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Sonnfelder Friede

 

Der Frühling kam früh dieses Jahr und vertrieb den Winter schon bald aus den Gegenden, zu denen die nicht sonderlich große Stadt Sonnfeld gehörte.

Die Stadt hatte nicht viele Besonderheiten, aber die weitläufigen Felder die für ihre reichen Erträge bekannt waren hatten der Stadt ihren Namen gegeben - und zu dem stetigen Wachstum beigetragen. Auch das meist gute Wetter war an der Namensgebung mit schuldig. In Sonnfeld an sich gab es wenig was Aufmerksamkeit erregte. Es gab den Handelsplatz mit dem Markt, das Rathaus mit der kleinen Kaserne für die handvoll Stadtwachen, die Kirche und ein paar Wirtshäuser neben den Häusern der Einwohner. Kleine Läden, eine Bank und ein paar Pfandleiher waren natürlich auch vorhanden, doch ihre Rolle in dieser Geschichte ist nicht von sonderlichem Belang.

Interessanter sind da schon die Häuser der Einwohner. Kleine wie große gab es, aber zwei Anwesen stachen besonders heraus. Die Anwesen der Familien Rothe und Bandul. Diese Familien besaßen den Großteil der Felder außerhalb der Stadt, und innerhalb hatten sie das politische Geschehen im Griff. Die Menschen konnten sich nicht erinnern wann es das letzte Mal der Fall war, dass der Bürgermeister nicht aus einer dieser beiden Familien stammte. Es verstand sich fast von selbst, dass beide Familien nicht gut aufeinander zu sprechen waren, trachteten die Einen doch stets nach dem, was den Anderen eigen war. Und während die älteren Herren versuchten die andere Familie wirtschaftlich oder politisch in Bedrängnis zu bringen, lösten die jungen Herren der Häuser diese Problematik auf andere Weise.

 

 

 

Die Sonne hatte an dem Tag den Zenit bereits verlassen und befand sich wieder auf dem Weg dem Horizont entgegen... die Menschen widmeten sich noch immer ihren täglichen Tätigkeiten, und alles lief wie immer. Wie gehabt. So verwunderte es keinen alteingesessenen Bürger, dass sich schon wieder eine Menschenmenge auf dem Marktplatz versammelt hatte. Die Einwohner standen in einem weiten Kreis, und im inneren des Kreises fand man die Söhne vom Bürgermeister Rothe und dem Stadtrat Bandul. Die beiden Ältesten, Vincas Rothe und Valin Bandul waren beide an die zwanzig Jahre alt, und lebten seit jeher als sorglose Kinder der mächtigen Familien – was ihnen die Möglichkeit gab sich so zu verhalten wie sie wollten. Eine Freiheit, die sie des öfteren ausnutzten... wie an diesem Tage, als sie inmitten des großen Kreises, den die Leute gebildet hatten und an dessen Rand ihre Brüder standen, ihre Klingen kreuzten. Mal wieder. Die beiden kämpften immer wieder, doch gewann stets nur einer.

„Ha!“,

rief Vincas, als Valin auf seine Finte hereinfiel, und in Folge entwaffnet wurde. Das Langschwert wurde auf den Boden geschmettert, und schlitterte außerhalb der Reichweite, was Valin begriff und die Augen wieder auf seinen Kontrahenten richtete. Einen Augenblick zu spät, denn da hatte er schon den Knauf des Langschwerts vom Rothejungen im Gesicht, spürte den Aufprall und taumelte zurück.

„Aaaah!“,

war was man hörte, und rot war das Blut das auf die Pflastersteine tropfte. Valins Nase war gebrochen.

„Verdammt seist du, Vincas!“

„Pff.“,

erwiderte jener, und steckte seine Waffe wieder ein. Ins Schwitzen hatte ihn der Kampf durchaus gebracht, aber er hatte, wie immer, gewonnen.

„Sei froh, dass ich nicht deine Kehle durchgeschlitzt habe. Irgendwann mache ich es noch.“

Verkündete der Gewinner, und wandte sich um. Hinter ihm hörte er mehrere Paar Füße zu ihm eilen, und wusste dass die Brüder von Valin nun nicht mehr an sich hielten und sich auf ihn stürzen wollten. Das Geräusch von blankgezogenen Klingen war zu hören, und auch die Brüder von Vincas zogen ihre Klingen, stürmten nach vorne um ihren Bruder zu verteidigen und endlich mal sich selbst im Kampf zu behaupten.

„Halt!“,

erschallte gedämpft die Stimme Valins, der sich ein teures Taschentuch an die Nase hielt. Sie blutete noch immer und befleckte die Pflastersteine unter seinen Stiefeln... von seinem Wams ganz zu schweigen. Tatsächlich hielten Valins Brüder inne, und Vincas bedeutete seinen jüngeren Brüdern ebenfalls stehen zu bleiben.

„Du magst erneut gewonnen haben, Rothe... aber wir werden noch sehen, wer am Ende über den Anderen triumphieren wird!“

„Wenn du mich erneut herausfordern willst, nur zu.“,

meinte Vincas, und wandte den Kopf in Richtung des geschlagenen Bandul. Jener hob gerade sein Schwert auf und hielt sich mit der anderen Hand das Taschentuch vor der Nase. Einen Moment lang schien Valin es sich zu überlegen, dann steckte er seine Klinge auch weg.

„Nicht jetzt, nicht heute. Aber ich werde dich kriegen, und dir alle Niederlagen doppelt und dreifach heimzahlen.“,

grollte Valin, wonach er sich umwandte und die Menschenmenge mit einer unwirschen Handbewegung aus seinem Weg vertrieb. Seine Brüder standen noch eine Weile da, entschieden sich aber mit ihrem großen Bruder zu gehen.

„Ein Hoch auf Vincas!“,

rief Meras, der zweitälteste Rothe, worauf die anderen Brüder und der Großteil der Menschenmenge in den Jubel einstimmten. Vincas lächelte in die Menge hinein, aber nur weil er es gewohnt war. Im Inneren freute er sich nicht wirklich über seinen Sieg, und er merkte es. Nun, da Valin weg war, begriff er das erst.

„Brüder, Vincas, das muss gefeiert werden! Auf, lasst uns den erneuten Sieg begießen!“

Erneuter Jubel brach los, und die Menge setzte sich in Bewegung, wobei die jungen Brüder vorliefen, und Meras Vincas in Richtung eines nahem Wirtshauses bugsierte.

„Wie hast du den so leicht entwaffnet, hm? Du musst mir den Trick demnächst unbedingt beibringen! Ha, der hatte vielleicht ein Gesicht gezogen als sein Schwert auf einmal nicht mehr in seiner Hand lag!“,

rief Meras, und klopfte dem immer noch leicht lächelndem Vincas auf den Rücken als sie als letzte das Wirtshaus betraten. Draußen färbten sich die Wolken langsam rötlich. Es würde nicht mehr lange bis zum Sonnenuntergang dauern.

 

 

 

 

 

 

 

„Ist das immer noch dein Erster...?“,

fragte Meras, und Vincas roch überdeutlich den Alkohol aus dem Mund seines Bruders.

„Ja.“,

antwortete der Duellsieger knapp, und sah in den vollen Krug. Er hatte in den Stunden in denen sie in dem Wirtshaus saßen immer noch keinen Tropfen getrunken, und war sich nicht sicher ob er das überhaupt noch machen würde.

„Und, sag mal... den Valin, den hast du heute mehr gereizt als üblich, kann das sein?“

„Möglich.“

„Ich mein ja nur... normal deutest d einen Sieg einfach nur an, und lässt es dann gut sein. Heute hast du ihm die Nase gebrochen. Hast du bisher nur in Faustkämpfen gemacht.“

„Und?“

„Und...? Wenn du ihn weiter so provozierst, dann wird er dich von irgendeinem Dach aus mit einer Armbrust abschießen.“

Vincas antwortete nicht, sondern starrte wieder in seinen Krug. Er war sich recht sicher, dass sein Bruder durchaus recht hatte... Die Bandule hatten ihren Stolz, und wenn er ihren Ältesten so sehr zum Narren hielt, dann würde Valin – oder einer seiner Brüder – irgendwann zu unehrenhaften Mitteln greifen. Doch Vincas störte das nicht sonderlich.

„Hm.“,

meinte er dann, und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Die Meisten die den Rothe-Brüdern in das Wirtshaus nachgeeilt waren hatten sich bereits wieder verabschiedet und es wurde zusehends leerer. Bald würden nur noch die Brüder übrig sein, wobei die zwei Jüngeren sind auch schon in Anwesen zurück geeilt.

„Meras, ich bleibe für heute Nacht hier. Richte Vater aus, dass ich morgen zu Mittag zurückkommen werde, ja?“

„Hm...?“

„Gute Nacht.“,

meinte Vincas dann, ließ seinen Krug unangetastet stehen und mietete ein Zimmer für die Nacht, worauf er dann nach oben stieg und für den Rest des abends und der Nacht auch nicht wieder herunterkam.

 

 

 

„Hast du schon von denen in Meedäa gehört?“

„Was soll es über diese Narren zu hören geben? Oder sind sie wieder dabei dieses... Volksdingens zu macchen? Was sie immer machen, wenn sie einen Herrscher wählen.“

„Genau. Die haben nicht genug Vorräte angesammelt, und nun gehen bei denen auch noch die ernten ein... eine Hungersnot steht ihnen bevor, das sag ich dir. Die fangen schon an zu überteuerten Preisen bei uns zu kaufen.“

„Oh, wie teuer?“

„Na, die nahmen vor zwei Wochen 'nen Sack Getreide für doppelt so viel wie hier.“

„Nich' wahr!“

„Doch wahr. Wenn du also kannst, dann bereite dich darauf dorthin zu verkaufen. Das wird eine Geldgrube! Zumindest bis die beiden Gierschlünde davon erfahren.“

„Ah, wenn man vom Teufel spricht. Da kommt der Sohn...“,

flüsterten die Kaufmänner in einer Ecke des Wirtshauses, die meinten dass Vincas ihre Unterhaltung nicht mitgehört hatte. Meedäa stand also vor einer Hungersnot? Und sie wollten einen neuen Herrscher? Na, wenn das keine miesen Neuigkeiten waren. Gewinn für de Händler war da zwar inbegriffen, aber nur für eine recht kurze Zeit. Die Meedääer würden keinen friedvollen Herrscher erwählen, nicht solange in ihrem Land Missstände von großem Ausmaß herrschen. Vincas war froh, dass er sich nicht über wechselnde Könige sorgen musste. Eine Blutlinie konnte Macht wesentlich besser halten als irgendwelche gewählten Narren.

„Morgen.“

Grüßte Vincas in die Runde, und bekam nur vereinzeltes Kopfnicken zur Antwort. Am frühen morgen versammelten sich eher die kleineren ansässigen und fahrenden Händler in Wirtshäusern... keine Gesellschaft die seiner Familie sonderlich gut gegenüberstand. Kein Wunder also, dass niemand hier den Eintritt des Rothejungen feierte. Der Raum war aber auch nicht sonderlich gefüllt. Nicht weiter verwunderlich, hatten die Sonnenstrahlen doch gerade mal die Hausdächer getroffen.

„Wirt, was zu frühstücken.“,

sagte Vincas, und setzte sich an denselben Tisch, an dem er den Abend zuvor gesessen hatte. Sein Bierkrug stand noch immer da. Der Wirt hatte sich wohl nicht getraut ihn von dort zu entfernen. Kein Wunder... man widersprach den mächtigen Familien nicht und dachte auch nicht für sie. Was nicht gesagt wurde, das war auch nicht gültig und Vincas hatte nicht gesagt, dass er nicht mehr trinken wollte. Ein Blick in den Krug bestätigte Vincas' Vermutungen: Unzählige Fliegen schwammen dort herum. Den Fliegen war es egal ob das Bier einem Bauer, einem Rothe oder Bandul gehörte. Sie erfreuten sich daran, dass es da war... selbst wenn es ihren Tod bedeutete. Der Krug wurde an das andere Ende des Tisches gerückt, und die Zeit die der Wirt brauchte genutzt um sich Gedanken zu machen. Wie am Abend zuvor kam Vincas nur zu einem Ergebnis – er hatte das Kämpfen mit Valin satt. Es lag kein Vergnügen, kein Reiz mehr darin ihm gegenüberzutreten. Wofür auch? Es gab keinen Sinn in diesen Streitereien über Nichts. Valin war ja eigentlich ein anständiger Kerl... und sich selbst sah Vincas auch nicht als den schlechtesten Menschen an. Sollte bei einem ihrer Kämpfe jedoch mal eine Parade fehlschlagen, ein Ausweichmanöver misslingen... dann würde einer wahrscheinlich nicht mehr sein. Tot. Vincas ging diesen Gedanken ein paar mal im Kopf durch. Tot. Endgültig und unwiederbringlich.

„Hier, Euer Frühstück.“

Omelett mit ein wenig Gemüse. Kein Fleisch? Aber das war Vincas nun auch egal. Er aß ohne großen Hunger zu haben, aber es war überraschend schmackhaft. Mit Sicherheit hätte er alles bis zum letzten Stück gegessen, wenn nicht kurze Zeit nach den ersten paar Bissen die Tür aufgerissen worden wäre. Es war Meras, und er suchte fast schon panisch nach -

„Vincas!“,

rief er, als er den Ältesten endlich gefunden hatte.

„Schnell, komm!“

lauete die Aufforderung an seinen Bruder, und Vincas merkte das etwas schlechtes im Gange sein musste. Sein Bruder war für gewöhnlich eher fröhlich, doch nun lag Angst in seinem Blick. Ohne zu warten stürmte Vincas los, riss seinen Mantel von der Garderobe und lief seinem Bruder nach. Sie mussten nicht weit laufen, denn Vincas hatte gerade erst im Lauf seinen Mantel angezogen, da sah er schon die Menschenmenge.

„Aus dem Weg!“,

rief sein Bruder, doch die Menge war zu laut um ihn zu hören.

ZUR SEITE!“,

brüllte Vincas, der eine tiefere und deutlich imposantere Stimme als sein Bruder hatte. Die Leute sahen sich um, und traten etwas eingeschüchtert aber auch widerwillig zur Seite. Vincas hatte keine Zeit sich über diese Reaktion zu wundern, denn ihm eröffnete sich der Blick auf das Geschehen inmitten des Kreises an Zuschauern.

Ewin Bandul, der dritte der Bandul Söhne stand mit erhobenem Schwert dem vier Jahre jüngeren Fallan Rothe gegenüber, dessen Schlag er gerade ohne Mühe blockte. Dem Block ließ er einen kräftigen Tritt in die Magengegend folgen, der den gerade mal elfjährigen Rothejungen rücklings auf den Boden beförderte.

„Das ist für die Schmach, die meine Familie wegen euch ertragen musste!“,

rief Ewin, drehte sein Schwert mit der Spitze nach unten und stach zu. Vincas sah den fatalen Schlag kommen und lief so schnell er konnte, doch er konnte nicht mehr rechtzeitig da sein um seinen Bruder vom  Todesstoß zu retten. Ein bisher noch nie gefühlter Schrecken breitete sich in ihm aus, sodass er nicht einmal ein 'nein' hervorbrachte – er lief einfach weiter, in der Hoffnung doch noch die Meter zu überwinden. Auch wenn das vergeblich war.

Und das war es. Vincas war zu langsam. Doch statt den Todesstoß auszuführen flog und stürzte Ewin plötzlich nach vorne, fiel dabei über die Füße von Fallan und schlug hinter ihm auf dem Boden auf. Dort wo Ewin bis eben noch gestanden hatte, in der vollsten Absicht Fallan umzubringen, sah Vincas Valin stehen. Der Tritt, mit dem er seinen jüngeren Bruder am Todesstoß gehindert hatte ließ ihn beinahe zurückstolpern, aber eben nur beinahe.

„Aufstehen!“,

kommandierte er, und sowohl der bisher in Angst erstarrte Fallan als auch der völlig perplexe Ewin erhoben sich langsam. Beide sahen Valin verständnisslos an, doch wo in Fallans Augen Verunsicherung und Angst lagen, sah Valin in seines Bruders Augen Verwunderung und... Zorn.

„Vincas!“,

rief Fallan als er seinen Bruder bemerkte und lief zu ihm, ganz die eigene Klinge am Boden vergessend. Vincas war erleichtert, und nahm den gerade mal elfjährigen, zutiefst verängstigten Bruder kurz in die Arme.

„Fallan, alles in Ordnung.“,

sprch Vincas beruhigend und strich seinem bruders durchs Haar. Doch so sehr er sich jetzt auch um den Kleinen kümmern wollte, er hatte etwas anderes zu erledigen.

„geh zu Meras. Meras, bring ihn zu Vater, erkläre was hier passiert ist.“,

sagte er dann, und trat in den Kreis der Menschen, die enttäuscht schienen. Vincas sah sich um... sie waren es tatsächlich. Enttäuscht. Enttäuscht, dass kein Blut geflossen ist... es bedurfte einiger Mühen, um das Gesicht nicht angewidert zu verziehen. Dieselben Menschen, die gestern seinen Sieg gefeiert haben hätten heute gejubelt wenn sein kleiner Bruder erstochen worden wäre! Wie die Fliegen im Bier. Ihnen ist es schon immer egal gewesen, wer kämpfte. Egal, wer gewann. Bandul oder Rothe, es war ihnen gleich. Doch die Kämpfe allein reichten nicht länger - die Menge war durstig. Durstig nach Blut.

„Vincas.“

Die Stimme des Rivalen, Valins Stimme rief Vincas wieder zurück ins Geschehen. Der Gruß war nicht freundschaftlich, sondern reserviert und kühl gehalten.

„Valin...“,

grüßte Vincas zurück, und wartete bis Valin die am Boden liegende Klinge aufgehoben hatte. Sie Gehörte Fallan, doch Valin sah nicht einmal drauf um herauszufinden wer sie geschmiedet hatte.

„Hier.“

„Danke.“,

erwiderte Vincas, und nahm das Kurzschwert entgegen.

„Für beides.“,

fügte er dann noch hinzu, und Valin nickte nur knapp. Damit war die Konversation vorbei, und beide sahen die Menschen an, die sich versammelt hatten. Diese zerstreuten sich darauf recht schnell, und Vincas kehrte erstmal ins Wirtshaus zurück. Sein Essen stand noch da, und außerdem wollte er seinem Vater nicht begegnen, ehe ihm nicht eine vernünftige Ausrede eingefallen war warum er nicht sofort da gewesen ist um seinen Bruder zu schützen. Im Wirtshaus angekommen hängte er wieder seinen Mantel auf, und begab sich zu seinem Tisch. Der Krug war zwar schon weg, aber das Essen noch da. Nun, sozusagen da, denn jemand hatte die Gelegenheit wohl genutzt und tat sich gerade an dem Mahl gütig. Es schien ein etwas älterer Mann zu sein, der Kleidung nach ein Söldner. Sein Gesicht wurde von einem breitkrempigen Hut verborgen, den er noch nicht einmal abgenommen hatte.

„He!“,

rief Vincas, und trat raschen Schrittes an den Tisch heran. Der Mann störte sich nicht sonderlich an dem Auftritt, sah Vincas noch nicht einmal an sondern bot ihm einfach mit einer Hand an sich zu setzen, während er mit der anderen das letzte Stück Omelett verputzte. Vincas war verblüfft genug um der Aufforderung zu folgen und sich hinzusetzen. Und sitzend konnte er nun in das Gesicht des Söldners schauen, dessen Augen den Teller nach übriggebliebenen Resten absuchten, die es aber nicht gab. Gabel und Messer hatten saubere Arbeit geleistet.

„...Onkel?“

„Morgen, Vin.“,

meinte der Söldner, und sah nun seinen Neffen direkt an, mit einem Grinsen im unrasierten Gesicht. „Onkel, was tust du denn hier?“

„Was, darf ich nicht einmal mehr die Stadt besuchen in der ich aufgewachsen bin?“

„Wenn Vater erfährt das du...“

„Ja ja, schon klar. Dann wird er seine handvoll Wachen zusammenrotten und mich aus der Stadt werfen.“

„Wahrscheinlich, ja. Wenn er dich diesmal nicht gleich hinrichten lässt...“

„Soll er nur versuchen. Ich habe mitbekommen, dass du dich mit dem Ältesten der Bandule geschlagen hast. Mal wieder.“

„Wir haben uns nicht geschlagen, wir haben und duelliert! Das ist ein Unterschied.“

verteidigte sich Vincas gegen den leicht tadelnden Ton seines Onkels, der darauf ein spöttisches Lächeln aufsetzte.

„Natürlich. Hast ihm deine Klinge ins Herz gebohrt, was? Oder ihn mitten vor den Leuten am hellichten Tag enthauptet? Pah.“

„Ich habe ihn besiegt, das ist doch genug, oder?“

„Besiegt... ihn entwaffnet und dann seine Nase gebrochen, das hast du. Habe ich dir dafür beigebracht wie man mit dem Schwert umgeht? Damit du Valin als Narren dastehen lassen kannst?“

„... Nein...“

„Na also. Wofür soll man das Schwert ziehen?“

„Um zu schützen und zu verteidigen. Aber ich habe ja verteidigt! Die Ehre der Familie ha-“

„Scheiß auf diese Familienehre. Was soll denn an unserer Familie hier denn noch ehrenhaft sein, hm? Das ihr euch mit den Bandulen auf offener Straße prügelt? Das dein ach so ehrenwerter Vater den genauso ehrenvollen Vater des armen Valin in den Ruin zu treiben versucht und umgekehrt? Das die beiden sich im Rathaus mit Worten bewerfen wie die Hähne sich raufen? Scheiß auf eine solche 'Familienehre'.“

„Onkel!“

„Ja, das bin ich, Kleiner. Dein Onkel. Etwas das dein Vater zwar vergessen würde wenn er könnte, aber immerhin kann er es mir nicht nehmen dein Onkel zu sein. Etwas worauf ich früher noch recht stolz war, denn du schienst ja zu einem recht einfallsreichen Burschen heranzuwachsen. Schade das ich mich geirrt habe.“

„Was willst du damit sagen?“

„Ganz einfach. Du begibst dich in die selbe Richtung wie auch dein Vater, und dessen Vater und die ganzen Krämerseelen vor ihnen. Kämpfen kannst du wie ich, als ich in deinem Alter war... aber wie dein Vater bildest du dir einen riesigen Haufen auf diese Familienehre ein. Dabei merkst du nicht einmal dass das ein Scheißhaufen ist.“

„Onkel, nun reicht es aber. Was ist denn so schlimm daran wenn wir stolz darauf sind welchen Familien wir entstammen? Was unsere Vorfahren geleistet haben, und was unsere Familien dadurch errungen haben?“

„Was daran so schlimm ist? Dass dein Bruder gerade fast gestorben wäre, zum Beispiel. Weil ihr Kinder die Dinge die eure Eltern viel zu ernst nehmen noch viel ernster nehmt. Ein Glück dass dieser Valin wenigstens etwas Verstand im Kopf hat, wenn auch nicht viel mehr als du.“

Diese Antwort ließ Vincas nun für eine Weile schweigen, und sein Onkel nutzte die Pause um sich auf dem Stuhl zurückzulehnen und den Hut abzulegen.

„Du bist aber nicht deswegen hier, oder, Onkel? Nicht um mir erneut vor Augen zu führen wie falsch es ist sich um die eigene Familie zu sorgen?“

„Du missverstehst mich, aber ja... ich bin nicht deswegen hier. Ich bin hier, eben weil ich mich um meine Familie sorge. Und noch immer hoffe, dass einer von euch mal zu Verstand kommt, aber das ist was anderes. Der Grund meines Besuchs sind die Entwicklungen im Land. Entwicklungen, die dein Vater zwar mit Sicherheit mitbekommen hat, aber aus anderen Blickwinkeln. Die Pässe im Norden tauen wieder auf. Jetzt schon. Wenn wir Pech haben, dann wird die Eistalpassage in wenigen Wochen frei sein. Und das ist verdammt früh. Für gewöhnlich ist die Passage nur ein, zwei Monate im Jahr offen. Doch wenn sie jetzt schon passabel wird, dann können die Stämme dort oben über das halbe Jahr hierherströmen, wenn nicht noch länger. Das wird nicht in ein paar Scharmützeln enden die die Nordwacht abfangen kann, sondern möglicherweise in einem wahren Krieg.“

„Krieg? Onkel, das sind Wilde da oben. Die wissen nicht einmal wie man eine vernünftig ausbalancierte Klinge schmiedet.“

„Stimmt, deswegen stellen sie auch Kriegsäxte her. Und Keulen. Außerdem sind die meisten von denen gut einen Kopf größer als die meisten von hier, und haben einiges mehr an Muskeln. Ich war da oben, letzten Sommer. Das mögen Wilde sein, aber sie wissen wie man Schädel einschlägt, und lass mich dir eines sagen – sie können das besser als wir.“

„Aber ein Krieg... die haben nicht mal einen Herrscher da oben, richtig?“

„Oh, noch nicht. Aber wenn einer da oben kräftig und gescheit genug ist, dann wird er erkennen was sich für Möglichkeiten bieten, und die Stämme versammeln. Glaub mir, das ist kein Ding der Unmöglichkeit. Gib einem Haufen Leuten einen gemeinsamen Feind und ein gemeinsames Ziel, dann hast du auch schnell einen Herrscher. Ein Problem, das wir auch im Süden betrachten dürfen. Davon wird dein Vater vermutlich auch mehr Notiz genommen haben. Die haben Probleme mit ihren Vorräten und Ernten... sollte ihnen das Geld ausgehen, dann haben sie nur eine Möglichkeit zu überleben – und zwar indem sie nach Norden, hierher, ziehen. Etwas das eher weniger friedlich ablaufen wird, wie ich denke. Ein paar vereinzelte Banden und Gruppierungen lagern schon an einigen Handelsstraßen, überfallen leicht bewachte Händler. Doch noch ist das kein großes Problem. Warte ein paar Monate, dann hast du ein ausgehungertes aber kampfwütiges Heer da unten.“

„Willst du etwa sagen, die würden es tatsächlich wagen gegen uns zu marschieren? Ich habe die Neuigkeiten schon gehört, und mir gedacht das es zu nicht viel gutem führen wird... aber einen offenen Konflikt mit uns wagen...?“

„Hunger, Angst um das eigene Überleben und das Überleben der Nächsten kann zu vielem führen. Und wenn man nicht viel zu verlieren hat, sondern nur viel zu gewinnen..? Ich würde damit rechnen. Doch das Problem im Norden wird früher eintreffen, und der König wird sich der Söldner die wir haben bemächtigen. Wie viele habt ihr hier bei Euch? Die Stadt ist nicht sonderlich gewachsen, ich schätze also dass es immer noch nicht mehr als dreißig Söldner sind, die ihr hier untergebracht habt als Stadtwachen, hm?“

„Sechsundzwanzig waren es, glaube ich.“

„Pff. Die Dinge laufen bei euch viel zu ruhig... und ich habe die Wachen gesehen. Die 'Morgenröcke' dienen euch jetzt, hm? Ich habe mehr gestandene Männer umgebracht als deren Mütter je gekannt haben... selbst du könntest mit jedem von denen einzeln fertig werden, darauf wette ich. Und wenn der König sich der Staatskasse bedient um das Heer aufzustellen, dann habt ihr hier ein Problem. Denn von den sechsundzwanzig blieben vielleicht noch... fünfzehn oder so übrig. Und dann kommen die aus dem Süden. Wenn sie dann eure Felder plündern und an eure Tore schlagen, was wollt ihr dann machen? Euch mit den Bandulen darum schlagen wer die Bauern zu den Waffen rufen soll? Denn die ganzen Krämer, Bäcker und Schneider werden ganz sicher nicht zu den Waffen greifen. Die Schmiede und Steinmetze vielleicht, aber was für ein Nutzen soll von denen schon groß kommen...? Ein Schmied ist im Falle einer Belagerung besser bei der Schmiede und arbeitet sich die Wunden an den Händen Wund, statt im Kampf auf dem Boden, von einer Mistgabel erstochen. Die Steinmetze bracht man dann später um die Stadt zu reparieren... nein, wenn die dann aus dem Süden kommen, dann ist die Hälfte von euch und die Hälfte der Bandule tot, die Söldner weg, die Bauern ermordet und der Rest in wilder Panik. Das ist etwas, was ich nur sehr ungern hören würde, muss ich zugeben. Falls ich da noch leben sollte, aber das ist eine andere Geschichte.“

Vincas schüttelte den Kopf, die Geschichte die sein Onkel da zum Besten gegeben hatte klang einfach zu verrückt. Sonnfeld belagert? Unfug. Sicher, sie hatten mehr Vorräte als die anderen Städte in der Nähe, und galten als eine der reicheren Städte... aber das war es auch. Außerdem würde der König es im Leben nicht zulassen dass irgendwelche halbverhungerten Bauern aus Meedäa die Landstriche plündern, geschweige denn Städte angreifen.

„Das sind ziemliche Extremfälle die du da von dir gibst, Onkel. Dazu wird es wohl kaum kommen.“

„Stimmt, es ist nicht unbedingt das wahrscheinlichste Ergebnis... aber es ist möglich. Und so wie die Natur verrückt spielt müssen wir möglicherweise mit ein paar weiteren Überraschungen in den nächsten Monaten rechnen. Naja, das soll nicht meine Sorge sein. Ich bin nur hier um die Augen deines Vaters auf diese möglichen Probleme zu richten, im Namen der Doppelklingen. Wir beziehen unsere Rekruten ja hauptsächlich aus den südlichen Städten des Königreichs, und bisher waren immer ein paar Jungen aus Sonnfeld dabei. Wäre schade, wenn die Stadt untergehen würde weil mein Bruder, der Bürgermeister, seinem ach so großem Rivalen eins auszuwischen versuchen würde.“

„Hm... Rekruten, wie..?“

„Denk nicht einmal dran, Vin. Du bist der Älteste Sohn, und du hast immerhin etwas mehr Verstand als deine Brüder. Ich habe noch die Hoffnung das du die Familie auf einen rechten Pfad führst und endlich etwas findest wofür es sich wirklich zu leben lohnt. Eine alte Familienfehde führen, wobei keine der beiden Familien sich traut der anderen wirklich zu schaden ist keine solche Sache. Das ist die eigene Zeit, Mühe und Seele einfach nicht wert. Zu schade das es für meinen Bruder schon zu spät ist, um das zu begreifen...“,

meinte der Söldner, seufzte und nahm wieder seinen Hut vom Tisch. Ein paar Augenblicke lang wurde der Hut wie ein völlig neues Objekt von allen Seiten betrachtet, und dann mit einem Lächeln wieder aufgesetzt. Als hätte es das ganze Gespräch gar nicht gegeben. Vincas führte das zurück auf das Söldnerleben. Wenn man nicht weiß wie lange man noch lebt, dann hängt man wohl auch nicht lange finsteren Gedanken nach. Immerhin hat man möglicherweise nur noch ein paar Stunden übrig?

„Mach dir mal ein paar Gedanken um den Sinn des Lebens, vielleicht kommst du ja zu einem Ergebnis. Im Gegensatz zu mir. So, nun muss ich aber mal los, die Schatten werden schon kürzer. „Mach's gut, Vin, und grüß' Meras von mir.“

„Mach's gut, Onkel. Und viel Erfolg bei deinem Gespräch mit Vater.“,

erwiderte Vincas, worauf sein Onkel nur lachte, und dann auch schon das Wirtshaus verließ, Vincas alleine zurücklassend. Etwas wofür es sich zu leben lohnt? Das hatte sein Onkel gesagt, und die Phrase war eigentlich ziemlich treffend. Vincas hatte keine große Freude über seinen Sieg verspürt, weil es einfach zu sinnlos geworden war. Oder vielleicht ist es schon immer sinnlos gewesen, aber es war ihm erst jetzt eingefallen. Gut möglich. Kinder brauchen Grenzen, Schwarz und Weiß. Irgendwann gewöhnt man sich daran, und fragt gar nicht mehr warum die Anderen denn überhaupt so böse sind. Oder ob sie es überhaupt sind. Valin hatte Vincas überrascht, aber so hatte Vincas immerhin gesehen, dass es ihm ähnlich ging wie Vincas selbst. Er mochte vielleicht Vincas besiegen wollen, aber das hatte nichts mehr mit der Familienfehde zu tun. Wahrscheinlich wollte er Vincas nicht einmal töten, sondern einfach nur zeigen dass es ihn auch besiegen konnte. Auf einmal tat es Vincas leid, Valin die Nase gebrochen zu haben. Er war ja schon entwaffnet. Valin mochte es ihm einfach nur übel genommen haben, hatte sich aber noch genug Ehre behalten um Fallan zu retten. Ewin hingegen... der hatte das ziemlich über aufgefasst, wie es schien. Und war bereit für die Wiederherstellung der 'Familienehre' eine wahre Fehde anzuzetteln. Vincas schüttelte den Kopf – so konnte es nicht weitergehen, sein Onkel hatte recht. Das würde zu nichts führen. Die Väter würden das nicht verstehen, aber mit Valin könnte man sich sicherlich einigen. Ja. Die Entscheidung stand fest – Vincas wollte mit Valin reden, und einen Waffenstillstand ausmachen. Möglicherweise sogar einen festen Frieden.

 

 

 

 

 

 

 

„Grüße von Onkel Sal.“

„... Wa..? Sal? Er ist hier?“,

frage Meras nach, und sein Gesicht hellte sich auf.

„Irgendwo in der Stadt, ja. Mittlerweile wahrscheinlich im Rathaus bei Vater.“

Und da wich die Freude wieder aus dem Gesicht des Bruders.

„Ist er verrückt? Vater hat ihn doch aus der Stadt verbannt! Wenn er jetzt im Rathaus erscheint, auch noch unangemeldet wie ich ihn kenne...“

„Keine Sorge, er ist als Botschafter gekommen.“

„Botschater? Von wem?“

„Von seinem Söldnerorden. Den Doppelklingen.“

„Oh. Ein Botschafter also, hm? Na, der soll sich nicht zu wichtig nehmen. Nicht das er noch den ganzen Tag im Rathaus verbringt, er soll auch herkommen – ich will endlich wissen wie er es schafft einem Pfeil auszuweichen!“

„Wird er dir sowieso nicht zeigen. Das gehört zu deren Geheimnissen, und dem Grund warum sie keine Schilde sondern zwei Schwerter tragen.“

„Hm. Ah, Onkel redet und prahlt doch so gern... außerdem könnte Ewin auf die Idee kommen einem von uns mit einem Bogen aufzulauern. Und auch wenn Vater und Onkel Sal sich nicht gut verstehen, uns mag Onkel trotzdem noch! Das wird also nur unserem Überleben helfen.“

„Ich denke nicht das Ewin einem von uns demnächst überhaupt noch auflauern wird.“

„Er hätte Fallan fast getötet, Vincas. Besser gesagt – er hätte ihn getötet, wenn Valin ihn nicht aufgehalten hätte. Ich verstehe nur immer noch nicht wieso der das gemacht hat. Wahrscheinlich hatte er Angst das Vater ihn dafür zur Rechenschaft ziehen und der Stadt verweisen würde.“

Vincas schüttelte darauf nur den Kopf. Meras mochte der zweitälteste Sohn sein, aber er war zwei Jahre jünger als Vincas und noch immer besessen von dem Kampf mit den Bandulen.

„Unwahrscheinlich. Nein, ich denke nicht das das der Grund war.“

„So? Und woher willst du das wissen?“

„Nun, wenn man fast schon ein Jahrzehnt mit demselben Gegner kämpft, dann lernt man irgendwann ihn zu verstehen.“

„Hm.“

„Du kannst das vielleicht an unseren Übungskämpfen sehen. Mittlerweile weißt du, wann ich was machen will, noch ehe ich es gemacht habe.“

„Valin schafft das bei dir nicht immer, warum denkst du also dass du ihn immer durchschauen könntest?“

„Du irrst dich. Valin kennt mich besser als du, er ist mit dem Schwert nur etwas langsamer. Wäre er schneller, dann würden unsere Kämpfe ganz anders ausgehen.“

„... Lobst du ihn gerade etwa?“

„Er ist ein guter Gegner. Zwar etwas laut wenn er verliert, aber doch mit Anstand. Das kann man nicht von allen behaupten. Und deswegen werden wir Frieden schließen.“

Die Nachricht kam so unerwartet, dass Meras sich an dem Apfel den er gerade aß verschluckte und wie wild zu husten anfing.

„Frieden?!“

„Ja.“

„Du bist des Wahnsinns. Ganz eindeutig. Fieberwahn. Komm, ich bring dich auf dein Zimmer, da kannst du dich erstmal hinlegen. Oder die haben dir Essen von vorgestern im Wirtshaus aufgetischt. Frieden...“

Vincas schüttelte den Griff des Bruders ab, der ihn gerade tatsächlich wegbringen wollte.

„Nein, mir geht es gut. Besser als die gesamten letzten Wochen über, um ehrlich zu sein. Ich habe endlich verstanden, warum ich mich über de Siege nicht mehr freuen konnte. Die Siege über Valin meine ich. Weil es sinnlos geworden ist. Der Kampf ist eine einzige Farce... Wir wollen einander ja noch nicht einmal umbringen. Hatten es nie vor. Nur beweisen wer besser ist, mehr nicht.“

versuchte es Vincas seinem Bruder zu erklären, der langsam verstand wie ernst es Vincas mit diesem Frieden wirklich war. Meras seufzte, schüttelte den Kopf und setzte sich dann auf einen nahem Stuhl. Zum Glück gab es im Garten des Anwesens genug Sitzmöglichkeiten.

„Frieden, wie?“,

fragte er nochmal nach, diesmal in einem wesentlich ruhigerem Ton.

„Ja, Frieden.“

„Mit Vater hast du noch nicht gesprochen, nehme ich an?“

„Nein. Habe ich auch vorerst nicht vor.“

„Verständlich. Wenn du ihm davon erzählst, dann kannst du dich am Abend gleich Onkel anschließen.“

„Gut möglich...“

„Lass den Kopf nicht hängen. Vater ist Vater, da kann man nichts machen. Aber wie denkst du werden das die Kleinen auffassen? Fallan ist heute fast ermordet worden.“

„Und wurde von Valin gerettet.“

„... Auch wieder wahr. Dennoch kannst du es von ihnen nicht verlangen diese Haltung den Bandulen gegenüber abzulegen. So einfach geht das nun mal nicht.“

„Sie werden sich daran gewöhnen.“

„Hah, gewöhnen... sie haben sich daran gewöhnt in ihnen den Inbegriff des Bösen zu sehen! Und mit dem Bösen einen Frieden zu schließen... sie werden das nicht verstehen.“

Nun war es an Vincas zu schweigen. Irgendwo hatte sein Bruder ja durchaus recht, die kleineren Brüder hatten sich schon zu sehr daran gewöhnt die Bandule als unversöhnliche Feinde zu betrachten. Aber dann viel ihm etwas ein.

„Ein gemeinsames Ziel. Das ist es, was wir brauchen. Onkel hat schon gesagt, dass ein gemeinsames Ziel aus Feinden Freunde machen kann...“

Vincas hatte bis dahin noch nie gesehen wie zynisch Meras seine Augenbrauen verziehen konnte.

„Ein gemeinsames Ziel...? Ernsthaft? Das mit dem Frieden kann ich ja noch verstehen, aber was für ein gemeinsames Ziel sollen wir den bitte mit den Bandulen haben? Jeden einzelnen Laden in Sonnfeld aufzukaufen?“

Auch da musste Vincas seinem Bruder recht geben. Sie hatten im Grunde alles was sie wollten, da würde ein Zusammenschluss auch nichts ändern können. Erneut erinnerte sich Vincas an das Gespräch mit seinem Onkel, und die Lösung des Problems ließ nicht lange auf sich warten.

„Ich habe da eine Idee. Aber das könnte noch ein wenig dauern. Erstmal muss ich mit Valin, und dann mit Vater reden.“

„Du willst also doch mit Vater reden..?“

„Ja, aber nicht s wie du denkst. Zuerst aber steht wirklich das Gespräch mit Valin an.“

„... Hm. Und wann willst du mit Valin reden?“

„Schon gleich. Meine Nachricht sollte ihn erreicht haben, und ich habe ihn ins Wirtshaus eingeladen in dem ich heute übernachtet habe.“

„Soll ich mitkommen? Nur so, man kann ja nie wissen.“

„Nein, ich gehe alleine.“

 

 

 

„Vincas.“

„Valin. Grüße dich.“

„Hm.“,

gab der Bandul zurück, und blieb in der Nähe des Eingangs stehen.

„Warum hast du mich hergerufen?“

„Komm, setz' dich. Wir müssen reden.“

„Aha.“,

lautete die Antwort, und Valin ließ den Blick erstmal über die Anwesenden gleiten. Verwandte oder direkt mit der Rothe-Familie verbrüderte Gesichter entdeckte er keine, weswegen er dann seinen Mantel aufhing und zum Tisch schritt an dem Vincas bereits Platz genommen hatte.

„Nun, hier bin ich.“

„Hm... jah. Nun, zuerst wollte ich dir für die Rettung meines Bruders danken.“

„Keine Sorge, das habe ich nicht für euch getan. Ich wollte nur nicht, dass das erste Blut an den Händen meiner Familie klebt. Wir haben ohnehin eine schlechte Stellung euch gegenüber... im Augenblick. Also denke nicht, dass du mir jetzt etwas schuldig bist.“

„Wie du meinst, aber ich danke dir dennoch für diese Tat.“

„Schon gehört. Deswegen hast du mich aber nicht hierhergerufen, oder? Also, was ist es das du wirklich willst?“

Vincas seufzte, und lehnte sich zurück. Irgendwie hatte er es sich leichter vorgestellt. Aber wieso auch? Valin war nun mal sein lebenslanger Rivale.

„Geradeheraus? Frieden. Ich habe das Kämpfen satt.“

Nun lehnte sich Valin zurück, und schickte Vincas einen mehr als skeptischen Blick zu.

„So? Auf einmal? Nachdem dein kleiner Bruder fast gestorben wäre?“

„Eigentlich schon eine ganze Weile...“

„Soso. Wie als du mir gestern die Nase mit deiner Parierstange gebrochen hast? Nachdem ich bereits entwaffnet war?“

Vincas kam nicht umhin betreten wegzusehen. Das er im Kampf ein wenig übermütig geworden ist, das war ein Fehler. Und nun wandte sich diese Handlung gegen ihn. Nur weil er einen Augenblick die Kontrolle über sich verloren hatte...

„Das war aus Frust, weil ich wieder gegen dich kämpfen musste.“

„Oh, bin ich dir zu langweilig? Keine Herausforderung für den großen Vincas Rothe?“

„So meine ich das doch gar nicht! Beruhige dich doch!“

„Mich beruhigen?! Für eine solch ehrlose Tat würde jeder Duellant eine Woche im Kerker sitzen müssen! Nur nicht Vincas, weil sein Papa Bürgermeister ist. Weil sein Papa fast die Hälfte aller Händler in der Tasche hat, und unsere Stadtwache bezahlt. Weißt du, der Pöbel heute morgen hätte sich gefreut, sie hätten es gefeiert, wenn Ewin deinen Bruder erstochen hätte. Dann hätte nämlich endlich jemand den Rothebrüdern gezeigt, dass sie nicht alles dürfen. Die ganze Stadt lebt in eurem Schatten, und wir sind die Einzigen die nicht vor euch den Rücken verbiegen. Doch sobald wir euch diese Haltung zu offensichtlich verweigern, regnet es Sanktionen. Was denkst du wäre passiert, wenn ich Ewin nicht an seinem Todesstoß gehindert hätte? Eine Blutfehde? Nein. Wir wären in den Kerker geworfen worden, und unser Besitz hätte innerhalb einer Woche euch gehört.“

Nun war es an Vincas einen skeptischen Blick zu schicken.

„Nun ist es aber mal gut, ja? Ihr seid auch nicht die strahlenden Erretter der ach so armen Bürger. Von rein und rechtschaffen könnt ihr gleichfalls nur träumen. Ich erinnere mich noch gut an die Jahre, in denen dein Vater der Bürgermeister war. Da hast du deine Nase so hoch getragen, dass du beim nächsten Regenschauer fast ertrunken wärst.“

Valin wollte widersprechen, merkte aber das die Aussage im Grunde zutreffend war und sah nun selbst etwas geknickt zur Seite. Vincas sah das als Bestätigung, und fuhr fort:

„Und das alles zeigt nur allzu deutlich, dass diese ganzen Probleme damit einhergehen dass unsere Familien sich nicht vertragen. Die Leute würden nicht darauf warten das wir einander die Hälse durchschneiden, und würden sich anderen Dingen zuwenden. Unsere Brüder würden nicht Gefahr laufen sich gegenseitig umzubringen, und wir würden nie in die Verlegenheit kommen unseren Schwestern und Eltern zu erklären, wieso das passiert ist. Denn einen richtigen Grund gibt es für diese Streitereien nicht, oder?“

Es dauerte eine weile bis Valin antwortete – immerhin hing durchaus nicht gerade wenig von der Antwort ab.

„Im Grunde nicht. Es gibt immer Anlässe, aber zu einem Zweikampf muss es dabei wirklich nicht kommen.“,

gab er dann zu, und fuhr sich durch die braunen Haare.

„Ich würde nur gerne mal gegen dich gewinnen, doch ob es deinen Tod wert ist? Ich denke nicht. Ich weiß also nicht wohin das Ganze unbedingt führt, aber ich nehme dein Friedensangebot an. Für meine Brüder kann ich nicht sprechen, sie werden erst einmal überzeugt werden müssen. Und Vater... nun, ich denke dass sich unsere Väter bis in ihre Gräber hinein sticheln werden.“

„Ja, gut möglich. Also, Hand drauf? Auf den Frieden?““

„Auf der Frieden Vincas. Auf den Frieden.“,

gab Valin Bandul zurück, und reichte Vincas Rothe die Hand. So wurde der Bund zwischen den Familien errichtet, und wenn es auch ein sehr lockerer Bund war, so war es doch ein großer Schritt.

Die beiden ältesten Söhne wollten dann auch nicht lange warten und plaudern, sondern gleich die Brüder aufsuchen um sie ebenfalls für die Sache zu gewinnen. Aber kaum hatten sie das Wirtshaus verlassen...

 

„Valin!“

„Ewin?“

„Was war das, Valin?“

„Was war was?“

„Warum hast du diesem Rothe die Hand gegeben?!“

„Ewin, beruhige dich. Es gibt einige Dinge zu bereden...“

„Allerdings, Bruderherz. Das du dich heimlich und alleine mit Vincas triffst ist fürwahr eines Gespräches würdig! Und das du ihm dann auch noch die Hand gibst erst recht! Also, was hast du mit ihm abgemacht? Sprich!“

„Frieden.“

Ein Wort, das erneut für Stummheit sorgte. Vincas fragte sich, ob der Gedanke an Frieden wirklich so fremd für alle war, mischte sich aber nicht in das Gespräch ein. Ewin war Valins Bruder, und solange man nicht direkt angesprochen oder sonst irgendwie eingebracht wurde hatte man sich aus den Sachen anderer Familien herauszuhalten.

„Frieden.“,

wiederholte Ewin leise, und schwieg erneut für einen Augenblick. Doch sein Ton war nicht verblüfft oder fassungslos. Nein, er sprach mit Wut. Mühsam beherrschter Wut...

„Frieden?! Valin, Bruder, wovon sprichst du? Von welchem Frieden?“

„Ich habe mit Vincas Frieden geschlossen, im Namen unserer Generation. Er und seine Brüder werden uns nicht angreifen, und wir sie auch nicht. Wir werden in Frieden leben.“

Nun bildete sich Fassungslosigkeit auf dem Gesicht des jungen Bandul ab, und er sah abwechselnd von Valin zu Vincas und zurück.

„Verrückt. Valin, du bist verrückt! Sie stampfen auf uns herum, sie beleidigen uns, unsere Familie und unseren gesamten Stammbaum, und du schließt mit ihnen Frieden? Oh, hätte ich diesen verdammten Fallan nur erstochen, dann wäre es nicht zu dieser Schmach gekommen! Frieden! Was hat er dir geboten, dass du uns verkauft hast? Verraten gar? Überhaupt etwas, frage ich mich? Oder haben Worte alleine genügt um deinen Verstand dermaßen zu benebeln? Siehst du denn nicht was du getan hast?“

„ICH habe dafür gesorgt das wir in Ruhe leben können, und uns Dingen widmen können die wichtiger sind als das Schwingen von Schwertern! ICH habe dafür gesorgt dass unsere Mutter und unsere Schwestern nicht stundenlang am Fenster stehen und schauen müssen wer von uns von einem harmlosen Spaziergang heil zurückkommt!“

Valin sprach voller Überzeugung, doch bei Ewin löste das nur ein ungläubiges Kopfschütteln aus, wobei er noch einige Schritte von seinem ältesten Bruder zurückwich.

„Nein Bruder. Nein. Du hast dafür gesorgt das wir zwar in Ruhe, aber gebeugt leben müssen. Denn wir können sie nun nicht mehr angreifen, aber ihr Vater ist immer noch Bürgermeister. Er wird immer noch versuchen uns zu erniedrigen, und wir werden nicht zurückschlagen können. Und unsere Schwestern? Sie werden nun nicht mehr am Fenster stehen und nach uns Ausschau halten, sondern werden uns meiden. Sie werden uns überhaupt nicht mehr ansehen, weil wir, DU, Schande über unsere Familie gebracht haben! Mutter wird es sich im Leben nicht verzeihen dich überhaupt geboren zu haben!“

„Ewin!“

„Ja, das ist mein Name, und zu ihm gehört auch der name unserer Familie, Bandul! Du magst Vincas die Hand gegeben haben, doch ich ganz bestimmt nicht. Und ich werde dafür sorgen, dass deine geistige Verklärung nur eines zur Folge hat.“,

sprach Ewin, und zog sein Schwert, welches er dann mit der Spitze auf Valin richtete.

„Nämlich deinen frühen Platz an Großvaters Seite.“

Vincas wusste nicht so recht was er von dieser Entwicklung halten sollte, und dachte nach ob er vielleicht Valin helfen sollte... doch der Blick des ältesten Bandulsohnes zeigte deutlich dass jener dieses Problem selbst in den Griff bekommen wollte. Und ehe Vincas auch nur die Möglichkeit hatte etwas weiteres zu tun oder zu sagen zog eine schnell nahende Person seine Aufmerksamkeit auf sich.

„Herr Vincas!“

„Alfons?“,

wunderte sich Vincas, und sah verwundert auf den Hausdiener, der herbeigeeilt kam.

„Ein Glück das ich sie noch rechtzeitig gefunden habe, Herr! Ihr müsst dringend ins Rathaus kommen. Euer Onkel...“

Vincas brauchte den älteren Diener nicht aussprechen zu lassen. Etwas war vorgefallen, und es schien nicht sonderlich großartig gewesen zu sein. Alfons war seit vielen Jahren Diener im Hause Rothe, er war einer der wenigen Erwachsenen die nie etwas schlechtes von Sal, Vincas Onkel, gehalten hatten. Ein rascher Blick wurde zurück zu Valin geworfen, der nun seinen Mantel zurückwarf und mit einer weit ausholenden Geste sein eigenes Schwert zog.

„Ich habe schon zu lange auf einen Frieden gehofft, Ewin. Und wenn du zu viel Zorn in dir trägst um ihn zu akzeptieren, dann muss es wohl so enden. Verzeih.“

„Für deine Tat gibt es keine Vergebung, Bruder. Lass meinen Stahl dir den Weg zeigen, den du eingeschlagen hast.“

Sie würden sich tatsächlich duellieren... aber Alfons drängte Vincas zu gehen, und er konnte bei dem Duell ohnehin nicht einschreiten. Durfte nicht... aber er würde, wenn er bleiben würde. Wahrscheinlich. Auch wenn es fraglich war, was Ewin tatsächlich gegen Valin ausrichten konnte. Valin war der besser Kämpfer, doch er würde seinem Bruder nicht wirklich schaden wollen. Er würde sich zurückhalten. Ewin hingegen schien in Valin nicht länger einen Bruder zu sehen, ja nicht einmal einen Feind. Einen Verräter, der alle Ideale verraten hatte für die Ewin gelebt hatte. In seinem Zorn würde er keine Rücksicht walten lassen...

„Herr!“,

drängte Alfons erneut, und nach einem verabschiedendem Nicken in Richtung Valin hin wandte Vincas sich zum Rathaus. Was auch immer dort vor ging, er hoffte dass er noch rechtzeitig ankommen würde...

 

 

 

 

 

 

 

„Ha, ich hab's dir doch gesagt das er kommt.“,

Meinte einer der an der Eingangstür stehenden Beamten. Jene wurden nur vor die Rathaustür geschickt wenn im Inneren etwas vorging, zu dem nicht jeder Bürger Zutritt haben durfte. Der Andere reichte ihm darauf ein paar Münzen... es war wohl eine verlorene Wette.

„Herr Rothe, die Verhandlung hat glaube ich bereits begonnen. Aber ihr könnt passieren. Es ist der große Gerichtssaal.“,

meinte derjenige der die Wette gewonnen hatte, und ließ die Münzen in eine der Westentaschen fallen. Vincas bedankte sich mit einem Kopfnicken, und betrat das Rathaus, in dem auch der Gerichtssaal untergebracht war.

Es war zu hören, das die Verhandlung bereits im Gange war, aber Vincas betrat den Saal trotzdem. Eine Anmaßung, aber es erweckte trotzdem kaum Aufmerksamkeit. Die Augen aller waren auf den Tisch des Obersten Richters und dessen Berater gerichtet, und auf den Mann der in der Mitte des Raumes neben seinem Tisch stand. Der Angeklagte. Doch er saß nicht zusammengesunken wie ein Häufchen Elend da, sondern stand aufrecht, und sogar fast schon herausfordernd dem Richtertisch gegenüber. Der Oberste Richter war der Bürgermeister, und er schien von der Lage nicht gerade begeistert. Vincas hätte nicht gedacht dass sein Vater tatsächlich Sal vor das Gericht führen würde... aber ein Blick zum Tisch des Anklägers führte ihm vor Augen das er mit der Vermutung falsch lag. Der Ankläger war nicht sein Vater, sondern der Vater von Valin.

„Ihr wollt also, nur um das klarzustellen, einen Botschafter hängen, ja?“,

fragte Sal erst in Richtung des Anklägers, dann in Richtung seines Bruders. Und während Vincas Vater schwieg, äußerte sich der von Valin.

„Botschafter. Lachhaft! Ihr seid ein Söldner, ein Mann der für ein paar Münzen Leben zu nehmen bereit ist. Menschen wie euch sind Prinzipien doch völlig fremd! Ein Wunder das ihr euch noch nicht gegenseitig zerfleischt habt. Und nun, bloß weil ein Haufen solcher Schläger es will, sollen wir euch als Botschafter aufnehmen? Einen Mann, den selbst sein eigener Bruder so sehr verachtet hat, dass er ihn der Stadt verwies? War das nicht so, euer Ehren?“

„Doch, das stimmt...“

„Da hört ihr es!“,

donnerte der Ankläger weiter, und wandte sich mittlerweile mit seiner Rede nicht länger an den Bürgermeister, sondern an die versammelten Zuschauer und Beobachter. Und Vincas verstand die Lage. Sein Vater hatte nicht vor Sal zu erhängen. Valins Vater sah dies, und nutzte die Chance... er wollte die versammelten Teilnehmer von der Notwendigkeit überzeugen Sal töten zu müssen. Sie dazu bringen Sal zu verachten... denn der Bürgermeister konnte kein Urteil fällen, gegen das der ganze Saal stimmte. Oder, er konnte schon – doch danach würde er seinen Posten schnell los sein, und Valins Vater würde zum Bürgermeister aufsteigen.

„Dieser Abschaum der Gesellschaft meint, er könnte sich über die Gesetze unserer Stadt stellen! Und für was? Um uns gegen unseren König aufzuwiegeln! Er spricht von einem Krieg im Norden den es noch nicht gibt, er spricht von einer Armee aus Medäa, die uns anzugreifen droht, obwohl sie nicht einmal einen Herrscher haben! Er will, dass wir unsere Stadt mit mehr Wachen sichern, unseren Bürgern das kämpfen beibringen, und das nur wegen ein paar nicht vorhandenen Bedrohungen! Doch, ich frage Euch, wozu würde uns das wirklich führen? Hm? Was, wenn kein Krieg im Norden ausbricht? Was wenn keine wilde Armee von verhungerten Medääern anrückt um unsere Felder zu plündern? Dann haben wir Befestigungen, dann haben wir bewaffnete Truppen in unserer sonst so friedlichen Stadt. Und die anderen Städte um uns werden anfangen uns zu fürchten. Sie werden glauben WIR würden sie angreifen wollen, und sie werden den König benachrichtigen. Und wenn der König fragt, warum wir das machen, was werden wir sagen? Wir haben die hungernden Medääer gefürchtet? Wir haben uns vor einem Krieg im Norden gefürchtet, der uns zu unseren Lebzeiten nicht erreichen könnte? Wird der König das glauben? Nein meine Freunde. Der König wird das nicht glauben. Er wird denken wir würden eine Streitmacht sammeln. Und die anderen Städte werden das auch denken. Und dann werden sie uns angreifen, aus Furcht wir könnten sie angreifen! Dann haben wir den Krieg, doch nicht im Norden, und auch nicht im Süden, sondern hier, an unserer Haustür! Dann wird Sonnfeld brennen, meine Freunde! Und irgendwo dort draußen, in irgendeiner gottverlassenen Einöde, da wird dann dieser Mann sitzen, und er wird lachen. Wir haben ihn hinausgeworfen, und er hat es uns heimgezahlt. Er hat unser Sonnfeld brennen lassen! Und ich frage Euch, meine Mitbürger... können wir das dulden?“

Die Menge stieß in lautes nein aus, ließ es aber nicht dabei bewenden. Männer fingen an zu gestikulieren, zu rufen und zu beleidigen... Vincas stand noch immer bei der Tür, inmitten des Ganges, und konnte nicht glauben was gerade gesagt worden ist. Sein Onkel wollte Sonnfeld brennen sehen? Schwachsinn! Und der König würde nicht mit einem Heer gegen Sonnfeld ziehen. So groß und mächtig war die Stadt wirklich nicht. Doch die Meisten schienen das zu glauben... oder glauben zu wollen.

„Immer noch darin versiert die Worte eines Anderen herumzudrehen, wie es dir beliebt, was?“,

fragte Sal, völlig unbeeindruckt von den Rufen in seinem Rücken.

„Ich kam her um Euch die Gefahren vor Augen zu führen, und mehr nicht. Ich bin kein Berater, ich bin auch nicht euer Bürgermeister. Ich habe Euch gewarnt, und damit hat sich meine Aufgabe erledigt. Wenn man nun das Ganze hier auflösen würde, dann würde ich auch wieder von dannen ziehen. Ihr könnt tun was auch immer euch beliebt... aber ich erinnere Euch daran, dass Botschafter unter dem Schutz der Krone stehen. Wenn Ihr mich tatsächlich hinrichten lasst, dann werdet Ihr auf jeden Fall den Zorn des Königs erwecken. Das sei Euch versichert.“

„Jetzt droht er uns! Hört seine Worte! Er steht hier, vor den Bürgern unserer Stadt, als ein dreckiger Söldner, alleine, und droht uns! Sollen wir eine solche Dreistigkeit weiterhin bestehen lassen? Ich sage nein. Ich sage – wir hängen ihn!“

Und Beifall war zu hören. Noch nicht einmal vereinzelter, sondern der ganze Saal applaudierte. Oder fast. Vincas sah zu seinem Vater, der hin und hergerissen war zwischen seiner Abneigung dem eigenen Bruder gegenüber, und der Ungerechtigkeit die im Saal herbeibeschworen wurde. Vincas verstand, dass sein Vater in diesem Zwiespalt gefangen war, und nichts unternehmen würde... in diesem Falle nichts zu unternehmen hieß jedoch Sal zu verurteilen.

„Nein!“,

rief Vincas so laut er konnte, um den Beifall zu unterbrechen. Wenn Valins Vater sich schon von den geltenden Regeln abgewandt hatte indem er sich auf die Audienz verließ, dann nahm Vincas sich das Recht heraus als einfacher Beobachter zu sprechen. Scheinbar war man ja hier nicht länger in einem formalen Gerichtssaal, sondern bei einem Volksappell.

„Nein.“,

wiederholte Vincas, als es in der Halle zusehends ruhiger wurde, und die Leute anfingen auf ihn zu achten. Mittlerweile hatten sich auch schon fast alle zu ihm umgewandt, wie er da im Eingang stand. Noch leicht verschwitzt vom Laufen, aber das machte Vincas nichts.

„Ich muss widersprechen, Herr Bandul. Ihrer Aufforderung genau wie Ihren Ansichten.“

„Vincas Rothe? … Ich wüsste nicht, dass du zum Gremium gehörst.“,

erwiderte Valins Vater, und blickte Vincas spöttisch an. Sal hatte sich noch immer nicht umgewandt, Vincas konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen – dafür aber den von seinem Bruder, Vincas Vater. Und dessen Gefühle schienen gemischt zu sein...

„Ich wüsste nicht, was das für eine Rolle spielen soll. Ihr, Herr Bandul, habt schließlich die Anwesenden gefragt. Ihr habt gefragt, ob wir, ich zitiere Euch – das dulden können. Ich wüsste nicht, was es hier so großes zu dulden gäbe. Sal Rothe, der Angeklagte, ist aus der Stadt verbannt worden. Das ist richtig. Aber er ist nicht aus eigenem Willen zurückgekehrt, sondern als Botschafter der 'Doppelklingen', eines im ganzen Königreich geachteten Söldnerordens. Das ist kein loser Verband von ein paar Halsabschneidern, sondern eine Gesellschaft mit festen Niederlassungen in mehreren Städten, darunter auch der Hauptstadt, die zu ihren Grundlagen nicht nur eine rigorose Ausbildung zählen darf, sondern auch einen moralischen Kodex. Etwas, was Euer Ehren sich vielleicht mal anschauen sollte.“,

begann Vincas, und die Leute begannen auf den Ankläger zu schauen, der vor Überraschung nur die Augen weit geöffnet hatte. Dass sich Vincas, ein politisches Nichts in der Stadt, trauen würde ihm dergleichen vorzuwerfen! Vincas gab ihm keine sonderliche Gelegenheit sich von der Überraschung zu erholen, sondern fuhr weiter fort:

„Insofern ist die Beschreibung als Halsabschneider und Abschaum der Gesellschaft nicht zutreffend. Dreckig möglicherweise. Onkel, du solltest deinen Mantel wirklich mal reinigen lassen bevor du ins Rathaus kommst. Aber der Zustand der Kleidung sollte im Gericht ja nun wirklich keine ausschlaggebende Rolle spielen. Weiter zu den nächsten Punkten. Sal Rothe hat nicht versucht das Volk gegen den König aufzubringen. Er ist zum Bürgermeister und dessen Beratern gegangen um sie über die Vorgänge zu informieren die an unseren Grenzen ablaufen, und Bedenken diesbezüglich zu äußern. Das ist das Recht eines jeden freien Mannes, genau wie das Recht dem Bürgermeister Vorschläge zu unterbreiten wie man drohende Notlagen abzuwehren versuchen könnte. Das der König wegen einer Schar zusammengetrommelter Söldner gleich einen Feldzug gegen uns beginnt halte ich für eine sehr fragwürdige Auslegung der Wahrscheinlichkeiten. Das der Nordpass schmilzt ist jedoch ein Faktum, genau wie die drohende Hungersnot in Meedäa. Die Dinge die daraus resultieren können sollten bedacht werden, vor allem in der Hinsicht was passieren könnte, wenn beides die schlimmstmöglichen Wendungen nimmt. Diese Wendungen haben die Doppelklingen als bedenklich genug empfunden um einen Botschafter zu uns zu schicken. Dieser... Abschaum der Gesellschaft also, hat sich mehr Gedanken gemacht als die Meisten der hier anwesenden, und war sogar noch so freundlich um uns zu warnen. Dafür wollt ihr diesen Botschafter hängen? Der Angeklagte hat recht. Sollte der König etwas von einer solchen Gesetzlage erfahren, dann wird er auf jeden Fall hierherkommen. Und dann wird nicht derjenige aufgeknöpft der dafür verantwortlich war, namentlich Herr Bandul, sondern mein Vater. Und warum? Weil Herr Bandul die Anwesenden mit falschen Auslegungen auf seine Seite gebracht, und meinen Vater somit zu einem solch misslichen Urteil gezwungen hat. Ein Mann, der seelenruhig im Gerichtssaal sitzt und einen unschuldigen hängen möchte, während seine Söhne sich draußen auf dem Platz bis zum Tode duellieren. Mit Verlaub, werte versammelte Herrschaften: das sich so jemand Stadtrat nennen kann, das nenne ich dreist.“

Eine Ansprache, nach der Vincas sich von alledem abwandte und den Saal rasch verließ. Ihm war klar, dass die Aufmerksamkeit ihm gelten würde, solange er sich im Saal befand. Wenn er aber nicht mehr da war, dann würde die Aufmerksamkeit auf Herrn Bandul zurückfallen, und er müsste sich rechtfertigen, statt Vincas anzugreifen. So gab es also wenigstens noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Vincas Onkel nicht hängen müsste.

Vincas hörte, dass der Tumult im Saal zunahm, aber er blickte nicht zurück. Die hatten nun genug Stoff zum Diskutieren, ihm würde keiner nachlaufen. Auf dem Weg nach draußen fragte er sich, was aus Valin und Ewin geworden war. Sollte Ewin gewonnen haben, dann könnte Valin tot sein. Das würde nicht nur den gerade aufgebauten Frieden zerstören, sondern zu einem wesentlich verschärften Streit zwischen den Familien führen. Alle Bemühungen wären wertlos geworden, und hätten auch noch eine Katastrophe nach sich gezogen. Das durfte nicht geschehen sein.

 

„Vincas!“,

rief Meras, sobald sein älterer Bruder das Rathaus verlassen hatte. Er eilte gerade darauf zu – Alfons musste ihn auch gefunden haben. Vincas nickte ihm zum Gruße, und ließ den Bruder erstmal näher heranlaufen.

„Alfons hat gemeint Onkel wäre...“

„In Schwierigkeiten? Im Gerichtssaal? Stimmt beides. Bandul wollte ihn hängen lassen.“

„... Wollte?“

„Ja, wollte. Ich bin hinein und habe seine Rede auf den Kopf gestellt, sodass die Leute sich nun fragen ob Bandul denn nun überhaupt noch Stadtrat sein kann.“

„Aus dem Publikum heraus..?“

„Genau. Er hatte in seiner Rede das Publikum angesprochen, und ich habe geantwortet. Aber ich musste da raus, sonst hätte er den Spieß noch umgedreht. Keine Ahnung wie das noch ausgehen wird, aber ich denke Onkel wird freigelassen.“

„Ah... und ich dachte du willst Frieden.“

„Will ich j-“

„Und dann stößt du Valins Vater mitten bei einer Gerichtsverhandlung in den Dreck? An deinen diplomatischen Fähigkeiten musst du noch arbeiten. Wie ist eigentlich das Gespräch mit Valin gelaufen?“

„Gut. Er war zwar recht offensiv am Anfang, aber eher aus Gewohnheit denke ich. Den Frieden hatte er sich wohl genauso sehr erhofft wie ich. Allerdings hat es Ewin mitbekommen, und Valin einen Verräter genannt. Danach hat er Valin zum Duell gefordert, aber ich konnte nicht bis zum Ende bleiben um zu sehen wer gewinnt.“

„Oha. Da sagt er er will Frieden stiften gehen, und hetzt Brüder aufeinander, wiegelt einen Gerichtssaal gegen einen Stadtrat auf...“

„Das war so nicht geplant!“

„Jaja. Ich denke du willst los um nachzusehen wer beim Duell gewonnen hat?“

„Richtig.“

„Wo war das denn..?“

„Gleich vor dem 'Eberkopf'.“

„Hm, da bin ich nicht vorbeigekommen. Na, dann geh du mal, und ich schaue im Gerichtssaal nach dem Rechten. Wenn der Klamauk vorbei ist werde ich dich im Eberkopf suchen, gut?“

„Gut. Bring gute Neuigkeiten.“

„Mal schauen... sieh du zu, dass Valin nicht stirbt. Sonst hast du ein großes Problem.“

„Wir alle haben das dann... so, dann geh mal kundschaften.“

„Bis gleich.“,

gab Meras zurück, und betrat das Rathaus, während Vincas sich eilends auf den Weg zum Platz vor dem Eberkopf machte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es dauerte nicht lange, da erreichte Vincas auch schon die Stelle, an der Valin und sein jüngerer Bruder sich gegenüber gestanden hatten. Kurz vor dem beginn ihres Duells... seitdem war schon ungefähr eine halbe Stunde vergangen, vielleicht etwas länger. Das Duell, sollte es denn überhaupt stattgefunden haben, müsste schon längst vorbei sein. Und es war tatsächlich nicht einmal mehr eine Menschenmenge auf dem Platz. Hatten sie gekämpft? Ein rascher Blick auf den Boden gab Vincas die Antwort. Dort war Blut... und nicht unbedingt wenig davon. Die Tropfen und kleinen Lachen führten zum Wirtshaus, dem Eberkopf. Und vor der Tür, an der Wand kauernd, bemerkte Vincas Valin. Sein Schwert lag neben ihm, und er hielt sich die blutende Seite, die er mithilfe eines abgeschnittenen Ärmels zu verbinden versucht hatte. Besonders gut gelungen war es ihm nicht, und der Blässe seines Gesichtes nach zu urteilen hatte er bereits einiges an Blut verloren.

„Valin!“,

rief Vincas, und lief zu dem Verwundeten, der gerade noch so den Kopf erhob, und selbigen dann an der Wand abstützte, die halb geschlossenen Augen auf Vincas richtend.

„So viel zum Frieden, was...?“,

brachte er mühsam hervor, und ließ seinen Kopf fast schon wieder nach unten sacken...

„Verdammt.“,

grummelte Vincas, und sah sich um. Die Menschen hatten sich nicht um Valin zusammengerottet, nein – sie mieden ihn. Machten besonders große Bögen um den Verwundeten. Und die Stadtwachen taten auch nichts. Einer von denen stand in einiger Entfernung und beobachtete die Szene, wusste aber scheinbar nicht ob er helfen sollte oder nicht. Immerhin, beide Kontrahenten gehörten derselben Familie an, und wer gewonnen hatte, der war im Recht. Dem Gefallenen zu helfen könnte also für den Söldner unschön werden...

„Ja, immer an den eigenen Geldbeutel denken. Verflucht soll ihr sein!“,

schimpfte Vincas, auch wenn die Wache ihn nicht hören konnte.

„Halte aus.“,

sprach er dann zu Valin, und stürmte ins Wirtshaus. Da gab es des öfteren mal Keilereien, was bei der Nähe zum Stadttor und folglich auch der recht hohen Anzahl an fremden Besuchern kein Wunder war.

„Wirt, draußen stirbt einer! Kommt, wir brauchen Hilfe!“,

rief er, und hatte Glück. Der Wirt war zwar meist sehr zurückhaltend, aber doch ein guter Mensch... er ließ Vincas Valin holen, und rief die Schankmaid und den Ersatzkoch die ein paar Dinge zum Verbinden brachten. Eine Flasche kräftigen Alkohols – zum Reinigen wie zur Schmerzbetäubung - war in dem Wirtshaus auch schnell gefunden, und sobald der Verwundete in einen von den Gästen getrennten Raum gebracht worden war begannen sie mit der Versorgung der Wunden. Die Wunde an der Seite war die Schlimmste von allen, aber Ewin hatte noch ein paar andere Schnittwunden sitzen lassen...

 

 

 

 

„Vincas! Wo ist Vincas?“

„Hier!“,

rief Vincas zurück, und sah den nun recht akzeptabel versorgten Valin an. Man bräuchte einen Arzt, aber jetzt zu einem zu gehen könnte sehr viele Probleme bedeuten. Außerdem war Vincas sich sicher, dass die Verbands- und Nähkünste des Wirtes und dessen Helfern durchaus ordentlich waren.

„Da bist du... oh...“,

stellte Meras fest, als er den schlafenden und verbundenen Valin sah.

„Mhm. Valin hat verloren, und wäre fast gestorben. Er schläft... und ich bin mir nicht sicher ob er in den nächsten paar Stunden aufwachen wird. Egal wie laut es um ihn herum ist.“

„Das ist gar nicht gut...“

„Hm?“

„Onkel wurde freigesprochen. Beziehungsweise waren sie kurz davor darüber abzustimmen, aber nun waren die Leute auch davon überzeugt ihn gehen zu lassen. Außerdem wollten sie sich viel lieber mit der Lage des Stadtrats Bandul befassen. Du hättest ihn sehen sollen... weiß vor Wut. Wenn Ewin zu ihm kommt und ihm davon berichtet was hier vorgefallen ist... aus seinem Blickwinkel...“

„Er ist nicht ins Rathaus gegangen?“

„Nein. Aber dann hätten sich eure Wege auch gekreuzt, hm? Wahrscheinlich dachte er dass sein Vater schon daheim ist. Wäre er auch, wenn nicht diese Gerichtsverhandlung stattfinden würde.“

„Das heißt also, dass Ewin gleich im Rathaus aufkreuzt und mit seinem Vater zusammen die Menge gegen uns... gegen mich vor allem, aufhetzen wird?“

„Sehr wahrscheinlich, ja.“

„Und ich denke nicht, dass Vater mich groß verteidigen wird. Nicht wenn er das Ganze von Ewin geschildert bekommt.“

„Jah... Ruhestörung, Anstiftung zum Mord, Spaltung einer Familie mit einer fast-Todesfolge, Anklage gegen einen Stadtrat, unerlaubtes Verlassen und Betreten des Gerichtssaals... wenn die Bandule auf diesen Dingen beharren, dann kann Vater dich nicht einmal verteidigen. Die Folge wäre wahrscheinlich... Tod durch den Strick. Oder, wenn Vater es schafft da noch etwas für dich vorzubringen, dann Verbannung.“

Vincas seufzte, und fuhr sich durch die Haare. So stand es also um ihn? Nicht mit Sicherheit, Ewin konnte auch einfach nicht im Gerichtssaal aufgetaucht sein. Aber die Wahrscheinlichkeit war zu groß um sie zu ignorieren. Strick. Tod durch den Strick... Vincas dachte an den gestrigen Tag zurück. Wie einfach alles gewesen ist! Die Rothe und die Bandule, verstrickt in einem immerwährendem, weil nicht ernst gemeintem Kampf. Und nun hatte Ewin seinen älteren Bruder fast ermordet, und Vincas Vater würde seinen Sohn verbannen. Möglicherweise gar hängen lassen.

„Und dabei war alles was ich wollte Frieden.“,

sprach der älteste Rothe niedergeschlagen, worauf er seinen Blick auf das Fenster richtete. Draußen herrschte herrlichstes Wetter... wie unpassend.

„Tja, hättest du, statt mit Valin zu reden, lieber einfach seine Schwester geehelicht. Das hätte alles einfacher gemacht, hm?“

„Einfacher, aber nicht richtig. Ich liebe sie nicht, und sie mich genausowenig. Und unsere Familien hätten sich nicht ernsthaft vertragen, sie wären nur dazu gezwungen gewesen. Nein, eine Heirat wäre in einem solchen Fall Falschspiel. Unehrlich, unehrenhaft.“

„Mhm. Nun, da hast du deinen Dank fürs ehrlich und ehrenhaft sein. Verdammt Vincas... die Lage ist ernst. Verschieben wir das Trübsal blasen auf später, ja? Erstmal müssen wir einen Ausweg aus dieser Lage finden.“

Nach einem tiefen Durchatmen fasste sich Vincas dann auch. Genug der finsteren Stimmung. Meras hatte recht – etwas musste unternommen werden. Aber er konnte doch nicht einfach so, ohne Hab und Gut abhauen. Vor allem konnte er Valin nicht einfach so zurücklassen.

„Meras, sei so gut und hilf mir noch ein mal. Lauf zum Rathaus und schau nach was da passiert. Komm zurück wenn du weißt wie es um mein Schicksal bestimmt ist.“

Meras nickte.

„Mach keine Dummheiten, Bruder.“

„Möge sich die Göttin nicht von dir abwenden, Bruder.“,

verabschiedete sich Vincas, und sah seinem Bruder hinterher. Informationen waren wichtig, und Vincas hoffte einfach darauf dass ihm noch etwas Zeit blieb. Denn Valin in dem Wirtshaus zurücklassen, das kam nicht in Frage. So verwundet wie er war könnte er auch nicht laufen. Reiten vielleicht... aber dafür müsste er auch erst einmal aufwachen. Man könnte ihn auch auf ein Pferd legen, aber die Pferde der Rothe standen beim Anwesen, wofür man durch die ganze Stadt durch und am Rathaus vorbei müsste. Der andere Weg führte außenherum, und würde noch mehr Zeit in Anspruch nehmen. Zeit war nicht gerade etwas was Vincas im Überschuss hatte, und außerdem müsste er Valin tragen. Unmöglich. Vincas fiel nichts ein, nur das Geräusch von reitenden Pferden konnte er nicht aus dem Kopf bekommen. Bis ihm auffiel, dass er es sich nicht einbildete. Da kamen Reiter angeritten, und zwar mehrere. Er sah sie zwar nicht, aber das Geräusch von mehreren herbeieilenden Pferden war unverkennbar. Hatten sich die Bandule also schon so schnell aufgemacht um ihn zu finden?

„Großartig.“,

murmelte Vincas, und erhob sich von dem Schemel, auf dem er bis dahin gesessen hatte. Das Schwert wurde gezogen, und sich überlegt wie man die Stellung am besten halten konnte. Wie viele er wohl mit sich nehmen könnte? Zwei? Drei? Wahrscheinlich waren auch Wachen dabei... verdammte Söldner.

„Neffe!“,

rief jemand lautstark von draußen, und es war nicht die Stimme eines Bandul. Es war Sal.

„Onkel?!“,

rief Vincas überrascht, und eilte durch das Wirtshaus nach draußen. Dort saß sein Onkel, zufrieden und glücklich wie immer, auf einem Pferd. Zwei weitere führte er mit sich.

„Halt... das sind doch...“

„Dein Vater hat mir diese Prachttiere überlassen.“

„Aaaha.“

„Er weiß das nur noch nicht, aber ich bin ja sein Bruder, nicht? Und du sein Sohn. Komm, steig auf. Und ruf deinen Bruder. Er ist schon losgerannt, hat mir gesagt das ich dich hier finden kann.“

„Losgerannt?“

„Ja, kurz vor der Abstimmung was die hier mit mir machen wollen. Aber danach kam dieser zerfetzte und blutende Bandul herein, der solche Anschuldigungen gegen dich vorbrachte... der hatte sogar ein paar Zeugen dabei, die deine Schuld bezeugten. Die sahen mir zwar recht hungrig und armselig aus, aber welcher arme Bettler würde denn schon für eine warme Mahlzeit lügen, hm?“

fragte der Onkel ironisch, und strich dem Pferd beruhigend durch die Mähne.

„Ich bin also verurteilt..?“

„Ja. Nachdem dein Vater das mit dem Frieden gehört hatte... naja, kannst dir schon vorstellen was passiert ist. Die wollen dich nicht einmal wirklich anhören. Denen ist egal was du sagst, die werden dich sowieso hängen. So, jetzt müssen wir aber los... wo bleibt Meras?“

„Er ist weder zurück zum Rat-“

„Wieder da!“,

rief Meras, der in Richtung des Eberkopfs gerannt kam. Vincas fragte sich, wie sehr dem Bruder die Beine am nächsten Tag schmerzen würden...

„Vincas, du musst los! Schnell! Die werden dich hängen!“

„Verdammt...“,

murmelte Vincas, und sah zum Wirtshaus zurück.

„Ich kann Valin nicht seinem Schicksal überlassen. Er wird das nicht überleben, was sie mit ihm anstellen werden.

„Valin... der Bandulssohn?“

„Ja!“

„Der wurde schon für tot erklärt.“,

meinte der Onkel, und sah nun selbst etwas beunruhigt zurück. Ewin verstand, warum Vincas zögerte, sah auf die Pferde und dann zurück zum Wirtshaus.

„Komm, wir legen Valin auf eines der Pferde!“,

rief er, und Vincas nickte. Es dauerte nicht lange, da kamen beide mit dem verbundenen Valin und dessen Schwert. Sal half ihnen dabei den ältesten Bandulssohn auf eines der Pferde zu hieven, und dort so hinzulegen das er nicht gleich herunterfallen würde.

„Steig auf, Bruder.“,

forderte Meras Vincas auf, und trat dann ein Stück zurück.

„Meras...“

„Ich bleibe hier. Mich wollen sie nicht hängen, und außerdem muss ja noch jemand mit Verstand in dieser Stadt der Irren bleiben.“

„Bruder...“

„Lass gut sein. Du hast dich für die rechte Sache eingesetzt, du sollst nicht dafür hängen. Reitet irgendwohin an einen Ort den ich nicht kenne, und vielleicht, in zehn, zwanzig Jahren... kannst du zurückkehren.“

Beide Brüder tauschten einen Händedruck aus, worauf Vincas sich Valins Schwert zusätzlich zu seinem umlegte und auf das Pferd aufsaß.

„Danke dir, Meras.“,

doch der Bruder winkte nur ab.

„Ich packe das hier schon. Pass auf, dass die Göttin sich von dir nicht abwendet, Vincas.“

„Danke. Du auch... pass' auf Mutter und unsere Schwestern auf. Kläre Fallan auf... lass ihn nicht verbittert aufwachsen.“

„Mach ich.“,

meinte Meras, und trat noch ein paar Schritte zurück.

„Viel Erfolg euch dreien. Onkel, lass Vincas nicht sterben.“

Sal grinste darauf nur zurück. Der Ernst der Lage schien ihn, wie so oft, nicht sonderlich zu treffen.

„Heute nicht.“,

meinte er dann doch noch, und gab dem Pferd die Sporen. Nun, wenn seine Stiefel Sporen hätten. Die Wirkung war aber dies selbe, und Vincas folgte ihm, Valins Pferd mit sich führend. Die Torwächter ließen sie passieren. Immerhin, noch waren Valin, Vincas und Sal keine gesuchten Verbrecher. Gut das jede Stadt ihre Verbrecher selbst fasste, und sich nicht in die Angelegenheiten anderer einmischte. So ritten die drei Reiter aus Sonnfeld, hinter sich eine Stadt lassend, die aus ihrer Ruhe in einen chaotischen Zustand versetzt worden war... und einige zeit nicht zur Ruhe kommen würde.

 

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Tag der Veröffentlichung: 20.03.2013

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