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Der Träumer

Von dem Strand, der nun Stabiä, die fast zweitausend Jahre in Aschenregen begrabene Stadt, lieblich überblüht, gelagert zwischen dem Golf von Neapel und dem von Salerno, erhebt sich über den Spiegel des anmutigen Meeres, erst mit sanfteren Hügeln, bald aber geschwungener und kühner, ein mächtiges, vielzackiges, oben dunkelbewaldetes Kalkgebirge, dessen fruchtbare, terrassierte Hänge der Bienenfleiß der Menschen überall reichlich mit Öl- und Weingärten und mit unzähligen, zierlichen Ortschaften überbaut und geschmückt hat.

So vollendet ist das Werk des Fleißes dort, dass es vor die Augen tritt, wie ein müheloses, unmittelbar göttliches Geschenk, als habe das Paradies sich herniedergesenkt in die Täler und um die Lehnen der zackigen Anhöhen.

Unter den vielen Ortschaften erhebt sich aber eine, Gragnano genannt, besonders gesegnet mit köstlichen Purpurtrauben. Die Rebe trägt dort so reichlich, dass die Winzer noch im Schatten gehen, selbst wenn sie schon die Blätter hinweggebrochen haben; die Trauben allein geben Schatten genug.

Nicht zu früh, nicht zu spät reifen sie dort an den luftigen Hängen und füllen die gewaltigen Fässer mit köstlichem Getränk, sodass die Besitzer von Jahr zu Jahr an Wohlstand zunehmen. Ja, rings um den ganzen schönen Golf sagt man, wenn man jemanden als wohlhabend bezeichnen möchte: ›Er hat sein Kellerchen in Gragnano‹.

Nun hatte vor Jahren Gott einem Mann namens Strintillo solcher Kellerchen nicht nur eines, sondern mehrere beschieden, auf deren Besitz sich Signor Strintillo nicht wenig zugute hielt.

Seine liebste Rede war: Ich bin Don Strintillo und was ich haben will, muss geschehen!

Signor Strintillo wollte jedoch manchmal sehr dummes Zeug; besonders wenn ihm dergleichen geträumt hatte; denn er war über alle Maßen abergläubisch und hielt gewaltig viel auf seine Träume.

So ließ er einst einen Brunnen in eine dürre Felszacke hauen, weil ihm dort im Traum von seinem Vetter Ciccio ein Glas Wasser gereicht worden war. Als man ihm aber erklärte, hier werde kein Wasser kommen, sagte er: »Ich bin Don Strintillo und was ich haben will, muss geschehen!«

Sofort wurde mit dem Schlagen des Brunnens begonnen. Man sprengte, dass die Steine flogen. Drei Monate vergingen, – noch immer kam kein Wasser; aber Don Strintillo verlor nicht den Mut und würde, jedem Spötter zum Trotz, noch heute graben lassen; hätte sein Vetter Ciccio nicht Wasser in die Grube gegossen, und ihm ein Glas daraus geschöpft und zu trinken gereicht.

»Wer hat nun recht?« fragte Don Strintillo und trank das Glas in einem Zug aus. Zwar kam später, trotz alles Grabens, kein Wasser mehr nach; aber Don Strintillo hielt den Traum für erfüllt und war zufrieden und, als man ihm einige Zeit nachher von Ciccios List erzählte, sagte er: »So redet Ihr nur, damit ich nicht recht haben soll.«

Und alles endete damit, dass er nur umso mehr im Glauben an seine Träume bestärkt wurde, recht nach dem alten Sprichwort: zerstoße den Narren im Mörser und er wird ein Narr bleiben, nach wie vor.

Jeden Morgen, gleich nach dem Frühgebet, griff Don Strintillo nach seinen Traumdeutungsbüchern, von denen er nicht genug bekommen konnte. Dieselben widersprachen sich zwar hier und da; aber das war ihm eben recht; denn, traf sein Traum nach dem einen Buch nicht ein, so fand er in dem anderen Trost.

Alles, was ihm widerfuhr, wusste er immer hinterher den Träumen anzupassen, die er kurz vorher oder lange vorher gehabt hatte.

Als ihm seine gute Frau starb, sagte er zu seinem Vetter Ciccio mit Tränen in den Augen: »Da sieh, wie meine Träume zuletzt doch eintreffen! – Vor drei Jahren, just in derselben Nacht, sah ich im Traum eine Katze, die auf glühenden Kohlen stand und gewaltig schrie. Was diese Katze bedeuten sollte, konnte ich damals in meinen Büchern nicht finden und auch nicht denken. Nun ist es aber klar: die Katze, die auf Kohlen steht, ist meine Frau im Fegefeuer; denn, unter uns gesagt, sie kam mir manchmal nicht aufrichtig vor. Nun aber lass uns für ihre arme Seele beten!«

»Du tust ihr unrecht«, sagte Don Ciccio.

»Lass uns beten«, erwiderte Strintillo, »vor Gott sind wir alle Sünder!«

Zum Glück wurde seine schöne Tochter Angiolina nicht von ihm erzogen, sondern von einer verständigen Muhme, die er ins Haus genommen hatte. Angiolina wuchs an Leib und Seele so herrlich heran, dass sie mit sechzehn Jahren das Wunder der ganzen Gegend war.

Unzählige Freier hatten sich bereits vergeblich bei dem wunderlichen Vater um sie beworben, als eines Tages zwei bei ihm zusammentrafen, die sich besser berechtigt glaubten als alle früheren.

Der ältere dieser Freier, Don Granco, war zwar von Gestalt hässlicher und drolliger, als man irgendein Figürchen aus Brot kneten könnte, dabei jedoch der wohlhabendste Mann in Gragnano und, was ihn bei Strintillo gleichermaßen empfahl, genau wie er, ein leidenschaftlicher Liebhaber von Träumen.

Der andere dieser Freier aber war das Gegenteil von diesem, weder ein Träumer, noch mit Reichtümern gesegnet, aber sonst mit allem ausgestattet, was an jungen Leuten wohlgefällt. Er war jung und schön, kräftig und rührig und rasch in allem was er tat, der beste Tänzer am Ort und geliebt von jung und alt. Begabt mit der süßesten Stimme, die je von Mannesmund erklungen, verstand er zu Tänzen und Spielen augenblicklich die zierlichsten Weisen und Lieder zu erfinden. Er hatte vor Kurzem erst in einem Wettsingen mit den besten Improvisatoren der Gegend eine schön ausgelegte Mandoline gewonnen, zu deren beseelten Klängen er, unter Angiolinas Fenster, manch schmelzendes Lied gehaucht hatte.

Kurz, Don Granco besaß das Herz des Vaters und Giovanni das Herz der Tochter, und war bei dem Alten ebenfalls so wohl angeschrieben, dass er die beste Hoffnung hatte. So gerüstet, traten beide zugleich in Strintillos Zimmer. Jeder im Vertrauen auf sein Glück, hatte keiner ein Hehl vor dem anderen.

Giovanni ließ den drolligen Don Granco seine Werbung zuerst anbringen.

Dieser hob folgendermaßen an: »Mein ehrenwerter Freund Strintillo, vielleicht ist Euch bereits bemerklich geworden, wie mich schon seit geraumer Zeit der Liebesgott quält und peinigt, und zwar um Eurer schönen Tochter willen, welche, wie alle Welt weiß, von der Nasenspitze bis zur kleinen Zehe nichts anderes ist, als ein Zucker und ein Honig. Und, dass ich es kurz heraussage, durchaus gemacht für Euren Diener Granco. Viel Redens kann ich nicht machen. Don Strintillo, gebt sie mir zum Weib. Ich stelle sie in ein Glasschränkchen, und lasse kein Stäubchen auf sie fallen, so wahr ich Granco bin; es soll Euch nicht leid werden! – Ihr wundert Euch vielleicht, woher ich den Mut nehme, und gleich mit der Tür ins Haus falle? Doch seht diese zerknitterte Schlafmütze hier und vernehmt, was mir diese Nacht geträumt hat.«

Bei diesen Worten wurde der arme Giovanni leichenblass. Auf einen Traum seines Nebenbuhlers war er nicht gefasst, und da er Strintillos Leidenschaft für Träume kannte, fürchtete er sehr, dass Granco die Oberhand gewinnen könnte.

»Der Traum ist«, fuhr Granco fort, »so gut wie einer sein kann und ein Morgentraum. Er passt überall ein und schließt zusammen, dass gar keine Fuge bleibt.«

Hierauf erzählte Granco mit langweiliger Ausführlichkeit: wie ihm Angiolinchen im Traum erschienen sei, um und um mit Blumen besteckt, und ihm eine Rose gegeben habe... Wie sie dann zusammen einen großen goldenen Fisch gefangen und mit einem Hammer totgeschlagen hätten; der Fisch aber habe so viel Rogen gehabt, dass all seine Kessel und Töpfe nicht langen wollten, ihn auszunehmen. Als er deshalb den Hut abgenommen habe, um sich hinter den Ohren zu kratzen, sei er aufgewacht, die Schlafmütze in der Hand, die er vor Freuden über den prächtigen Traum ganz zerküsst und zerbalgt habe.

»Da seht, wie sie aussieht, überall zerknittert und zerknüllt!«

»Warum aber erscheint Euch der Traum so gut?« fragte Giovanni.

Don Granco entgegnete: »Wenn Ihr es ihm nicht selber anseht, will ich Euch belehren; der Traum ist sechsmal gut:

Einmal, weil der Gegenstand der Liebe selber darin ist.

Zweitens, bedeuten die Blumen, dass das Zuckerkind bald heiraten wird.

Drittens, bedeutet die Rose, die sie mir gab, dass ich ein beneideter Mann sein werde.

Viertens, bedeutet das Angeln und, dass der Fisch anbeißt, unsere Heirat, und dass wir immer wohlhabend sein werden, denn der Fisch war von Gold.

Fünftens, bedeutet der Hammer, dass wir die Heirat durchsetzen werden, es mag in die Quere kommen, wer da will, und schließlich:

Sechstens, bedeutet der viele Rogen zahlreichen Kindersegen.

Nun sagt selber, was fehlt dem Traum noch an seiner Vollkommenheit. Fragt einmal Don Strintillo, er ist gelehrter als ich. Und mag er ihn nach Rotbarts Traumbuch auslegen oder nach Schwarzbarts, er ist gut und bleibt gut. Nach der klugen Sybille fällt er freilich anders aus, aber da sind die Nummern vertauscht, und wer ihr traut, ist immer betrogen. Was meint ihr, Don Strintillo«, fragte Granco mit zuversichtlicher Miene, »ist er nicht gut, ist er nicht prächtig?«

Aber Strintillo, der auf keine Frage rasch zu antworten gewohnt war, und der, unter uns gesagt, noch etwas auf die Sybille hielt, bewegte nachdenklich den Kopf, wandte sich zu Giovanni, und fragte: »Hat Euch auch etwas geträumt?«

»Mir? Nein ... oder doch, ja«, entgegnete Giovanni, und ergriff Strintillos Hand. »Mein lieber Don Strintillo, seit ich Eure Tochter gesehen habe, lebe ich beständig, Tag und Nacht, in dem Traum fort, dass nie Leute glücklicher zusammenleben würden, als Eure Tochter und ich!«

Hierbei standen ihm die hellen Tränen in den Augen.

Don Strintillo sah ihn freundlich an und sagte: »Nun, mein lieber Giovanni, ich weiß, dass meine Tochter Euch wohlwill und habe nichts gegen Euren wachenden Traum und gegen Euren schlafenden auch nichts, ehrenwerter Don Granco. Beide Träume können recht gut sein, doch erstens, habe ich sie nicht selber geträumt und zweitens, seid ihr an einem bösen Tag zu mir gekommen, denn hört: Als ich diesen Morgen ausgehen will, kommt mir rechts ein altes Weib entgegen, links huscht mir ein Häschen über den Weg und, wie ich wieder ins Haus trete, läuft mir bis ins Zimmer Ciccios roter Hund nach, der mir nie Gutes bringt. Daher ist der heutige Tag sehr böse, und gar nicht gemacht, um dergleichen zu beschließen. Geduldet Euch also noch heute, morgen früh sollt ihr ausführlichen Bescheid erhalten. Keiner von euch wird darum von mir verachtet; aber ich will die Sache überschlafen. Der Himmel wird mir einen Wink geben, dem ich folgen kann. Das Schicksal meines einzigen Kindes liegt mir zu sehr am Herzen, als dass ich dergleichen ohne himmlischen Rat beschließen könnte. Lebt wohl. Heute droht Unglück in meinem Haus, darum wird euch weder Speise noch Trank gereicht. Ein andermal sollt ihr mir herzlich willkommen sein.«

Mit solchen Reden entließ Don Strintillo die beiden Freier für diesen Tag.

Don Granco fand alles sehr natürlich, und blieb, im Vertrauen auf seinen sechsmal vortrefflichen Traum, so glücklich wie vorher. Aber Giovanni geriet, als er das Haus verlassen hatte, ganz außer sich über den abergläubigen Strintillo, und als er ins Freie kam, rief er zum blauen Himmel empor: »Wenn das Schicksal eines Wesens wie Angiolina an Strintillos albernen Träumen hängt, was soll aus ihr, was soll aus mir werden! Lieber himmlischer Vater, erhelle doch die Augen des Alten, dass er die Tochter nicht auf ewig unglücklich macht. Tue seinen Sinn auf über seine Torheiten; oder, wenn du ihn nicht umbilden willst, sende ihm wenigstens einen Traum, in dem Angiolina ihm um den Hals fällt und ihn bittet, mich zu nehmen. Oder... wie du sonst seinen Willen lenken willst, denn du vermagst ja alles und jedes, wie deine Weisheit es für gut findet!«

Dieser letzte Gedanke machte Giovanni etwas ruhiger. Langsam schlich er zurück unter Angiolinas Fenster, und flüsterte die traurige Botschaft hinauf.

Angiolinchen, obwohl selbst erschrocken, suchte seine Sorgen zu beschwichtigen, und sagte zu ihm: »Lieber Giovanni, tröste dich, mein Vater hat dich lieb, wir wollen Gutes hoffen, gehe zu deinem Weinberg und zerstreue dich mit arbeiten. Geh, ich will auch etwas vornehmen, so werden Sorge und Unruhe am besten bekämpft.«

Langsam ging Giovanni zu seiner kleinen Besitzung. Sie schien ihm heute kleiner als je, weil er sie mit Grancos Gütern verglich. Er ging an die Arbeit und kämpfte mit Gewalt gegen seine Sorgen, aber er war immer noch in einem Zustand, der einem Fieber glich.

Der Mond schien lieblich und klar, es trieb ihn zum Haus seiner Geliebten. Er nahm seine Mandoline mit und spielte unter ihrem Fenster alle Lieblingsweisen. Aber wenn er an den anderen Morgen dachte, sanken ihm die Hände von den Saiten.

»Geh zur Ruh, lieber Giovanni!« bat Angiolina mit süßem Flüstern mehrere Male flehentlich.

Er ging auch, kam aber immer wieder zurück und um Mitternacht sang er unter dem Fenster der Kleinen, die selbst nicht tat, was sie ihn hieß, folgendes Lied aus seinem Herzen, während der Vesuv dazu leuchtende Gluten in die Mondnacht emporwarf:

 

Unruh'ge du, du rufst mir ›ruhe!‹ zu.

Bin todesmüd' und finde doch nicht Ruh!

Wo ruht des Schiffers Haupt im Sturmesdrang?

Ach Gott! Ach Gott! Wie ist die Nacht so lang!

Ich bin der glühnde Stein, der dort entfleucht

dem Schlund und, schon im Fall'n, wieder steigt,

emporgewirbelt von erneutem Drang.

Ach Gott! Ach Gott! Wie ist die Nacht so lang!

Ein Ameishaufen bin ich, den gestört

die Lieb. All meine Sinne sind verkehrt.

Am Himmel wankt vor mir der Sterne Gang.

Ach Gott! Ach Gott! Wie ist die Nacht so lang!

Ich bin die Wachtel, über'm Meer verirrt,

Kein Land erblickt sie, jagt und schlägt und schwirrt,

dicht unter ihr der Wellen Grabgesang.

Ach Gott! Ach Gott! Wie ist die Nacht so lang!

 

In solchen Gedanken kam den beiden Liebenden der Morgen heran, und sie erwarteten mit Ungeduld Strintillos Erwachen...

 

Don Granco nahm, wie wir wissen, die Sache viel ruhiger, er verließ sich auf seinen Traum, tat einen guten Schlaf, erwachte jedoch beizeiten, legte sogleich die zierlichsten Kleider an, die sich in seinen Kisten und Kästen vorfanden, und machte sich auf den Weg, nach Strintillos Haus, vor welchem er den guten Giovanni mit seiner Mandoline sitzend fand.

»Schon hier?« fragte Granco.

»Jawohl«, sagte Giovanni, »wir kommen noch zu früh, Don Strintillo ist noch nicht erwacht.«

»O, wohl ist er erwacht!« rief Strintillo und erschien an der Tür. »Kommt herein, ihr beiden Herren, ihr sollt Bescheid haben. Ich habe einen Traum gehabt, der an Schönheit seinesgleichen sucht und so deutlich ist, dass ihr ihn euch selbst auslegen könnt, so wenig ihr vom Traumauslegen auch versteht.«

Don Granco trat freundlich ein und rieb sich die Hände, zitternd folgte Giovanni.

»Da setzt euch und hört meinen Traum!« sagte Strintillo.

Beide setzten sich und der Träumer hob an: »Gestern, als ich mich schlafen legte, nahm ich mir fest vor, über eure Angelegenheit zu träumen. Es währte nicht lange, so kam ich aus der Finsternis des Schlafes in einen wunderschönen großen Weingarten, der mich sehr in Verwunderung setzte; denn an den Trauben, die dort hingen, waren die Beeren so groß, dass jede Beere wohl einen Schoppen fassen mochte.

Und jede Traube mochte gegen die tausend Beeren haben, aber die Trauben, die da waren, konnte ich nicht zählen; denn es war alles rot und schwarz davon, über und über!

Das Sonderbarste war, dass sich die Trauben vor meinen Augen färbten, und reif wurden. Und die, die reif wurden, sanken zu Boden und ließen den Most von selbst ausgehen, in Rinnen von weißem Marmor, die unter den Weinstöcken lagen.

All die Rinnen liefen zusammen in einen großen Teich. ›Wem mag wohl der Weinberg gehören?‹ dachte ich bei mir und sah mich nach jemandem um, der es mir hätte sagen können.

Da entdeckte ich eine Gans, die von den Beeren fraß, und etwas daherschnatterte, das immer klang wie: ›Bräutigam, Bräutigam.‹

›Sollte das meiner Tochter Bräutigam sein?‹ dachte ich weiter.

›Ja, ja, ja‹, schnatterte die Gans.

Indem ich so weitergehe, kommt mir mein Vetter Ciccio entgegen, und sagt mir: ›Wo bleibst du, Strintillo, lass die Hochzeitsgäste nicht warten!‹

Aber so geschwind ging das nicht; denn statt Sandes waren alle Gänge so dick voll mit Dukaten, dass wir manchmal bis an die Brust hineinsanken.

Endlich kamen wir in einen Keller, wo noch mehr volle Weinfässer lagen, als ich oben Trauben gesehen hatte.

›Wem gehört dies alles?‹ fragte ich Ciccio.

Angiolinas Bräutigam, war die Antwort.

Wir mochten wohl so ein paar gute Stunden, bei lauter vollen Fässern vorbeigekommen sein, als der Keller endlich ein Ende nahm und sich zu einem großen freien Platz öffnete, wo unzählige Hochzeitsgäste sämtlich auf ungeheuren Würsten saßen, an Tischen von runden Käsen, in deren Mitte jedes Mal Springbrunnen von lauterem Wein waren, die nach allen Gästen hin Strahlen schossen.

Weder Gläser noch Flaschen waren zum Trinken hingestellt, und die Gäste fingen ›auf gut spanisch‹ den Strahl, der auf sie zukam, mit den Mäulern auf, welches überaus lustig anzusehen war.

Auf den Tischen waren Messer gelegt, mit denen die Gäste sich nach Belieben Käse von den Tischen losschnitten.

Mitten auf dem Platz stand ein großer Ofen, wo man gar fette Ochsen hineintrieb, die auf der anderen Seite, köstlich gebraten, wieder herauskamen und um die Tische herumspazierten, wo sich dann jeder Gast sein Lieblingsstück losschnitt, worauf die Ochsen sich allemal höflich verneigten und wieder weitergingen.

Auf der anderen Seite war ein Teich von heißem Öl, in dem ungeheure gebratene Fische herumschwammen. Dort amüsierten sich viele Gäste mit Harpunieren und holten sich allemal den Fisch heraus, zu dem sie Lust und Appetit hatten.

Ebenso war es mit dem Federvieh bestellt, welches von einem großen Pastetenrand eingehegt, teils gebraten, teils gekocht, teils gedämpft herumlief, auch in allerhand Saucen schwamm und ebenfalls sehr artig den Rücken oder die Brust hinhielt, je nachdem man sich dieses oder jenes Pfaffenschnittchen losschneiden wollte.

Für die, welche gern Maccaroni aßen, hingen diese von den Bäumen herunter wie Palmenzweige, so niedrig, dass die Liebhaber davon die Hände auf den Rücken legten und sie mit den Zähnen abrissen, wie Ziegen das Laub abknubbern; sie durften auch nicht erst Käse daran tun, denn aller Staub, von welchem dort viel herumflog, war fein geriebener Parmesankäse, sodass die Maccaroni-Gäste über und über zu lauter Käse wurden.

So reichlich war alles bei dieser Hochzeit und ich sah mich noch immer vergeblich nach dem Bräutigam um. Endlich kam er daher - mit meiner Tochter an der Hand.«

»Nun und wer war es?« fragte Granco ganz freundlich.

»Er war aus Gragnano, das hörte ich sagen.«

»Aber wer war es?« fragte Granco noch vergnügter.

»Wer es war, mein lieber Granco, das konnte ich unmöglich erkennen«, antwortete Strintillo, »denn dieser Bräutigam strotzte so voll Gold und Juwelen, dass ich vor Glänzen durchaus seine Figur nicht erkennen konnte. So viel Mühe ich mir gab, ich konnte mir seine Züge nicht zusammenfinden, bis ich über dieser Bemühung aufwachte. Da schien mir die helle Morgensonne gerade ins Gesicht. Nun ratet selbst, auf wen deutet der Traum?«

»Nun, jedenfalls auf einen wohlhabenden Mann«, sagte Granco lächelnd.

»Richtig«, sagte Strintillo, »ein Reicher soll sie haben, dann wird sie glücklich sein, weiter sage ich nichts, und nenne keinen, um keinen zu beleidigen. Wer sich so reich glaubt, richte binnen drei Wochen ein Fest aus. Gefällt es mir, so soll es sein Hochzeitsfest sein und er mag meine Tochter heimführen mit allem Segen Gottes.«

»Aber . . .« begann da totenbleich Giovanni.

»Nichts weiter!«, fiel ihm Strintillo in die Rede. »Ich bin Don Strintillo und was ich haben will, muss geschehen!«

Damit ging er in sein Gemach und ließ die beiden Freier in sehr verschiedenen Empfindungen stehen.

 

Don Granco, seines Sieges mehr als gewiss, kniff vor Freuden den Mund zusammen, blies sein Oberlippchen auf, drückte gleich einem Kropf-Täuberich das Kinn an den Hals und gurrte behaglich: »Hm, Hm!«

Damit zog er ab und nahm sich so drollig aus, dass auch ein Toter über ihn hätte lachen müssen.

Doch Giovanni lachte nicht, der Arme stand da wie gefroren. Sein Auge sah nicht mehr, sein Ohr hörte nicht mehr. Hätte jemand ihm ein Messer durch das Herz gestoßen, er würde den Stoß nicht gefühlt haben. Die helle Morgensonne schien ihm in die offenen Augen, aber er war wie in finsterer Nacht. Er wankte hinaus, als wäre der feste Boden unter ihm nur Wind und Woge.

Angiolina, die mit der treuen Muhme am Fenster lauschte, rief ihm mit Zittern entgegen: »Nun?«

Er blickte sie an, bleich wie der Tod, schlug sich mit der Hand aufs Herz und wankte stumm dahin.

»Giovanni! Giovanni!« rief ihm die Geliebte nach; aber er wandte sich nicht wie sonst.

Er wankte fort, bis ihn der Schmerz gewaltsam zur Erde niederzog. Angiolina sah ihn sinken: da vermochte sie nicht mehr, sich zu halten. Sie eilte die Treppe hinab und hin zu ihm. Unter einem Mandelbaum lag er wie entseelt. Den Hut hatte er von sich gestoßen, sein Gesicht an die Mutter Erde gedrückt.

»Giovanni! Giovanni!« rief Angiolina aus zitternder Brust, und warf sich ihm zu Häupten, aber Giovanni winkte ihr hinweg, nahm mit beiden Händen Staub von der Erde, und ließ ihn in seine blühenden Locken fallen.

»Giovanni! Giovanni!« rief Angiolina und nahm sein Haupt in ihre schönen Hände.

»Nicht so, nicht so! Lieber, süßer Giovanni! Soll ich mit dir sterben?« rief sie schluchzend, und der Strom von heißen Tränen, den sie über seine Stirn ergoss, schien ihn wieder zu beleben. »Was ist geschehen?«

Doch Giovanni vermochte nicht zu antworten.

Währenddessen war die treue Muhme herangekommen und fragte: »Kinder, was ist euch?«

Nur mit Mühe konnte sie von Giovanni den Hergang herausfragen. Auch sie wurde von dem grausamen Spruch Strintillos, dessen Starrsinn ihr wohl bekannt war, herzlich betrübt, und weinte mit den Trauernden als gute Christin.

Schließlich aber fasste sie sich: »Liebe Angiolina, geh nur wieder heim, es könnte dich jemand hier sehen und das wäre nicht gut!«

»Ach! Ob mich jemand hier sieht oder nicht! Wer im Sterben liegt, fragt wenig mehr nach der Welt!« erwiderte das holde Kind fast stimmlos.

»O! Fasst euch, liebe Kinder«, fuhr die Muhme fort. »Vielleicht ist noch nicht alles verloren! Geh zurück ins Haus, Angiolina. Geh, bete zu Gott und der Heiligen Jungfrau: die vermögen den Sinn des Vaters wohl noch zu wenden. Und du, Giovanni, raffe dich auf. Weißt du, was du tust? – Geh zu meinem Bruder Ciccio, der ist ein studierter Mann; vielleicht gibt er dir guten Rat!«

»Guten Rat? – Kann er mir sagen wie, wer arm ist, in acht Tagen zum reichen Mann wird, auf ehrliche Weise? Kann er das?«

»Ich sage dir, geh' zu meinem Bruder Ciccio!«, wiederholte die Muhme. »Besseres vermag ich dir jetzt nicht zu raten. Hör auf mich, geh'!«

So trennte sie die beiden Liebenden. Angiolina wankte langsam mit ihr ins Haus zurück, Giovanni zögernd zu Don Ciccio.

 

»Warum so traurig?« trat ihm dieser entgegen.

Da fasste Giovanni Ciccios Hand, und schüttete sein ganzes betrübtes Herz aus.

»Wieder solch eine schöne Geschichte von Strintillo!« rief Ciccio erbittert aus. »Ich habe ja schon oft gesagt, die Träume bringen ihn noch ums Himmelreich! – Armer Giovanni! Was sich für dich tun lässt, soll getan werden, aber...«, hierbei zuckte Ciccio mit den Achseln, »Strintillo wird Strintillo bleiben. Was in seiner Haut steckt, ist alles närrisch. Ich kann dir wenig Hoffnung geben, lass uns aber doch auf frischer Tat einen Angriff auf sein Herz versuchen und zwar mit all den Seinen; komm, wir wollen uns noch Pater Antonio mit zu Hilfe nehmen, der predigt wie Paulus. Wenn der ihn nicht mürbe macht, so ist und bleibt er ein Stein und dein Schicksal von Eisen!«

Damit ergriff der gute Don Ciccio Hut und Stock, nahm ein kleines Säckchen mit Senfsamen in die Hand und ging mit Giovanni zu Pater Antonio.

Diesen fanden sie zwar bereit, ihnen beizustehen und er ging mit ihnen; aber er gab Giovanni fast noch weniger Hoffnung als Ciccio.

So traten die drei in Strintillos Haus und in das Zimmer der Muhme Cecca, die seine Schwester war.

Bei ihr fanden sie Angiolina.

»Ach«, sagte Cecca, wie sie von dem Vorhaben der Kommenden hörte, »heute werden wir schwerlich zu Strintillo gelangen! Er hat sich fest eingeschlossen und lässt niemanden vor.«

»Schadet nichts«, sagte Ciccio, »ich tue wie Unverstand und werde schon eindringen! Hier in dem Säckchen habe ich ein Pröbchen von dem Senfsamen, nach dem Strintillo schon so lange verlangt hat. Damit werde ich die Tür öffnen! Ihr bleibt noch zurück, ich gehe zuerst hinein und rede mit ihm. Dann später kommst du nach, Cecca, dann Angiolina, dann Giovanni und, wenn unser Bitten und Ermahnen nichts fruchtet, soll der gute Pater Antonio das Letzte versuchen.«

Hiermit ging Don Ciccio, das Säckchen in der Hand, auf Strintillos Zimmer los. Vorsichtig folgten die anderen. Ciccio pochte.

»Niemand herein!« rief Strintillo.

»Ich bin es, lieber Vetter«, sagte Ciccio.

»Niemand herein!« wiederholte Strintillo dröhnend.

»Gut«, sagte Ciccio, »so werde ich dir den Senfsamen durch das Schlüsselloch hineinblasen!«

Hiermit nahm er eine halbe Handvoll, und blies ihn durch das gewaltig große Schlüsselloch.

»Ach so? Kommst du endlich mit dem Senf?«, fragte Strintillo und öffnete die Tür.

»Jawohl, ich bringe dir Senf«, sagte Ciccio, »und zwar von zweierlei Art.«

»Von zweierlei Art?«

»Ja, von zweierlei. Erstens hier den in diesem Säckchen, wie gefällt dir der?«

»Der ist sehr schön, sehr schön!«

»Nicht wahr, der ist schön. Aber, Strintillo, der andere ist noch bei Weitem schärfer.«

»So? Nun, dann bin ich begierig, wo hast du ihn?«

»Hier auf meinen Lippen.«

»Auf den Lippen? Ich sehe ja nichts.«

»Er kommt schon«, sagte Ciccio. »Du weißt doch, dass der gute Senf den Kopf aufräumt und die Gedanken klar macht. Sieh, solchen bring ich dir auf den Lippen. Sage mir doch, Strintillo, wie kannst du es über das Herz bringen, dein Kind vor dir sterben zu sehen?«

»Höre Ciccio«, ergriff Strintillo das Wort. »Wenn das dein Senf ist, so trage ihn wieder hinweg, solchen brauche ich nicht!«

»Gerade solchen brauchst du, lieber Strintillo. Du musst niesen, bevor du klar siehst, was du tust. Du mordest dein Kind, wenn du sie dem braven Giovanni nimmst, und dem runzligen Granco gibst. Willst du denn Meeresspinnen zu Enkelkindern haben?«

»Ich folge dem Wink des Himmels!«, sagte Strintillo. »Und dabei bleibt's! Was der Himmel beschließt, darüber müssen wir Menschen nicht grübeln.«

»Aber ist denn dein vermoderter Betthimmel, unter dem du träumst, unser Herrgott, oder bist du ein Heiliger, der Visionen hat?«

»Nein!« rief Strintillo schroff. »Aber ich bin Don Strintillo und was ich haben will, muss geschehen.«

Hierüber trat die Muhme laut weinend ein und bat Strintillo mit Händeküssen, seinen Sinn zu ändern. Aber, was auch gesagt wurde, Strintillo kniff den Mund fest zusammen und blieb stumm.

Angiolina trat hinein und warf sich ihm zu Füßen, ihr Schmerz rührte ihn zu Tränen. Aber er blieb stumm.

Giovanni trat herein und brachte seine Sache vor, so gut er konnte; doch Strintillo blieb stumm. Nichts veränderte den steinernen Mann.

Schließlich kam auch Pater Antonio, hieß die anderen hinausgehen und sprach allein zu ihm, und, wie es den Horchern schien, eindringlich; denn Strintillo brach endlich sein Schweigen. Wie aber erschraken sie wiederum, als sie, statt günstiger Worte, Folgendes vernahmen:

»Glaubt mir, ehrwürdiger Pater Antonio. Ich leide bei den Schmerzen meines Kindes, wie Abraham auf Moria; doch menschlicher Wille muss dem himmlischen nachgesetzt werden.

Mein Traum sei nicht himmlisch, sondern Blendwerk der Hölle, sagt Ihr? Wie wollt Ihr das beweisen? Warum soll er nicht gut sein? Was Arges widerfährt denn meiner Tochter?

Beide Freier sind gleichermaßen brave Leute, beide haben sie lieb, – dem Reichsten geb ich sie.

Da sagt Ihr mir: sie liebe nur einen von beiden! O, glaubt mir, die Liebe lahmt zuweilen; doch kommt sie später nach.

Frauen sind wie die Weinreben, sie lassen sich an jeden Mann binden, und gewöhnen sich an jeden, der sie zu ziehen weiß.

Wie war es denn mit meiner Seligen? Sie wollte mich erst durchaus nicht haben: in der ersten Nacht wollte sie mir entlaufen, am Ende fand sie sich doch recht gut in mein Hauswesen, und, wenn wir uns später auch oft gezankt haben, geschah es nur aus guter Meinung.

Darum, Pater Antonio, lasst ab mich zu peinigen und zu rösten. Es kann Euch alles nichts helfen. Die Tochter ist meine Tochter, ihr Vater heißt Don Strintillo, ich bin Don Strintillo und was ich haben will, muss geschehen!«

Nach dieser Rede machte Strintillo den Mund wieder fest zu.

Da mochte Pater Antonio predigen, schelten, mit göttlicher Strafe drohen und die Hölle malen, so rot er wollte, Strintillo blieb verschlossen, wie die Auster, zu der man kein Messer hat.

Schlussendlich verließ Pater Antonio Strintillos Stube.

»Nun soll mir kein Senf mehr da hereinkommen!« sagte Strintillo und verrammelte die Tür.

»So! Mach' zu, verrammle dich, dass kein guter Gedanke mehr zu dir kann!« sagte Ciccio.

Mit Tränen des Zornes in den Augen wandte er sich sanft zu Giovanni: »Komm, mein lieber Giovanni, fasse dich! Der Hochzeitstag ist noch nicht da. Gott tut viel in einem einzigen Augenblick, wie viel mehr kann er in acht Tagen tun.«

So redete Ciccio zu Giovanni und sah ihm dabei teilnahmsvoll in die Augen, die er voller Tränen glaubte.

Doch zu seiner großen Verwunderung fand er sie trocken und sein Gesicht bleich, aber unerwartet heiter.

»Ich danke Euch, Herr Notar, und Euch, Pater Antonio«, sagte Giovanni ganz gelassen; ebenso gelassen: »Lebe wohl!« zu Cecca und »Lebe wohl!« zu Angiolina, die halb entseelt auf ihr Zimmer geführt wurde.

Leichten, ja fröhlichen Trittes eilte der Jüngling aus dem Haus, ein Liedchen summend, gleich, als wäre nichts Übles vorgefallen.

»Diesen Leichtsinn begreife ich nicht«, sagte Ciccio.

»Ich begreife ihn wohl«, entgegnete Pater Antonio. »Der tiefsten Verzweiflung ist es eigen, die schreckliche Gegenwart gleichsam zu überspringen und in das zu flüchten, was wir Leichtsinn nennen. Ein getroffener Hirsch springt hoch empor, ehe er niedersinkt und dann verblutet. Er ist nicht so heiter wie er scheint, glaubt mir!«

Und Pater Antonio hatte recht. Giovanni ging die Straßen hindurch, wie es schien, fröhlicher als sonst. Er nickte sogar Don Granco, der ihm des Weges entgegenkam, einen so freundlichen Gruß zu, dass dieser sich ganz erstaunt nach ihm umwendete. Aber der Jüngling war nur der Fröhlichkeit hohles Bild, in seinem Innern tobte es wie eisiger Wintersturm, und trieb ihn fern von Menschen.

An den Gärten vorüber, klomm er höher und höher das wilde Gebirge hinauf. Einsamer, immer einsamer wurde die pfadlose Gegend um ihn her, immer steiler die Felsen, immer schmaler die herabrinnenden Bächlein.

Scharen kleiner Waldvögel flogen aus den Myrthen und Lorbeerbüschen vor ihm auf, bis er unter einer Felswand dicht an einem Abgrund erschöpft niedersank. Zu seinen Füßen lag, gleich dem entfalteten bunten Schweif eines Pfauen, alle Herrlichkeit und Pracht des Golfes von Neapel und seiner Inseln hingebreitet: Garten an Garten und Stadt an Stadt, an dem schönen Saum des Meeres, der sich hin schwingt wie der Flug der Schwalbe, während sich aus der Ebene vor den blauen Apenninen der Vesuv erhebt und, gleich bunten Blumen, Aschengewölk auf Aschengewölk emportürmt.

»Heiliger Gott, wie schön ist diese Welt und wie unglücklich bin ich in dieser schönen Welt!« rief Giovanni.

Jetzt, erst jetzt brachen ihm die Tränen aus den Augen und er weinte bitterlich.

Da musste es sich fügen, dass zu derselben Stunde der Räuber Checco, mit seinen lustigen Gesellen, in jener Einsamkeit umherschwärmte, um zu seiner Ergötzung Kaninchen zu jagen. Kühn wie er war, kletterte er eben um den Gipfel des Felsens, an welchem Giovanni lag, als das Erdreich unter den Füßen des Räubers wich und hinabschob.

Was er auch ergriff, um sich festzuhalten, Gras und Busch, alles löste sich und rollte mit ihm dem Abgrund zu.

Da vernahm Giovanni das Geräusch, blickte um sich, sprang gewandt hinzu und, die Linke fest um einen überhängenden Baum geschlungen, ergriff er den Stürzenden mit der Rechten, als er eben verloren schien, und hielt ihn dicht an dem Abgrund schwebend.

Obwohl stark genug, ihn eine Weile zu halten, war er doch nicht mächtig genug, ihn völlig heraufzuziehen und beider Lage wurde mit jedem Augenblick gefährlicher, da nicht allein Giovannis Kraft schwand, sondern auch die Wurzeln des Baumes, woran sie hingen, mehr und mehr nachließen.

Giovanni aber war edelmütig genug, ihn nicht loszulassen. Mit letzter Kraft rief Checco seine Gefährten herbei, welche die beiden, nicht ohne Gefahr, aus der peinlichen Lage befreiten.

»Habt Dank, ihr brave Kameraden!« sagte Checco und umarmte seine Freunde.

Zu Giovanni gewendet sagte er: »Dich hat Gott gesandt, ihm sei Dank und der Heiligen Jungfrau! Lasst uns beten!«

Damit nahm er den Hut ab, alle taten ein Gleiches, knieten mit ihm nieder und beteten zu Gott und der Heiligen Jungfrau.

Hierbei muss erwähnt werden: dieser Checco war zwar ein Räuber, jedoch ungewöhnlicher Art, angebetet von den Seinen und bei dem Volk mehr geliebt als gehasst. Sein Patron war Crispinus: er nahm den bösen Reichen und gab den guten Armen.

Durch einen ungerechten Urteilsspruch um sein rechtmäßiges Erbe gebracht, hielt er jede Obrigkeit nur für eine Anstalt, das Volk hinabzudrücken. Er hatte sich mit mehreren ähnlich gesinnten, flinken Burschen verbunden, und streifte bald hierhin im Land, bald dorthin, wie er es nannte, »dem Unrecht abzuhelfen!«

Bei diesem Geschäft nahm er es freilich nicht so genau, wie die lateinischen Bücher, in welchen die tausend und abertausend Rechtsfälle verzeichnet sind. Er sah alles nur entweder schwarz oder weiß. Verwickeltes hieb er durch, wie Alexander Magnus den Knoten, und das audiatur et altera pars war keinesweges sein Wahlspruch.

Im Ganzen musste bei ihm der Unglückliche siegen, der Glückliche wenigstens teilen, wobei Checco sich als Richter auch nicht völlig vergaß, sondern oft recht ansehnlich zulangte. Wem er half, den ließ er das für ihn Erlangte sodann, sehr klug, in veränderter Gestalt irgendwo, wie zufällig, finden; damit derselbe nicht durch sein Geschenk in Verdacht geriete.

Zuweilen trat er, bei helllichtem Tage, mit seinen Gesellen in ein reiches Haus, wo er wusste, dass eben ein erwuchertes Sümmchen lag, schloss die Türen, und bat sich das Sümmchen zu guten Zwecken aus, und, wer ihm dieses nicht sogleich herbeischaffte, wurde weder geknebelt noch gefoltert; sondern auf ein mitgebrachtes Leder gelegt und von den lustigen Gesellen so lange geprellt, bis er, des lästigen Spieles überdrüssig, Ungernes gern tat und alles bewilligte.

Von dieser Art des Geldeintreibens wurde Checco »der Preller« genannt; und wahr ist es, seine Leute verstanden das Prellen gut, sie brachen niemandem die Rippen und verteilten die blauen Flecken, mit Ansehen der Person, ziemlich gleichmäßig auf dem Leib ihrer lebendigen Spielbälle.

Dass dieses Treiben böser Art sei, glaubte keiner von ihnen. Alle waren jung und stark und immer bereit, zu den tausend Schwänken, die Checco sich ausdachte, diesen oder jenen Streich nachdrücklich durchzuführen.

Sie bildeten zusammen gleichsam eine lustige Vehme und ließen zuweilen Prügel regnen auf Schultern, die sich dergleichen nicht vermuteten. Hatten die Schläge zuweilen nicht den richtigen Mann getroffen, so sagte Checco: »Nun, dafür wird ihm Gott andere Sünden vergeben, geißeln wir uns!«

Hierauf pflegten sie sämtlich Stöcke zu nehmen, stellten sich im Kreis und hieben einander weidlich durch.

Verschlagen waren alle wie Füchse, listig wie Schlangen, vorsichtig wie die Marder, und wollte man sie fangen, so wurden sie zu Aalen, und entwischten aus den Händen der Häscher, wenn man sie schon fest zu haben glaubte.

Das ganze Gebirge, voll labyrinthischer Höhlen, war der Palast, in dem sie wohnten. An steilen Felswänden hatten sie kleine Stufen und Griffe zum Klettern gehauen, an denen sie, gleich Steinböcken, wunderbar schnell hinauflaufen konnten, die aber, gleich einem Rätsel, so wunderlich verworren durcheinander gingen, dass niemand den Flüchtigen nachzueilen vermochte.

So hatten sie, wo man sie umzingelt zu haben glaubte, noch hundert Ausgänge und waren ihren Verfolgern an List immer überlegen. Es war, als ob keine Kugel sie treffen könnte, und wenige waren im Volk, die sie nicht für Zauberer hielten. Als hätten sie den Karneval geplündert, erschienen sie bald in dieser, bald in jener wunderlichen Verkleidung und gaben den Leuten viel zu erzählen. Dabei versäumten sie kein Madonnenfest, gingen fleißig zur Messe und bei einem Pater namens Andronico zur Beichte, der ihnen oft harte Bußen auferlegte, welche sie gewissenhaft erfüllten.

So beteten sie nun auch hier und dankten Gott und der Heiligen Jungfrau für Checcos Rettung.

Als sie ausgebetet hatten, sprang Checco auf, schlug sich an die Brust und richtete das Wort an Giovanni, der wieder in Gram versunken war. »Checcos Herz ist dein. Du bist traurig? Wenn ich dir Hilfe schaffen kann, soll es geschehen. Hast du einen Feind, er soll mich kennenlernen!«

»Mir kann niemand helfen, als Gott!« sagte Giovanni, bedeckte sein schwermütiges Gesicht mit den Händen und schwieg. Checco bestürmte ihn jedoch so lange mit mitfühlenden Fragen, bis er ihm, obzwar langsam, mitteilte, was ihn quälte, nachdem Checco das Versprechen gegeben hatte, dass er weder Strintillo noch Granco ein Leid zufügen wolle: denn Giovanni wusste wohl, mit wem er sprach.

Als er ausgeredet hatte, erwiderte Checco rasch: »Die Umstände sind einfach. Der Alte will dir nicht willfahren, aber wohl die Tochter. Nimm ihm die Tochter mit Gewalt, bringe sie daher in die Wildnis und lebe mit ihr, geborgen in meiner anmutigsten Höhle, bis der Alte sich in die Geschichte findet und euch verzeiht. Traue mir, die Höhle soll eingerichtet werden wie eine Putzstube, nichts soll euch fehlen, und bliebet ihr ewig bei mir!«

 Dies sagte Checco mit großer Zuversicht; aber wie staunte er, als Giovanni sich plötzlich wie getröstet erhob und ihm entgegnete: »Checco, bald wäre getan, was du sagst; aber da sei Gott vor, dass ich solch Unrecht auf mich lüde! Die Tochter ist des Vaters. Ich hätte wenig Segen davon, der alte Strintillo aber den Tod, und Angiolina würde nimmer froh. Nein, besser ist, schlicht und recht. Ich will Gott bitten, dass er mir seinen heiligen Engel herniedersende und mich und Angiolina aus der Verzweiflung erlöse, gleich wie er mich und dich hier wunderbar gerettet hat. Töricht war es von mir, einen Augenblick an seiner Allmacht zu zweifeln.«

Hiermit schüttelte Giovanni Checcos Hand und ging vor ihm den Berg hinab. Checco aber blieb betroffen stehen, dann rief er ihm feurig nach: »Geh, braver Kerl, Gott wird dir helfen, wunderbar wie er uns hier gerettet hat! Aus diesem Baum, der uns beide trug, will ich ein Kreuz machen, bei dem will ich oft beten. Gott erhalte dich! Sage niemandem, dass du mich gesehen hast!«

»Ich will es verschweigen«, sagte Giovanni und ging.

Checco wendete sich rasch zu den Seinen: »Lasst uns gehen, Gesellen, ich muss mich gegen Giovanni dankbar erweisen. Holt das Leder, auf dem ihr zu prellen pflegt und folgt mir.«

Festen Trittes ging er ihnen voran, und sie merkten an seinen blitzenden Augen, dass er irgendeinen Plan gefasst hatte. Einer lief und holte das Leder.

Schweigend gingen sie durch den Wald von schattigen Steineichen und Kastanien. Alle sahen sich jedoch verwundert an, als sie merkten, dass Checco seine Schritte in Richtung einer Einsiedelei wendete, die sehr einsam und entfernt von allen anderen Häusern lag. Der Träger des Leders fragte Checco, ob er Buße tun wolle, und die Prellhaut in des Eremiten Kapelle weihen.

»Diesmal nicht«, sagte Checco und ging schweigend auf den Eremiten zu, der zuerst noch vor seiner Tür saß, aber bei Checcos Nahen aufstand und ihm entgegenrief: »Nehme Gott die Sünde von Euch, was sucht Ihr bei mir?«

»Das tue Gott. Kennt Ihr mich?«

»Ob ich Euch kenne? Ihr seid Checco der Preller«, sagte der Eremit wie trotzend. »Was führt Euch zu mir?«

»Dankbarkeit, ich bringe Euch Gelegenheit, ein gutes Werk zu tun. Ich fand eben einen braven Gesellen, der mir das Leben gerettet hat, mit Gefahr seines eigenen, und sehr unglücklich ist. Da ihm aber zu seinem Glück nichts fehlt als leidiges Geld, so bitte ich Euch, holt Euren Schatz hervor, wo Ihr ihn verscharrt habt, und gebt ihn dem armen Teufel. Euch ist das Geld so nichts nütze, da Ihr ein frommer Mann seid und in freiwilliger Armut lebt. Gebt ihm den Schatz und nehmt Gottes Segen dafür!«

»Wie?« sagte der Eremit fast betroffen. »Welchen Schatz?«

»Den Ihr hier im Wald gefunden habt.«

»Im Wald gefunden?«

»Ja, beim Graben der heiligen Kräuter. Sie müssen sehr lange Wurzeln haben, weil Ihr immer so tiefe Gruben macht. Lasst Euer Grabscheit nicht liegen, ich hab es gefunden. Ihr seid ein Schatzgräber, das weiß die ganze Welt.«

»Ich ein Schatzgräber? – Ich einen Schatz gefunden! – Ich Geld hergeben! – Ich tiefe Löcher graben!« rief der Eremit ein übers andere Mal.

»Die Sache ist sicher. Her mit dem Kasten, Geizhals, sperre dich nicht!«

Aber der Eremit blieb bei seinen Ausrufungen.

»Ich einen Kasten! Ich ein Schatzgräber! Ich einen Schatz gefunden! Ich tiefe Löcher graben! Ich Geld hergeben! Wollt Ihr heilige Kräuter? Wollt Ihr Rosenkränze? Was wollt Ihr von mir armen Mann?!«

»Den Schatz! Denn ich weiß ganz genau, du bist allein darum Eremit, um hier umher ungestört und wohlfeil Schätze zu graben; weil du weißt, dass hier aus alten Kriegen manches verscharrt liegt. Also her mit dem toten Geld! Es soll lebendig werden!«

Der Eremit faltete die Hände, warf sich auf seine Knie, drückte die Augen fest zu und murmelte ein Gebet vor sich hin.

»Dein Gebet kommt nicht von Herzen«, sagte Checco. »Auf! Gutes tun, ist besser als schlecht beten. Komm, wenn dir das Geld so fest anklebt, wollen wir dich ein wenig schütteln, vielleicht fällt einiges ab!«

Der Eremit blieb stumm.

»Auf das Leder mit ihm!« rief Checco.

Flink ergriffen Checcos sechs Begleiter den Eremiten, legten ihn auf die Prellhaut, trugen ihn auf einen freien Platz, sahen gen Himmel, dann auf ihn und prellten und fingen ihn so meisterlich, dass er immer siebenmal länger in der Luft war als auf der Haut.

Um besser im Takt zu bleiben, sangen sie ein besonderes Lied dazu und jedes Mal, wenn das Lied zu Ende war, hielten sie inne und befragten den Gepeinigten, ob ihm nun bald der Ort einfiele, wo er den Schatz verscharrt habe?

Aber der Eremit beharrte bei seinem Schweigen.

Als sie nun die Prellerei und das Lied wohl zehnmal wiederholt hatten, sahen sie wieder nach, und befragten den Geprellten wiederum wie zuvor; aber er blieb stumm, ja er blieb sogar in unbequemer Stellung liegen, und regte sich nicht. Sein Atem schien still zu stehen.

Da erschraken die flinken Gesellen. »Wir haben es zu arg gemacht, er ist tot, und der Schatz verloren!«

»Legt ihn auf den Rasen«, sagte Checco. »Geh'n wir!«

Als sie im Gebüsch waren, flüsterte Checco: »Nun bleibt stehen und habt acht, der Schelm erhebt sich noch!«

Lange standen sie und spähten, endlich wendete sich das Haupt des Eremiten langsam herum. Er sah rechts, er sah links, vor sich und hinter sich, und, als er niemanden erblickte, sprang er munter auf, schüttelte sich wie ein Pudel, der aus dem Wasser kommt, stemmte die Hände in beide Seiten und kicherte, wie jemand, der einen angeführt hat. Er lachte, biss sich vor Freuden in den Finger, rieb vergnügt die Hände und ging fröhlich zu seiner Hütte.

»Seht, der Schelm hat uns gefoppt, und sich nur totgestellt«, sagte Checco.

»Prellen wir ihn noch einmal!« schlug einer der Gesellen vor.

»Nein«, sagte Checco. »Kommt, der Schelm muss anders gefasst werden! Er hat einen Schatz, das ist sicher. Man sieht es an seinem Lachen. Er kommt sich klüger vor als wir ihm vorkommen; doch ich stehe euch dafür, er soll bald anderer Meinung werden!«

Hiermit verloren sich die Räuber wieder in die Wildnis und der Eremit freute sich, dass er die Preller mit seiner List um den Schatz geprellt hatte, den er wirklich besaß und so ernsthaft hütete, wie irgendein Vogel Greif in der Fabel.

Des frommen Mannes Treiben war, unter uns gesagt, einigermaßen schändlich und stellte das Gegenteil der heiligen Abgeschlossenheit und Gottesverehrung wahrer und ehrwürdiger Anachoreten dar, die ihr Gemüt mehr und mehr reinigen von weltlicher Begier und Habsucht und sich allein göttlichen Dingen zuwenden. Denn er ließ sich, als Einsiedler, von armer Leute frommen Spenden ernähren und grub unterdessen allein nach irdischen Schätzen, nicht um sie zu gebrauchen oder zu verteilen, sondern um sie, als echter Geizhals, in seiner Nähe wieder zu verscharren. Holzhauer hatten ihn beim Graben belauscht, und so hatte sich im Volk das Gerücht von seinem Schatz verbreitet, welches bei frommen Seelen keinen Eingang fand, bei Checco jedoch umso mehr, da er seit einiger Zeit im Wald mehrere tiefe Gruben gefunden hatte, und bei der einen sogar den Grabscheit des Eremiten.

 

***

 

Nun lassen wir den Eremiten und denken wieder an Giovanni. Dieser stieg, wie bereits erzählt worden ist, wieder das Gebirge hinab. Über eine Stunde war er gegangen . . . als er sich von allen Seiten beim Namen rufen hörte. Er vernahm zuerst die Stimme des guten Don Ciccio, dann die Stimmen von mehreren seiner Freunde. Die braven Leute hatten überall ängstlich nach ihm gefragt und sich im Wald verteilt, um ihn aufzufinden, weil sie, nach Pater Antonios Rede, nichts Geringeres glaubten, als dass Giovanni ausgegangen sei, um sich das Leben zu nehmen.

»Da ist er! Da ist er!« rief Don Ciccio laut aus, als er ihn sah, und bald umringten den traurigen Jüngling all seine liebsten Freunde, herzten ihn und küssten ihn und weinten an seinem Hals.

Von so viel Liebe und Anteilnahme wurde Giovanni herzlich berührt.

»Giovanni, Giovanni, was soll aus uns werden, wenn du nicht mehr bei uns bist!« riefen alle. »Betrüb uns nicht, wir wollen dich trösten, so gut wir es vermögen. Alle jungen Leute in Gragnano haben sich vorgenommen, dem alten Strintillo ein Charivari zu bringen, und der garstige Granco soll vor lauter Katzenmusik nicht schlafen können, bis beide vor Ärger den Verstand verlieren. O! Du bist nicht so allein, wie du glaubst, alle verschmähten Freier helfen mit, Spektakel zu machen.«

So betrübt Giovanni war, so musste er doch über diese sonderbaren Äußerungen von Liebe lachen und sagte: »Herzlichen Dank, meine Freunde, für euren guten Willen. Aber lasst das Gelärm, damit wird Strintillos Sinn nicht geändert und Grancos auch nicht. Unverbesserlich eigensinnig ist einer wie der andere. Nein, wenn keine andere Hilfe kommt, muss ich mich in Gottes Fügung ergeben! Verzweifelnd ging ich aus, aber ein wunderbarer Vorfall, von dem ich zu schweigen versprach, hat mich überzeugt, dass Gottes Hand sichtbar über mir ist, und dass ich noch leben soll.«

Unter solchen Gesprächen stiegen sie durch den Wald hinab, in dem unzählige Nachtigallen schlugen. Die herrliche Natur und die Liebe der Freunde trösteten Giovanni, und sein herber Schmerz wandelte sich in sanfte Wehmut.

Als er heimkam, zwangen ihn seine Freunde, Speise und reichlich Trank zu sich zu nehmen, gegen den er jedoch einen Widerwillen gefasst hatte.

»Trink ein Glas mehr als sonst, es wird dir guttun«, sagte Ciccio.

»Guten Ausgang!« riefen seine Freunde und stießen mit ihm an.

»Gott kann noch alles wenden!« versetzte Ciccio.

»Fast hoffe ich es«, lachte Giovanni mit Tränen in den Augen.

Seine Freunde blieben bei ihm, bis er vor Mattigkeit die Augen schloss. Nun legten sie ihn auf sein Bett, löschten seine Lampe aus und verließen ihn.

Am nächsten Tag kamen sie in aller Frühe zu ihm, halfen ihm munter bei seinen Arbeiten und versuchten ihn auf alle Art zu zerstreuen. Don Ciccio und Pater Antonio kamen auch und sprachen ihm treulich zu. Gegen Abend bat er alle, ihn allein zu lassen: er wolle beten gehen!

Als er sich allein sah, ging er zu einer einsamen Kapelle, die sein seliger Vater erbaut hatte, und schmückte das Bild der Heiligen Jungfrau mit frischen Kränzen.

In ähnlicher Weise vergingen drei Tage. Unterdessen war Granco emsig damit beschäftigt, alle Vorbereitungen zu seinem Fest zu bedenken; aber bei aller Emsigkeit brachte er wenig heraus: er war es gewohnt, sparsam zu leben und wusste nicht, wie man etwas reichlich ausrichtet. Besprach er sich mit seinen Freunden, so schienen ihm all ihre Vorschläge zu hoch ins Geld zu gehen. Die Anregungen waren mitunter auch zu sehr närrisch, sodass er schließlich merkte, dass er von allen gefoppt werde.

Häuschen von Würsten gebaut mit Fußböden von Rosinen und Mandeln und getrockneten Feigen, große Wasserfälle von Wein und Likör, das Auswerfen von Doppeldukaten unter das Landvolk, ein Feuerwerk eine halbe Meile breit, das Wegschenken von 60 geputzten Eseln, das Schlachten und Verteilen von 500 Hammeln, 1000 Pfund gebratenen Mückenlebern, 30 Eimern Hühnermilchsuppe, und ähnliche Vorschläge wollten ihm durchaus nicht zu Sinne.

Dazu blieb jenes angedrohte Charivari, vor welchem ihn die dasigen Gerichte nicht zu schützen vermochten, nicht aus, und verfolgte ihn, wo er ging und stand. Kurz, er rannte hin und her, wurde zuletzt ganz verwirrt und toll, und sagte: »Die Bürger von Gragnano verdienen meine Güte nicht, ich will meine Hochzeit ganz einfach und gediegen ausrichten; der lumpige Giovanni wird es doch nicht wagen, mitzuhalten!«

So sprach er und beruhigte sich schon, als er plötzlich aus diesen süßen und bequemen Spargedanken durch ein Gerücht geweckt wurde, welches sich schnell durch die Ortschaft verbreitete. Es wurde ihm von seinem albernen Diener Cetrullo hinterbracht, der ihm erzählte, seinem Nebenbuhler Giovanni sei, in vergangener Nacht, bei der Kapelle seines Vaters ein Engel erschienen, und habe ihm Hut, Rock, Kragen und alle Taschen voll Gold geschüttet, und der Glückliche rüste sich jetzt allen Ernstes zu einem großen Fest.

»Dummes Zeug!« rief Granco, der dies nicht glauben wollte, ein übers andere Mal aus. »Dummes Zeug! Dummes Zeug!«

Mit diesem Geschrei lief er schnurstracks auf Giovannis Behausung zu, wo er dessen Freunde in Menge versammelt fand. Alle jubelten und liefen geschäftig aus und ein; aber als Granco sich nun genauer erkundigen wollte, empfingen sie ihn mit einem so furchtbaren Charivari, dass er sich ganz erbost zurückzog und nun beschloss, Giovanni und aller Welt zum Trotz, das Fest so zuzurüsten, dass selbst ein ›Sultan‹ nicht sollte mithalten können!

Giovannis Erlebnis war wirklich von eigener Art; er schwor seinen Freunden hoch und heilig, dass ihm, als er in der Kapelle seines Vaters gebetet hatte, ein Wesen in überirdischem Glanz erschienen sei, welches einen Regen von Gold über ihn ergossen und ihm mit himmlisch süßer Stimme zugesprochen und gesagt habe: »Da nimm, Giovanni, gehe, rüste alles reichlich und prächtig, am Abend des Festes will ich dir wieder erscheinen und noch mehr Segen über dich ausschütten. Gehe im Namen Gottes und der Heiligen Jungfrau.«

»Aus dieser letzten Rede könnt ihr schließen, liebe Freunde«, setzte Giovanni hinzu, »dass es kein böser Geist war, der mir erschienen ist, nein, ein Bote Gottes, und ich habe festes Vertrauen, dass er am Abend des Festes wiederkehrt!«

Giovannis Freunde schüttelten die Köpfe; doch Giovanni war kein Schwärmer und hatte sich nie einer Lüge schuldig gemacht, auch lag das Gold sichtlich vor ihren Augen, alle waren überglücklich, vor allen aber Angiolina. Zusammen mit der Muhme tat sie vor Freude nichts als Weinen und Beten.

Aber das bedeutendste Gesicht über diesen Vorfall machte – der alte Strintillo. Die Erscheinung des Engels passte recht in seinen Kram.

»Sieh, sieh, Strintillo, was daraus wird!« sagte er zu sich selbst. »Mein Traumwesen soll mir niemand mehr tadeln; denn wie es scheint, geschehen ihm zu Liebe Zeichen und Wunder, um alle Welt zu überzeugen, dass Strintillos Glaube kein Narrenglaube sei. Nein, richtig und zutreffend nach allen Seiten und in allen Stücken!«

Dabei freute sich der eitle Mann noch, dass seiner Tochter zu Ehren nun so große Feste ausgerichtet würden, wodurch er hoffte, sein Name werde überall auf lange Zeit berühmt werden, ohne dass er dabei sonderlich viel Unkosten hätte.

All diese Gedanken machten ihn so närrisch vergnügt, dass er zu seiner Tochter ging und sie streichelte und küsste, wie er es nie getan hatte, und bei jedem Kuss gab er ihr einen Schmeichelnamen, wie: »Mein Zuckernüsschen, meine Taube, mein Wieselchen, mein Hündchen, mein Kätzchen, mein Äffchen, mein Eselchen, mein Lämmchen, mein Hühnchen, mein Kaninchen, gib mir das Pfötchen, streichele dein Papachen, zupf ihn am Näschen, kraue ihn ums Bärtchen! So, so, gib ihm ein Schmätzchen, du Zuckerbiene, lass dich anbeißen, du Marzipan, du Artischocke! Geh, du Senfgurke, du machst deinem Vater Kummer und Sorge, und doch liegst du ihm näher am Herzen, als das Hemd auf seinem Leib! Du Meereskrebs du, warte, ich will dich folgen lehren, sei deinem Vater gut, komm, puste ihm aufs Äugelchen, so! Aufs andre auch! O! Mein Goldfischchen, deine Wängelchen sind wie die Äpfelchen! Ja, ja, die jungen Burschen müssen wie die Narren werden, wenn sie dich sehen. Warte nur, du wirst zwei Hochzeitsfeste auf einmal erleben, so was hast du mir zu danken. Denn wo bliebe das alles, wenn dein Vater nicht gut zu träumen verstände. Danke Gott täglich auf Knien, dass dein Vater im Schlaf besser sieht, als jeder andere im Wachen. Das Tarantelchen! Will sie wohl das Mündchen halten und nicht immer dreinreden, wenn der Vater Weisheit spricht!«

So und noch viel närrischer gebärdete sich Don Strintillo vor Freuden, dass sich zu seinen Träumen so sonderbare Dinge gesellten, und die Muhme musste ihn mit Gewalt von der Tochter reißen, er hätte sie sonst umgebracht!

 

Doch eilen wir wieder zu Giovanni. Dieser hatte nun all seine vorige Lebhaftigkeit wieder gewonnen. Im Schatten einer traulichen Reblaube, um eine runde Tafel, bei süßen Feigen und blinkendem Wein, saß er mit seinen Freunden und beriet sich über das, was nun geschehen sollte. Kam die Summe des über ihn ausgeschütteten Goldes auch lange nicht dem Vermögen Grancos gleich, so vertraute er doch fest auf das Wiedererscheinen des Engels, und das Empfangene war mehr als ausreichend zur Ausrüstung eines überprächtigen Festes. »Spare diesmal nichts!« hatte der Engel zu ihm gesagt.

»Nun, so muss das Fest etwas ganz Besonderes werden!« meinte Don Ciccio.

»Jawohl!« schrien alle.

»Gewiss«, sagte Giovanni, »und ich denke schon lange darüber nach. Still, still, nun hab ich es!« fuhr er auf einmal auf.

»Nun, was denn, was denn?« riefen die Freunde.

»Ich will ... doch nein! ... besser ist es, ihr erfahrt es später. Ihr würdet glauben, dass es nicht möglich sei, und es mir nur ausreden wollen. Morgen sollt ihr alles erfahren! Doch euch, Don Ciccio, bitte ich mit tausend Küssen: kommt mit mir nach Neapel, von dort wollen wir einen Freund holen, dessen ich zu meinem Vorhaben bedarf, wie meiner Augen zum Sehen!«

»Aber sagt mir nur, was Ihr wollt?«

»In Neapel erfahrt Ihr alles! Kommt nur, Don Ciccio, verlieren wir keine Zeit!«

Schnell waren zwei gesattelte Maultiere herbeigeschafft und die beiden nahmen Abschied von ihren Freunden.

 »Morgen kommen wir wieder, dann erfahrt ihr alles!«

Sie ließen die anderen verwundert stehen, und trabten den lustigen Weg nach Castellamare hinunter, wo sie einen zweirädrigen Wagen mit zwei Pferden nahmen, oder, besser gesagt, einen geschnellten Pfeil, mithilfe dessen sie längs des Ufers am schönen Golf dahinflogen; denn die Pferde liefen, als hätten sie Feuer gefressen! Unterwegs fragte Ciccio Giovanni zum wiederholten Male, wen er aus Neapel holen wolle?

»Das werdet Ihr sehen, lieber Don Ciccio!« war Giovannis einzige Antwort. »Lasst mich, ich bin glückselig, glückselig!«

Damit fiel der Jüngling dem braven Notar um den Hals, küsste ihn und drückte ihn unaufhörlich so heftig, bis dieser ihm schließlich seinen Mantel hinhielt und sagte: »Hier, wenn du durchaus so heftig drücken und küssen musst, nimm meinen Mantel in die Arme, quetsche ihn und balge ihn nach Herzenslust, der hält es aus, aber mit einer lebendigen Seele habe Geduld und lasse sie leben! Wenn einer sich freut, muss denn der andere dabei zugrunde gehen?«

All diese Reden aber halfen nichts, und Don Ciccio hatte noch viele Qualen auszustehen.

Lachend wandte sich der Kutscher um: »Der junge Herr ist verliebt, das merkt man, nun Gottes Segen!«

»Ich danke«, rief Giovanni. »Da, Pepo, nimm das Goldstück, lass die Pferde fliegen wie die Schwalben, dann mögen sie hundert Jahre ruhen!«

»Keine Sorge!« rief Pepo zurück. »Meine Tiere fressen den Weg, sie laufen die Wände hinauf, über Land und Wasser! Wollt ihr über das Meer fahren? Ihr sollt nicht nass werden!«

Hierbei lenkte der feurige Kutscher schon zur Brandung hin...

»Mach keine Possen!« warnte Ciccio ihn haltend, und, schnell wieder zurücklenkend, fuhr Pepo lachend die Straße dahin und ließ den Staub weit hinter dem Wagen.

Unterwegs gönnte sich Giovanni kaum einige Erquickung, und gerade zur Zeit des Mittagschlafes rollten sie in Neapel ein. Vor einem halb verfallenen Palast ließ Giovanni haltmachen.

»Kommt, kommt!« forderte Giovanni Ciccio auf, und eilte vor ihm eine alte Treppe so rasch hinauf, dass Ciccio rief: »Du wilde Ziege! Kannst du nicht warten, bis ich nachkomme?«

Als Ciccio oben ankam, fand er den Jüngling ungeduldig an eine Tür pochend, zu welcher der dicke Mann kaum hindurch konnte, vor lauter gemalten Wolken und Thronen und Altären und Triumphwagen und Gespenstern und Teufelsschlangen und Theaterdrachen, die sie von allen Seiten zu verschlingen drohten.

Er machte sich eben vom Takelwerk eines römischen Schiffes los, als ein junger freundlicher Mann mit dem Kopf aus der Tür sah.

»Giovanni!«

»Sacchetti!«

Schon lagen sich die Jünglinge in den Armen.

»Herzensfreund, besuchst du mich einmal? Sei willkommen! Womit kann ich dienen?«

»Lieber Sacchetti, ich komme hier mit meinem Freund, dem Notar Ciccio Camarano, rette mir das Leben; du kannst es!«

»Wie, das Leben? Will dich jemand umbringen? Mit dieser Herkuleskeule stehe ich dir bei, wer bringt dich um?« rief Sacchetti und ergriff einen papiernen Prügel.

»Die Liebe, hilf mir du!«

»Von Herzen gern, wenn ich kann!« rief Sacchetti und führte die Freunde in eine Malerwerkstatt, in der es noch wunderlicher aussah, als vor der Tür. Alles stand voll von Räderwerk und Teufelsspuk und Feerei. Überall stolperte man über Stricke, Kloben und Winden, Farbentöpfe, Pinsel und gerollte Leinwände...

»Hier ist wenig Platz«, rief Sacchetti. »Ihr müsst Geduld haben, kommt hier hinauf!«

Damit führte er sie einige Stufen hinauf. Auf Wolken vor einer vergoldeten Sonne nahmen sie Platz.

»So, setzen wir uns hier! In diesem Himmel, vor dieser hellen Sonne, wird uns alles klar werden!«

Lachend setzten sich die Freunde, und Giovanni erzählte in Eile die Geschichte seiner Liebe und schloss mit der Bitte: »Nun, mein lieber Sacchetti, sieh, auf dich hab ich, nächst dem Himmel, am meisten gerechnet. Auf dieser Erde gibt es ja nicht Fisch nicht Vogel, nicht Tier nicht Kraut, nicht Baum nicht Strauch, das du nicht darstellen könntest mit deiner großen Kunst, als wenn es wirklich wäre. Komm und hilf mir in meinem Weinberg ein Fest ausrichten, welches den Sinn des harten Mannes bezwingt.«

»Von Herzen gern«, sagte Sacchetti. »Sage nur wie?«

Hierauf teilte ihm Giovanni einen Plan mit, welchen der Erzähler noch verschweigen muss; aber zu welchem Sacchetti rief: »Vortrefflich, vortrefflich!«

»Doch alles wird nichts ohne dich«, sagte Giovanni. »Hilf mir, lieber, lieber Sacchetti, du kannst es und tust es!«

»Ich tu es und will sehen, ob ich es kann«, sagte Sacchetti. »Wir haben aber kaum drei Tage Zeit; und ich zweifle fast, ob ich alles zustande bringe? ... Doch ja, es geht! ... Für das Glück eines solchen lieben Freundes arbeite ich auch die Nacht. Der alte Strintillo soll Wunder sehen!«

»Engel Gottes!« rief Giovanni und weinte an Sacchettis Hals.

»Nun, drücke ihn nicht auch tot!« sagte Ciccio. Er machte den Maler frei, der fortfuhr und sagte: »Jetzt, Freund Giovanni, fahr du mit deinem Freund ruhig wieder heim. Besorge du nur Haken, Spaten und eine Menge alter Weintonnen! Halte alles geheim, morgen Abend im Dunkeln komme ich mit Gehilfen und Farben und Pappen, mit Töpfen, Tiegeln, Zangen, Hämmern, Nägeln und Pinseln und mit Hölle und Teufel hinaus, und richte dir alles so ein, dass die Leutchen von Gragnano ewig von mir erzählen sollen!«

»Hier, hast du eine Handvoll Gold zum Einkauf, lieber Sacchetti!«

»So, das tut not«, sagte der Maler. »Denn meine Schulden will niemand für bares Geld annehmen.«

»Hast du Schulden?« erkundigte sich Giovanni mitfühlend.

»Nein, eigentlich nicht ... aber immer leere Taschen, das Geld liebt mich nicht!«

»Nun, spare jetzt auch nichts, dass alles recht prächtig wird!« sagte Giovanni im Gehen. »Ich verlasse mich auf dich! Leb wohl!«

»Auf Wiedersehen! Leb wohl bis morgen!« sagte Sacchetti, und geleitete die Freunde hinab, zur Tür hinaus, durch Drachen und Schlangen, hinunter bis vor die Haustür, wo er sie freundlich entließ.

 

Nachdem Giovanni noch einigen Schmuck für seine Angiolina gekauft hatte, nahmen sie frische Pferde, und eilten so schnell wieder nach Gragnano zurück, wie sie gekommen waren.

Obwohl es darüber fast Mitternacht geworden war, lief Giovanni doch dringlich unter das Fenster seiner Geliebten und weckte sie mit süßem Gesang, erzählte ihr sein Vorhaben und wie weit es damit gediehen war, und rief ein übers andere Mal: »Sacchetti ist durch seine Kunst ein Zauberer, größer als Bajalardo oder Virgilio, und er ist mein Herzensfreund. Verlasse dich auf ihn, wir werden siegen!«

Die Liebenden warfen sich Küsse zu und begaben sich zur Ruhe. Lange konnte Giovanni nicht einschlafen; doch als er erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel, und seine Freunde umstanden sein Bett mit neugierigen Fragen. Giovanni sprang auf und kleidete sich an.

»Alles sollt ihr erfahren, liebe Freunde! Habt mich lieb und wartet nur bis zum Abend. Hier ist Geld, tut mir den Gefallen, und kauft, ein jeder so heimlich wie möglich, recht viele alte Weintonnen zusammen, die wir dann bei Nacht in meinen Weinberg schaffen wollen; weder Don Granco noch irgendjemand darf jedoch merken, was hier vor sich geht!«

»Ja, lieber Giovanni, alles soll geschehen, was du willst!« riefen die Freunde und zerstreuten sich, um die Einkäufe zu tätigen.

»Lieber Don Ciccio«, wendete sich Giovanni an den gerade Hinzutretenden. »Herzlich bitte ich Euch, seid in diesen Tagen mein Beistand, besonders was Fisch und Fleisch betrifft. Ihr seid ein Kenner und wisst, was gut ist. Macht meine Einkäufe, mir schwindelt der Kopf, ich würde mich zu leicht betrügen lassen.«

Sie setzten sich hin und rechneten aus, was sie nötig hätten. Ciccio erhielt das Geld, ging los, und tat sich überall nach allem Besten um. Beim fröhlichen Mittagsmahl kamen die Freunde wieder zusammen, alle Besorgungen waren rasch und aufs Beste gegangen, weil überall herzliche Anteilnahme herrschte.

Über solchen Dingen kam der Abend heran, es wurden Wachen aufgestellt und im Schleier der Nacht Weinfass nach Weinfass über die Gartenmauer hereingekugelt. Man ging umso behutsamer damit um, weil der Garten an den von Don Granco anstieß, welcher am wenigsten davon erfahren sollte.

Unterdessen kam auch der brave Sacchetti auf Nebenwegen an, jubelnd empfing ihn Giovanni, und in einem großen Schuppen wurde abgeladen und ausgepackt.

»Du hast doch für alles gesorgt?« fragte Giovanni, indem er die Sachen überflog und ihn küsste.

»Hier sind eine Menge Röhren, die wir wohl noch brauchen werden, hier Stricke, da Farbentöpfe, hier Pinsel, Nägel, Schrauben, Zangen, Hämmer, hier Gelenke und Rollen mit Zugschnüren und so weiter. Kurz, es fehlt an nichts! Nun aber lass mich das Terrain betrachten!«

»Jetzt bei Nacht?«

»Ja freilich, meine Vorstellung ist für den Abend berechnet!«

So gingen sie, mit ein paar Fackeln ausgerüstet, in die geräumige Kluft, in der die Fässer lagerten.

»Das Terrain ist herrlich, und es sind schon fast zu viele Fässer da! Glaube mir, alles wird sich machen! Don Strintillo darf jedoch erst nach Grancos Fest hierherkommen, und er muss schon ein kleines Hiebchen haben, dann wird alles gehen, wie es soll! Nun zu Bett, morgen ist wieder ein Tag. Ich bin matt und müde und muss etwas ruhen. Ich zieh die Kleider gar nicht erst aus, denn morgen muss es früh wieder losgehen.«

»Legt Euch nicht zu Giovanni«, sagte Ciccio, »sonst erwürgt er Euch die Nacht ... vor lauter Freude.«

»Er hat sein eigenes Zimmer«, meinte Giovanni dazu. »Sonst würde ich nicht aufhören, mit ihm zu plaudern!«

Alle gingen fröhlich auseinander, fanden sich am nächsten Morgen zeitig wieder ein und arbeiteten nun so emsig Tag und Nacht mit Sacchettis Leuten und unter dessen Leitung, als gelte es einen schwellenden Strom abzuwehren oder ein Feuer zu löschen. Das schönste Wetter begünstigte sie, und sie waren fertig, ehe sie sich dessen versahen, schon vor dem bestimmten Tag, sodass sie nun alle gemächlich ruhen konnten und sich am Tag selbst ganz ihren Launen überließen. – Don Ciccio hatte seine Einkäufe vortrefflich ausgeführt, gute Köche gedungen, und alles war bereit, um bequem bei der Hand zu sein.

 

In denselben Tagen ging es bei Don Granco ebenso emsig, aber nicht ganz so fröhlich her: denn da wusste sich niemand ordentlich Rat in ›irgendeiner‹ Sache.

Zwar hatte der Mann das Knausern mit Geld aufgegeben, sein Kopf aber knauserte fort mit Gedanken. Zuletzt dachte er nur daran, wie es anzustellen wäre, dass es schiene, als wenn recht viel dabei draufginge.

Er schickte weit umher nach berühmten Fressern und Säufern, auf deren Kunst man Wetten abschließen sollte, und ließ viel falsches Blattgold holen, um damit alles zu vergolden; weil er, kindischerweise, in dieses Gefunkel alle Schönheit setzte.

Immer war ihm bange, dass Giovanni ihn übertreffen könne! Aus Neugier schickte er bald diesen, bald jenen Boten, um Giovanni etwas abzuschauen. Aber die Boten kamen nur mit Lügen wieder, da sie von aufgestellten Wachen ferngehalten wurden und jene Kluft so glücklich mitten in Giovannis Garten lag, dass man von außen nicht hineinsehen konnte.

Granco wollte vor Neugier platzen; denn er selbst traute sich wegen des Charivaris nicht wieder hin.

Als nun der Nachmittag anbrach, an welchem das Fest stattfinden sollte, und alles schön vergoldet war, bildete sich Don Granco dennoch ein, bei ihm sei alles unübertrefflich!

Geputzt wie ein Osterei machte er sich auf, holte Don Strintillo und den Richter des Ortes ab und sprach, indem er beide mit stolzem Behagen bei seinen zahlreichen Gästen, die größtenteils von fern angereist waren, einführte: »Hier, meine Herren, ist der ehrenwerte Richter von Gragnano, Don Orzo, und hier mein künftiger Schwiegervater, und hier«, zu Strintillo gewendet, »ist meine Hochzeit!«

»Halt! Halt! Signor Granco«, meinte Strintillo, »bis jetzt sagt nur ›Euer Fest‹ und ›Signor Strintillo‹; ob Ihr Hochzeit und Schwiegervater sagen dürft, das wird sich nachher zeigen! Jetzt sehen wir uns um, wie es bei Euch aussieht! Don Orzo, der Richter, wird mir beistehen, um alles wohl zu begutachten!«

»Von Herzen gern«, pflichtete Don Orzo bei. Beide gingen, ihre Stockknöpfe bedeutsam an die Unterlippen haltend, umher, um zu sehen, was es daselbst alles gebe.

Was ihnen zuerst auffiel, waren zwei ungeheuer lange Tafeln, die unter der Last von Speisen fast zusammenbrachen; aber fast kein Gericht war da, welches nicht wenigstens am Rand oder in der Mitte vergoldet gewesen wäre! Ja etwas, worauf sich Granco am meisten einbildete, war eine vergoldete Laube mit einer Bank. Auf Letztere mussten sich die beiden Herren setzen.

Die Laube selbst glich mehr einem Käfig, so klein hatte sie Granco anfertigen lassen, um sie, ohne zu große Unkosten, über und über vergolden lassen zu können. Hier und da hatte sie sein Diener mit ebenfalls ganz vergoldeten Würsten und langen Käsen und Kürbissen so behangen, dass sie ziemlich unbequem war und Strintillo rief: »Hier ist ja ein völliger Weihnachtsmarkt!«

»Wer kauft Wurst, wer kauft Käse?«, rief scherzend der Richter.

»Nun, meine Herren, werdet ihr etwas sehen, was ihr euer Lebtag nicht gesehen habt!« sagte Granco und lud auch die übrigen Gäste ein, sich dort umher auf Bänken und Stühlen niederzulassen. Sein Knecht Cetrullo ging mit vergoldeten Flaschen umher und schenkte ein, so viel man wollte, als zwei mit Blumen ausgeschmückte Fässer in die Mitte getragen wurden, an welchen das Gold ebenfalls nicht gespart war!

Hierauf wurden zwei Tische gebracht, auf jedem lag ein ganzer gebratener Hammel. Zu jeder Tonne trat schön geputzt ein berühmter Trinker, zu jedem Tisch, ebenfalls schön geputzt, ein berühmter Esser, alle weither berufen zu diesem Fest.

Die Gäste wurden aufgefordert, auf diesen oder jenen zu wetten und sich an ihren Bemühungen zu vergnügen!

So lächerlich diese Art der Unterhaltung den Gästen anfänglich erschien, so langweilig wurde sie ihnen in kurzer Zeit, und Don Strintillo und der Richter stiegen aus ihrem Käfig heraus, wobei ihnen die goldenen Würste um die Ohren schlugen. Sie zogen es vor, umherzugehen und zu sehen, was es noch weiter gebe.

Aber – mit Verwunderung bemerkten sie, dass Grancos Phantasie eben nur bis so weit gereicht hatte!

»Nicht wahr«, sagte er zu ihnen tretend, »die Leute essen recht manierlich, man bekommt selbst Appetit! Da! Kostet von diesem Huhn! Hier ist ein Gläschen Wein. Wollt ihr Likör? Hier ist welcher aus Bari. Den Käse müsst ihr versuchen, blast das Gold herunter, es könnte euch schaden! Hier ist wieder ein Weinchen, das seinesgleichen sucht! Da ist Wildschwein; hier stehen Puten; seht, wie alles funkelt! Junge Lämmer mit Zwiebeln scheinen mir auch nicht übel! Nun, Don Strintillo, wie seid Ihr zufrieden mit meinem Fest?«

»Ich sage gar nichts«, sagte Strintillo und trank vergnügt ein Glas Wein von einer Sorte, die er überaus liebte.

»Wie schmeckt Euch der Wein?«

»Vortrefflich!«

»Nun, das ist mir lieb, so will ich Euch eine Tonne voll einschenken!«

Damit ergriff er ein ungeheures Glas, welches die Form einer Tonne hatte, und reichte es Don Strintillo, der sich damit behaglich in ein Winkelchen setzte und es sich schmecken ließ. Der Richter empfing ein Gleiches und setzte sich zu ihm.

Granco trug ihnen mit emsiger Hast Zwiebäckchen und allerlei Süßigkeiten zu, war so vergnügt wie ein Maikätzchen, sprang hin und her und flüsterte bald diesem bald jenem Gast ins Ohr: »Glaubt mir, die Braut ist mein. Seht mein Schwiegerväterchen, wie es dasitzt und sich gütlich tut!«

Dann rief er wieder laut: »Meine Herren und Frauen, die berühmten Esser und Trinker hier und Don Strintillo gehen euch mit gutem Beispiel voran, esst und trinkt, hier ist alles vollauf! Schäme sich niemand! Hier muss es drunter und drüber gehen! – Musikanten, spielt auf!«

Nun setzten sich zwei Dudelsackpfeifer und ein Knabe mit einer Violine in Bewegung, und machten eine Musik wie das Meer, wenn es rast! Mancher Gast hielt sich die Ohren zu; aber Granco rief lachend: »Ja! Nicht wahr, die Kerle spielen stark? Dafür haben sie heute aber auch satt gegessen und getrunken!«

In dieser Art war Grancos Fest bestellt, welches selbst dem guten Don Strintillo langweilig vorgekommen wäre, wenn ihn nicht das Glas in Gestalt eines Tönnchens und Don Orzos angenehme Gesellschaft getröstet hätten. So wurde er mehr und mehr zufrieden und sagte zuletzt zu allem: »Ja, ja!«, sodass sich Granco vor Freude gar nicht mehr zu lassen wusste.

Darüber wurde es dunkel. Ein Esser war schon mit seinem Hammel, ein Trinker schon mit seiner Tonne fertig. Wetten waren gewonnen und verloren. Da wusste Don Granco weiter nichts mehr als: »Setzen wir uns nun an die Tafel, meine werten Herren und Frauen, alles ist bereit.«

Auch diesmal hätte Don Strintillo wieder »Ja, ja!« gesagt; aber der Richter erinnerte ihn, dass er, wenn er gerecht sein wolle, das andere Fest ebenfalls in Augenschein nehmen müsse.

»Ja, ja!« sagte Don Strintillo.

»Da gehe ich mit«, meldete sich Granco zu Wort, »ich bin selbst neugierig, was Giovanni inszeniert hat!«

So gingen sie aus dem Garten zu Giovannis Hof hinüber. Giovanni kam ihnen entgegen und lud Orzo und Strintillo freundlich ein, stimmte jedoch Grancos Gegenwart nur unter der Bedingung zu, dass er schwiege, ja, es wurde der Trumpf daraufgesetzt, dass er, wenn er den mindesten Laut von sich gäbe, die Braut verloren haben solle.

Don Granco war dies zufrieden und gelobte in die Hand des Richters, zu schweigen, mit Worten wie mit Zeichen.

Giovanni bat den Richter desgleichen, anfangs kein Wort zu Strintillo zu reden, sondern ihm stumm zu folgen; denn so verlange es die Haupteinrichtung seines Festes, bis sie zu den eigentlichen Gästen kämen.

»Sonderbar!« sagte der Richter.

»Sonderbar!« schloss sich Strintillo an.

»Hm, hm!« kam es von Don Granco. Sofort winkte ihm der Richter, dass er schweige.

Hierauf ging Strintillo mit Giovanni voran, der Richter und Granco folgten. So kamen sie in den Garten, wo sie am Eingang jener Kluft eine Tür fanden, mit der flammenden Inschrift darüber: Tor von Strintillos Traum.

»Tor von Strintillos Traum? Was bedeutet das?« fragte Strintillo.

»Geht hindurch und seht selbst, Signor Strintillo«, sagte Giovanni. »Begleitet ihn, meine Herren und sprecht kein Wort zu ihm.«

Hiermit verließ Giovanni die Herren, die Strintillo lange Zeit durch einen dunklen Gang nachtappten, während sich das laute Schreien einer Gans vernehmen ließ.

Strintillo sprach beständig mit sich: »Still, ich höre die Gans aus meinem Traum! ... Strintillos Traum? Was soll das bedeuten? – O, o, o! Nun wird es heller! Was ist das hier? ... Hier ist ja meine Weinlaube mit den großen Trauben! O! Wie viel ihrer sind, wie sie wachsen, wie sie groß werden! Und da kommt Don Ciccio, richtig, es ist mein Traum wie er leibt und lebt!«

»Ja und hier bin ich«, sagte Ciccio, »um Dich wieder zum Bräutigam zu führen. Sieh, wie die Trauben wachsen! Machen wir, dass wir weitergehen; sie kommen von allen Seiten, wir können sonst nicht mehr hindurch!«

Strintillo blieb immer wieder erstaunt stehen: »Nein, das ist ganz mein Traum, mein Traum!«

Auch Granco und selbst der Richter wurden von den sonderbaren Dingen sehr in Verwunderung versetzt, und begriffen nicht, wie alles zuging.

Granco fing an, für sein Glück bange zu werden.

»Was sind das für Bretter hier am Boden?« fragte Strintillo seinen Vetter Ciccio.

»Mit diesen Brettern sind heute die Goldstücke, in die Du neulich versunken bist, bedeckt worden, damit man besser gehen könne; da sieh, hier leuchten welche durch die Ritzen. Ich will Dir ein paar aufheben.«

Damit scharrte er einige Goldstücke aus den Ritzen und gab sie Strintillo, der sie verwundert betrachtete.

»Wahrhaftig, pure Goldstücke! Mein Traum, mein Traum!«

Nun hätte Granco vor Wut alles zerreißen mögen; aber er fürchtete nur einen Finger zu bewegen, weil er die Braut dann ganz verloren glaubte.

So traten sie in einen Keller, der ganz voller Weinfässer war. Ciccio zapfte eines an und gab den Herren zu kosten; man bot auch Granco an, aber so gern er getrunken hätte, er stand wie eine steinerne Säule und gab kein Zeichen von sich, weil er beständig irgendeine Falschheit oder Falle vermutete.

Strintillo fand den Wein vortrefflich. Nun wandelten sie eine ganze Weile zwischen lauter Fässern, die nach Sacchettis Vorgaben so kunstvoll gestellt waren, dass sie ein Labyrinth bildeten, welches Ciccio mit einer schwachen Kerze immer anders und anders anleuchtete, sodass alle, selbst der Richter, getäuscht wurden, umso mehr, weil Sacchetti unbemerkt nachschlich und in Eile immer wieder mit Kreide das Datum an den Fässern veränderte.

Als Granco nun kein Ende und immer anderes Datum sah, ging es ihm über den Spaß, und er dachte bei sich: ›Hier hat der Teufel die Finger im Spiel; solch einen langen Keller hab ich mein Lebtag nicht gesehen!‹ – Wie aber wurde ihm zumute, als sie auf den freien Platz kamen, und hinter einem Zaun von Dornen die lustigen Gäste um die Käsetische, die Springbrunnen von Wein, den Bratofen mit Ochsen, die Teiche mit gebackenen Fischen, den Hof mit dem gebratenen Geflügel, die Maccaroni-Bäume und alles sahen, wie Strintillo es geträumt hatte.

Ciccio reichte den Herren zum Beweis von allem Einzelnen zu kosten. Granco hätte nun innerlich bersten mögen vor Ärger; aber noch hielt er sich tapfer.

Endlich kamen sie um eine Ecke, als ihnen eine helle Sonne im Brillantfeuer entgegenleuchtete, und Giovanni, Angiolina an der Hand, Strintillo entgegentrat und um seinen Segen bat. Hinter ihnen standen die Muhme und eine Anzahl Gäste.

Strintillo war vor Staunen außer sich.

»Mein Traum, mein Traum!« rief er ein übers andere Mal. Eben wollte er Giovannis Hand in die seiner Tochter legen, da konnte Granco nicht mehr an sich halten und schrie: »Don Strintillo, Don Strintillo! Haltet ein! Hier geht es mit dem Teufel zu! – Gebt Giovanni Euer Kind nicht, sonst nimmt er sie mit in die ewigen Flammen!«

Strintillo wurde einen Augenblick stutzig und ließ die Hände wieder sinken, sah in die Höhe und schien sehr ernsthaft nachzudenken.

»Aber was ist das da oben?« rief er auf einmal erstaunt aus.

Alle folgten seinem Blick und erstaunten wie er, denn von wunderbarem Licht umstrahlt, schien eine weiße Gestalt über einem Felsen gleichsam emporzuschweben. Alles war totenstill.

Die Gestalt rief: »Giovanni, empfange diesen Schatz mit dem Segen des Himmels!«

Die Gestalt verschwand, und man sah auf dem Felsen etwas Glänzendes schimmern. Giovanni eilte hinauf und brachte nicht ohne Mühe einen Kasten herab, welcher kostbar gearbeitet und im Verhältnis zu seiner Größe über alle Maßen schwer war.

»Seht selbst«, sagte Giovanni, »ob ich neulich gelogen habe!«

Alles drängte sich um den Kasten. Er wurde auf einen Tisch gehoben und dem Richter übergeben, um ihn zu öffnen.

»Das geht alles mit dem Teufel zu!« rief Granco.

»Versündige dich nicht«, sagte Strintillo. »Wie könnte der Teufel den Segen des Himmels geben? Schweige und lass uns sehen, was in dem Kasten ist!«

Derselbe war gar nicht so leicht zu öffnen, weil das Schlüsselloch kunstvoll verborgen war. Der Richter hielt eben nachdenklich die Hand an den Mund, als sich ein Mann in rauen Kleidern durch das fröhliche Gedränge hindurcharbeitete. Es war – jener von Checco geprellte Waldbruder.

»Don Orzo«, begann er atemlos. »Ich habe Euch wichtige Dinge mitzuteilen, die nicht aufgeschoben werden können. Hört mich armen Mann und dann richtet!«

Alles war mucksmäuschenstill.

»Rede«, wies ihn Don Orzo an.

»Heute Morgen«, fuhr der Eremit fort, »heute Morgen erfuhr ich von einem Pilger, der zu mir kam, dass hier in Gragnano ein Engel mit einem Goldregen erschienen sei und diesen Abend wieder erscheinen wolle.«

»Ja, eben war er da!« riefen alle.

»Das habe ich eben gehört«, sagte der Eremit. »Und ich komme nun über den Engel zu berichten!«

»Aha!« rief Don Granco. »Nun werden wir etwas hören!«

»Still!« rief der Richter.

»Auch ich habe Engelserscheinungen gehabt«, sprach der Eremit. »Obwohl sie mich nicht so glücklich machten wie den Bräutigam hier!«

»Nun erzähle, erzähle!« riefen alle.

»Fünf Nächte sind vergangen, seit ich einsam in meiner friedlichen Hütte schlief. Da wurde ich plötzlich von einer traurigen Musik geweckt, die Tür tat sich wie von selbst auf, ein Licht verbreitete sich in meiner Zelle, und, brennende Kerzen in der Hand, traten drei Jünglinge herein, die mir Engel schienen, weil sie Flügel hatten!« – Hier schwieg der Eremit und weinte.

»Nun, und was taten die Engel?«

»Sie stellten sich um mich her und sangen ein Lied. Und war ich erst erschrocken, so war ich es jetzt noch mehr; denn sie sangen, als ob mein Ende nahe wäre und ich das Irdische verlassen müsse!

Da rieselte es mir eiskalt durch alle Glieder und ich tappte an mir herum, ob ich noch im Leib wäre! – Vielleicht hätte ich mich noch wieder gefasst; aber nun erschien an der Tür ein rauer schwarzer Dämon, mit grässlichen feurigen Augen und rief: ›Bist du reif, alter Geizhals?‹

Damit reckte er die Krallen nach mir aus und wollte mich fassen; aber die Engel wehrten ihm, und fragten ihn: ›Was willst du, Drache?‹

›Des Schatzgräbers Seele will ich!‹ brüllte der Raue.

Aber einer der Engel hatte ein Rauchfass und schwang es vor ihm hin und her und sagte: ›Der Schatz, den er gefunden hat, ist ein heiliger Schatz und rettet seine Seele. Hebe dich hinweg, Satanas!‹

Aber Satanas wollte nicht weichen, und zählte all meine Sünden her und forderte meine Seele. Da hatte der andere Engel ein blitzendes Schwert und trieb ihn damit hinweg, sodass ich ihn nicht mehr sah.

Aber der Dritte sprach zu mir: ›Sei getrost, deiner Sünden sind viele, aber sie sind dir vergeben um des Schatzes willen, der ein heiliger Schatz ist; zeuch [Anm.: ziehe] ihn hervor und folge uns damit ins Paradies, so wird Satan dich nimmer erlangen!‹

Da wurde ich etwas getroster, doch zitterte ich noch immer und nahm weinend einen Hebel und hob den Stein empor, der die Schätze barg, die ich unlängst gefunden hatte - einen nach dem anderen. Als ich sie mit großer Mühe vorgezogen hatte, sagte der Engel mit dem Rauchfass, indem er es über mich schwang: ›Wohl dir, dass du gehorcht hast! Aber wirf dich nieder auf dein Angesicht und bete. Stirb ab der niederen Welt, so ist der Himmel dein!‹

Ich tat es und der dritte Engel warf ein schwarzes Tuch über mich, unter dem lag ich wie eine Nonne, die eingekleidet wird, und die Engel sangen wieder ein Lied, von dem ich wenig verstand, weil ich unter dem Tuch lag. Auch wurde der Gesang immer schwächer und schwächer und schien sich zu entfernen, bis er schließlich ganz aufhörte.

Ich aber zitterte noch immer unter der Decke und wagte nicht, sie emporzuheben und aufzustehen; denn ich war noch immer der Meinung, ich solle wirklich ins himmlische Paradies gehen.

Mehr als zwei Stunden blieb ich liegen und wagte kaum zu atmen. Endlich hörte ich Gesang von Vögeln und vernahm Tritte, die mir nahe kamen; bald darauf wurde mein Tuch aufgehoben und ein heller Glanz schien mir in die Augen. Ich meinte den Glanz des Paradieses zu schauen und die Engel; aber – der Tag war angebrochen und Tommaso, der Ziegenhirt, stand vor mir mit einer Kumme Milch und die Engel – kamen nicht wieder!«

Als der Eremit hier herzlich seufzend innehielt, brach die ganze Versammlung in ein lautes Gelächter aus: »Vor ihm stand Tommaso, der Ziegenhirt, mit einer Kumme Milch und die Engel kamen nicht wieder!«

»Und der Schatz war weg!« jammerte der Eremit in die Verspottungen hinein und zerraufte sich und zerschlug sich. Das Gelächter nahm immer mehr überhand, bis der Richter Schweigen gebot und zum Eremiten sagte: »Verzeiht, wenn ich mitlache. Aber es ist sonderbar, einen Mann, der sich in die Waldeinöde zurückgezogen hat, in solcher Art um irdische Schätze jammern zu hören.«

»Lacht wie Ihr wollt. Aber hört mich weiter an!« sagte der Eremit. »Und schützt mich den Gesetzen nach, gegen Raub und Einbruch! Ich höre, dass der Engel von Gragnano soeben einen Schatz gebracht hat und wette, dass es einer der meinigen ist. Ich will ihn genau beschreiben. Es ist ein schön gearbeiteter Kasten, mit vielem Messing beschlagen und geht von unten zu öffnen: inwendig liegt zu oberst ein Pergament, darunter Gold und Juwelen.«

»Habt Ihr die Schrift davon gelesen?«

»Nein, lesen kann ich nicht! Aber es sind viele Schnörkel darauf und es hängen gewaltige Siegel daran.«

»Könnt Ihr den Kasten öffnen?«

»O ja, sogleich, und hier ist der Schlüssel!«

Mit Behändigkeit wandte der Eremit den Kasten, öffnete ihn und der Richter fand alles, wie jener es beschrieben hatte.

Schon wollte der Eremit nach dem Kasten langen und sich den Besitz desselben wieder zueignen, schon wurden Giovanni und Angiolina bleich und Granco froh, als der Richter sagte: »Halt! Erst lasst uns lesen, was hier geschrieben steht!«

Er entfaltete das Pergament und las:

»Hiermit sei jedwedem kund und zu wissen, dass ein jeder, welcher diesen Schatz auffindet und denselben den wahren Erben oder Nachkommen des Don Bernardo Carino nicht zukommen lässt, verdammt sein soll bis in alle Ewigkeit, als ein schändlicher Räuber und Entwender fremden Gutes. Er soll krumm werden und lahm und blind bleiben, bis seine Seele hinunterfährt, wo keine Erlösung ist!«

Don Orzo hatte noch nicht ausgeredet, als alle riefen: »Bernardo Carino? Bernardo Carino? War das nicht dein Urgroßvater, Giovanni, von dem alle Welt sagt, dass er der reichste Mann vor dem Krieg war?«

»Jawohl«, rief Giovanni. »Und ich kann es gerichtlich beweisen!«

»Das weiß ich selbst genau«, sagte der Richter. »Ich habe deinen Großvater noch wohl gekannt. Aber Ihr, mein frommer Waldbruder, verlangt Ihr dieses Geld noch immer samt jenem Fluch des Verstorbenen?«

»Nein!« erwiderte der Eremit kleinlaut und weinte, dass ihm die Tränen über die Wangen liefen. »Aber was habe ich nun für das Ausgraben des Schatzes?«

»Du sollst über meinen Geiz nicht klagen«, sagte Giovanni. »Und, wenn dir die Armut so schwer fällt, so will ich mit dir teilen!«

»Bravo!« rief der Richter. »Aber ein Viertel genügt dem Finder, das andere behalte mit Gottes Segen!«

»Und hier nimm meine Tochter Angiolina dazu!« warf Don Strintillo ein und legte ihre Hand in Giovannis.

»Aber die Geschichte mit den Engeln ist ja noch nicht im Klaren?!« rief Granco dazwischen.

»Schweigt Granco, das Reden hilft Euch doch nichts«, sagte Strintillo. »Mein Traum ist erfüllt, um und um und nach allen Seiten und in allen Stücken. Was der Himmel tut, darüber dürfen wir nicht grübeln, die Engel sind gut, die Tochter ist meine Tochter, Giovanni mein Schwiegersohn, ich bin Don Strintillo, und was ich haben will, muss geschehen!«

 

 

ENDE

Impressum

Texte: August Kopisch
Cover: Alberto Bronca
Lektorat: Alberto Bronca
Korrektorat: Alberto Bronca
Tag der Veröffentlichung: 19.04.2022

Alle Rechte vorbehalten

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