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Jan-Josefs Blind Date

Jan-Josef wartete bereits seit dem Mittagessen auf sein Blind Date. Langsam aber sicher steigerte er sich in eine gewisse Unruhe hinein. Plötzlich meldete sich der Wohnungsgong. Angespannt erhob er sich von seinem Lieblingssessel, eilte zum Eingang und nahm den Hörer der Gegensprechanlage ab. »Hallo?« fragte er mit leicht nervöser Stimme.

Eine Frauenstimme erklang am anderen Ende der Leitung. »Guten Tag, hier spricht Frau Mitternicht. Frau Schwapp ist bei mir. Wir möchten uns gerne mit Ihnen über Jesus Christus unterhalten.«

Jan-Josef war etwas irritiert. Diese Art der Vorstellung erschien ihm ziemlich seltsam. Dann kam ihm der Gedanke, dass es sich vielleicht um ein Codewort handelte, eine verschleierte Geheimbotschaft. »Heißen Sie Rosi und Lola?« erkundigte er sich vorsichtig.

Die Frauen tauschten einen verdutzten Blick aus. Frau Mitternicht erkannte die sich bietende Chance und  antwortete zögerlich: »Äh, ja, genau. Wir sind Rosi und Lola. Aber eigentlich wollten wir über Jesus Christus sprechen...« Denn das wollten sie unbedingt. Bisher waren sie bei ihren vorangegangenen Versuchen, mit ihrem Anliegen in eine fremde Wohnung zu gelangen, immer abgewimmelt worden.

Jan-Josef leckte sich beschwingt die Lippen. Rosi und Lola: mehr als die Namen hatte ihm die Agentur tatsächlich über sein Blind Date nicht verraten. In seiner Aufgeregtheit verdrängte er die Faseleien der beiden Frauen. Er konnte es kaum erwarten, sie hereinzulassen, um mit der Party zu beginnen. »Würde es den Damen etwas ausmachen, noch zwei Minuten zu warten? Ich bin jeden Moment startbereit«, bat er dennoch um ein wenig Geduld.

»Ja, das ist wirklich kein Problem«, gab Frau Mitternicht sichtlich erleichtert zurück.

In der Wohnung war bereits alles für eine heiße Nacht vorbereitet. Jan-Josef stellte jetzt noch schnell die Musikanlage an. George Michaels ›Careless Whisper‹ säuselte verführerisch aus den Lautsprecherboxen. Er entzündete die Kerzen in den verschiedenen Ecken des Wohnraums und prüfte ein letztes Mal mit Kennermiene die Batterie alkoholischer Getränke, die er auf der Anrichte aufgereiht hatte. Natürlich hielt er auch Softdrinks, Snacks und leichtes Knabberzeug bereit. Er knipste auf eine Fernbedienung und seine alte Diskokugel begann langsam ihre Runden an der Zimmerdecke zu drehen. Seit Tagen stiegen die Wachskugeln in der Lavalampe auf und ab und hoben die Atmosphäre zu seiner größten Zufriedenheit.

Als Jan-Josef die Tür öffnete, begrüßte er die beiden Frauen mit einem breiten Lächeln. »Willkommen! Rosi! Lola! Ich freue mich riesig, dass ihr da seid! Kommt rein, die Party ist eröffnet!«

Die beiden Frauen blickten sich völlig perplex an. Sie hatten sich auf ein religiöses Gespräch vorbereitet und erwarteten frohen Mutes eine lebhafte Diskussion über Jesus Christus. Doch stattdessen blickten sie in einen abgedunkelten Flur, im Hintergrund flackerten Lichter und dann noch diese schwüle Musik.

»Äh, entschuldigen Sie«, sagte Frau Mitternicht verwirrt. »Aber wir wollten mit Ihnen wirklich nur über Jesus Christus sprechen. Vielleicht haben Sie uns falsch verstanden?«

Jan-Josef schaute sich im Hausflur um, lachte laut und winkte ab. »Ach was, falsch verstanden! Alles in der Welt ist ein Missverständnis. Kommt schon rein, habt Spaß! Macht euch locker, ich hoffe, es gefällt euch bei mir. Snacks, Getränke und gute Musik stehen bereit!«

Die beiden Frauen sahen sich verunsichert an. Sie waren hin- und hergerissen zwischen ihrem ursprünglichen Vorhaben und der unerwarteten Wendung. Schließlich beschlossen sie, der Situation eine Chance zu geben und der Einladung zu folgen.

*

Jan-Josef war gleich voller Energie und Partygeist, während Mitternicht und Schwapp zaghaft versuchten, auf ihr ursprüngliches Anliegen zurückzukommen. Jan-Josef glaubte an ein abgekartetes Spiel, in dem die Frauen bewusst schüchtern taten. Deswegen animierte er sie immer wieder zum Tanzen und zum Genießen der Musik. »Kommt schon, lasst uns gemeinsam feiern! Es wird eine unvergessliche Nacht!«, rief er begeistert.

Die beiden Frauen wähnten sich in einer surrealen Situation und versuchten, höflich und beharrlich auf das ursprüngliche Anliegen zurückzukommen. »Entschuldigung, Jan-Josef! Aber wir wollten eigentlich über Jesus Christus sprechen. Es ist uns wirklich wichtig, unser Auftrag.«

Jan-Josef wies den Einwand lächelnd von sich. »Ja, natürlich! Später! Jetzt ist Partyzeit! Wie wäre es mit einer Runde Karaoke!« Er zog die beiden Frauen vom Sofa hoch und drückte ihnen Mikrofone in die Hand.

Sie sahen sich hilflos an, während sie unbeholfen mit den Mikrofonen in der Hand vor Jan-Josef standen. Frau Schwapp versuchte einen anderen Ansatz und rezitierte eine Bibelstelle, während die Musik im Hintergrund weiterlief.

Doch Jan-Josef, der inzwischen voll in seinem Element war und von seiner ausgelassenen Stimmung mitgerissen wurde, fing an, lauthals mitzusingen und tanzte wild umher. »Du Rosi, du musst dich schon an den Text halten.«

Frau Schwapp erkannte, dass sie mit ihrer Botschaft nicht durchkam und beschloss, vorerst auf Jan-Josef einzugehen. Sie tänzelte auf ihn zu und ließ die Hüften kreisen. Jan-Josef brachte es in Wallung und er ging auf Tuchfühlung. Unter den bunten Lichtern der Diskokugel tanzten die beiden ausgelassen und hatten sichtlich Spaß, während Frau Mitternicht es weiter versuchte, ihre Botschaft in diesem Chaos zu vermitteln.

Schließlich gab sie auf und trat zu Jan-Josef. Sie schrie über die laute Musik hinweg: »Jan-Josef, wir sind doch keine ›Animiermädchen‹! Wir wollten über Jesus Christus sprechen … und nicht auf einer Party sein!«

Jan-Josef blieb abrupt stehen und starrte sie mit großen Augen an. Erst jetzt dämmerte ihm, dass er wohl einen gewaltigen Fehler gemacht hatte. »Oh mein Gott«, stammelte er. »Ihr seid nicht Rosi und Lola?«

Er drehte die Musik ab. Frau Mitternicht trat zu Jan-Josef und gestand ruhig: »Nein, wir sind nicht Rosi und Lola. Wir sind Frau Mitternicht und Frau Schwapp. Wir kamen hierher, um mit Ihnen über Jesus Christus zu sprechen.«

Jan-Josef schaute verlegen zu Boden und fühlte sich ziemlich dumm. Er hatte die Situation komplett falsch eingeschätzt und die beiden Frauen mit den Mädchen seines Blind Dates verwechselt. »'s tut mir leid«, murmelte er. »Ich dachte, ihr wärt gekommen, um …«

Frau Mitternicht lächelte freundlich. »Kein Problem, Jan-Josef. Missdeutungen können passieren. Aber wir wären immer noch gerne bereit, mit Ihnen über unseren Glauben zu sprechen, wenn Sie daran interessiert sind.«

Jan-Josef, der sich nun bewusst war, wie unangebracht sein Verhalten war, nickte betrübt. »Natürlich, ich entschuldige mich nochmals für die Unannehmlichkeiten. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Sie jetzt bitten, zu gehen. Vielleicht kann ich Ihnen zum Abschied noch einen Drink anbieten? Oder einen Happen zu essen ... für den Heimweg?«

Frau Mitternicht begann von vorn, sie hatte die Hoffnung auf eine Bekehrung noch nicht aufgegeben. »Jan-Josef, wir sind hier als Zeugen Jehovas, um Ihnen von den Lehren und dem Leben Jesu Christi zu erzählen. Wir glauben, dass seine Botschaft von großer Bedeutung ist und jedem Menschen Hoffnung und Frieden bringen kann.«

Jan-Josef war genervt und enttäuscht. »Ich habe schon einiges über die Zeugen Jehovas gehört. Ich weiß zwar nicht viel über eure Glaubenslehren, aber so viel weiß ich: ihr solltet jetzt besser gehen.«

Frau Mitternicht lächelte warmherzig und erklärte: »Natürlich, Jan-Josef. Wir glauben an die zentrale Botschaft der Bibel und dass Jesus Christus Gottes Sohn und der versprochene Messias ist. Wir betonen die Wichtigkeit einer persönlichen Beziehung zu Gott und engagieren uns aktiv im Verbreiten des Wortes Gottes.«

Jan-Josef drängte die beiden Frauen geduldig und behutsam aus dem Wohnzimmer. Sie sprachen weiter über die Bedeutung des Glaubens, den Zweck des Lebens, die Hoffnung auf das ewige Leben und die Vorstellung von einer gerechten Welt. Jan-Josef blieb stoisch.

Der Monolog endete abrupt, als Jan-Josef die Wohnungstür öffnete und die beiden in den Hausflur schob. Etwas an Frau Schwapps Gesichtsausdruck sagte ihm, dass sie nicht abgeneigt schien, George Michaels ›Careless Whisper‹ zu Ende zu singen.

Jan-Josef schloss leise die Tür. Sein Blick fiel auf den Wandkalender mit Motiven von Madeira. Erschreckt stellte er fest, dass er vorgestern die rote Datumsmarkierung um einen Tag zu weit geschoben hatte. Rosi und Lola waren erst für den nächsten Tag gebucht.

 

ENDE

Impressum

Texte: Alberto Bronca
Cover: Alberto Bronca
Lektorat: Alberto Bronca
Korrektorat: Alberto Bronca
Tag der Veröffentlichung: 12.07.2023

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