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Es stank, nicht abscheulich, eigentlich so wie immer. Städte hatten das absolute Privileg zu stinken, vollgesogen zu sein mit übel riechenden Gerüchen, die ein schwarzes Pest Tuch formten und in schwarzer Manier alles umhüllten. Es war normal dass neben einem neugeborgenen Kind eine langsam vermodernde Leiche lag und mit toten Augen dem Kleinen entgegen sah. Hier in der Hauptstadt war es normal, dass die Reichen und Noblen alles besaßen, während die Armen und Toten noch nicht mal das Recht auf Leben in ihren Besitz nehmen konnten. Denn über allem, über Adel und den amtierenden Fürsten standen einzig und allein die ach so tollen, übermächtigen Zauberer.
Wer zu ihnen gehörte besaß einen unverrückbaren Stand. Gut, manchmal bekam man den Titel verliehen „schlechtester Zauberer weltweit“, doch man besaß wenigstens dies. Die Zauberer wandelten nur untereinander, sie krochen nur selten aus ihrer Universität hervor – viele glaubten, dass es noch nicht mal im Entferntesten etwas mit einer Universität zu tun hatte, doch kein magiebegabter Stadtbewohner durfte durch die mächtigen Tore treten und mehr herausfinden.
Doch es gab jemanden, der zwischen alten Betonhäusern, Tonnen von Müll und in einem verdreckten und ominösen Hinterhof wohnte. Einst hatte man ihm den Titel des schlechtesten Zauberers verliehen, doch was in Wahrheit dazu führte, dass jener jemand aus den heiligen Reihen der Zauberer geschmissen worden war, wusste selbst der neue Direktor der Zauberuniversität nicht. Einzig der ausgestoßene Zauberer kannte das Geheimnis und interessierte sich recht wenig dafür. Wozu sollte er sich mit der Vergangenheit beschäftigen, wenn er ebenso gut an sich selbst denken konnte?
Nun niemand hätte jemals geahnt, dass der Verstoßene auch einen anderen Titel trug: der Schattenmagier. Er war einst ein hochrangiger Adelsmann gewesen, doch es scherte ihn recht wenig, genauso wie es an ihm vorüberzog, dass seine Wohnung alle auftretenden Spezies vereinte, die seine Welt beherbergte. Trolle prügelten sich ohne Gnade in seinem Flur, Zwerge schliefen in seinem Waschbecken, Gnome hingen schnarchend von seinen Deckenleuchtern, Werwölfe heulten vor seiner Türe, Golems standen starr in seinem zertrümmerten Bett und er selbst lag neben einem aufgestapelten Kunstwerk aus leeren Flaschen mit Wilmas Fusel und hielt festumklammert eine halb zertrümmerte Schnapsflasche, während ihn die ersten Schläge der Nüchternheit mit voller Wucht trafen.
Stöhnend drehte er den Kopf und roch die Dämpfe entleerten Mageninhalts. Langsam öffnete er seine verklebten Augen und fragte sich woher die grellen Lichtstrahlen kamen und warum sie sich erdreisteten ein Orchester von Agonie hinter seiner Stirn auftreten zu lassen.
Er hasste es nüchtern zu sein. Alles wirkte grauer und hässlicher als vorher. Im betrunkenen Zustand konnte man wenigstens alles auf ein Minimum ausblenden und sich auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren, wie zum Beispiel einer Trollfaust auszuweichen um seinen Schnaps vor der sinnlosen Zertrümmerung zu retten. Nüchtern zu sein bedeutete die Schmerzen der versoffenen Tage mit voller Wucht zu spüren.
Grummelnd kam er schwankend auf die Knie, bemerkte erneut, wie die gemeinen Tierchen namens Nüchternheit seinem angetrunkenen Gleichgewicht den Boden unter den Füßen entrissen. Scheiße

. Dann kippte er mit einem dumpfen Laut zurück.
Irgendwo in seinem Flur erklang ein gedämpftes Grollen, als würden Steinbrocken in ein tiefes Loch ausgestopft mit Watte fallen, anschließend krachte es und ein schwankender Troll im Flur hob triumphierend die Faust, während sein Gegner der Müdigkeit erlegen war und umkippte. Noch während der Sieger lachte, rutschte diesem der Boden weg und er selbst lag in der Horizontalen.
In der Küche klirrte es, als ein Gnom vor Schreck und katerhaften Kopfschmerzen von einem Leuchter viel und einen Turm aufgestapelter Bierdosen zertrümmerte. Irgendwo in einem Raum, wo anscheinend die Wäsche gewaschen wurde, gurgelte ein Zwerg missmutig, wälzte sich im verschmutzten Wäschekorb auf die andere Seite und entließ rosafarbene Seifenblasen aus seinem Mund. Neben seinem Kopf lag ein zerbeulter Kanister auf dem in industriellen Buchstaben zu lesen war: Meister Humbulds Scheuerseife – wird mit jedem Schmutz fertig.


Und dann geschah etwas, was man nach einem durchzechten Tag und einer ebenso volltrunkenen Nacht nicht erleben möchte, vor allem dann nicht, wenn der Kater wild entschlossen hinter der Schädelplatte Aufstellung nahm und langsam seinen Pickhammer hob: ein Werwolf, der sich im Schlafzimmer verirrt hatte, stieß gegen einen da stehenden Golem und brachte diesem zum wanken. Was dann geschah könnte man als Todesmarsch jeder schnarchenden Schnapsleiche bezeichnen. Denn der unglückliche Golem schlug gegen eine Triade bereits gespannter Wecker und ließ die bösen Höllenhunde auf einmal los. Sirenen laut schallender Weckrufe rüttelten jedes Lebewesen und sogar die Untoten aus dem tiefen und gerechten Schlummer eines Besoffenen.
Ein Schrillen ertönte und folgte seinem unbeugsamen Weg durchs Schlafzimmer in die letzten Winkel des Hauses. Es krachte als die Gnome, wie ein einziger Regen von jeglichen Anhöhen fielen. Es brüllte, als die Zwerge kampfbereit aufsprangen und allerhand Dinge umschmissen und zertrümmerten. Es jaulte als jeder im Umkreis befindende Werwolf davon jagte. Und ein einziger Mensch stöhnte schmerzerfüllt auf, als ein hastig springender Troll über ihn stolperte und ihn fast unter sich zermalmte.
„Morgen Jörek.“ Keuchte Vendelog van Kerningen.
Besagter Troll namens Jörek gab ein Geräusch von sich wie fallendes Geröll und bewegte sich nicht mehr.
Vendelog versuchte seinen eingeklemmten Arm freizubekommen, doch manch einer unterschätzte das Kampfgewicht eines ausgewachsenen Trolls wie Jörek es einer war.
Irgendwo, unter einem Haufen schmutzigen Geschirrs erklang ein heller Ton, als würde ein kleines Glöckchen die Anfangstakte eines Jammermarsches anstimmen. Feines Licht schimmerte unstet, ähnlich wie eine Lampe vor dem endgültigen Kurzschlusskollaps, bevor ein zartes aber durchaus als zornig klingendes Stimmchen erklang und ein verkrusteter Suppentopf langsam in Bewegung kam.
Jörek indessen schien tief in den Sümpfen des Schlafes festzustecken, denn aus seiner Kehle entschlüpfte schnarchende Geräusche. Eigentlich konnte man diese eher mit dem Klang assoziieren der eine Kettensäge verursacht, wenn sie an dem Massiv eines Gebirges kaute.
Vendelog knirschte mit den Zähnen, als er einen erneuten Versuch startete Jörek von sich zu schieben. Genauso gut hätte er versuchen können die urbane Kathedrale von der Stadtmitte ans östliche Ende zu schieben.
Es klapperte und ein Klirren zerschnitt das Chaos aufgewachter Trunkenbolde, erreichte Vendelogs Ohr und er schloss stöhnend die Augen. Ein helles Leuchten schwirrte im Zickzackkurs auf ihn zu, beziehungsweise auf Jörek, da dieser ihn vollkommen verdeckte.

Impressum

Texte: die Geschichte und die vorkommenden Figuren gehören mir, einzig das Titelbild nicht.
Tag der Veröffentlichung: 05.06.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Hannah

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