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Inhalt

1. In Seenot

2. Kulinarisch

3. Dabei sein ist nicht alles

4. Ein Freund des Hauses

In Seenot

Segemehl hält mühsam den Kopf über Wasser, als ein Motorboot neben ihm aufkreuzt. Aufgeschreckt keucht und japst er nach Luft, rudert wild mit den Armen, reckt den Hals, quirlt mit den Beinen und schluckt dabei unwillkürlich jede Menge Wasser. »Pfui Deibel«, erhebt er schrill die Stimme.

»Mein Gott, Segemehl! Nun hab dich mal nicht so«, sagt Kattmann seelenruhig und schiebt den Geschwindigkeitsregler der Funkfernbedienung in die Nullposition. Das Modellboot stoppt die Fahrt und gleitet noch ein Weilchen friedlich auf der Wasseroberfläche des Planschbeckens dahin, dann stößt es gegen die Beckenwand. »Und außerdem ... du hattest dir doch ausdrücklich gewünscht, dass ich dir Himbeergeschmack ins Wasser mixe.«

Kulinarisch

 »Ich esse keine Suppe! Nein! Ich esse meine Suppe nicht! Nein, meine Suppe ess ich nicht!« Segemehl zitierte im fürchterlich quietschigem Tonfall den Suppenkaspar-Vers, als Kattmann die Terrine ins Esszimmer trug, dann warf er seinen Löffel in hohem Bogen in Richtung Eckbank. »Ach und weh und weh und ach, auch wenn ich würde dünn und schwach und wöge nur ein halbes Lot!« Er rieb seine Augen so kräftig mit den Handballen, dass ihm die Tränen kamen. »Mein Gott, Segemehl! Das Sonderangebot konnte ich dem Bofrost-Mann unmöglich ablehnen. Sechs Portionen Serbische Bohnensuppe für unschlagbare Achtfünfundneunzig!« sagte Kattmann triumphierend und rührte kaltschnäuzig mit der Kelle in dem rotbraunen Gemüsepamps.

Dabei sein ist nicht alles

 

Segemehl hob den Blick zum Firmament und reckte dabei den angefeuchteten Zeigefinger nach oben. Kein Wölkchen am Himmel, nicht die Spur einer Brise. Vorhin hatte er den Untergrund mit einer kleinen Wasserwaage ausgelotet und danach mit einem Handfeger gründlich gereinigt. Nun waren weder ein Sandkorn noch der winzigste Pflanzenstängel auszumachen. Befriedigt ob seines Werkes drehte er sich zu Kattmann herum. Mit übertriebener Akkuratesse fasste er das Loch ins Visier, rief sich das Gefälle ins Gedächtnis, berechnete Aufpralldruck und Vortrieb. Er schwankte noch bei der Wahl des Balles, entschied sich dann für die gummierte Ausführung und setzte ihn punktgenau auf den Abschlag. Seine Finger glitten immer wieder am Schlägergriff auf und ab, während er den rechten Fuß um einige Millimeter nach außen setzte. Nervös stupste er mit der Zungenspitze gegen Daumen, Zeige- und Mittelfinger und rekapitulierte erneut innerlich die Ausholbewegung.

»Mein Gott, Segemehl«, maulte Kattmann und zuckte mit den Achseln, »kannst du nicht wie jeder andere Minigolf spielen?«

Ein Freund des Hauses

 

12 Uhr 21 Minuten. Im sechsten Stock eines Wohnhauses aus den 1960er Jahren. Über der blau flirrenden Gasherdflamme köchelt ein kleiner Topf mit Dosenravioli. Die Papierbanderole hat Eberhard, der sozialpolitisch interessierte Pensionär, vor einer halben Stunde fein säuberlich von der Konservendose gelöst, in warmem Wasser eingeweicht und an die weißen Fliesen seiner kleinen Küche gepappt. Eine wohl überlegte Aktion: einerseits als Aufruf zum Energiesparen, andererseits als humorvoller Appell an die Gesellschaft, es ihm gleichzutun. In seinen Gedanken sieht sich Eberhard bereits als Aktionskünstler: weltweit viral gegangen. Das Klappern des Topfdeckels reißt ihn aus seinen Träumereien. Er überlegt, wie er seine Botschaft der breiten Masse näher bringen kann – oder sollte er eher die elitären Kreise ansprechen und sensibilisieren? Der Wirtschaftsminister hat aktuell die zweite Eskalationsstufe des Energienotfalls ausgerufen: kaltes Duschen, Tragen von langen Unterhosen und zwei Pullis übereinander, Fahrradfahren ohne Gangschaltung ... und weiß der Schinder sonst noch alles. »In einer Situation wie dieser ... finde ich es ganz natürlich, wenn auch ich in künstlerischer Form Verantwortung übernehme«, spricht Eberhard voller Überzeugung in Richtung seiner Edelstahlspüle. Er schaufelt einen gehäuften Löffel Ravioli in den Mund und brabbelt mit stolz erhobenem Zeigefinger: »Den Slogan hab ich schon: Three Minutes Ravioli Express.« Die Tomatensoße läuft ihm währenddessen am Kinn herunter und tropft auf sein Unterhemd.

 

ENDE

Impressum

Texte: Alberto Bronca
Cover: Alberto Bronca
Lektorat: Alberto Bronca
Korrektorat: Alberto Bronca
Tag der Veröffentlichung: 24.09.2023

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