werden könnten. Aber du hast ja versprochen nicht mehr nachts schwimmen zu gehen, dann ist alles in Ordnung“.
„Genau“.
„Ich wünsche dir noch einen schönen Tag“
„Tschüss“, antwortete ich und konnte endlich die Tür zu machen.

Impressum

Texte: © Text by Alea-Sophie Bachmann
Tag der Veröffentlichung: 23.08.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /