*
Ist der Schnee friedlich und ruhig?
An jenem Nachmittag zumindest zeigte er ein anderes, sein zorngerötetes, heißblütiges Gesicht, und peitschte beißend über die gefrorene Erde, mit jedem Windstoß bereits ruhende Teile seiner Selbst mit sich und aus der für den romantischen Betrachter so friedlich scheinenden Decke reißend.
Die dunkelgrauen Wolken, aus denen er stammte, tauchten die Welt in eine früh einsetzende Dämmerung. Der graue Wald erstarrte in Schnee und Eis.
Ein blaues Licht, gegossen in die Form zweier, die Umgebung abstastender Kegel, schob sich mühsam durch diese winterliche Düsternis, erst später seinen Ursprung enthüllend, ein blassgelbfarbenes Taxi.
Das Ziel dieses Fahrzeugs bestand in einem älteren, verlassen daliegendem Anwesen mitten in der Wildnis, zumindest insofern man in einem hochtechnisierten Land wie jenem, in dem diese Ereignisse sich abgespielt haben, überhaupt von Wildnis sprechen kann. Als der Fahrer, teils unter Mühen, teils unter stillem Fluchen über seinen Auftrag, endlich das erreichte, worauf er sein geliebtes Taxi, sich selbst und seinen Fahrgast bereits seit Stunden zusteuerte, öffnete der betreffende Gast schließlich die Tür, wünschte hektisch und gegen das Heulen des aufkommenden Sturmes eine gute Rückfahrt und nahm sein Gepäck aus dem Stauraum, bevor er den kurzen, wenn auch verschneiten Weg zum Haus und der Fahrer den langen und ebenso verschneiten Weg zurück in die Zivilisation antrat, wo die Menschen vernünftig genug waren, in ihren sicheren und warmen Häusern zu verharren, wenn die Natur in dieser Weise wütete.
Drinnen war es wärmer. Der Fahrgast, ein sehr junger Mann, der sichtlich mit der Last seiner beiden Koffer zu kämpfen hatte, besaß hellbraunes, leicht gewelltes, wenn auch ziemlich kurz geschnittenes Haar und eine unstete, äußerlich aber ziemlich selbstsicherere Art. Er betrat das Anwesen nicht durch den Haupteingang, denn dieser befand sich auf der anderen Seite des Hauses, am Ende der Parkstraße.
Eigentlich kam es ihm recht seltsam vor, dass die Tür zu der Bibliothek von außen nicht abgeschlossen war, und er war eigentlich nur in der Absicht dorthingekommen, umsichtig an die Scheibe zu klopfen, doch dann hatte sich die Glastür unversehens unter seinen Bemühungen geöffnet. Ausgiebig trat er sich die Füße auf einer Matte ab, die wohl genau zu diesem Zwecke auf dem Boden ausgebreitet war, bevor er sein Gepäck bequem stehen ließ wo es war, um sich auf die Suche nach dem Besitzer des Anwesens zu machen, bei dem es sich um seinen Onkel handelte.
Dieser Onkel hatte es auch außerhalb des Familien– und Bekanntenkreises zu einer nicht geringen Berühmtheit gebracht, die über die Grenzen seines Heimatlandes hinausreichte. Zeit seines Lebens waren Literatur und Dichtung sein Lebensinhalt gewesen, auch wenn er vor allem in seinen späteren Schaffensperioden weitaus weniger selbst veröffentlicht hatte als er als Literaturkritiker für mehrere Zeitschriften geschrieben hatte.
Vor etwa sieben Jahren hatte es begonnen, um die Persönlichkeit des Aaron Leißenhoffer immer stiller zu werden. Seit seiner letzten Veröffentlichung vor etwa drei Jahren, einer Sammlung von eigenen Gedichten, zu denen er sich ausführlich im Anhang äußerte, hatte die Öffentlichkeit nichts mehr von ihm gehört.
Inzwischen vertraten nicht wenige die Meinung, dass er, der sich so oft zynisch über die Spätwerke vieler erfolgreicher Autoren geäußert hatte, nun selbst der Verblödung des Alters anheimgefallen sei.
Der junge Mann – sein Name war Jan Leißenhoffer – sah sich zum ersten Mal ausführlich in dem fast leeren Raum um. Er fand, dass es sich um einen neutralen, aber einladenden Raum handelte, der auf eine ruhige Weise altmodisch war, die Friedlichkeit, aber keine Langeweile erzeugte. Das schon sehr dunkel gewordene Eichenparkett war blank poliert. Die Regale sahen sehr stabil und ruhig aus. Jan fragte sich, ob es nicht gefährlich war, so viele Bücher ungeschützt hinter einer offenen Tür zu lagern, unter denen sich sicher auch wertvolle Stücke befanden. Er wusste nicht, dass der alte Leißenhoffer weder die Zeit noch die Leidenschaft besaß oder je besessen hatte, alte Folianten zu sammeln und zu pflegen. Auch wusste er nicht, dass man um das altehrwürdige Haus einen Schutzwall aus hochmoderner Sicherheitstechnologie gezogen hatte, der jeden Besucher, ob er nun gebeten oder ungebeten kam, schon auf Kilometern Abstand erfasste.
Unschlüssig, was er nun tun sollte - in dem Haus nach dem als exzentrisch verschrienen Besitzer suchen oder wenigstens irgendwie auf seine Ankunft aufmerksam machen - begann Jan, der sich übrigens nur als Marc-Jannick ausweisen konnte, ein wenig verloren in der Bibliothek auf und ab zu gehen.
Ungeachtet dessen, was außerhalb dieses Hauses über den Besitzer gesprochen wurde, war es unübersehbar, dass in dieser Bibliothek auch in jüngerer Zeit gearbeitet worden war. Aufgeschlagene Bücher und handgeschriebene Notizblätter, die hingeschmierten Satzfragmente und Querverweise, die so voller Abkürzungen waren, dass sie für einen Außenstehenden nicht einmal der ungefähren Linie nach zu verstehen waren, verrieten rege Arbeitsamkeit.
Ein in rotes Papier geschlagenes, dünnes Buch wirkte auf den ersten Blick noch am wenigsten abschreckend. Es handelte sich um ein Standardwerk über die wissenschaftliche Betrachtung von Lyrik. Das Buch war reich mit Schemata, Beispielen und Kurzinterpretationen versehen.
In der Absicht, sich ein wenig die Zeit zu vertreiben, setzte sich Jan an den Lesetisch, innerlich natürlich darauf hoffend, dass der Alte von selbst erscheinen würde, und begann, einige Kapitel durchzublättern, bevor er die recht trockene Lektüre wieder sinken ließ und stattdessen aus dem Fenster sah.
Von drinnen betrachtet, wirkte der Schnee viel friedlicher und angenehmer, noch dazu, weil sich der Sturm gelegt hatte und der Mond sich über die weiße Ebene und den dunklen Wald erhob. Ganz langsam, ohne dass er es vorausplante oder beabsichtigte, begannen sich im Kopf des jungen Mannes Worte zu Versen zu fügen. Die Kälte, das Licht, der Wald – alle schienen mit einem Mal, als würden sie zum ihm sprechen und fordern, dass er ihre Worte zu Papier brächte! Inspiriert begann er mit dem herumliegenden Stummel eines Bleistifts, auf ein beliebiges, bislang unbenutztes Papier zu schreiben:
Mondlicht über schweigender Kälte
weißer, sanfter Liebling des Herzens
wie oft sprachen von dir Dichter
im Chor, im Saal, allein - nur du?
Bist du nicht aller Augen Freude?
In nächtlichem Winter, dort schweigst du -
Ein gütig, billigendes Stummen
Ein Sein, in ewig schwarzer Ruh...
»Neffe?«
Jan drehte den Kopf. Er sah sich einem älteren Mann gegenüber, gekleidet in graue Jeans, einen engen, schwarzen Rollkragenpullover und ein weiteres, grün-gold-kariertes Kleidungsstück, das verdächtig nach einem Morgenmantel aussah. Er hatte einen stoppeligen, unrasierten Bart und ruhige, dunklen Augen. Einen Moment schienen die beiden Männer unsicher, was sie miteinander anfangen sollten.
»Onkel.«, sagte Jan.
»Ich weiß.«, erwiderte der andere.
»Hat man dir nicht angerufen, dass ich komme?«
Aaron Leißenhoffer schien einen Moment unschlüssig, was er antworten sollte.
»Doch, das hat man.«, sagte er schließlich und langsamer, als zuvor. »Aber ich habe dich bei diesem Wetter kaum erwartet, und obendrein habe ich es vergessen, wenn du mir diese Ehrlichkeit erlaubst.«
»Kein Problem.«
»Kein Problem... Wieder einer dieser Menschen, die keine Reflexion über alle diese Floskeln haben, mit denen sich um sich werfen.«, merkte der Ältere an, doch mehr zu sich selbst, wie es schien. »Ich war gerade mit einem kleinen Manuskript beschäftigt, den ganzen Tag schon. Deshalb bin ich auch gezwungen, dich mit einem Aussehen zu begrüßen wie der Graf von Dekadanzig.«
Er lachte ein wenig über seinen Scherz. Von Verblödung konnte Jan für seinen Teil, bei aller Überraschung über das plötzliche Erscheinen des berühmten Verwandten, nichts feststellen.
»Dein Name ist Jannick, nicht wahr?«
»Ja. Aber jeder sagt Jan.«
»Das ist typisch. Schön zu hören, dass mein geliebter Bruder ganz und gar erwartungsgemäß nicht darauf gehört hat, was ich ihm am Tag vor deiner Geburt gesagt habe.«
»Warum ist das schön?«, fragte Jan.
»Für einen altgewordenen Besserwisser wie mich ist es immer schön, die eigenen Voraussagen bestätigt zu sehen.«
Der junge Mann nickte langsam.
»Und was hast du ihm an diesem Tag gesagt?«, fragte er dann.
»Unwichtig. Etwas über Kulturkämpfe und Namenshistorie.«
»Aha.«
Unsicherheit stand dem Jüngerem im Gesicht.
»Du schreibst?«, fragte Aaron mit einem Blick auf das Papier und kam, begleitet vom Klacken seines Stockes, näher an den Tisch.
»Ich weiß nicht wirklich, wie es dazu gekommen ist.«, erklärte Jan.
»Ich weiß noch genau, wie wenig du all diesem Papier in diesen Regalen bei deinem letzten Besuch abgewinnen konntest.«, erzählte Leißenhoffer, »und wenig ist noch untertrieben. Gar nichts, das träfe es wohl besser.«
Jan konnte nichts tun, als zu nicken.
»Was war ich damals noch für ein Mann.«, fuhr der Ältere fort, »so verbissen. So ehrgeizig, aller Welt zu beweisen, welchen Wert ich für sie habe! Ich hatte wenig Zeit für dich damals, oder besser, ich habe mir wenig Zeit genommen.«
»Wenig Zeit ist noch übertrieben. Keine Zeit, das würde es wohl eher treffen.«
»Verwendest du meine eigenen kleinen Tricks gegen mich? Du bist wahrlich zum Manne gereift! Na dann, lass doch mal sehen, was du sonst noch so produzierst.«
Schnell, und unversehens mit dem Blick eines Adlers ausgestattet, dessen Aufmerksamkeit auf eine Beute fällt, schnappte sich Aaron das Papier mit der einen und eine kleine, stahlrandige Lesebrille mit der anderen Hand. Er laß das Geschriebene, schnell und mit vor Konzentration leicht zusammengekniffenen Augen.
»Nett.«, sagte er nach ungefähr einer Minute und legte das Blatt behutsam wieder auf den Tisch. »Gut. Bewahre es gut auf. Es ist wie ein Erinnerungsfoto an den ersten Schultag.«
Er wandte sich ab und ging mit einem Blick zum Fenster, der in große Weite zu reichen schien. Jan warf noch einen kurzen Blick auf das Blatt, dann faltete er es und steckte es in die Manteltasche.
»Würdest du gern etwas trinken oder eine Kleinigkeit essen? Wenn Besucher da sind, muss ich mich immer mit Gewalt daran erinnern, dass meine Bedürfnisse nicht die einzigen auf Erden sind.«
Die letzten Worte schienen für ihn mehr Bedeutung zu haben, als für jeden anderen bei oberflächlicher Betrachtung.
»Ein Kaffee wäre gut bei der Kälte.«, meinte Jan.
»Tee?«
»Auch in Ordnung.«
»Gern, gern.«, erwiderte der Ältere und ging mit plötzlicher Energie davon. Seine Schritte, sein Blick, der in weite Ferne zu blicken schien, all das kündete von einer nicht endenden Rastlosigkeit, für die auch das Alter keine Schranke darstellte. Begleitet vom Klacken des Stocks, den er überhaupt nicht benötigt hätte, entfernte sich der Ältere.
Jan blieb zurück und ging ein wenig in der Bibliothek auf und ab. Der Mann, der ihm hier begegnet hatte, war sowohl dem Mann, den er in Erinnerung hatte, als auch dem Mann, den er sich aufgrund der Berichte anderer Menschen vorgestellt hatte, überhaupt nicht ähnlich. Er wirkte ausbalancierter als früher.
Gedankenverloren strich Jan über die Buchrücken. Kaum einer von zehn Titeln sagte ihm etwas, noch dazu, weil auf vielen Buchrücken nur der Autor und Abkürzungen standen, vielleicht handelte es sich um inoffizielle Editionen.
»Hier, der Tee.«, murmelte die Stimme Aaron Leißenhoffers mehr, als sie es sagte, kurz bevor ihr Besitzer um die Ecke bog. Er balancierte zwei Teetassen und hatte sich den Stock kurioserweise über die Schulter gehakt.
»Fenchel, wenn es recht ist.«
Jan schnupperte an dem Getränk. Grundsätzlich pflegte er nicht, Tee zu trinken wie ein alter Engländer.
»Du siehst meine bescheidene Bibloiothek?«
Die Stimme des Älteren war mit einem Mal wieder voller Leben. Jan nickte.
»Ich habe sie, wie du natürlich erkennst, nach historischer Abfolge geordnet, beziehungsweise ordnen lassen. Folge mir.«
Mit wippenden, langen Schritten eilte Aaron Leißenhoffer die Regalreihen entlang, Jan ihm auf den Fersen, immer darauf achtend, den Tee nicht zu verschütten.
»Die Mythen des Altertums gelten als erste Quelle der europäischen Kultur im Sinne des griechisch-römischen Geistes.«, erklärte Aaron. »Die Ilias erzählt als eine der wohl ältesten Quellen dieser Art die Geschichte eines alten Krieges. Sie berichtet vom Kriegszug der Achäer zu der großen und reichen Stadt Troja, auf dem sie nebenbei noch sämtliche Städte auf ihren Weg plündern und niederbrennen. All die großen Helden, der blonde Menelaus, der treffsichere Speerwerfer Idomeneus von Kreta, der dem Zeus ähnliche Odyseuss und, nicht zuletzt, der stärkste Kriegsheld der Achäer – Achilles, der Unverwundbare, dessen Waffen und Rüstungen vom Gott der Schmiedekünste selbst gefertig waren. Jedem von ihm, und ebenso ihren Feinden auf trojanischer Seite, wäre ein eigenes Epos angemessen.«
Für einen Moment wirkte Aaron verzückt, dann deutete er auf ein anderes, in einen braunen, schmucklosen Schutzumschlag eingeschlagenes Schriftstück.
»Das Gilgamesch-Epos ist vielleicht eintausend, vielleicht mehr Jahre älter als die Ilias, zumindest in seinen Ursprüngen. Es erzählt die Geschichte eines Mannes, der die Unsterblickeit sucht und findet - und dennoch zugrunde gehen muss.«
Leißenhoffers Blick wanderte in die Ferne.
»Hier haben wir die großen Römer, berühmte Namen. Vergil, Ovid, die großen Ependichter. Andere Autoren waren selbst oft Staatsmänner – Caesar, Cicero – und die ersten, denen es gelang, scharfe Logik und Eleganz sprachlich zu vereinbaren. Sie präsentieren ihre Gedanken in ausgefeiltester Form. Sie besaßen eine Schärfe des Geistes und der Sprache wie sie noch heute von Anwälten und Politikern verlangt wird.«
Aaron schlürfte an seinem Tee, während er Jan weiterführte.
»Die Römer mochten die Sprache ausgefeilt haben wie man ein Werkzeug schleift, um es genau dem Zweck anzupassen, für das es gedacht ist, aber ihre Kunst war mehr Handwerk, und zudem ist viel davon verloren gegangen. Stärker in Bild und Beobachtung, sind die alten keltischen, germanischen und mittelalterlichen Lieder und Märchen, auch wenn uns davon zu häufig nur die Bearbeitungen anderer Kulturen vorliegen. Doch kommen wir zum Ende der Mittelalters!«
Aaron Leißenhoffer konnte sprunghaft zwischen den Weltaltern wechseln wie ein Grashüpfer zwischen Grashalmen hin- und herspringt.
»Die Moderne ist hereingebrochen, und der barocke Dichter protzt mit Worten wie die Könige mit Gold und Damast!«, fuhr Aaron fort, und seine Sprechweise nahm an Schnelligkeit, seine Wortwahl an Eindringlichkeit zu.
»Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, allein der Name verrät seinen Standpunkt! Auf der anderen Seite des Ärmelkanals wird derweil ein Mensch geboren, der das Drama für alle Zeiten beeinflussen soll. William Shakespeare provoziert die Kirche und schafft sich eine gewaltige Anhängergemeinde, prägt die englische Sprache und bringt es in ihrer Beherrschung zur Meisterschaft!*« Aaron Leißenhoffer fuhr beinahe zärtlich über die Buchrücken, die den Namen des großen Engländers trugen, dann löste er sich davon und eilte weiter.
»Jahrhunderte vergehen, mit ihnen wandelten sich Drama und Dichtung. Das 18. Jahrhundert erzittert unter einer neuen Generation von Dichtern und Denkern, und als die gleichsam spöttischen und verächtlichen Stürmer und Dränger von der Bühne des brennenden Europas abtreten, lassen sie eine gewandelte Welt zurück. Eine neue Form der Erzählung kommt dann auf, lange, prosaische Texte in Buchform, durch den Fortschritt der Technik sehr billig in Produktion und Vertrieb. So billig, dass diese neue Form von Kunstwerken oft als >Groschenromane< verschrien war. Außerdem wurden die Erzähler mutiger. Sprachliche Explosionen und Experimente fielen bei dem modernen, selbst hochgebildeten Publikum auf fruchtbaren Boden.«
Während die letzten beiden Regale, an denen sie vorbeigekommen waren, beinahe ausschließlich mit kleinen gelben Heftchen bestückt gewesen waren, füllten nun wieder verschiedenfarbige Buchrücken die Reihen.
»Mit dem neuen Jahrhundert traten im Land des russischen Winters andere auf die Bühne des Zeitgeistes: Puschkin, der die Sprache wandeln wollte, Tolstoi, Dostojewski, der große Analytiker des Menschen in Geist und Seele, und schließlich Gogol, der große Unglückliche in dieser Reihe russischer Meister. Dostojewski und die seinen gehörten zu jenen, für die Literatur mehr war als die reine Kunst, sondern eine Kritik, ein Brennglas, und eine Waffe und ein Werkzeug, um etwas durchzusetzen, eine Botschaft zu vermitteln! Dem einen brachten seine Gedanken das Zuchthaus und fast den Tod ein, andere gingen an Duellen und Schizophrenie zugrunde.«**
Aaron Leißenhoffer schwieg für einen Moment, tief ergriffen von diesen lange zurückliegenden Tragödien. Zum zweiten Mal, seitdem er zu sprechen begonnen hatte, nahm er sich in diesem Moment Zeit, an seinem Tee zu nippen.
»Ich erwähnte, dass der Erzähler mit der Zeit immer mutiger wurde, und dass Dostojewskis scharfsinniges Denken die Psychoanalytiker bis heute beeinflusst. Es kam einer, bei dem beides zusammenkam, das endlose Selbstvertrauen in Wort und Sprache, und der erworbene Scharfblick, der alles am Menschen durchdringt. Dieser eine hatte ihn erworben aus den Gedanken so vieler, älterer Denker, die er einen nach dem anderen aufgriff und entweder wachsen ließ oder aber in die lügenden Klüfte zurückschleuderte, aus denen sie in seinen Augen gekommen waren. Friedrich Nietzsche war es, der dem ungeschminkten Schrecken der Wahrheit ins Gesicht sah und ihr mit einer vollendeten Meisterung der Sprache ein feuriges, strahlendes Kleid verlieh, das noch heute für die meisten Menschen zu heiß und zu hell ist, als dass sie seine Bedeutung ermessen oder auch nur seinen Anblick ertragen könnten.«
Aaron berührte leicht und ehrfürchtig die Werke des größten deutschen Denkers. Als wären seine Gedanken mit einem Mal wieder abschweifig geworden, verfiel er einen Moment in Schweigen, aber nur, um sofort wieder zum nächsten Regal zu eilen und fortzufahren.
»Zu der Zeit, als in Deutschland ein Kaiser und in Russland ein Zar herrscht, machte sich ein Professor für germanische Philologie in England daran, alte Sprachen zu ersinnen - wiederzuentdecken, wie er selbst stets betonte - und ein Universum voller Menschen, Götter und anderer Wesenheiten, von denen diese Sprachen gesprochen wurden. Ob das Hochelbische, so edel und rein wie das Mondlicht, das Sindarin, unendlich reich in Begriffen und Bildern, das Zwergische, ehrlich, zäh und so unnachgiebig wie seine Sprecher, die schrecklichen Sprachen von Mordor und Angband, und alle Mundarten der Orks und Menschen. Eine Welt, voller Edelmut, Hass, Helden und Götter, kündend von einer Energie, die das Werk des schöpfenden Gottes fortführt. Die Synthese von Evolutionstheorie und Kreationismus, von Poly- und Monotheismus, von römisch-griechischen und altnordischen Einflüssen, all das ist Werk eines einzelnen großen Meisters, dessen Meisterschaft weit über die bloße Literatur und Philologie hinausreichte. Du ahnst, von wem ich spreche: J.R.R Tolkien, der Großmeister der Weltenschöpfung.«
Mehr als nur respektvoll, geradezu zärtlich, berührte er sanft die Bücher dieses Meisters. Das Silmarillion, die Gedichtbände und Kurzgeschichten, und auch jene drei Bücher, die ihren Schöpfer so unendlich berühmt gemacht hatten.
Aaron Leißenhoffer ging weiter, schlürfte noch einmal an seiner Tasse und wirkte mit einem Mal ein wenig ungeduldig.
»Dann, wenn hätten wir noch? Hier, Herrmann Hesse, Dichter, Denker, Märchenerzähler, klassischer Romanciér. Dann noch die anderen großen Namen der jüngeren Vergangenheit – Thomas Mann, Boris Pasternak und andere großen Namen über Namen...«
Aaron Leißenhoffer ging weiter und schien sich mit einem Mal weit schwerer auf seinen Stock zu stützen als zuvor.
»Es kommt die Zeit, in der ich meine Rolle in der kleinen Welt der deutschen Literatur zu spielen begann. Meine ersten, winzigen Veröffentlichungen. Die Zeitschriften. Selbst, was wir damals in den Himmel gelobt haben, beginnt schon heute zu verblassen, und der Rest – nun ja. Mein Werk ist noch nicht getan...«
Inzwischen führte der Alte eindeutig ein Selbstgespräch und hastete weiter.
»Was nach der Jahrtausendwende an Belletristik produziert wurde, war nichts als Abfall, nichts weiter; zumindest dachte ich Narr lange so. Weißt du, dass genau das den Hauptgrund darstellte, dass ich mich zurückzog aus jener Welt der Thriller, Krimis, Fantasy, den wahren Groschenromanen der Zeit? Über ein halbes Jahr saß ich in diesem Haus, und wartete auf den Tod! Ja, so muss man es sagen, denn ich hatte das Ziel im Leben verloren, und ich hatte keine Hoffnung mehr, weder für die Welt als solche, noch für die Kunst.«
Der Blick der altgewordenen Kritikers ging in die Ferne.
»Doch dann – du wirst es kaum glauben – kam eine Art von... Erleuchtung über mich. Nicht plötzlich: Ärgerlich wie ich war, und gelangweilt, so schrecklich gelangeweilt, laß ich allen möglichen Müll, den mir alle möglichen Verlage und Zeitschriften ständig zusandten, in der Hoffnung, das Comeback des großen Leißenhoffers als ihren eigenen Erfolg verkaufen zu können. Bis ich eines Tages - und du siehst, man ist nie zu alt, wirklich niemals zu alt - endlich das wahre Gesicht dieser Bücher erkannte. Der einfache, beinahe primitiv wirkende Stil, die auf den ersten Blick so unglaublich einfache wirkende Figuren, die völlig konventionsfreie Handlung – kurzum, alles, was mich zuvor zur Weißglut getrieben hatte - ergab mit einem Mal Sinn, wie eine Zeichung von Picasso, aus zu großer Nähe nur ein Haufen sinnloser Striche, aus der Ferne aber eine Figur und ein unglaublicher Anblick ist. Ich verstand sie, die Thriller, ich verstand sie, die postmoderne Fantasy und die sogenannten historischen Romane. Ich verstand die über jedes Maß blutige Handlung und die grobe Sprache der Charaktere, und auch den leichten Stil der Erzähler. Die Komplexität der Handungen, der lange Aufbau...«
In dieser Weise fabulierte Aaron Leißenhoffer noch eine Weile über die postmoderne Literatur, während sein Neffe, der bis dato aufmerksam, beinahe schon ehrfürchtig gelauscht hatte, langsam sein Interesse zu verlieren begann.
Auch Aaron selbst erkannte, dass er alles gesagt hatte, das sich momentan in seinem Kopf befunden hatte. Schließlich verstummte der Monolog des alten Kritikers.
Er zog sich in die Mitte der Bibliothek zurück, wo ein runder Tisch mit einem erhöhten Sessel, eine Schreibmaschine, liniertes Papier und ein Computer standen. Der Tisch quoll von bereits beschriebenen Blättern geradezu über. Aaron gab sich einem der herumliegenden Texte und neuen Gedanken hin.
Das laute, mechanische Klacken der Schreibmaschine hallte durch den ganzen Raum.
**
Als der Abend langsam zur Nacht wurde – Onkel und Neffe hatten noch einige Stunden, äußerlich durch nur drei Regalreihen, innerlich aber durch wahre Welten voneinander entfernt, in der Bibliothek verbracht, während sich der Jüngere einige der Werke ansah, von denen sein Onkel so bewundernd zu berichten vermocht hatte, kümmerte sich Aaron Leißenhoffer - um das Essen.
Obgleich man anzunehmen geneigt sein könnte, dass in einem solchen einsamen Anwesen wenigstens ein Bediensteter nicht fehlte, der sich um die Dinge des Alltäglichen kümmerte, die Aaron Leißenhoffer beinahe überhaupt nicht kümmerten, existierte in dem Haus kein Mensch dieser Art. Nur verschiedene Handwerker und ein Forstwirtschafter, der sich um die riesigen Anlagen um das Anwesen kümmerte, waren bei dem alten Leißenhoffer beschäftigt, außerdem unterhielt er eine rege Geschäftsbeziehung mit einem Lieferservice, der ihm die wenigen Konsumgüter, die er benötigte – Aufbackbrötchen, Pfeifentabak, Tee, Kaffee, Milch, Vorratspackungen von Tiefkühlpizza, Konserven aller Art, außerdem natürlich Papier und Tinten, und noch einige weitere Dinge – ein- bis zweimal in der Woche von einem Kurier überstellen ließ.
Nicht selten waren über Wochen die einzigen Gespräche, die Aaron Leißenhoffer von Mensch zu Mensch führte, die mit dem Kurier, und auch diese beschränkten sich auf ein Minimum. Es konnte durchaus vorkommen, dass er, infolge der geistigen Ansprüche, die seine Tätigkeiten an ihn stellten, wichtige Verrichtungen vergaß, etwa die nahe am Erdboden verlegten Wasserleitungen zu enteisen oder das riesige, wenn auch größtenteils leersteende Gebäude zu heizen.
Der Garten war ohnehin ein Urwald aus wuchernden Pflanzen aller Art, wobei das, im Gegensatz zu gefrorenen Wasserleitungen, eher zur Zufriedenheit des Besitzers beitrug, weil er die wild wuchernden Rosenranken als sehr romantisch empfand, wenn er im Sommer an seinem Fenster stand und auf den Garten hinabsah.
So bereitete Aaron Leißenhoffer in jahrelanger Routine ein Mahl, bestehend aus Tiefkühlpizza und Mineralwasser, wobei er zunächst einmal nach einem zweiten Teller suchen musste, da er nie Gäste empfing und für gewöhnlich immer von ein und demselben Teller aß.
Er brachte die beiden Teller und Gläser zu dem Platz in der Bibliothek, an dem er für gewöhnlich zu speisen pflegte, und wunderte sich, wie erschwert das Leben doch war, wenn man sich für mehr als einen Person mitsorgen musste. Dann ging er erstmals nicht ein Mal, sondern zwei Mal von der Küche zum Tisch, um dorthin noch eine zweiten Sessel aus einem anderen Teil des Hauses zu tragen. Jan hockte in irgendeiner dunklen Ecke und hatte sich, wie er im Vorbeigehen an dem Umschlag erkannt hatte, in die Ilias vertieft.
Es widerstrebte ihm tief in seiner Literatenseele, einen konzentrierten Geist bei der Arbeit zu unterbrechen, doch die Gesetzte der Thermodynamik, die ein baldiges Abkühlen der Pizzen auf dem Tisch voraussagten, bewogen ihn zuletzt doch noch, Jan anzusprechen.
»Das Abendessen ist fertig. Komm.«
Jan blickte von dem Buch hoch, und Aaron wusste genau, wie sich der junge Mann in diesem Moment fühlen musste, empfand er doch selbst so, wenn zu den ungünstigsten Zeitpunkten alte »Freunde« anriefen, oder einer der Lektoren oder Verleger. Schließlich stand der Junge aber doch auf, legte das Buch beiseite – eine erstklassige, praktisch wörtlich genaue Übersetzung und eine Romanbearbeitung des altehrwürdigen Stoffes, erstmals 1997 in einem Band erschienen – und folgte Aaron an den Tisch. Einander gegenüber nahmen die Männer Platz und schwiegen sich eine Sekunde an.
»Guten Apettit.«, wünschte Aaron schließlich und verfluchte sich für die alberne Floskel.
Jan schien sich daran nicht zu stören. Er erwiderte sie und begann, mit großem Appetit zu essen.
»Um nochmals«, begann Jan und grinste schelmisch, »auf den eigentlichen Grund meines Besuchs zurückzukommen....«, der junge Mann unterbrach sich, weil er kauen musste, » - man hat dich doch über mein Ankommen informiert?«
»Natürlich.«
»Gut. Also die Sache war ja die, dass ich nun, bis ich endlich wieder in dieses dumme Internat zurück kann, noch zwei von vier Wochen der Winterferien herumbringen muss, weil man nur die letzten zwei in der Schule verbringen darf – nicht, dass ich darauf scharf wäre -, und daher suchte ich, weil mein liebster Vater keinen natürlich keine Sekunde seiner Business-Zeit vergeuden kann, eine Bleibe, und die Familie verwies mich von hier nach dort und von dort nach da, und dann - zu dir. Wahrscheinlich kamen sie überein, dass du der einzige bist, der in ihren Augen keine vernünftigen Gründe vorbringen könnte, niemanden aufzunehmen.«
»Hm. Du sprichst mit gelenkigerer Zunge als die meisten, und du hast keine sehr hohe Meinung von unserer liebsten Sippschaft.«
»Was die Horde einem auch nicht wirklich erschwert.«
»Nein, nicht wirklich. In Anbetracht der kritischen Umstände und deiner allersymphatischsten Persönlichkeit...«, Aaron hustete und biss von seiner Pizza ab, »... denke ich, dass ich diese zwei Wochen, wenn ich noch richtig rechne, mit dir an meiner Seite durchaus... akzeptabel finde. Sag dazu, was du willst.«
»Was du willst.«
»Scharlatan. Ich denke, dass es für unseresgleichen möglich ist, sich nicht ständig auf die Füße zu treten, und meine Bibliothek ist groß, das bescheidene Heim noch größer, wenn auch es so gut wie leer und manchmal über Wochen ungeheizt. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal im obersten Stock war...«
Die Herren sahen sich ernst in die Augen, bis Jan lachen musste. Aaron gelang es besser, die Conténance zu wahren, doch auch ihm lief ein Grinsen über die Gesichtszüge.
»Gute Pizza.«, bemerkte Jan. »Und gutes Wasser. Sehr köstlich.«
»Danke. Direkt aus der Flasche.«
Jan, der sich in der Regel entweder in Kantinen, oder in Restaurants ernährte, grinste nur.
»Nachher werden wir sehen, ob ich vielleicht noch eine Flasche Wein im Keller finde...«, sagte der Jüngere, immer noch grinsend.
»Verlauf dich nur nicht in diesem Keller. Und sieh bei der Gelegenheit noch gleich nach, ob ich das Licht ausgemacht habe, als ich vor sechs Monaten das letzte Mal dort war. Wäre doch eine Schande.«
***
Die folgenden Tage und Woche begannen mit Fortschreiten der Zeit mehr und mehr nach dem immer gleichen Schema zu verlaufen.
Aaron Leißenhoffer stand etwa gegen acht Uhr morgens auf, rund eine Stunde vor seinem Neffen, wobei sich das durch ihre unterschiedliche nächtlichen Aktivität ausglich, und kümmerte sich um das Frühstück, allerdings erst, nachdem er einerseits rasch über seine Manuskripte vom Vortrag Korrektur gelesen, und andererseits seine Mails gecheckt hatte. Tatsächlich besaß der alte Literat einen Computer, und er unterhielt einige, sehr intensive Korrespondenz mit einem sehr kleinen Personenkreis, dessen Vertreter rund um den Globus verstreut waren.
Wenn er allein war, frühstückte Leißenhoffer meist nur Müsli, zum Teil, weil es im Ruf stand, gesund zu sein, und zum Teil, weil es schnell und ohne Mühe vorbereitet war. Doch sein Neffe hatte einige Packungen aufbackbarer Brötchen gefunden, mit denen sie sich nun, in Kombination mit verschiedenen alten Marmeladen, die auch noch irgendwo herumgestanden hatten, meist den Tagesbeginn versüßten.
Danach zogen sich die beiden Leißenhoffers in die Bibiliothek zurück, der eine, um zumindest bis zum Mittag zu schreiben, der andere, um zu lesen. Jan hatte sich eine gedankliche Liste mit Pflichtlektüren erstellt, die er voller Genuss abarbeitete. Gegen späten Nachmittag gab es, je nach Laune der beiden, entweder eine kurze Zwischenmahlzeit oder die erste Pizza des Tages. Danach zog man sich wieder in die Bibiliothek zurück und widmete sich den dortigen Verrichtungen, bis es gegen acht Uhr Abends entweder die erste oder die zweite Pizza des Tages gab, bei der man sich meist unterhielt, um sich danach wiederum in die Bibiliothek zurückzuziehen. Spätestens um Mitternacht ging auch Jan zu Bett, vor allem deshalb, weil er das Lesen in schummerigem elektrischem Licht als sehr anstrengend empfand.
In diesem ganzen Tagesablauf nun, der – von geringen Abweichungen abgesehen – beinahe immer so ablief, traten von Zeit zu Zeit einige, für Jan unerklärbare Unregelmäßigkeiten auf. Aaron Leißenhoffer, der recht früh zu Bett ging, aber auch früh aufstand, hatte die Eigenart, an manchen Tagen, und ohne einen Anlass, den Jan hätte erkennen können, erst Stunden nach seiner gewöhnlichen Tageszeit, um elf oder sogar zwölf Uhr mittags aufzustehen, sodass sich Jan selbst um das Frühstück kümmern musste und oftmals Stunden allein verbrachte. Er wagte nicht, seinen Onkel zu stören, der in einem dunklen und von allerlei Zeug überfüllten Zimmer hauste, in dessen Zentrum ein einzelnes, dünnes Drahtgestell von einem Bett stand.
Das Zimmer roch nach Papier, Tinte und Tabakrauch.
Jan fand nie einen passenden Anlass, den Älteren auf dieses zumindest ungewöhnliche Verhalten anzusprechen. Daher ignorierte er es, zumindest soweit es möglich ist, die stundenlange Abwesenheit des einzigen lebendigen Menschen zu ignorieren, der in der eigenen Nähe zu finden ist, und verbrachte die verlassene Zeit in der Bibiliothek.
In manchen Momenten bereute er wirklich – er konnte noch nicht einmal sagen, was zur Hölle in dazu bewegt hatte – seinen Laptop nicht mitgenommen zu haben, sodass seine Kommunikation zur Außenwelt völlig zusammengebrochen war. Mobilfunk funktionierte nicht, WLAN gab es nicht.
Am Anfang hatte sich Jan ziemlich über das einsiedlerische, exzentrische Dasein gewundert, das Aaron Leißenhoffer führte, konnte er mit der Zeit mehr und mehr verstehen, wie es diesem problemlos gelang, auf diese Weise glücklich zu leben. Er verzichtete nicht auf die Welt, sondern lebte so, als ob es sie gar nicht gäbe.
Mehr und mehr fühlte Jan, wie er, anstatt sich das Ende des Aufenthalts zu wünschen, darauf hoffte, dass er sich verlängerte.
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»Was ich schreibe? Ich hatte mich schon gefragt, wann du endlich auf diese Frage kommst.«
Aaron Leißenhoffer, umgeben von Papier, einem Computerbildschirm und gleich zwei Schreibmaschinen - in jeder davon ein Bogen Papier mit einem angefangenen Text – saß pfeifeschmauchend über einem Dokument und schien eine Art Schaubild zu zeichnen, doch so klein und akkurat und mit so vielen Pfeilen versehen, dass Jan ihm kaum einen Sinn abgewinnen konnte.
»Setzt dich her.«, sagte er. »Nimm das Papier links von dir, in dem grauen Drucker mit der Delle, links oben.« Jan tat, was sein Onkel ihm gesagt hatte. »Chapter XVII«, stand unterstrichen auf dem Blatt. Er überflog den Inhalt. Es handelte sich um eine locker geschriebene Erzählung in der Ich-Perspektive, offenbar mit einem weiblichen Erzähler, der sich mit einer Freundin lang und breit über gesellschaftlich vielleicht als empfindlich angesehene Themen unterhielt.
»Gut?«, fragte Aaron Leißenhoffer.
Jan nickte. Sein Onkel nahm ihm das Papier aus der Hand, klemmte sich seine Lesebrille auf die Nase und sah ihn über den Rand derselben scharf an.
»Gut vielleicht.«, sagte er. »Aber nicht gut genug, und noch lange nicht Überdurchschnitt. Jetzt gib einmal acht.«
Mit diesen Worten drehte der Mann seinen Stuhl zu dem Computerbildschirm an der anderen Seite des Tisches, rief das gleich Dokument, das sich ausgedruckt in Jans Händen befand, auf dem Bildschirm auf und begann schnell zu arbeiten. Er laß eine Textstelle, murmelte manchmal einige unverständliche Worte, schrieb ab und zu sogar einige kryptische Notizen wie »Hdl. Vrlf ->char+evo->Rltt«, und änderte schließlich Teile des Textes. Jan saß daneben und wunderte sich vor allem über das unglaubliche Tempo, dass der Ältere bei seiner Arbeit an den Tag legte. Er schrieb schnell, legte keine Pausen ein und schien niemals Korrektur lesen zu müssen. Kaum fünf Minuten später war er fertig und der Drucker spuckte die überarbeitete Version aus. Aaron schnappte sich das alte Papier und setzte mit Bleistift die Worte »clsd&imprvd« darüber, um es dem stetig wachsenden Berg unbenutzen Papiers auf dem Tisch vor sich hinzuzufügen.
Er drückte Jan das neue Papier in die Hand.
»Nun ließ das.«
Jan tat wieder, was der Ältere ihm gesagt hatte, und musste staunen. War es der gleiche Text?
Es schien kaum so. Jedes Wort schien mehr Sinn zu ergeben als den augenblicklich erkennbaren, jeder Satz schloss nahtlos an den nächsten an, wie eine Woge des Meeres in die nächste übergeht, und stellenweise brachte Leißenhoffer die harmlosen Alltagssprache der Charaktere zu einem geradezu melodiösen Klingen.
»Brilliant.«, meinte Jan.
»Überdurchschnittlich, mit der Welt verglichen.«, entgegnete Leißenhoffer.
Zählst du dich nicht mehr zur Welt?, fragte sich Jan innerlich, und musste eingestehen, dass Leißenhoffer nicht einmal ganz falsch läge, wenn er wirklich so dachte. Die Welt hörte nichts von ihm, und er hörte nichts mehr von ihr, wenn man von einer einzigen Nachrichtensendung einmal in der Woche absah.
Aaron Leißenhoffer war ein moderner Erimit.
»Willst du wissen, was ich bin?«, fragte der Ältere.
»Ein Genie?«, schlug der Jüngere vor.
»Nun gut, das auch.«, räumte der Ältere ein.
»Und was noch?« Aaron Leißenhoffer legte mit mit einem Mal einen Stolz in seinen, wie so oft, scheinbar in weite Ferne schweifenden Blick, der über sein gewöhnlichen, beinahe akademischen Stolz, weit hinausreichte.
»Ich, der auf das Altenteil geschickte Altkritiker, bin Ghostwriter. Der Ghostwriter. Der Ghostwriter, der hinter sechs von zehn wirklich bedeutenden Büchern der letzten Jahre steht, der Ghostwriter, der die Welt der Literatur in ihren Grundfesten erbeben lässt, der Ghostwriter, der eine Idee nimmt, einem geschliffenen Diamanten gleich, und sie dennoch wertvoller zurückgibt, als er sie erhielt. Sechs von zehn Büchern, wenn es nur zehn Bücher gegeben hätte. Mancher Name würde dir vielleicht etwas sagen, die meisten wohl nicht. Die Bedeutung dieser Literatur wird man erst in einigen Jahren, vielleicht auch Jahrzehnten erkennen, und die Pseudonyme ihrer Autoren werden schon längst zu Asche geworden sein - aber die Menschen, deren Meinung mir in puncto Kunst wirklich wichtig ist, wissen genau, wer der wahre Geist hinter diesen Büchern ist.«
Ein Eremit?, dachte Jan. Eher der Prophet in der Wüste!
*****
Plötzlich erwachte er.
Wo war er?
Ein fremdes Haus, fremdes Licht durch das Fenster – verdammt, er war es gewohnt, überall nur zu Gast zu sein! Er war im Haus seines Onkels, und es bestand kein Grund, sich zu sorgen.
Warum war er aufgewacht?
Es roch nach Qualm. Nein, kein Feuer im Haus. Er war wach, nun konnte er ebenso gut aufstehen. Es war Nacht. Der Mond, der zum Zeitpunkt seiner Ankunft noch beinahe voll gewesen war, schrumpfte zusehends zu einem schmalen Strich zusammen. Ein Sinnbild meiner Zeit hier, dachte Jan.
Da war es wieder!
Er blickte zur dunklen, hohen Decke. Dumpfe Schritte erklangen aus dem oberen Stock, als würde etwas Schweres dort auf und ab gehen.
Ein tiefer, lang gezogener Laut ertönte, der klang, wie ein Schrei unter Wasser.
Er hielt den Atem an, um zu lauschen.
Des Schlafes beraubt, schlich er aus dem Zimmer, mit einem Mal von einer absurden Furcht befallen, entdeckt zu werden. Er hatte keine Vorstellung, wovor er sich fürchtete, ihm war sogar unklar, ob er sich überhaupt fürchtete oder ob er es nur mit einem Anfall von überreizter Fantasie zu tun hatte, die mit zu viel Fiktion gefüttert wurde.
Mit flachem Atem schlich er vorwärts, um die Ecke und zum Ende der Treppe in den oberen Stock. Im Treppenhaus war es finster wie in einem Grab. Er rief sich sich seine Erinnerungen an die Treppe wach, tastete er sich vorwärts.
Und plötzlich hörte er Stimmen. Es waren zwei davon, die eine sprach kratzige, schnell und hastig. Doch die wirklich beängstigende war die zweite Stimme, denn sie war tief, dumpf, kaum menschlich klang sie, und sie sprach unverständlich. Vielleicht sogar in einer fremdartigen Sprache.
Wenn es eine Sprache war.
Jan schlich näher, geduckt und unter größter Vorsicht und Furcht, ein zu lautes Geräusch zu machen oder sich zu weit vorzuwagen wie ein Kind, dass sich in die Küche schleicht, um Süßigkeiten aus dem Schrank zu stibitzen.
Zwischen den beiden Stimmen schien ein schwerer Streit zu entbrennen. Die tiefe, schreckliche Stimme sprach immer eindringlicher, ja, wütend, die kratzige, hastige Stimme dagegen wurde immer hastiger, aber schien ebenfalls keinen Zoll zurückzuweichen. Jan legte sich flach auf die Treppe und spähte auf die Wand, auf der sich schwachen Schatten auf einem sehr schwach beleuchtetem Stück Tapete ausmachen ließen. Hastige, fast flimmernde Bewegungen waren zu sehen.
Als die tiefe Stimme wieder zu grollen begann, zuckte Jan zusammen, als hätte man ihm einen elektrischen Schlag versetzt. Sie klang zu nah! Wie eine räumliche Einengung, wie eine Lawine, und die Worte ein namenloser Schrecken.
Da flammte es auf, ein dunkles, starkes Rotlicht, urplötzlich. So heftig die Helligkeit sich in seine an die Finsternis gewöhnten Augen bohrte, so erschreckend deutlich wurden unvermittelt die Schatten! Nichts erkannte er, nur eine riesige, klauenartig verformte Hand, begleitet von einem Krächzen, dann schloss er die Augen und flüchtete, ohne Rücksicht auf Auffälligkeit und Geräuschlosigkeit.
Die dumpfen Schritte stampften plötzlich schneller und stärker.
Jan floh in das Zimmer, in dem das Bett stand, kauerte sie wie ein Narr in eine dunkle Ecke und wagte nicht, sich zu bewegen, und schon gar nicht, nach seinem Onkel zu rufen. Sein Verstand stand still, der Selbsterhaltungstrieb hatte die Kontrolle über ihn an sich gerissen, als er da in der Ecke kauerte und sich eine Waffe wünschte wie nie zuvor in seinem Leben.
*****
Der nächste Tag war wieder einer von denen, an denen sich Aaron Leißenhoffer ohne ersichtlichen Grund erst spät nach Nachmittag zeigte.
Jan war irgendwann aufgewacht, kauernd über einem Kissen in der Ecke des Zimmers, hatte sich einen Tor geschalten für den närrischen Traum, war aufgestanden auf und hatte Kaffee gekocht, während er den Inhalt der vorletzten Aufbackbrötchen-Packung in den Ofen schob. Während der ersten Zeit hatte er noch über den Inhalt des seltsamen Traums gerätselt, hatte sich gefragt, ob es sich um eine Botschaft seines Unterbewusstseins oder gar das Anzeichen einer seltsamen Störung handeln könnte. Schließlich schob er diese Gedanken beiseite.
Als sich Aaron Leißenhoffer auch später nicht gezeigt hatte, ging Jan schließlich in die Bibiliothek vertiefte sich weiter in Roman.
Erst am frühen Nachmittag erschien er doch, gekleidet in seine typische Kombination aus Rollkragenpullver, Morgenmantel, Pfeife und Stock.
Er wirkte noch entrückter als sonst, rührte keine Bissen an und sprach kaum einen zusammenhängenden Satz mit seinem Neffen.
Doch auch dieser eine Satz genügte, um zu enthüllen, wie heiser der ältere Mann war.
Jan konnte kaum Aufmerksamkeit an den anderen verschwenden – diese Marotte hatte er von ihm selbst gelernt und übernommen -, weil er selbst schwer mit der Analyse des Geisteszustands einiger unsterblich gewordenen Zuchthausinsassen beschäftigt war.
Kaum eine Stunde, nachdem er erschienen war, verschwand Aaron Leißenhoffer wieder in den Höhen des oberen Stockwerks.
Nach Stunden der Abwesenheit boten selbst die fremden Welten, in die Jan seinen Geist hatte entführen lassen, keinen Schutz mehr vor der Sorgen um den Alten, der weder sprach noch aß, und sein Neffe hielt es nicht mehr in der Bibliothek aus. Besorgt stieg er die Treppen in den oberen Stock hinauf und fand mit einem Mal unwillkürlich an seinen Traum erinnert wieder, sah sich um und betrat zuletzt vorsichtig das Zimmer seines Onkels. Es war verlassen, und vom alten Leißenhoffer war keine Spur zu sehen. Jan ging leise in dem Dämmerlicht vorwärts, Bücher- und Papierstapeln, beladenen Stühlen und herumstehenden Kartons ausweichend, zu dem großen Schreibtisch in der Mitte des Raumes.
»Onkel?«, fragte er halblaut in das schummrige Licht. Niemand antwortete.
Jans Blick wurde mit einem Mal, beinahe gegen seinen Willen, angezogen von einem Papier, inmitten von Chaos von den anderen Schriftstücken abgesondert, beinahe erhaben dalag. Es hatte eine schwarze Grundfarbe, die Buchstaben hellweiß, und lag oben auf einem Haufen von sicherlich zweihundert Schreibmaschinenseiten gleichen Aussehens, also einem nicht geringen Textumfang, welcher ein Werk in Romandimension vermuten ließ. Jan überflog beinahe reflexartig den ersten Satz, und von dieser Sekunde an war es wie ein Magnet der Aufmerksamkeit, der ihn an jenes Papier fesselte.
Der Inhalt? Komplex, widersprüchlich, brilliant, fesselnd. Die Personen? Eine Hauptperson, männlich, eine zweite, weiblich, drei wichtige Nebencharaktere, nicht zu viel, nicht zu dünn. Von fünf starken Charakteren waren vier auf den ersten Blick klischeebehaftet, und nur bei dreien spielte der Erzähler mit dem Vorurteil des Lesers, während der vierte ein völlig widersprüchlicher und unverständlicher Charakter blieb. Der Stil? Flüssig, bilderreich, stellenweise beinahe melodiös, komplex, aber dennoch leicht zu verstehen, voller Anspielungen und Doppeldeutigkeiten. Dreimal vollzog die Haupthandlung eine scharfe Kehrtwende, ohne dass man sich hinterher noch erinnern könnte, warum man zuvor an eine andere Sinnrichtung geglaubt haben könnte; die Charaktere tanzten an ihren Fäden, versuchten auszubrechen und scheiterten das eine Mal grandios, erlangte dafür ein andermal ihre kleine Freiheit, fanden wieder zusammen und verstrickten sich zu völlig chaotischen, dramatischen Knäulen von bestechender Logik.
Was war das?
Die Offenbarung des Propheten in der Wüste.
Jan stellte sich den Albtraum vor, eine Inhaltsangabe oder gar Interpretation des Textes verfassen zu müssen, und ahnte, dass beinahe jeder Mensch grandios an dieser Aufgabe scheitern würde, außer vielleicht Aaron Leißenhoffer selbst, der als einziger lebender Mann als Verfasser des Textes in Frage kam.
Die Handlung war unbeschreiblich, die Personen komplexer als die Realität selbst, der Stil zuletzt ein Wunderwerk menschlichen Intellekts.
Und dennoch ahnte Jan, dass dieses Buch in den meisten Gegenden der Welt zu einem Dasein als Ladenhüter verurteilt sein würde; so unpolitisch, anachronistisch und hyper-progressiv, wie es nun einmal war. Vor seinem inneren Auge blitzte unvermittelt das Bild einer ratlosen Nobelpreis-Jury auf.
Eremit, Prophet, und nun auch der van Gogh der Literatur!
Verblödung des Alters!
Jans Blick fiel urplötzlich auf ein anderes Dokument, ein schon leicht verblichenes Stück Schreibmaschinenpapier, auffällig besonders wegen der auffälligen und verschiedenen Farben der verwandten Tinten, Grün und Rot. Es war offenbar ein Dialog, und es schien sich um ein eilig hingeschmiertes Geschreibsel zu handeln. Eine Abkürzung ging in die nächste Über, Vokale wurden ausgelassen und Wörter zusammengefasst, doch mit einiger Mühe gelange es Jan, den Sinn der Sätze zu erschließen. Ausformuliert, hätte es etwa folgendermaßen lauten müssen:
AegoL_: Unsinn! warum dieses = Verschwendung!
me_: notwendig Erzählung!? Wie auch nicht, sie (die Erzählung) ist unvorausplanbar!
AegoL_; Unvorausplanbar? Unsinn, schon wieder! Plan ist alles von ihr (alles von der Erzählung, gemeint: Macht sie [die Erzählung] ganz aus) und muss werden geplant
me_: verdammt kann es nicht länger ich bin zu müde verflucht
AegoL_: streng dich an
me_: ich will nicht ich muss schlafen
AegoL_:Nein!
me_: müde!
AegoL_: nein!
me_; schaffe es nicht
AegoL_: du schaffst es – nimm es
me_: ich will es nicht es ist böse
AegoL_: nimm es koks
me_: ich will es nicht
AegoL_: NIMM ES!
me_: -------
AegoL_: fühlst du dich jetzt endlich besser?
me_: besser? gar kein ausdruck
AegoL_: was wäre ein ausdruck
me_: ausdruck? ich bin un-be-sieg-bar!!!
AegoL_: wirst du es endlich vollenden
me_; ja zur hölle
AegoL_: wo ich herkomme
me_: wohin ich gehe
AegoL_: schreib
me_: schreibe schon
Mit diesen Worten endete der rätselhafte Dialog.
Ein riesiger, getrockneter Tintenfleck bedeckte einen guten Teil des Blattes.
Jan konnte die Bedeutung nicht ermessen. Wer es geschrieben hatte, war naheliegend, doch wofür? Das Gekritzel war nicht einmal einem groben Entwurf angemessen, es wirkte eher, wie im Halbschlaf verfasst – oder unter Drogeneinfluss, warf eine kühle Stimme in seinem Kopf ein.
Was dachte er da? Drogen – nein. Warum denn auch?
Er legte das unverständliche Papier wieder auf den Tisch und ließ noch einen letzten, liebevollen Blick über das auf dunklem Papier verfasste Romanmanuskript schweifen. Er musste es um jeden Preis zu Ende lesen!
Sich noch einmal nach allen Seiten umsehend, wie unter Zwang, ergriff Jan die Papiere und setzte sich auf die Überreste eines grasgrünen Sofas, halb mit Büchern und Papieren vollgestellt, um sich dem Roman zu widmen. Kein Gedanke kam auf, der ihn an die Privatspähre eines Autor denken ließ, denn jeder Gedanke wurde von diesem Buch gefangen genommen. Niemals hatte er ein fesselnderes Werk gesehen.
Stunde um Stunde saß er im mauen Licht einer uralten Schreibtischlampe da, Seite um Seite, Kapitel um Kapitel. Plötzlich, wie ein Wanderer unversehens am Ende eines Waldes angelangt, erreichte er die letzte Seite. Die Handlung brach ab, und mit einem Mal stand da nichts mehr als eine kurze, stilistisch wie inhaltlich völlig unpassende Notiz:
Mein lieber Neffe,
ich wusste, dass Du dies lesen würdest, wenn Du Dich auf die Suche nach mir machen würdest, und Du wirst mir sicher auch dahingehend Recht geben, dass Du, seitdem Du diese Seiten in die Hände genommen hast, keinen anderen Gedanken mehr an etwas anderes verwandt hast. Lass Dir gesagt sein, dass es sich bei den bisherigen 167 Seiten um nichts weiter als eine grobe Skizze des wahren Charakters dieses operis mei handelt. Ob ich wirklich gehen musste? Frag mich selbst etwas Leichteres... es wird und wurde mir nahegelegt, und ich kann nicht umhin, denn es muss getan werden.
Echte Männer regeln solcherlei Dinge im persönlichen Gespräch, aber dazu ist es nun zu spät, und außerdem gehe ich dem Auge-in-Auge-Konflikt schon seit Langem aus dem Weg. Nochmals steige ich hinab in die Welt der Mitteilung, um meinen Stift dazu zu erheben, Dir diese Nachricht zu hinterlassen:
Von mir aus, behalte den Rest, mein Eigentum, mein Erbe, zwingt mein Über-Ich, mich zu sagen, damit ich meine Angelegenheiten hier geregelt weiß. Ich gehe auf eine lange Reise und kann nicht garantieren, dass ich jemals wieder zurückkehren werde. Niemals? Zumindest nicht in diesem Leben – doch sei versichert, dass es nur meinen abgehobenen Interessen dient. Nun muss ich gehen, denn er ruft mich -
In Liebe, Eile und neugewonnenem Respekt
dein entrückter Onkel
Aaron Leißenhoffer
P.S. Dem Rest der Horde kannst du übrigens sagen, dass sie mich sonst wo können...
Jan sah von dem unvollendeten Manuskript hoch. Eine Reise?
»Onkel?«, rief er laut und ungläubig in den Raum. Er stand auf und eilte in die anderen Räume, einer mit Papier überfüllter als der andere.
»Onkel? Was für eine Reise? Willst du weggehen?«, schrie er, mit wachsender Verzweiflung.
Niemand antwortete.
»Onkel!«
Jan ging in jedes Zimmer, fand aber niemanden, eilte also auch in die anderen Stockwerke, in den Keller, in die Bibliothek, nach draußen in den tief verschneiten Park.
Dort schließlich fand er eine Spur zweier Füße, die durch die Einfahrt zum verrosteten Zaun des Grundstücks auf die Straße gegangen war. Dort brach die Fährte ab und traf auf frische Reifenspuren.
Diese Spur war mehr als nur eindeutig.
Aaron Leißenhoffer war verschwunden, hatte seinen Neffen allein in dem Haus zurückgelassen und war, seinem Brief zufolge, auf Nimmerwiedersehen verschwunden.
Jan starrte allein der schier endlos scheinenden Straße nach, und der Schneefall setzte wieder ein.
* Die teilweise angezweifelte Autorenschaft Shakespears an allen, ihm zugeschriebenen Werken, unterschlägt A. Leißenhoffer an dieser Stelle.
**Die Anspielung auf Puschkins (Duell) und Gogols (Schizophrenie) Tod, offenbart Detailwissen des Sprechers, ist jedoch nicht wertend, und keinesfalls als Kritik zu sehen.
THE GHOSTWRITER - 2
*
Der Schaffner ließ seine Pfeife ertönen - Abfahrt.
Fast lautlos schien sich der moderne Hochgeschwindigkeitszug in Bewegung zu setzen. Natürlich konnte dieser Eindruck nur für diejenigen entstehen, die sich darin, nicht daneben befanden.
Zweifellos hatten diese Züge ihre Vorteile. Sie waren klimatisiert, die Innenräume verfügten über Stromanschlussbuchsen, und nicht zuletzt übertrafen sie alle anderen Verkehrsmittel, die sich auf dem Land fortbewegten, bei weitem an Schnelligkeit.
Was ihnen aber fehlte, war der von vergangenen Altern kündende Charme eines von einer lautstark pfeifenden Dampflokomotive gezogenen Zuges. Von solchen Altern kündeten diese Züge, die vergangenen waren und sich - ironischerweise - selbst einmal als Alter des Aufbruchs, des Fortschrittes betrachtet hatten. Nur Nostalgie hatte man heute für sie übrig.
Aaron Leißenhoffer war ein nostalgischer Mensch, oder besser gesagt, ein Mensch, der die Welt gern einmal aus einem nostalgischen Blickwinkel betrachtete. Er war gerade soweit nostalgisch wie es einer regen literarischen Aktivität förderlich war.
»Es ist«, so hatte er selbst einmal geschrieben, »nicht nur erforderlich, den künstlichen, den künstlerischen Panoramen vergangener Epochen - ob nun aus zeitgenössischer oder retrospektiver Position geschaffen - wie sie uns in den beispielsweise in den Werken Manns, Pasternaks oder Dostojewskis dargeboten werden, ein gewisses Verständnis abzuringen, die künstlerischen Illustrationen zwischen die nackten historischen Daten einzuweben, die vielleicht schon vorher bekannt waren. Diese Fähigkeit darf freilich weder vernachlässigt noch unterschätzt werden, aber es ist noch etwas anderes nötig, das mit dieser Fähigkeit gepaart auftreten sollte: Die Eigenschaft, die Epoche selbst durch das Panorama lieben zu lernen. Das ist wesentlich, um solche Werke wirklich zu verstehen.
Dafür ist eine gewisse angeborene Art von Nostalgie erforderlich.«
Solche Gedanken, besser gesagt, Erinnerungen an solche Gedanken waren es, die Aaron Leißenhoffers Geist füllten, während der Zug aus dem Bahnhof ausfuhr.
Er hatte sich einen Fensterplatz mit einem Tisch ausgewählt, wo er entweder die Landschaft betrachten oder eines seiner Schreibwerkzeuge benutzen konnte.
Je länger er über seinen Zug und die Züge im Allgmeinen nachdachte, desto mehr drängte sich eines seiner eigenen Manuskripte in den Vordergrund seines Bewusstseins, obwohl - oder gerade weil - es sich um ein älteres Werk handelte. Noch einmal blitzte die Nostalgie auf, als er daran dachte.
Im Auftakt dieses Werkes trat ebenfalls ein gerade aus dem Bahnhof ausfahrender Zug auf. Natürlich war es einer der von vergangenen Altern kündenden Dampfzüge.
Aaron Leißenhoffer musste ein wenig lächelnd, als er daran dachte.
Der Gedanke an die alte Erzählung wiederum brachte ihn in die Gegenwart zurück und erinnerte ihn daran, welche Aufgaben er sich für den heutigen Tag auferlegt hatte, ferner daran, aus welchem Grund er überhaupt seine Reise angetreten und den modernen Zug betreten hatte.
Die Landschaft, durch die der Zug dahinbrauste, war in hellweißem, frostigem Schnee erstarrt wie das ganze Land, für das dieser Zustand während der momentanen Jahreszeit nicht ungewöhnlich war.
Aaron musste an das einsame Anwesen und den zurückgelassenen Neffen denken. Er fragte sich, ob und wie sich dieser sein plötzliches Verschwinden erklärt hatte. Das allmählich entstehende Band, das sie zu verbinden begonnen hatte, war nun zerstört. Er selbst, Aaron, hatte es zerrissen und für die entstandene Wunde kaum mehr Abhilfe bereitzustellen gewusst als einen kurzen Brief und die praktisch unkorrigierte Fassung des Romans.
Unter diesem Namen dachte er davon: Es war nicht ein Roman, es war einfach der Roman.
Diese Gedanken ließen ihn endgültig dort ankommen, wohin seine kreisenden Überlegungen jedes Mal zielsicher zurückzukehren wussten: Zu dem Roman, zu seinem Werk - zu sich selbst, zu Aaron Leißenhoffer.
Er musste sich konzentrieren, das erschien ihm verpflichtend. Und er wusste, das sich diese Konzentration schon bald und ohne bestimmte Anstrengung einstellen würde. Ungeduldig wartete er darauf wie ein kleiner Junge auf den Eismann.
Als wolle man sein Schaffen noch zusätzlich fördern, kam in diesem Moment eine Dame mit einem Wägelchen vorbei, die Kaffee, Brötchen und ähnliche Dinge verkaufte. Gefrühstückt hatte Leißenhoffer zwar schon, doch seine Lust auf Kaffee, Tee und andere heiße Getränke verlosch niemals.
Er erwarb einen Pott Kaffee und begann nachdenklich, daran zu schlürfen, sobald die Wagendame verschwunden war.
Der Zug sollte Paris in einigen Stunden erreichen. Von dort aus würde es, ohne weitere Unterbrechungen, weitergehen in den Süden.
Warum wollte er in den Süden? Warum hatte er das Anwesen und seinen Neffen ohne Vorwarnung, geradezu heimlich verlassen? Warum? Warum hatte er fast sein ganzes Material, seine Bücher, seine Computer und alles andere, einfach von sich gestoßen, um sich davonzustehlen wie ein Dieb? Warum hatte er seine Einsamkeit aufgegeben, die er sich vor langer Zeit so hart erkämpft hatte?
Solange er sich, bevor er seine Einsamkeit aufsuchte, in der geschäftigen Welt aufgehalten hatte, in der jedermann nur nach kurzfristigem Ruhm und Profit strebte, hatte er sich stets in seinen Möglichkeiten eingeschränkt gefühlt. Er war der Meinung gewesen, dass die Menschen ihn ablenkten, dass es ihnen gelang, sich zwischen ihn und seine Kunst zu drängen. Diesen schädlichen und störenden Einflüssen hatte er sich immer zu entziehen versucht. Mit der Zeit waren seine Versuchen immer angestrengter und radikaler geworden, angefangen damit, während bestimmter Uhrzeiten keine Telefongespräche mehr zu führen, bis zur Flucht und volllkommenen Abschottung in dem Anwesen, während die Welt begann, ihn zu vergessen.
Jahrelang hatte er erfolgreich vor sich hin gelebt, war sehr produktiv gewesen und hatte mehr erreicht als in all den Jahren zuvor. Zumindest hatte er das lange geglaubt. Doch dann hatte er sich in das letzte Wagnis gestürzt, das größte, allumfassendste Werk, in dem er seine Fähigkeiten und seine Leidenschaft erschöpfen und all seinen Ehrgeiz geben wollte. Dieses höchste Ziel, kaum dass er einmal daran gedacht hatte, war zur Maxime all seines Handelns geworden. Er hatte erkannt, dass ihm kein Triumph mehr süß schmecken würde in dem Wissen, dass dieses letzte Ziel unerreicht war.
Seine wahre Bessesenheit hatte erst damit ihren Anfang genommen.
Er hatte sich in der darauffolgenden Zeit von fast allen Verpflichtungen befreit, die ihm noch geblieben waren. Er hatte alle Möglichkeiten, alle Hilfsmittel ausgeschöpft und dann begonnen, seine ganze Kraft auf das letzte Werk zu richten. Seine Einsamkeit wurde vollkommen davon ausgefüllt.
Schwierigkeiten hatte es natürlich gegeben. Wären keine aufgetreten, wäre Leißenhoffer eher misstrauisch geworden und hätte sich gefragt, ob er es sich selbst zu einfach machte. Jedes geschriebene Wort, jeden Satz, jeden Absatz und jeden Abschnitt betrachtete er mit dem Scharfblick des Kritikers, der selbst die kleinste Spitze zu schätzen weiß und den winzigsten Fehler, die unbedeutendste Unstimmigkeit nicht übersieht. Um wahren Erfolg zu haben, war ihm damals klar geworden, würde er der Prinzessin auf der Erbse ähnlich werden müssen, und das tat er auch.
Dann war aus dem Nichts sein Neffe aufgetaucht, als lebendes Zeugnis der Zeit, in der er zwar mit seinem Rückzug begonnen, sich aber noch nicht vollständig von der Welt abgeschottet hatte. Er hatte ihn an Dinge erinnert und abgelenkt. Seine Gedanken waren plötzlich in andere Bahnen gelenkt worden. Er hatte sich mit ihm unterhalten, war ins Reden gekommen. Einige Tage hatte er sich vorgemacht, dass der junge Mann nicht störte und er ihn bei seiner Arbeit ohne Schwierigkeiten ignorieren konnte.
Doch dann waren wieder die Anfälle gekommen, die schöpferischen Anfälle, die ihn nur nachts heimsuchten. Sein dunkles Genie, das ihn bei Nacht beehrte, mit dem er sich unterhalten konnte wie mit einem Menschen, nicht selten auch laut. Sie stellten sich häufiger ein, je länger der Junge da war. Das dunkle Genie war der Meinung, dass Aaron schneller vorankommen müsse. Es ließ ihm keine Ruhe, kam immer häufiger und blieb immer länger. Aaron wurde klar, dass er, wenn er diese Besuch verhindern wollte, diese ihn selbst zerstörenden Anfälle, besser und effektiver arbeiten musste, solange es Tag war. Es ging nicht um das Schreiben selbst, alles handwerkliche ging ihm mühelos von der Hand. Es ging um das Schaffen.
Die schöpferische Kraft, die Aaron in dieses Werk zu geben beabsichtigte, war enorm. Viele Künstler vergeudeten ihre in zu vielen kleinen, unbedeutenden Werken. Andere erschöpften sie an zu großen Versuchen, die sie nicht zu Ende bringen konnten. Er war der Meinung, dass dergleichen nicht damit zusammenhing, was oder wie viel man in der Summe schaffte, die sich über das ganze Leben ansammelte. Es hing viel mit Leidenschaft und mit dem zusammen, das er »Geschenke der Muse« nannte: Die unerklärlichen, plötzlich zu gewaltigen Ideen zusammenwachsenden Funken der Inspiration, ohne die man nicht ein Wort schreiben konnte. Er fühlte, dass er die ihm gemachten Geschenke nicht perfekt nutzte, dass er sie in falsche Bahnen lenkte, sich selbst Ablenkung gestattete. Darum die Anfälle, darum das Stocken des unendlichen Stroms, in dem die schöpferische Kraft zu ihm floss.
Nachts hatte er dagestanden, an seinem Fenster, und hatte zu sich gesagt:
»Meine Einsamkeit hat geendet, schon vor der Ankunft dieses Jungen. Die Welt sandte mir eine letzte Warnung. Ich nehme sie dankend!
Lange Zeit irrte ich in einem Tunnel, an dessen Ende kein Licht, nur Finsternis zu finden gewesen wäre. Die Einsamkeit ist nicht der Weg, auf dem man das letzte Wagnis beschreitet und auf Erfolg hoffen kann! Ich irrte! Nun will ich zurück! Ich will aus dem Gebirge in die Welt steigen und durch sie wandeln, die voller Leben ist! Der Strom droht abzureißen! Ich will mich ganz in der Quelle baden! Ich will wieder ganz Mensch sein! Ich will unter ihnen leben! Ich will in den Süden gehen und wieder in die Sonne sehen!«
Am Tag darauf hatte er das Anwesen verlassen.
**
Etwa dreißig Minuten, nachdem der Zug den Bahnhof verlassen hatte, kehrte Aaron in seiner Vorstellung an das Ende der letzten Szene zurück. Wie von selbst erstand der weitere Fortgang, den die Erzählung nehmen musste, vor seinem inneren Auge. Die bereitstehende Schreibmaschine wurde mit weißem, reinen Papier bespannt. Wie von selbst begannen die Worte auf das Papier zu fließen, direkt aus dem Strom der schöpferischen Kraft.
Es war dem Schreibenden sehr angenehm, das Fließen zu fühlen. Er spürte die Gedanken wachsen, zusammen-wachsen.
Allein die Vorüberlegungen, die er zu seinem Werk angestellt hatte, hätten ein eigenes Buch füllen können. Er versuchte, den Zeitgeist ebenso wie den ewigen Geist einzufangen, sie kunstvoll miteinander zu verweben und auszudrücken. Er flocht Witz und überraschenden Wendungen ein. Die Tragödien drückte er verschleiert und unterschwellig aus, auf eine Weise, die der ähnelte, in der sie auch in der realen Welt zu bemerken sind, wenn man nur seine Augen gebraucht.
Einige Stunden verbrachte er schreibend.
Erst die Einfahrt in eine der nur zwei Städte, in denen der Zug hielt, das überraschende Abbremsen und die plötzlich hereinströmenden Menschen brachten ihn wieder in die Gegenwart zurück.
Etwas verwirrt sah er sich für einige Momente um, versuchte aber stur, sich erneut zur Konzentration zu zwingen.
Dann setzte sich die Frau ihm gegenüber auf den Sitz.
Obwohl er sich in den letzten Jahren nie von seinem Grund und Boden fortbewegt hatte, besaß Aaron Leißenhoffer doch eine nicht geringe Erfahrung, was Zugfahrten anbetraf. Natürlich hatten sich einige Details verändert - beispielsweise kaufte man die Fahrkarten nicht mehr am Schalter, sondern an Automaten, und sie hießen auch nicht mehr Fahrkarten oder Billets, sondern Tickets - doch im Großen und Ganzen war ein Zug immer noch ein Zug.
Ein kurzer innerer Impuls hatte ihm anfangs geraten, unbekümmet, die andere überhaupt nicht beachtend weiterzuarbeiten und vor allem den Tisch nicht freizuräumen, doch er wusste aus Erfahrung, dass ihm das innerhalb weniger Minuten so peinlich geworden wäre, dass er seine Tätigkeit unterbrochen, der Frau entschuldigend zugelächelt und seine Schreibmaschine, den Kafffee und das Papier beiseitegeschoben hätte, sodass ihr genug Platz zur Verfügung stand, um ihrerseits mit dem Tisch anzustellen, was ihr beliebte.
Indes kam er nicht umhin zu bemerken, dass er einer ziemlich jungen, schlanken, unabhängig wirkenden Frau in einem roten Mantel und mit einer breitrandigen Brille gegenübersaß, wie sie wohl wieder einmal »modern« waren.
Sie erwiderte sein, so vermutete er, etwas entschuldigendes Lächeln, und stellte ihre Tasche neben sich auf den leeren Sitz.
Aaron sammelte seine Papiere ein und betrachtete sie.
Sie hatte hellblondes Haar, helle Haut und blaue Augen, die wachsam und intelligent aussahen. Sie war ganz der nordische Typus, hochgewachsen und feingliedrig, wie es das Idealbild behauptet.
Aaron Leißenhoffers Menschenkentniss schaltete sich plötzlich ein. Sie vermutete, dass es sich bei der Frau um eine Fotografin oder auch Journalistin handeln könnte. Vielleicht war sie in der Werbung tätig, auch als Mitarbeiterin einer gemeinnützigen Stiftung konnte er sie sie sich vorstellen. Journalismus erschien ihm am wahrscheinlichsten.
Sie hatte diesen intelligenten, aber leicht überheblichen Blick, der alle »Trivialschreiber« auszeichnete, wie er sie manchmal in Gedanken nannte.
Auch er hatte in seiner Vergangenheit an Zeitungen mitgewirkt, aber was er damals zu sagen gehabt hatte, war immer sein eigenes Gedankengut gewesen. Als Schreiber war er ein Schaffender, im Gegensatz zu vielen, denen er im Rahmen seiner früheren Tätigkeiten begegnet war. Es mochte sicherlich Ausnahmen geben. Doch Journalisten, die nur darüber berichteten, was andere gesagt, getan oder gedacht hatten, verband er immer mit der Vorstellung eines kleinlichen, sensationsgeilen, blutleeren Schreiberlings, dessen Texte bestenfalls unterhaltsam zu lesen waren. Da machte es für ihn auch keinen Unterschied, ob er blond und blauäugig daherkam oder nicht.
Gedankenverloren rückte er die leere Kaffeetasse eine Winzigkeit nach rechts und wusste plötzlich nicht mehr, wohin mit seinen Händen und Blicken.
Schließlich entschied er sich, seine Pfeife zu stopfen und zu rauchen.
Während er noch, mit aus jahrelanger Routine geborenem Geschick, mit dem Tabakbeutel und der Pfeife herumhantierte, sagte sie nichts. Doch als er mit zerstreutem Blick seine Streichhölzer hervorholte, beugte sie sich nach vorne.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie mit der distanzierten Höflichkeit des nordeuropäischen Menschen, »aber hier gilt Rauchverbot.«
Erst sah er sie erstaunt an, als verstünde er nicht, was sie gesagt hatte. Dann folgte sein Blick ihrem ausgestreckten Zeigefinger, der auf ein Schild wies, dass eine durchgestrichene Zigarette zeigte.
»NO SMOKING!«, sagte das Schild drohend.
»Oh«, antwortete Aaron, der sich nun gefasst hatte, »das habe ich ganz übersehen. Danke.«
Sie nickte, aber ihr Blick verriet leichte Zweifel.
»Kein Problem.«
Aaron verstaute Pfeife und Tabakbeutel wieder in seiner Anzugsjacke.
»Sind Sie geschäftlich unterwegs?«, fragte sie ihn in unverbindlichem Tonfall.
Er überlegte. Einerseits verrichtete er seine Geschäfte, während er unterwegs war, - geschäftlich unterwegs also - andererseits könnte es auch falsche Vorstellungen über ihn wecken, wenn er einfach bejahte.
»Sozusagen, ja.«, erwiderte er.
Umgangssprachliche, verwaschene Phrasen! Herrlich!
»Und was führt Sie hierher?«, drehte er den Spieß um.
»Ich arbeite für die Schild-Zeitung.«
Aha - Volltreffer.
Sie verzog die zartrosa geschminkten Lippen zu einem Lächeln.
»Was ist?«, fragte Aaron.
»Ach nichts! Ich hatte nur eben den Eindruck, dass da etwas in Ihren Augen war, etwas wie: ›Aha, wusste ich es doch!‹ Verstehen Sie? So ein Blinken.«
»Mhm.«
Ihr Lächeln wurde etwas breiter.
»Ich habe Recht!«
Aaron zuckte die Achseln.
»Möglich...«
»Kommen Sie - woher wussten Sie es? Sind Sie hellseherisch begabt? Ach, für mich einen Kaffee Latte. Nicht zu wenig Milch, bitte.«
Soeben war die Dame mit dem Wägelchen erneut bei dem Tisch angekommen, an dem sich die beiden gegenübersaßen.
»Für mich auch.«, sagte Aaron und legte sofort das Geld auf den Tisch. »Entschuldigen Sie mich für einen winzigen Moment«, fügte er hinzu, an beide Frauen gewandt, und verschwand auf die Toilette.
Auf dem unglücklicherweise eher kurzen Weg dachte er über seine Situation nach.
Seine Arbeit hatte sie unterbrochen. Daran war für die restlichen Stunden der Fahrt kaum zu denken. Vielleicht konnte er das Gespräch irgendwie abblocken und dafür in Ruhe seinen Gedanken nachhängen, schließlich brauchte er keine Schreibmaschine, um seine Geschichte weiterzuspinnen. Aber das waren alte Gedanken - Gedanken der Einsamkeit.
Er hatte seine Einsamkeit nicht ohne Grund verlassen. Ganz und gar Mensch hatte er wieder sein wollen, keine entfernte, geisterhafte Eminenz, die die Welt nur virtuell, wie durch ein Fenster betrachtet. Zur Quelle des unendlichen Stroms hatte er zurückkehren wollen - nun war es Zeit dafür!
Also kehrte er zu seinem Tisch zurück.
Die Frau war immer noch da und saugte an dem schwarzen Trinkhalm, der in ihrem Glas steckte.
Aaron ließ sich wieder an seinem alten Platz nieder. Eine Sekunde lang sah er sie an. Sie erwiderte seinen Blick. Er wollte sie auf die Folter spannen, sie zweifeln lassen, ob er sich noch erinnerte.
»Sie haben vorhin gefragt, woran ich es erkannt habe.«, löste er die Spannung.
Erkennen blitzte in ihren Augen auf.
»Und?«
Er legte eine kurze Pause ein.
»Schon als Sie sich hier niedergelassen haben, wusste ich es. Ich sah sie, Ihren Mantel, Ihre Brille, Ihre Tasche, in der sie vermutlich einen Laptop befördern, und dachte mir: ›Diese Augen, diese wachsame Art - was hat das zu bedeuten?‹ «
Um seine Erzählung zu untermalen, strich er sich großgestig über den Bart. Lauter Erinnerungen erwachten in ihm, Erinnerungen an Talente, die lange brachgelegen hatten. Die Kunst der erzählerischen Unterhaltung, der Unterhaltung selbst: Die Kunst, die Menschen nur durch Worte zu fesseln. Er hatte diese schon lange nicht mehr angewandt, und nun, da er es doch tat, freute er sich sehr daran.
»Was ich dann dachte? ›Eine Schreiberin, eine Schreiberin, natürlich! Bloß - was für eine?‹ Weiter dachte ich: ›Die Kleidung, das Moderne um sie her, das Eigendständige, Unabhängige, das vollkommen Westliche! Sie arbeitet wirklich, ganz ehrlich, keine Künstlerin, sie muss handfesten Erfolge vorzuweisen haben! Sie kann nur eine Journalistin sein!‹ «
Während des ersten Teils seiner kurzen Erzählung hatte sich ein immer breiter werdendes, interessiertes Lächeln auf das Gesicht seiner Zuhörerin geschlichen, offenbar erzielten seine Künste noch immer die gleichen Erfolge wie früher. Doch mit den letzten Sätzen hatte er sich ein wenig zu weit aus dem Fenster gelehnt, sie verwirrt.
Trotzdem, als sie erkannte, dass er fertig war, lächelte sie scheu.
»Sind Sie ein großer Menschenkenner?«, fragte sie, und ihr Blick bekam Ähnlichkeit mit dem eines Kindes, das jemanden, der älter ist, um irgendetwas bittet.
»Wenn Sie nur wollen«, dachte Aaron und musste ein wenig lächeln, »sind auch Frauen dieser Sorte in der Lage, ihre unabhängige, selbstständige Art aufzugeben - aber nur, wenn sie sich interessant machen wollen!«
Er sah sie lächelnd an, strich erneut über seinen inzwischen vier Tage alten Bart und zuckte ganz leicht die Achseln.
»Ohne mich selbst aufzuplustern«, sagte er dann, »ich bin in der Tat einer.«
»Und was treibt ein Menschenkenner wie Sie heutzutage?«, fragte sie weiter.
»Er reist in den Süden. Mit dem Zug, um die Leute an seiner Größe teilnehmen zu lassen.«, antwortete er schalkhaft.
»Ach was?«
»Natürlich!«
»Und was tut man als Menschenkenner speziell in - Paris?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht fährt man weiter. Mit dem Schiff über das mare nostrum, nach Griechenland zum Beispiel.«
»Hm. In welche Hafenstadt wollen Sie?«
»Ich weiß noch nicht. «
»Und wohin in Griechenland wollen Sie?«
»Ich weiß noch nicht.«
»Warum sind Sie dann in diesen Zug eingestiegen, wenn sie nicht einmal wissen, wohin Sie eigentlich wollen? Machen Sie ein Urlaub a la ›Der Weg ist das Ziel?‹ «
»Ich bin nicht im Urlaub.«
Sie lächelte wieder und betrachtete ihn eindringlich wie ein exotisches, aber ziemlich lustiges Tier.
»Mögen Sie es, ein Geheimnis um sich zu machen?«
»Ist nicht jeder Mensch ein Geheimnis?«
Darüber musste sie kurz lachen.
»Sie sind... gewitzt.«
»So kann man das sagen.«
»Haha!«
Aaron schlürfte an seinem Kaffee.
»Was werden Sie als erstes tun, wenn wir in Paris sind?«, fragte sie. »Vielleicht die Sehenswürdigkeiten besichtigen?«
»Können Sie mir einen schönen Strand empfehlen?«
»Einen schönen Strand?«
»Ich scherze.«
»Das merke ich!«
»Das ist gut. Wer weiß, vielleicht spaziere ich durch einen Park oder erforsche das Nachtleben der Stadt. Ich fürchte nur, ich kenne mich überhaupt nicht aus in Paris!«
»Wenn Sie wollen, könnte ich Ihnen gerne den einen oder anderen Park zeigen...«
»Warum nicht?«
»Wollen Sie?«
»Wenn ich ein Hotel habe, werde ich über solche Vergnügungen nachdenken.«
»Das wird sich schon machen lassen. Geben Sie mir einfach Ihre Handynummer.«
»Ich besitzte kein Handy.«
»Was? Oh... Na, dann gebe ich Ihnen meine. Warum um Himmels Willen haben Sie kein Handy?«
»Ich bin in den letzten Jahren sehr gut ohne eines zurechtgekommen.«, antwortete er und dachte daran, wie er vor einer gefühlten Ewigkeit mit einem kleinen Koffer, einem der ersten Mobiltelefone, in dem Wagen eines Freundes gesessen hatte, dem das Gerät gehörte. Aaron hatte schon mit Handys telefoniert, als die Kleine, die ihm gegenübersaß, noch nicht einmal geboren war!
»Das sagen alle, bis sie ihres ein halbes Jahr gehabt haben. Dann fragen sie sich, wie sie davor überlebt haben.«
»Schon möglich. Vielleicht kaufe ich mir eines.«
»Sie würden es sicher bald zu schätzen lernen.«
»Das ist möglich.«
Sie hatte wohl bemerkt, dass es keine gute Idee war, das Thema weiter zu vertiefen.
Ihr Blick fiel auf seine Schreibmaschine.
»Was schreiben Sie?«, fragte sie.
Unwillkürlich kniff er seine Augen zusammen, als die Sprache darauf kam.
»Ein Buch.«, erwiderte er.
Sie zog beide Augenbrauen hoch und sah ihn aus großen Augen an, wobei ihr Make-up hervorragend zur Geltung kam.
»Das war aber mehr als ausweichend!«
Er zuckte mit den Schultern.
»Was schreiben Sie denn so?«, fragte er.
Zwei Emotionen huschten über ihr Gesicht: Überraschung und Belustigung. Dann nahm es den Ausdruck der Gleichgültigkeit an.
»Ich arbeite für die Schild-Zeitung, wie ich bereits erwähnt habe. Momentan bin ich an einem Artikel. Über einen Prominenten.«
»Sind sie selbst Fotografin?«
»Nein«, sagte sie stolz, »ich schreibe.«
»Sind zufällig Fotos im Spiel, die Ihnen irgendjemand verkaufen will?«
»Was? Wieso? Nein!« Sie fühlte sich ertappt. »Wie haben Sie das schon wieder erraten?«
Er lächelte und strich sich erneut über den Bart.
»Warum sollten Sie sonst persönlich durch die Welt reisen, wenn nicht, um irgendjemanden zu treffen oder irgendetwas zu bekommen, das es nicht überall gibt? Informationen über Prominente lassen sich aus dem Internet holen, exklusive Fotos nicht. Vermute ich.«
»Sie beschreiben meine Arbeit als sei sie schrecklich einfach und unkompliziert!«
Er zuckte leicht die Schultern.
»Jetzt habe ich Ihnen Rede und Antwort gestanden. Sie schulden mir das gleiche! Was schreiben Sie?«
Sie war weit davon entfernt, gereizt zu klingen, aber Aaron bemerkte doch, das es ein wenig an ihrer erfolgsverwöhnten Seele kratzte, dass er sich ihren Fragen entwunden hatte.
»Wie gesagt, ich schreibe ein Buch. Einen Roman.«
»Worum geht es?«
»Um Menschen. Wenn Sie wollen, können Sie gern...?«
Er kramte in seiner Tasche und holte den Ordner hervor, in dem er die neueste und korrekteste Fassung aufbewahrte. Er legte sie auf den Tisch.
»Ach - wenn Sie erlauben, würde ich nochmals für einige Augenblicke verschwinden. Ich will sehen, ob ich wieder Kaffee organisieren kann.«
»Schon wieder? Zu viel Kaffee tut ihrem Kreislauf nicht gut.«
»Zu wenig auch. Einen Moment...«, bat er augenzwinkernd.
Dann war er verschwunden, in die Richtung, in die zuvor die Dame mit dem Wägelchen gegangen war.
Natürlich hatte er es in der Absicht getan, dass sie sich ungestört fühlen und der Lektüre des Buches hingeben konnte. Doch als er etwa zwanzig Minuten später - er hatte sich extra viel Zeit gelassen, war immer wieder stehen geblieben, um die Landschaft aus verschiedenen Fenstern zu betrachten - fand er sich einer Frau gegenüber, die Kopfhörer in den Ohren hatte und vor der ein Laptop auf dem Tisch stand. Sie telefonierte, wobei sie sich beider Hilfsmittel bediente. Sie sprach bemüht leise und vollführte Gesten in Aarons Richtung, die so etwas wie »Sofort!« oder »Eine Sekunde!« bedeuten mochten.
Er zuckte die Achseln und widmete sich wieder dem eigenen Schreiben, das er so leichtfertig für unmöglich gehalten hatte. Seine Gedanken waren wieder gesammelt, er hatte etwas nachgedacht, während er durch den Zug gewandert war.
Sein Gegenüber kam nicht zum Ende, redete ununterbrochen und klickte an ihrem Gerät herum.
Immer wieder blickten sich die Leute nach Aaron um, dessen Schreibmaschine ihr charakteristisches, mechanisches Rattern von sich gab, während er sie bearbeitete.
Als aller Schnee einer frühlingshaft in Blüte stehenden, warmen Landschaft wich, die Frau fertig telefoniert hatte und die Kopfhörer herausnahm, war der vom Schaffen ermüdete Ghostwriter in leichten Schlaf versunken.
***
»Wie lange wollen Sie sich in Paris aufhalten?«, fragte ihn die Frau, als er nach einer Weile wieder erwachte.
»Vielleicht einige Tage.«, gab er zur Antwort.
»Ich weiß nicht, ob Sie das mit mitbekommen haben: Aber es hat sich ergeben, dass ich nicht in Paris aussteigen kann. Stattdessen muss ich weiterfahren, in den Süden. Nach Nizza, um genau zu sein.«
Er nickte nur.
»Allerdings werde ich schon morgen zurückkehren. Das heißt, wenn Sie bis dahin in Paris bleiben...?«
»Ich verstehe. Vielleicht sehen wir uns ja wieder.«
»Ja, warum nicht? Hier ist jedenfalls eine Nummer, unter der Sie mich erreichen.«
Sie schob ihm einen kleinen Zettel zu, auf den sie mit Kugelschreiber einige Zahlen und den Namen Katharina L. geschrieben hatte. Aaron wunderte sich, dass eine Frau wie sie nicht mit ihren Visitenkarten um sich warf.
»Sie heißen Katherina?«, fragte er.
»Ja. Und Sie?«
»Nennen Sie mich Aaron.«
»Okay!«
Ihr kühles nordisches Gesicht gewann etwas Farbe. Sie senkte den Blick und schien etwas in ihrer Handtasche zu suchen.
Dann kehrte wieder Schweigen ein. Katherina wurde von ihrem Laptop und einem flachen Gerät in Anspruch genommen, das sie über Berührung mit den Fingerspitzen steuerte. Aaron hatte schon von dieser Technik gehört.
Er sah aus dem Fenster, schlürfte seinen Kaffee, ließ seine Gedanken kreisen.
Sie sah in ihre Geräte, sog an ihrem Trinkhalm.
Er laß ein wenig.
Sie telefonierte noch einmal, diesmal schien es sich um ein privates Gespräch zu handeln.
Irgendwann verkündete eine Stimme in mehreren Sprachen, dass man bald in Paris einfahren würde, der zweiten Haltestation. Der Zug würde anschließend weiterfahren und in Nizza enden.
Aaron begann, seine Schreibmaschine in dem kleinen Koffer zu verstauen, den er nur dazu mitführte. Er besaß zwar mehrere Computer und es wäre leicht gewesen, einen Laptop oder etwas ähnliches zu kaufen. Doch es hatte etwas Romantisches, mit nichts als dem Nötigsten und einem altmodischem »Typewriter« durch die Welt zu reisen.
Er nahm den Koffer, in dem die Schreibmaschine und seine wertvollsten Dokumente mehr Platz einnahmen als der zweite Anzug, das bisschen Unterwäsche und ein paar Hemden. Zusätzlich hatte er noch seine Umhängetasche, in der sich weitere Schreibwerkzeuge befanden.
»Also – wir trennen uns an dieser Stelle?«, fragte Katherine.
»Es scheint so.«
»Sie werden mich anrufen?«
Er nickte.
»Ich habe den Zettel. Wir werden sehen, dass wir und hier in Paris wiedertreffen.«
Sagte man nicht, Paris sei die Stadt der Liebenden?
»Das werden wir. Wie gesagt, schon morgen könnte ich wieder in der Stadt sein.«
»Vielleicht habe ich bis dahin ein Hotel gefunden.«, sagte er lachend.
»Hoffentlich!«
Der Zug kam zum Stehen.
»Also«, sagte er, was hätte er anderes sagen können, »auf bald.«
»Auf jeden Fall«, erwiderte sie, stand auf.
Nach französischer Art tauschten sie zum Abschied Küsschen aus. Dann nahm er seinen Koffer, seine Tasche und verließ den Zug.
Sie blieb zurück und setzte sich wieder. Der Laptopbildschirm hatte sich abgeschaltet. Katherina verdrehte sich ein wenig, um noch einen Blick auf den interessanten, etwas seltsamen Mann namens Aaron zu erhaschen. Sie sah, wie er am Bahnsteig stand die bereits gestopfte Pfeife entzündete und Rauchschwaden herauspaffte. Sie stand nun auf, um ihn noch ein letztes Mal zu sehen. Dabei fiel ihr Blick auf die Bank, auf der er zuvor gesessen hatte.
Indes schlossen sich die Zugtüren.
Da lag etwas, ein Stück Papier, sie sah es genau. Der Zettel mit ihrer Handynummer war zurückgeblieben. Schnell drehte sie sich noch einmal um, doch der Mann war bereits verschwunden wie ein Gespenst, der Zug fuhr aus!
Nur Rauch war geblieben.
****
Die italienische Sonne brannte so warm wie es dem aus dem hohen Norden kommenden Reisenden immer scheint, obwohl es noch ziemlich früh im Jahr war.
Für Aaron, der aus dem halbvereisten Nordeuropa kam, fühlte sich das ganze Land an wie die riesige Sauna, nach der er sich in seinem Haus immer gesehnt hatte. Er hatte sich eine Sonnenbrille gekauft, eine dieser verspiegelten Pilotenbrillen. Den Mantel und seine altmodische Anzugsjacke hatte er, kaum aus dem klimatisierten Zug ausgestiegen, ausgezogen und in seinem Koffer verstaut. Er hatte nicht die Absicht, sie allzu bald wieder hervor zu holen. Dann hatte er sich auf die Suche nach einer Unterkunft gemacht und bald eine gefunden, in der er sich ein Zimmer gemietet hatte. Venedig im Meer war immer noch so unübersichtlich wie letztes Mal.
Auch wenn er sie weder sprach noch verstand, liebte Aaron die italienische Sprache, vor allem, wenn sie von in irgendeiner Weise erregten Frauen benutzt wurde. Es ging ihm um den Klang.
Auf dem Weg durch die Stadt hatte er einer Herrenboutique einen Besuch abgestattet und sich kurze, weiße Hosen aus dem leichtestem Stoff gekauft, den er hatte finden können, und ein paar farbige Polohemden. In einem der Touristenshops hatte er außerdem Sonnencreme, seine Sonnenbrille und ähnliche praktische Dinge erworben.
Im Hotel angekommen, legte er seine neue Kleidung an. Als nordeuropäischer Herr war er in dem Zimmer verschwunden, als Signor Leißenhoffer kam er wieder herunter. Natürlich nicht. Es braucht schließlich mehr als Kleidung, um einen Menschen zu verwandeln. Aber er fühlte sich deutlich heimischer.
Dann spazierte er ein wenig durch die Stadt, betrachtete die berühmten Kanäle, wurde von echtem und gefälschtem venezianischem Glas fast erdrückt und trank italienischen Espresso.
Als es auf den Abend zuging, kehrte er in sein Hotel zurück, packte seine Sachen und entledigte sich seines Schlüssels, wobei er die Rechnung für seinen kurzen Aufenthalt beglich.
Ohne all zu große Eile spazierte er anschließend in Richtung des Hafens. Dort traf er die Signora, mit der ihn das Reisebüro schon am Telefon verbunden hatte. Sie sprach gutes Englisch, solides Deutsch und händigte ihm seine Bordkarte aus, die er über das Reisebüro gebucht, das er aus einer Pariser Telefonzelle erreicht hatte.
Nachdem er seine Bordkarte erhalten hatte, passierte er die üblichen Kontrollen und betrat um 17:34, eine knappe halbe Stunde vor Abfahrt, die Fähre, die ihn nach Griechenland bringen sollte.
*****
Schiffe und Häfen verströmen, heute wie früher, einen gewissen Flair.
Auch in Zeiten gewaltiger, dieselbetriebener, meistens viel zu bunter und trotzdem rostiger Hightech-Schiffe, riesenhafter Kräne und zirkushaft farbenfroher Ansammlungen von Containern ist noch ein Rest dessen lebendig, das man die »Fernhafen-Legende« nennen könnte: Es liegt ein Versprechen von Geschäft und Geschäftigkeit, von Moderne, von Austausch und Fortschritt in der Luft, gewürzt mit einem feinen Kraut, das nach Herausforderung und Abenteuer duftet.
Aaron Leißenhoffer atmete diesen Duft tief ein und aus, während er sich über die Reling beugte und es genoss, dass der Seewind seine Haare durchstrich.
Das Schiff lief aus, Venedig zog an ihnen vorbei.
Aaron kannte die Namen der Gebäude nicht, höchstens in Epochen konnte er sie einordnen, aber jedes einzelne verströmte Bedeutsamkeit wie ein Adeliger, der im vollen Staate über einen Marktplatz flaniert – selbst, wenn man ihm ansieht, dass er alt ist.
Das Alter hatte auch die Bauwerke grau werden lassen, auch wenn die Stadt natürlich nicht gestattete, dass die Farbe wirklich verblich und abblätterte. Jahrhunderte versuchten, sie niederzudrücken, und doch wirkten sie so aufrecht und stark wie am ersten Tag, als sähen sie ihrem unvermeidlichem Untergang mit der stolzen Ruhe eines Lord Nelson entgegen, der einem für seine Unbesiegbarkeit berühmten Feind entgegentritt.
Nach kurzer Zeit zog sich Aaron von der Reling zurück.
In der allmählich einsetzenden Dämmerung waren überall in der Stadt die elektrischen Lichter angesprungen, das verdarb den gewaltigen Eindruck.
Er begab sich in das an Deck befindliche, zwar einigermaßen windgeschützte, aber offene Kaffee, bestellte griechischen Kaffee und steckte sich seine Pfeife an.
Während er rauchte und Kaffee schlürfte, betrachtete er die Menschen.
Er war heute nicht schlecht vorangekommen. Es gab zwar mehr Ablenkungen als in seiner Einsamkeit, aber es gab auch mehr Leben, und Literatur ohne Leben war wie ein Kaffee, den man ohne Kaffeebohnen zubereitet hatte: Nicht besonders wünschenswert, nicht besonders nützlich.
Morgen würde er sich Zeit nehmen und alles niederschreiben, das sich in seinem Kopf zusammengeballt hatte. Das würde so schnell gehen wie immer, wenn er wusste, was er schreiben wollte.
Jetzt aber ließ er seine Gedanken nicht um den Roman, nicht um Handlungsstränge und Charaktere kreisen. Jetzt betrachtete er die Menschen, lauschte ihnen, so gut es ging, und wurde dadurch ihres Lebens teilhaftig.
Während der Zeit der Einsamkeit hätte er seinen Sinnen nie gestattet, irgendwelchen Eindrücken nachzuhängen, seinem Verstand nicht, irgendwelche Gedanken zu fabrizieren, die weder Zusammenhang noch Ziel besaßen. Er hätte sie entschieden zurechtgewiesen und diszipliniert. Damals hatte er die schöpferische Kraft mühevoll erwerben müssen wie ein Bergmann das Erz aus der Tiefe schürft: Indem er sie der der Welt blutend und schwitzend entreißt. Doch jetzt floss sie ihm zu wie dem Kalb seine Milch, wie dem Koala sein Eukalyptus in den Mund wächst, beinahe mühelos und im Überfluss.
Wozu brauchte er Stahl aus den Tiefen der Erde, wenn er so im Überfluss von der Erde gesäugt wurde?
Diese Gedanken eingedenkend, beschloss er, die Pfeife zu Ende zu rauchen und sich dann auf die Suche nach köstlichen Alkohol zu begeben. Echter, italienischen Wein zum Beispiel.
Warum denn auch nicht?
******
Nachdem Aaron am nächsten Morgen durch die mehrsprachigen Durchsagen geweckt worden war, die darüber informierten, welches Restaurant, welches Bistro und welche Kantine ab und bis wann geöffnet waren, stand er gemächlich auf. Er kleidete sich in eine seiner Kombinationen aus Italien, verließ die Kabine und verschloss sie sorgfältig.
Er öffnete eine der Türen, die an Deck führten, und wurde von dem hellen Licht der vom unbewölkten Himmel brennenden Sonne geblendet. Er kniff er die Augen zusammen und setzte schnell die Pilotenbrille auf.
Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er sein Spiegelbild so ausgerüstet in einem der ungeputzten Fenster erblickte.
Kurz darauf saß er mit einem Becher Frappé, einem Gebäckstück, dessen Namen er nicht kannte, und einer köstlichen Pfeife an einem der kleinen Tische. Er hatte seinen kleinen Koffer und die Schreibmaschine dabei, aß und trank.
Dann begann er, seine Geschichte niederzuschreiben.
Er wusste nicht, ob er sich das nur einbildete, doch er bekam, je länger er schrieb, den Eindruck, dass sich sein Stil wandelte. Natürlich nicht auf grobe, auffällige Weise, auch formale Angewohnheiten oder der sprachliche Rhythmus ändernten sich nicht.
Es war mehr etwas unterschwelliges. Vielleicht verschob sich seine Lexik. Vielleicht machte er es sich und dem Leser manchmal einfacher, indem er von allzu komplexen Satzkonstrukten absah, und nahm dafür in Kauf, dass er den einen oder anderen Gedanken nicht völlig akkurat wiedergab, was er früher eher nicht getan hatte.
Vielleicht hatte er mit dem Geist der Fernhafen-Legende auch etwas südliches, mediterranes, entspanntes eingeatmet, das durch seine Fingerspitzen auf das Papier floss. Vermutlich enthielt die schöpferische Milch, die ihm endlos zufloss, diesen Zusatz ebenfalls.
Anstatt diesen ungewohnten Einfluss beherrschen zu wollen, wie er es sicher versucht hätte, wäre ihm so etwas in der Ruhe seines Anwesens begegnet, betrachtete er ihn zwar - mit der gleichen Ruhe, mit der er die Menschen beobachtete - ließ ihn aber gewähren.
Während er dasaß und schrieb, die lange Pfeife im Mund behielt und ab und zu an dem Frappé sog, entstand neben ihn ein Gespräch, dem er zwar keine absichtliche Aufmerksamkeit schenkte, das derselben aber auch nicht ganz entging.
»Wo sind deine Füße?«, fragte eine männliche Stimme.
Sie gehörte zu einem fast kahlköpfigem, etwa fünfzigjährigem Mann in weißem Hemd, mit neumodischer, teuer aussehenden Sonnenbrille und Markenshorts. Er wirkte kräftig, nur ein leichter Bauch wölbte sich unter dem hellen Polohemd. Wahrscheinlich gehörte er zu jenen Männern, die einen neuen, höchst gesundheitsbewussten Lebenswandel in ihrer zweiten Daseinshälfte begonnen hatten, um vor sich und anderen begründen zu können, noch einmal Vater zu werden - selbstverständlich mit einer deutlich jüngeren Frau. Sein ganzes Äußeres wirkte sehr gepflegt, fast geschniegelt, und er hatte eine peinlich genau formulierende, kräftige, aber etwas gemein klingende Stimme, die gewohnt schien, zornig herumzuschreien. Wahrscheinlich war er selbstständig, ein Unternehmer - irgendetwas mit viel Geld und jeder Menge Untergeber.
Drei jüngere Personen begleiteten ihn, ein etwa siebzehnjähriger, unerhört kräftig aussehender junger Mann und zwei Jungen, vielleicht fünf und acht Jahre alt, beide im gleichen, hellblauen Hemd und den gleichen grauen Shorts. Ihre gleichfarbigen Haare waren in gleicher Weise radikal abrasiert.
Soeben begann ein Besatzungsmitglied, mit einem Schlauch Meerwasser in den Pool zu lassen.
Aaron, der am Rand des Kaffees saß, in unmittelbarer Nähe zu dem Pool, konnte nur zu gut hören wie die kleine Familie miteinander umging.
»Wo sind deine Füße?«, wiederholte die harte Stimme des Mannes.
Das jüngere Kind hatte sich auf der etwa dreißig Zentimeter hohen Erhebung niedergelassen, die den Pool umrundete, wahrscheinlich als Schutz gegen überlaufendes Wasser. Wie man es sich denken konnte, hatte er die Füße in Richtung des einlaufenden Pools auf den Boden gestellt, in die Richtung, in die er blickte.
Der Vater blickte zwar in die gleiche Richtung, hatte die Füße jedoch auf der anderen Seite auf den Boden gestellt und verdrehte seinen Oberkörper unter sichtlichen Mühen zum Pool.
»Stell deine Füße so hin wie ich!«, befahl der Vater.
Er fürchtete offenbar, dass das Kind in den Pool fallen könnte.
Für Aaron stand ganz und gar außer Debatte, dass es im Bezug auf die Sicherheit nicht den geringsten Unterschied machte, ob der Junge die Füße so oder anders hatte, der Pool war immerhin drei Meter entfernt.
Der junge Mann und der ältere Junge erschienen. Beide setzten sich, während der Vater immer eindringlicher auf den Jungen einredete und schließlich seine Beine packte und auf die andere Seite zwang. Natürlich saßen sie in der gleichen Weise wie der Jüngste, mit den Beinen zum Pool.
»Maro - was soll das? Tu sofort deine Füße da weg, so wie ich! Rolf! Was denkst du dir, so ein schlechtes Vorbild zu sein? Willst du mich etwa reizen?«
Der junge Mann hatte die Zeichen der Zeit verstanden und reagierte augenblicklich.
Der mittlere Junge dagegen begehrte auf.
»Warum?«, fragte er mit seiner hohen Stimme.
Sofort tobte der Vater und sprang auf, den Jungen ergreifend und seine Beine auf die andere Seite befördernd, mit einer Hektik, die vermuten ließ, dass er ihm gerade das Leben rettete.
»Warum kannst du nicht hören?«, fuhr der Vater ihn an.
Der Junge sank in sich zusammen, das verschlossene Gesicht halb mit den Händen verbergend.
Noch eine Weile tobte der Kampf zwischen dem Vater und seinen Söhnen.
Aaron hörte nicht mehr alles, was gesprochen wurde, er versank in seinem Schaffen.
Dann wurde der Vater wieder so laut, dass der Schreibende aufsah.
Offenbar hatte man sich darauf geeinigt, ein Bein auf die eine und das andere Bein auf die andere Seite zu stellen, als wie auf einem Pferd auf der Bank zu sitzen. Für einen winzigen Moment erstand in Aaron die Vorstellung, sich direkt neben den Vater zu setzen und beide Beine weit von sich zum Pool zu strecken.
Unterdessen hatten die Jungen das Interesse an dem volllaufenden Pool wieder verloren.
Der Jüngste lag auf der Bank, der Mittlere saß aufrecht neben ihm. Lachend fochten sie ein Duell mit den Trinkhalmen aus, die in ihren Cola-Dosen gesteckt hatten. Der Ältere hatte sich zum Vater gesetzt und unterhielt sich leise mit ihm. Immer wieder wurden die Jüngeren von den Zwischenrufen des Vaters unterbrochen. Vor Zorn, das die beidem ihm nicht gehorchten, schlug sich der so gediegen scheinende Herr sogar einige Male auf die Oberschenkel.
Die fröhlichen Jungen ließen sich allerdings nicht stören. Nach einer Weile verließen sie die Bank, standen auf und jagten fröhlich kichernd über das Deck, ein so kräftiges Bild der unbeschwert dynamischen, menschlichen Natürlichkeit, das es eine Freude war. Doch das Glück hielt nur kurz an und wurde schon bald vom harschen Ruf des Vaters unterbrochen.
»Marco - komm her!«, gebot die väterliche Stimme, die über das halbe Deck hinweg zu hören sein musste.
Der bis vor wenigen Augenblicken in reiner Lebensfreude herumtobende Junge durchlief eine augenblickliche Verwandlung: Er blieb stehen, seine Schultern sanken zusammen, sein Gesicht verlor den freudigen Ausdruck. Widerwillig schlurfte er zu seinem Vater.
»Was hab ich jetzt schon wieder falsch gemacht?«, fragte er, die Worte zornig in die Länge ziehend.
»Du«, sagte der Vater anklagend, »verhältst dich hier wie ein fünfjähriger Junge! Du tobst mit ihm herum, du schreist herum! Die Leute fühlen sich von deinem Geschrei gestört!«
»Ich spiele halt mit ihm...«, wandte der Junge schwach ein.
»Du kannst mit ihm spielen, aber nicht hier, und nicht so wild, hörst du? Hier störst du alle Leute an Deck!«
»Wen störe ich denn?«, fragte der Junge, offenbar entschlossen, nicht so schnell aufzugeben. Er war ganz seines Vater Sohn, in ihm brannte der gleiche Wille.
Aaron hoffte für ihn, dass er dessen lächerliche Kleinlichkeit nicht auch geerbt hatte: Der einzige, der die Menschen an Deck störte, war der Vater.
»Ich störe hier gar niemanden, nur dich stört es immer!«, rief der Junge zornig.
»Wirst du jetzt noch frech? Ich gehe jetzt in die Kabine, dort bliebe ich bis heute Abend - wenn ihr nicht aufpasst!«
Bei den letzten Worte hatte er Aaron Leißenhoffer doch den Blick gehoben, hatte gesehen wie sich die Augenbrauen des Alten bei seinen letzten Worten gefährlich hoben.
»Versprich mir, dass ihr jetzt ruhiger spielt. Verstanden?«
Der Junge murmelte etwas, das genau so gut »Ja, Vater.« wie »Leck mich, Arschloch!« gewesen sein könnte.
Dann wandte er sich um, rannte zu seinem Bruder. Kaum hatte er sich von dem Alten entfernt, hellte sich sein Gesicht wieder auf und er fuhr fort, mit dem anderen über das Deck zu rennen wie zuvor.
Das war die natürliche, unverdorbene Elastizität der Kinder, die sich nach jedem Druck, jedem Angriff wieder aufrichten konnten, denen es vergönnt war, der notirischen Unzufriedenheit zu entgehen, die die westlichen Menschen verbindet.
Aaron fragte sich jedoch, wie lange sich die beiden Jüngeren diese Fähigkeit bewahren würden.
Über den Ältesten hatte der Willen des Vater bereits den Sieg errungen.
Während der Vater noch dasaß, immer wieder den Kopf nach den Jungen reckte und die Stirn in Falten legte bei ihrem Anblick, als gäbe er sich selbst die Schuld, dass sie so ganz und gar schlecht, so vollkommen missraten schienen, entschied Aaron ganz spontan, einer seiner Figuren, die bislang noch nicht aufgetreten war, das Profil dieses Alten zu verleihen, eine gealterte, von seinem stählernen Willen aufrecht gehaltene und zerfressene Kreatur zu schaffen, von unterdrücktem Hass und unerfüllten Begierden ausgesaugt, von viel zu steifer »Anständigkeit« und allzu geldgeilem Materialismus in ein stocksteifes Skelett, in einen einen lebenden Toten verwandelt. Er würde sie möglichst lächerlich darzustellen, ohne die Tatsachen zu verdrehen, die für sich sprachen.
Jedem Glück und jeder Bosheit, deren Einfluss die Gegenwart unterworfen war, wollte er ein literarisches Denkmal setzen, das sich in das Gedächtnis der Welt einbrennen und das man nicht so leicht vergessen können sollte.
Darum erregte alle Dummheit seine Aufmerksamkeit, darum sog er alle diese unschönen Details der Welt in sich auf - um sie zu pornographieren.
*******
Am Abend erreichte die Fähre den Hafen Igouminitsa.
Ohne Verkehrsmittel, mit kaum Gepäck und gerade noch einer halben Flasche Wasser betrat Aaron Leißenhoffer griechischen Boden.
Warum war er in dieses Land gekommen? Es war mehr als die Wärme, die Reise nach der Mittagssonne, die ihn gereizt hatte.
Über dem Land lag ein Zauber. Eine Kraft gab es hier, - musste es geben - die weit über all die Äußerlichkeiten hinausging, von denen die endlosen Massen von Touristen angezogen wurden. Diese besondere Kraft zeigte sich in der großen Vergangenheit, die diese felsige, schroff und hart wirkende Landschaft gesehen hatte.
Sie hatte die großen Taten der mythische Fürsten und Könige angetrieben, sie hatte die Seefahrer der Achäer das damalige Meer bis an die Grenzen der Welt erforschen lassen, hatte ihnen Reichtum und einen unsterblichen Ruhm verliehen, der sich in Gestalt der großen Namen, - Odysseus, Jason, Herakles, Achilles und endlose Heerscharen anderer - von denen die ersten Anfänge der Literatur bevölkert wurden, bis in die Gegenwart erhielt.
Diese Kraft hatte nicht nur nach außen gewirkt, sie war auch nach innen gerichtet. Die gewaltige Architektur, die Anfänge der Wissenschaft, die enormen künstlerischen Leistungen - das ist das titanische kulturelle Erbe, das Europa bis heute ausfüllt und dominiert.
Er wollte zur Quelle dieser Kraft.
Aaron Leißenhoffer beabsichtigte, hier in Griechenland vor die kulturelle Schatztruhe zu treten, vielmehr in die Bergwerke hinabzusteigen, aus denen diese Schätze stammten, und dort seinen Teil von den Herren des Universums zu fordern.
Bevor er seine Pläne weiterverfolgen konnte, drängte sich die Frage nach dem Weiterkommen auf. In Griechenland nur mit Zügen zu reisen, würde sich sehr schwierig gestalten, vor allem, da er plante, sich oft auf den Inseln aufzuhalten. Er brauchte etwas anderes.
Bevor er sich darum kümmern konnte, musste er sich zusehen, dass er zu einer Schlafmöglichkeit kam, auch gegessen hatte er noch nichts.
Er wanderte ein wenig durch den abendlichen Hafen. Die Luft hatte ihren charakteristischen, nur ganz leicht fauligen, etwas fischigen Geruch.
Schließlich fand er eine Unterkunft, ein Hotel in der Nähe der Hafenbezirke, das mit einer Leuchtreklame warb, die man eher im Amerika des letzten Jahrhunderts vermutet hätte.
Die Frau, die ihn empfing, sprach glücklicherweise ein einigermaßen zuverlässiges Englisch.
Aaron bezahlte für eine Nacht im voraus. Dann verfrachtete er sein Gepäck in das Zimmer. Später schrieb er noch ein wenig. Er hatte keinen Kaffee, keinen Wein, auch der Pfeifentabak ging aus.
Morgen würde er weiterplanen, das nahm er sich vor, und einkaufen gehen.
Am nächsten Tag setzte er diesen Vorsatz in die Tat um. Er fand einen Tabakladen, doch nicht, bevor er in einem All-Night-Coffeshop einen Kaffee erstanden hatte. Es gelang ihm, den Händler davon zu überzeugen, ihm Tabak für die Pfeife zu verkaufen, auch wenn er seine Worte nicht verstehen konnte.
Als er weiter die Straße hinabging, an der er alle diese Geschäfte gefunden hatte, immer noch auf der Suche nach einem Laden, das gewöhnliches Schreibmaschinenpapier verkaufte, kam er, als hätte ihn der Zufall geführt, an einer Autowerkstatt vorbei. Doch es war nicht sie, die sein Interesse erregte, es war der Platz davor, der vollgestellt war mit gebrauchten Motorfahrzeugen aller Art, von klapprigen Mopeds über sportlich aussehende Motorräder zu rostigen Autos.
Spontan entschloss er sich, ein wenig zwischen der Fahrzeugen umherzugehen, sich umzusehen.
Einige Stunden später, im Licht einer steigenden, an einem wolkenlosen Himmel stehenden griechischen Sonne, brauste Aaron auf einem angenehm schnurrenden Kawasaki-Leichtmotorrad über die Straße, vorbei an Kakteen, Oleander, kahlen und bebauten Feldern.
Sein nächstes Ziel bestand in einer Fähre.
Aarons Gefährt war etwas »upgrade, upgrade!«, wie der Händler ihm versichert hatte. Sein Englisch war kaum besser als Aarons Griechisch gewesen, sodass ihre Verhandlung eher mit Händen und Füßen stattgefunden hatte.
Aaron glaubte nicht, dass er ihn über den Tisch gezogen hatte. Er hatte nur wenig über tausend Euro für die Maschine hingelegt, inklusive eines Gratis-Rundumchecks in der Werkstatt, zumindest hatte er das so verstanden.
Dafür hatte er ein Fahrzeug erhalten, das gute 120 bis 130 Stundenkilometer machte. Soweit er das beurteilen konnte, gab es keine besonderen Schäden, vielmehr sah die Maschine gut instand aus. Lichter, Bremsen und die Hupe funktionierten gut.
Er konnte nur ahnen, welchen Anblick er bot, mit grauem Polohemd, weißen Shorts, teuren Ledersandalen - vor ewigen Zeiten in Spanien erworben, schwarzes, geprägtes Rindsleder - ohne Helm und mit verspiegelter Sonnenbrille auf einer aufgemotzten Kawasaki durch das Land kurvend, auf der mithilfe eines Spanngurtes der Aluminiumkoffer befestigt war.
Weitere Stunden später befand er sich an Deck einer Fähre nach der Insel Kefalonia, die unter anderem als die Heimat des Odysseus in Betracht gezogen wurde.
Langsam verschwand das Festland hinter ihnen, bald darauf tauchten die Gipfel der Insel vor ihnen auf.
An Deck war es zu windig, um mit Papier zu schreiben, darum begnügte sich Aaron damit, seinen Gedanken nachzuhängen. Er wusste nicht, wie der Name des Hafens war, in den die Fähre einlaufen würde. Er wusste auch nicht, in welche Richtung er sich wenden sollte. Er hatte nicht den geringsten Plan, hatte noch nicht einmal eine Karte der Insel gesehen. Er wusste nicht, wo Städte waren und wo Wildnis. Aber er wusste, dass das Gebiet nicht zu groß war und es auf einer recht kleinen Insel nicht möglich war, sich wirklich zu verirren.
Als die Fähre einlief, kaufte er noch schnell eine kleine Flasche Wasser, dann ging er zu seiner Kawasaki.
Sobald er freie Bahn hatte, ließ er den Motor aufheulen und schoss davon, den kühlenden Wind genießend.
Wie die längste Zeit seines Lebens war er alleine. Dass er überhaupt mit Menschen ins Gespräch kam wie es zufällig mit der Blonden aus dem Zug geschehen war, war eine Seltenheit. Für die meisten Menschen - und das war ihm klar - würde er immer der etwas seltsame Kauz mit seinem Papier und der fast geheimnisvollen Arbeit bleiben. Doch Aaron fühlte sich nicht allein gelassen, hatte nie so empfunden. Er empfand nichts als Freiheit, wenn er an eine Kreuzung kam und es nicht einen Grund gab, der für oder gegen den einen oder anderen Weg sprach, sodass es einzig und alleine auf seine sozusagen willkürliche Entscheidung ankam. Das war für ihn gelebte Freiheit, ohne Ziel und ohne Absicht durch die Welt zu reisen, ohne Begründung zu leben wie das Leben selbst ist.
Seltsamerweise war sein Leben immer so verlaufen, im völligen Gegensatz zu seinem künstlerischen Schaffen. Da hatte er immer einen Plan gehabt, ein Ziel verfolgt, nicht selten mehrere, hatte etwas erreichen wollen und wollte es noch immer.
Auch das bedeutete für ihn Freiheit, die Freiheit, die nur in der eigenen Schöpfung zu finden ist, die Freiheit, zu gestalten, zu schaffen - als der, »der zerbricht die Tafeln ihrer Werthe, der Brecher, der Verbrecher«, wie Zarathustra den Schaffenden beschrieben hatte.
Es mag paradox scheinen, dass er diese beiden Formen der Freiheit, die voneinander so grundverschieden scheinen, gleichzeitig wertschätzte. Die Freiheit der zufälligen, sinn-befreiten Entscheidung und die Freiheit, jedes gewünschte Ziel erreichen zu können, könnten widersprüchlich scheinen.
Aaron Leißenhoffer war gegenteiliger Meinung.
Die Freiheit des Schaffens war dieselbe Freiheit wie die, jeden Weg wählen zu können, ohne Vor- oder Nachteile fürchten zu müssen. Er konnte alles schreiben. Er konnte jeden Weg gehen, der ihm beliebte.
Als Schaffender - auf dem Papier, versteht sich - hatte er die vollkommene Freiheit erreicht, sich von allen Ketten befreit.
Ein Yogi hätte vielleicht angemerkt, dass es sich dabei um eine spezielle Form von Samadhi handeln könnte.
Die einzige Tragik an dieser Situation lag darin, dass Aaron selbst noch nicht ahnte, welche Grenze er zu überschreiten begriffen war. Er wusste, ahnte nicht einmal, dass er der vollkommenen Vollendung nicht mehr einen Schritt, nicht einen halben, nicht einmal eine Fingerbreite fern war. Er wähnte sich noch immer zweifelnd, zitternd, glaubte an seine eigene Angst vor dem Versagen, dem Scheitern an seinen eigenen Ansprüchen. Er jagte seiner Hoffnung hinterher, der schöpferischen Gewalt der alten Griechen teilhaftig zu werden, um sich selbst zu ertragen fähig zu machen, was er sich aufgebürdet hatte.
Und doch war diese Unwissenheit, dieses fast blinde Taumeln ebenso nötig wie die Erfüllung selbst. Sie war so unvermeidlich notwendig wie der Hunger für den Sturm auf die Bastille nötig gewesen war.
Hätte Aaron sich in diesem Augenblick, in dem er scheinbar unaufhaltsam durch den heißen Wind fuhr, die Straßen entlangjagte zu den bergigen Höhen der Insel, selbst erkennen können, er hätte wohl ausgerufen:
»Nun fahre ich in mein letztes Wagnis. Nun entscheidet und vervollkommnet sich alles, jetzt erfülle ich mein Schicksal. Bald werden Schwarz und Weiß enden. Das Äquinox dämmert herauf, die vollkommene Vollendung kauert hinter dem Horizont, jegliche Schranken stehen vor ihrem letzten Fall. Werde ich stehen und ausrufen können: ›War das das Leben? Wohlan! Noch Ein Mal!‹? Werde ich es können?
Bald werden alle Fragen, alle Verblendungen – enden.«
********
Einige Zeit später gelangte Aaron Leißenhoffer an eine Stelle, an der ein unbefestigter, staubiger Weg, bedeckt von kleinen, hellen Steinen, seitlich von der Straße abführte. Er schlängelte sich einen der höheren Berge hinauf, die im Zentrum der Insel aufragten. Vielleicht hatte ein Bauer ihn angelegt. Aaron wusste es nicht. Ebensowenig konnte er erklären, warum er aus einem plötzlichem Impuls heraus auf diesen kleinen Weg einbog. Er gefiel ihm besser als die Straße. Er wollte das Ende dieses Weges kennenlernen, und er wollte den Weg selbst kennenlernen, alle Dinge, die man erfahren konnte erfahren, alle die man sehen konnte sehen. Der Weg hatte ein Ziel und war Ziel - und doch gab es kein universales Ziel, nur den universalen Willen, der keine Absicht und kein Ziel kennt, vollkommen frei ist.
Möglicherweise reizte Aaron auch einfach die Herausforderung, mit seinem Motorrad den steilen, nicht einfachen Weg hinaufzugelangen.
Er hoffte nicht wirklich, etwas auf dem steilen Gipfel zu finden, höchstens eine gute Aussicht, vielleicht die eine oder andere Ziege, einen einsamen Olivenbaum hielt er für möglich.
Kein vernünftiger Mensch hätte in der momentanen Mittagshitze in Kauf genommen, sich einen holprigen, gefährlichen Weg hinaufzuzwingen und dabei ein wahres Staubbad zu nehmen. Doch Aaron tat es. Immer wieder musste er sich in große Wagnisse stürzen, alles sicher Scheinende aufgeben, selbstzerstörerische Gefahren und Herausforderungen annehmen, und das nur - um seine absolute Freiheit auszukosten.
Aaron hatte schon immer zu den Menschen gehört, die beim Gehen, bestenfalls in der freien Natur, besser in der Lage waren, sich zu besinnen oder neues Gedankengut zu schaffen. Beim Radfahren oder gar Schwimmen hatte er diese Wirkung nie erlebt, ebensowenig beim Autofahren.
Doch nun, als er schon einige Zeit mit seinem Motorrad unterwegs war und keine Gedanken mehr an die technischen Details, die Feinheiten der Steuerung verschwenden musste, bemerkte er eben diesen Effekt. Seitdem er den Hafen verlassen hatte, fühlte er sich selbst wie erhoben, ruhig alles aufnehmend und doch weit davon entfernt, fremder Gewalt unterworfen zu sein. Er fühlte sich im Einklang mit allem, war selbst in Balance. Nichts schien falsch, nichts richtig, es gab keine Angst und keine Fehler, die man begehen konnte.
Während er sich den Berg hinaufmühte, in Schlangenlinien dem staubigen Weg folgte, und dabei eine gewaltige Wolke aus aufgewirbeltem Staub in den Himmel schickte, tauchten vor seinem inneren Auge verschiedene, überraschende Erinnerungen auf, gleichzeitig ungebeten und nicht unangenehm: Es waren Erinnerungen an die letzte Periode, die er in der Welt verbracht hatte, an die Entscheidung, in seine Einsamkeit zu flüchten. Er sah, als sei es eine Filmszene, wie er seinem damaligen Verleger, der mit der Zeitschrift zu tun hatte, für die er damals geschrieben, seinen nahen Abschied mitteilte. Damals hatte er familiäre Gründe vorgeschoben. Fast gleichzeitig fiel ihm wieder ein, wie er diesem Verleger das erste Mal begegnet war, das Abendessen, der Wein. Ein gemeinsamer Bekannter, ein Möchtegern-Dichter, hatte sie durch Zufall zusammengebracht. Ihn, den Bekannten, hatte am Tag zuvor wiedergetroffen, aber ihre Bekanntschaft reichte viel weiter zurück, in die Zeit, in der Aaron in einer Künstler-Clique in Berlin verhaftet gewesen war, in der sich auch Literaten, vor allem aber Musiker und einige Maler aufgehalten hatten. Diese Zeit hatte fast magische Spuren in seinen Erinnerungen hinterlassen und ihn noch später stark beeinflusst, doch es hatte ihn auch einige Mühen gekostet, aus dem Dunstkreis der bald auf ehrbarere Berufe umsattelnden »Wochenend-Künstlern« auszubrechen.
Noch weiter in die Vergangenheit reichten seine Erinnerungen, in seine Jugendzeit, dem See in den Bergen, an dem er bei seinem Onkel gelebt hatte, weil seine Eltern ihn aus der Stadt und den Unruhen der damaligen Zeit heraushalten wollten, bis er mit siebzehn ausgebrochen und nach Berlin gegangen war.
An jenem See war es ruhig zugegangen, er hatte ein wahrhaft epikureisches Leben geführt. Die größte Spannung hatte für ihn in den Bergen und im Wasser gelegen, denn weder Radio noch Fernsehen hatten ihren Weg in das Haus seines Onkels gefunden. Alles, das er über die Außenwelt erfahren hatte, stammte aus den Büchern.
Er war gewaltig erschrocken, als er erfahren musste, dass fast alle Dinge, die er daraus erfahren hatte, entweder erfunden oder längst vergangen waren! Er stand kurz davor, die »lügenden« Bücher ganz und gar zu verwerfen. Längere Zeit hatte er sie nicht mehr angerührt, es war im Sommer gewesen. Dann erkannte er seinen eigenen Fehler, sah ein, dass es mehr war als die sachliche Exaktheit, die ein Buch wertvoll machten.
Einem Lancelot gleich hatte er an seinem See die Kraft für den langen Weg erworben, der vor ihm lag, für all die Taten, die man nicht mehr vergessen würde: Davon war er mittlerweile überzeugt. Es lag an ihm, diesen Taten nicht noch größere Fehler folgen zu lassen, an die man sich ebenfalls bis in die Ewigkeit erinnern würde. Er wollte nicht den zerstörerischen Sturz und das grausame Ende eines Lancelot erfahren - sondern die Vollendung eines Parsifal.
Vor ihm lag der der Gipfel, unter ihm lauerte der Sturz. Das tiefe, konturlose Wasser des Vergessens, endlos und ewig, erwartete ihn an dessen Ende, würde er fallen.
Doch er fiel nicht. Zum ersten Mal verstand er ganz, warum man auch davon sprach, einen Berg zu bezwingen.
Er bezwang, er triumphierte, war Bezwinger und Triumphator.
Dann stand er oben. Der Motor erstarb. Er konnte nach allen Seiten in große Ferne sehen. Das Meer, die Siedlungen, den Strand, die benachbarten Gipfel, die teilweise von Windrädern erobert worden waren.
Die Sonne hatte ihren Zenit gerade erreicht, brannte grausam auf den Mann auf dem Berg herab.
Aaron trank seinen letzten Schluck Wasser.
Alles aus seinem früheren Leben, das Bedeutung besessen hatte, vom See über die Stadt zum verhaltenen Erfolg, vom Erfolg über den Zweifel zur Einsamkeit, von der Einsamkeit wieder ins Leben, auf die Reise - und zuletzt auf den höchsten Gipfel, zog an ihm vorbei wie ein Gesicht.
Dann stand alles still.
Still.
Seine Gedanken, sein Streben, Hoffen und Nachsinnen erstarben wie der Motor erstorben war. Er sah das Meer, die Gipfel und die Häuser nicht mehr, sah nicht einmal den Felsschnipsel in grenzenlosem Wasser, auf dessen Gipfel die kleinste Ameise stand und in den wirklich unendlichen Himmel seine Hoffnung, sein Begehren schickte. Seine Wahrnehmung wurde universal, und damit vollkommen unspezifisch.
Ein Werk war mehr als ein Gedanke, den man anderen zugänglich machte. Das Leben, das Dasein, das »Universum« - sie waren Werke.
Aarons Leben war ein Werk. Ein Werk war auch die Welt, die es nährte, und das Universum, das es barg. Seine Werke waren Werke, und damit Splitter des Universum, der Schöpfung - des »Geschöpften«.
In der Welt »außen« gibt es diese Werke nicht in dieser Weise. Dort gibt es nicht einmal Freiheit. Freiheit gibt es nur »innen«. Werke gibt es nur »innen«. Von »außen« betrachtet, sind Werke nur Gedanken, nur Materie.
Jeder dieser Gedanken, alle zugleich und doch ohne Unordnung, ging Aaron durch den Kopf, während er auf jenem Berggipfel stand, den Zenit der Sonne über sich, keine Höhe mehr als seine eigene Höhe, nur Senken um ihn: Bloß in grauer Ferne waren die verwandten, geschätzten Gipfel, die ebenfalls keine Höhen um sich kannten als ihre eigene Höhe.
Aaron lächelte zufrieden diesen Gipfel, dieser Sonne und sich selbst zu - voller Ruhe.
*********
Am frühen Nachmittag, wenn die Hitze am drückendsten ist und sich die meisten Insulaner in kühle Räume zurückziehen und schlafen, bis die schlimmste Wärme vorbei ist, erreichte Aaron ein einsames Geschäft an der Straße. Auf der einen Seite bergige Gipfel, auf der anderen das Wasser rahmten es.
Er schwitzte wie ein Schwein und fühlte sich innerlich so trocken wie der harte Boden der Insel, der kaum mehr als Olivenbäume und Gestrüpp hervorbringt, wenn man nicht auf technische Bewässerungssysteme zurückgreift.
Kein anderer Kunde war zu sehen. Es wurden Lebensmittel, Wasser und Tabak ebenso verkauft wie Handtücher, Sonnencreme und Krimskrams von geringem Wert.
Aaron kaufte Wasser und trank es beinahe auf einmal leer, trat noch einmal in das Geschäft. Der Verkäufer ließ sich durch nichts, und am allerwenigsten durch die Ankunft eines Kunden, aus der Ruhe bringen. Er erhob sich nur langsam aus seinem Stuhl, um erneut zur Kasse zu kommen.
Aaron kannte die Vorurteile, die in ganz Europa über die Griechen kursierten; dass sie ein recht arbeitsscheues, übermäßig gemütliches, nachlässiges und nicht an wirtschaftlicher Modernisierungen oder Industrie interessiertes Völkchen seien.
Die Menschen, die diese Gerüchte glaubten, kannten das Land nicht. Ob es so etwas wie »rassische Unterschiede« gab , die Süd- und Nordeuropäer voneinander trennten, hatte für Aaron keine Bedeutung. Was es sicher gab, waren unterschiedliche Länder: Dort war es kalt, hier war es warm, dort brauchte man Maschinen, Technik und viel Geld, um sich warm zu halten, hier brauchte man das gleiche höchstens um sich Kühlung zu gönnen, aber das war ein Luxusgut, auf das man auch verzichten konnte.
Dort brauchte man viel Geld, um sich ausgewogen und gesund ernähren zu können, hier nur wenig. Wer hier viel Geld hatte, verwandte es höchstens zum Luxus. Man hatte hier ein Einkommen, eine Lebensgrundlage, aber Geldgier war kein Ideal. Wen man lebte, wenn man genug hatte, um in der Gemeinschaft essen und trinken zu können, hatte das einen größeren Wert als das Geld selbst. Für den Nordeuropäer wäre es ein schrecklicher Gedanke, »nur« genug zu haben, um zu essen und zu trinken, doch der Nordeuropäer aß entweder, um sich zu ernähren, oder als Luxus, für den man bereit war, sehr viel Geld auszugeben.
Beide Formen kennt der ländliche Grieche nicht. Man isst gemeinsam, und beides ist gleichermaßen wichtig: Essen und gemeinsam. Das Essen und Trinken reicht in die Vergangenheit, man erinnert sich daran, woher das Olivenöl kommt, wie man die Früchte gesammelt, wie die Vorfahren die Haine angelegt haben. Es wird erzählt, woher der Fisch, die Muscheln, die Langusten kommen, sie werden nicht einfach als namenlose Materie verschlungen. Die Essenz des idealen bäuerlichen Daseins ist hier lebendig, auch wenn es keine vollkommenen Selbstversorger mehr gibt.
Der Verkäufer hatte die Kasse erreicht, sah die beiden Wasserflaschen an. Dann sagte er etwas auf Griechisch und lachte herzhaft.
Aaron erwiderte das Lächeln, aber nicht aus ganzer Seele. Er verstand nicht. Er war so überrascht, dass er aus Reflex auf Deutsch antwortete:
»Ja, so ist das.«
Er hätte sich lächerlich vorkommen können, doch es spielte keine Rolle, der andere konnte ihn gar nicht verstanden haben.
»Oh, ein Deutscher!«, stellte er dieser plötzlich fest.
»Ja!«, antwortete Aaron, noch überraschter.
Was zur Hölle?!
»So sehen Sie auch aus, genau den Durst haben Sie!«, sagte der Grieche.
»Daran erkennt man uns?«
»Nein - das ist bei allen so, die bei der Hitze unterwegs sind!«
»Ja...«
»Sie fragen sich vielleicht«, meinte der Grieche, plötzlich redseelig, »warum ich Ihre Sprache spreche, nicht wahr?«
»Hm.«, meinte Aaron.
»Liegt daran, dass meine Tochter in Deutschland lebt. Sie und alle ihre Kinder sprechen Deutsch!«
»Oh. Wie schön.«
Trotz allem war Aarons Herz noch immer von dem nordeuropäischen Frost erfüllt, der es sich zusammenziehen ließ, der verhinderte, dass es sich ganz öffnete.
»Sie ist immer den Sommer über hier.«
Offenbar freute sich der Händler sehr, jemanden gefunden zu haben, mit dem es sich reden ließ.
»Was meinen Sie«, lenkte Aaron das Gespräch um, »gibt es hier eine Möglichkeit für mich, Quartier zu beziehen? Für etwas längere Zeit?«
Der Händler begann beinahe zu schweben vor Begeisterung.
»Oh, natürlich, natürlich! Wir haben einige Ferienwohnungen hier, und drei Häuschen, recht abgeschieden, aber Toplage, Toplage! Praktisch mit Privatstrand, zwanzig Meter den Abhang runter. Wenn Sie wollen, kriegen Sie auch Frühstück, gar kein Problem, kein Problem!«
»Wo?«, fragte er nur.
»Oh, Sie sehen sie von hier aus!«
Umständlich, aber beschwingt umrundete er die Theke, das Geld ignorierend, das Aaron schon in der Hand hielt, und sprang fast aus der Tür. Sein Zeigefinger wies zum Hang. Einige bunten, ziemlich kleinen Häuschen klammerten sich an den steil zum Ufer abfallenden Boden.
»Sehen Sie, die zwei Grünen und das Blaue können Sie mieten!«
Aaron dachte einen Moment nach. Dann hörte er auf zu denken und sah dem Händler in die Augen.
»Das würde ich gern tun.«
»Oh, wie wundervoll! Warten Sie, ich rufe meinen Neffen, der soll ihnen den Weg zeigen, den Schlüssel bringen!«
Während der Händler wieder ins Haus eilte und es irgendwie schaffte, dabei trotzdem gemütlich auszusehen, fragte sich Aaron, was da plötzlich über ihn gekommen war. Einfach eine Wohnung gemietet, die er nicht gesehen hatte, einfach die Reise unterbrochen, ohne nachzudenken - dergleichen war sonst nicht seine Angewohnheit!
Vielleicht war es die Hitze. Sie macht die Gedanken träge und hält sie dennoch lebendig. Der Körper bleibt wach und doch ist er nicht zu den gleichen Leistungen fähig wie unter anderen Bedingungen. Die Seele ist freier, doch ruhiger. Alles ist Ruhe! Eine gewisse, sündlose Trägheit befällt den Menschen.
Der Grieche kehrte zurück, Aarons Wasserflaschen in den Händen.
»Wie lange wollen Sie bleiben?«, fragte er.
»Ich weiß nicht.«, gab er zu. »Eine Woche bestimmt. Vielleicht auch länger.«
»Wunderbar!«, rief der Händler aus. Er schien dieses deutsche Wort zu lieben. Dann drückte er Aaron seine Wasserflaschen in die Hände. Er nestelte an seiner Tasche herum.
»Lass stecken«, sagte der Grieche, »so sagt man doch, nicht wahr?«
»Allerdings«, bestätigte Aaron.
Plötzlich war ein lautes Röhren zu hören. Von einer Staubwolke gefolgt holperte ein Quad einen Pfad herab, der so schmal und überwachsen war, dass man ihn nur mit Mühe als Pfad erkennen konnte.
Auf dem Quad saß eine weibliche Person, im grünen Tanktop, kurzen Hosen, mit einem etwas zu großen Helm.
»Mein Neffe ist am Meer«, erklärte der Grieche, »jetzt ist doch meine Schwester gekommen.
Mit quietschenden Bremsen kam das Gefährt, das klang, als wäre es noch nie mit einem Tropfen Öl in Berührung gekommen, vor ihnen zum Stehen.
Die Fahrerin nahm den Helm ab. Darunter kam das gebräunte Gesicht einer Mittvierzigerin zum Vorschein, mit dunklem Haar und scharfen, dunklen Augenbrauen.
»Guten Tag!«, sagte sie völlig akzentfrei, »Dimitra ist mein Name.«
»Aaron«, erwiderte er automatisch, »so werde ich genannt.«
»Hi! Also, wollen wir?«
Sie fügte noch einen kurzen Satz auf Griechisch hinzu.
Der Händler nickte nur.
Aaron ging unterdessen zu seinem Motorrad und ließ es an.
»Immer mir nach!«, rief Dimitra, setzte den Helm wieder auf und beschleunigte.
Aaron tat es ihr gleich. Sie jagten eine Weile die Straße hinab, dann bog das Quad auf einen Weg ab, der genau so überwachsen, eng und mörderisch aussah wie der, von dem sie gekommen war. Sie fuhr mit beinahe unveränderter Geschwindigkeit weiter. Als Aaron, deutlich vorsichtiger, ihr folgte und in die Staubwolke geriet, die ihr Gefährt in den Himmel schickte, begann er zu verstehen, warum er nicht ein sauberes Fahrzeug gesehen hatte, seitdem er auf der Insel war. Dem Staub zu entgehen war so unmöglich wie das Meer mit einem Sieb leerzuschöpfen.
Sie fuhren unter Olivenbäumen hindurch, dann wieder auf offenem, rechts und links nur von Gestrüpp bedecktem Grund.
Bald erreichten sie das grüne Häuschen. In einer gewaltigen Staubwolke kamen sie zum Stehen.
»Da wären wir!«, rief seine Führerin.
Aaron schritt durch die abziehende Wolke, mit jedem Schritt neuen Staub aufwirbelnd.
Dimitra war schon damit beschäftigt, das Haus aufzuschließen.
»Sie haben fließendes Warmwasser, Klimaanlage und Strom aus Eigenproduktion. Wenn Sie diesem Weg folgen, gelangen Sie zum Strand. Passen Sie auf, hier gibt es noch Seeigel.«
Aaron nickte, trat ins Haus.
»Schön sieht es hier aus.«, meinte er.
Das kleine, einstöckige Fertighaus sah sauber aus, die Einrichtung gepflegt und ordentlich.
»Es gefällt mir sehr. Hier will ich bleiben.«
Als wollte er seine Worte bekräftigen, schnallte er seinen Koffer ab und trug ihn ins Haus.
»Umso besser.«, meinte Dimitra fröhlich . »Wann wollen Sie frühstücken?«
Unterdessen begann sie, eine Zigarette zu rauchen.
»Hm... sagen wir, um neun?«
»In Ordnung!«
Er hatte sein Gepäck ins Haus getragen, seine Tasche hängte er über einen Stuhl.
Dimitra stand in der Tür und rauchte.
»Gibt es eine Kaffeemaschine?«, fragte Aaron und begann, seine Pfeife zu stopfen.
»Es gibt löslichen Kaffee. Der vorige Mieter hat eine unangebrochene Packung vergessen, wir haben sie dagelassen. Oben im Schrank.«
»Sehr gut! Trinken Sie ein Glas mit?«
»Oh, das ist nicht nötig!«
»Nötig vielleicht nicht... Wie wäre es mit angenehm?«
»Klingt schon besser.«
Sie musste lachen.
»Hinten haben sie eine Terasse mit Tisch und Stühlen und allem, was man sich wünschen kann.«
Aaron ließ sich zeigen, wie man den löslichen Kaffee zubereitete, dann setzten sich er und Dimitra in den Garten, auf weiße Plastikstühle, die sich ziemlich bogen. Dort tranken sie Kaffee.
»Was haben Sie vor? So allgemein, meine ich.«
Aaron zuckte die Schultern.
»Was gäbe es hier vorzuhaben?«, fragte er zurück.
»Vorzuhaben?«
Vorzuhaben! Wo ist das Problem?«
»Ist das richtiges Deutsch?«
»Wer weiß?«
»Sie sind ein lustiger Vogel! Was machen Sie beruflich?«
»Ich bin Literat.«
»Ach was?«
»Ja.«
»Das heißt, Sie schreiben?«
»Exakt.«
»Hm.«
Einige Minuten unterhielten sich die beiden über dies und das. Beispielsweise erzählte Dimitra, dass sie am Abend zusammen essen würden, man hatte einige Krebse gefangen.
Spontan wurde Aaron eingeladen. Auch wenn er sich zunächst etwas reserviert gab, freute es ihn und er nahm an.
»Gehen Sie heute noch an den Strand?«, fragte ihn Dimitra.
»Ich weiß noch nicht. Ich fürchte, ich besitze gar keine Badehose.«
»Hm – das wird kein Problem sein, im Laden haben wir fast alles«, beruhigte sie ihn lachend.
»Das klingt ja gut.«, entgegnete Aaron. »Ist das Wasser sehr warm?«
»Oh, es war schon wärmer, aber es ist noch recht früh im Jahr. Es lässt sich jedenfalls schwimmen.«
»Dann bin ich beruhigt.«
Der Kaffe wurde ausgetrunken. Als Dimitra aufstand, sagte Aaron für das Abendessen zu.
»Wenn mich die Lust auf kühles Wasser plagt, werde ich schon kommen.«, fügte er lachend hinzu.
Vielleicht änderte sich wirklich etwas in ihm. Vielleicht kroch die südliche Hitze auch in sein frostiges, nordisches Herz.
Vielleicht war etwas im Gange, das weitreichende Folgen haben mochte.
************
Die folgenden Tage begannen, ein Muster anzunehmen, nach dem sie verliefen.
In aller Frühe stand Aaron auf. Nur wenn die Nacht ein wenig länger geworden war, was ab und an vorkam, konnte es auch später werden. Er frühstückte etwas, aber nicht viel, trank seinen Kaffee und machte sich dann, je nach Laune, entweder daran, an den Strand zu gehen und ein wenig zu schwimmen, oder er schrieb. Mangelte es ihm an Inspiration oder bemerkte er, dass seine Konztentration nachließ, verlegte er sich auf Spaziergänge, wenn es schon Abend und kühl war, Bäder oder eine eine Fahrt in die nahe Stadt Argostoli. Bei dieser Stadt handelte es sich um einen Hafen, einige Häuser mit ein paar tausend Einwohnern, einigen Kaffees, Bars, Restaurants und dergleichen, die fast alle irgendwie von den Touristen lebten.
Abgesehen von Wein und Olivenöl stellt die ganze Insel kaum Exportgüter her.
Gegen Abend kehrte Aaron entweder nach Hause zurück, aß eine Kleinigkeit und verbrachte den Tag mit einer Flasche Wein und seiner Schreibmaschine, oder er suchte die Gesellschaft Dimitras und ihrer Familie, die mit Wonne alles an ihrem Tisch teilten. Aaron steuerte Wein, Fisch oder anderes zum Essen bei, das man auf der Stelle verzehren konnte. Mehr nahmen die Griechen nicht an.
In den ersten Tagen hatte er auch in der Stadt gegessen, doch er begann, die Gesellschaft seiner neuen Freunde der geschäftsmäßigen Gastfreundschaft vorzuziehen, die man ihm in den Restaurants entgegenbrachte.
Aaron hatte immer Geld gehabt. Reich war er zwar nie gewesen, aber er hatte einiges geerbt, anderes verdient und außerdem floss ihm ein nicht abreißender Tantiemenstrom aus seinen eigenen Werken zu, die zwar nie zu den Bestsellern für die breite, konsumierende Masse gezählt, sich jedoch einen einigermaßen stabilen Platz in der intellektuellen Welt der nahen Vergangenheit und der Gegenwart gesichert hatten.
Das Anwesen im Norden beispielsweise war über den Cousin seines Großonkels testamentarisch an ihn gegangen, wobei man die näheren Verwandten freilich übergangen hatte. Es hatte sich bei diesem Großonkel um einen komischen, ensiedlerisch lebenden Kauz gehandelt, der seine Geheimnisse weder vor noch nach seinem Tod preisgegeben hatte.
Aaron hegte den Verdacht, dass er ihm das Anwesend einzig und allein aus dem Grund vermacht hatte, weil er seinen eigenen Kindern und seiner Frau eins auswischen wollte und geahnt hatte, dass er, Aaron, seine allgemeine Abneigung gegen die ganze Familie teilte.
Geld hatte er also, und um Geld hatte er sich auch nie Sorgen gemacht, nie Sorgen machen müssen. Was er an materiellem Überfluss hatte, teilte er, wo er es für richtig hielt, dann aber sorglos und großzügig. Nachdem er beispielsweise seinen Neffen verlassen hatte, hatte er ihm – das hatte er in dem Brief nur angedeutet – eine nicht unbedeutende Summe direkt auf ein Konto überwiesen, von dem er wusste, dass er darauf zugreifen konnte. Er ahnte, dass der junge, noch nicht in die Weite des Lebens entlassene Junge einigen Gebrauch davon machen könnte.
Seine allgemein eher unbekümmerte Haltung, was Geld und Geldangelegenheiten, Wirtschaft und Finanzen betraf, schlug sich auch in seiner literarischen Tätigkeit nieder. Wenn er überhaupt über Figuren schrieb, die nur nach Geld strebten, so lief es für ihn immer darauf hinaus, dass sie den Aufstieg und Fall eines MacBeth erlebten, um am Ende schlechter dazustehen als ursprünglich.
Aus diesem Grund hielt er sich auch nicht zurück, Weine und Speisen selbst zu genießen und zu verschenken, die den meisten Menschen nicht einmal annähernd das wert gewesen wären, was man dafür bezahlen musste.
Es war der vierte oder fünfte Tag, Aaron kam zum dritten Mal zum Essen.
Das Haus lag erhöht am Hang, über der Straße, und bot einen gewaltigen Anblick über die Bucht, auf das Meer und zu den gegenüberliegenden Bergen. Eigentlich waren es mehrere kleinere Häuser, die aber so nah aufeinander gebaut waren, dass es kaum einen Unterschied machten.
Der Tisch stand auf einer Terasse, die von Weinreben überschattet wurde, die sich an aufgehängten Gittern einige Meter über dem Boden entlangrankten.
»Kalimera, Signor Leißenhoffer!«, rief man ihm entgegen.
Dass man ihn Signor Leißenhoffer nannte, lag daran, dass er erzählt hatte, dass er aus Italien angereist war. Offenbar hatte man das falsch übersetzt und nun nahm man an, er sei gebürtiger Italiener. Oder man tat so. Wobei er sich auch kleidete wie ein Italiener, mit seinen Shorts und Polohemden am Tag und seinen typisch geschnittenen, blauen oder weißen Anzügen, die er in Venedig erstanden hatte.
»Kalimera!«, entgegnete er fröhlich, blieb stehen und sog großgestig die Luft ein, fing den Duft, den sie aus der Küche herantrug.
»Womit wollen Sie uns heute erfreuen?«, rief er überschwänglich, hoffte darauf, dass Dimitra ihn hörte, die gewöhnlich, gemeinsam mit der Großmutter und, hin und wieder auch mit der Tante, die etwas weiter entfernt lebte, das Essen zubereitete.
In der Familie verstanden fast alle ein paar Brocken Deutsch, auch Englisch. Dimitras Bruder, der Händler, und die Großtante der Kinder – einfach »die Tante« genannt – sprachen das Deutsche mehr oder weniger fließend. Dimitra, ihre Kinder und ihr Mann beherrschten die Sprache akzentfrei, sie lebten auch in Deutschland.
Der Großvater – alle Familienmitglieder wurden nach ihrer Beziehung zu den jüngsten Kindern bezeichnet – saß bereits mit dem Vater und den Onkel, also dem Händler, am Tisch. Griechischer Salat, Seeigel und Gläser mit Ouzo standen vor ihnen. Die jüngeren Kinder, vier und fünf, spielten weiter entfernt zwischen den Pflanzen am Hang. Ihre große Cousine, acht Jahre, beaufsichtigte sie mit einem Auge, während sie sich an einem Puzzle versuchte, das, noch ungelöst, dem Boden verteilt lag. Immer wieder hinderte sie den riesigen Hund daran, die Teile durcheinanderzubringen.
Neben dem Hund gehörte ein unübersichtliches Heer von Katzen mehr oder weniger locker zur Hausgemeinschaft. Sie wurden einmal am Tag gefüttert, um sie bei den Menschen zu halten, ernährten sich jedoch auch von Heuschrecken, Eidechsen und ähnlichem kleinen Getier. Sie waren dünn, scheu und ließen sich in der Regel nicht berühren.
Dimitra erschien plötzlich in der Tür, sich die Hände an einem Tuch abwischend.
»Signor«, sagte sie lachend, der Spitzname begann schon, sich einzubürgern, »herzlich willkommen.«
»Kalimera.«, entgegnete er nur.
Sie lachte.
»Wieso lachen Sie? Ich passe mich nur an die hiesigen Gebräuche an!«, erklärte er fröhlich und lachte auch.
»Das ist doch wunderbar!«, bekräftigte Dimitra.
Die Hitze des Tages begann zu schwinden, alles war gelöst und friedlich. Die Zykaden veranstalteten ein gewaltiges Konzert mit ihren harten, rythmischen Lauten.
»Was bereitet ihr heute Abend?«, fragte Aaron.
»Wir haben ein paar Muscheln, gemischten Fisch vom Markt, und Seeigel.«, antwortete Dimitra.
Bei den letzten Worten wies sie zu den bereits sitzenden Männern.
»Die essen sie roh. Wir machen außerdem eine Fischsuppe, dann haben wir noch Brot, Olivenöl und Salat.«
»Grandiose Aussichten!«, meinte Aaron.
»Signor!«, rief der Patriarch auffordern, »komm, hinsetzen!«
Er beherrschte das Deutsch nur in groben Zügen. Es klang etwas ungeschlachtet und abgehackt, wenn er sprach, aber seine freundlichen Augen, die Stimme und die ausgiebigen Gesten machten das mehr als wett. Seine Absichten waren immer zu verstehen. Auf Griechisch wandte er sich an Dimitra.
Sie schien zuzustimmen.
»Setzen Sie sich schon einmal.«, forderte sie ihn auf, Aaron nahm Platz. Die drei Tüten, die er mitgebracht hatte und in denen sich Flaschen befanden, stellte er auf den Tisch.
Dimitra erschien wieder, ein Glas in den Händen, stellte es auf den Tisch. Wie er es üblicherweise tat, mischte Aaron Ouzo und Wasser im Verhältnis 1:4.
»Yamaz!«, wurde ausgerufen, dann die Gläser aneinandergestoßen.
In dieser Mischung bekam das Getränk etwas süßliches, feines, das ihm viel besser gefiel als der scharfe Schnapsgeschmack, der das pure Getränk auszeichnete.
Einige Zeit später wurde das Essen aufgetragen. Es war einfach, schmeckte großartig und war zwar unkompliziert, doch mit großem Geschick zubereitet worden.
Beim Essen wurde viel geredet und gelacht.
»Wie finden Sie es heute?«, fragte Dimitra nach einiger Zeit.
»Großartig. Wissen Sie, im Norden isst man entweder, um satt zu werden oder um sich in dem Genuss zu suhlen. Sie schaffen beides und sogar mehr! Das ist etwas, das man nicht häufig in der Welt findet. Und jetzt, erlauben Sie mir...?«
Mit diesen Worten holte er eine seiner Weinflaschen hervor, stellte sie auf den Tisch und begann großgestig, sie zu öffnen. Dann wurde der Wein verteilt, die anderen Flaschen mit Weißwein in die Küche getragen und kühl gestellt.
Der Abend wurde noch lang. Nach dem Essen saß man zusammen, trank noch etwas, sah dem Sonnenuntergang und später den Sternen zu. Aaron bemerkte kaum, wie es zwölf und halb eins wurde. Erst kurz vor ein Uhr löste sich die Gesellschaft auf.
Mehr als nur satt, mehr als nur befriedigt, zog Aaron ab.
Doch als er seine Behausung erreichte, war er nicht in der Lage zu schlafen. Er setzte sich mit der angefangenen Weinflasche, die noch von seinem Mittagsimbiss auf dem Tisch stand, auf einen Stuhl, und verlor sich weinselig darin, die Sterne zu betrachten und poetische Fetzen von sich zu geben, an die er sich später nicht mehr erinnern konnte.
Irgendwann gegen halb drei fiel er ins Bett.
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Am nächsten Tag, dem siebenten, den er in dem Häuschen verbrachte, stand Aaron früh auf. Er ließ alles in der Behausung wie es war und bestieg sein Motorrad, um in den Hafen Sami zu fahren. Diesen Hafen steuerte die Fähre an, die zwischen Ithaka und Kefalonia hin- und herpendelt.
Wenn man an Deck dieser Fähren stand, den Blick in alle Richtungen frei, und an manchen Stellen anderen Inseln, an anderen das offene Meer erblickte, konnte man ahnen, was die ersten Seefahrer dazu getrieben hatte und wie sie sich gefühlt haben mussten, nur umgeben von Wasser und unerforschten Inseln voller Nahrung, Wasser und Schätze, zwischen denen man sich mit seinen vielrudrigen Schiffen praktisch uneingeschränkt und frei hindurchbewegte.
Aaron konnte nun auf mehrere, äußerst produktive Tage zurückblicken. Offensichtlich – und dafür empfand er nichts als ein ruhiges Gefühl der Dankbarkeit – hatte sein Plan, seiner Einsamkeit zu entfliehen und das Leben zu suchen, sehr gut funktioniert. Er hatte im Meer gebadet, war zwischen Olivenhainen hindurchgewandert und über Algenfelder hinweggeschwommen, hatte Gemüse, Wassermelonen, Fische und Meeresfrüchte genossen. Das war mehr als eine ruhige Umgebung, in der es sich arbeiten ließ, es war eine glückliche Umgebung – in der man leben wollte.
Aaron war nicht auf die Fähre gegangen, um diese Umgebung zu entfliehen, und er hatte die feste Absicht, dorthin zurückzukehren. Sein Ziel bestand nicht darin, irgendwohin zu gelangen, sondern in der Reise, in der Bewegung selbst. Es ging ihm darum, was er auf seinem Weg sehen und erleben würde, welchen Menschen, Schauspielen und Gedanken er begegnen würde!
Also stand er um 8:30 an Deck der Fähre nach der benachbarten Insel Ithaka, der kleinen und doch so berühmten. Er sah Kefalonia hinter sich schwinden, sah das tiefblaue Meer, das kaum von Gischt zerrissen wurde. Nur die vielen kleinen und größeren Schiffe hinterließen lange, helle Streifen auf dem Wasser. Wenn man ein anderes Schiff passierte, wurde es mit einem kurzen Stoß aus dem Nebelhorn begrüßt. Kannten sich die Kapitäne oder war das eine übliche Geste?
Schneller, als Aaron gedacht hätte, erreichte die Fähre jene kleine Insel, die vermutlich einmal Teil einer Formation gewesen war, die aus den Inseln bestanden hatte, die man heute Kefalonia und Ithaka nannte. Vor allem Ithaka war als die Heimat Odysseus berühmt geworden. Doch weder Schliemann noch anderen, die sich daran versucht hatten, war es gelungen den sagenhaften Palast, das Grab oder auch nur den Nachttopf des berühmten Helden ausfindig zu machen. Der einzige archäologische Fund, der überhaupt einen Hinweis enthielt, bestand in einer Münze, auf der man den Kopf des Helden sowie einen entsprechenden Schriftzug fand. Allerdings kamen bald Zweifel auf, ob die Münze nicht ein Werk aus späterer Zeit war. Außerdem war eine einzelne Münze, die von Natur aus eher weit durch die Welt reisen als am Ort ihrer Prägung zu verbleiben, kein wirklicher Beweis. Sie konnte ebensogut von einem Kaufmann, der sie auf der tatsächlichen Insel des Odysseus erhalten hatte, nach Ithaka gebracht und dort von ihm verloren worden sein.
Die Wissenschaft stritt also, wie sie es immer tut, mit vielen klugen Worten, Theorien und Beweisen hin und her, ohne zu einem endgültigen Ergebnis zu gelangen.
Nachdem die Fähre angelegt hatte, ging Aaron von Bord und fuhr davon, der einzigen, winzigen Straße folgend. Man war im kleinsten Hafen gelandet, den er jemals gesehen hatte, kaum mehr als ein winziges Häuschen, in dem man für die Fähre buchen konnte, ein winziger Steg und die Straße, die herausführte. Hier gab es nichts zu tun und nichts zu sehen.
Aaron fuhr einfach, hielt jedoch sofort an einem kleinen Laden, wo er Wasser kaufte.
Den Wert guten, sauberen, bestenfalls auch noch kühlen Wassers lernt man erst zu schätzen, wenn man in einer der griechischen vergleichbaren Hitze keines zur Verfügung hat. Besser als Kaffee, Cola oder alle Limonaden der Welt regt es die Lebensgeister an, wenn man wirklich dürstet.
Aaron hatte keinen Plan, wohin er fuhr, folgte einfach der Straße. Das taten alle Autos, die von der Fähre gekommen waren, daher konnte man sich nicht wirklich in Idylle wähnen, auch wenn die Insel gewaltige Panoramen bot.
Außerdem war sie grüner als Kefalonia. Es gab nicht nur Olivenbäume, auch Oleander und grüne Bäume gediehen. Das eher leblos wirkende Gestrüpp, das die Hänge der größeren Insel beherrschte, kam hier wenig vor.
Aaron wusst, dass diese Insel, stärker noch als Kefalonia, vom Tourismus lebte, davon auch reich gemacht wurde. Wohin man kam, sah man mietbare Häuschen, kleine Villen und Hotels. All die Yachten, Segelboote, Surfbretter und andere, nicht-kommerzielle Wasserfahrzeuge verrieten, welche Mengen von Urlaubern sich irgendwo verbergen musste.
Vathy, die Hauptstadt, verdient immerhin die Bezeichnung »Stadt«, vor allem in Anbetracht der Größe der Insel – oder sollte man besser sagen, der »Kleine«?
Es liegt nicht an der reinen Einwohnerzahl, die sicher lächerlich erscheinen würde, würde man sie vor sich sehen, sondern daran, dass es Geschäfte, Restaurants, Verkehr und alles weitere gibt. Dort leben die Menschen nicht einfach nur, dort findet etwas statt, dort geschieht etwas, anders als in vergleichbaren »Städten«, die letztlich nur größere Dörfer sind, in denen ein bisschen Schund und Tand für die Touristen angeboten wird!
Außerdem handelt es sich bei Vathy um einen der größten natürlichen Häfen der Welt, eine Eigenschaft des Ortes, den bereits die Venezianer erkannt haben, von denen die Stadt gegründet worden ist.
Diese Stadt war es, in die Aaron gelangte, nachdem er einige Zeit gefahren war und die prächtige Panoramen genossen hatte, die überall auf der Insel zu bewundern waren. Er folgte dem stetig dahinfließendem Verkehr bis zu einem Parkplatz, verließ die Straße und stellte sein leichtes Motorrad ab. Er sah auf die Uhr, es war schon fast zehn, und er hatte noch nicht gefrühstückt. Also nahm er in einem der vielen Kaffees Platz und bestellte griechischen Salat, eine Speise, die durch den großzüzigen Einsatz von Olivenöl einen nicht zu unterschätzenden Nährwert erhält, dazu Brot, Wasser und Kaffee.
Während man seine Bestellungen der Küche zutrug, lehnte sich Aaron zurück, betrachtete das paradisisch hellblaue Wasser und stopfte nachdenklich seine Pfeife. Das Reich Poseidons, dem Iuppiter, der Herr aller Menschen und Götter, die Farbe seines eigenen Herrschaftsgebietes verliehen hatte, erstreckte sich vor ihm, erfreute sein Auge.
Irgendwo hier, in der Umgebung weniger Kilometer, ganz gleich, ob auf Kefalonia oder Ithaka, musste jene Bucht liegen, aus der Odysseus, dem zornigen Ruf des betrogenen und beraubten Menelaus folgend, vor einem Äon seine roten Schiffe gen Sparta und später gen Troia geführt hatte, geleitet von Athenes klugem Geist und von Zeus schützender Hand behütet, um schließlich den Sieg über die Stadt des Priamos zu erringen, Aeneas auf seine Irrfahrt zu senden, der Rom gründen sollte, sodass der griechische Geist zunächst in ganz Europa und später in der ganzen Welt verbreitet werden sollte.
Irgendwo hier hatte Odysseus sein Schiff bestiegen, um als Werkzeug der Götter die Welt zu verändern. Irgendwo hier lag der Ort, an dem der kleine Stein in Bewegung geraten war, der die Lawine entfesselt hatte, die bis heute über die Welt hinwegdonnerte. Irgendwo hier hatten alte, halb vergessene Götter auf der Höhe ihres Glanzes das Schicksal einer ganzen Welt determiniert.
Aarons Frühstück wurde gebracht, er machte sich hungrig darüber her.
Nachdem er ausgiebig gegessen und getrunken hatte, beglich er sie Rechnung und machte sich wieder auf den Weg zu seinem Motorrad. In den Gassen, zwischen den Touristenläden zu flanieren, reizte ihn nicht. Also wählte er eine Straße und gelangte in den nördlichen Teil der Insel, auf dem sich der hohe Berg Neritos erhebt.
Natürlich ließ er es sich nicht nehmen, einen der kleinen, nicht ganz offiziellen Wege hinaufzufahren, doch er musste bald anhalten. Trotzdem war der Blick über die Insel und das Meer beeindruckend, er konnte sogar die Bucht von Vathy in der Ferne sehen.
Als er so die ganze Insel überblicken konnte, kam ihm ein Gedicht in den Sinn, das ihm vor ein oder zwei Tagen in die Hände gefallen war, als er – teils aus Langeweile, teils aus echtem Interesse – den Bruchteil seiner lyrischen Privatsammlung, den er bei sich hatte, nach dem Stichwort »Ithaka« durchforstet hatte. Es handelte sich um ein Werk Kafavis. Seltsamerweise waren ihm nur Anfang und Ende im Gedächtnis geblieben:
Ithaka
wenn Du Dich nach Ithaka aufmachst,
hoffe, dass dein Weg lang ist,
voll von Abenteuer und Entdeckung.
Laistrygonier, Zyklopen,
der wütende Poseidon, fürchte sie nicht:
auf deinem Weg wirst du niemals Dinge wie sie finden,
solange du dir den Hochflug deiner Gedanken erhältst
und solange rare Begeisterung deinen Geist und deinen Körper aufwühlt.
Das Ende lautet so:
Aber beeile dich nicht mit der Reise.
Besser, sie dauert Jahre,
sodass du alt bist, wenn du die Insel erreichst,
reich beladen mit all dem, was du unterwegs gewannst,
statt in der Hoffnung, Ithaka mache dich reich.
Ithaka gab dir die prächtige Reise.
Ohne sie hätt'st du dich nie aufgemacht.
Nichts blieb ihr, was sie dir jetzt geben könnte.
Als er dort stand, über der Welt, über der Insel, am höchsten Punkt, den er zu erreichen gedachte, der ihn weit in die Ferne sehen ließ, war ihm, als erfülle sich die ganze Prophezeiung des Dichter in diesem Moment.
Er hatte nach Griechenland kommen wollen, zu der Quelle der europäischen Kraft, die ihre Kultur, Wissenschaft, Ideologie, all ihre Größe und Laster verursacht hatte, um seinen Erbteil einzufordern. Diesen Schatz, dieses letzte Ziel hatte er stest im Blick behalten, und nun, da diese Reise am Ende angekommen war, – und das fühlte er in jenem Moment – musste er erkennen, dass der ganze Reichtum, den er erlangt hatte, derjenige war, den er auf seinem Weg erworben hatte! Jede Erfahrung, jeder Tropfen der schöpferischen Milch, seine innerliche Vollendung und die Geburt dessen, das man später vielleicht als seine »letzte Schaffensperiode« bezeichnen würde: All das war der Schatz! Das war sein Erbe!
Das war es, aus dem er Neues schaffen musste, über mehr würde er niemals verfügen, mehr würde ihm nicht zuteil werden - sofern er es nicht selbst schuf.
Nach einer Weile wurde es ihm zu heiß an dem Hang, also stieg er auf sein Motorrad und fuhr wieder zur Straße.
Seine Reise nach Ithaka war vorbei.
THE END
Texte: Immanuel Silverstone
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für die Muse...