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DIE PROPHEZEIUNG

 

 

Es war einmal ein Hutmacher namens Ansèlme Moignon, der lebte in Paris, ganz nahe dem Seineufer. Sein kleines Geschäft ging mehr schlecht als recht, warf gerade so viel ab, um es am Laufen zu halten. Für seine persönlichen Bedürfnisse blieb nicht viel übrig, wobei  ein neuer Anzug schon lange nottat und die Absätze seiner Schuhe krumm und schief gelaufen waren. Das Emailleschild in dem einzigen Schaufenster seines Ladens verhieß den vorübergehenden Passanten in schöner Schreibschrift: Chapeaux, casquettes et bonnets faits main. Trotz alledem war es ihm damit nicht vergönnt, reiche Kundschaft anzulocken; obwohl er durchaus eine schöne Auswahl modischer und ansprechender Kopfbedeckungen von hoher Qualität zu erschaffen wusste.

Vor drei Jahren war ihm allerdings etwas Außergewöhnliches passiert. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit hatte er im Schlaf intensiv geträumt. Eine ›Gute Fee‹ war ihm erschienen und hatte zu ihm gesprochen.

»Staube bloß nicht ab den Hut,

behüt' den Staub dagegen gut.

Der blech'ne Nachttopf von Ansèlme,

wird dann bald ein goldner Helm.«

 Als Monsieur Moignon erwachte, erinnerte er sich so deutlich an die Worte, dass eine große Wahrheit darin verankert sein musste.

Im Laufe des Tages nahm er also einen Hut aus seinem Ladenregal, der dort schon lange vergeblich auf einen Käufer gewartet hatte. Er begutachtete die Melone und entdeckte bereits eine leichte Staubschicht auf dem Stoff. Er fand, dass dies genau das geeignete Objekt zur Erfüllung der Prophezeiung sein müsse und verstaute es in der dunkelsten Ecke seiner Werkstatt neben altem Werkzeug in einem Regal.

›An diesem Ort‹, so dachte Ansèlme wohlgemut, ›wird die Melone auf wundersame Weise reifen können und mich zu einem reichen Mann machen.‹

Seitdem war viel Wasser die Seine hinabgeflossen; Chapelier Moignon hatte in unregelmäßigen Abständen nach der Melone gesehen und festgestellt, dass die Staubschicht wuchs und wuchs. Sein Nachttopf stand jedoch wie eh und je unter seinem Bett: nämlich aus emaillierten Blech gefertigt. Dennoch zweifelte Ansèlme keinen Moment an der Vorhersage der Guten Fee; die Zeit war einfach noch nicht soweit. Er musste halt Geduld aufbringen und warten, bis diese vermaledeite Staubschicht dick genug war.

Eines Abends traf Monsieur Moignon in seinem Stammlokal zwei seiner seltenen Bekannten. Sie hatten die Gelegenheit genutzt, um ausgiebig zu tafeln und zu trinken, und Ansèlme war anschließend glücklich nach Hause gewankt. Schon in der Nacht überfielen ihn dann plötzlich heftige Bauchschmerzen und am Morgen war ihm so übel und malade zumute, dass er beschloss, den Rest des Tages im Bett zu verbringen. Irgendetwas musste wohl verdorben gewesen sein, entweder Speis oder Trank. Egal, er fühlte sich einfach gotterbärmlich.

In dieser misslichen Lage fand ihn Josephine Coupeventin, seine propere Haushälterin, als sie Ansèlmes Wohnung zum täglichen Reinemachen betrat. Sofort traf sie Anstalten, den Hutmacher mit einer kräftigen Brühe wieder aufzupäppeln. Nachdem sie ihm auch noch Tee und Zwieback auf das Nachttischchen gestellt hatte, wollte sie sich postwendend an ihre Arbeit begeben.

»Madame Coupeventin, seien Sie so gut und gehen Sie bitte in mein Geschäft hinunter und schauen Sie nach dem Rechten. Ich werde heute nicht aufsperren. Ich fühl mich einfach noch zu unwohl.«

»Natürlich Maître Ansèlme. Ich steige gleich hinunter«, versicherte sie dienstbeflissen.

Das Ladenlokal lag dunkel hinter den geschlossenen Rollläden. Josephine zog die Jalousien hoch und hängte umgehend das Schild ›Heute geschlossen‹ in die Tür.

Sie war schon lange nicht mehr im Laden gewesen und so unterzog sie ihn einer genauen Musterung. Ein wenig schmuddelig fand sie die Ausstattung schon. ›Der Boden könnte einmal kräftig gescheuert werden und die Theke und die Regale, na ja, Monsieur Moignon …‹, dachte sie um die Sauberkeit des Geschäftes besorgt. ›Jetzt möchte ich bloß nicht wissen, wie die Werkstatt aussieht…‹ Schon wendete sie ihre Schritte in die hinteren Räumlichkeiten und war angenehm überrascht. Die vermeintliche Unordnung hielt sich durchaus in Grenzen. Dennoch wollte sie auch noch einen letzten Blick in die hinterste Ecke werfen. Sie nahm die Taschenlampe vom Arbeitstisch und machte sich damit zur Erkundung auf. Wissbegierig leuchtete sie in das Regal und entdeckte Maître Ansèlmes Schatz: die Melone.

»Mon Dieu! Was für ein schmutziges Ding ist denn hier versteckt? Der Hut ist ja unglaublich dick verstaubt. Wie will Monsieur solch einen Hut jemals verkaufen?«

Sie nahm die Melone mit in die Werkstatt, griff sich eine Bürste und begann sofort mit der Reinigung. Dicke Staubwolken umgaben sie, als sie den Hutmacher von oben rufen hörte. »Madame Coupeventin, wo sind Sie denn? Kommen Sie doch bitte mal zu mir.«

Augenblicke darauf stand sie, immer noch Hut und Bürste in den Händen haltend, in Ansèlmes Schlafzimmer. Sein Blick fiel auf die schon fast komplett von Staub befreite Melone. Seine Kinnlade klappte nach unten. Dann rang er verzweifelt nach Worten. »Josephine! Was, um Himmels Willen, haben Sie getan?« Er schwang die Beine aus dem Bett und warf einen verzagten Blick unter das Bettgestell. Keine Spur von einem goldenen Helm, der emaillierte Nachttopf hielt unverändert Wache.

*

Nach diesen Ereignissen hatte Monsieur Moignon die Melone zwar wieder zum Staubfangen ins Regal gelegt, aber nie wieder war sie ähnlich staubig geworden wie zuvor … und auf die Erfüllung der Vorhersage der Guten Fee wartet Maître Ansèlme leider immer noch.

 

ENDE

Impressum

Texte: Alberto Bronca
Cover: Alberto Bronca
Lektorat: Alberto Bronca
Korrektorat: Alberto Bronca
Tag der Veröffentlichung: 17.06.2023

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