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Prolog: Mit Glaube, Herz und Verstand




"Und..? Was steht drin?"
fragte Solivar, der versuchte dabei so leise zu sprechen wie möglich. Immerhin, sie konnten jeden Augenblick entdeckt werden... und das wäre ihr Ende.
Das der Rabe sie gefunden und dabei nicht die Mau zu ihnen gelockt hatte konnte man als wahrhaftiges Wunder ansehen... aber eine bessere Position als die paar Büsche hatten sie nicht.
"Hilfe aus Pandämonium wird nicht vor übermorgen eintreffen."
Gab Ricas wieder, und starrte weiterhin ungläubig auf den Brief. Pandämonium war sich der Lage wohl nicht gänzlich bewusst... ja, sie waren sich überhaupt nicht dessen bewusst was passierte!
"Bei Azphel... das ist nicht gut."
meinte Maethir, und seufzte, worauf er einen bösen Blick von Solivar erntete. Der Seufzer war nicht gerade leise... Ricas hob sich ein wenig aus der Deckung um nachzuschauen wie es denn um sie herum aussah. Die drei waren recht tief in Gebiet der Mau eingedrungen, aber nun hatten die Katzenwesen am Eingang Patrouillen aufgestellt... gute Patrouillen. An ihnen würde nicht einmal Ricas vorbeischleichen können, und er war - was diese Kunst anging - extraordinär veranlagt. Sie könnten sich nur mit einem Kampf aus dem Lager entfernen, aber es war klar, dass die Mau ihre Kräfte hier bündeln würden. Und eine gefasste und gewarnte Streitmacht könnten alle Kämpfer Ishalgens nicht besiegen. Die Mau hatten sich Kräfte angeeignet, von denen man noch gar nichts gewusst hatte. Sie waren zwar vorher schon formidable Gegner, aber nun, mit den Geheimnissen der Balaur... da brauchte es gewaltige Anstrengungen um auch nur einen von ihnen zu erledigen. Das hatte die Gruppe einmal unfreiwillig erfahren, und deswegen hatten die Mau nun auch die Patrouillen am Eingang...
"Ich denke, es ist klar worauf das hinausläuft."
Meinte Solivar, und blickte gen Himmel. Der Himmel in Ishalgen war selten bewölkt, die Überreste des Turms der Ewigkeit waren immer gut zu sehen...
Eine Stille senkte sich über die Gruppe, ein jeder von ihnen ging in Gedanken verschiedene Szenarien durch... aber dem Priester widersprach auch nach langer Stille Niemand.
Sie konnten nicht riskieren hinauszulaufen, und Zeit hatten sie auch nicht.
"Wir haben nicht so viel Zeit. Die Mau haben das Tor bereits vorbereitet..."
Meinte Ricas, und gab damit nur bereits bekanntes von sich.
"Wir müssen es zerstören. So muss es sein."
Beendete Solivar die aufkeimende Diskussion, und alle sahen zum Eingang der Höhle, wo die Mau das Ritual vorbereiteten. Die Ganze zeit schon hatten sie und die Skurv sich seltsam verhalten, Stoffe gefördert die gute Ätherbindungen erlaubten... Odella, Odium... und die drei waren es, die dem Ganzen auf die Spur gegangen sind. Die drei hatten herausgefunden wofür und wieso. Aber es hatte zu lang gedauert.
Ric nickte, und Maethir ebenfalls. Sie mussten in die Höhle, wo es Dutzende der gut ausgebildeten Mau gab, und sie mussten das Portal sabotieren ehe die Mau den Balaur Durchlass gewährt hatten. Die Frage war, ob sie noch ein oder zwei Stunden hatten... einen Tag hatten sie nicht mehr.
Ricas spuckte einmal herzhaft aus, und nahm sich dann zusammen.
"Sie haben da drin die drei Säulen..."
"..Generatoren"
verbesserte ihn Solivar.
"...Generatoren, die das Portal am laufen halten sollen. Wir haben gesehen, wie sie die erste Säul... hrm, den ersten Generator aktivierten, und ihren Vorbereitungen nah sind sie fast schon soweit mit dem zweiten. Bis sie den dritten haben ist es nur eine Frage der Stunden."
"Also müssen wir rein und die Säulen zerstören. Am besten alle, oder auch nur die bereits aktivierten, denn auf sie werden sie weniger gut aufpassen solange das dritte noch zu aktivieren ist... ich denke, wir bleiben bis sie das zweite aktiv haben hier, oder? So nahe wie das beim Eingang ist haben wir keine Chance in die Höhle reinzukommen und weiterhin zu leben."
Solivar nickte. Maethir mochte den Anschein eines großen Grobians erwecken, aber immerhin konnte er auch taktieren.
"Hört sich gut an. Und solange müssen wir einen Brief zurück nach Aldelle schicken, zum Priester, damit er alles was wir herausgefunden haben nach pandämonium schicken kann. Sie müssen wissen wie die Anlage hier funktioniert, wenn die Archonten hier eintreffen. Sie werden schnell handeln müssen... viel Zeit werden wir nicht erkaufen."
Meinte Solivar, und sprach das aus, was alle dachten. Sie waren nur einfache Asmodier... sie waren gut, ja, ziemlich gut... aber sie waren keine Daeva. Sie waren nicht unsterblich... doch es war die Pflicht eines jeden Asmodiers Asmodae bis auf den letzten Tropfen Blut zu verteidigen, und das würden sie auch machen. Sie würden Ishalgen nicht aufgeben, sie würden die Insel bewahren... und wenn auch nur bis die Archonten ankamen.
"Möge Azphel uns führen..."

Es dauerte keine halbe Stunde, bis die Mau den zweiten Generator zum Laufen gebracht hatten, und dann begannen an dem dritten, gleich in der Nähe des Tores zu arbeiten. Als die dafür nötigen Materialien in die Höhle verfrachtet wurden, und die Katzenwesen sich zum Großteil wirklich auf den letzten Generator konzentrierten...
"Für Asmodae."
"Azphelumbra."
"Azphelumbra..."
murmelten die drei, und erhoben sich aus dem Versteck. Die Mau sahen nicht, dass drei todesmutige Asmodier sich in ihre Höhle schlichen, und auch als Solivar mit sakralem Flüstern den Turm der Ewigkeit und die Shedimgebieter erreichte, die Macht kanalisierte und ihr zerstörerisches Tun leise auf den ersten Generator wirken ließ, merkten sie nichts. Es dauerte eine Weile, aber der Generator fing alsbald an Risse zu zeigen, und das Licht des Kristalls begann zu flackern. Es verlief alles ruhig, und die drei Freunde begannen Hoffnung zu schöpfen. Hoffnung, dass sie nicht nur die Mau stören, sondern auch lebendig wieder heimkehren würden.
Diese Hoffnung blieb, bis der Generator zusammenbrach. Mit dem Einsturz des Kristalls brach in der Höhle die Hölle los. Mau begannen irgendetwas zu schreien, ihr Anführer brüllte und fauchte, auf dass die Wände erzitterten, und die Katzenwesen sprangen und rannten von der höheren ebene des Abysstores zu den dreien herab.
"Zerstört den zweiten! Ich halte sie auf!"
Rief Solivar, und es blieb keine zeit zu widersprechen, die zwei Freunde wurden in Richtung des Generators gestoßen, und dann drehte der Priester sich zu den ankommenden Mau. Es waren mehr als ein Dutzend... und sie hatten schon mit einem einzelnen Probleme gehabt.
"Azphel, hilf!"
rief der Priester, und nahm seinen Streitkolben zur Hand.

Ricas und Maethir brauchten nicht lange um den Generator zu erreichen, und sie waren Asmodier - also diszipliniert genug um nicht nach hinten zu schauen. Diszipliniert genug, um nicht auf das Schlachtengetümmel zu hören... aber bewandert genug, um aus der Symphonie der Zerstörung den Klang von getroffener Rüstung, das Keuchen des Wiederstandes, das einem jedem Asmodier innewohnt, das aufschlagen eines Knies am Boden und den letzten, aufbäumenden Schrei herauszuhören. Sie sahen nicht, dass ihr Freund fällt, aber ihre Ohren zeigten ihnen das Bild klarer als es ihnen ihre Augen je zu zeigen vermocht hätten...
"Solivar!"
rief Maethir seinen Freund, doch bloß rasche Schritte, rasche Schritte von mehr als einem Dutzend Wesen schallten als Antwort durch die Höhle...
Doch der zweite Generator fiel von den Hieben der Klingen, der Knaufe und der Tritte. Gerade noch rechtzeitig, denn...
"Maethir, pass auf!"
Rief Ricas, als er die Gestalt eines Mau hinter seinem Freund entdeckte, doch der Asmodier war zu langsam, sein letzter Tritt hatte ihn die Balance gekostet... er hatte nicht mehr genug Zeit um auszuweichen. Doch als die gezackte Klinge des Sapien in die Brust des Kriegers eindrang fiel er nicht, röchelte er nicht, sondern eine Druckwelle schoss durch den Raum, warf den Mau zurück, und gleichsam wurde auch Ricas an die Wand geworfen. Ein Kopfschütteln gegen die Benommenheit später blickte der Spähexperte wieder auf, und merkte, dass etwas seine Sicht versperrte.
"Was...?"
murmelte Ric, noch immer benommen, und sah auf das verschwommene Etwas, das sich da vor seinen Augen ausgebreitet hatte. Er brauchte einen Augenblick, bis er wieder zu hören anfing, und er hörte Kampfgetümmel. Wildes Kampfgetümmel. Es wurde gefaucht, geflucht und geschlagen... nun wurde die Sicht des Spähers auch klarer, und er verstand was das Schwarze war. Es waren Flügel... und nicht die eines Archonten. Es waren Flügel eines gerade aufgestiegenen Daeva.
"Maethir...?"
fragte Ricas, und richtete sich nun endlich auf. sein Freund stand in dem Trupp von Mau, die nun alle am Boden lagen... Tot oder bewusstlos. Maethir war aufgestiegen.
"Und Sol..."
rief der Spähexperte, wandte sich um um nach dem Priester zu schauen, aber er sah nur einen Leichnam der verkrüppelt im Schmutz lag... die Keule noch in der Hand, und mit einem toten Feind in der Nähe.
"Wie ein wahrer Asmodier..."

Ein Sarg auf Reisen




Die beiden Freunde sahen sich in der Höhle um, aber es war kein Feind mehr da der Aufmerksamkeit verdient hätte. Maethir hatte saubere Arbeit geleistet...
Aber etwas ließ sie dann doch aufmerksam werden. Ein leises Röcheln, eine kaum merkbare Bewegung...
"Er lebt!"
Rief Maethir, und lief zum totgeglaubten Priester. Selbiger wurde dann gleich vom Krieger umgewandt, damit er nicht länger mit dem Gesicht nach unten zu liegen brauchte. Doch die aufkommende Freude erlosch schnell - um den Freund stand es alles andere als gut.
"Ihr habt... gewonnen..?"
"Wir, mein Freund. Wir haben gewonnen. Die Mau sind tot, die Generatoren zerstört... wir haben das Unmögliche wahr gemacht!"
"Aufgestiegen..."
murmelte Solivar noch erschöpft, mit kaum noch geöffneten Augen. Nein, es stand wahrlich nicht gut.
"Halte durch, Sol! Nicht sterben... murmle einen Spruch, bete, tu irgendwas! Du kannst doch Wunden schließen, Knochen verheilen lassen...!"
Aber die Augen des Priesters schlossen sich nur, der Atem wurde flacher, kaum spürbar.
"Wir müssen ihn wegbringen, zur Kreuzung! Dort kann man ihm sicher helfen!"
rief Ricas dem Krieger in Erinnerung, welcher aufhörte auf ein Wunder zu warten, und den Priester aufhob. Mit dem Aufstieg waren große Kräfte in ihm erwacht, und auch wenn der Kampf ihn sehr beansprucht hatte - den Freund noch zu retten, das würde die wahre Herausforderung werden. Ricas lief vor, flink, erfahren und ausdauernd wie er war schuf er eine Ablenkung, damit Maethir den Priester aus dem Mauversteck tragen konnte - und Maethir nutzte die Gelegenheit. Ricas mochte nicht aufgestiegen sein, doch entweder verspürte er keine Eifersucht oder hob sie sich auf bis man Sol gerettet hatte. Jedenfalls machte er seine Arbeit hervorragend, Maethir traf auf seinem Lauf aus dem Versteck heraus auf keinen einzigen Mau. Und auch wenn der Priester wie tot wirkte, der Krieger war überzeugt davon, dass man ihn noch retten konnte. Der Seelenheiler oder irgendjemand anders würde schon eine Möglichkeit wissen, wie könnte es auch anders sein...?

Solivar lag vor dem Seelenheiler auf dem Boden, und der Heiler selbst wirkte seine Magie auf den Körper des scheinbar Leblosen. Ricas hatte sich noch nicht blicken lassen, aber Maethir machte sich um ihn keine Sorgen. Ricas war ein Meister im Laufen und Verstecken, auch wenn seine Kampfkünste nicht sonderlich meisterlich waren. Ein paar Mau und Skurv würden ihn nicht fangen können. Nein, im Augenblick galt Maethirs Aufmerksamkeit dem Heiler, der seinen Zauber beendete und sich erhob.
"Es tut mir leid, aber... es ist zu spät. Er weilt nicht länger unter uns."
Maethir wurde für einen Augenblick schwindlig von der Aussage. Zu spät. Er hatte zu lange gebraucht, ist nicht schnell genug gewesen. Solivar ist gestorben, und das in seinen Armen... und er hatte noch nicht einmal etwas bemerkt. Hatte die letzten Worte nicht gehört, den letzten Wunsch nicht entgegen genommen. Der Krieger brach vor dem Toten auf die Knie, und schlug so stark mit der Faust auf den Boden, dass ein sich zufällig dort befindender Stein zerbarst.
"Sol! Sol... komm schon, wach auf! Du kannst nicht fort sein! Du hast dich den Feinden Asmodaes gestellt, hast uns den Rücken frei gehalten, hast ehrenvoll für Azphel und alle Asmodier eingestanden... du kannst nicht tot sein, das wäre nicht gerecht. Wach auf, steig auf, werde zum Daeva! Sol!"
Flehte der Krieger, und die Bewohner der Anturoon Kreuzung standen still, die Köpfe in Trauer gesenkt. Sie hatten den Priester gemocht, der ihnen oftmals geholfen hatte. Der Seelenheiler konnte sich nicht wirklich um die Verwundeten kümmern, er war praktisch aus Versehen auf der Kreuzung stationiert. Immer wenn die Wachen oder die Bewohner verletzt wurden, kamen sie zum Priester. Immer wenn sie Sorgen hatten kamen sie zum Priester... und immer fand er die richten Heilgebete, immer fand er die richtigen Worte um den Geist wieder erstarken zu lassen. Stets freundlich und um das Wohl aller bekümmert... er war ein wahrer Vertreter von Marchutans Lehren... gewesen. das alles würde nicht mehr sein, und jeder begriff es. Der Priester war tot.
Ricas bemerkten sie erst, als der Spähexperte schon bei der Kreuzung ankam. Niemand begrüßte ihn, alle waren in Stille versunken - bis auf Maethir, der noch immer auf den Toten einsprach, ihn noch immer davon überzeugen wollte aufzustehen. Es brauchte keiner Worte, damit Ricas auch verstand, dass sie zu lange gebraucht hatten...
"Komm, mein Freund. Was würde er denn sagen, wenn er dich hier so sehen könnte? Steh auf, Maethir... wir müssen nach Aldelle zurück, man denkt dort noch immer an unsere Mission. Wir müssen zurück, bevor eine Panik ausbricht... er hätte nicht gewollt, dass du seinetwegen alles liegen lässt."
"Ric..."
"Er ist tot, Maethir. Lass gut sein. Er wird nicht wieder aufstehen... damit müssen wir uns wohl abfinden."
Meinte Ricas, und klopfte dem Krieger auf die Schulter. Maethir brauchte ein paar Augenblicke bis er sich gesammelt hatte, und warf einen Blick nach oben, zum Licht des Turms der Ewigkeit.
"Das ist nicht gerecht. Er hätte aufsteigen sollen, nicht ich."
murmelte er zu den leuchtenden Sternen am hellen Firmament, und stand dann auf - den Priester auf den Armen tragend.
"Wenn wir zurückkehren, dann mit Solivar. Mindestens das sind wir ihm schuldig."
sagte Maethir mit recht leiser Stimme, aber Ric widersprach auch nicht. Es gab Dinge, über die war man sich einig.

Nach Aldelle kamen die Freunde langsamen Schrittes. Maethir ging, Solivar tragend voran, und trug seine Flügel offen - damit auch jeder sehen sollte, dass sie nicht als Verlierer zurückkehrten. Ricas ging ein paar Schritte weiter rechts neben dem Krieger, still und ruhig. Es gab nichts, worüber man sich unterhalten musste, nicht in einer solchen Stunde. Die Menschen von Aldelle, als sie die Freunde näher kommen sahen, strömten ihnen entgegen - und auch wenn viele der Gesichter Freude und Fassungslosigkeit zeigten (auf Grund der Flügel, die auf einen Daeva schließen ließen) wich das Jubeln schnell der Stille, die schon auf der Anturoon Kreuzung allgegenwärtig gewesen ist. Im Trauermarsch zogen die Freunde bis zur ehemaligen Kirche, die nun zerfallen war und nicht einmal mehr ein Dach aufwies. Der Priester des Dorfes erwartete sie schon. Das Gespräch das sich ergab war lang, Solivar wurde geehrt und in einen Sarg gelegt, Maethir und Ricas erzählten alles über den Verlauf des Auftrags, bis hin zum Tode Solivars. Der Priester wollte Solivar auch gleich begraben lassen, auf einem Hügel von dem man das Meer sehen konnte, aber Ricas verbot es. Der Spähexperte hatte Solivar gut gekannt, und er wusste wie sehr der Priester mal Brusthonin besuchen wollte. Er wusste, wie fasziniert der Priester immer gewesen war von den Erzählungen über die Rothimmellegion, die einst in Brusthonin gegen die Balaur gekämpft hatte. Eine Legion, in die selbst Sterbliche eingetreten sind um gegen die Feinde zu kämpfen. Ricas war der festen Überzeugung, dass Solivar in der Nähe der Kriegshelden von damals begraben werden musste, und Maethir stimmte ihm voll und ganz zu. Niemand widersprach ihnen... wieso auch? Der Priester hatte sich dieses Recht erworben, da waren sich alle einig.
Ein Brief mit den Ergebnissen des Auftrags wurde noch in derselben Stunde nach Pandämonium geschickt, gleich mit der Bitte Solivar in Brusthonin beizusetzen, in der Nähe der Gräber der Rothimmellegion. Niemand rechnete wirklich mit einer raschen Antwort, wussten sie doch wie überbeschäftigt es in Pandämonium zuging. Es herrschte schließlich Krieg, und das an mehreren Fronten. Kein Wunder also, dass alle ziemlich überrascht waren als sie kaum eine viertel Stunde nach Abschicken des Briefes einen kleinen Trupp von vier Archonten beim Teleporter erscheinen sahen. Der Anführer des Trupps war Niemand geringerer als Ashikar persönlich. Ein Daeva, der einst selbst in der Rothimmellegion gedient hatte, und während seiner zeit bei ihnen zum Daeva aufgestiegen war. Er genoss ein hohes Ansehen in Asmodae, waren seine Fähigkeiten doch überall gut bekannt, und seine Erfolge zahlreich.
Er sah die Versammlung sofort, und kam in Eile zum Priester.
"Azphelumbra, Priester. Wir haben die Nachricht erhalten, dass die Mau planen ein Tor zu öffnen, mit dem die Balaur hierhin, nach Ishalgen eindringen können. Wir sind geschickt worden, um dies zu verhindern. Wir bitten nur um rasche Auskunft darüber, wo das Tor geöffnet werden soll."
Sie hatten den letzten Brief noch nicht einmal empfangen.
"Nicht nötig, Ashikar. Wir haben die Mau bereits besiegt und die Generatoren vernichtet. Es besteht keine Gefahr mehr."
berichtete Maethir, wodurch er erneut die gesamte Geschichte schildern musste. Ashikar war ein geduldiger Zuhörer...

"Verstehe. Nun, wenn es um dieses Gesuch geht, dann werde ich mich persönlich dafür einsetzen, dass dieser Mann in Brusthonin beigesetzt wird. Bleibt hier, und ich gehe zum Nationalratsgebäude in Pandämonium. Wenn ich zurück bin, werde ich eure Antwort schon haben, macht Euch da keine Sorgen. Allerdings... Maethir, du bist doch eben erst aufgestiegen, richtig?"
"Richtig."
"Dann kommst du mit mir. Du sollst in dein neues Leben als Daeva eingeführt werden, und der beste Ort um damit zu beginnen ist und bleibt Pandämonium. Der Hohepriester wird dich empfangen müssen, um dich offiziell in den Rang eines Daeva zu erheben. Ricas, ihr bleibt hier. Als Sterblicher könnt Ihr die Dienste eines Teleporters ohnehin nicht nutzen, ohne bei einer Transportation im Äther zerrissen zu werden. Wartet auf meine Rückmeldung. Maethir, ich gebe dir noch eine Stunde um dich zu verabschieden... ich denke nicht, dass du so bald wieder hierher zurückkehren wirst."
verkündete Ashikar, und überließ seine beiden Archonten sich selbst. Die Mission wegen der sie so schnell gekommen sind war schon erledigt, sie hatten also ein wenig Zeit um sich auszuruhen ehe sie zurück mussten. Maethir nutzte die Stunde um sich von den Bewohnern zu verabschieden, was nicht sonderlich lange dauerte. In Aldelle waren die meisten nur kurze Zeit über, es war ein Ort an dem man für ein-zwei Wochen ein Lager aufschlagen konnte, mehr nicht.
Einzig das Gespräch mit Ricas zog sich in die Länge. Aber die Freunde hatten sich auch viel zu sagen. Nach dem Gespräch nahm Maethir noch Abschied von Solivar, und legte den Streitkolben des gefallenen Priesters auf dem Grab ab. Die Waffe hatte er mitgenommen, und sie sollte mit Solivar beerdigt werden. Immerhin, der Priester hatte keine Familie, niemanden dem etwas derartiges vererbt werden konnte. Die drei - Maethir, Ricas und Solivar - sind gemeinsam aufgewachsen, als Weisen. Ihre Ausbildung hatten sie in Altgard absolviert, und sind dann als Vigilanten überall eingesetzt worden wo man sie brauchte. Keine sonderlich hohe Qualifikation, deswegen wurden sie auch vor einigen Wochen eingeteilt um auf besondere Vorkommnisse in Ishalgen zu achten. Wer hätte gedacht, dass sich dergleichen daraus entwickelt.
Die Stunde ging vorbei, und mit einem letzten, kräftigen Händedruck verabschiedete sich Maethir von Ricas... worauf sich der Krieger dann mit Ashikar und dem Rest des Archontentrupps nach Pandämonium teleportieren ließ.

"Sieht aus, als wär's das, Sol. Du bist tot, Maethir ist ein Daeva... und ich bin nun alleine, der letzte unserer Gruppe. Ich schätze, ich sollte mich für Maethir freuen... nun, Hauptsache wie kriegen dich erstmal nach Brusthonin."
meinte der Spähexperte zum Priester im Sarg. Lange sollte die Antwort aus Pandämonium ja nicht auf sich warten lassen, aber der Spähexperte war sich sicher, dass Ashikar die Sache schon schnell regeln würde. Man hörte auf ihn, wenn er sprach. Und tatsächlich, es vergingen kaum zwei Stunden als ein Bote durch den Teleporter kam, und Ricas aufsuchte.
"Ein Schreiben aus Pandämonium für Sie. Im Voraus bezahlt. Einen schönen Tag noch!"
meinte der Bote, und verschwand auch gleich wieder. Ricas setze sich neben den Sarg, und öffnete die Schriftrolle. Briefe waren zwar gängiger, aber die Verwaltung in Pandämonium mochte es auch gelegentlich mal altmodisch. Als er das Schreiben aufwickelte, war er schon bereit das übliche "Und..? Was steht drin?" zu hören - eine Frage, die Sol ihm immer stellte wenn eine Nachricht ankam. Natürlich war das Einzige was Ric hörte das leichte Säuseln des Windes.

' Sehr geehrter Vigilant Ricas (kein Nachname in den Unterlagen gefunden),
Wir haben Ihr Anliegen bearbeitet und befinden es als unterstützungswürdig. Anbei findet Ihr ein Schreiben, adressiert an den Priester in der Balthasar Siedlung in Brusthonin. Legt es ihm vor, um die Genehmigung zur Beerdigung zu erhalten. Abgesehen davon setzen wir sie über ihren neuen Posten in Kenntnis. Sie werden aus Ishalgen abgezogen, und sollen eine Stunde nach Erhalt des Briefes am Landesteg der Anturoon Kreuzung sein. Dort legt das Schiff 'Garepeia' an, das Sie, ihre Habe und den Sarg des Gefallenen nach Brusthonin bringen wird. Anbei finden sie ein Schreiben, das sie dafür dem Kapitän vorlegen müssen. Begeben sie sich dann zu Hauptmann Surt in der Balthasar Siedlung von Brusthonin, wo ihnen alles weitere erklärt wird, und wo sie ihre Beförderung erhalten werden.

Blut für Blut,
gez. Balder, Hohepriester zu Pandämonium
gez. Serizor, Stellv. d. G. zu Pandämonium'

Der Spähexperte überflog den Brief zum zweiten mal, und klopfte dann freudig auf den Sarg.
"Na siehst du, alter Knabe? Was hab ich dir gesagt. Wir kriegen dich schon nach Brusthonin."
meinte Ricas, und richtete sich auf. Der Flugmeister richtete es schnell ein, dass Ric und der Sarg zur Kreuzung kamen - nach einer gebührenden Verabschiedung von den Bewohnern, die sogar noch ein paar Geschenke für den Spähexperten hatten - dafür, dass er so wagemutig sein Leben für sie riskiert hatte. Und von der Kreuzung aus halfen ihm ein paar der Bewohner den Sarg samt Keule zum Schiff zu bringen. Der Kapitän war überrascht, hatte er doch nur angelegt um die Vorräte aufzufrischen, aber nachdem er das Schreiben gelesen hatte, das an ihn adressiert war, ließ er den Spähexperten ohne weitere Fragen an Bord und ließ sogar eine gar nicht mal so kleine Kajüte für Ricas fertigmachen. Es dauerte nicht lange, da konnten sie auch schon wieder Segel setzen. Das Schiff fuhr ohnehin nach Brusthonin, von daher war zumindest keine Wegänderung nötig. Dort angekommen fand sich Ricas in der Nähe eines Siedlerlagers, das von einigen Vigilanten beschützt wurde. Ein paar kannte er sogar, mit ihnen wechselte er ein paar Worte, erkundete sich über die Lage. Sonderlich gut sah es nicht aus... es war bekannt, dass Brusthonin - das einst prächtige, fruchtbare Land – seit der großen Katastrophe nicht mehr ganz so großartig war. Der Boden war verseucht, und Untote machten es nicht gerade einfach dieses Problem wieder zu beheben. Das die Armeen der Toten nicht zu schwinden schienen machte die Sache nicht gerade einfacher, auch wenn immerhin keine Angriffe auf das Siedlerlager erfolgten. Die Vigilanten waren nicht gerade gut besetzt, es mangelte an Kräften... eigentlich mangelte es an Allem, an Kräften, an Nahrung, an Leuten... aber immerhin waren sie Asmodier. Sie würden es noch schaffen das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden. Irgendwann.
Nach dieser Einleitung wurde es Ricas nicht gerade besser, aber was sollte man schon machen. Man hatte einen Freund zu beerdigen, und dazu noch einen Posten anzutreten. Immerhin, dachte der Spähexperte sich – besser ein paar Untote, die seit ein paar Jahrhunderten nicht sterben konnten als ein Haufen Mau. Von allem was er bisher so wusste waren Untote nicht gerade die Meister des Entdeckens oder überhaupt des Denkens und Bemerkens. Sie schafften es noch nicht einmal zu verstehen das sie tot waren...
So verabschiedete sich der Spähexperte von den Vigilanten, und bat den Flugmeister um einen Flug zur Balthasar Siedlung. Kinah wechselten den Besitzer, und schon war Ricas auf dem Weg zum Ziel der Reise.

Was auch immer er erwartet hatte, das was er sah war es nicht. Auf seinem Flug konnte er noch die Felder sehen, die von Untoten umschwärmt wurden, er sah die verseuchte Welt die da unter ihm lag... und erwartete nicht viel von der Siedlung. Das es ein blühendes Dorf unter einem gewaltigen Baum war... erstaunte ihn nun doch ein wenig. Genau so, wie es die Archonten im Dorf überraschte, als da ein Vigilant mit einem Sarg beim Flugmeister landete.
„Ein Held Asmodaes also... ich verstehe. Normalerweise würden wir nicht jedem Asmodier der im Kampf fällt die Genehmigung geben hier begraben zu werden, aber... das hier ist ein Sonderfall. Gab sein Leben freiwillig, um die Öffnung eines Balaurtores zu verhindern, zum 'Helden Asmodaes' erhoben – nach dem Tode. Ja, ich denke es spricht nichts dagegen wenn wir ihn in der Nähe des Monuments der Helden begraben. Abgesehen von den Toten die dort wandeln. Die könnten damit nicht so ganz einverstanden sein.“
meinte der Priester, als er das an ihn adressierte Schreiben gelesen hatte. Mit einem Blick auf den Sarg fügte er noch:
„Doch es scheint mir, als sei die Angelegenheit dringlich... kümmert Euch baldmöglichst drum.“
Immerhin lag Solivar schon eine Weile im Sarg, eine Woche noch und Niemand würde freiwillig in die Nähe des Sarges gehen. Tote rochen für gewöhnlich nach einer Weile nicht mehr ganz so toll. Der Priester sah sich um, und merkte das es keine weiteren Fragen mehr zu geben schien. Mit einem kurzen Segensspruch verabschiedete er sich und verließ die Kommandozentrale. Zurück blieben noch der Hauptmann und Ricas.
„Hätten wir diese Frage also schon mal geklärt. Ich aber habe noch einige weitere an Euch, Vigilant. Ihr wart dabei, als das Tor geschlossen wurde?“
„Richtig. Solivar, ich und Maethir, ein Krieger, haben die Öffnung verhindert. Solivar hat sie hingehalten, damit Maethir und ich den zweiten Generator zerstören konnten. Nachdem die Mau ihn überwunden hatten, kamen sie zu uns, aber als sie Maethir töteten stieg er auf, zum Daeva... und schlug sie dann zurück.“
Der Hauptmann sah zum Spähexperten, und runzelte die Brauen.
„Was denn, kein Lob an sich selbst? Ihr müsst bescheiden sein, Vigilant, dass Ihr Eure eigene Rolle bei dem Ganzen nicht erwähnt. Was habt Ihr zu diesem Sieg beigetragen?“
Ricas hatte sich mit dieser Frage davor noch gar nicht beschäftigt. Was genau hatte er eigentlich zur Zerstörung der Generatoren beigetragen...?
„Ich habe uns so weit in das Gebiet der Mau gebracht, so dass wir erst dadurch herausgefunden haben was sie planen. Auch habe ich die Mau abgelenkt, so dass wir unseren Freund noch von dort wegbringen konnten. Ich bin kein Kämpfer, meine Spezialität ist das Schleichen, das Herausfinden... das Eindringen und ähnliches, was mit derlei Fähigkeiten einhergeht. Zum Kampf selbst habe ich nur beigetragen, dass ich mit Maethir auf die Generatoren eingeschlagen habe.“
antwortete Ricas, und hoffte das in dem Schreiben nichts anderes erzählt wurde. So sehr Maethir auch von patriotischen Idealen geleitet wurde, so sehr liebte er es Geschichten auszuschmücken und alles zehn mal besser dastehen zu lassen als es eigentlich gewesen ist. Was er in Pandämonium über ihn, Ricas, erzählt hatte konnte der Spähexperte nicht einmal vermuten.
„Soso. Ein Späher seid Ihr also wirklich. Hier steht, Ihr habt Euch den Titel eines Spähexperten in Altgard verdient?“
„Jawohl, Herr Hauptmann. Ich habe meine Qualifikation durch Einsätze erhöht, bei denen ich Lepharisten und Mau ausgespäht habe, von den ersteren habe ich gar Dokumente beschafft, ohne das sie es gemerkt haben.“
„Gut, gut. Wie steht es mit Euren Fähigkeiten im Gelände?“
„Ich habe verschiedenes Gelände zu meistern gelernt, und kann den Turm des Impetrusiums hochklettern, mit meiner Ausrüstung im Gepäck – und das in weniger als einer viertel Stunde. Meine Ausdauer ist auch gut, so kann ich von Basfelt bis zur Festung von Altgard laufen ohne anhalten zu müssen, in recht hohem Tempo. Mit Ausrüstung, versteht sich.“
Der Hauptmann nickte.
„Das ist in der Tat gut. Nun, die anderen Fragen die ich hätte erübrigen sich durch Euren Einsatz, und durch weitere Informationen die mir hier beschrieben wurden. Es bleibt eine letzte Frage... wisst Ihr was wir hier machen?“
Ricas musste an der Stelle kurz überlegen. Mit Brusthonin hatte er sich nie wirklich beschäftigt, es war keine Gegend die ihn je wirklich gelockt hatte... aber es gab in Brusthonin soweit er wusste keine Elyos oder Balaur. Das Einzige Problem waren die Untoten.
„Ihr kümmert Euch um die Untoten hier?“
„Das ist verdammt nett ausgedrückt, Vigilant. Ja, wir kümmern uns um die Untoten... und zwar so, dass sie auf ewig tot bleiben. Ihr müsst wissen – neue Gefallene erstehen hier nicht als Untote wieder auf. Wir haben es hier mit den praktisch gleichen Wesen zu tun. Töten wir sie an einem Tag, sind sie am nächsten einfach wieder da. Manchmal sogar innerhalb von wenigen Stunden. Balthasar, unser heiliger Baum, mag die Verunreinigung des Bodens zurückdrängen, aber das ist ein sehr langsamer Prozess, auch für Daevas. Und Brusthonin muss bald wieder bewohnbar werden, wir haben keine Jahrhunderte Zeit. Der Krieg gegen die Elyos verbraucht Ressourcen, und Brusthonin war die Kornkammer Asmodaes schlechthin. Wir versuchen das so gut es geht wieder möglich zu machen. Ihr, mit Eurer Versetzung hierhin, wurdet mir unterteilt. Nicht als ein Kämpfer meines Trupps, sondern als Vigilant. Dank Euren Taten in Ishalgen ist Euch sogar eine Beförderung zugesprochen worden, damit seid Ihr nun ein Vigilantenführer. Eine große Zeremonie machen wir nicht darum, so großartig ist es nicht – betrachtet Euch einfach als befördert. Eure neue Stellung erlaubt es Euch ein Kommando zu führen, von bis zu drei Mann. Euch eingeschlossen. Ihr seid offiziell unabhängig von mir, aber inoffiziell habt Ihr Euch vor mir zu verantworten, sonst schicken wir Euch zum Aldelle-Becken Spriggs jagen. Haben wir uns verstanden?“
„Jawohl.“
„Die militärischen Antworten müsstet Ihr noch üben, aber wir sind hier nicht im Abyss. Ihr steht ab jetzt an unserer Seite, seid aber – sofern ich nichts anderes befehle – selbstständig. Einen Sold bekommt Ihr allmonatlich, wie es sich gehört... sofern ich bestätige das Ihr hier Eure Arbeit verrichtet. Eigentlich würdet Ihr nicht viel bekommen, aber als 'Held von Asmodae' gibt es noch einen Bonus für Euch... Ihr solltet also keine Probleme mit dem Überleben haben. Mittel für Einsätze, Reparaturen und medizinische Versorgung werden von Pandämonium übernommen. Noch Fragen?“
„Wie lautet mein Auftrag, Hauptmann?“
Der Hauptmann seufzte. Man merkte, dass die Monate oder Jahre der sinnlosen Bekämpfung von Untoten ihm einen Dämpfer verpasst hatten. Er schien alles eher gemächlich angehen zu wollen... Ricas würde sich darüber nicht beschweren. Er war kein flammender Patriot wie Maethir, der sich Hals über Kopf in alles stürzen würde was auch nur im Entferntesten Asmodae zugute kommt. Er war auch nicht darauf aus die Shedimgebieter zu preisen, und auf ihre Führung zu vertrauen wie Solivar – man sah ja wohin das den Priester gebracht hatte. Nein, Ricas bevorzugte eine pragmatische Denkweise. Sicher, er würde für Asmodae sterben, wenn nötig... aber nur wenn es wirklich nötig werden würde. Das eigene Volk vor Schaden zu bewahren war doch eine Maxime, und wie pragmatisch auch immer Ricas auch war, er war Asmodier. Daran gab es nichts zu rütteln. Auch die Shedimgebieter ehrte er, aber mit einer gesunden Distanz. Immerhin hatte er noch nicht einmal einen einzigen von ihnen gesehen... was sie trieben hatte also nicht wirklich noch etwas mit ihm zu tun. Nein, er mochte es ruhig und vernünftig. Sachlich... aber vor allem ruhig. Und wenn der Hauptmann alles ruhig angehen wollte, dann würde Ricas auch weniger gehetzt werden. Im Grunde ein vielversprechender Posten, und der Spähexperte überlegte sich, wie es wohl werden würde ein Stück Land in Brusthonin zu besitzen... wenn sie es denn schaffen sollten das Land zu reinigen.
„Euren Freund sollt Ihr beerdigen. Am besten morgen. Schaut Euch erstmal ruhig auf dem Friedhof um, die Position ist auf der Karte dort vermerkt... und die Beerdigung sollte tagsüber stattfinden. Dafür werde ich Euch einen meiner Männer zur Seite stellen, denn Ihr werdet den Friedhof erst einmal von Untoten säubern müssen. Weder unser Priester noch der Seelenheiler werden, denke ich mal, mitkommen... also werdet Ihr eine einfache Beerdigung durchführen müssen. Lasst Euch ein gutes Gebet einfallen. Ach, und.. die Erkundung führt Ihr alleine durch. Dafür kann ich niemanden entbehren. Das wars, wegtreten.“
Ricas verneigte sich, und verließ das Gebäude. Alles nötige war gesagt.


Draußen stand einer der altgedienten Archonten, der gerade an einer der Laternen lehnte und den Sarg begutachtete, auf den er aufpassen sollte. Als Ricas aus dem Gebäude herauskam richtete der Archon seine Aufmerksamkeit auf ihn, und musterte ihn.
„Ach, Ihr seid also der neue Vigilantenführer?“
fragte er dann, als der Spähexperte näher kam. Ricas nickte.
„Gerade befördert worden... wenn das der richtige Terminus für die Erhebung ist. Vogilant ist Vigilant, wie man es auch dreht.“
„Ein Vigilantenführer zählt bei uns nicht weniger als ein Achontenführer, Herr...?“
„Ricas, nennt mich Ricas.“
„...Herr Ricas. Vergesst nicht, wir sind hier noch teilweise die Nachfolger der Rothimmellegion. Mensch oder Daeva, wir achten jeden... und Euch Sterbliche teilweise sogar mehr als uns, die wir unsterblich sind.“
meinte der Archon, und sah zum Horizont, an den sich die Sonne langsam näherte. Nur noch wenige Stunden blieben bis zum Nachtfall.
„Ich schweife ab, verzeiht. Vom Hauptmann soll ich Euch das hier übergeben. Er hat genug zu tun im Augenblick, also sollte ich das übernehmen. Hier.“
sagte der Archon, und überreichte der Spähexperten ein Schwert. Es war eine neugeschmiedete Klinge, und keine so alte wie Ricas sie trug. Verzierungen wies sie praktisch keine auf, nur eine etwas geschwungene Parierstange in die ein gleichsam geschwungenes 'R' eingeätzt worden ist. Doch allein das hob die Klinge schon von einer gewöhnlichen ab – das hier war ein Einzelstück, keine Massenanfertigung. Auch wenn es nicht mit Äther versehen war, wie viele Klingen von Daevas. Ricas neigte den Kopf zum Dank, und nahm die neue Klinge entgegen, wie auch die passende Schneide.
„Ich bedanke mich vielmals...“
„Nicht der Rede wert. Wir würden hier nicht lange überleben wenn wir unsere Leute mit dem letzten Müll herumlaufen lassen würden. Nichts für ungut.“
„Nein, schon in Ordnung. Mein Schwert hat wirklich schon bessere tage gesehen... wahrscheinlich. So vor zwei Jahren vielleicht.“
Wobei es schon erstaunlich war, dass die Klinge so lange gehalten hatte... eindeutig auf die geringe Benutzung zurückzuführen. Ricas mochte es nicht sich im Nahkampf mit seinen Feinden zu messen. Er verfügte nicht über genug Stärke für so etwas.
„Was Eure Rüstung angeht, so findet Ihr sie bei unserem Schmied. Er verkauft uns das Nötigste und repariert den Rest... für uns wird zum Glück viel von Pandämonium bezahlt, und auch sonst nimmt er keine hohen Preise. Ihr wertet schon sehen, Herr Ricas, dass hier die Dinge ein wenig anders laufen als Ihr es sonst gewohnt seid. Der Rest von Asmodae ist verstrickt in den Kampf gegen die Balaur, gegen die Elyos... Kampf und Krieg. Sie wollen vernichten, und das mag richtig sein. Wir aber wollen wieder aufbauen. Wir glauben an eine bessere Zukunft hier... an Leben, nicht an den Tod. Denn vom Tod, Herr Ricas, hat Brusthonin mittlerweile wirklich genug gesehen. Übrigens, der Schmied hat auch noch den Rest Eurer Ausrüstung, so zum Beispiel Euren Bogen. Der Hauptmann hat ihn in Auftrag gegeben, denn in Eurer Beschreibung stand drin das Ihr gute Augen habt und den Nahkampf meidet. Was... wohl richtig ist.“
Folgerte der Archon mit Blick auf den Spähexperten und dessen Ausrüstung. Leicht, kaum gepanzert... wahrhaftig kein Nahkämpfer.
„Nochmals vielen Dank.“
„Wir erfüllen hier alle unsere Pflicht, Herr Ricas.“
Damit verabschiedeten sich die beiden voneinander, und Ricas ging, mit seiner neuen Klinge und dem Sarg zu den Unterkünften.

„Nie werden wir deine Treue vergessen, und erst recht nicht deinen Glauben, Solivar. Du warst es, der uns stets an die Regeln und die Gebote der Shedimgebieter erinnerte, der uns immer wieder auf die besten, die schattendurchflutetsten Pfade brachte. Mit dir wandelten wir immer in Azphels Schatten... du warst unser Leitstern. Ein wahrer Priester im Namen Marchutans... du warst ein Träger der Hoffnung und eine Bastion des Vertrauens. Selbst am Augenblick der Entscheidung hast du nicht gezögert für dein Vertrauen einzustehen. Dein Leben zu geben für Asmodae war eine Selbstverständlichkeit, keine Frage. Mögest du im Ätherfluss Frieden und Ruhe finden, mein Freund. Wir werden dich missen... ich bin mir sicher, Azphel wird deine Seele persönlich leiten.
Azphelumbra, mein Freund, Azphelumbra.“
„Blut für Blut.“
murmelte der Archon, der mit Ricas gegangen ist, um Solivar zu beerdigen. Zusammen ließen sie den Sarg in das ausgehobene Loch, und schüttelten es wieder zu. Einen Grabstein hatten sie nicht, aber Ricas stellte die Keule des Priesters so auf, dass die Erde nachher den Kopf des Streitkolbens verdeckte, und nur noch der Stiel aus dem Boden ragte. Niemand würde es auf die Keule absehen, hatte sie doch eher einen sentimentalen Wert für den Priester gehabt. Sie war in keinem besseren Zustand als Ricas' alte Klinge.
„Ein Held Asmodaes hätte mehr verdient.“
„Ja... ja, hätte er. Aber wir haben leider nicht all die Mittel die wir wollen. Und die Grabrede hätte er auch viel besser gehalten...“
meinte Ricas, und faltete die Hände zum letzten Mal über der frischen Grabstätte des Freundes.
Als die Beiden, Ricas und der Archon, sich wieder aufmachen wollten meinte der Spähexperte in einiger Entfernung jemanden in einer verwitterten Robe an dem Haus gesehen zu haben, das dort stand... aber ein Blinzeln später war er sich sicher, dass da nur ein Stofffetzen im Gebüsch hing. Wer würde auch schon diese Gegend aufsuchen? Ricas hatte mit dem Archonten zusammen eine gute viertel Stunde gebraucht um das Feld von Untoten zu säubern. Der Hauptmann meinte, sie würde am nächsten Tag wieder da sein... aber Solivar würden sie nun nicht mehr stören. Der Spähexperte zuckte mit den Schultern, und die Beiden entfernten sich von der Grabstätte. Immerhin, es gab Aufträge zu erledigen.

Die Suche nach dem Tod




Der Schamane wartete noch einige Minuten, bis er sich völlig sicher was dass die beiden Männer abgezogen waren. Er wollte nichts riskieren, außerdem hatte der Unbekannte ihn fast entdeckt. Hätte der Schamane nicht gerade einen kleinen Zauber parat gehabt, wäre er mit Sicherheit bemerkt worden... nun war er ja vorgewarnt. Der unbekannte Mann hatte eine sehr gute Wahrnehmungsgabe, bei ihm müsste man aufpassen.
Aber das alles war nicht er Grund, aus dem der Schamane auf dem Friedhof war. Er hatte die beiden Männer verfolgt, als sie den Sarg zum Friedhof getragen haben. Eigentlich ist er nur weggegangen um ein paar der nötigen Kräuter zu sammeln... aber etwa dergleichen konnte er sich einfach nicht entgehen lassen. Es wurde wieder jemand auf dem Balthasar Friedhof beigesetzt... ein Held Asmodaes, nach dem was er gehört hatte. Das war eine wunderbare Neuigkeit. Er hatte schon sehr lange keine Neuigkeiten mehr gehört... zu lange schon. Der Schamane lebte mit seiner Frau in einer Hütte, einiges an Weg außerhalb der Siedlung. Die Asmodier der Siedlung wollten nichts von ihnen wissen. Die Kunst der Magie sei 'unrein' meinten sie. Aber was für Magie sollte man auf Brusthonin denn schon üben? Das Land hatte nicht viel für Kleriker und ihresgleichen übrig, und auch arkane Magie war hier nicht ganz recht am Platze. Wer wollte es den Schamanen denn verübeln, dass sie auf die Geister zurückgriffen? Nun, scheinbar alle. Und so waren sie völlig abgeschnitten von der Außenwelt. Zu zweit, aber was war man schon zu zweit... Asmodae war groß, und es lief ein Krieg. Doch ihnen wollte man nicht einmal mitteilen wie es stand. Dabei waren sie doch auch Asmodier! Und wenn die Elyos nach Brusthonin kommen würden, dann würden sie auch mit Klauen und Zähnen, mit Flüchen und Steinen die Lichtanbeter von hier vertreiben. Sie würden den Archonten in nichts an Eifer nachstehen... aber nein, sie wurden ausgestoßen. Sie waren anders, sie wurden nicht verstanden.
Und sie hatten sich damit abgefunden. Aber jetzt, da es sich eine solche Gelegenheit ergeben hatte... war würde sie verpassen? Der Schamane nicht. Leise und sehr vorsichtig schlich er zum Grab des frisch beerdigten, kniete sich nieder, und begann seine Formeln zu murmeln. Sonderlich anstrengen musste er sich nicht – der Tote war zwar schon seit einer Weile in dem Zustand, aber es hatte nicht den Anschein als wäre er sonderlich froh darüber gehen zu müssen. Sein Geist versuchte sich noch immer an diese Ebene zu klammern, noch immer zurück zum Leben zu finden. Ihn zu beschwören war nicht gerade schwer.


~ ein paar Jahre später ~


„Verdammt!“
rief der junge Vigilant mit inbrünstiger Begeisterung, und sah dann zu Ricas. Der Spähexperte legte derweil seelenruhig einen weiteren Pfeil auf die Sehne.
„Leiser bitte. Man muss nicht mehr Aufmerksamkeit erregen als nötig.“
ermahnte er den Neuling, und hob den Kompositbogen erneut. Die Luft wurde angehalten, das Ziel fixiert... einen Augenblick verharrt und dann die Sehe losgelassen. Wäre nicht das Geräusch gewesen, dass den Abflug des Pfeils ankündigt, hätte der Neuling schwören können dass Ricas sich nicht einmal bewegt hätte... der Untote, den der Spähexperte anvisiert hatte hörte weder das Geräusch noch sah er Ricas und den Neuling. Er wurde lediglich einen haben Meter zurückgeschleudert von der Wucht des flachen Pfeils, der gerade seinen Schädel zerschmettert hatte.
„Mit dir die Wache zu übernehmen ist das beste was einem passieren kann.“
meinte der Neuling darauf, und legte sich bequem hin. Immerhin, er selbst hatte keinen Bogen, und Ricas würde einen Teufel tun und ihn auf einen Untoten hetzen. Die Gefahr einer Ansteckung der Krankheit war zu hoch... immerhin, viele von denen die gebissen oder gekratzt wurden starben kurz darauf, und schlossen sich der Armee der Untoten an. Das war keine sonderlich erfreuliche Tatsache, bedachte man doch den Fakt das die Toten, selbst wenn man sie verbrannte oder in Meer warf am nächsten Tag einfach wieder da waren. Daeva waren gegen diese Krankheitsübertragung immun, aber in Brusthonin waren kam Daeva oder Archonten stationiert. Und 'kaum' war nicht genug. Die Bewohner der Siedlung versuchten sogar von zeit zu zeit selbst aus dem Dorf zu gehen und diverse Sachen zu sammeln die es in den Sümpfen oder auf dem Friedhof gab. Das Luziferin der Funkler zum Beispiel wurde in Pandämonium sehr geschätzt und war somit eine der wenigen Geldquellen, die es neben der Landwirtschaft hier gab. Sie kamen von diesen Ausflügen auch zurück... meistens. Dieses 'meistens' hatte sich in den letzten Jahren nur zu einem massiven Problem entwickelt, denn nun schlichen die rastlosen Untoten sogar schon nahe der Dorfgrenze herum. Deswegen wurden Wachen aufgestellt... Ricas war praktisch ständig im Einsatz, da der Hauptmann erkannt hatte, wie gut der Spähexperte im Umgang mit dem Bogen war. Und wenn Ricas nicht gerade auf Wache war, dann spähte er die Bewegungen der Untoten Horde aus, um ungefähr zu wissen wohin sie sich als nächstes bewegen würden. Immerhin hatten sie es nie eilig, sondern stolperten mal da, mal hierhin... dennoch, einen gewissen Herdentrieb hatten die Untoten, und wenn genug in eine Richtung liefen, dann liefen andere ihnen nach... durchaus ein nicht zu verachtendes Gefahrenpotential. Heute gab es aber keine Aufklärungsaufträge, sondern nur ein paar Stunden Wacht in der Nähe des Dorfes. Nichts aufregendes, einfach nur in der Nähe der Straße hocken und vorbeikommende Untote beseitigen. Ricas hatte damit keinerlei Schwierigkeiten, er konnte die schleichenden Haufen Gammelfleisch aus guten einhundert Metern Entfernung ziemlich sicher treffen.
„Ah, unsere Ablösung kommt!“
„Nein... dafür ist es zu früh.“
erwiderte der Spähexperte, und drehte sich nicht einmal in Richtung des Dorfes um. Erst wurde ein weiterer Pfeil auf die Sehne gelegt, und ein weiterer Untoter zu Boden geschickt. Zumindest bis zum morgigen Tag würde er dort liegen bleiben...
„Da seid Ihr!“
rief man den Beiden vom Weg aus zu, und eine Fremde eilte zu ihnen. Nun wandte sich auch Ricas um, und musterte die Fremde. Ein Blick reichte schon um zu erkennen, dass sie nicht aus dem Dorf war... im Dorf kannte jeder jeden. Und die Frau war nicht von dort. Ricas brauchte nicht zu fragen, es war schon klar wer die Fremde war. Unvorsichtig, laut, nicht von hier, und ohne jegliche Begleitung unterwegs. Ja, ein klarer Fall.
„Daeva... wie können wir helfen?“
fragte er, und behielt den ruhigen, licht gelangweilten Gesichtsausdruck bei. Innerlich kochte er schon fast, dass die Daeva in ihrem fast schon leuchtend rotem Gewand sich nicht einmal hinkniete um nicht aufzufallen. Nein, sie musste sich wie ein Signalfeuer aufführen... und das schlimmste war, dass es ihr noch nicht einmal bewusst zu sein schien. Nun, der Spähexperte würde sie nicht darauf hinweisen, wo würde man denn landen wenn er, ein Sterblicher, eine Daeva zurechtweisen würde? Sie würde ihn glatt auf der Stelle filetieren oder vor den Gerichtshof der Schatten bringen, als irgendeinen Lepharisten. Von dieser neumodischen Bewegung hatte der Spähexperte nicht in Brusthonin mitbekommen... in Altgard hatte er mal mit ihnen zu tun gehabt, aber auf der insel waren sie, soweit er wusste, nicht vertreten.
„Wie kann man von hier aus am besten zum Grab der Legenden kommen?“
„Das ist eine ganz gefährliche Gegend dort... aber natürlich nicht für einen... ich meine eine Daeva... Ihr seid doch eine, oder?“
fragte der Neuling, und schaute die Daeva mit großen Augen an. Er hatte in seinem leben wahrscheinlich noch keine richtige, freie Daeva gesehen. Wenn, dann nur Archonten, und die waren ja eher wie Vigilanten für ihn.
„Ja bin ich, Kleiner.“
meinte die Frau, und lächelte ein unverfroren frohes Lächeln. Ricas hatte schon ziemlich lange niemanden so breit lächeln gesehen. Kein Wunder, wenn man tagtäglich vom Tod umgeben war... irgendwie weckte die Sorglosigkeit und Freude der Frau in ihm eine nicht gerade kleine Menge an Antipathie. Dennoch, er war Niemand der sich von Gefühlen leiten ließ, und behielt seinen Gesichtsausdruck bei. Bloß nicht genervt wirken, lautete das Motto.
„Wieso wollt Ihr denn dort hin? Liegt dort einer eurer Freunde?“
„Nein, nein... so alt bin ich nun auch wieder nicht. Ich soll von einem Freund ein Andenken auf das Grab eines der Gefallenen legen... wie war der Name doch gleich..? Ach, egal, ich hab ihn mir irgendwo aufgeschrieben. Also, wohin muss ich denn nun?“
Ricas hatte nicht vor den Neuling noch eine Frage stellen zu lassen, und beschrieb den Weg den die Frau nehmen solle. Sie bedankte sich, und brach dann auch gleich auf. Einen Augenblick wunderte sich Ricas, ob man wirklich so leichtsinnig wurde, wenn man wusste das man nicht sterben konnte. Nun, von ganz besonderen Fällen wie dem Kämpfen in einem abgelegenem Teil des Abyss abgesehen.
„Die fürchtet sich vor rein gar nichts...“
„Nichts, was ich bewundern würde, wenn ich du wäre.“
meinte Ricas, und lehnte sich an einem Baumstumpf, der direkt neben dem Gestrüpp stand, hinter dem sie sich vor der Sicht der Untoten versteckten.


„Melde mich zurück von Wachdienst, Herr Hauptmann.“
„Berichte.“
„Siebenunddreißig Untote sind während meiner Wacht in die Nähe des Dorfes gekommen. Keine besonderen Vorkommnisse, alle Untoten wurden ausgeschaltet. Schwierigkeiten und besondere Vorkommnisse gab es keine... eine Daeva ist zum Grab der Legenden aufgebrochen, am späten Nachmittag, gegen siebzehn Uhr. Wir haben nicht gesehen ob sie zurückgekommen ist. Das wars.
„Wie viele Pfeile hast du diesmal verbraucht?“
„Achtunddreißig... ein Untoter ist gestolpert. Aber ich habe einundzwanzig Pfeile wieder aufgesammelt, sie waren nicht beschädigt. Effektiver Verlust – siebzehn Pfeile.“
„Jaja, ich kann schon selbst rechnen, Ricas. Und hör endlich auf mit diesen knappen Zusammenfassungen, wie oft soll ich es noch sagen? Wir sind hier nicht im Abyss. Werde mal ein wenig geselliger...“
„Ich werde schauen was sich machen lässt, Herr Hauptmann.“
„Als ob...“
murmelte jener zur Antwort, und seufzte. Alles in allem liefen die Dinge in letzter Zeit nicht so schlecht. Die Bewohner verließen das Dorf nicht mehr, seit bekannt gegeben wurde dass die Zahl der Untoten sich deutlich erhöht hatte, und die Felder machten insgesamt einen guten Eindruck. Zwar gab es nicht viel, aber immerhin fingen Sachen an zu gedeihen. Und Progusse. Einer der neuen Farmer ist auf die Idee gekommen eine kleine Porguszucht aufzumachen... nun, solange die Viecher sich nicht an den Vorräten der Soldaten vergriffen war es dem Spähexperten eigentlich egal. Aber ja, letztlich schien es langsam wieder bergauf zu gehen.
„Und mit dieser Daeva... bist du dir sicher, dass sie nicht wieder zurückgekommen ist?“
Der Spähexperte schenkte dem Hauptmann einen Blick, der ihm alles ziemlich genau darüber aussagte, wie man jemanden in hellroten Kleidern inmitten von NICHTS übersehen könnte.
„Völlig sicher. Vielleicht hat sie ja eine Schriftrolle zur Teleportation genutzt, Solcherlei soll es ja geben.“
„Hm... richtig, gibt es. Was hieltest du eigentlich davon, wenn du dir morgen den Tag frei nimmst, und mal wieder das Grab deines gefallenen Freundes besuchst?“
„Und mich dann mal ganz zufällig in der Nähe des Grabes der Legenden nach einer Daeva in rot umsehe?“
„Das macht dir sicher keine Umstände.“
Nun war es an dem Spähexperten zu seufzen.
„Natürlich nicht, Herr Hauptmann.“
„Bestens. Nun, dann geh und erhole dich. War sicher ein mühseliger Tag.“
„Ja, man musste fast schon aufwachen für diesem Wachdienst...“
spottete der Spähexperte leise, und rollte mit den Augen. Der Hauptmann grinste, und klopfte ihm auf die Schulter.
„Nicht gerade die beste Antwort, aber immerhin ein Anfang. Schön dass ich mich immer auf dich verlassen kann, Ricas.“
„Immer doch. Blut für Blut, Hauptmann.“
„Blut für Blut, Ricas.“


Noch am selben Abend wurde das Grab des Priesters besucht... aber nicht von Ricas. Ein paar Stunden vor dem Wachtende des Spähexperten kam erneut der Schamane zum Grab des Gefallenen. Seit Jahren kam er schon zum Grab, seit Jahren beschwor er den Priester, seit Jahren unterhielt er sich mit ihm. Der Schamane hatte zuerst das Leben des Priesters in Erfahrung gebracht, dann unterhielt er sich mit ihm über die Zustände in der Welt... und dann kam dem Schamanen die Idee, dass er neben seiner Magie noch die klerikale Magie erlernen könnte. Das würde bedeuten, dass er wieder in de Gesellschaft eintreten können würde. Ein Traum würde in Erfüllung gehen... und mit den Bemühungen der letzten Jahre hatte er alles versucht, was der Geist des Priesters ihm erzählt hatte, um diese Art der Magie zu erlernen. Doch es hatte keinen Sinn - kein einziger Zauber gelang dem Schamanen. Alle Schritte der Vorbereitung, die der Geist ihm erzählt hatte, hatte der Schamane perfektioniert. Dennoch, Nichts wollte gelingen. Dieses mal sollte es die letzte Beschwörung werden. Wenn erneut nichts funktionieren würde, dann hatte der Priester sich vorgenommen die Seele des Priesters zu bannen. Dafür hatte er sich die Kugel eines Lichs erbeuten lassen, ein mächtiges Werkzeug wenn es um Magie mit Seelen ging.
An der Grabstätte angekommen kniete der Schamane sich hin, berührte die Erde des Grabes, fuhr durch das abgestorbene Gras mit seinen Fingern... spürte den kalten Wind, das rascheln der toten Blätter auf dem Boden, die letzten Strahlen des Lichtes für den heutigen Tag... im Einklang mit der Natur wirkte er seine Magie, und flüsterte seine Beschwörung:

"Geist, erhöre mich! Erhöre mich, und erscheine! Ich beschw..."

Doch er kam nicht dazu auszureden - der Geist war bereits erschienen. Dem Schamanen huschte ein flüchtiges Lächeln über das Gesicht. Wenn er auch schon keine klerikale Magie wirken konnte, im Beschwören wurde er dafür immer besser. Nun brauchte er noch nicht einmal die Formel zu beenden.

"Schamane..."

Hauchte der Geist, und richtete die schemenhaften Augen auf den untersetzten Mann.

"Erneut habe ich dich gerufen, Geist, und erneut..."

"Schamane... du hast gesagt, du würdest mir wieder einen Körper geben. Du hast versprochen mir mein Treffen mit Lord Marchutan zu ermöglichen. Wann wirst du zu deinem Versprechen stehen, Schamane...?"

Der Schamane verlor kurz die Fassung, gewann sie aber rasch wieder. Für gewöhnlich unterbrachen Geister ihre Beschwörer nicht, wenn diese sprachen. Aber es passierte wohl doch gelegentlich, wenn es dem Geist wirklich wichtig war.

"Ich weiß, dass du dich nach einer Form in unserer Welt sehnst, Geist. Und ich werde mein Versprechen erfüllen - nachdem du mir endlich das letzte Geheimnis verrätst. Bringe mir endlich den Schlüssel zu der Magie der Priester bei, dann sollst du deinen Körper haben. Dann sollst du wieder unter den Lebenden wandeln."

"Ja... das habe ich schon gehört. Schon oft, sehr oft habe ich das von dir gehört, Schamane..."

"Aber ich kann noch immer keine Priestermagie wirken, Geist! Noch immer nicht! Du hast deinen Teil der Abmachung noch nicht erfüllt, warum sollte ich es dann tun?"

Ein Augenblick der Stille folgte, an dem der Geist sich umsah, oder zumindest so tat als ob. Geister konnten die Welt der Lebenden nicht so wahrnehmen wie die, die tatsächlich lebten. Nach einer Weile schien es fast, als habe der Geist vergessen, dass der Schamane überhaupt existiere. Selbiger räusperte sich, und wollte gerade mit der Befragung fortfahren, aber der Geist kam ihm zuvor.

"Schau auf das Gras an meinem Grab Schamane. Schau, und sage mir... hast du dich jemals gewundert?"

Erneut verlor der Schamane leicht die Fassung. Das Gespräch lief ziemlich eigenwillig, fiel es ihm auf. Irgendetwas war nicht ganz richtig, dachte er sich... aber die Frage des Geistes hatte etwas an sich, dass ihn tatsächlich zur Grabstätte des Priesters blicken ließ. Er sah das Gras, aber mit dem Gras war nichts besonderes. Es war schon, wie seit gut einem Jahr, verdorrt. Es gab Zeiten, da hatte es wieder angefangen zu sprießen, aber nie hatte das lange gehalten. Immer welkte es, wenige tage nach dem Erscheinen.

"Es ist abgestorben, Geist. Wie schon seit langer Zeit."

Der Geist sah selbst, schwerfällig und langsam nach unten, auf das besagte Gras.

"Das ist es tatsächlich. Vor fast einem Jahr hat es angefangen zu sterben, Schamane. Aber du hast dich nie gewundert. Dich nie gefragt - 'wieso?'. Du hast es hingenommen. Genau so hast du es hingenommen, dass ich mich nach dem Leben sehne. Du hast es hingenommen, dass ich dir glaube. Es für gegeben gehalten, dass ich dir tatsächlich bei deinem Versuch helfe... weil ich dir vertraue. Weil ich auf dich meine Hoffnungen setze. Aber das ist falsch, Schamane. Du hast dich geirrt. Du hättest dich fragen sollen, wieso das Gras abgestorben ist. Du hättest dich fragen sollen, warum du immer besser wurdest im Beschwören. Du hättest dich fragen sollen, wie lange ich dir noch glauben werde. Aber das hast du nicht."

Nun wurde dem Schamanen die ganze Sache wirklich nicht geheuer, und er trat ein paar Schritte von dem Geist zurück, der noch immer auf das Gras schaute.

"Was meinst du..?"

fragte der Schamane leise, und merkte dass sein Herz etwas schneller klopfte als üblich. Ja, er hatte nie vorgehabt den Priester zurück ins Leben zu holen, und er hatte ihn ausgenutzt... geglaubt er könnte das so lange machen wie er wollen würde.

"Du hast mich beschworen um zu lernen... und ich habe mich beschwören lassen. Ich habe mich nicht gewehrt, ich habe es geschehen lassen. Und das nicht, weil ich dir glaubte. Nicht, weil ich dir vertraute. Nein... denn eigentlich war ich es, der gelernt hat. Um mich zu rufen nutzt du die Energie lebender Wesen, das weiß ich. Was opferst du eigentlich, um mich zu rufen? Funkler? Octasiden? Es spielt eigentlich keine Rolle. Leben ist Leben, nicht wahr, Schamane? Hier, um uns herum... ist der Tod. Hier gibt es kein Leben... denkst du. Aber es gibt hier Gras, Schamane. Und in der Erde, da gibt es auch Leben. Leben, dass sich vom Tod ernährt... widerwärtiges, ekelerregendes Leben, das in Fäulnis und Schmutz vegetiert. Ich habe von dir gelernt, Schamane."

sprach der Geist, und richtete dann den Blick vom Boden wieder auf den untersetzten Mann, der nun begann zu verstehen. Dessen Gesicht nun langsam immer bleicher wurde, und dessen Hände begannen zu zittern. Auf den Mann, der es bedauerte seiner Frau nichts von diesen Gesprächen mit dem Geist erzählt zu haben, der sein Knieleiden nun in Gedanken verfluchte... und sich nicht von der Stelle rühren konnte. Denn er verstand nicht nur, er sah auch. Er sah die klaren Augen des Geistes. Ja... sie waren klar, und nicht länger Schemenhaft. Es kostete der Schamanen viel Willenskraft um den Blick abzuwenden, auf den Boden. Auf das tote Gras... und er sah, dass das Gras nun niedergedrückt wurde von dem Fuß des Geistes. Er sah den Schatten des Geistes... der immer deutlicher wurde. Der Schamane stolperte ein paar Schritte zurück, den Blick auf den Geist richtend, der nun immer mehr zu einem Teil der Welt zu werden schien.

"WIE?"

stieß der Schamane aus, kurz bevor er über einen Stein stolperte und nach hinten fiel. Er wollte wegkriechen, aber der Fuß des Geistes hinderte ihn daran... indem der Geist ihm den Fuß mitten auf die Brust presste.

"Ich habe schon mal geglaubt, Schamane. Geglaubt und vertraut. Ich habe im Glauben gelebt, Schamane! Und siehe, was aus mir geworden ist. Abgeschlachtet von den Feinden, der Willkür eines alten, kauzigen Mannes ausgesetzt, der nur auf seinen eigenen Vorteil aus ist."

Der Geist erhöhte der Druck auf den Brustkorb des alten Mannes, der nur ein Röcheln zustande brachte. Der Geist scherte sich nicht darum, er sah sich um und atmete mit geschlossenen Augen tief die Luft ein... ehe er sie wieder ausstieß, und sich wieder dem Schamanen zuwandte.

"Fäulnis, Verderben... Moder, Zerfall... und Tod. Das alles umgibt diesen Ort. Das ist aus der Treue und der Opferungsbereitschaft der Rothimmellegion geworden. Das ist aus mir geworden, Schamane. Aber mach dir keine Sorgen, alter Mann. Dir wird das nicht zustoßen. Du bist weder mutig noch tapfer, und erst recht nicht voller Glauben und Selbstlosigkeit. Nein... du bist schon wie dieses Land. Tot und verfault... vermodert bist du. Aber im Inneren. Deine Seele ist schon lange Opfer deines Geistes geworden. Du hast keine Ehre, keinen Stolz... nein, dich zu töten würde dir nicht helfen."

Meinte der Geist, und trat noch einmal kräftig auf den Schamenen, ehe er den Fuß von selbigen runternahm. Der Schamane schnappte erst einmal nach Luft, und versuchte ein wenig Distanz zwischen ihn und den Geist zu bringen... aber die Hände zitterten ihm -ob vor Angst oder wegen dem Alter, das wusste der Schamane nicht- und die Steine rutschten unter seinen Griffen weg. Der Geist schritt seelenruhig an die Seite des Schamanen, und kniete sich neben diesen, der nun alle Fluchtversuche sein ließ, und die Tränen aufkommen spürte. Er sah seinen Tod nahem, auch wenn der Geist ihm gesagt hatte, dass er ihn nicht töten würde.

"Ich weiß etwas besseres für dich, Schamane. Du, der du dich hier windest wie eine Made unter meinem Grabe, du sollst das selbe Schicksal teilen wie sie..."

sprach der Geist, und legte dem flehenden Schamanen die Hand auf den Kopf. Energie begann zu fließen, farbige Blitze zuckten vom Körper des Schamanen, der noch immer versuchte um Gnade oder Verschonung zu bitten... endlich fasste sich der Schamane wieder, und griff nach der Hand des Geistes, versuchte sie von seinem Kopf wegzuziehen... aber das war schier unmöglich. Die Hand war wie aus Stahl, und schien immer mehr an Stärke und Kraft zu gewinnen. Der Schamane verstand, dass der Geist ihm seine eigene Lebensenergie entzog, und er griff nach der Kugel. Aber als seine Finger sie umschlossen fühlte der Schamane schon nichts mehr, klammerte sich nur an den Gedanken fest nicht zu sterben... für einige Augenblicke reichte es. In dem letzten dachte er an den Ätherfluss, in den er nun eingehen würde. Immerhin, dachte der Schamane sich, befreit von dem Schmerz seines Körpers, immerhin werde ich hier wieder Teil vom Ganzen.
Er irrte sich sehr, aber das sollte er nicht erfahren. Solivar erhob sich von der Leiche des Schamanen, und stieß einen lauten Schrei aus. Keinen Schrei der Qual und des Schmerzes, nein, es war ein Schrei voller Energie und Macht. Die Seele des Schamanen war nun in ihm, mit all der Energie die ihm geblieben ist... und das war viel mehr als die paar Maden, Würmer und Gräser gehabt hatten.
Solivars Atmung ging schnell, seine Hände zitterten, und ihm war sogar ein wenig schwindelig... aber das störte den Geist nicht. Im Gegenteil, er fühlt sich wieder lebendig. Er hatte sich die Magie des Schamanen zunutze gemacht, und gelernt sie anzuwenden - auf sich.

"Stirb!"

rief plötzlich eine hohe Stimme hinter Solivar, der sich gerade noch rechtzeitig umwandte um einen heranfliegenden Feuerpfeil zu sehen - und ihm auszuweichen. Es war leicht... schon im Leben wusste Solivar wie man kämpft, und nun, als Geist, fielen alle Bewegungen ihm um ein Vielfaches einfacher.
Ein Blick in die Richtung, aus der der Feuerpfeil gekommen ist, verriet dem Geist mit wem er es zu tun hatte. Eine scharlachrot gekleidete Frau stand dort, beide Hände in die Luft erhoben, bereit einen neuen zauber auf ihn loszulassen.

"Warte!"

rief Solivar, doch die Frau hörte ihn nicht, oder wollte ihn nicht hören. Jedenfalls vermittelte der nun auf Solivar fliegende Feuerball von dem Ausmaß einer Tür diesen Gedanken. So gut die Magierin aber auch gezielt hatte - für Solivar war es kein Problem zwei Meter zur Seite auszuweichen. Er brauchte nur zu schweben, mehr nicht. Das verbrauchte sogar weniger Energie, als die wirklich feste Form.

"Monster!"

Rief die Frau, und begann erneut einen zauber zu weben.

"So halte doch ein! Ich will dich nicht bekämpfen!"

entgegnete Solivar, aber das half nichts. Die Flammenwalze die folgte war schwerer zu umgehen, aber auch das bekam der Priestergeist noch hin. Es leuchtete ihm ein, dass er diesen Kampf nicht mit Worten gewinnen könnte...

"Du hast ihn kaltherzig umgebracht! Monster wie du verdienen es nicht unter uns zu wandeln!"

Schrie die Fremde nun, und das brachte den Geduldsfaden des Geistes zum reißen. Er hatte es nicht verdient? Er? Nein... er hatte es verdient, und wie er es verdient hatte. Mehr als Maethir, mehr als Ricas. Mehr als der Schamane, der so lange gelebt hatte. Ja, er, Solivar, hatte es verdient zu existieren, gar ein Daeva zu sein! Doch die Frau wollte das nicht wahrhaben, sie lud ihre Zauber nun weiter auf, und ausgehend von der Energie die plötzlich die Luft erfüllte setzte sie zu einem mächtigen Schlag an. Solivar hatte allerdings nicht vor, sein Dasein, sein hart erkämpftes Dasein jetzt schon aufzugeben. Rascher als es ein lebendes Wesen gekonnt hätte überbrückte er die Entfernung zur Magierin, die nur die Augen vor Schreck öffnen konnte...


Der nächste Tag versprach schon am morgen regnerisch zu werden. Ricas ließ sich von den dunklen Wolken allerdings nicht abhalten. Die Rüstung wurde gefettet und angelegt, der Bogen an dem dafür vorgesehenen Gürtel am Rücken befestigt, der Köcher auf den Rücken geschnallt. Auch das Schwert wurde nicht vergessen, und so, in voller Montur, trat der Vigilantenführer aus den Unterkünften. Es ging zum Grab des verstorbenen Freundes, deswegen wollte er nicht aufbrechen wenn ein Unwetter toben sollte. Immerhin, als er nach draußen trat merkte er dass nur eine laue Brise wehte. Zu schießen sollte also kein großes Problem darstellen...

"Hauptmann möchte gewiss etwas ganz besonderes kaufen, nicht wahr, jangjang?"

hörte er dann einen der fahrenden Shugohändler sagen, als er an dem Stand von selbigem vorbeiging. Der Hauptmann war weit und breit nicht zu sehen, und der Shugo sah den Spähexperten an.

"Ich gebe nicht mehr Kinah aus, nur wenn du mich mit einem hohen Rang ansprichst, Shugo."

"Nicht Hauptmann? Aber Ausrüstung wie einer, Jang! Ich bin mir sicher etwas für Euch zu haben, wenn Ihr nur nicht beleidigt auf einen armen kleinen Shugo seid... jang?"

Ricas hatte schon einige male mit Shugohändlern zu tun gehabt, und mittlerweile war er sich ziemlich sicher dass diese Wesen überhaupt keine Gefühle empfanden - bis auf die Freude wenn sie ein gutes Geschäft gemacht hatten. Er traute ihnen nicht einmal soweit wie er einen Pfeil werfen, geschweige denn schießen konnte. Aber immerhin, sie hatten durchaus gelegentlich nützliche Sachen zu Verkaufen.

"Nagut, Shugo... was hast du anzubieten, hm?"

"Asmodier mit guter Ausrüstung zu Grab von Freund will, jang? Shugo hat gehört Freund sei groooßer Kleriker gewesen. Habe ein Amulett hier, jang, schau, Asmodier!"

meinte der Shugo, und zog aus einem unter dem Tresen stehenden Kästchen ein glänzendes Amulett. Es war im Grunde nicht besonders auffällig, aber...

"Das Insignia von Lord Marchutan, jangjang! Eine originale Nachbildung des Originals, aus hochwertigem Gold, von großem Shugohandwerker gemacht."

Ricas sah sich das Amulett an, nahm es kurz in de Hand, und gab es dann dem Shugo zurück.

"Nein danke. Was sollte ich überhaupt damit?"

"Shugo dachte, Asmodier will vielleicht das Amulett bei Grab von totem Freund hinlegen. Freund hätte das Amulett sicher gefallen, jangjang!"

"Wahrscheinlich, ja. Aber er ist tot. Ein Amulett ändert nichts an dieser Tatsache. Und ich werde ganz sicher kein Amulett kaufen, um es bei seinem Grab abzulegen, nur damit ein zufällig in der Gegend vorbeikommender Shugo es dort findet, und mitnimmt. Schönen Tag noch."

meinte der Spähexperte, und ließ den Shugo einfach stehen. Der war nicht gerade begeistert von der Reaktion seines potenziellen Kunden, aber man konnte ja nicht immer einen guten Handel abschließen. Eine nächste Chance würde sich bald auftun, immerhin - sonderlich häufig waren Shugo Wanderhändler ja nicht in der Siedlung.


Ricas hatte sich nicht getäuscht, was das Wetter anging. Der Wind nahm zu, und die dunklen Wolken bewegten sich immer schneller vom Horizont auf die Siedlung zu. Ricas korrigierte den Sitz des Bogens auf seinem Rücken, und schlich von seinem Versteck im Schatten eines Hauses zu einem nahen Gebüsch. Der Boden war übersät mit Steinen, es war nicht gerade einfach sich lautlos fortzubewegen. Die Untoten hatten die Gegend des Friedhofs bereits praktisch verlassen, es waren als zum Glück nur wenige da. Einen Blick in alle Richtungen später beschloss Ricas den Bogen doch lieber in die Hand zu nehmen. Man sollte nicht unvorsichtig werden... nicht wenn das eigene Leben auf dem Spiel stand.
Vorbei an einem Feld von dürren und verwachsenen Bäumen kam der Spähexperte in die Nähe eines weiteren Hauses. Die verlassenen bauten waren perfekte Möglichkeiten zur Deckung, aber Ricas legte immer erst ein Ohr an die Wand und lauschte. Wenn man gerade an einem Fenster vorbeischlich konnte man es nicht gebrauchen dass einen von innen aus dem Haus ein Untoter anfiel.
Er hörte nichts. Ein Wunder war es nicht - es war immerhin auch Niemand im Haus, wie er herausfand. Das war zwar erfreulich, aber nach einigen weiteren Metern, einigen Deckungen und dann wieder einigen Dutzend Metern beschlich den Spähexperten ein ungutes Gefühl. Es lag nicht am Wetter, und an den immer schlechter werdenden Sichtverhältnissen, es lag auch nicht am Wind, der ihm das schießen auf größere Entfernungen wahrhaftig unmöglich machen würde. Nein... es lag daran, dass er einfach keine Untote in der Nähe ausmachen konnte. Sie mochten ja mal in die eine, mal in die andere Richtung ziehen... aber sie verließen den Friedhof nie vollständig. Und doch schien es so... Ricas entschloss sich dazu seine Deckung aufzugeben, und den Rest der Entfernung über offenes Geländer zu sprinten. ihm war bewusst, dass es ein unnötiges Risiko war... aber immer nur nach Kopf handeln konnte er auch nicht. Außerdem wusste er - je schneller er hier wieder weg war, desto besser. Ein schneller Ausflug zum Grad des Freundes, und dann noch schnell sich beim Grab der Legenden umsehen. Mehr nicht. Es sollte schnell gehen.

Ricas hoffte tatsächlich ohne große Überraschungen zu Solivars Grabstätte zu gelangen... und es wäre ihm auch fast gelungen. Fast. Das, was ihn überraschte, war ein rotes Gewand in der Nähe des Grabes. Als er näher kam stellte der Spähexperte fest, dass die Frau die es trug noch immer in selben war... und zwar regungslos am Boden. In der Nähe schien kein Gegner (oder überhaupt irgendjemand) zu sein, aber Ricas entschloss sich dennoch mit erhöhter Vorsicht an das Ganze heranzuschleichen. Die Frau war eine Daeva, sie würde nicht ohne Grund am Boden liegen. Sie könnte sich ja jederzeit zurück zu ihrem Obelisken retten, der ihre Seele hielt... etwas musste sie noch dort halten.
Der Wind begann heftiger zu wehen, und an Horizont konnte Ricas bereits Regenfall ausmachen. Es würde zwar noch etwas dauern bis das Unwetter gänzlich ankommen würde, aber so viel Zeit hatte der Spähexperte nun auch nicht. Um die Frau herum gab es keine Deckung, er würde sich in offenes Gelände begeben müssen... der Asmodier bisssich auf die Lippe. Sein sechster Sinn schwieg, und eine Gefahr konnte Ricas noch immer nicht ausmachen.

"Azphel... wache bitte über mich."

sprach der Spähexperte ein Stoßgebet -ein sehr selten vorkommendes Ereignis- und befestigte den Bogen wieder am Rücken. Stattdessen zog er lieber das Schwert... und es folgte ein Sprint zur am Boden liegenden Frau. Ricas' Herz klopfte auch so schon schneller, und nach dem Sprint wurde es nicht gerade besser. Bei der am Boden liegenden angekommen warf er ersteinmal einen Blick in alle Richtungen, hörte so gut es ging auf jedes noch so kleinste Geräusch... aber nichts. Auch nach einer Weile tauchte kein Feind auf, nichts offenbarte sich.
Mit einer raschen Geste wischte sich der Spähexperte den Schweiß aus der Stirn, und erlaubte sich einen Blick auf die Daeva. Der erste Gedanke der ihm in den Sinn kam war - sie war tot. Aber das war nicht möglich, Daeva starben nicht. Nicht in solchen Gebieten... ihr Obelisk hätte sie beschützen müssen, sie retten müssen. Aber der Körper war eiskalt, und außerdem in einer Totenstarre. Was Ricas aber am meisten verstörte, waren die leeren Augen. Sie hatte keine Pupillen mehr. Die Augen waren einfach nur noch weiß.
Das beklemmende Gefühl das ihn schon die ganze Weile über verfolgte machte bei dieser Entdeckung nicht gerade Anstalten zu verschwinden... nein, im Gegenteil - Ricas verstand dass ER so schnell es ging verschwinden musste. Was auch immer die Daeva getötet hatte - weit konnte es nicht sein. Aber er musste dem Hauptmann irgendeinen Beweis bringen... etwas handfestes.
Der Spähexperte fluchte. Leise.
Danach veränderte er den Sitz des Bogens auf dem Rücken, und warf sich die vermeintlich tote Daeva über die Schulter. Mit dem Schwert in der Hand nutzte Ricas seine Übung im ausdauernden Laufen, und nahm die ihm bekannte, schnellste und sicherste Route zurück zur Siedlung. Er hatte Glück - Untoten begegnete er nicht.

„Los!“
Befahl Ricas dem Archonten, der sich darauf in Windeseile zum Hauptmann des Dorfes aufmachte. Der Spähexperte hatte ihm eine kurze Schilderung dessen geliefert, was ihm passiert ist, mehr war nicht nötig. Ricas selbst trug noch immer die reglose Daeva, und war froh dass er seine Ausdauer auch in der Siedlung noch trainiert hatte. Das kam ihm jetzt zugute, auch wenn er merkte, dass er sich damals, beim Klettern auf dem Turm des Impetrusiums, nicht so sehr anstrengen musste als bei dem Lauf in die Siedlung.
Doch der Gedanke wurde verworfen, man konnte sich noch später mit der eigenen körperlichen Verfassung beschäftigen – es ging gerade um etwas mehr als um Trainingspausen. So verharrte der Spähexperte nicht lange, sondern machte sich auf den Weg zur Seelenheilerin. Der musste die richtige Person für das... Problem... sein.

Es dauerte nicht lange, da beendete der Seelenheiler seinen Zauber und erhob sich.
„Es... tut mir leid. Ich kann hier nicht helfen.“
Einen Augenblick lang fragte Ricas sich, ob Seelenheiler denn überhaupt zu etwas taugten... aber er zügelte seinen Ärger sofort. Es war nicht die Zeit für Emotionen. Es war nie die Zeit für Emotionen, sie vernebelten nur die klare Sicht auf die Dinge.
„Was heißt das genau?“
beschloss er nachzufragen. Das würde nicht schaden...
„Nun... sie war eine Daeva, ganz eindeutig. Ich spüre noch immer diesen hauch des Äthers um sie. Doch ihre Seele... ist nicht mehr da. Die Seele ist die Essenz eines Wesens, und Daeva können sie an Obelisken binden. Ja, jeder Daeva hat sich an irgendeinen Obelisken gebunden, selbst wenn er keinen ausgewählt hat. Und wenn noch irgendein Obelisk in der Nähe ist, dann kann die Seele gerettet und übertragen werden, wenn nötig, dann zu dem einen Obelisken an den sie sich gebunden hat. Aber hier ist das nicht passiert. Ihre Seele ist fort. Weg. Als hätte es hier keinen Obelisken gegeben...“
„Ist der Obelisk vielleicht defekt..?“
„Obelisken werden nicht 'defekt', Späher. Und selbst wenn, dann hätte sie ein anderer gerettet. Es gibt einige von ihnen auf Brusthonin, und selbst der Entfernteste hätte sie aufgefangen.“
erklärte die Seelenheilerin, und trat vom Körper der Daeva zurück. Der Wind nahm ein wenig ab, aber dafür begannen nun die ersten Regentropfen zu fallen... dafür das es noch Tag war, war das Wetter ziemlich düster. Und Niemandem war danach, als wäre das Azphels Schatten der da auf sie fiel...
„Ihre Seele muss ihr entwendet worden sein.“
sprach sie, und gab allen Umstehenden einen Augenblick um die Tragweite der Worte zu verstehen. „Was für Blasphemie ist das hier?!“
Donnerte eine Stimme über den Platz bis zum Tempel, vor dem der Seelenheiler stand. Surt, der Hauptmann, kam in seiner Rüstung den Hügel hinauf, in Begleitung von zwei Archonten. Surts Miene drückte nicht gerade Fröhlichkeit aus.
„Daeva, tot? Hier in Brusthonin? Ricas, was muss ich mir da für einen Schwachsinn anhören? Hast du deinen Verstand verloren?!“
wetterte der Hauptmann, völlig unbeeindruckt von den Zuschauern, die sich versammelt hatten.
„Seht es Euch an.“
Erwiderte der Spähexperte, in einem sachlichen Tonfall, und deutete auf die Leiche. Denn eine Leiche war das wohl...
Der Hauptmann sah sich die Tote an, schwieg für einen Augenblick...
„Dann ist diese Frau keine Daeva, und nie gewesen. Du hast dich wohl getäuscht, das passiert auch dir. Senere, klär ihn auf, damit wir uns wieder unseren wichtigeren Tätigkeiten widmen können.“
sprach der Hauptmann zur Seelenheilerin, doch diese machte keine Anstalten diesem Wunsch nachzukommen.
„Es tut mir Leid, Herr Hauptmann, doch Ricas hat Recht. Diese Frau ist eine Daeva, übrigens ist sie hier durch einen Teleport aufgetaucht. Eine von diesen Kugeln von den Schwarzwlkenhändlern. Wie Ihr wisst, Hauptmann, können diese Perlen nur von Daevas benutzt werden, da sie ja wie eine gewöhnliche Teleportation funktionieren. Ein Sterblicher würde dabei vom Äther zerrissen werden.“
„Habt Ihr Euch denn hier gegen mich verschworen?“
fragte der Hauptmann in die Runde, und trat an die Leiche heran, streckte eine Hand aus, und schloss die Augen. Als er die Augen wieder öffnete und die Hand senkte, trat ein ungläubiger Ausdruck in seine Augen...
„Unmöglich...“
flüsterte er, und man sah deutlich, dass er gerade einiges an Farbe im Gesicht verlor.
„Herr..?“
fragte einer der Archonten, die mit Surt gekommen waren, und wischte sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Der Hauptmann sah aber nur die Leiche mit leerem Blick an – er begann zu verstehen, was das Ganze hieß. Es dauerte dann auch ein paar Augenblicke, bis der Hauptmann sich wieder fasste.
„Holt mir Tinte und Papier, und schafft mir einen Boten her, und das schnell!“
Rief er in die Menge, die sich darauf ziemlich rasch zerstreute.
Papier und Tinte gab es schnell, immerhin fand sich ein Händler in wenigen Metern Entfernung, der Besagtes immer parat hatte. Man musste ja schließlich die Zahlen aufschreiben. Die Theke diente dann auch gleich als Tisch, eine kleine Überdachung schützte vom Regen... und so wurde ein Brief hastig aufgesetzt. Der Empfänger? Balder, der Hohepriester.
Auch ein Bote wurde rasch gefunden, ein altgedienter Archon, der einst der Rothimmellegion angehört hatte (und Ricas sein neues Schwert ausgehändigt hatte), meldete sich dafür freiwillig. Ihm wurde der Brief ausgehändigt, er würde ihn auch ohne Siegel überbringen können. Der Archon brach auf der Stelle auf.

„Und was machen wir nun?“
fragte der zweite Archon, der mit Surt gekommen war, wobei er den Hauptmann ratlos ansah. Versehen konnte man diese Orientierungslosigkeit gut – es gab nicht viele Archonten in der Siedlung, aber sie haben immer den größten Schutz geboten. Sie waren die, die auf die unmöglichsten Aufträge gingen, sie waren die, die all das erledigen konnten, was zwar getan werden musste, wozu aber kein Sterblicher den Mut gehabt hatte.
Und nun gab es außerhalb der Siedlung etwas, das auch sie töten konnte. Etwas, das selbst die Unsterblichen das Fürchten lehrte. Und das gewaltig.
„Wir verstärken unsere Präsenz. Wachten werden nun mindestens zu dritt geführt, und Rund um die Uhr muss jedermann bereitstehen. Und außerdem... sammelt mir eine Gruppe von fünf Archonten. Freiwilligen. Sie sollen sich das dort draußen mal ansehen. Gewöhnliche Untote werden für sie kein Problem sein, und wenn das auftaucht, was auch immer das hier getan hat...“
sprach der Hauptmann und zeigte auf die drüben beim Obelisken liegende Leiche, bei der noch immer die Seelenheilerin stand,
„... dann werden sie es entweder besiegen, oder mindestens einer wird zurückkehren und berichten können, womit wir es hier zu tun haben. Sie werden morgen früh, beim Tagesanbruch losziehen. Das Unwetter wird sich nicht so schnell legen. Derweil sorgt dafür, dass die Wachen in Alarmbereitschaft versetzt werden, und verlegt ihre Position näher an das Dorf.“
befahl der Hauptmann, und wandte sich an Ricas.
„Ricas... gute Arbeit. Du hast vermutet dass sie tot ist, und bist nicht abgehauen wie die Meisten, sondern hast sie hergebracht. Wer weiß, ob sie morgen noch dort gelegen hätte... das war eine sehr gute Entscheidung, und eine vorbildhafte noch dazu. Als Held Asmodaes machst du dir alle Ehre... für einen Sterblichen. Gib beim Schmied ein paar Dutzend Pfeile in Auftrag, wie du sie brauchst, wir werden sie bezahlen. Und nimm dir neben heute noch morgen frei. Danach werden wir dich aber wahrscheinlich schwer beanspruchen. Und falls jemand aus Pandämonium kommen sollte, wirst du dich auch mit ihm oder ihnen unterhalten.“
„Jawohl...“
„Ab mit dir, sonst wirst du noch krank.“
meinte der Hauptmann, und sah zu, wie der Spähexperte sich entfernte. Surt seufzte einen seiner bekannten, theatralischen Seufzer... nur das diesmal Niemand in der Nähe war um es zu hören.
Selbst die Seelenheilerin war nicht auf ihrem Posten, sondern brachte die Leiche fort. Immerhin, das war ein Beweismittel, und das würde Pandämonium mit Sicherheit wollen.


Solivar kehrte zu seiner Grabstätte zurück, in der eher ätherischen Form. Die feste Gestalt aufrecht zu erhalten war völlig unnötig und zu kräftezehrend. Er hat schon einiges an Energie aufbringen müssen um die Leiche des Schamanen wegzuschaffen... und nun musste die Leiche der Daeva weg.
Ihre Seele hatte er nur ungern entwendet... aber sie hatte ihm keine Wahl gelassen. Engstirnig ist sie gewesen, und als er sie erst geschwächt hat -in dem Glauben sie würde dann eher zur Vernunft kommen- ist sie fast völlig wahnsinnig geworden. Sol hatte keine Wahr gehabt... aber nun musste sie weg. Ihre Leiche durfte nicht in der Nähe seiner Grabstätte liegen bleiben, auf keinen Fall.
Ja, er hatte sich seine 'Wiedergeburt' anders vorgestellt. Er wollte nicht als Mörder wiederauferstehen, und gleich noch einer Daeva die Seele entreißen. Aion würde das kaum gutheißen... aber das Bedauern hielt sich sehr in Grenzen. Auch der Gedanke an Aions Wut und Zorn stimmten Solivar nicht sonderlich ängstlich. Nach dem was die Shedimgebieter und Aion mit ihm gemacht hatten, wollte er Abstand von ihnen Gewinnen.
„Oh.“
entfuhr dem Geist, als er sich dem Ort näherte, an dem er die Daeva getötet hatte. Sie war nicht mehr da. Solivar kam zu einem Schluss... er hatte sein Werk wohl nicht verrichtet. Sie musste noch am Leben gewesen sein... und geflohen.
„Nein... nein, nein, nein...“
murmelte der Geist, und sah sich fieberhaft um, ob nicht vielleicht doch noch eine Leiche in Rot lag... ob er sich nicht mit der Stelle geirrt hatte. Aber nein... er hatte sich nicht geirrt. Sie war weg. Und was nun für Ereignisse in Gang gesetzt worden sind, das zu erraten fiel dem Geist nicht schwer. Es würden Daeva kommen... viele. Sie würden gegen ihn kämpfen, wie sie noch nicht einmal gegen die Elyos gekämpft haben... jeder Seelenheiler würde erkennen, was mit der Frau beinahe passiert wäre. Das war eine Gefahr, die absolut nicht zu vernachlässigen war. Eine Gefahr für die gesamte Nation, für ganz Asmodae... und im Gegensatz zu den Balaur oder Elyos war Solivar schon da. Mitten in Brusthonin... in Asmodae. Sie würden eine Jagd starten, und ihn nicht einmal reden lassen. Sie würden nicht zuhören wollen, nein... nein, sie würden sich fürchten. Sich zu Tode vor ihm fürchten, und ihn deshalb schnellstmöglich umbringen.
Nur diesmal endgültig.
Aber sterben... nein, das hatte Solivar nicht vor. Er würde sein Leben nicht zum zweiten Male verlieren... dem galt es unter allen Umständen vorzubeugen.

Maximen der Todes




„Übermorgen..? ÜBERMORGEN?!“
Surts Stimme ließ fast schon die Wände erbeben. Die Nachricht aus Pandämonium war eingetroffen, aber sie nahmen de Lage wohl nicht ganz so ernst wie sie vielleicht sollten. Es war noch recht früh am Morgen, aber von dem Zorn des Hauptmanns wurde praktisch jeder geweckt der noch schlief.
Nicht, dass es viele gewesen wären. Viele der Bewohner hatten die Nacht ohne einen Funken Schlaf verbracht. Wie denn auch schlafen, wenn dort draußen etwas war, das Daeva töten könnte? Wenn da draußen etwas war, das vielleicht die gesamte Siedlung vernichten könnte?
Ricas gähnte und rieb sich die Augen. Er hatte geschlafen... der mögliche Tod war für ihn nie wirklich weit entfernt, und im Schlaf ließ es sich immerhin sicher besser sterben als voller Angst wenn man wach war. An Schlaf war jetzt aber wohl nicht mehr zu denken, so stand der Spähexperte auf, und zog seine Rüstung an. Auch Bogen und Schwert wurden wieder mitgenommen. Zwar hatte er einen 'freien Tag', aber man war immer besser vorbereitet.
Er trat gerade rechtzeitig heraus, um die fünf-Mann-Gruppe von Archonten zu sehen, die gerade die Siedlung verließen. Ihre Haltungen waren nicht mehr so entspannt wie sonst, sie wirkten verkrampft... aber ihre Gesichter zeigen Entschlossenheit. Heute waren sie auch sterblich... und sie zogen nicht für Brusthonin aus, sondern für Asmodae. Auch wenn sie ihr Leben verlieren sollten, so war in ihren Augen dieses leichte Funkeln zu sehen... das Funkeln, dass sie nun einen wahrhaften Auftrag hatten. Ricas sah ihnen nach, und merkte, dass ihre Haltungen vielleicht nicht so sehr aus Furcht versteift waren, sondern aus Stolz. Aus Stolz, den sie schon sehr lange nicht mehr gehabt hatten. Doch der Gedankengang führte zu weit in die Philosophie, und mit selbiger hatte sich Ricas noch nie sonderlich intensiv beschäftigt. Außerdem konnten Augen nicht wegen Gefühlen funkeln, ermahnte er sich, und schüttelte die Gedanken gänzlich ab. Es gab sicher etwas anderes, dem er seine Aufmerksamkeit widmen konnte.
Lange warten musste er nicht. Gerade als er auf dem Weg zum Tempel war -in einer solchen Situation konnte man auch mal den Tempel besuchen, etwas was Ricas sonst so gut wie nie tat- doch er kam nicht dazu. Gerade als er die letzte Treppenstufe erklomm, manifestierte sich ein Daeva vor dem Tempeleingang. Ricas hatte augenblicklich die Kugeln der Schwarzwolkenhändler im Verdacht.
Der Daeva war mindestens einen Kopf größer als Ricas, und deutlich kräftiger gebaut. Auf dem Rücken trug der Daeva ein Großschwert von immenser Größe, welches eine Form hatte, die Ricas noch nie gesehen hatte. Es schien selbst fast aus Feuer zu bestehen, und um es herum zogen Blitze ihre Bahn. Der Daeva war selbst in keine Rüstung gekleidet, sondern trug eine Offiziersuniform. Den Rang konnte Ricas nicht ablesen – der Daeva stand mit dem Rücken zu ihm. Was nicht lange der Fall war, denn der Fremde drehte sich kaum einen Augenblick nach dem Erscheinen um. Der Tempel war nicht sein Ziel...
als erstes vielen Ricas die Orden auf. Er zählte sie gar nicht, sondern überflog sie nur. Auszeichnungen für Schlachten im Abyss, für das Führen von Einheiten im Abyss, für das Verteidigen im Abyss, für die Infiltration in Elyssea... und vieles andere. Ein orden sprang dem Spähexperten vor allen anderen ins Auge, denn er selbst hatte einen solchen... in einer Kiste neben dem Bett. 'Held Asmodaes'...
„Schau einer an.“
Sprach der Fremde, und sah auf Ricas runter.
Ricas sah in dem Augenblick nach oben, und konnte ein Schnauben nicht unterdrücken.
„Prahlerisch wie eh und je...“
murmelte er, nur um dann von Maethir einen Klaps auf die Schulter zu bekommen, und sein lautes Lachen zu hören. Das hatte der Krieger schon öfters gemacht, aber Ricas merkte, dass sein Freund seit seinem Aufstieg einiges an Kraft dazubekommen hatte... denn von dem Klopfen auf ie Schulter strauchelte der Spähexperte ein wenig.
„Maethir... verdammt, wie lange ist es her..?“
fragte Ricas, und sah den alten Freund an. Sie hatten sich sehr lange nicht gesehen... seit seinem Abschied in Ishalgen, und das war vor Jahren.
„Zu lange, mein Freund... zu lange...“
antwortete Maethir, und sah sich um.
„Hier bist du also stationiert... gar nicht so übel. Verdammt viel besser als Beluslan, oder der Abyss, aber hallo.“
meinte der Krieger, und atmete tief ein.
„Bei Asmodae, hier riecht es ja sogar gut, und die Luft kann man ohne Schwierigkeiten einatmen. Gut hast du's, mein Freund...“
„Nun, dafür habe ich auch nicht ganz so viele Auszeichnungen, hm?“
gab Ricas zurück, und sah sich Maethir an. Eine andere Frisur, und eine absolut makellose Haltung... aber sonst hatte der Krieger sich kein Stück verändert. Daeva... immer so alt, wie sie aufstiegen. Das Maethir wohl noch besser in Form war als damals stand außer Frage, dachte der Spähexperte mit gewissem Bedauern.
„Warum hast du eigentlich nie vorbeigeschaut?“
fragte Ricas, und schenkte dem Freund einen vorwurfsvollen Blick. Selbiger hielt dem nicht stand und ließ die Schultern ein wenig sinken.
„Ich musste alle Bande zu meinem Leben kappen, Ricas. Distanz zu Allen halten... ich durfte nicht einmal Ishalgen besuchen. Und die letzten sieben Jahre habe ich im Abyss verbracht. Sieben Jahre... bei Asmodae, du kannst dir nicht vorstellen wie froh ich war, als ich wieder einen Fuß nach Pandämonium gesetzt habe.“
„Wieso bist du denn dann hier?“
fragte Ricas, der sich nun sicher war, dass Maethir nicht nach Brusthonin gekommen sein konnte, nur um ihn zu besuchen.
„Freust du dich denn nicht mich wiederzusehen..?“
fragte Maethir doch ein wenig verwundert, zuckte aber dann mit den Schultern und schritt die Treppe mit Ricas an der Seite herab.
„Nun, du warst ja schon immer so. Nicht dazu aufgelegt groß Gefühle auszudrücken. Keine Sorge, ich verdamme dich dafür nicht zu irgendeinem Latrinendienst.“
scherzte Maethir, und Ricas ließ ihn eine Stufe vorgehen um einen Blick auf die Rangabzeichen zu werfen. Diesmal konnte er die Überraschung nicht verbergen, und Maethir wandte sich genau in dem Augenblick um.
„Ah, richtig. 'Oberbefehlshaber Maethir'. Hört sich gar nicht so schlecht an, hm?“
fragte der Hüne, und ließ erneut ein lautes Lachen erschallen. Oberbefehlshaber, ließ Ricas sich durch den Kopf gehen. Er kannte sich in der Struktur des Militärs aus, und er wusste dass es eigentlich nur zwei Personen gab, die über einem Oberbefehlshaber standen... und das war zum einen der Statthalter, und zum anderen der General von Pandämonium.
„Da hast du ja was aus dir gemacht...“
meinte Ricas, und schämte sich schon fast für sein Dasein als einfacher Vigilantenführer.
„Durchaus. Aber ich denke, dass du es in der Rotharsia Legion nicht minder weit gebracht hättest. Das sind unsere Kundschafter im Abyss... wärst du ein Daeva, dann hättest du dich in ihren Reihen mit Sicherheit schnell hochgearbeitet.“
gab Maethir zurück, und Ricas meinte etwas wie einen Schatten über das Gesicht des Freundes huschen zu sehen.
„Wer weiß, wer weiß. Aber du hast noch immer nicht gesagt warum du hier bist.“
„Naja... ich habe gesagt, dass ich mir in meinem freien Monat mal diese Siedlung anschauen möchte. Diese hier, die sich schon so lange gegen das verpestete Land durchsetzt. Ich glaube aber, dass ich vergessen habe zu erwähnen hier ein Grab hier besuchen zu wollen. Zufällig.“
gab Maethir zurück, wieder guter Laune. Er schien tatsächlich nichts darüber zu wissen, was in der Siedlung gerade vorging.
„Nicht der beste Zeitpunkt. Dir wurde nicht gesagt, in was für einer Situation wir sind?“
fragte Ricas, und Maethir blickte ihn fragend an. In dem Blick lag aber weniger Sorge als Selbstsicherheit. Warum sollte sich ein Oberbefehlshaber auch groß Sorgen machen? Was könnte ihm schon Probleme bereiten?


„Sagt mal... kommt Euch das alles auch trostloser vor als früher..?“
fragte Kravil, einer der Archonten des fünf-Mann-Erkundungstrupps, und sah sich in der Einöde um. Sie hatten ein wenig zeit um sich umzuschauen – mit den fünf Dutzend Untoten die da waren sind sie schon fertig geworden. Die Leichen lagen leblos und regungslos am noch immer vom gestrigen Regen matschigen Boden.
„Hm... muss an dem Licht liegen. Der ganze Himmel ist so bewölkt, dass kaum ein Lichtstrahl durchkommt.“
erwiderte Malia, die Heilerin im Trupp mit einem Blick nach oben. Tatsächlich hatten sich die Wolken nicht verzogen, sondern hingen noch immer wie ein undurchdringlicher, grauer Schleier über Brusthonin. Es sah zwar nicht nach Regen aus, aber die Lichtverhältnisse waren nicht die besten. Zwielicht herrschte... man konnte nicht ausmachen wo Licht und wo Schatten war.
„Ich glaube die Landschaft ist im Augenblick unsere geringste Sorge.“
gab Helivar zu bedenken, und steckte sein Schwert weg. Einen sichtbaren Feind gab es nicht, aber das hieß nicht das sie gleich ein Picknick halten sollten.
„Stimmt, wir müssen weiter. Das Grab der Legenden ist nicht mehr weit, dort werden wir schon irgendeine Spur von dem Ganzen finden.“
erklärte Sarezil, und sah sich zur Sicherheit erneut um. Nein, es schien wirklich keine Gefahr zu geben... im Augenblick. Aber das Buch mit den Sprüchen klappte er dennoch nicht zu – man konnte nie wissen.
„Richtig. Lasst uns weiterziehen.“
stimmte Alira zu, und hörte auf nervös ihren Dolch in der Hand zu drehen. Der Trupp setzte sich in Bewegung, und nach einer gar nicht mal so langen Zeit kamen sie zur Treppe des Grabes der Legenden.
„Schaut...“
meinte Kravil, und deutete auf etwas, das knappe zwanzig Meter neben der Treppe am Boden lag. Sie mussten nicht näher herangehen, um die tote Vivel zu erblicken. Die Fledermaus war tot, das stand außer Frage.
„Und nicht nur dort...“
fügte Sarezil hinzu, sich umschauend. Wenn man sich umsah, dann konnte man einige Viveln und Octasiden erkennen, die in der Gegend lagen... bewegungslos. Tot.
„Recht hattest du, Kravil... die Gegend ist trostloser geworden.“
murmelte die Heilerin, ehe sie sich wieder in Bewegung setzten. Die Toten Wesen würden sie untersuchen, wenn sie oben am Grab fertig waren...

„Schneller als ich gedacht hätte.“
Empfing sie eine Stimme, als sie die letzten Stufen überwanden. Vor dem großen Monument in der Mitte stand eine recht unscheinbare Gestalt, eingehüllt in eine dunkle, zerrissene und abgetragene Robe... wer auch immer es war, er sah die Archonten nicht an, sondern schaute nach unten, auf den Boden.
„Wer seid Ihr?“
fragte Kravil laut, und trat ein paar Schritte nach vorne.
„Der, wegen dem ihr hier seid, Archonten, oder etwa nicht? Interessant, wie schnell Pandämonium heutzutage reagiert. Haben wohl vielleicht doch endlich mal gelernt, dass die Sterblichen schneller Hilfe brauchen als 'irgendwann mal'... oder sie haben verstanden, dass dieses Problem ihnen selbst an die Essenz geht. Im wahrsten Sinne.“
„Wer seid Ihr?“
fragte Kravil erneut, und das mit einigem Nachdruck, dabei die Hand an den Schwertgriff legend.
Die vermummte Gestalt ließ sich einige Augenblicke mit der Antwort, ehe sie dann den Kopf erhob und Kravil in die Augen sah.
„Der Tod.“


„So ist das also. Das kommt einem ja ziemlich bekannt vor.“
meinte Maethir auf die Schilderung Ricas' hin. Sie hatten sich etwas länger über das Ganze unterhalten, und Maethir hatte einige Fragen gestellt. Dann hatten sie noch ausdiskutiert was möglicherweise dahinter stecken konnte, und noch ein kurzes Gespräch mit dem Seelenheiler geführt. Das alles hatte so seine Stunde gedauert...
„Erneut droht ganz Asmodae eine große Gefahr... und erneut ist Pandämonium zu langsam. Erneut ist man auf sich selbst gestellt... und es gibt keinen Ashikar, der zu spät kommt. Nein... diesmal bin ich da, und das hoffentlich nicht zu spät. Ricas, bring mich zu Surt.“
lautete die Anweisung, und Ricas sah keinen Grund sie nicht zu befolgen. Beim Sitz des Hauptmanns angekommen ging Maethir alleine hinein, er wollte mit dem Hauptmann unter vier Augen sprechen. Warum, das hatte Ricas nicht einmal gefragt. Wer stellt schon einen Oberbefehlshaber in Frage? Nun, wer auch immer, aber kein einfacher Vigilantenführer.
„Ah, Ricas, da bist du ja!“
hörte der Spähexperte, kaum das Maethir das Gebäude betraten hatte. Zu Ricas eilte über den großen Platz ein Archontenzenturio.
„Was gibt es..?“
fragte der Spähexperte als der Zenturio ihn erreichte.
„Order vom Hauptmann. Unsere Patrouille ist noch nicht zurück, und eine Meldung haben wir von ihnen auch noch nicht erhalten. Der Hauptmann meinte, dass du, als unser einziger Spähexperte, eben auf die Schnelle losziehen könntest um nachzusehen. Du hast es schonmal geschafft, und auf ihrer Spur dürfte es kaum, wenn überhaupt, Feinde geben. Wir wissen dass du eigentlich einen freien Tag hast, aber...“
„Verdammt, das kommt eigentlich wirklich ungelegen.“
meinte Ricas mit einem Blick zum Sitz des Hauptmanns. Maethir müsste schon bald zurückkommen...
„Nun gut... ich wollte das eigentlich nicht sagen, aber Ricas – das ist ein Befehl. Wir haben gehofft dass du dich freiwillig entscheidest, aber wenn nicht... nun, dann überbringe ich dir das als Befehl vom Hauptmann, und nicht als Bitte.“
Ricas spuckte einmal kräftig auf die Wiese, auf der er stand.
„Sagt doch gleich, dass es keine freien Tage gibt, verdammt noch mal.“
meinte Ricas in schlechter Laune, und eilte die Stufen herab. Wenn schon, dann wollte er wenigstens seine neuen Pfeile abholen. Er hatte nicht die gewöhnlichen, scharfen und Stählernen Pfeile beantragt (wie sie für gewöhnlich verkauft wurden), sondern Pfeile aus Eisen, möglichst rau und mit einer flachen Spitze. Gegen Untote nützten scharfe Pfeile nicht allzu viel...

Dem Weg, den der Archontentrupp genommen hatte, zu folgen war nicht gerade schwer. Es erinnerte an eine Schneise, quer durch die Landschaft. Ricas brauchte sich nicht zu verstecken, und kam recht schnell voran. Neben der Spur des Todes sah er außerdem ihre Krallenabdrücke auf dem noch immer recht schlammigen Untergrund. Er kam schnell voran... es dauerte keine fünf Minuten, da stand er schon bei der Treppe zum Grab der Legenden. Er bemerkte die toten Wesen rund um die Fläche... aber er sah auch, dass sie nicht vom Archontentrupp getötet wurden. Wie der Trupp wusste Ricas allerdings auch nichts damit anzufangen... und auch er hatte keine Zeit, um es sich genauer anzuschauen.
Oben beim Grab angekommen eröffnete sich dann freilich ihm ein etwas anderes Bild, als dem Archontentrupp. Er sah keine vermummte Gestalt beim Monument stehen, sondern etwas ein wenig anderes. Und zwar die Leichen von drei Archonten. Drei. Ricas ließ sich nicht aus der Fassung bringen, schon auf den ersten Blick hatte er erfasst, dass es keinen Angreifer in der Nähe gab... und Kampfgeräusche hatte er auch keine gehört, also musste der Kampf schon vor einer Weile passiert sein. Die Frage war, wo zwei der Archonten hin waren. Der Boden am Grab der Legenden war zu seinem großem Bedauern gepflastert, und es gab keine Spuren dessen, wie der Kampf stattgefunden hatte. Vielleicht hätte Ricas das erahnen können, wenn er sich intensiver damit auseinander gesetzt hätte wie man denn Spuren liest. Aber das hatte er nicht – es war nicht nötig. Immerhin gab es hier nur Untote. Hirnlose Wesen, die einfach nur danach streben alles Lebende auszulöschen. Mehr nicht...
Nach einer kurzen Erkundung des Ortes entdeckte er Krallenabdrücke, die vom Grab der Legenden fortführten... in eine Richtung, die der Spähexperte noch nie eingeschlagen hatte. Es führte einfach zu weit vom Dorf weg, und dort gab es nichts interessantes... oder?
Nun, wie es aussah jetzt schon. Ricas seufzte, denn er wusste – er musste weiter. Nur mit der Nachricht dass drei Archonten gestorben sind konnte er nicht zurückkehren. Es bedurfte mehr Informationen... auch wenn Ricas daran zweifelte, dass er es schaffen würde zurückzukommen, wenn es schon die Archonten nicht geschafft hatten.


„Ein was..?“
fragte Surt nach, nachdem die Heilerin ihren Bericht abgegeben hatte. Sie hatte es geschafft sich zu retten... im Gegensatz zu den Anderen.
„Ein Geist, Herr Hauptmann. Kein Schwert, kein Dolch konnte ihn treffen, und Zaubern wich er mit einer unglaublichen Geschwindigkeit aus... im Schweben.“
„Und du sagst, dass du diene Kameraden nicht hast heilen können..?“
„Richtig. Zwar hat der Geist während des Kampfes Zauber gewirkt, aber deren Schäden konnte ich wie üblich beheben. Aber wenn er jemanden ergriff, dann... konnte ich nichts machen. Kravil... ich habe versucht ihn zu heilen, ich habe jeden Zauber, jedes Gebet der Shedimgebieter angewandt... aber er war gesund, Herr Hauptmann... völlig gesund...“
sagte die Heilerin, und fing dann doch noch zu weinen an.
Surt schüttelte den Kopf, Maethirs Miene war steinern.
„Geister sind nicht leicht zu verwunden, das stimmt. Aber ich kann es. Meine Klinge ist vom Äther durchflutet, und mit einem Stein gesegnet, der die Macht der Shedimgebieter in sich trägt. Ich kann den Geist beseitigen... aber Verstärkung wäre in diesem Falle gut. Und jemand, der sich mit der Gegend auskennt, weiß wie man wo hinkommt. Ich habe da an Ricas gedacht. Mit ihm, und der Verstärkung aus Pandämonium werden wir den Geist ausfindig machen können, und ihn dann endgültig beseitigen.“
Verkündete Maethir, und irgendwie hatte Niemand Zweifel an der Aussage. Maethir erweckte nicht den Anschein eingeschüchtert zu sein, er strahlte noch immer eine herrische Selbstsicherheit aus.
Im Gegensatz zum Hauptmann, der sich nach der Ansprache sichtlich ein wenig unwohl fühlte.
„Was das angeht, Oberbefehlshaber...“
fing er an, und Maethir wandte sich zu ihm um, mit einer hochgezogenen Augenbraue.
„Ja..?“
„Ich habe Ricas den Befehl erteilt den Archonten nachzugehen, und herauszufinden warum sie sich nicht gemeldet haben.“
„Wann das denn, bitte?! Sie ist hier keine fünf Minuten später aufgetaucht als ich!“
rief Maethir, und zeigte auf die schluchzende Heilerin, die von der Seelenheilerin aus der Residenz des Hauptmanns gebracht wurde.
„Ich hatte den Befehl schon vorher gegeben, und ein Bote sollte es Ricas ausrichten...“
erwiderte der Hauptmann, aber Maethir hörte gar nicht mehr zu sondern stürmte aus dem Gebäude.
„RICAAAAS!!!“
brüllte der Krieger von der Schwelle des Hauses, dass er durch das ganze Dorf hallte... aber Niemand ließ sich blicken. Der Spähexperte war schon weg... über alle Berge, sozusagen. Wutentbrannt stürmte der Oberbefehlshaber zurück zum Hauptmann, der recht eingeschüchtert auf seinem 'Thron' saß, ergriff selbigen an der Gurgel und hob ihn mehrere Handbreit über den Boden.
„Was ist dir dabei durch den Kopf gegangen, du alter, seniler Wahnsinniger?! Archonten sind losgezogen! Für den Kampf ausgebildete Kämpfer und Magier, mit einer Heilerin an ihrer Seite! Und anstatt abzuwarten, schickst du nach keiner halben Stunde einen einfachen Vigilantenführer aus um sie zu suchen? Einen! Alleine! Zu einem Wesen, das mit fünf, bei Azphel, FÜNF Archonten fertig geworden ist!“
rief Maethir, und schleuderte den Hauptmann mit Wucht zurück auf dessen Sitzgelegenheit, ehe er selbst tief durchatmete und sich beruhigte. Inkompetenz, dachte er sich... überall Inkompetenz. Und nun war Ricas weg. Unter Umständen sogar tot...
„Wo sind sie hin?“
fragte der Krieger diesmal im leisen Ton, aber das Bedrohliche Element war noch immer nicht daraus verschwunden, ganz und gar nicht.
„Zum Grab der Legenden...“
„Und das liegt wo?“
fragte Maethir nach, worauf der Hauptmann auf die Karte deutete. Auf das Grab der Legenden war eine Stecknadel gepinnt, mit einem unschön aussehendem Totenkopf.
„Wartet nicht auf mich.“
meinte Maethir, und brach auf.
Weit kam er nicht, denn er wurde von einer fiepsigen Stimme unterbrochen, als er durch das Dorf eilte.
„Ah, würdevoller Krieger auf dem Weg zum Grab der Legenden, ja? Shugo hätte da etwas für ihn, jang!“
fiepte der Shugo, und Maethir spielte schon mit dem Gedanken den aufgebauten Laden des reisenden Shugo-Wanderhändlers mit einem Kräftigen Hieb aus dem Weg zu schaffen, als ihm da auffiel, was der Shugo ihm entgegenhielt.
„Ein Amulett Marchutans?“
fragte Maethir, und trat einen Schritt näher. Viel zeit hatte er nicht, das war ihm bewusst, aber... irgendwie fesselte das Amulett seine Aufmerksamkeit. Er hatte schon fast verdrängt, weswegen er hier war, nun erinnerte er sich aber. Solivar... Solivar wurde in der Nähe des Grabes der Legenden beigesetzt, das wusste er. Und Solivar war immer dem Pfad der Kleriker, der Anhänger Marchutans gefolgt.
„Was willst du dafür, Shugo?“
„Eine Million Kinah!“
forderte der Shugo gänzlich ohne Scham. Maethir grinste -und es war ein böses Grinsen- und nahm das Amulett an sich. Der Shugo wollte schon fast protestieren, aber die Tatsache dass er dem Krieger kaum einmal bis zur Hüfte reichte ließ ihn sich das wohl noch anders überlegen. Maethir betrachtete das Amulett gelassen, und steckte es dann in seinen Würfel.
„Sieh es als ein Geschenk an einen Oberbefehlshaber der Legionen Asmodaes. Mein Dank wird dir gewiss sein. Und der Dank eines Oberbefehlshabers ist doch ein guter Preis für Etwas, was du einem Toten gestohlen hast, oder nicht? Falls nicht, dann könnte ich mich mit dieser Frage ja mal an den Gerichtshof der Schatten wenden. Was denkst du, Shugo... was würden die wohl dazu sagen..?“
Der Shugo schluckte, und wenn er kein Fell gehabt hätte, dann wäre sein Hautton wohl um einiges fahler geworden.
„Nein, nein... Dank ist guter Preis, jang... sehr guter Preis, jangjang...“
gab der Shugo kleinlaut bei, und Maethir nickte.
„Dachte ich mir.“
sprach der Krieger, und mit einem letzten, etwas verächtlichen Blick machte er sich wieder auf den Weg in Richtung des Grabes der Legenden. Vielleicht würde er Ricas ja doch noch rechtzeitig finden...


Der Weg, den die Schleifspuren entlangführten war lang, aber immerhin frei von irgendwelchen Untoten oder sonstigen Wesen. Es war Niemand da... keine Menschenseele, ging des dem Spähexperten durch den Kopf. Abgesehen davon gab es kaum eine Möglichkeit sich zu verbergen. Der Weg führte zwischen zwei nicht sonderlich breiten, aber dafür hohen Hügelketten hindurch. Ricas rechnete es sich aus, dass wenn man dem Weg noch weiter folgen würde, man an der Goldküste herauskommen müsste. Es ging nämlich recht geradewegs nach Süden, aber so weit östlich von der Siedlung wie es sonst wohl keinen Weg gab.
Nach einer längeren Weile, als Ricas schon dachte dass die Leiche die geschleppt worden ist tatsächlich ins Meer geworfen worden ist, sah er in einiger Entfernung, in der Nähe einiger Bauten eine vermummte Gestalt. Sie erinnerte ihn an die, die er meinte gesehen zu haben als er vor Jahren Solivar beerdigt hatte... aber der Gedanke wurde verdrängt. Das war damals nur ein Stoffetzen, aber das was er da sah, das war kein Fetzen. Denn Fetzen warfen für gewöhnlich keine Leichen in kleine Gruben. Auch wenn die Augen des Spähexperten gut waren, auf die Entfernung konnte er nichts ausmachen. So wurde der Bogen in die Hände genommen, und einer der neuen Pfeile auf die Sehen gelegt. Archonten hatten das Wesen nicht töten können, aber vielleicht könnte er es mit seinen Pfeilen zumindest kurz aufhalten um sich selbst in Sicherheit zu bringen.
Vorerst musste er aber näher heran.

Das erübrigte sich ziemlich schnell, denn die Gestalt in der Robe hatte nicht vor lange bei der Leiche zu verweilen, sondern steuerte -mit einer schier unglaublichen Schnelligkeit- zurück zum Grab der Legenden. Ricas hatte nicht einmal zeit in Deckung zu gehen, mal ganz abgesehen davon das es ohnehin nichts in der Nähe gab, wo man in Deckung gehen konnte. Die Gestalt bemerkte ihn auch recht schnell und blieb stehen. Sie war rund einhundert Meter von ihm entfernt... viel zu weit, um Jemanden zu treffen, der sich so schnell bewegen konnte.
Ricas schluckte. Er war sich ja schon recht sicher gewesen, dass es ein Fehler gewesen ist das Ganze weiter zu verfolgen. Er hätte beim Grab der Legenden abdrehen müssen. Zurückkehren sollen. Aber er hatte nicht auf seinen Verstand gehört... ausnahmsweise. Etwas, wofür er sich nun verfluchte.
Die Gestalt nahm sein Zögern wahr, und begann sich ihm zu nähern... wenn auch langsam. Keine Waffe wurde erhoben, kein Zauberspruch erklang. Und Ricas fiel etwas auf, was zumindest die Geschwindigkeit der Gestalt erklärte... sie schwebte. Es war ein Geist.
„So viel zu den Pfeilen...“
murmelte der Spähexperte, machte aber keine Anstalten den Bogen wegzustecken. Versuchen sich zu wehren würde er auf jeden Fall... immerhin herrschte kein, beziehungsweise kaum Wind. Noch zwanzig Meter näher, dachte der Spähexperte sich, und zog die Sehne ein stückweit an. So würde er schnell den Bogen heben und schießen können... vielleicht noch schaffen einen zweiten Pfeil auf den Weg zu schicken, ehe das Wesen ihn erreicht haben würde. Ricas atmete ruhig, beherrscht. Beim Schießen musste man sich unter Kontrolle haben. Völlig. Er hatte Angst, aber er zitterte nicht, auch seine Atmung bekam er unter Kontrolle. Die Gestalt kam näher... Ricas markierte sich die Entfernung anhand von Objekten die am Wegesrand lagen, und atmete aus. Es ging um einen präzisen Schuss... der würde über vieles entscheiden.
„Ricas...“
ertönte die Stimme der Gestalt, und der Spähexperte riss die Augen auf. Sie waren weit voneinander entfernt, aber er hörte die Stimme klar und deutlich... er kannte die Stimme. Es war lange her... aber er würde die Stimme immer erkennen.
„Nein...“
flüsterte er, und gewann wieder die Kontrolle über sich. Einbildung, sagte er sich, atmete er erneut aus, spannte den Bogen bist zum Anschlag, zielte...
Aber die Gestalt hob ihre Hand, bedeutete Ricas nicht zu schießen... näherte sich selbst aber immer weiter.
„Schieße nicht.“
tönte die Stimme, und Ricas kämpfte einige Augenblicke gegen sich an. Es war die Stimme von Solivar... aber Solivar ist gestorben. Was auch immer dort stand, es hatte Daeva auf dem Gewissen. Daeva, deren Seelen doch angeblich von Aion selbst berufen, und von den Shedimgebietern auserkoren wurden. Nein, dachte Ricas sich – Solivar hätte dergleichen nie getan... und ließ die Sehne los.
Ricas Bogen war ein sehr guter Kompositbogen, und eigentlich sogar noch für größere Distanzen gedacht. Die knappen siebzig Meter bis zum Geist überwand der frisch hergestellte Pfeil in weniger als einer Sekunde, doch wie erwartet reagierte der Geist schnell. Zu schnell. Durch eine leichte Biegung des Oberkörpers wich er dem Pfeil ohne Schwierigkeiten aus, und blieb auf der Stelle schweben.
Ricas nutzte die Gelegenheit um einen weiteren Pfeil aufzulegen, aber...
„WIESO?!“
donnerte der Geist, und Ricas konnte nun ganz deutlich die flammenden Augen unter der Kapuze der Robe erkennen, die ihn anstarrten... förmlich durchdrangen.
Der Geist sah Ricas einen Augenblick mit den Augen an, und der Spähexperte merkte, dass er sich kaum bewegen konnte... Angst? Ricas schüttelte das Gefühl ab, auch wenn es mühsam war. Als er den Pfeil anzog und den Bogen hob, merkte er das der Geist schon keine zehn Meter von ihm entfernt stand... genauer – schwebte. Schwebte, und ihn nun aus normalen, gewöhnlichen Augen ansah. Der Zorn schien verflogen zu sein... aber wieder überkam Ricas die Paralyse, er hatte seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle – konnte einfach nicht die Sehne loslassen.
„Warum, Ricas? Etwa weil ich gestorben bin? Denkt Ihr das alle? Dass die Daeva davon überzeugt sind, dass alles was sterblich ist nach dem Tod unweigerlich zu einem Deformierten, wahnhaften und verzerrtem Bild seiner Selbst wird, das kann ich verstehen. Sie fürchten sich vor dem Tode wie sonst kaum jemand, denn sie sind ihm fast entkommen. Aber du Ricas... du, mit deinem gesunden Verstand, warum willst du mich denn meines Rechtes berauben? Ich bin gestorben, aber ich hatte es nicht verdient! Und wenn doch, so hätten wir ALLE es verdient! Stattdessen ist Maethir aufgestiegen. Sag mir, alter Freund... ist es gerecht? Ist Aion gerecht? Ich, der ich mich geopfert habe für Euch, für die Shedimgebieter und für Asmodae, mir werden all Gliedmaßen gebrochen, ich werde in den Dreck geworfen und von den Klingen meiner Feinde durchbrochen, ich ersticke an meinem eigenen Blut! Aber Maethir, der stolpert, der sein Gleichgewicht verliert, die Kontrolle über sich selbst, er, der er wegen seiner Unfähigkeit seinen Feinden zum Opfer fällt, ja, der gar in das Schwer seiner Feinde fällt aus seinem eigenen Fehler heraus... er steigt auf. Er erlangt die Unsterblichkeit. Sage mir, Ricas... ist das gerecht?“
fragte der Geist, dessen Gesicht ganz eindeutig das von Solivar war... unschwer für Ricas zu erkennen, denn der Geist schwebte nun praktisch unmittelbar vor ihm.
„Nein, Solivar... es war nicht gerecht. War es nicht, und das wissen wir. Mir ist es schon oft durch den Kopf gegangen, aber ich kenne die Antwort nicht, warum es so passiert ist.“
meinte Ricas, und versuchte sich zu bewegen. Doch der Blick des Geistes hatte etwas hypnotisierendes, Ricas konnte sich nicht bewegen, egal wie sehr er sich bemühte.
„und doch, Solivar... und doch rechtfertigt es nicht deine Taten! Du sagst, dass du nicht als deformiertes Bild deiner Selbst wiedergekommen bist? Sieh dich an. Du hast Daeva umgebracht, Solivar. Geschöpfe, die von Aion auserkoren wurden! Die gesegnet wurden... du versetzt Brusthonin in Angst und Schrecken, und Pandämonium wird dir einen Krieg erklären. Es werden Daeva kommen, in Massen... und sie werden dich jagen, Solivar. Denn du bist nun ein Monster geworden. Du mordest, Solivar... im Leben hast du geheilt, du hast den Menschen Vertrauen, Frieden und Glauben gebracht. Jetzt bringst du Furcht und Tod. Du bist kein Monster, sagst du? Das beweist es nur... du erkennst nicht mehr die Linie zwischen Gut und Böse, Solivar. Du hättest ruhen sollen...“
„Ich, ein Monster?! Ricas, du bist ein Narr geworden! Ich sichere mir mein Recht! Aion konnte es mir nicht geben, die Shedimgebieter konnten es mir nicht geben, aber ich habe gelernt es mir selbst zu nehmen! Ich werde leben, Ricas. Ich werde ewig leben, denn das ist gerecht. Wenn Maethir diese Ehre zuteil wird, dann wird sie es auch mir. Sollen die Daeva kommen, ich fürchte mich nicht. Soll Pandämonium seine Legionen ausschicken um mich zu töten... es wird nichts bringen. Je mehr kommen, desto mächtiger werde ich. Wer mich meines Lebens berauben möchte, dem nehme ich das seine. Ist das nicht gerecht, Ricas? Ist das nicht die Bedeutung von 'Blut für Blut'?“
„Was ist aus 'Azphelumbra' geworden, Solivar? Und wer bist du nun, um noch von Blut zu sprechen?“
„Azphel ist mir kein Gebieter mehr!“
donnerte der Geist, und seine Augen flammten erneut auf.
„Ich bin kein Asmodier mehr, Ricas. Ich bin auch kein Daeva, der von den Shedimgebietern abhängig ist. Ich bin ein höheres Wesen... ein Wesen, das den Tod von selbst aus verstoßen hat! Ich unterstehe Niemandem, denn es gibt Niemanden, der mir geholfen hat. Ich habe gebetet, ich habe die Ehre und Glorie der Shedimgebieter gepriesen, ich habe Azphel gehuldigt, mein Leben lang... und was hat es mir gebracht? Nein, Ricas... die Shedimgebieter sind mir keine Götter. Aion ist mir kein Gott. Ich bin nunmehr mein eig'ner Herr! Nenne mich Übel, nenne mich Monster... aber gib es zu – ich bin gerecht. Ich bin ein wahrhaftiger Asmodier, mehr als jeder andere, und deswegen bin ich keiner von ihnen... denn ich lebe wahrhaftig, Ricas. Ich lebe und richte nach unserem ewigen Motto... Blut für Blut. Und ich hole mir mein Recht, auch wenn es anderen nicht gefallen mag. Macht mich das zum Monster..? Nein, Ricas. Das macht mich nur wahrhaftiger.“
meinte der Geist, und unterbrach den Blickkontakt mit Ricas, wandte sich ab. Der Spähexperte bekam sich wieder in Griff, aber der Wunsch Solivar zu erschießen erlosch. Ricas verstand den alten Freund, er konnte nachvollziehen was er meinte. Und er wusste, dass er ihn nicht töten würde... oder nur ungern töten würde. Ricas wollte sein Schicksal nicht herausfordern...
„Aber was ist mit dir Ricas..?“
fragte der Geist dann, mit einem wesentlich ruhigerem Ton.
„Was ist mit dir..? Bist du nicht vielmehr ein Monster denn ich es bin?“
„Wie...“
Ricas wollte zurücktreten, aber der Geist wandte sich um, und hatte den Spähexperten wieder im hypnotischen Bann.
„Ich habe einen Grund zu Leben, Ricas. Ich habe ein Recht darauf, mein Dasein zu fristen und es zu verteidigen. Doch was ist mit dir? Lebst du überhaupt, Ricas?“
„Natürlich lebe ich!“
„Nein, ich meine nicht deinen Körper, ich meine deine Seele. Maethir lebt... oder lebte zumindest. Er hat gefühlt, Ricas. Schmerz, Trauer und Wut, Freude und Verlust. Glaubst du, ich hätte nichts von dem mitbekommen, was um mich herum passierte? Nein, ich habe ALLES mitbekommen. Hast du auch nur eine Träne wegen mir vergossen, Ricas? Hast du? Nein. Ricas doch nicht. Immer der kühle Kopf... du denkst nie mit dem Herzen. Immer Kalkül, immer der kalte Verstand... selten, dass du auch nur einmal ein Gefühl zeigst. Und das ist noch immer so, nicht wahr? Wie selten bist du doch an mein Grab gekommen, wie selten hast du etwas gesagt... Sieh dich um Ricas. Brusthonin war eins eine prächtige Landschaft. Edel und fruchtbar. Und nun? Sieh dich um, Ricas. Hier herrschen Fäulnis und Tod. Hier Verkommt alles... und so ist es auch mit deiner Seele. Deswegen bist du auch nie aufgestiegen, Ricas. Deine Seele ist am Verrotten. Du fühlst kaum etwas... bist im Inneren doch schon so gut wie tot. Selbst jetzt noch, selbst jetzt fürchtest du dich kaum, sondern überlegst wie du dich retten kannst. Dich und deine Haut. Ja, Ricas... ich kann durch dich hindurch sehen. Ich bin ein Wesen des Äthers! Und deine Gefühle sind für mich kein Geheimnis. Was ist der Sinn deines Leben, hm Ricas? Sag schon! Ich will es hören!“
rief der Geist, und forderte eine Antwort... Ricas konnte sich nicht zur Seite drehen, er konnte nur den Bogen sinken lassen... und schweigen. Er hatte keine Antwort auf diese Frage parat. Solivar gab ihm Zeit um nachzudenken, und Schnaubte dann.
„Dachte ich mir. Du handelst nur aus Gewohnheit heraus so, dass die Leute meinen du würdest aus Gefühlen handeln. Du handelst nur so, weil es 'so sein muss'. Weil es diese Gesellschaftliche Maxime gibt, dass man so handeln sollte... du imitierst Gefühle, und du hast es nicht einmal wahrgenommen. Und du sagst ich sei ein Monstrum? Nein, Ricas... das Monster hier bist du selbst. Eine verfallene Seele, schon lange abgestorben. Genau wie Brusthonin. Ödland, Schmutz und Tod, Verwesung, Ziellosigkeit und Verfall. So ist deine Seele, Ricas... du hättest damals mit mir sterben müssen. Du hättest damals mit mir sterben MÜSSEN! Das jemand am Leben bleibt, der im Grunde schon tot ist, während ich sterbe... das ist nicht gerecht. Blut für Blut, Ricas!“
rief der Geist, und Ricas merkte, dass er sich getäuscht hatte. Der Tod hatte Solivar verändert... sein Verstand war durchaus benebelt. Er war im Wahn, auch wenn er sich im Wahn etwas erschaffen hatte, das fast schon an Vernunft grenzte. Der Spähexperte versuchte noch den Bogen zu heben, aber der Geist war schneller, und griff ihm an den Kopf. Das war das letzte, das Ricas merkte... denn es wurde schwarz um den Spähexperten. In seinem letzten Augenblick bedauerte er es am Grab der Legenden nicht umgekehrt zu sein... er bedauerte es, auf sein Gefühl gehört zu haben, und nicht auf seinen Verstand.

Anfang oder Ende?




„RICAS!“
brüllte jemand aus weiter Entfernung, aber der Spähexperte hörte es nicht mehr. Auch sah er nicht, wie Maethir zum Sprint ansetzte, und so schnell wie man es nie erwartet hätte zu ihm lief. Er hörte nicht das Geräusch der auf verwitterte Pflastersteine auftretenden, förmlichen Schuhe, und das Klirren der Orden auf der Brust des Oberbefehlshabers. Ricas' Augen waren weiß und leer, sein Körper schlaff und tot. Es machte dem Spähexperten nichts mehr aus, dass er auf den noch immer schlammigen Untergrund fiel, und sein Gesicht im Matsch förmlich versank... das alles spielte für ihn keine Rolle mehr, denn er war tot. So tot, wie jemand nur sein konnte... nicht einmal in den Ätherfluss würde er einkehren können.
„NEIN!“
brüllte Maethir, und schaffte es noch schneller zu laufen – so kräftig trat er auf, dass manche der Steine auf die er trat fast schon zu zerbersten drohten. Er sah gar nicht hin, wer über der Leiche von Ricas stand, sondern zog im Laufen das Ätherdurchflutete Schwert und stürmte mit einem lauten wie auch langgezogenem Wutschrei auf die vermummte Gestalt. Selbige schaffte es nur um Haaresbreite dem Hieb auszuweichen, aber damit war es noch lange nicht vorbei. Maethir rannte nicht ins Leere, sondern lenkte seine Geschwindigkeit und Kraft wie ein routinierter Daeva um, verankerte seine Beine für einen Augenblick förmlich im Boden und schlug mit dem Schwert so heftig in den Boden, dass die Druckwelle den Geist mehrere Meter weit nach hinten beförderte.
„Das ist Macht, umgewandelt in Ätherenergie, Geist... mir wirst du nicht entkommen, ich bin dein Ende.“
„Falsch...“
entgegnete der Geist, der sich schwebend wieder aufrichtete, und die Robe glättete. Die Stimme erkannte auch Maethir, und hielt einen Augenblick inne.
„Du bist nicht mein Ende, Maethir... du warst mein Anfang!“
rief der Geist aus, streckte eine Hand in Maethirs Richtung, und entfesselte einen Flammenpfeil, den der Krieger gerade noch mit seinem Schwert parieren konnte.
„Solivar?“
fragte Maethir mit einer nicht geringen Überraschung in der Stimme.
„Ja, ich bin es, alter Freund. Ich bin es.“
bestätigte der Geist den Verdacht, und streifte die Kapuze ab, damit sein Gesicht offenbarend.
„Ich habe gehofft dir irgendwann zu begegnen... aber das es so früh werden würde, das habe ich nicht gedacht.“
meinte Solivar, und schritt seitwärts, die Entfernung zum Krieger wahrend. Maethir begann gleichfalls diese Bewegung zu vollziehen, nur in die andere Richtung – sodass sie sich nun umkreisten. In der Mitte, zwischen ihnen, lag der tote Körper von Ricas.
„Nein, wir sind keine Freunde mehr, Sol. Ja, du bist nicht einmal mehr Sol. Schau was du getan hast!“
rief Maethir, und deutete auf Ricas' Leiche.
„Du hast Ricas umgebracht... wie kannst du dich dann noch als mein Freund betiteln? Wie kannst du dich noch Solivar nennen?!“
reif Maethir, und unterbrach die Kreisbewegung, das Schwert zum Angriff hebend und auf den Geist zustürmend. Selbiger wich dem ersten Angriff aus, dem zweiten nur mit Mühe, und der dritte schleuderte ihn dann wieder einige Meter zurück.
„Stirb, Geist!“
rief Maethir aus der Luft, auf den am Boden liegenden Geist fallend, und die Klinge dabei mit Ätherenergie aufladend. Doch der Geist war schnell, flog aus der liegenden Position ein Dutzend Meter zu Seite... und entging damit nur knapp der Explosion, die Maethirs Sturzangriff bewirkte. Der Krieger erhob sich auch schnell wieder, eine Salve von Feuerpfeilen und Feuerbällen souverän mit seiner Klinge abwehrend.
„Er hatte keinen Anspruch mehr auf das Leben, Maethir. Deswegen habe ich über ihn gerichtet. Das Leben gehört nur den Würdigen!“
„Und du sollst demnach würdig sein, Geist? Wieso? Wie kannst du es wagen, diesen Anspruch an das Leben zu stellen, hm?“
„Weil die Shedimgebieter es mir verwehrt haben. Weil Aion es mir verwehrt hat. Sie haben mich, der ich in Ehren gefallen bin, der ich mich für sie und in ihrem Namen geopfert habe sterben lassen, aber dich, der du so unfähig warst das du dich nicht einmal auffangen konntest zum Daeva gemacht. Sag mir, Maethir... ist das gerecht gewesen? Da ist keine Gerechtigkeit erkennbar! Hast du dich nicht selbst gefragt, warum du aufgestiegen bist, und nicht ich? Hast nicht du selbst gesagt, dass ich den Aufstieg viel mehr verdient hätte als du?!“
Solivar griff nicht weiter an, sondern ließ seine Worte wirken. Er hatte Recht. Da war keine Gerechtigkeit im Gange gewesen... er ist zu Unrecht gestorben, aber nun hatte er sich wieder erhoben, er hatte sein Leben nun selbst in der Hand! Er war unabhängig und unsterblich, er war ein Richter mit klarem Blick... er war ein wahrer Asmodier!
„Du hast Recht, Geist.“
gestand der Krieger ein, und ließ das Schwer ein wenig sinken.
„Du hast Recht. Wenn du wüsstest, wie oft ich wach gelegen habe des Nachts, und Aion immer und immer wieder gefragt habe.. warum? Warum ich? Ich hatte es nicht verdient, nicht im Vergleich zu dir, Solivar. Ich war schwach, unfähig... du warst edelmütig, todesmutig, entschlossen... du hast dich im Namen der Shedimgebieter geopfert, du hast für Asmodae dein Leben gegeben. Ich..? Ich bin gestolpert. Bis heute habe ich mich gefragt, wie das passieren konnte. Wieso ich aufgestiegen bin...“
meinte Maethir, und sah zu Boden, sah auf den gefallenen Freund...
„Aber ich habe die Antwort gefunden, Geist. Nicht vor Jahren, und nicht durch den Mund eines Shedimgebieters... nein, du hast sie mir offenbart, Geist. Du hast mir gezeigt, warum ich aufgestiegen bin, und nicht Solivar.“
„Unsinn! Es gibt dafür keine rechtschaffene Antwort!“
entgegnete der Geist, und begann einen Zauber aufzuladen. Maethir nutzte die Chance, und warf seinen Würfel in die Luft. Magie war praktisch... und Shugomagie umso mehr. In einer Sekunde hatte er seine normale Uniform gegen seine Rüstung getauscht, und stand in voller Montur da, als der Geist die Flammen der Hölle beschwor... der Zauber ging praktisch spurlos am Krieger vorüber.
„So wie ich dein Anfang war, Geist der Rache, so werde ich dein Untergang sein. Aion hat in deine Seele geblickt, Geist... schon damals. Du warst ein treuer Anhänger der Lehre Marchutans, des Gebieters der Kleriker. Du hast allen stets Hoffnung und Rat geschenkt, du hast ihnen mit ihren Problemen geholfen... ob du ihre Krankheiten oder geistigen Qualen kuriert hast. Und du hast dich im Namen der Shedimgebieter geopfert. Du warst ein vorbildhafter Asmodier... aber Aion sah, wie gebrechlich dein Glaube ist. Aion sah, dass deine Seele zu anfällig für Neid, für Hass und für Rachsucht war... schau dich nur an! Du bist verkommen, Geist. Verkommen, wie das Land in dem du erwacht bist. Verfault und verdorrt... deine Seele ist geschändet durch deine Gier nach dem, was du Rechtschaffenheit nennst, dabei ist es einfach nur dein Neid. Das Gefühl, dass du nicht gerecht behandelt wurdest. Was wäre aus dir geworden, wärst du aufgestiegen? Wie lange hättest du noch an Marchutans Lehren festgehalten? Wie lange hätte es gedauert, bis es jemanden gegeben hätte, der besser wäre als du? Es gibt immer jemanden der besser ist. Und wärst du danach noch immer edel geblieben? Sieh dich an! Nein, du wärst auch verkommen, wie du es jetzt auch bist. Ich hingegen habe mich nie als den Besten gesehen. Die Lektion damals, in der Höhle der Mau, hat mir gezeigt, dass Aions Wege unergründlich sind... und auch wenn ich gezweifelt habe, so war der Glaube nie meine Stütze. Ich selbst war nicht meine Stütze... nein, meine Stütze war der Wunsch, das Asmodische Volk zu verteidigen. Ich diene denen, die an uns glauben, ich diene denen, die auf uns vertrauen und unserer Hilfe benötigen. Und egal welchen Blickwinkel ich wähle - wir Daeva sind da, um die größten Gefahren von den einfachen Leuten abzuhalten. Es mag sein, dass wir sie gelegentlich enttäuschen, zu spät kommen oder unsere Stärke nicht ausreicht... aber wir kehren zurück und vertreiben die unser Volk befallenden Übel. Und du schuldest unserem Volk einige Verteidiger, Geist. Du hast ihre Seelen, ihre innersten Essenzen gestohlen. Wir sind ohnehin wenige, und du dezimierst und mit einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit... deswegen wird Pandämonium seine Legionen gegen dich ausschicken, Geist. Deswegen werden alle Asmodier gegen dich in den Krieg ziehen... denn du bist ein Übel, das schlimmer ist als die Elyos oder die Balaur. Du bist schlimmer als die Untoten hier... du symbolisierst den Tod unseres Volkes. Deswegen werden wir dich auslöschen... weil unser Volk die Verteidiger braucht, und keinen blinden Richter. Nein, wir brauchen keinen Richter, der in Selbstmitleid und Neid alles um sich herum vergehen lässt."
"SCHWEIG!"
schrie der Geist, und fiel auf die Knie, seine Ohren krampfhaft mit den Händen bedeckend.
"Schweig, Unsterblicher! Deine Lügen werden meine Rechtschaffenheit nicht trüben! Ich werde meine Existenz nicht aufgeben!"
rief er weiter, und Maethir hob seine Klinge an. Es wurde Zeit für den letzten Streich... jetzt, solange es noch möglich war den Geist zu erwischen. Denn der Krieger verstand, dass Solivar ansonsten viel zu schnell war, um ihn töten zu können...
"Ich werde richten... über dich und deine Lügen werde ich richten, und der Richtspruch den ich verkünde, ist der TOD!"
verkündete der Geist mit sich überschlagender Stimme, worauf er eine Hände auf den Boden presste. Er hatte nun schon einige Seelen in sich aufgenommen... Er hatte genug Lebenskraft, um den Angriffen Maethirs noch einige Tage standzuhalten. Aber auch wenn die Seelen ihm Macht gaben, neben der Lebenskraft, auch wenn sie ihm Fähigkeiten verliehen, die er sonst nie erlernt hätte - er konnte bei weitem nicht alle von ihnen Nutzen. Aber Solivar wusste viel von dem Ort, an dem er sich befand. Er hatte darüber gelesen, Bilder davon gesehen... er kannte den langen Weg, auf dem Maethir und er sich befanden.
Maethir ließ sich von der Ansprache nicht beeindrucken, und rannte, den Schwertgriff fest mit beiden Händen gepackt auf den Geist zu... doch ein Erdbeben ließ ihn stolpern und im Lauf innehalten. Das Gewicht der Rüstung abzufangen war er gewohnt, aber er musste sich dennoch erst mal fangen. Eine Sekunde. Eine Sekunde, in der der Geist sich wieder aufrichtete...
"Ich habe ihre Essenzen an mich genommen, Maethir - das ist richtig. Aber weißt du auch was das heißt? Ich kenne und ich kann Alles, hörst du? ALLES was sie gekonnt haben. Nur... alleine kann ich das Potenzial nicht ausschöpfen. Und wenn Pandämonium Legionen gegen mich aussendet, dann weißt du, wer sie hier empfangen wird? Es werde nicht ich sein, nein... nicht ich alleine. Ich kenne diesen Ort, Maethir. Ich habe von ihm gelesen, Bilder von ihm gesehen. Weiß du, was hier passiert ist..? Hier ist das letzte Schlachtfeld gewesen, auf dem die Asmodier die Balaur zurückgedrängt haben. Das letzte Schlachtfeld, der Balaur... ihr Grab. Und lass dir eines sagen, mein Feind...
Die Seele eines Daeva ist um ein vielfaches mächtiger als die eines Sterblichen."
sprach der Geist, und schwebte langsam zurück, dabei fast gänzlich durchsichtig werdend. Maethir achtete nicht auf die Worte, und war schon bereit seinen Ansturm fortzuführen, wenn nicht einige der Steine entlang des Weges angefangen hätten sich zu bewegen. Der Krieger brauchte nun keine Sekunde mehr um zu verstehen, was passierte.
"Das hast du nicht getan."
grolle Maethir, und sah sich mit einer Mischung aus Abscheu und Entsetzen um. Seine Befürchtung bewahrheitete sich aber doch. Der Boden wurde aufgerissen von den schuppigen, modrigen Klauen der toten Balaur, denen nun wieder Leben eingehaucht wurde.
"Geist, du bist zu weit gegangen. Es gibt nun nichts mehr, was dich mit uns Asmodiern verbindet, hörst du! Sterbliche wie du einst sind hier gestorben, bei dem Kampf gegen die Legion der Balaur! Sie haben ihr Leben gelassen, um sie zu vertreiben, auf immer und ewig! Doch du... du hast ihre Nemesis wiedererweckt."
"Ich werde nicht untergehen..."
hallte die Stimme des Geistes über den Weg, und Maethir hatte nun schon schwierigkeiten ihn überhaupt auszumachen. Der Geist wurde immer durchsichtiger, aber auch langsamer. Maethir verstand, dass der Geist die Seelen die ihm sein Leben gaben auf die Balaur umverteilt hatte, die nun aus dem Boden spießten. Es war kein halbes Dutzend Daeva an den Geist gefallen, aber die Balaur krochen in Dutzenden aus der Erde, selbst ihre Draken erhoben sich wieder und breiteten ihre zerfetzten und halb zersetzten Schwingen aus.
"Das wird auch dein Grab sein."
verkündete der Geist, sich immer weiter entfernend. Maethir sah sich um, und straffte sich. Er war ein guter, ja, schon fast exzellenter Kämpfer. Doch gegen eine solch drückenden Übermacht würde er nicht standhalten. Die Balaur indessen kamen näher, krochen über den Boden, ihre antiken Schwerter in ihren Klauen haltend... der Ausdruck ihrer Augen war leer, aber sie spürten den Daeva. Sie wussten, wo ihr Feind war... und sie wussten wo ihr Meister war, denn in der Entfernung scharten sie sich auch um ihn.
"Wenn dem s sein sollte, dann werde ich dich mit mir reißen!"
versprach der Kämpfer, und warf erneut den Würfel in die Luft. Seine Rüstung würde ihn nur verlangsamen, aufhalten... gegen die Schwerter von s vielen würde er nicht in der Rüstung bestehen, aber in seiner Uniform, da könnte er durch ihre Reihen brechen.
"Für Asmodae!"

Balaur warfen sich dem Oberbefehlshaber in den Weg, aber ihre korrodierten Rüstungen hatten dem mächtigen Schwert des Kiegers nichts entgegenzusetzen. Sie wurden hinweggefegt, flogen durch die Luft... und standen wieder auf, fast zerstückelt, aber noch nicht endgültig tot. Doch sie waren nicht mehr in seiner Näher. So pflügte der Krieger mit einem lauten Schrei durch die Reihen der Drakan, wirbelnd und schlagend, Hiebe austeilend und laufend. Der Geist musste in der Nähe sein, doch die Untoten versperrten die Sicht...
Ein Draken nutzte die Chance, als Maethir sich umsah, und fuhr mit seinen Krallen tief in das Fleisch des Daeva. Im Fallen schnitt Maethir dem fliegenden Untoten dessen Beine ab, aber er strauchelte, fiel auf ein Knie... die Balaur schlossen ihre Reihen um ihn. Das Schwert wirbelte und schnitt durch die Horden an Untoten die sich dem Verletzten näherten, aber er konnte nicht mehr aufstehen. Immerhin, dachte er sich, wenn sie mich töten, sie und nicht Solivar, dann komme ich an meinen Obelisk zurück. Er blickte auf, und sah den Schemen des Geister durch die Reihen der Untoten gleiten, völlig unbekümmert... ein Balaur landete einen schweren Hieb auf Maethirs ungedeckten Rücken, und der Daeva fiel auf die dreckigen Pflastersteine. Maethir spürte den bitteren Geschmack des eigenen Blutes...
"Siehst du, Maethir? Selbst du kannst mich nicht aufhalten. Selbst du bist mir nicht gewachsen. Aber glaube nicht, dass ich dich verbluten lasse... das werde ich dir nicht gönnen. Dafür bist du viel zu mächtig..."
flüsterte der Geist, und die Balaur rückten einen Meter vom Krieger weg. Maethir versuchte noch aufzustehen, vielleicht noch einen der Untoten zum Angriff zu provozieren... es fehlte nicht mehr viel, und er würde sterben. Sterben, um wiedergeboren zu werden...
"Zwecklos. Sie gehorchen mir, und sie werden dir nicht den finalen Schlag verpassen."
sprach der Geist, und ließ sich vor dem Krieger in die Hocke nieder. Maethir spürte wie das Leben ihn mit jedem Blutstropfen verließ, aber er konnte nicht sprechen, er konnte sich nicht einmal mehr erheben. Nicht einmal ein wenig... aber er griff noch nach dem Würfel. Und er fand ihn.
"Na na."
sprach der Geist, erhob sich, und brachte Maethir mit einem raschen Zauber zum Schweben, sodass der Krieger aussah, als würde er stehen. Nur - eine Handbreit über dem Boden.
Maethir spürte sein warmes Blut auslaufen, spürte die kommende Kälte... aber es war noch nicht kalt genug zum Sterben, und zu kalt um den aus dem Würfel geholten Gegenstand zu nutzen. Er konnte ihn gerade noch so mit seinen nunmehr kraftlosen Fingen festhalten...
"Was hast du da? Einen letzten Trumpf?"
fragte der Geist, mit einer höhnischen Neugierde, und streckte eine Hand aus, worauf Maethirs Hand, die die den Gegenstand zu halten versuchte, sich auch erhob, und willenlos in Richtung des Geistes zeigend hängen blieb... zur Faust geballt. Solivar machte den einen fehlenden Schritt zum Krieger hin, und öffnete dessen Faust, den Gegenstand an sich nehmend.
"Was...?"
fragte der Geist, als er den Anhänger von den Wirren der Kette befreite, und dann endlich das Symbol erblickte. Marchutans Zeichen. Solivar starrte ungläubig, fast schon schockiert auf das Kleinod, rührte sich nicht, sagte nichts... er sah nur auf das Amulett.
"In den Ätherfluss zurückkehren sollst du, unwürdige Kreatur! Im Namen Marchutans."
Hörte der Geist eine etwas vertraute Stimme hinter ihm, und fragte sich wie viele ihn denn noch hinterrücks zu stören gedachten. Als er sich dann umdrehte, staunte er nicht schlecht. Neben Ricas Leiche, die gute zwanzig, dreißig Meter von Solivar entfernt lag, stand ein Kämpfer. Oder eher, Kleriker. Er trug praktisch keine Rüstung, und als Waffe hatte er einen recht verrosteten, alten Streitkolben. Den Streitkolben kannte Solivar nur zu gut - es war sein eigener. Das Gesicht des Klerikers war es aber, das den geist überraschte. Es war sein eigenes.
"Unmöglich."
sprach der Geist, und machte einen Schritt rückwärts.
"Du musst eine Täuschung, eine Halluzination sein..."
"Spricht der ohne Körper."
meinte der Kleriker, und begann auf den Geist zu zugehen.
"Tötet ihn!"
rief der Geist seinen Untoten zu, die Augen dabei nicht von dem Kleriker lassend. Das musste eine Täuschung sein... hervorgerufen durch das Amulett etwa? Der Geist blickte zu dem Kleinod in der Hand, wohl begreifend, dass die Untoten sich keinen Zoll breit bewegten. Wie sollten sie auch etwas angreifen, das gar nicht da war?
Der Streitkolben fuhr mit einer Wucht in die Wange des Geistes, dass es selbigen fast doppelt so weit weg schleuderte als ein Hieb von Maethir. Der Geist hatte einiges an Energie verbraucht, und konnte sich nur langsam, mühsam wieder aufrichten - die Form dabei wieder zur ätherischen wechselnd.
"Wie..?!"
rief er zum Kleriker, das Gesicht gerade noch früh genug hebend um den zweiten Schlag zu kassieren und gegen ein Haus geschleudert zu werden. Die ätherische Form brachte Nichts, der Streitkolben traf trotzdem...
"Wie? WIE? Wie konntest du passieren, frage ich mich!"
antwortete der Kleriker erzürnt, und ließ den Geist mit dem nächsten Schlag durch das Gerüst einer Windmühle fliegen. Wäre der Geist noch in seiner festen Form, wäre die Konstruktion mit Sicherheit zusammengebrochen, so flog er aber einfach nur durch, erst am Boden aufprallend. Diesmal erhob er sich schneller, und brachte fast schon panisch zwei Dutzend Meter zwischen ihn und den Kleriker.
"Ich bin du! Wie kannst du mich denn nicht verstehen?"
Der Kleriker brach in Lachen aus... nur sonderlich froh klang es nicht.
"Wie könnte ich es? Du verkörperst all das, was ich verachte. Hat der Tod dich so sehr verändert, dass du es nicht siehst? Erklärst allem Leben, allem heiligen den Krieg, bringst statt Leben den Tod, entweihst die Heiligkeit der Daeva... spottest den Shedimgebietern! Verhöhnst Marchutans Lehren... und erweckst Eine Streitmacht von Balaur, um für dich zu kämpfen. Wie könnte ich dich verstehen, Abschaum?"
fragte der Kleriker, und der Geist erkannte die Handzeichen zu spät - ein Bolzen aus heiliger Energie traf ihn, lähmte ihn... und ermöglichte dem Kleriker nicht nur die Entfernung zu überwinden, sondern auch eine Serie von massiven Schlägen auf den Geist niedergehen zu lassen... in Folge derer der Geist an die andere Seite des Weges, auf eine Felswand geschleudert wurde. Dem Geist wurde klar, dass er das nicht lange überleben würde. Maethir unterzukriegen war da um einiges leichter...
"Sehnst du dich nach der Unterstützung deiner Drakan? Nach der Hingabe ihrer rottenden Körper, hm?"
fragte der Kleriker, der nun über dem Geist stand, und hob den Streitkolben.
"Aion sah deine Korruption, und hat dich niedergestreckt. Ein Schicksal, das nur zu gerecht ist."
Meinte Sol, und ließ den Streitkolben auf den Brustkorb des liegenden, kraftlosen und kaum noch sichtbaren Geistes herabfallen. Der Geist schloss die Augen - soweit das half - und machte sich auf sein unausweichliches Schicksal gefasst. Zum Fliehen hatte er einfach keine Kraft mehr... Als er dann nach ein paar Augenblicken zögerlich das rechte Auge wieder öffnete, merkte er aber dass der Kleriker weg war. Und nicht nur das, er selbst lag nicht mehr bei der Felswand, sondern stand noch immer mitten auf dem Weg, in Ricas Richtung schauend.
"Was war denn das...?"
fragte er sich, und sah Marchutans Amulett an, das er noch in der Hand hielt. Es glänzte nicht mehr, sondern schien gerostet zu sein. Als der Geist es anhob um es sich genauer anzuschauen, zerfiel es gänzlich zu Staub. Solivar schüttelte den Kopf, und sah noch einmal in die Richtung des Platzes, wo er gerade praktisch hingerichtet worden war... von sich selbst. Natürlich fehlte dort jede Spur von einem Kampf, oder überhaupt von irgend etwas. Es war alles... Einbildung gewesen? Dabei hatte es so real gewirkt, dachte der Geist sich, und legte sinnierend den Kopf schief.
Im nächsten Augenblick besann sich der Geist aber, und erinnerte sich an das, was eigentlich Vorrang hatte. Das Wichtigste überhaupt... und der Geist wandte sich endlich um, hörte aber noch im selben Augenblick den dumpfen Aufprall von Maethirs Körper. Die Balaur hatten ihn losgelassen - es war kein Leben mehr im Daeva. Er war tot... und würde wiedergeboren werden. Wiedergeboren und bei vollen Kräften...
Solivar sagte nichts, sah sich die Leiche nicht einmal an, sondern betrachtete seine Streitmacht. Balaur über Balaur... alle Wesen die der Geist getötet hatte, Ricas, die Daeva, die Octasiden und Viveln... selbst all das Gras und die lebenden Kleintiere, vom Grab der Legenden bis zu der Straße wo er gerade stand. Das war ihre Lebensenergie, ihre Essenz, die nun in den Körpern der Erzfeinde von Pandämonium vor ihm stand. Hirnlos, sabbernd... untot eben. Es kam einfach kein Gefühl der Freude auf beim Geist. Maethir alleine hatte die Armee von Untoten schwer geschädigt... und nun war er entkommen. Und wiederkommen, das würde er mit Sicherheit... nur nicht alleine. Mit ihm würden andere kommen, und sie würden wissen, worauf sie sich einlassen. Maethir hatte alles perfekt ausgekundschaftet, viel es dem Geist nun auf. Alles. Macht, Quelle, Zahl, Stärke... kaum etwas dürfte unklar bleiben. Erneut schaute der Geist auf die Streitmacht der untoten Balaur.
Und schüttelte den Kopf. Warf die Gedanken ab, dass sein Pfad möglicherweise doch nicht der richtige sein könnte. Verleugnete alles, was zu ihm gesagt worden war, alles was er erlebt hatte. Er würde leben. Und die, die es ihm verweigern wollten, die würden sterben. Die Welt ist einfach.

Ein Sturm zieht auf




„Das wird nicht leicht werden.“
sprach der Krieger, und erhob sich nach der Behandlung durch die Seelenheilerin. Surt und einige Archonten hatten sich um ihn versammelt, und dem Bericht zugehört, den der Krieger während der Behandlung geliefert hatte.
„Ein Geist also, der Daeva ihre Essenz tatsächlich stehlen, und dann benutzen kann um aus ihr Untote zu erwecken. Und nicht gerade wenige. Ja, das hört sich wirklich nach einer großen Herausforderung an. Wie soll man einen Kampf gegen etwas gewinnen, das deine eigene Lebensenergie in einen Haufen Feinde umwandelt?“
fragte Surt, und schüttelte den Kopf. Dafür brauchte man eine Taktik, die so noch nie dagewesen ist.
„Herr...“
sprach ein Archont, der von hinten an die Gruppe herantrat. Surt wandte sich um, und sah dass mit dem Archonten noch eine alte Frau gekommen ist. Nach einer kurzen Musterung war er sich sicher sie schon einmal gesehen zu haben.
„Seznec!“
rief der Hauptmann, und griff nach dem Griff seines Schwertes. Der Schamanin war der Zutritt zum Dorf verboten – aber das war schon lange her, und manche der Archonten schienen das nicht zu wissen.
„Halte ein, du Haudrauf.“
gebot die Schamanin, ihren knorrigen Stab hebend.
„Ich bin nicht hier, weil ich Streit mit dir und deinen Leuten suche. Ich bin hier, weil die Bedrohung dort draußen für mich genau so groß ich, wie für Euch... und, weil ich eine Lösung für das Problem habe. Freilich keine, die ich gerne selbst ausführen würde.“
„Falls es beinhaltet das sich jemand von uns auf einem Altar schlachten lassen muss damit du seine Seele frisst, dann kannst du es vergessen, Schamanin.“
„Nun... nicht ganz, aber fast.“
„Sprich.“
befahl Maethir, und unterbrach damit einen Ansturm von aufkommenden Beschimpfungen seitens des Hauptmanns. Noch immer war noch keine Verstärkung aus Pandämonium angetroffen, und man musste davon ausgehen, dass Solivar nicht seelenruhig abwartete. Nein, wahrscheinlich sammelte und scharte er immer mehr Untote um sich...
„Habt Ihr, werte Herren, Euch schon einmal mit den Lichen befasst die hier durch die Lande ziehen?“
„Die Untoten Magier..?“
Die Schamanin schnaubte verächtlich.
„Das zeigt, dass Ihr überhaupt keine Ahnung davon habt, was eigentlich außerhalb Eures netten kleinen Dörfchens passiert. Nein, Liche sind nicht einfach nur untote Magier, sie sind selbst Nekromanten, sie können Untote herbeirufen, zum Leben erwecken. Ihr werdet kaum jemals Lichen begegnen, die nicht ein paar Geister oder sonstiges Unleben um sich geschart haben. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass Liche eigentlich keine Daeva sind... aber einen Weg gefunden haben, sich stets in ihr untotes Dasein zurückzubringen.“
„Und das soll uns wie genau helfen..?“
„Nicht so ungeduldig! Also, für diesen Trick, wie Ihr es nennen würdet, oder dieses mächtige Kunstwerk, wie ich es nennen würde, haben sie Kugeln.“
„... Kugeln?“
„Kugeln.“
„Kugeln also.“
„Ja, Kugeln.“
„Und was sollen wir mit diesen Kugeln?“
grunzte Surt, dem das Ganze immer weniger gefiel, die Schamanin an.
„Ah, das ist eigentlich ganz einfach... Ihr habt doch ohnehin noch einen Tag Zeit, oder nicht? Nun, dann hört mir gut zu, denn es gibt einiges vorzubereiten...“


„Da seid Ihr ja endlich!“
rief Maethir, der gerade den angekommenen Trupp Daeva instruiert hatte. Die knapp dreißig Kämpfer aus Pandämonium waren früher eingetroffen als man es aus der Nachricht entnehmen konnte... und das war gut. Zumindest wenn man Maethir fragen würde. Er hatte sein Gespräch mit Solivar geführt... er wusste, dass Solivar ein Gespräch mit Ricas geführt hatte. Aber... nichts schien gefruchtet zu haben. Solivar – oder zumindest der Geist, der meinte Solivar zu sein – ließ sich nicht von seinem Weg des Todes und der Vernichtung abbringen. Damit war er eine viel zu große Gefahr für Asmodae, und mit einem Heer von Untoten... kaum auszudenken.
Die Daeva hatten die Lage nun verstanden, und sahen, wie Maethir, zu der Schamanin rüber die mal wieder das Dorf betrat.
„Ja, bin ich. Die alten Knochen sind nicht mehr so schnell wie sie sollten... und meine Magie ist auch nicht die stärkste. Mein Mann war da mächtiger, aber... er ist ja nicht mehr.“
Maethir bekundete Ihr kein Beileid, es wäre ohnehin nicht ehrlich gewesen. Die Schamanen praktizierten Künste, die nicht den Wegen Aions folgten... und wenn die Situation nicht so prekär wäre, dann würde er die Schamanin fortjagen. Aber schwierige Zeiten erforderten schwierige und umständliche Maßnahmen...
Als die Schamanin merkte, dass der Krieger nichts darauf erwidern wollte schnaubte sie (wohl ihr Lieblingsausdruck) kurz, holte dann aber einen Gegenstand aus ihrer Tasche.
„Hier.“
sagte sie, und überreichte die Kugel Maethir. Der nahm das kristalline Gebilde, welches aus dem inneren mit einer tiefen, schwarzen Energie erfüllt wurde an sich ohne zu zögern. Nicht einmal eine Schamanin wäre töricht genug um ihn inmitten von Verbündeten zu verhexen...
„Und was nützt uns dieses... Etwas?“
„Nun, gewöhnlich binden Liche ihre Seelen an solche Kugeln, damit sie eine Art... Obelisk haben. Diese Kugel hier habe ich verändert. Sie ist nicht an eine Person gebunden, und sie lässt die Seele auch nicht samt Körper wiederauferstehen, sondern umgekehrt. Sie fängt eine Seele ein, und lässt sie nicht mehr hinaus. Wenn Es Euch gelingen sollte den Geist in diese Kugel zu bannen, dann wird der Spuk vorbei sein...“
„Ihr sagt, an die Kugel ist niemand gebunden. Wie sollen wir denn den Geist daran binden? Ich glaube nicht, dass er sich dazu überreden lässt.“
„Natürlich nicht. Und... das ist die Schwierigkeit. Durch eine intensive Behandlung mit den Energien des Todes – die in der Nähe von Leichen stark präsent sind – konnte ich die Kugel umpolen. Nun wird sie das erste Wesen an sich binden, dass in der Nähe dieses Artefaktes stirbt. Sollte das einer von Euch sein, nun... dann droht Euch schlimmeres als das, was der Tod für einen Sterblichen ist. Was übrigens die erweckten Untoten angeht, sie zählen nicht. Ihre Seelen sind nicht wirklich intakt, sie sind nur Energie, und kein Bewusstsein. Ihr müsst also die Kugel in die unmittelbare Nähe des Geistes bringen, und ihn dann töten. Solange die Kugel übrigens sich in der Nähe des Geistes befindet, werden seine Fähigkeiten geschwächt sein, genau wie seine Gabe die Seele aus anderen zu ziehen. Zumindest theoretisch...“
Maethir hörte sich die Erklärung an, und nickte. Er hatte mit einigen Archonten aus dem Dorf ein Lager von Lichen überfallen, aber nur ein einziger von den Untoten hatte eine solche Kugel auch tatächlich bei sich. Der Rest hatte sie wohl versteckt... somit hatten sie vorerst wirklich nur die eine Kugel – nur die eine Chance.
„Leicht macht das die Sache nicht gerade.“
„Dafür machbar.“
Erwiderte ein junger Vigilant, der neben den Daeva stand. Er und die meisten anderen Vigilanten wie auch einige Archonten hatten sich dem Trupp angeschlossen, und waren bereit in den Kampf zu ziehen. Maethir stimmte dem Jungen mit einem Kopfnicken zu. Solivar würde vielleicht geschlagen werden können, aber was eine erneute Wiederauferstehung verhindern? Es wäre ein massiver Rückschlag... und falls es helfen sollte Andere vor den Einflüssen des Seelenentzugs zu schützen, dann war es nur noch besser.
„Jedem eine Stunde zum Abschied nehmen, und für sonstige Vorbereitungen. Danach werden wir aufbrechen, und dem Spuk wirklich ein für alle Mal ein Ende bereiten.“


„Also, was genau hat es jetzt mit dieser... Kugel da auf sich?“
„Nun, unser Gegner ist wohl ein mächtiger Geist.“
„Und jetzt? Ein paar Zauber, ein paar Hiebe mit einem ätherdurchflutetem Schwert und die Sache ist gegessen. Wozu brauchen wir da eine solche Kugel?“
„Manchmal reicht das aus, ja. Oft, eigentlich. Aber hast du dir denn mal angehört was hier mit den Untoten passiert, wenn man sie tötet?“
„Hm... nein, ich war noch nie in Brusthonin stationiert. Bin die letzten Jahre im Abyss unterwegs gewesen...“
„Na, kein Wunder. Jedenfalls: die Untoten stehen hier einfach wieder auf. Sie sterben nicht, sondern kehren einfach wieder. Und das, wogegen wir ausrücken, das ist ein besonders mächtiger. Hast den Oberbefehlshaber ja gehört, nicht? Der Geist kann uns, Daevas, unsere Seelen stehlen und sie nach seinem Belieben benutzen. Das heißt, in diesem Kampf sind wir praktisch... sterblich. Glaubst du, wir alle werden das überleben? Denke ich nicht, auch wenn ich nicht weiß wie groß unsere Verluste werden. Und nun, stell dir vor, steht der Geist einfach am nächsten Tag wieder auf. Das wäre doch mal eine nette Überraschung, was?“
„Verdammt... das wäre wirklich alles andere als großartig.“
„Ja, nicht? Und dafür braucht der Oberbefehlshaber diese Kugel. Er kann den Geist, wenn wir ihn besiegt haben, in sie einsaugen, und dann haben wir wirklich gewonnen. So richtig, und nicht nur bis zum nächsten Sonnenaufgang.“
„Hm... nun, ich hoffe das klappt auch. So sonderlich verlasse ich mich ja nicht auf Schamanen...“
„Wer tut das schon. Die verraten einen doch sobald sie eine Gelegenheit haben. Aber hier haben wir keine große Wahl. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieser Geist sich alles Leben in Brusthonin unter den Nagel reißt – also müssen wir rasch handeln.“
„Richtig. Nun, ich glaube die Stunde ist rum. Komm, sonst dürfen wir in die Avantgarde...“


Bis zum Grab der Legenden beseitigte der knapp vierzig Mann große Trupp alles Leben und Unleben das ihnen begegnete. Ab dort... war es nicht mehr nötig. Der Geist hatte sich an allem gütig getan was es gab, ohne sein Territorium zu verlassen. Er hatte einen Angriff wohl gefürchtet... nur zu verständlich, dachte sich Maethir, und sah auf den Würfel an seinem Gürtel. Praktische Erfindung, dieser Würfel. Verschlingt eine Unmenge an Gegenständen, und bewahrt sie sicher auf. Wie die Kugel, die der Krieger dort hineingelegt hatte.
Ein süßlicher Geruch weckte ihn aus seinen Gedanken, und ließ ihn die Stirn in Falten legen. Gerade passierten sie erst das Grab, da kam der Geruch schon auf... der Geruch von Verwesung und Fäulnis. Es war gar keine Frage woher der kam, aber schon von so weit weg? Da fragte der Krieger sich, wie viele Lakaien der Geist in der Zeit noch um sich geschart hatte. Wenige werden es nicht gewesen sein.
Wie auf Befehl banden sich alle Tücher um Mund und Nase, manche der Daeva hatten sogar Gesichtsmasken dabei um sich vor dem Gestank zu schützen. Bis zum 'Lager' der Untoten würde es noch eine Weile dauern.


„Oha.“
sprach der junge Vigilant an Maethirs Seite, als sie der feindlichen Übermacht gewahr wurden. Maethir kam nicht herum dem Jungen in Gedanken zuzustimmen. Der Geist hatte sich wohl mächtig ins zeug gelegt. Aber woher hatte er die ganze Kraft genommen, um das gesamte Heer der Balaur auferstehen zu lassen? Denn weniger schien das, was da auf sie wartete nicht zu sein. Ein Daeva konnte es zwar mühelos mit zwei-drei, vielleicht auch vier dieser Gegner aufnehmen, aber mit fünf wären sie schon in arger Bedrängnis. Nur das dort nicht zweihundert Balaur standen, sondern wohl etwas über dreihundert.
„Ja, das ist in der Tat mehr als... es sein sollte.“
gab Maethir zu, und wandte sich zu seinem Trupp um. Die Männer sahen die Ausmaße der gegnerischen Streitmacht, und auch wenn einigen nicht ganz wohl war – es stand keinem die blanke Angst ins Gesicht geschrieben. Sie fassten sich, und blieben entschlossen.
„Wohlan, Männer! Wir stehen einer Übermacht gegenüber, einer Übermacht, die...“
begann Maethir, aber weiter kam er nicht, denn eine zweifelsohne magisch verstärkte Stimme unterbrach ihn.
„MAETHIR!“
Es blieb auch kein Zweifel daran, wem diese Stimme gehörte. Verstehend dass die zeit für heroische Reden wohl vorbei war drehte sich der Krieger zum Geist seines ehemaligen Freundes herum, der nun vor den Balaur stand und in seine Richtung sah. Die Untoten waren noch mindestens zweihundert Meter von dem Trupp entfernt, deswegen konnte man nicht an einen gezielten Zauber oder Pfeilschuss denken...
„Ich sehe, du kehrst zurück zum Ort deiner Niederlage und deiner feigen Flucht! Und du hast mir sogar Verstärkung gebracht! Wunderbar, ich wurde schon langsam wahnsinnig von dem ganzen Meereszeug da unten!“
rief der Geist, und ließ ein verrücktes Gelächter vernehmen. Nun war zumindest klar, woher er die ganze Energie her hatte um die Untoten zu beschwören... gleich am Ende des langen Pfades ging es schließlich bergab zum Strand, und dem Meer... und schon am Strand gab es Wesen, mit denen sich nicht jeder mir nichts, dir nichts anlegen konnte. Wenn er sie alle getötet hatte...
„Formation!“
rief Maethir, worauf die Kämpfer hinter ihm in Stellung gingen.
„Auf, meine Schergen! Vernichten wir die Maden Pandämoniums!“
kreischte der Geist, und die Balaur stimmten im hirnlosen Gegröhle etwas wie einen Kampfschrei an. Sonderlich glorios hörte sich diese Kakophonie aus den halb verrotteten Kehlen nicht an, aber dafür umso beängstigender. Die Untoten hatten keine Formation, die Balaur und die Draken stampften, schlurften und flogen einfach in einem großen Haufen auf den Trupp zu.
Die Vigilanten und Daeva hatten sich schon aufgestellt, und die Waffen gezogen. Sonderlich viele taktische Möglichkeiten hatte man nicht, immerhin war der Weg recht breit und rechts wie links ragten, wen auch nicht hoch, so doch nicht erklimmbar, Felswände empor.
„Fernkampf, bereitmachen...!“

Die Münze fällt




So langsam merkte Maethir das Gewicht der eigenen Rüstung, und auch der Atem ging nicht mehr ganz so regelmäßig. Diesmal war er gefasst gewesen auf die Übermacht, diesmal wusste er gegen was er antrat... aber es waren einfach zu viele. Der ausschweifende Hieb trennte den Kopf eines Draken vom Rumpf, und zerschnitt einem Balaur den Bauch, welcher darauf an der Wirbelsäule einknickte.
Einen Augenblick hatte Maethir zeit um sich umzusehen... und zu merken, dass das Chaos herrschte. Der Trupp hatte sich weit zerstreut und schien von überall attackiert zu werden. Die Daeva und Vigilanten waren nicht gewohnt in großer Zahl zu kämpfen und die Formation zu halten, aber wer konnte es ihnen verübeln? Der Guerillakrieg der gegen die Elyos und Balaur im Abyss und in Balaurea geführt wurde forderte keine großen Schlachten.
Ein Schrei durchbrach den Lärm der Waffen, und Maethir verstand, dass ein weiterer Soldat gefallen ist. Er stürmte in dessen Richtung, nur um zu sehen wie der Geist dem Daeva seine Seele aus dem Leib zog... Solivar bemerkte Maethir, und schenkte dem alten Freund ein boshaftes Lächeln... mehr sah der Krieger nicht, weil mehrere der Balaur sich ihm in den Weg warfen und die Sicht versperrten. Als sie gefallen waren war der Geist natürlich wieder weg. Er bewegte sich frei auf dem Schlachtfeld, durch seine Untoten Soldaten glitt er einfach hindurch, suchte sich isolierte Kämpfer und nahm sie sich vor. Maethir hatte sie Schreie mitgezählt. Mittlerweile waren es neunzehn Gefallene, und noch kein Ende der Horde von Untoten in Sicht. Mit den ganzen Balaur konnte Maethir aber den Geist nicht ausmachen, und ihn so auch nicht in die Kugel bannen. Das verlief nicht gut, ganz und gar nicht gut.


Maethir erblickte den Geist, wie er über das Feld schwebte, und lief in dessen Richtung... nur um schon wenige Schritte später von zehn Untoten umzingelt zu werden. Ihm war bewusst, dass er einen fatalen Treffer nicht vermeiden können würde. Und nach einem solchen würde der Rest dann ohne Zögern folgen. Aber ans Aufgeben dachte der Oberbefehlshaber nicht, schwang das Großschwert in weitem Bogen und riss sich mit der Wucht des Angriffs fast selbst von den Beinen. Er hätte es geschafft, hätten nicht die ersten fünf Balaur die Wucht der Klinge gemildert. Nun standen sie nicht mehr, und Maethir rollte sich ab, blockte und schnitt den sechsten der Untoten, gleich darauf unter die nächsten drei springend und die Klinge virtuos drehend... zwei vielen, einer wich zurück... und der vierte hatte hinter dem Krieger schon sein altes, rostiges Schwert zum Schlag erhoben. Maethir merkte das, aber wusste auch, dass er weder ausweichen noch parieren konnte...
Ein Pfeilschuss durch die Kehle des Untoten rettete den Oberbefehlshaber, der dafür nun den letzten der zehn fällte, und sich dann umsah woher der Schuss gekommen ist. In einiger Entfernung lag noch immer die unberührte Leiche von Ricas, über der der junge Vigilant stand, mit dem Kompositbogen des Spähexperten in der Hand. Maethir nickte ihm zu, und fragte sich gar nicht erst woher der Junge das Bogenschießen beherrschte, sondern vergrub direkt durch das Schwert des nächsten, anstürmenden Balaur sein Großschwert in dessen Schädel.


Die Balaur zogen sich langsam zurück, merkte der Krieger, und ließ, fast völlig entkräftet, das Schwert sinken. Wieso...?
„Gib auf.“
sprach der Geist, der sich, umgeben von den Untoten, dem Krieger näherte.
„Nein.“
„Nein...? Sieh dich um, Maethir. Der eine Junge dort hinten und du, mehr ist von deiner 'Streitmacht' nicht übrig. Sie gehören alle mir... begreife deine Lage. Diesmal lasse ich dich nicht entkommen, und retten kann dich auch kein Trick, wie letztes mal. Du stehst ja kaum noch... sieh ein das du verloren hast, sinke auf die Knie und übergib mir deine Seele.“
„Ich... sagte... nein.“
Gab der Oberbefehlshaber zurück, und fokussierte seinen Blick auf den Geist, festigte seinen Griff am Schwert...
Der Geist brach in Gelächter aus.
„Ricas, der Späher mit dem kühlen, klaren Verstand konnte mich nicht bezwingen, du, mit deiner brennenden Überzeugung und Loyalität zu Pandämonium konntest mich nicht aufhalten, und dieses Spielchen mit dem Talisman, das mir vom Glauben und der Macht der Shedimgebieter erzählt hatte konnte mich auch nicht besiegen. Alles scheitert an meinem Wunsch zu leben, alles scheitert an mir und meinem Willen. Sieh es ein, und realisiere deine Niederlage, Krieger.“
Maethir nutzte die kurze Pause um wieder zu Atem zu kommen... er hatte bemerkt, dass dem Geist Gespräche Spaß zu bereiten schienen.
„Du hast Recht... Ich konnte dich nicht schlagen, Ricas auch nicht... was du da vom Amulett erzählst weiß ich nicht, aber augenscheinlich hat auch das dich nicht unterbekommen. Ja... du hast uns alle überstanden. Aber...“
Der Geist runzelte die Stirn und legte den Kopf schief...
„Aber du hast es nicht mit uns allen aufgenommen. Zugleich. Denn gegen Glaube, Verstand und Treue zugleich hast du keine Chance. Glaubst du, du kannst immer eine Münze werfen, auf der Treue und Glaube wie Kopf und Zahl stehen, und der Rand der Verstand ist? Und wie die Münze aufkommt, dagegen kannst du dann antreten? Nein... wenn du eine Münze wirfst, und damit das asmodische Volk herausforderst, dann merke dir... wir werden diese Münze in dein Herz versenken, auf das du alle drei Seiten zugleich zu spüren bekommst.“
Einen Augenblick war es still, dann brach der Geist in schallendes und verrücktes Gelächter aus.
„O, Maethir! Bist du nun, zum Ende deiner Tage doch noch verrückt geworden? Gegen Euch drei? Und wie, deiner Meinung nach, soll das möglich sein, hm? Ricas ist tot, das Amulett ist ein Häufchen Asche und du wirst gleich deine Seele verlieren. Das Spiel ist aus.“
„Ich habe nie gesagt, dass es 'wir drei' sein werden. Nein... es wird jemand kommen, der all diese drei Eigenschaften in sich vereinigt. Der so klar kalkulieren kann wie Ricas, aber Treue und Glaube auch in seinem Herzen trägt. So jemand wird kommen, und er wird dich und deine Armeen in Schutt und Asche legen.“
„Ach, denkst du? Und wer sollte das bitte sein?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht der Statthalter, vielleicht Lord Marchutan... möglicherweise Lord Azphel selbst. Vielleicht auch jemand anderes, aber jemand wird kommen. Du kannst nicht bestehen, Geist. Du bist ein Wesen, dass schlussendlich seinen Tod selbst heraufbeschwört.“
Der Geist schnaubte verächtlich (und sah dabei der Schamanin gar nicht so unähnlich), und trat in der Menge seiner Dieser ein wenig nach vorne, um Maethir besser im Blick zu haben. Vor ihm standen noch immer vier der Untoten, aber...
„AAAAAARGGGHHH!“
schrie der Geist, und brach vor Schmerzen auf die Knie, was die Balaur zu einem sofortigen Angriff provozierte. Maethir hatte gesehen, wie ein Pfeil in des Geistes Brust eingeschlagen hatte, aber... es war kein ätherdurchfluteter Pfeil gewesen, sondern ein... gewöhnlicher, oder? Zeit sich groß umzuschauen blieb dem Krieger nicht, denn gute zwanzig Balaur hatten es ziemlich eilig ihm in Stücke zu schneiden. Oder, mit den Schwertern, eher in Stücke sägen und hacken.
Die Balaur waren furios, aber auch nicht sonderlich gut im Kämpfen. Sie hatten wohl eher die geringeren Fähigkeiten wiederbekommen... ein Vorteil für den Oberbefehlshaber, der durch ihre untoten Leiber eine Spur zog, die ein fanatischer Metzger nicht besser hinbekommen hätte... aber er schaffte es nicht den Geist zu erreichen ehe selbiger es schon wieder geschafft hatte sich aufzurichten.
„Das reicht... ich wollte den Jungen verschonen, aber jetzt werde ich auch Euer Dorf in Schutt und Asche legen! Schergen, VORWÄRTS!“
brüllte der Geist rasend vor Wut, und nicht nur die paar um ihn herum, sondern die gesamte zurückgezogene Armee, die wohl noch eine Stärke von gut einhundert Untoten aufwies, setze sich in Bewegung. Der Junge hatte es jetzt wohl doch noch mit der Angst zu tun bekommen, schoss einen Pfeil ab der Niemanden traf und lief zurück, in Richtung des Grabes der Legenden. Maethir hätte gerne dafür gesorgt, dass er es schaffen würde zu entkommen, aber der Krieger konnte nicht weg. Von rechts und links, von vorne und hinten drangen die Untoten auf ihn ein. Mal wieder war er alleine, und nicht in der Lage das Blatt zu wenden.
„Wer macht das?!“
schrie der Geist, und blickte erschrocken auf das Ende des Weges. In die Richtung, in der das Grab der Legenden lag. Die Balaur wurden für einen Augenblick unschlüssig, was Maethir die Gelegenheit gab fünf von ihnen mit einer Schlagserie praktisch auf einmal zu fällen, und dann in die Richtung des Geistes zu preschen. Die Untoten bemerkten das, und schirmten ihren Herrn ab... doch ein Flammenpfeil streckte einen nieder, ein Pfeilhagel traf zwei weitere und brachte sie zu Fall, es folgen Kriegsschreie, und Maethir spürte förmlich dass sich ihm eine Gruppe näherte. Aber er hörte keine Schritte, fühlte die Erde nicht beben. Einen Blick zurück wagte er, und verstand warum der Geist so aufgebracht war. Auf dem Weg standen Geister. Geister, die die Wappen der Rothimmellegion trugen.
Die Balaur waren in die Nähe ihrer Gräber getreten, und hatten die Soldaten aus alter Zeit geweckt, die im Kampf gegen diese Drakan gefallen sind. Sie erstanden wieder auf, um gegen ihre Feinde erneut, zum zweiten male ins Feld zu ziehen. Der junge Vigilant stand unversehrt inmitten der alten Helden, und strahlte förmlich vor Glück. Nun war es an Maethir das boshafte Grinsen anzulegen.
„Wie...?!“
fragte der Geist ratlos, langsam zurückweichend. Seine Armee schrumpfte schnell, waren die Geister doch geübt und behände wie zu ihren Lebzeiten, die Balaur jedoch nur ein Schatten ihres alten Selbst...
„Da kommt die legendäre Treue unseres Volkes, Geist! Fürchte dich!“
rief Maethir, und schlachtete den nächsten Balaur der ihn vom Geist trennte.
„Und wo ist der Glaube? Wo ist der Verstand? Sie sind nicht hier, Maethir! Ich werde nicht verlieren!“
„Der Glaube..? Das bin ich, Geist. Ich habe geglaubt, dass du aufgehalten wirst. Ich habe an mein Volk geglaubt, und an die Shedimgebieter. Und siehe! Mein Glaube hat Früchte getragen! Fürchte dich, Geist!“
rief der Krieger, immer näher zum Geist kommend. Jener begriff, dass er nicht einfach nur herumstehen und seiner Armee zuschauen konnte – diesen Kampf konnten die Balaur nicht ohne Hilfe gewinnen.
Solivar war ein Priester zu seinen Lebzeiten, aber dadurch das er die Seelen von Zauberern und Beschwörern aufgenommen hatte, beherrschte er nun auch ihre Zauber. Das Beschwören schien sich auf die Untoten zu beschränken, aber die Zauber die er auf die Geister entfesselte konnten sich sehen lassen. Beide Armeen verloren rasch an Zahl...
„Ich fürchte keine blassen Erinnerungen, Maethir! Selbst zwei Seiten sind noch lange nicht genug!“
rief der Geist, und ließ es Feuerbälle im Kreis regnen. Maethir wehrte die ab, die auf ihn zuflogen, die Geister hinter ihm hatten da weniger Glück... sie lösten sich augenblicklich auf.
„Es gibt auch noch die...“
meinte Maethir, nicht sonderlich laut. Der Geist hörte das, und wandte sich von der einen Richtung zu Maethir um... nur um von selbigem mit der Schulter gerammt zu werden. Das wäre an sich kein Problem, aber die ganze Rüstung des Oberbefehlshabers war durchflutet vom Äther. Der Geist wurde zu Boden geworfen, aber ein Schwung mit dem Schwert (und die darauf folgende seismische Welle) warf ihn wieder in die Luft, was Maethir nutzte um den Geist wie einen fliegenden Ball mit dem Schwert wegzuschlagen. Der Schlag war wuchtig, aber auch präzise... was darin resultierte das der Geist einiges an Entfernung hinter sich brachte, eher er den Boden berührte. Er schlug unweit des Lochs auf, in das er alle Leichen geschleudert hatte, denen er beim Grab der Legenden die Seele aus dem Leib gesogen hatte. Sonderlich schnell erholte er sich von dem Schlag – und dem Flug - nicht, aber schnell genug um Maethir anstürmen zu sehen. Sie waren nun ein wenig hinter der Frontlinie, es waren keine Geister da um Maethir zu helfen, aber auch keine Balaur um sich auf die Seite des Geistes zu stellen. Eine Geste verlangsamte den Krieger, doch er kannte den Zauber, und berührte den Würfel. Er hatte noch eine letzte Schriftrolle die ihn von schädlichen magischen Einflüssen reinigte... die nächste Handbewegung führte dazu, dass Maethir einen stechenden Schmerz ziemlich nahe am Herzen zu spüren begann. Auch diese Art von Zauber kannte der Krieger... das waren Flüche, die einen mit der Zeit umbrachten. Wieder berührte er im Rennen den Würfel, aber... er hatte keine Schriftrollen mehr. Für gewöhnlich würde er sich auch nicht vor einem solchen fürchten, sondern ihn einfach über sich ergehen lassen. Aber... in seinem Zustand wusste er, dass ihn dieser Fluch umbringen konnte. Außerdem beherrschte der Geist den Zauber meisterlich, dank all den Seelen, deren Erfahrungen er sich angeeignet hatte. Wie Stigmata, nur... effektiver. Maethir sprang, und der Geist wich nach hinten aus... doch der Krieger führte nur eine Finte aus, rollte sich ab und stach mit dem Großschwert nach dem Geist... und traf. Solivar fiel in die Grube zu den faulenden Leichen seiner ersten Opfer.
Maethir trat an den Rand der kleinen Grube, und berührte wieder den Würfel, holte dann mit der linken Hand die schwarze Kugel hervor.
„... die dritte Seite. Siehe, Geist! Dies ist das Werk des Verstandes. Alle drei sind wir hier, alle drei sind wir über die hereingebrochen. Wir sind dein Ende...
Fürchtest du dich jetzt?“
fragte Maethir, und spürte den Fluch an seinem Körper nagen. Das würde er keine zehn Sekunden länger aushalten...
„Ja...“
gab der Geist zu, der wieder fast völlig durchsichtig geworden ist. Die Schläge mit dem Schwert schienen ihm schwer zugesetzt zu haben, aber auch der Pfeil. Maethir dachte an den Pfeil, und fragte sich erneut, wie ein einfacher Stahlpfeil den Geist so tief verwunden konnte. Doch dafür blieb keine Zeit. Er warf die Kugel in die Luft, Packte das Schwert so, dass die Klinge nach unten zeigte, und sprang, mit einem letzten Schrei herab, auf den Geist. Der wich nicht aus – entweder hatte er keine Kraft mehr, oder er sah doch noch seine Niederlage ein – und wurde vom Schwert durchbohrt. Die Kugel fiel neben ihm hin, und der Geist verblasste völlig... löste sich auf. Maethir ließ das Schwert los, und sank kraftlos an die Wand des Leichenlochs, in der Sicherheit dass die Gefahr gebannt, und auf jeden Fall zumindest die Seele des jungen Vigilanten wie auch seine eigene in Sicherheit waren. Er selbst würde gleich sterben, aber die Kugel hatte den Geist bereits aufgenommen, war schon voll - er selbst würde gleich, wie schon so oft wiedergeboren werden.
Mit diesem Gedanken atmete der Oberbefehlshaber aus, und schloss die Augen.

Epilog: Schatten




„Herr Oberbefehlshaber...?“
sprach der junge Vigilant vom Rande des Leichenlochs, und sah nach unten. Der Körper des Oberbefehlshabers war noch immer da, was nicht der Fall wäre, falls er es zurück zum Obelisken geschafft hätte. Schlief er vielleicht?
„Herr Oberbefehlshaber!“
rief der Junge, und erschrak sich fast zu Tode, als sich ihm jemand von hinten eine hand auf die Schulter legte.
„Er ist tot.“
sagte der Fremde, dessen Stimme dumpf klag. Der Junge wandte sich um, und sah in die Maske eines Schattenhüters. Die Verbeugung und das respektvolle Zurückweichen folgten augenblicklich, was die beiden Aktionen zusammen äußerst lächerlich aussehen ließ. Aber der Schattenhüter lachte nicht. Sie lachten die, die Vollstrecker des Gerichtshofs der Schatten...
Der Schattenhüter verbrachte keine Zeit damit lange herabzustarren, sondern sprang herab, problemlos auf den rottenden Leichen landend. Die Kugel interessierte ihn, und er hob sie auf. Horchte an ihr, schüttelte sie... dem jungen fiel auf, dass sie vorher schwarze Energie verströmt hatte, jetzt aber einfach nur wie eine einfache, schwarze Kugel aussah.
„Hm... oh, verstehe.“
sprach der Schattenhüter, und trat in eine Ecke des Leichenlochs... dann streckte er seine Hand aus, und der Leichenhaufen Bewegte sich. Der Junge erstarrte in leisem Schrecken – konnte der Schattenhüter auch Untote auferstehen lassen...? Über die Hüter kursierten einige Gerüchte... doch die Befürchtung erwies sich als unbegründet. Unter den Leichen bewegte sich ein Gegenstand, der sich einen Weg in die ausgestreckte Hand des Schattenhüters machte. Es war eine zweite Kugel, die genauso aussah wie die erste. Der Schattenhüter schüttelte den Kopf und murmelte etwas, aber der Junge hörte nicht was. Dann verstaute der Schattenhüter beide Kugeln in seinem Würfel, und kletterte aus der Grube heraus, sich darauf den Dreck von der Kleidung klopfend.
„Wusstest du, dass hier auch ein Schamane in der Grube lag, Junge?“
„Nein Herr.“
„Er hatte wohl auch eine solche Kugel bei sich... nur eine gewöhnliche. Er liegt hier schon länger, und mit den anderen zusammen... das hat eine hohe Konzentration von Tod ausgemacht, und das, wie auch die Abwesenheit von Seelen an die sie sich hätte binden können, hat sie innerhalb dieser zeit zu einer... schwarzen Kugel umgewandelt. Ich schätze, eine von den Beiden hat die Seele des Geistes, und die andere die Seele des Oberbefehlshabers geschluckt.“
„Aber... dann ist er jetzt wirklich tot?“
„Ja. Bist du eigentlich der letzte der Truppe, die losgezogen ist? Oder hat sich schon jemand zurückteleportiert?“
„Ich bin der Letzte, Herr. Der Oberbefehlshaber und ich, wir sind die letzten die noch gestanden haben.“
„Interessant... du bist doch ein Vigilant, nicht wahr? Woher hast du den Bogen?“
Der Junge wurde ganz blass, aus Angst man würde ihn gleich irgendeines Verbrechens beschuldigen...
„Ich... Herr... Ricas, Herr. Er war einer unserer Anführer... er ist hier gefallen. Ich war oft mit ihm an der Grenze stationiert, Herr, habe mir das Schießen von ihm abgeschaut, Herr. Habe dann seinen Bogen und seine Pfeile liegen sehen, und habe geschossen. Ist... soll ich den Bogen zurückgeben?“
„Nein, behalte ihn ruhig. Hast gut geschossen, wie ich gesehen habe. Sogar den Geist verwundet, hm? Das ist nicht einfach, mit gewöhnlichen Pfeilen.“
„Das sind besondere Pfeile, Herr... Ricas hat sie anders anfertigen lassen. Hier...“
sagte der Junge, und richte dem Schattenhüter einen der Pfeile, die Ricas hatte anfertigen lassen. Sie hatten alle eine bestimmte Form der Spitze, für verschiedene Situationen... aber das war eine Sache. Die andere war, dass sie nicht aus Stahl, sondern aus Gusseisen waren. Äußerst unüblich...
„Verstehe. Nun, wollen wir zurückgehen? Die Geister und die Balaur haben sich zurückgezogen, aber vernichtet sind die Armeen nicht. Ich glaube, es werden sogar noch einige wiederkommen, nach dem Sonnenaufgang.“
Der Junge nickte, und ging vor... nur um nach kaum drei Schritten zu straucheln, und herabzusehen auf die Klinge, die aus seiner Brust starrte.
„Tut mir Leid, aber ich kann keinen Jungen gebrauchen, der durch die Gegend läuft und alles ausplaudert was nicht sein muss. Ruhe in Azphels Schatten.“
sprach der Schattenhüter, und zog seine vergiftete Klinge wieder aus dem Körper des Jungen.


„Hauptmann.“
„Schattenhüter.“
„Ich wollte sie darüber informieren, dass die Schlacht gewonnen wurde... aber es gab keine Überlebenden. Maethir hätte es geschafft, wenn nicht die verräterische Hexerei der Schamanin gewesen wäre, die ihm auch seine eigene Seele gezogen hat. Sie sollte exekutiert werden.“
„Sie... ist verschwunden, Schattenrichter.“
„Hm... nun, wir haben gerade wohl nicht genug Männer um nach Ihr zu suchen. Eine Schande...“
„Niemand hat überlebt..?“
„Exakt. Der Geist ist gebannt, ich habe die Kugel an mich genommen und werde sie in den Gerichtshof bringen.“
Der Hauptmann sah nach dieser Nachricht auf jeden Fall weniger beunruhigt aus, als nach der Nachricht das alle tot seien.
„Das ist gut...“
„Ach, und noch etwas, Hauptmann. Der Gerichtshof der Schatten will, dass NICHTS von dieser ganzen Angelegenheit bekannt wird. Um die Stellen in Pandämonium haben wir uns gekümmert, Eure Verschwiegenheit steht noch aus.“
„Aber... was ist mit den Gefallenen..? Sie sollten doch angemessen geehrt werden, oder?“
„Ich wiederhole – das Alles hat es nicht gegeben. Was glaubt Ihr wird passieren, wenn die Lepharisten davon erfahren, hm? Das man eine solche Macht erlangen kann, dieses Wissen darf nicht den Feinden von Asmodae in die Hände fallen. Wenn das passiert, Azphel weiß was dann aus uns wird. Ich wiederhole also – kein, absolut KEIN Wort davon! Habt Ihr mich verstanden, Hauptmann?“
Surt schluckte, er wusste was eine Weigerung bedeuten könnte. Die Leute würden nicht erfreut sein, aber gegen den Gerichtshof der Schatten konnte man schlecht etwas unternehmen. Der Hauptmann nickte.
„Ja, habe verstanden.“
„Gut. Dann teilt das auch euren Leuten mit, und allen Einwohnern. Die Strafen sollten ja allen bekannt sein, hoffe ich.“
„Sind sie, keine Sorge.“
„Wunderbar. Nun, ich empfehle mich.“
meinte der Schattenhüter, und verließ die Residenz des Hauptmanns.
„Verdammt... aber was soll man machen... Gesetz ist Gesetz.“

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Tag der Veröffentlichung: 12.05.2012

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