Eine Besonderheit der Quantenphysik ist die Annahme der Vielweltentheorie. Diese hat unser Bild von der Welt, in der wir leben, gänzlich verändert. Sie lässt uns wissen, dass es neben unserem Universum unzählige parallele Universen gibt. Weltsysteme, in die wir trotz allen Mühens nicht gelangen können und doch dort anzutreffen wären, wenn es einen Weg dahin gebe. Ob wir einen solchen Weg beschreiten können, weiß ich nicht. Doch meine ich, dass ich ihn in meinem Leben schon tausende Male gegangen bin.
Es ist in der Frühe zwischen vier und vier Uhr fünfzehn. Ich pendle in diesem Zeit-Intervall zwischen einem seligen und befreienden Schlaf und wachem Bewusstsein hin und her. Immer dann, wenn ich die Augen schließe befinde ich mich in einem anderen Universum, das verschwindet, wenn ich die Augen wieder öffne.
Ein Überfall
So beginnt alles: Ich werde aus dem Schlaf gerissen, weil eine Klingel schrill in den Morgen kreischt. Sie ist an der verschlossenen Milchglastür angebracht, welche unsere Wohnung von der äußeren Haustür und dem Draußen, der Außenwelt, trennt. In dem Zwischenraum zwischen den beiden Türen steht eine dunkle, kräftig wirkende Gestalt, die die Klingel unablässig betätigt. Das kräftige Mannsbild ist mit einem schweren Schlagwerkzeug ausgerüstet. Es droht, die Glasscheibe zu zerschmettern, falls ihr nicht geöffnet wird. Vor Furcht und Schreck reiße ich die Augen auf und das Bild hat sich verflüchtigt. …
… Gleich drauf schließe ich, von der Restmüdigkeit geplagt, erneut die Augen. Da befinde ich mich auf dem Weg durch München zum Hauptbahnhof, weil ich beabsichtige, mit dem Zug nach Mannheim zu fahren. Doch ich kenne mich in der Stadt nicht aus und schreite, weil ich mich in Zeitnot befinde direkt auf eine Mauer zu. Diese trennt mich von dem Bahnhof ab. Ich werde meinen Zug nicht mehr erreichen können, befürchte ich. Die Mauer besitzt nur eine Durchgangstür, die weit von mir entfernt ist und die ich nicht mehr rechtzeitig benutzen kann. So öffne ich die Augen wieder und bin verwundert, dass ich im Bett liege. …
… Es liegt mir daran, herauszufinden wie es möglich ist, beim Schließen der Augen plötzlich Teil eines Szenariums zu sein, das mir bisher fremd geblieben ist. Ich schließe noch einmal die Augen, um es herauszufinden. Im selben Augenblick verstaue ich mein Reisegepäck in der Gepäckablage über mir und überprüfe noch einmal, ob ich im richtigen Zug den gebuchten Platz gewählt habe. Im ICE-515, den ich für 14 Uhr 27 von München nach Mannheim ausgewählt hatte. Alles ist in Ordnung: der Wagen 29 auf Platz 61 am Fenster in Fahrtrichtung. Für einen kurzen Augenblick von der Aufregung befreit, lasse ich mich auf dem Sitz nieder. Doch wo ist die Mappe mit den Unterlagen, meiner Geldbörse und mit den Reisepapieren? Ich habe sie im Hotel liegen lassen und der ICE hat sich bereits in Bewegung gesetzt. Ich öffne erneut die Augen und bin voll wach. …
… Gleich werde ich in unser Bad gehen und duschen. Meine Frau fährt heute für einen Tag zu ihrer Schwester in Neustadt an der Weinstraße und verabschiedet sich kurz von mir. Ich solle alles in Ordnung halten. Das Mittagsmahl habe sie vorbereitet. Ich brauche es einfach nur aufwärmen.
Noch einmal schließe ich kurz die Augen. Dann befinde ich mich unter der Dusche und genieße das wohlige Gefühl des warmen Wasserstrahls über meinen Kopf fließen. Nach dem ich meinen Körper getrocknet habe, will ich außerhalb der Dusche-Kabine meine Kleidung holen. Leider stehe ich vor verschlossener Kabine und halte in der rechten Hand den Türgriff, der lose im Schloss steckte. Sein Gegenstück auf der Außenseite der Kabine ist herausgefallen, weil ihm kein Halt mehr geboten wurde. Ich wach wie vom Blitz getroffen auf und überprüfe meine Umgebung, ob sich denn wirklich alles so zugetragen hat. Dann höre ich meine Frau rufen, ob ich denn nicht aufstehen möchte. Ja, ich komme.
Aus den vier Erlebnissen folgere ich, dass ich innerhalb einer viertel Stunde vier Mal den Weg in ein paralleles Universum (zu dem unseren) beschritten habe.
Texte: Alle Rechte liegen beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 10.01.2013
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