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DER KLEINKARIERTE KÖNIG

oder

 

(Die Kostbarkeiten von Alfons V.)

 

Alfons V., der kleinkarierte König (eigentlich war er nur Herzog) eines ganz kleinen Reiches zwischen Oder und Rhein, war von zierlicher Statur und trug einen akkuraten Schnurrbart. Seine königlichen Gewänder waren stets makellos und ordentlich gefaltet. Pedanterie durchdrang seine Persönlichkeit, während er sich in peniblem Regieren verlor. Er neigte zu Empfindlichkeit, und schnell reagierte er reichlich pikiert auf Unvollkommenheiten. Seine Herrschaft war geprägt von Sturheit und einem Hang zur Überkorrektheit, was seinem Charakter einen unverkennbar kleinkarierten Anstrich und ihm somit folgerichtig seinen Beinamen verlieh. Seine Herzdame besaß eine anmutige und grazile Erscheinung. Sanfte Gesichtszüge und fließende Locken umrahmten ihr Antlitz. Ihre eleganten Gewänder spiegelten ihre vornehme Natur wider. Stets beherrscht und würdevoll, mit zarter Stimme und einem warmen Lächeln auf den Lippen, strahlte sie artige Freundlichkeit aus und unterstützte geduldig und hingebungsvoll den König tatkräftig in seinen pedantischen Bestrebungen, während sie - eine Rose in der Hand haltend - den Untertanen durch ihre würdevolle Ruhe eine royale Zuversicht zur Schau stellte.

Eines schönen Tages sahen sich der kleinkarierte König und seine Herzdame gezwungen, ihren besten Buben, Pik geheißen, außer Landes zu senden, um einen skrupellosen Briganten zu verfolgen, der am königlichen Hofe enttarnt worden war. Dieser Schurke hatte sich als vertrauenswürdiger Berater ausgegeben, sich in Alfons' Herz geschlichen und bei erster Gelegenheit die ›Sieben kostbaren Habseligkeiten‹ des Hofes gestohlen. Die königliche Ehre war angegriffen. Das Paar fühlte sich persönlich schwer verletzt, was in der tiefen Verbundenheit zu den königlichen Traditionen und dem Bedürfnis nach Perfektion wurzelte. Der Vorfall war ein Schlag gegen die ›Alfonsische Ordnung‹. Hinter vorgehaltener Hand wurde im Hofstaat Alfons' Fähigkeit zur effizienten Regentschaft in Frage gestellt: hielt er noch die Trümpfe in der Hand? Mit seinem Marschall lag Alfons schnell über Kreuz. Der Kleinkariertheit des Königs und seiner Herzdame wurde eine fremde, schmerzhafte Realität aufgezeigt, die sie mit Entsetzen erfüllte und sie eine verzweifelte Suche nach ihren gestohlenen Schätzen in Gang setzen ließ.

Erste Nachforschungen ergaben, dass sich der Dieb über ziemlich alle Berge gemacht und schließlich in L'As-Turien eine feste Unterkunft bezogen hatte. Der Bube Pik begab sich also hastig auf die Reise, durchquerte Landschaften, von denen er nie gehört hatte und kaum Zeit fand, sie zu bewundern. Besessen von der Idee, die gestohlenen Habseligkeiten in einem glorreichen Handstreich wiederzubeschaffen, erreichte er endlich L’As-Turien und begann die Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen, die sich komplizierter gestaltete, als er es vorausgesehen hatte. Mit Händen und Füßen, ohne jegliche Sprachkenntnisse, fragte er verzweifelt in allen Ecken eines jeden Dorfes nach Spuren des Diebes – ohne greifbaren Erfolg; er jagte schlicht einem Phantom hinterher.

Müde und erschöpft machte der Bube Pik eines Abends Rast in einer kleinen Herberge. Die schicksalhafte Fügung wollte es, dass sich auch der gesuchte Schuft dort unerkannt einquartiert hatte. Als sich die Gäste zum Nachtmahl in der Taverne einfanden, bemühte sich Pik angestrengt seine Nachforschungen fortzuführen. Die Fragerei des Fremden ließ den Dieb hellhörig werden.

Ohne jeglichen Erkenntnisgewinn verrauschte Piks Abend schließlich in resignierter Stimmung bei reichlich Sangria. Kurz nach Mitternacht schlich der Dieb sich in Piks Stube und räuberte mit listigen Fingern die Reisetaschen aus, während Alfons' Gefolgsmann weinselig vor sich hin schnarchte.

Am Morgen erwachte Pik mit dröhnendem Schädel und erkannte den Verlust seiner Wertsachen. Verzweiflung und Wut erfüllte sein Herz. Ohne seine Barschaft war die Fortsetzung seiner Verfolgungsjagd schier aussichtslos, der mühselige Versuch die königliche Ordnung zu restituieren war allem Anschein zum Scheitern verurteilt.

Schwer lastete die Frustration auf Piks Schultern, und eine Mischung aus Ärger, Enttäuschung und Hilflosigkeit überkam ihn. Wie konnte es sein, dass er, der beste Soldat des Königs, keinen Stich machte und nun selbst zum Opfer eines Diebstahls geworden war? Die Ironie des Schicksals schien ihn zu erdrücken.

Entschlossen, sich nicht von diesem Desaster entmutigen zu lassen, durchkämmte er die Herberge, befragte das Personal und den Wirt. Der konnte zwar eine vage Personenbeschreibung abgeben, doch der Dieb blieb wie vom Erdboden verschluckt.

Die Ungewissheit nagte an Piks Nerven. Er hatte den klaren Auftrag gehabt, den Dieb dingfest zu machen und die gestohlenen Schätze heimzubringen, doch nun war er selbst inmitten eines chaotischen Wirbels gefangen. Er fühlte sich verloren und betrogen. Trotz allem setzte Pik mit dem unerschütterlichen Willen, Gerechtigkeit walten zu lassen, seine Suche fort.

Tag um Tag verstrich. Schließlich machte er sich als geschlagener Jäger und am Boden zerstört auf den Heimweg.

Die Geschichte des Buben Pik wurde trotz des erlittenen Misserfolgs zum Mythos, der sich schnell in ganz L’As-Turien verbreitete. Seine Beharrlichkeit und seine unerschütterliche Hingabe wurden bewundert und inspirierten andere, an ihrem eigenen Kampf gegen das Unrecht festzuhalten.

 

Ende

 

Impressum

Texte: Alberto Bronca
Cover: Alberto Bronca
Lektorat: Alberto Bronca
Korrektorat: Alberto Bronca
Tag der Veröffentlichung: 16.07.2023

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