Waschtag
Erster Montag im Monat. Zeit zum Wäschewaschen. Waschsalonmontag.
Der Mann öffnet die gläserne Schwingtür, warmfeuchte Luft strömt ihm entgegen. Er schlappt zu einem freien Automaten.
Immer wieder überrascht die angenehme Atmosphäre, ein sozialer Treffpunkt von Menschen, die sich helfen, unterstützen, beraten und unterhalten.
Die Realität sieht anders aus. Eine Studentin wirft ihre Lehrbücher auf ihre unordentlich gefaltet im Plastikkorb liegende Wäsche und eilt hastig aus dem Laden. Ein alter Mann stiert, den Kopf in seine linke Hand gestützt, durch das Bullauge auf die sich drehende Trommel. Insgesamt sind vier Geräte lautstark in Betrieb.
Die technologischen Anforderungen an den Nutzer sind beachtlich, auch wenn sich die Komplexität der Bedienung dem einen oder anderen Zeitgenossen auf den ersten Blick nicht gleich erschließt und vielleicht läppisch erscheinen mag.
Nicht ohne Grund zeigt jedoch die Praxis, dass das Einfuchsen in die Materie wünschenswert ist, um gegebenenfalls Fehler im System bzw. im Programm ausschließen zu können.
Der Mann zieht mehrere Münzen aus der Hosentasche, geht zum Waschpulver-Automaten, greift sich einen Messbecher und platziert diesen sachgerecht unter dem Auswurfschacht. Er drückt den leuchtenden Auswahlknopf und wirft eine Münze ein, die scheppernd durch das Gerät rast und die Waschmittelausgabe veranlasst.
Das System hat den Ablauf konfliktfrei erkannt und ausgelöst. Zufrieden ergreift der Mann den Pulverbecher, schleicht zurück zu seinem Waschplatz und füllt die Chemikalie in die Maschine um.
Ächzend lässt er sich auf der Sitzbank gegenüber nieder, schnürt seine Stiefel auf, die seit Monaten keine Schuhcreme gesehen haben und zieht mit spitzen Fingern eine Ersatzunterhose aus seiner Parkatasche. Dann entkleidet er sich komplett, schlüpft ungeniert in den Reserveslip und kassiert einen abschätzenden Seitenblick des alten Mannes nebenan. Er klaubt den Kleiderbestand vom Fußboden auf, stopft alles in die Waschtrommel, verriegelt die Maschine und drückt den Startknopf. Einen Moment fixiert er die aufleuchtende Restlaufzeit im Display.
Bedächtig zwängt er sich in seinen Parka, stopft die nackten Füße in die üblen Gestank verströmenden Stiefel und sinkt abschließend zurück auf seinen Warteplatz.
Ich hätte gern ein französisches Hausmädchen, das mir meine Jeans wäscht.“ schießt es ihm durch den Kopf. Das Glöckchen an der Eingangstür regt sich. Eine Frau mit drei riesigen Plastiktüten betritt den Salon und macht sich zügig an die Inbetriebnahme der Waschmaschinen. Der Mann wendet den Blick wieder nach vorn auf die sich drehende Trommel. Wie viele Penunzen sind bloß schon darin verschwunden? denkt er und fährt sich des frühen Spirituosengenusses entsinnend mit der Zunge über seine trockenen Lippen. Vom monotonen Geräusch der Waschmaschine begleitet döst er allmählich ein. Ich werde die Welt verändern, ich werde sie besser machen, ich könnte Präsident werden – aber nicht heute. Wenn ich nur wüsste, wo all meine Tage abgeblieben sind.
Ein nerviger Piepton weckt ihn. Das Display verrät dem Mann, dass der Waschvorgang inklusive Schleudergang beendet ist. Er rappelt sich hoch, öffnet den Deckel der Maschine und zerrt seine Kleidung heraus. Mit feucht werdenden Ärmeln trägt er sie zum Trockner, befüllt ihn und schmeißt zu seinem Leidwesen eine weitere Münze ein. Deprimiert schlurft er zurück zu seinem Platz, wobei er sich auf die lose baumelnden Schnürsenkel tritt und kurzfristig ins Straucheln gerät.
Sein Magen meldet sich mit einem Knurren. Ich wünschte mir meine Mutter zurück. Jemanden, der für mich kocht. Jeden Tag etwas anderes. Kein Dosenfutter, kein Fertigfraß. Die Gedanken schwirren in seinem Schädel. Ich werde die Welt verändern - aber heute nicht. Ich denke, heute werde ich mich auf der Straße betrinken.
Montag – Waschsalonmontag.
Tag der Veröffentlichung: 02.03.2012
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