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Prolog



Das schleichende Morgenlicht versuchte mit geradezu sanften Fingern Einlass in sein Reich zu erlangen. Doch die kalte Finsternis, die mit lauernden Pulsschlägen durch seine Adern floss, schrie in ärgerlicher Pein auf, als die ersten brennenden Strahlen auf ihn fielen. Das Licht brachte seine Haut zum Flackern, warf Blasen und fraß sich mit unsagbarer Gleichgültigkeit in sein Fleisch, riss es auf und verbrannte es.
Knurrend fuhr er zurück und betrachtete mit finsterem Gesicht, wie sich seine Haut langsam zusammenzog und schwarzes Blut aus den aufgeplatzten Hautfetzen quoll. Ein Ausdruck tiefen Verachtens und abgründiger Hass huschte über sein Gesicht. Sein Blick wurde vom nahenden Licht angezogen. Er konnte nicht anders. Betrachtete mit verzehrender Sehnsucht die hellen Flecken auf dem schwarzen Gestein, das hart und kalt sein derzeitiges Heim regierte. Durch seinen Blick hindurch starrte seine blanke Seele auf jenen warmen Fleck, der so viele Erinnerungen in sich trug, die mit leisen, kaum wahrnehmbaren Stimmen, flüsternd nach ihm riefen. Ihm von langvergessenen Dingen erzählten, ihm vertraute Bilder zeigen wollten, die vom Nebel der Zeit fast vollkommen verschlungen waren, deren einstige, so deutlich erscheinende Farben, plötzlich von der Säure des ewigen Vergessens durchlöchert waren, ausgebleicht wurden von seiner eigenen Angst, die Wahrheit nicht ertragen zu können. Ein einzelner, harmloser Flecken Morgenlicht, der Dinge in ihm erweckte, die er längst verloren geglaubt hatte. Ein letzter Hauch von etwas menschlichem, eine Art früherem Bewusstseins stemmte sich gegen all den Hass, die Abscheu und eine wogenden Dunkelheit, die sich in seinem Inneren, wie ein dunkler, unergründlicher See ausgebreitet hatte. Ein einsamer Versuch seines verlorenen Ichs, wieder an die Oberfläche jenes Sees zu stoßen, sich aus dem schweren Gewässer zu erheben um endlich wieder den Himmel zu erblicken, der sich in düsterer Dämmerung über den schwarz anmutenden Wellen erhob.
Langsam kroch das Sonnenlicht näher zu ihm.
Er spürte, wie etwas altes, lang verdrängtes, sich gegen sein Gefängnis stemmte, verzweifelt brüllend nach einer Freiheit verlangte, die er nicht gewollt war kampflos herzu geben. Er hatte sich selbst in eine Kammer seiner Seele eingesperrt – nein, nicht sich selbst, sondern einen Teil von ihm, aus Schutz vor der ewig wütenden Finsternis in seinem Inneren. Ein bitterer Zug umspielte hart seinen Mund. In jenen kurzen Augenblicken, in denen ein solcher Lichtmoment seinen Verstand aufhellte, drohte er im Sumpf des Selbsthasses zu ertrinken. Er konnte spüren, wie unsichtbare, kalte Hände ihn tiefer hinab zogen, in eine Welt, die aus einer Düsternis bestand, die grausamer und einsamer war, als jene Leere in seiner Seele, die er empfand, wenn ein Lichtmoment vorbei war. Und dennoch sehnte er sich jeden Augenblick danach, in dem er für einen winzigen Moment inne hielt. Seine Gedanken abschweiften und er von seinem Vorhaben kurz, für einen winzigen Wimpernschlag, abgehalten wurde. Dann konnte er fühlen, wie er in eine Welt hinab glitt, die unbeschreiblich süßer und zugleich schmerzhafter war, als er ertragen konnte. Eine süße Pein, die mit ihren feingliedrigen Fingern über seine Haut zu kratzen schien, unsichtbare Narben hinterließ, die er nachts in seiner endlosen Einsamkeit als dumpfes Brennen wahrnahm. Eine Zeichnung jener Vergangenheit, die so unendlich weit hinter ihm lag, dass es ihn vor Bitterkeit schüttelte, sobald eine hauchzarte Ahnung seinen dunklen Verstand berührte. Er war nur ein Gefangener, der auf dem schmalen Grat zwischen Wahnsinn und Verstand wandelte und bei jedem weiteren Schritt, den er tat, spürte er, wie er sich dem Chaos des Wahns zuwandte, um nicht mehr im hellen, den Geist blendenden Lichtes der Klarheit zu stehen, wo er jeden Makel seiner Seele deutlich sehen konnte. Er verschloss sich davor und fristete ein einsames Leben eines Unfreien, eines Wesens, dass weniger Wert war als ein Sklave. Er lebte in der traurigen Existenz eines Verdammten.
Bitter schnaubte er. Der helle Fleck warmen Lichtes breitete sich, wie ein harmlos aussehende Pfütze in seinem Verließ aus. Schien unschuldig zu lächeln, obwohl es sein tödliches Verderben war.
Als er einen weiteren Schritt zurück wich, riss ihn ein leises, metallisch klingendes Rascheln aus seinen Gedanken. Mit leerem Blick sah er auf die eisernen Fesseln, die doppelt so breit waren, wie ein stämmiger Mann. Ihr schwarzes Silber glänzte matt im Licht, erinnerten ihn, dass er einst an ihnen gefesselt war. Die bedrohlichen Dornen an der Innenseite der Kette, erzählten in ihrer misstönenden, krächzenden Sprache von den Narben in seinem Fleisch. Doch das war ihm egal. Seine Gefangenschaft war vorbei und mit ihr würde auch das Ende des ältesten Wesens in seiner Welt eingeläutet werden. Er würde seinen alten Lehrmeister vernichten, ihn töten um endgültig seinem derzeitigen Sein zu entfliehen, denn sobald er jene allmächtige Kraft in sich trug, konnte selbst sein alter Herr und Meister nichts mehr gegen ihn ausrichten.
Ein letztes Mal zuckten seine Augen rüber auf den sich ausbreitenden Lichtfleck, dann hefteten sie sich auf eine dunkle Ecke in seiner Zelle. Ein grausames Lächeln umspielte seinen Mund, als er sich der lodernden Finsternis näherte, die von jenem Punkt seines Verlieses ausging. Sich in einem einzigen Punkt zu bündeln schien. Brodelnder Hass, übermenschliche Grausamkeit und andauernde Finsternis. Alles Unreine, wie jedes Wesen es bezeichnen wollte, jegliches Böse, dass es in der Welt gab, bündelte sich zu einer einzigen Quelle. Eine Quelle, die niemals versiegen würde.
Langsam ging er in die Hocke, hinter ihm raschelten erneut die Ketten, doch diesmal hörte er eine stumme Angst, die lautlos ihn anschrie, die im Inneren des Metalls verankert war und nun sich dort hinein zu fressen begann, wie tödliche Säure. Kurz zuckte es um seine Mundwinkel, bevor er andächtig mit den Fingern über die gebündelte Dunkelheit strich. Ja, bald brauchte er sich nicht mehr zu Verstecken. Bald würde er alles Licht hinter dem ewig währenden Schleier der Nacht verbergen und dann würde er aus den dunklen Klüften der Nacht emporsteigen und wieder auf Erden wandeln.
Bald würde er dem Wahnsinn entkommen, der sich in seinen Gliedern ausbreitete, wie eine übelriechende, unaufhaltsame Krankheit.
Bald würde er Linderung von seinem unbändigen Hass bekommen, wenn sein ehemaliger Meister tot war, nicht mehr existierte.
Ein wahnsinnig anmutendes Lachen entstieg seiner Kehle, brandete über seine Lippen hinweg und erschütterte das alte Gestein, flog mit rascher Grausamkeit gen Himmel und ließ den Wind, der seinen Weg kreuzte erzittern.
Schon bald existierte nur noch eines auf der Welt: die Dunkelheit.


1


Die Gladiatorenmeile



Es war still in seiner Kammer. Das Himmelslicht, welches mit matter Kraft zu ihm herüber kroch, wurde mit jeder verstrichenen Stunde trüber. Die einstige Stärke der sonnigen Strahlen begann zu erlöschen, wie eine Kerze im Wind, die sich vergeblich gegen einen tobenden Sturm zu wehren versuchte. Es würde bei jenem schwachen Versuch bleiben, denn er fürchtete sich vor jenem Tage, an dem es stumpf und gebrochen durch eine düstere Nacht schien. Und dennoch wagte er zu hoffen, dass jenes drohende Unheil, vom Sturme der Zeit vertrieben oder von den Händen des ungewissen Schicksals zerrissen werden würde. Der steinerne Thron wurde vom Licht hauchzart liebkost, ehe es endgültig in der Finsternis des Turmes verschwand.
Er konnte die wehklagenden Stimmen jener hören, die es nicht wagten über die Schwelle zu treten, um in eine andere Welt einzutauchen, sich nicht trauten ihrem alten Leben zu entsagen – und er konnte sie verstehen. Müde schloss der Tod die Augen und wartete. Er wartete auf den Moment, in dem ihm die Ewigkeit seines Seins aus den Händen entglitt. Lauschte tief in das brodelnde Leben der Welt und sog mit tausenden Lebewesen gleichzeitig tief die lebenspendende Luft in seine Lungen, mit dem stetigen Wissen, es nicht wirklich tun zu müssen. Und dennoch tat er es, aus Achtung und Demut vor jenem, was er nie besitzen konnte.
Dem Leben




Wie eine stolze, berechnende Kreatur, die ihre steinernen Flanken gen Himmel richtete, sich einer gleißenden Sonne entgegenstreckte mit einer eigenartigen Sehnsucht im Blick; das helle Gestein, das zugleich Knochen, Fleisch und Haut jener Kreatur bildete, schimmerte matt unter der Hitze eines weiteren Tages inmitten der Wüste. Die Arena, das steinerne Herz der Kämpfermeile, war ein imposantes und beeindruckendes Gemäuer. Jedes Stockwerk war auf starken Säulen errichtet worden, jede ein einzelnes Unikat. Keine Säule glich der anderen, obwohl sie in jedem Stockwerk sich ähnelten, unterschieden sie sich. Verzierungen von Kriegern oder ehrwürdigen Helden vergangener Tage, erzählten ihre eigene Geschichte in stummer Bildersprache. Ornamente überzogen, wie ein zierendes Schmuckstück die Zwischenräume. Kein Gang, der zu den Zuschauerplätzen führte war gleich. Das Crossù, wie es vom Wüstenvolk genannt wurde, jene Kreatur, die mit einer seltsam anmutenden Sehnsucht zum endlosen Horizont zu starren schien, war der Schauplatz von atemberaubenden Hetzjagten, spannenden Kämpfen und manchmal auch ein Ort, an dem die Gesetzesbrecher hingerichtet wurden. Es war Schauplatz für die Unterhaltung und zugleich Abschreckung für die Bewohner, die im Reich des Sandfürsten lebten. Ein Ort an dem Achtung und Hass aufeinanderprallten und sich verbanden. Widersprüche vermischten sich und wurden zu etwas Neuem.
Der runde Bau beschattete die vereinzelten Marktstände, die sich wie eine verängstigte Schar Mäuse an seinem Fuß zusammenkauerten. Im Inneren des Crossù führten hunderte von Gängen in die Tiefen des Erdreiches, wo sie sich einem komplizierten Labyrinth gleich öffneten und jeden in die Irre führten, der sich dort nicht auskannte. Es waren die Adern und Venen der steinernen Kreatur, die sich wie ein Wurzelgeflecht in den Sand gruben. Von außen nicht erkennbar, in vollkommener Heimlichkeit pulsierte dort eine andere Art von Leben. Tief unter den Zuschauerrängen, die sich in einem weitläufigen Kreis unter dem Wüstenhimmel öffnete, versteckt, führten die Gänge der Krieger oder die letzten Wege der Verurteilten, Sklaven und all jene, die an diesem Ort ihr Leben ließen. Ein Geflecht aus ausgebleichten Ästen schützte die Besucher des Crossù vor der brodelnden Hitze. Es spannte sich, wie eine zweite, dünnere Hautschicht über der entblößten Mitte der Arena, die völlig nackt den Sonnenstrahlen ausgeliefert war. Der helle Sand war an manchen Stellen dunkelrot bis schwarz verfärbt, durch das viele längst verronnene Blut von Tier und Mensch.
An diesem Tag schienen die steinernen Tribünen unter der Masse der Zuschauer zu ächzen. Ein brummendes Gewühl aus Körpern, die sich unter weiten Umhängen vor den Sonnenstrahlen verbargen, bevölkerte die weitläufigen Sitztreppen. Angespannte Rufe erschallten laut über den Köpfen der Besucher, waren an die verzweifelten Sklaven in der Mitte der Arena gerichtet. Die Luft flirrte wegen der ausgestrahlten Wärme der Körper, die jede Bewegung gespannt und mit mordlüsternem Genuss verfolgten, die sich im blutverdreckten Sand in der Mitte des Crossù ergab. Die Luft war angefüllt von einem stetigen Brummen. Das Geschwätz der Masse brachte die Atmosphäre zum Vibrieren.
Sklaven wurden von wilden, exotischen Tieren verfolgt, die ihren animalischen Trieb des Hungers freien Lauf ließen und mit blutiger Zielgenauigkeit ihre Beute zu Boden rissen. Da die ehemaligen stolzen Tiere in ihren Käfigen ausgehungert wurden, um sie so auf die Hetzjagd vorzubereiten, hatten selbst die gewitzten Sklaven keine Chance ihnen zu entkommen und so ihre ersehnte Freiheit jemals erhalten zu können. Es war ein perfides Spiel der Grausamkeit, das der Sandfürst mit jenen Sklaven spielte, die sich nach ihrer Freiheit sehnten. Es waren nur wenige, die je ein solches Blutspiel überlebt hatten und selbst danach, waren sie keine Freien, sondern einsame Krüppel, die ihrem Schicksal überlassen wurden, sobald sie durch die Tore in die Wüste getrieben wurden. Nur selten fand man sich als wirklich freies Wesen wieder und noch seltener wurde man von der Umwelt aufgenommen.
Die meisten freien Sklaven kamen dorthin zurück, wo sie mit ihrem Blut ihre Freiheit erkämpft hatten: ins Crossù. Dort wurden sie zu Gladiatoren, die in einem Schaukampf die erhitzten Gemüter der Zuschauer anfochten. Es war ein beständiger Kreislauf, der jeden dazu zwang hierher zurückzukommen, sich den Klauen der steinernen Bestie zu übergeben, um in ihrem erdigen Schoß zu fallen.
Man konnte die verzweifelten Schreie hören, wie sie sich ins steinerne Mark der Arena gruben und von den Wänden wiederhallten. Es waren keine menschlichen Laute mehr, die in den letzten qualvollen Stunden der Sklaven über die Lippen kamen. Es waren entsetzliche Laute, die etwas in sich trugen, das jedem Menschen, der aus dem Massenwahn der Zuschauer gerissen wurde, durch Mark und Bein ging und ihn in seinen Grundfesten erschütterte. Und dennoch kamen jeden Tag aufs Neue Besucher, die sich mit tiefverwurzelter Lust auf Blut danach verzehrten, neue Wesen zu sehen, die sich gegenseitig umbrachten, die sich am Anblick des roten Tods ergötzten.
Eine vereinzelte Gestalt schälte sich aus dem aufgewirbelten Staub vor der Arena, schritt mit gefährlicher Gemütlichkeit auf einen im Schatten verborgenen Eingang zu. Unter dem dunklen Mantel blitzten kurz zwei funkelnde Augen auf, ehe sie von der Kapuze verdeckt wurden. Eiligst ging der junge Mann, der gerade mal vierundzwanzig Winter erlebt hatte auf den kühlen Schatten des Crossù zu. Er hörte die empörten Rufe der Zuschauer, als ein Sklave den Reißzähnen einer schwarzen Bestie entkommen konnte, um wenige Sekunden später von einem weißen Bären zerfleischt zu werden. Die Rufe wandelten sich und wurden zu einem erfreuten Klatschen. Dem Bär wurde applaudiert, Lobesrufe schallten laut von dem Gemäuer wieder. Schaudernd wurde er langsamer, blickte kurz an der Außenmauer der Arena empor und schüttelte bedauernd den Kopf. Er verstand diese Gier auf Tod nicht, konnte sie in keiner Weise nachempfinden.
Er achtete die Kämpfe und bestritt selbst einige von ihnen, doch die bestialischen Hetzjagten sagten ihm nicht zu. Er verabscheute jene Menschen, die mit ruhigem Gemüt zuschauen konnten, wie wehrlose Sklaven zerfleischt wurden. Erneut schüttelte er den Kopf. Die grauenhaften Geräusche, die über die Mauern zu ihm vom Wind hergetrieben wurden, blendete er aus. Er kannte sie, waren sie ihm doch vertraut. Sie wurden zu einem ständigen Begleiter in seinem Leben, seit er hierher kam, fernab von seiner einstigen Heimat.
Er war bereits schon zu spät und hatte die ersten Gladiatorenkämpfe verpasst. Sobald er in der Kühle des Schattens getreten war, schob er die Kapuze zurück und schaute abwartend über die Schulter. Als er keine verdächtig anmutenden Bewegungen im Sand ausmachen konnte, schlüpfte er durch die angelehnte, vom Sand und der Sonne ausgebleichte Tür hindurch und tauchte in eine Welt ein, die aus trübem Dämmerlicht zu bestehen schien. Vereinzelte Fackeln erleuchteten mit ihren zuckenden Flammen den Gang, der sich in einiger Ferne in verschiedene Richtungen gabelte. Ein stummes Echo von weiteren Fackeln war in den entfernten Gängen wahrzunehmen.
Einen kurzen Augenblick verweilte sein Blick an einem unruhig tänzelnden Schatten an der Mauer, ehe er sich dem Gang zuwendete.
Durch den Sandstein herrschte hier ein angenehmes Klima, das mit beruhigenden Fingern über seine erhitzte Haut strich. Rasch hatte er sich seines Mantels entledigt und ließ ihn locker über seine Armbeuge baumeln. Mit schlafwandlerischer Zielstrebigkeit bog er an der Gabelung in einen spärlich beleuchteten Gang, folgte diesem und versuchte eine altbekannte, nervös zitternde Aufregung in einen letzten Winkel seines Verstandes zu drängen. An einer weiteren Gabelung, verschmolz er mit einem weiteren, kaum erhellten Gang. Der Boden knirschte leise unter seinen Schritten. Er konnte die vereinzelten, ihm vertrauten Unebenheiten unter seinen Sohlen spüren. Ein Lächeln umspielte seine Lippen und ein funkelndes Blitzen ließ seine blaugrünen Augen leuchten. Er konnte sich gut an das erste Mal erinnern als er mit klopfenden Herzen durch die unterirdischen Gänge geführt wurde. Er hatte damals nicht genug Geld verdient um als Bauer die Steuern ausreichend zu bezahlen und so kam er dazu sich zusätzlich Geld auf der Kämpfermeile zu verdienen.
Sein rotblondes Haar hatte er zu einem Zopf nach hinten gebunden, denn sonst würde es ihm nur im Kampf stören, wenn es in seine Sicht fiel. Er hatte diesen Fehler einmal begannen und ihn mit einer tiefen Wunde bezahlt. Unbewusst glitt seine Hand an jene Stelle unterhalb der Schulter, wo sich eine gezackte Narbe befand, verdeckt durch das einfache Leinen, dass ein Bauer in dieser Gegend trug. Vor einigen Jahren hätte er niemals geglaubt in jenen Genuss der Einfachheit zu kommen. Er schüttelte den Kopf. Nein, damals als er noch kein einfacher Bauer gewesen war, hatte man ihm jegliche Bescheidenheit vergönnt. Erneut fuhr seine Hand zu seiner Narbe zurück. Strich sacht darüber, als versuche sie somit die Vergangenheit von ihm zu streifen. Doch egal wie sehr er sich wünschte in Frieden gegangen zu sein, umso stärker und unverrückbar war die Erkenntnis in seinem Inneren, dass dies nie der Fall gewesen wäre, egal wie sehr er sich dafür angestrengt hätte. Das Lächeln erstarb.
Mit einem missmutigen Zug um den Mund stieg er eine Treppe hinab, die vor einem schmalen Korridor endete. Vereinzeltes Stöhnen und ein gequälter, halb unterdrückter Aufschrei drang an seine Ohren, während er auf den Torbogen zuhielt, der sich am Ende des Korridors drohend erhob und aus dem Gestein geradezu herauswachste. Zwei gehörnte Ochsen starrten ihn aus leeren Steinaugen entgegen. Hinter dem Torbogen konnte er im Feuerschein vereinzelter Fackeln und Feuerschalen geschäftige Bewegungen erkennen. Seine Schritte wurden langsamer. Bevor er jedoch den Torbogen passieren konnte, wurde dieser von einer großen Gestalt fast komplett ausgefüllt. Für einen winzigen Augenblick verschwand das Licht und er fand sich in völliger Dunkelheit wieder. Er hob den Blick und sah nach oben.
Der dunkelhäutige Riese betrachtete ihn ausdruckslos aus hellen Augen. Die dunklen Brauen schoben sich unheilvoll zusammen und eine steile Falte erschien zwischen ihnen, die den weißen Punkt, der den Mann vor ihm als ehemaliger Sklave kennzeichnete, wie einen Blitz zu durchtrennen schien. Ohne ihm Platz zu machen musterte er ihn. Verzog kurz, für wenige Augenblicke die breiten Lippen, ehe sie wieder kalt und unbewegt waren.
„Du bist zu spät.“, meinte er und seine dunkle Stimme hallte von den Wänden zurück.
„Womöglich, Gaûl.“, sagte er und wollte an dem Dunkelhäutigen vorbei. Doch dieser schüttelte nur den Kopf. Legte eine große Hand freundschaftlich auf die Schulter des jungen Mannes und hinderte ihn sanft aber bestimmt durch das Tor zu schreiten.
„Gahlik ist hier.“, Gaûl sah ihn durchdringend an. Schien seine Reaktion abzuwarten. Schwer lag der Blick aus hellgrauen Augen auf ihm.
Gahlik könnte man als ewigen Rivalen bezeichnen, doch die Worte Ehre und Aufrichtigkeit schienen aus seinem Gedächtnis verbannt worden oder von einer undurchdringbaren Mauer umgeben zu sein. Denn er schien sie entweder nicht zu kennen oder mit Gewissheit zu verdrängen. Gahlik war ein guter Kämpfer, daran Zweifelte niemand, der jemals gegen ihn gekämpft hatte. Doch obwohl er ein guter Kämpfer war, verließ er sich lieber auf einen Sieg, der auf dem Gerüst des Betrugs aufgebaut wurde. Und falls er trotz seiner Gerissenheit und Verschlagenheit am Verlieren war, so bestand die Gefahr, dass jene bedeutsame Regel, die hier zwischen den Kämpfern herrschte, ignoriert wurde und Gahlik seinen Gegner mit einem versehentlichen Schlag tötete. Unter den Reihen der Gladiatoren war es verboten seinen Gegner zu töten, denn freiwillige, gute Krieger waren so selten, wie ein fruchtbarer Regen im Herzen der Wüste.
„Dann sollte ich mich wohl darauf vorbereiten, dass irgendwo zwischen meinen Sachen eine Schlange oder anderes giftspeiendes Getier auf mich wartet.“, er schob die Hand beiseite, bedeutete Gaûl mit einer Kopfbewegung ihm Platz zu machen und trat auf ihn zu.
„Du bist ein starrsinniger Narr, Thôrin aus dem Norden.“ Sprach dieser mit belegter Stimme, ehe er ihn vorbei ließ.
„Lieber ein Narr, als ein Feigling.“ Thôrin grinste schief und betrat die Waffenhalle der Gladiatoren. Dicht gefolgt von Gaûl, dieser murrte etwas in seiner Sprache, bevor er an ihm vorbei ging und auf einen Ständer zu ging der von unterschiedlichen Speeren beladen war. Keiner von ihnen war in einem guten Zustand, doch wozu brauchte man eine Waffe, die lediglich zu spannenden Schaukämpfen benutzt wurde und nicht mehr zum Töten?
Die Waffenhalle konnte man als Höhle bezeichnen, mit ihren einfachen Steinwänden, der hohen Decke, die von einigen, mächtigen Pfeilern gehalten wurde. Es gab einen kleineren Teil der Halle, der von einem schweren Vorhang abgetrennt war, dort konnte man die Verletzten hinbringen. Leises Stöhnen und geschäftiges Scharren wehte unter dem schweren Stoff zu den anderen Kämpfern rüber, die in reger Geschäftigkeit nach ihren Waffen und Rüstungen Ausschau hielten. Manche von ihnen unterhielten sich in ruhigem Ton, während sie in einem Kreis um die eingefassten Feuerstellen saßen. Hin und wieder kam ein Mann in feiner Robe, gab den Gladiatoren einen Zettel oder sagte ihnen wo und wann sie kämpften, gegen wen war ein Geheimnis.
Die Spiele wurden in völliger Anonymität gehalten. Gegen wen ein Kämpfer in der Arena kämpfte wusste er nicht. Er konnte es lediglich an der Art und Weise des Gegners erahnen, wie dieser gegen ihn stritt. In einem ständigen gleichmäßigen Abstand führten weitere Gänge und Korridore von der Halle fort. Es gab lediglich zwei Torbögen, die mit mächtigen Holzgittern geschlossen waren. Durch sie fiel sanftes Licht herein und erhellte die Halle ein wenig. Durch diese Tore schritten die Kämpfer in Zweierreihen um zum Kampfplatz des Crossù zu gelangen. Vorher wurden Gruppenweise die Gegner getrennt und sie durften sich die letzten Reste ihrer Rüstung überziehen.
Thôrin schritt an eine der Feuerschalen vorbei. Die Wärme der Flammen berührte ihn kurz an seiner freien Haut, die nicht von seiner kurzen Hose verdeckt war, ehe sie mit jedem Schritt in die Ferne rückte. Während die restlichen Kämpfer nach einer Waffe in den unterschiedlichen Ständern suchten, die ihnen entsprach, richtete sich sein Augenmerk auf zwei einfache Dolche. Zielstrebig ging er auf sie zu, durchschritt die Halle an seinen Kameraden vorbei, wo manche ihn mit einem freundschaftlichen Nicken grüßten, bevor sie sich daran machten, ihre letzten Wunden zu säubern oder sich zum Kampf fertig zu machen. In einer nachlässigen Geste schmiss er seinen Mantel über einen Hocker neben dem Ständer mit den unterschiedlichen Dolchen. Ihre Klingen glänzten im matten Rottönen im Feuerschein und schienen verheißungsvoll zu flüstern. Prüfend wanderte sein Blick über die unterschiedlich langen und gebogenen Klingen. Er hatte mit beinah jedem Dolch gekämpft der sich im Repertoire der Arena befand und immer wieder landete er bei ein und denselben Klingen. Leicht verzog er belustigt den Mund. Als seine Hand sich ausstreckte um nach dem vertrauten Stahl zu greifen, wurde sie von braungebrannten, schwieligen Fingern ergriffen und aufgehalten. Fest umklammerte Gahlik sein Handgelenk. Die dunklen, fast schwarzen Augen betrachteten ihn voller Argwohn und Hass. Es war ein öffentliches Geheimnis, dass Gahlik Thôrin verabscheute. Schon seit dem ersten Augenblick als sie ihre Klingen gekreuzt hatten, war Thôrin klargeworden, dass sein Gegner ein feiger Betrüger war. Wäre Gahlik auch noch ein schlechter Kämpfer, dann hätte es ihm nicht so viel ausgemacht, doch dieser konnte ausgezeichnet kämpfen. Thôrin hegte den leisen Verdacht, dass Gahlik diese Art von kämpfen auf einem Schlachtfeld erlernt haben musste, denn einige Bewegungen erinnerten ihn immer wieder unwillkürlich an seinen alten Lehrmeister. Kurz zuckte er bei dem Gedanken an seine Vergangenheit zusammen.
„Die sind für mich.“, zischte Gahlik ihm zu und entriss ihm die zwei Dolche.
Ein kaltes Lächeln huschte über das schmale Gesicht. Für einen kurzen Augenblick war Thôrin versucht ihm sein selbstgefälliges Grinsen mit einem ordentlich gezielten Schlag wegzuwischen, doch anstatt dessen bedachte er Gahlik lediglich mit einem ungerührten Schulterzucken, griff an ihm vorbei und zog zwei andere Dolche aus der Halterung.
„Viel Glück im Kampf.“ Griente dieser und bleckte für einen kurzen Augenblick die Zähne.
„Gleichfalls, ich hoffe du fällst nicht über deine Füße.“, meinte Thôrin und hob herausfordernd die Brauen. Das zornige Funkeln und die hart zusammengepressten Lippen seines Gegenübers, ließ ihn innerlich triumphieren.
„Sei nicht so vorlaut, Nordmensch.“, verächtlich verzog Gahlik den Mund und drehte sich abrupt um.
„Findest du es nicht ratsamer einen Gegner erst auf dem Feld zu erzürnen?“, die ruhige Stimme Gaûls ließ ihn herumfahren. Dieser betrachtete mit undefinierbarem Blick den breiten Rücken Gahliks. Eine Weile schwiegen sie und beobachteten wie Thôrins persönlicher Rivale von dannen schritt.
„Wenn wir gegeneinander antreten müssen ist es egal wann ich ihn wütend mache. Meine bloße Anwesenheit reicht schon aus um ihn vor Zorn zum Kochen zu bringen, wie ein wildgewordener Stier. Also ist es recht unwahrscheinlich, dass er einmal nicht sauer auf mich wäre.“ Thôrin zuckte ungerührt mit den Schultern. „Glaub mir, wenn es sich vermeiden ließe, würde ich es tun. Doch bei ihm scheint jeder fadenscheinige Grund, ein Grund genug zu sein, seinen Hass gegen mich zu wenden.“, er wandte sich um und ging auf ein Lager zu, das unterschiedliche, leichte Lederrüstungen hatte. Gaûl folgte ihm und griff zielstrebig nach einem dicken Wams, dessen Leder schon rau und spröde war. Doch es war das einzige, das dem dunkelhäutigen Krieger passte, der mit seiner Größe jeden anderen um einige Zentimeter überragte. Selbst Thôrin, der nicht gerade klein war, sondern die stattliche Statur eines jungen Mannes besaß, reichte ihm nur bis zum Kinn. Hinzukam, dass er um einiges in den Schultern breiter war. Gaûl wirkte wie ein Berserker, umso erstaunlicher war, dass er ebenso flink und geschickt war, wie jemand der eine deutlich kleinere und wendigere Statur hatte wie er. Was Thôrin am meisten jedoch verwunderte, war die Vorliebe zu Distanzwaffen, die sein Freund hegte.
Ein langer Speer, mit einem verblichenen roten Band am Übergang von Holz zu Klinge, hatte Gaûl sich ausgesucht und über seinen anderen Arm hing ein aus Ketten geknüpftes Tuch. Es raschelte leise, als sich der dunkle Riese leicht bewegte und seinen wachsamen Blick durch die Halle streifen ließ. Er war wie ein lauerndes Tier, das sich nicht von der Ruhe seiner Umwelt trügen ließ. Thôrin hatte nie erfahren, wie die Vergangenheit seines Freundes ausgesehen haben mochte, doch er wusste, wenn Gaûl es an der Zeit fand ihm etwas von sich zu erzählen, würde er es tun. Thôrin selbst schwieg ebenfalls über jene Tage, die er jenseits seines jetzigen Lebens geführt hatte. Neben Gaûl hatte er kaum andere Freunde, nicht aus Mangel an Höflichkeit. Nein, er war nur mit der Zeit vorsichtiger geworden, wen er als Freund holte. Seine Angst, vor seiner eigenen Vergangenheit, dass diese ihn einholen würde und ihm sein derzeitiges Leben verderben würde, sobald der den falschen Menschen vertraute war zu groß, als dass er leichtsinnig handeln würde.
Die Loyalität, die ihm Gaûl entgegenbrachte war eine beständige Stütze, die er – obwohl er dies nie laut aussprechen und zugeben würde – benötigte um durch sein Leben zu gehen, sie war ein heilender Balsam für seine Seele. Stumm betrachtete er den dunklen Krieger neben sich. Gaûl redete wenig, nur so viel wie nötig und selbst dann wären seine Worte kein reißender Fluss, sondern ein ruhiges Plätschern, das schnell versiegen konnte, wenn er es so wollte.
„Wenn wir gegeneinander antreten werden“, Thôrin setzte sich auf den Hocker, wo er achtlos seinen Mantel hingeworfen hatte und zog sich seine Sandalen aus. Er hatte die Angewohnheit kurz vor dem Kampf den Boden unter seinen Füßen spüren zu wollen, es war ein tief verwurzeltes Verlangen, dass ihm half zur Ruhe zu kommen. Er hob einen Fuß auf sein Knie und betrachtete nachdenklich die verdreckte und mit Hornhaut überzogene Sohle, bevor er fortfuhr zu sprechen, „sollten wir aneinander verschonen oder den Frust freien Lauf lassen?“, er hob den Blick und begegnete dem zweier ruhig dreinblickender Nebelseen.
Ein schalkhaftes Zucken umspielte die breiten Lippen des dunklen Kriegers.
„Warum verschonen?“ Gaûl zuckte mit den Schultern und legte leicht den Kopf schief.
„Warum den eigenen Frust an Unschuldigen abladen?“ Thôrin stellte den Fuß wieder zurück, vergrub kurz die Zehen in der kühlen Erde, bevor er mit einem gedehnten Seufzer die Schuhe wieder anzog.
„Seit wann sind wir Unschuldige?“
Die brummige Stimme ließ ihn innehalten, langsam hob er den Kopf und sah zu seinem Freund hoch. Dieser hatte seinen Blick über die Anwesenden streifen lassen und starrte nun auf einen unsichtbaren Punkt in der Luft. Leicht angespannt setzte Thôrin sich auf und ließ seinerseits den Blick durch den Raum wandern. Er schwieg. Wusste nicht, wie er die Frage des dunklen Mannes beantworten konnte. Der Schmerz in der Stimme Gaûls hatte die Wörter in seinem Kopf fortgewischt. Er konnte spüren, dass etwas in dem Riese vor sich ging, nur wie er seinem Freund helfen konnte, wusste er nicht, drum behielt er seine Worte für sich, die ebenso sinnlos waren, wie ein stumpfes Schwert.
„Hat man dir bereits gesagt wohin du musst?“, fragte er und zurrte seinen Zopf fester zusammen.
„Ja.“, Gaûl begann sein Wams zurechtzuziehen und mit geübten Griffen hatte er sich die restlichen Teile, seiner leichten Lederrüstung angezogen.
Thôrin seufzte. „Weißt du auch wo ich hin muss?“
„Nein.“, war die knappe Antwort, die er erwartet hatte.
Wieder seufzte er.
„Wo kann ich Rhak-Dûn finden?“
Mit leisem Ächzen erhob er sich und ließ die zwei Dolche in seinen Gürtel gleiten. Kurz spürte er den prüfenden Blick Gaûls auf sich, ehe dieser mit einem knappen Kopfnicken auf eine Nische wies, die im Halbdunkel des Feuers kaum zu erkennen war. Dankbar sah Thôrin noch zu ihm, dann setzte er sich in Bewegung. Als er an einem Tisch vollbeladen von Arm und Beinschienen vorbei kam, griff er nach einem passenden Paar und stülpte sich zuerst die Beinschienen über, dann während des Gehens die Armschoner. Er hatte gerade die letzten Lederriemen festgesurrt als Rhak-Dûn mit wehendem Umhang auf ihn zukam. Anders als die anderen Botensender, kleidete er sich meist in unauffälligen Farbtönen, was nicht bedeutete, dass seine Kleider weniger kostbar ausfielen. Meistens waren mehr Ornamente und verschnörkelte Stickereien in den Stoff eingearbeitet, dass dieser in einer vollkommen anderen Farbe schimmerte als er eigentlich hatte. Dunkle Augen funkelten unter buschigen Brauen hervor. Ein grauer Bart bedeckte fast das ganze Gesicht des Zwerges. Trotzdem konnte kein Haarwuchs, mochte er noch so stark ausfallen, die Gewitztheit des Geschäftsmannes aus dem Zwergenvolk verbergen. Doch im Augenblick schienen seine Augen Funken zu sprühen, die sich nach Thôrin verzehrten. Lodernder, schwer unterdrückbarer Zorn wallte über das Gesicht des Zwerges und ließ es rot anlaufen. Thôrin war sich bewusst, dass sich jeglicher Zorn gegen ihn richtete. Er war zu spät hier erschienen. Das wohl höchste Vergehen, das man in der Gegenwart Rhak-Dûns begehen konnte, neben nicht zurückzahlen von Schulden, selbstverständlich.
„Wo warst du?“, donnerte er los, bevor er Thôrin endgültig erreicht hatte.
„Nicht hier.“
Ungerührt vom empörten Luftschnappen seines Gegenübers, überprüfte Thôrin seine Armschiene und wackelte mit Handgelenk und den Fingern. Als er mit seiner rechten Hand zufrieden war, vollführte er dasselbe bei der linken. Alle beide Schienen saßen perfekt, zwar nicht wie eine angegossene Haut, dafür war das Leder zu gedehnt und viel zu oft benutzt worden, doch dem gegebenen Umständen saß es perfekt.
„Das habe ich bemerkt! Nur ein dämlicher Volltrottel kommt bei einem seiner Kämpfe auf den letzten Drücker! Zur Strafe sollte ich dir verschweigen wohin du deinen trägen Arsch bewegen sollst, doch da ich dadurch nur noch mehr Verluste zu beklagen hätte, bin ich wohl gezwungen es dir zu sagen.“
Rhak-Dûn schnaubte und fuchtelte wild vor Thôrins Brust herum. Obwohl der Zwerg ihm kaum bis zur Hüfte reichte, glich sein gewaltige Stimme und seine furchteinflößende Erscheinung diesen Mangel aus.
Erneut drehte Thôrin seine Handgelenke gelangweilt und verzog keine Miene ob des Ausbruches des Botensenders.
„Du weißt ich habe neben dem Dienst im Crossù, noch einen Hof zu versorgen, also reg die gefälligst nicht auf wegen meines Zuspätkommens, denn immerhin bin ich noch rechtzeitig hier, sodass kein Kampf verschoben werden muss. Also wo muss ich hin?“, er verschränkte die Arme vor der Brust und sah auf den Zwerg herab.
Dieser verengte die Augen zu gefährlich funkelnden Schlitzen.
„Werde ja nicht frech, Bursche! Nur weil du ein gut verdienender Gladiator bist, heißt das noch lange nicht, dass du tun und lassen kannst was du willst.“ Knurrte er.
„Man kann hier jeden ganz leicht durch jemand anderes ersetzen, auch dich Nordmann.“
Thôrin sah ihn einfach nur an. Keine Regung war in seinem Gesicht zu erkennen, nur der harte Ausdruck um seine Mundwinkel, zeigten etwas von der inneren Spannung, die sich bei den verächtlichen Worten des Zwerges in ihm ausgebreitet hatte.
„Wohin?“, fragte er erneut kühl.
Kurz huschte ein triumphales Glitzern über die dunklen Augen Rhak-Dûns und ließ ihn ungemein verschlagen aussehen. Dann nickte er, als wäre nichts dergleichen geschehen und gab ihm den knappen aber ausdrücklichen Befehl, in welchem Gang er sich bereitstellen sollte.
Eine kurze Ewigkeit stand Thôrin noch an der gleichen Stelle, an der Rhak-Dûn ihm gesagt hatte wohin er sich bereit stellen sollte und folgte mit wütendem Blick dem Zwerg, wie dieser sich durch die Halle schlängelte, bis er ihn nicht mehr sehen konnte. Nordmensch. Leise knirschte er mit den Zähnen, dann wandte er sich abrupt um und ging mit großen Schritten auf eine Halterung für leichte Brustschütze zu. Das Wort hallte, wie ein beständiges Echo in seinem Kopf wieder. Er war ein Fremder. Es war vollkommen egal, wie lange er hier lebte, er war ein Fremder der aus dem Norden hierher geflohen war und dadurch in vielen Augen der Einwohner, keinen Deut besser als ein verhasster Sklave, nur standen ihm mehr Rechte zu, als einem gewöhnlichen Diener. Kurz huschten seine Augen über die dargebotene Ware, bis sie an einem Brustschutz hängen blieben, der in etwa seine Größe hatte. Er griff danach, zog ihn sich über und band ihn an der Seite zu, so dass er nicht zu locker und nicht zu stramm an seinem Körper hing. Nachdenklich bewegte er seine Schultern, dann seinen Oberkörper und seine Hüfte um nachzusehen, ob seine Beweglichkeit nicht eingeschränkt war. Sobald er zufrieden war, richtete er ein letztes Mal seinen Waffengürtel, um anschließend Ausschau nach Gaûl zu halten. Er fand den großgewachsenen Hünen scheinbar gelangweilt an einem der mächtigen Pfeiler angelehnt vor, einzig der ruhelose Blick des Mannes verriet die angespannte Achtsamkeit, die in ihm zu brodeln schien.
Langsam schlenderte Thôrin auf ihn zu.
„Er sah wütend aus.“
Ohne ihn anzusehen ließ Gaûl seinen Blick weiterhin durch die Halle gleiten. Thôrin folgte seinem Blick, konnte jedoch nichts Fremdes erkennen. Alles sah so aus wie immer. Er entdeckte keine Veränderung, die ihn hätte misstrauisch stimmen können.
„Warum so ruhelos, alter Freund?“
Helle Nebelseen senkten sich auf ihn, als Gaûl seinen Blick ihm zuwandte. Etwas, dass er nicht kannte lag in den Tiefen der Seelenspiegel des dunkelhäutigen Kriegers. Etwas, dass eine herannahende Bedrohung spürte, bevor es sie sah.
„Ein Gefühl, mehr nicht.“ Er wandte den Blick ab und das Gefühl, welches Thôrin bis eben noch empfunden hatte, verschwand genauso schnell wie es gekommen war. Es hinterließ jedoch eine bodenlose Rastlosigkeit, die ihm ungemein vertraut vorkam.
„Und was für ein Gefühl?“, eine Steile Falte bildete sich zwischen den rotblonden Brauen Thôrins. So leicht würde Gaûl ihn nicht abwimmeln können. Entschieden verschränkte er die Arme vor der Brust und hob angriffslustig das Kinn. Schweigen breitete sich schwer zwischen ihnen aus, wie ein unsichtbarer, zäher Dunst. Erst das lautlose Aufseufzen von Gaûl durchbrach die angespannte Stille zwischen ihnen.
„Etwas wird passieren. Und dabei belassen wir es!“, er hob die Hand und unterbrach Thôrin bei seinem Versuch, mehr aus ihm heraus zu holen. Kurz sah er seinen Freund an. Dann nickte er in Richtung der Korridore und meinte entschieden: „Wir sollten los.“
Somit ließ er Thôrin allein stehen und verschwand in seinem, ihm angewiesenen Korridor. Dieser starrte ihm wortlos hinterher, dann drehte er sich auf dem Absatz herum und ging in die entgegengesetzte Richtung. Der Korridor zu dem er zugewiesen worden war, führte zu einer kleineren Waffenkammer, dort konnte man ein letztes Mal seine Waffen umtauschen. Auf einer kleinen Anrichte waren einige Helme übereinandergestapelt worden. Jeder Kämpfer musste sich einen der Helme aussuchen. Damit sich die Kämpfer nicht zufällig über den Weg liefen und sich so erkannten, durften sie die Waffenkammer erst nach und nach betreten.
Ohne sich viele Gedanken zu machen griff Thôrin nach einem der Helme und stülpte ihn sich über. Ein letztes Mal ließ er seinen Blick über seine Ausrüstung gleiten. Dann nickte er einem der Wachen zu, die sich vor der Verbindungstür aufgestellt hatten. Diese öffneten wortlos die schwere Holztür und entließen ihn in einen Raum, der bis auf zwei langen Steinbankreihen vollkommen frei von jeglichem Mobiliar war. Die ersten Gladiatoren hatten sich lässig auf dem Stein niedergelassen, starrten vor sich hin oder nickten ihm kurz zu. Alle durch die Visiere der Helme verborgen.
Er setzte sich und stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel. Locker baumelten seine Hände zwischen seinen Knien, verrieten nichts von der prickelnden Vorfreude in seinem Körper, die sich wie ein Feuer in seine Glieder ausbreitete.
Erst als die Wachen in den Raum traten, mit emotionslosen Stimmen die Regeln im Kampf aufsagten, welche Pflichten sie gegenüber dem Sandfürsten hatten, sah er kurz auf, hörte mit halben Ohr zu und war in Gedanken bereits in der Arena.
Als Bewegung in die Kämpfer kam, stand er langsam auf, schlenderte an den Wachen vorbei und betrat ein weiteres Mal die Waffenhalle. Die ersten Männer standen, nervös scharrend vor den Torbogen, jeweils auf zwei Reihen aufgeteilt. Ohne Hast reihte auch er sich ein, ließ seinen Blick kurz über die Rücken der Anwesenden gleiten, ehe er sich voll und ganz auf seinen stetigen, gleichmäßigen Herzschlag konzentrierte. Er schloss die Augen und horchte tief in sich hinein, hörte wie er langsam ein und aus atmete, sein Körper sich entspannte und begann im Gleichklang mit seinem Geist zu fungieren. Langsam öffnete er seine Augen wieder und hob den Kopf.
Die vergitterten Tore wurden mit einem kreischenden Laut in die Höhe gezogen. Allmählich öffneten sie sich unter dem mechanischen Klacken der Zahnräder. Gab den Blick auf einen Kreis frei, dessen sandiger Boden der glühenden Hitze der Sonne ausgeliefert war. Die Luft flirrte über der erhitzten Erde, ein schwerer Geruch von Tieren und Tod kitzelte ihn in der Nase. In einer schattigen Ecke, unterhalb der Tribünen konnte er einen rotglänzenden Kadaver erkennen, der in einer grauenvoll verrenkten Pose dalag, den Kopf vollkommen verdreht, ein Arm zum stummen Hilfeschrei zum Himmel gestreckt und aus dem Unterleib quollen die zerfetzten Eingeweide des Toten hervor. Anscheinend hatten die Totensucher einen Unglücklichen vergessen.
Wie eine Sturmflut brandeten die Stimmen der Zuschauer zu ihnen her, überfluteten sie mit ihrer Euphorie, steckten sie an, wollten sie mitziehen in einen Sturm aus Blutgier und entsetzlichem Chaos. Unwillkürlich musste Thôrin schlucken. Es war egal, wie oft man an dieser Schwelle stand, das Gekreische, die lauten Rufe, das auffordernde Klatschen, alles schien von einer Macht zu entstammen, der man keinen Namen geben konnte. Es war wie ein berauschendes Fest, nur in den dunklen Farben des sandigen Tods gekleidet. Die Stimmen der Zuschauer wurden mit jedem Schritt, den sie näher in die Arena taten lauter, dröhnender, allgegenwärtiger.
Neben dem bitteren Schweißgeruch, vermischten sich der Geruch des Stahls der Waffen und der herbe Lederduft zu einer unvergesslichen Erinnerung. Thôrin sog den vertrauten Duft tief in die Lungen, spürte wie sich seine Muskeln kurz anspannten vom Fieber des Kampfes gepackt, dann wie sie sich allmählich entspannten. Sein Blick huschte an den breiten Schultern seiner Vordermänner vorbei, erhaschte einen Blick darauf, wie der einsame Kadaver von zwei schwarzgekleideten Männern in eine Grube geschubst wurde. Das erfreut klingende Aufheulen einer namenlosen Bestie, die nun endlich ein ordentliches Stück Fleisch zwischen ihre Fänge bekam, ließ ihn erschaudern.
Sobald die Gladiatoren aus dem Schatten der Arena traten, schwoll der Lärm zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen an, das jegliche andere Geräusche ausblendete. Im Gleichschritt stellten sie sich in einen Halbkreis auf, ließen die bewunderten und prüfenden Blicke über sich ergehen. Hielten mit störrischem Stolz dagegen an. Keiner von ihnen wollte einfach nur als Ware betrachtet werden, doch diesen unfreiwilligen Nebeneffekt ließ sich nicht vermeiden, wurden doch allerhand Wetten auf die unterschiedlichen Kämpfer gesetzt, die alle unter falschem Namen antraten.
Thôrin hörte seinen Atem, wie dieser sich rasselnd durch das Gitter zwängte und nach außen strömte. Sein Herz hämmerte wild, im aufgereckten Takt gegen seine Brust. Kurz huschten seine Augen suchend durch die Ränge der Zuschauer, doch nach was er genau Ausschau hielt wusste er nicht. Dann heftete er seinen Blick vor sich in den Sand. Neben sich konnte er das aufgeregte Atmen der anderen Kämpfer hören, wie ihre Rüstungen leise quietschten, die Stahlkettentücher bei jeder Bewegung leise Raschelten. Ja, er glaubte sogar den rasenden Herzschlag der Männer direkt neben sich zu hören. Doch er blinzelte diese Vorstellung aus seinem Gedächtnis, er sollte sich nicht auf solche absurden Sachen konzentrieren, sondern auf das, was in wenigen Minuten hier im Ring der Arena geschehen würde.
Als der Sandfürst in seinen opulenten Gewändern an den Rand seiner Tribüne schritt, gebot er mit einer nachlässigen Geste dem Volk zu schweigen. Nur allmählich kam Ruhe in die erhitzten Gemüter der Anwesenden. Erst als eine Stille ihre bedrückende Schwere über das Crossù senken ließ, fing der Fürst an zu sprechen.
Thôrin hörte ihm nicht zu, waren es doch immer wieder die gleichen Worte, die die Lippen des Fürsten verließen, wie ein auswendiggelerntes Gedicht. Jede Zeile war dieselbe, nichts veränderte sich, blieb beständig, wie ein Fels in der Brandung. Wie der große Berg in seiner Heimat. Er schenkte dem Herrscher des Wüstenreiches keine Beachtung mehr. Sein Geist wanderte für einen winzigen Moment fort, schwebte über das weite Meer und wandte sein Denken einem Land zu, dass keine heißen Wüsten kannte, dessen Sommer immer noch von der angenehmen Kühle der See und der Berge geführt wurden. Er blinzelte. Verdrängte die Erinnerung zurück aus seinem Gedächtnis und straffte die Schultern.
Gerade endeten die letzten Worte des Sandfürsten und die Gladiatoren stießen ein gemeinsames Brüllen der Zustimmung ihrem Herrn entgegen. Thôrin schwieg. Der Sandfürst war nicht sein Herr, also würde er ihm nur den Respekt eines Fremden entgegen bringen, nicht mehr. Niemand beachtete sein Verhalten. Wurde der Kampfschrei der Kämpfer vom Publikum freudig erwidert, nicht minder schwach in seiner Lautstärke.
Die erhobenen Hände der Kämpfer sanken herab, umfassten ihre Waffen fester. Ein letztes Mal schnaubte Thôrin, starrte zum Himmel hinauf und straffte seine Haltung. Langsam lösten sich die Gladiatoren aus ihrer Reihe. Stellten sich mit täuschender Gelassenheit in der Arena auf. Das Publikum verstummte und wartete. Thôrin betrachtete flüchtig seinen ersten Gegner. Er war kleiner als er selbst, jedoch viel gedrungener und breiter in den Schultern. Auf den ersten Blick wirkte er, wie ein Kraftprotz, der mit wilden Hieben aus roher Stärke zu kämpfen pflegte.
Doch Thôrin wusste, aus langer Erfahrung, dass manch ein Mann, der wirkte wie ein Berserker, keinesfalls so kämpfen musste. Ein Mann trat an das Plateau des Sandfürsten, seine bunte Robe flatterte im Wüstenwind, während seine Augen über den Kampfplatz wanderten. Dann hob er in einer fließenden Bewegung die Arme, die Zuschauer verstummten endgültig. Ein rotes Tuch wurde vom Wind wild hin und her gerissen, doch die Finger des Mannes hielten es bestimmt fest. Für einen winzigen Augenblick, blieb die Zeit stehen, während alle Augen, die sich im Crossú befanden, sich auf das Tuch hefteten. Wortlos ließ der Mann die feine Seide los, schaute ihr zu, wie sie langsam zur Arenamitte getrieben wurde. Es schien als hielten die Zuschauer und die Gladiatoren die Luft an. Waren gebannt von dem tänzelnden Schauspiel, welches geradezu spielerisch sich gen Boden richtete.
Herzschlag um Herzschlag kam es dem sandigen Untergrund näher, fast träge wurde es vom Wind hin und her geschüttelt, wirkte wie ein übergroßer Bluttropfen, der vom Himmel gefallen war.
Sobald der feine Seidenstoff den Boden berührt hatte, war es als hätte jemand ein, unter starker Spannung gehaltenes Seil durchgeschnitten. Die Kämpfer lösten sich schlagartig aus ihrer passiven Haltung und der Kampf begann, vom lauten Gebrüll der Masse ständig begleitet.


Schnaufend und einen grunzenden Fluch zwischen den zusammengebissenen Zähnen ausstoßend kam der Hüne auf die schlanke Gestalt des Elbens zu. Seine dunklen Augen funkelten wild unter buschigen Brauen hervor, während er mit eiserner Miene die postierten Wachen musterte. Er verzog unter dem wilden Bart die Lippen zu einem verächtlichen Grinsen.
„Was habt ihr, König Garig?“, die klare Stimme des Elben riss ihn aus seiner Betrachtung.
Erneut schnaufte Garig.
„Bei allem was ich gehört habe, ist er Manns genug diese Wachen auszuschalten.“, brummte seine tiefe Stimme, während er kurz mit den Fingern über seine Streitaxt fuhr. Der glatte Stahl rief vergangene Erinnerungen wach, an lange Trainingsstunden und ewig andauernde, blutige Clankriege.
Der Elb ließ seinen wachsamen Blick ebenfalls über die Wachen gleiten, die mit gezogenen Waffen an jedem Eingang des Crossú postiert waren.
„Er ist noch lange nicht in dem Alter, wo man genügend Erfahrungen sammeln könnte, um eine solche Menge an Gegnern zu besiegen, geschweige ihnen zu entkommen.“, sprach der Angehörige des Lichtvolks.
Garig grunzte vergnügt auf.
„Ihr vergesst, wo wir uns befinden, werter Laríel.“, sein dunkler Blick wanderte ehrfürchtig an der Außenmauer der Arena empor. Wahrlich, keine Abbildung in den Büchern der großen Bibliotheken und keine Erzählung konnten mit dem Crossú mithalten. Es war geradezu majestätisch und wirkte wie eine verzauberte Schönheit.
Laríel zog eine Braue in die Höhe.
„Dies ist eine Kampfarena, doch wer sagt uns, dass er ein guter Kämpfer ist?“, entgegnete er.
„Nun, ich würde sagen, dass die Tatsache, dass er überhaupt, bis jetzt in diesen Gemäuern durchgehalten hat, einiges erklärt.“, Garig nickte in die Richtung eines Einganges.
„Habt ihr überprüfen lassen, ob auch jeder Geheimgang verriegelt ist?“
Laríel kreuzte die Arme vor der Brust.
Wortlos starrte der Elb den Barbaren durchdringend an. Dieser zuckte irgendwann brummend die Achseln, ehe er sich dran machte, auf den Kämpfereingang zuzuschreiten.
Die Rüstungen der Wachen und die gezogenen Schwerter glänzten im gleißenden Licht der Sonne.
„Wie lange dauert es?“, fragte Laríel neben ihn.
Grollend zuckte er mit den Schultern.
„Kommt auf die Kämpfer an.“
„Und wie lange wird er durch halten?“
Diesmal fing Garig an zu grinsen.
„Vielleicht verliert er am Anfang und wir können ihn getrost überwältigen oder“, er hob den Blick sah ein letztes Mal an den kunstvollen Mauern empor, „er wird es bis zum Schluss aushalten, dann müssen wir uns auf eine lange Wartezeit einlassen.“
Laríel schnaufte unwillig.
„Warum konnte er nicht einfach zu Hause bleiben und musste unbedingt abhauen.“, er knurrte leise, während sich sein ebenes Gesicht verdunkelte.
Belustig hob Garig eine Braue.
„Weil, wäre er jetzt seelenruhig daheim geblieben, hätten wir niemals die Möglichkeit gehabt das Crossú bewundern zu können.“
„Seit wann interessiert ihr euch für irgendwelche Bauten?“, grummelte Laríel, während er den Wachen kurz zu nickte, diese versteiften ihre Haltung augenblicklich.
Leise Lachend, das einem grunzenden Laut gleich kam, hob Garig die Brauen.
„Seit wann hegt ihr solche Vorurteile uns Barbaren gegenüber?“, war seine schlichte Gegenfrage, als sie in die kühle Dunkelheit der Arena eintauchten.
„Was ist, wenn er uns entkommt.“, fragte der Elb und überging die Frage des anderen.
„Dann wird unser Informant ihn aufhalten.“
Eine elegante Braue wanderte nach Oben, als Laríel sich zu ihm drehte.
Mit einem Kopfschütteln ignorierte er die unausgesprochene Frage und ging weiter. Die dunkle Dämmerung in den Gängen war für seine Seele eine reinste Wohltat. Viel zu lange hatte er auf Dünen starren müssen, die in einem hellen Gelb die blendenden Strahlen der Sonne wiederspiegelten. Seine Augen schienen geradezu eine Lobeshymne an den Architekten der Arena zu singen, da er es geschafft hatte, hier ein angenehmes Klima herzustellen, wie war dem Barbaren egal.
Über ihnen schrien die Besucher erfreut auf, trampelten mit ihren Füßen auf den Tribünen herum. Feiner Staub rieselte auf sie herab, als ein gleichmäßiges Beben die oberen Ränge erzittern ließ. Laríels Blick rutschte nach Oben, zur gewölbten Decke. Eine Spur Angst lag darin, doch sie verschwand schnell wieder und ein Ausdruck müder Gelassenheit trat in die waldgrünen Augen.
Erneut fuhr Garig mit den Fingerspitzen über den glatten Stahl seiner geliebten Waffe.
„Kann es sein das ihr ein gewaltsames Zusammentreffen mit ihm ersehnt?“
Die Antwort des Barbaren war schlicht. Ja, er ersehnte ein handgreifliches Zusammentreffen mit ihm. Und er hatte es im Gefühl, dass es genauso kommen würde, wenn sie den jungen Königssohn treffen würden. Er grollte erfreut und schritt gemächlich weiter.


2


Umzingeltes Crossú



Der Totenkopf grinste sie mit seinem schalen, weißen Gesicht an. Warmes Licht floss aus seinen Augenhöhlen und ersetzte die Freudentränen seines vergangenen Lebens. Die alte Hexe fuhr mit ihren knöchernen Fingern über den Schädel, ergriff dann den alten Holzstab, der an ihre gruselig besondere Lampe angebracht worden war, damit sie die Totenköpfe besser transportieren konnte.
Die Hexe schritt durch den alten Wald, genoss den würzigen Duft der schwarzen Tannen und beobachtete die ängstlich vorbei huschenden Tiere. Erneut lächelte sie geheimnisvoll. Eine schemenhafte Silhouette löste sich aus dem Nebel, der sich schleierhaft über dem Waldboden ausgebreitet hatte, und kam auf sie zu. Es war nichts mehr als der letzte Rest eines lebenden Wesens. Lediglich ein harmloser Geist, der sie aus schwarzen, leeren Augen ansah.
„Willst du gehen?“, krächzte ihre Stimme in die Stille hinein und ein Rauschen ergriff die Baumwipfel über ihr. Der Geist legte den schemenhaften Kopf zur Seite. Wollte etwas sagen, doch vermochte er es nicht.
Die Hexe hob die Hand, eine unschuldig wirkende Geste, doch es reichte aus, dass ein geisterhaft heulender Wind aufbrauste, die Bäume hin und her warf, dass ihre Stämme dunkel ächzten, leicht anfingen zu splittern, dennoch weiterhin stand hielten. Das Jaulen wurde lauter, immer beängstigender, bis plötzliche geisterhafte Ruhe herrschte.
Die Hexe hob ihre Totenkopflampe, leuchtete zu jener Stelle wo der Geist vor ihr gestanden hatte und nickte zufrieden. Er war fort. Fortgetragen vom Winde des Jenseits. Dann widmete sie sich wieder dem eigentlichen Ziel ihres Spazierganges. Das geheimnisumwitternde Lächeln weiterhin auf den Lippen.




Thôrin wich einem wohlgezielten Schwinger aus und musste sich unter einem weiteren Schlag ducken. Sein Gegner war ein wütender Sturm aus gezielten Schlägen und einer Wucht, die ihm manchmal die Luft aus der Brust presste. Geschwind trat er einen Schritt zurück und wich so dem Schild aus, dass man mit der flachen Kante auf ihn niedersausen ließ. Erneut zuckte er mit dem Kopf nach hinten, spürte den zischenden Lufthauch, der entstand als die Schwertklinge haarscharf an seiner Kehle vorbei fuhr. Mit langen Schritten umkreisten sie sich, ihren Gegner mit wachsamem Blick traktierend. Die ersten Minuten verhielt Thôrin sich passiv, begnügte sich damit ständig im letzten Moment auszuweichen.
Sein Gegner grunzte etwas unverständliches, als er plötzlich, wie eine Wüstenviper vorschnellte und einen präzise angesetzten Schlag ausführte. Da sah Thôrin eine Lücke, die Mitte seines Gegners war frei, vollkommen schutzlos einem Konter ausgeliefert. Er hob die Klinge seines Dolches, lenkte die Richtung des Schwertes von sich fort. Wirbelnd holte er mit seiner freien Hand aus und ließ den Dolch krachend gegen die geschützte Stelle des Herzens niedersausen.
Sein Gegner stöhnte erschrocken auf, erkannte zu spät, dass Thôrin mit einer geschickten Bewegung seinen Dolch gedreht hatte. Er sah dem Kämpfer ein letztes Mal ins Visier, dann schlug er zu. Mit einem unterdrückten Schrei, sank sein Gegner in die Knie und kippte zur Seite.
Das Publikum schrie laut auf. Grölende Jubelrufe drangen gedämpft an sein Ohr. Seine Sinne richteten sich an seinen nächsten Gegner, der brüllend mit zwei Kurzschwerter auf ihn zu lief. Thôrin wirbelte herum, wich mit einem ausladenden Schritt zur Seite, ließ mit einem verächtlichen Pfeifen seine Dolche kreisen. Mit gespielter Leichtigkeit wich er den Schlägen seines Gegners aus. Wie ein verschwommener Tanz klirrten ihre Klingen gegeneinander, stoben wieder auseinander, um im nächsten Augenblick mit metallischem klingeln sich erneut zu begegnen. Ein wilder Ausdruck, der zugleich kämpferisch und berechnend zu gleich war, stahl sich in die blitzenden Augen des jungen Mannes.
Als sich ihre Klingen erneut kreuzten, Kurzschwert an Dolch gedrückt standen sie da. Beide ihrer Waffen sich in gefährlicher Berührung befanden, nahm Thôrin seine gesamte Kraft zusammen, bündelte sie in seinen Armen und zog mit einem Ruck ihre Klingen auseinander, ließ eine gefährliche Lücke zwischen ihnen entstehen, die bei beiden den Rumpf entblößte, ihre Deckung für einen Wimpernschlag des Schocks auslöste und noch bevor sein Gegner etwas unternehmen konnte, trat er ihm mit voller Wucht in den Magen. Davon selbst etwas mitgenommen stolperte er kurz zurück, fing sich jedoch schnell wieder. Die Tribünen erbebten unter einem Jubelschrei. Torkelnd stolperte sein Gegner ein, zwei Schritte zurück, doch fing er sich ebenfalls schnell wieder. Der Blick den er Thôrin unter durch das Visier warf, schien vor kämpferischer Wut zu brodeln.
„Ein kluger Zug.“, kam es gedämpft durch das Visiergitter.
Thôrin grinste lediglich, legte den Kopf schief und zuckte mit den Schultern.
„Vielen Dank für das Kompliment.“, meinte er schlicht, während er einen Dolch hob und den folgenden Angriff abfing. Erneut riefen die Zuschauer begeistert, schrien laut auf und verfolgten ihre Bewegungen gespannt.
Langsam spürte Thôrin, wie seine anfängliche Kraft in seinen Armen nachließ, während er unaufhaltsam den Sturm der Schläge parierte, der auf ihn niederprasselte. Sein neuer Gegner ließ ihm nicht die Chance auszuweichen oder einen Moment indem sie sich voneinander trennten. Nein, er griff unaufhörlich an. Als Thôrin einen Blick auf ihre Umgebung riskierte, erkannte er, wohin er getrieben wurde: auf die Wand zu.
In seinem Kopf fing es an zu rattern, Gedankengänge entstanden und verbanden sich allmählich, aber nicht schnell genug für einen ausgereiften Plan. Er versuchte sich hektisch an eine alte Taktik zu erinnern, die er früher einst gelernt hatte. Gerade in dem Moment, als er mit einem dumpfen Aufprall gegen die Wand schlug, sein Gegner zum gewinnenden Schlag ansetzte, blendete sein Hirn alles aus. Ein alter Bekannter, der tief in seiner Seele geschlummert hatte, brüllte auf, wollte keine Niederlage akzeptieren und rüttelte an seinem Gefängnis. Der Berserker, der seit Thôrin denken konnte, sich in ihm befand, wollte ausbrechen und in einem wilden Spiel kämpfen, unkontrolliert und bösartig. Wie in Zeitlupe raste die Klinge des Schwertes auf ihn zu. Er spürte, wie etwas in ihm, die passive Haltung aufgab, nach vorne schnellte und seinerseits zum Angriff überging. Der unheilvolle Berserker schrie hinter seinen Gittern auf. Brüllte triumphierend, als Thôrins Gesicht plötzlich ganz nahe am Visier seines Gegners war. Er hob einen Arm, fing die Klinge ab, rammte seinen Ellenbogen in die Magengrube seines Gegenübers, hörte das erschrockene auf keuchen, bevor er mit einer schnellen Bewegung seines Beines, seinem Gegner vom Boden fegte. Dieser rollte sich geschickt zur Seite und stand wenige Minuten wieder vor ihm. Doch er war noch lange nicht fertig. Er drehte seine Dolche, so dass der Knauf nach innen stand und ließ sie in einer schnellen Bewegung auf den Kopf seines Gegners niedersausen. Es krachte als Stahl gegen Stahl schlug. Sein Gegner keuchte kurz auf, taumelte rückwärts und war für wenige Wimpernschläge orientierungslos. Doch Thôrin ließ ihn keine Zeit, sich seine Orientierung zurück zu erobern. Er stand mit einer raschen Drehung seines Körpers hinter dem des anderen und schlug diesem gezielt auf die freie Stelle im Nacken. Geräuschlos sackte sein Gegner in sich zusammen und kippte vorneüber.
Thôrin atmete abgehackt, während er mit wachsamem Blick auf den leblosen Körper vor sich am Boden blickte. Sand wirbelte auf. Langsam drehte er sich vom Anblick des ohnmächtigen Kämpfers weg. Er brauchte einige Atemzüge, bis sein eigener Berserker sich beruhigte, jedoch wurde er das dumpfe Gefühl nicht los, dass dieser bis zum Ende des Kampfes im Hintergrund agieren würde.
Er wandte sich endgültig von dem am bodenliegenden Körper ab und ging auf seinen nächsten Gegner zu. Kurz huschte sein Blick über die restlichen Kämpfenden, versuchte die große Gestalt seines Freundes auszumachen, doch er vermochte es nicht ihn zu erkennen, so widmete er sich endgültig seinem neuen Angreifer. Ein diabolisches Grinsen legte sich über seine Lippen, der Berserker in ihm freute sich darauf, erneut den Tanz der Klingen zu tanzen, das Metall zum Singen zu bringen, damit die krächzenden Stimmen über den Platz hallen würden.
Langsam begann er, die ersten Schritte auf seinen Gegner zuzugehen. Pirschte im großen Kreis um ihn herum, ließ in kreisenden Bewegungen seine Dolche durch die Luft wirbeln. Seine Finger begannen unruhig mit dem Knauf seiner Waffen zu spielen, ließen sie jedoch nicht los. Der Sand knirschte unter seinen Sohlen. Die Menge kreischte irgendwo weit hinter ihm. Sein innerer Berserker brüllte freudig auf. Eine vibrierende Kampfeslust erzitterte seine Brust. Brachte ihn dazu leise zu knurren. Er tat einen weiteren Schritt in dem unsichtbaren Kreis, den er beschrieb. Beobachtete wachsam die Bewegungen seines Gegenübers. Der sich langsam immer hektischer mit ihm bewegte. Immer darauf bedacht, ihm nicht den Rücken zuzudrehen, hatte er doch gesehen, wie Thôrin präzise seine Gegner außer Gefecht setzte.
Hinter ihm hörte er das dumpfe Stöhnen eines weiteren Verlierers. Es stachelte ihn an. Forderte ihn unbewusst dazu auf, den Kreis enger zu ziehen. Der Mann, der ihm mit angespannten Bewegungen folgte, wirkte nervös, unerfahren, eine Aura eines Frischlings umgab ihn, wie ein dunstiger Nebel. Thôrin grinste. Ja, es war eine eindeutig passable Abwechslung in seinem einfachen Bauernleben, wenn er in der Arena kämpfte.
Ohne eine Vorwarnung schnellte er vor, schlug zu und überrumpelte den Kämpfer. Dieser hatte kurz den Griff um sein Schwert gelockert, ein fataler Fehler, wie er wenige Augenblicke darauf feststellen sollte. Denn im hohen Bogen flog seine Waffe davon und landete mit einem dumpfen Aufprall im Sand.
Der kühle Stahl an seiner Kehle ließ ihn zusammen zucken.
„Gib auf.“, sagte Thôrin ruhig. Er hatte keine Lust, erneut jemanden durch einen gezielten Schlag Kopfschmerzen zuzubereiten, nur damit dieser Kampfunfähig war. Doch anscheinend, war sein Gegner entweder zu naiv oder einfach viel zu mutig, denn dieser wich nach hinten aus und setzte dazu an, mit einem kleinen Haken zu seiner Waffe zu kommen. Innerlich schüttelte Thôrin den Kopf. Erneut ein Fehler seines Gegenübers. Er sollte später herausfinden, wer neu in der Gladiatorenmeile war, damit er diesem ein paar wichtige Tipps geben konnte, wie zum Beispiel, seine Umgebung genau im Auge zu behalten. Denn Thôrin hatte, während er den Kämpfer umkreist hatte, immer weiter weg, vom Inneren der Arena gelockt, bis sie schließlich in der Nähe der Wand waren. So bemerkte sein Gegner, erst viel zu spät, dass es keinerlei Fluchtmöglichkeiten gab.


Gahlik beobachtete mit finsterer Miene das Schauspiel, welches sich ihm bot. Er erkannte Thôrin den Mann aus dem Norden, als jenen geschickten Kämpfer, der mit unverhohlener Kampfeslust gegen seine Gegner stritt. Mit funkelnden Augen folgte er knurrend den fließenden Bewegungen seines Rivalen. Heute würde er nicht gegen ihn kämpfen. Noch nicht. Er grinste boshaft. Sollte sich dieser Narr verausgaben, das würde ihm alles nur erleichtern. Genüsslich strich er über die scharfe Kante seines Schwertes.
Der unerfahrene Krieger, der von Thôrin geschickt in eine ausweglose Situation gelenkt worden war, schrie auf und rannte auf den Nordmann zu. Gahlik lachte leise. Was für ein Narr.
Thôrin wich dem stürmischen Angriff mit einem einfachen Ausfallsschritt aus. Und griff seinerseits an, als man ihm den schutzlosen Rücken gekehrt hatte. Es dauerte nur einen winzigen Sekundenschlag, da lag der junge Kämpfer stöhnend auf dem Boden. Ein weiterer Gegner den sein verhasster Rivale, scheinbar mühelos besiegt hatte. Gahlik fletschte missmutig die Zähne. Er verabscheute diesen elenden Bauern.
Knurrend steckte er sein Schwert zurück in die Scheide. Wortlos und ohne jegliche weitere Regung in seinem Gesicht zeigend, beobachtete er, wie Thôrin es mit dem nächsten Gladiator aufnahm. Nein, dachte Gahlik verächtlich, der bescheidene Champion würde keiner besiegen, einzig er würde ihn zu Falle bringen und er freute sich mit teuflischer Sehnsucht darauf.


Als Thôrin unter dem tobenden Schreien des Publikums vor seinem letzten Gegner stand, rang er leise nach Atem. Der letzte gegnerische Gladiator war verflucht schnell gewesen und noch dazu ein harter Brocken, der einfach nicht besiegt werden wollte. Schnaufend hob er seinen Dolch an, so dass die Spitze sich gegen das Visier seines Gegenübers richtete. Dieser war ein großer Hüne, der drohend, mit täuschender Gelassenheit vor ihm stand, das Langschwert locker in der Hand, begann er mit leichten Bewegungen seines Handgelenkes, damit vor und zurück zu wippen. Der verdreckte Brustschutz kam Thôrin seltsam vertraut vor.
Konnte es sein…?
Mit gerunzelter Stirn tat er einen Schritt zur Seite, den bohrenden Blick stetig auf seinen Gegner, der weiterhin gelassen dastand, mit keinem Muskel zuckte und ihm lediglich entgegen sah.
Die Zuschauer verstummten. Leises Tuscheln brummte in der Luft. Wind wehte über das Feld, das nun vollkommen leer war, bis auf die letzten Zwei Kämpfer, die sich ruhig abwartend gegenüber standen. Sand wurde aufgewirbelt, erhob sich in einer bräunlichen Wolke vom Boden auf, wurde vom leise wispernden Wind fortgetragen wurde. Der Himmel schien angespannt das Geschehen im Herzen des Crossú zu beobachten.
Gleißende Strahlen, angefüllt mit einer unangenehmen Hitze, brannten sich unaufhörlich auf die zwei letzten Gladiatoren nieder. Schweiß rann in unangenehmen Bächen Thôrins Rücken hinab, tröpfelte ihm in seine Sicht. Stumm begann er die blöde Vorschrift ein Visier zu tragen zu verfluchen. Blinzelnd kämpften seine Augen gegen den verschwommenen Schweißfilm, der sich allmählich über sie legte. Unbewusst hatte er seine Hand gehoben, um sich über das Gesicht zu wischen. Beinahe hätte er die Klinge, die in einem rasenden Tempo direkt auf ihn niedersauste, nicht bemerkt. Fluchend wich er zurück, spürte den singenden Wind, der die Klinge begleitete, stolperte leicht über seine eigenen Füße und konnte im letzten Moment seinen Dolch heben und fing den nächsten Schlag ab. Er hörte, wie seine Schulter unter der Wucht des Angriffs knirschte. Er biss die Zähne zusammen, als ein brennender Schmerz in seinen Arm schoss. In den nächsten Augenblicken konnte er nur noch abblocken, selbst ein einfacher Konter wollte ihm nicht gelingen. Unaufhörlich zuckte glänzender Stahl in der Luft herum, durchschnitt diese mit zischenden Lauten, während er immer mehr nach hinten auszuweichen versuchte.
Dieser Gegner war ihm mehr als nur ebenbürtig.
Er schluckte, konnte einen weiteren Schlag abfangen und in diesem Sekundenbruchteil, als die feindliche Klinge kurz in ihrer fließenden Bewegung inne hielt, schaffte er es mit einem raschen Schritt zur Seite auszuweichen. So verschaffte er sich etwas mehr Freiraum. Sein Atem entrang sich keuchend seinen Lippen. Er musste es irgendwie schaffen einen Angriff fertig zu bringen. Fieberhaft dachte er nach einer Möglichkeit nach, während er einen weiteren Schlag abblockte. Sein Gegner war nicht nur verdammt flink und wendig, nein, zu allem Überfluss auch noch verflucht stark. Innerlich knurrte Thôrin.
Die verführenden Versprechen seines Berserkers, so gut er es konnte, ignorierend, kämpfte er stur weiter. Die Welt versank in einem verbitterten Schlagabtausch von Stahl und kreischenden Muskeln. Er wusste nicht, wie lange er noch so weiter standhalten konnte. Er brauchte dringend eine Lösung.
Die Hitze erschwerte ihm ruhig zu atmen, denn unter seiner Rüstung wurde es immer wärmer und mit der eigenen Körperwärme kam ein plötzliches Enge Gefühl hinzu. Er glaubte bald, dass seine Sinne ihm entschwinden würden, da durchzuckte das Schwert seines Gegners erneut die Luft, sauste gnadenlos auf ihn nieder. Ab diesem Moment reagierten nur noch seine instinktgeleiteten Reflexe, die er sich einst vor Jahren antrainiert hatte.
Plötzlich befand er sich nicht mehr zwischen aufgewärmten Steinen, auf glühendem Sand in Mitten jubelnder Menschen, sondern stand auf dem alten Übungsplatz in seiner alten Heimat. Vor ihm stand ein junger Barbar, dessen wirres Haar und wilder Blick ihm amüsiert entgegenblitzte. Der Barbar vollführte denselben Schlag, den sein Gegner tat, veränderte mitten in der Bewegung die Richtung der Klinge und wollte ihn mit dem vernichtenden Angriff niederschmettern. Was Thôrin verhindern wollte, schließlich wollte er nicht noch einmal als Versager dastehen. Das vertraute Gefühl des Trotzes, des Widerwillens eines jungen Kindes, das seine Niederlage nicht akzeptieren konnte, pulsierte durch seine Adern und das Bild des Barbaren verschwand und er befand sich wieder dem Angriff des Gladiatoren gegenüber.
Mit einem wütenden Schrei hob Thôrin seine Klingen, stürzte nach vorne, ließ zu, dass die stumpfe Klinge gegen seinen Arm krachte. Blut sickerte durch die aufgeplatzte Haut. Dunkler Schmerz rann durch seine Nerven direkt in sein Gehirn, doch er blendete ihn aus, veränderte seinen Griff um seinen Dolch, rammte seinem Gegner das Knie in den Rumpf und hielt ihn, während der Oberkörper leicht nach vorne ruckte, die glatte Klinge seiner Waffe gegen den Hals. Sein verletzter Arm ließ seinen Dolch los, mit einer raschen Bewegung hatte er das Handgelenk seines Gegners ergriffen und mit einem schnellen, schmerzhaften Ruck zwang er den anderen Kämpfer dazu, seine Waffe fallen zu lassen. Wieder veränderte Thôrin seinen Griff und drückte die Hand seines Gegenübers schmerzhaft nach hinten. Dieser ging keuchend in die Knie.
Die Klinge des Dolches drückte er weiterhin gegen die Kehle seines Gegners.
Zuerst war es toten still, dann allmählich erklang vereinzeltes Klatschen, das von mehr und mehr Menschen aufgenommen wurde, bis sie respektvoll sich von ihren Plätzen auf den Tribünen erhoben, dastanden und mit begeistertem Funkeln auf die zwei Gladiatoren sahen, die einen atemberaubenden Kampf zur Schau getragen hatten. Die Gelüste der Menschen nach Blut waren für diesen Tag gestillt worden.
Blinzelnd hob Thôrin seinen Blick, ließ ihn an den Mauern der Arenamitte empor gleiten, wanderte zu den Tribünen, wo kein Mensch mehr saß, sondern alle standen. Selbst der Sandfürst hatte sich erhoben, seine bunten Gewänder wallten um ihn herum, während die groben Finger des heißen Wüstenwindes in sie hinein griffen. Thôrin drehte den Kopf, der Applaus brandete über ihn hinweg, wie eine Welle aus Emotionen. Verwunderung, Erstaunen, ein Erschauern seiner Seele unter der sich auf seinem Körper ausbreitenden Gänsehaut. Sein Mund öffnete er, wollte etwas sagen, doch die Worte wurden vom euphorischem Gefühl in ihm fortgeschwemmt. Er musste den Kopf schütteln, damit er sich wieder auf seinen Gegner konzentrieren konnte, der ebenfalls seinen Blick durch die Menge gleiten ließ.
Langsam ließ Thôrin die Klinge sinken, löste seinen Griff um das fremde Handgelenk und trat einen Schritt zurück. Es war vorbei. Die Kämpfe waren beendet. Für heute, für diesen Tag.
Kurz nickte Thôrin seinem Endgegner zu, dann beugte er sich nach unten, griff nach seinem auf dem Boden liegenden Dolch und steckte ihn in seinen Gürtel. Der andere folgte ihm sogleich. Wortlos war der andere Gladiator aufgestanden, hatte ebenfalls sein Schwert aufgehoben und ging an ihm vorbei zu den beiden geöffneten Toren in der Mauer. Ein letztes Mal ließ Thôrin seinen Blick über die anwesenden Zuschauer wandern, ehe er ebenfalls zurück zur Waffenhalle ging.
Müde und ausgelaugt von der Hitze und den Kämpfen, war er erleichtert als ihn der kühle Schatten der Halle umgab. Am Anfang mussten sich seine Augen noch an die dämmrige Dunkelheit gewöhnen, doch das interessierte ihn recht wenig. Zielstrebig begab er sich auf den Weg zu einer kleinen Kammer im hinteren Teil der Halle. Dort konnten sich die Gladiatoren umziehen und sich waschen.
Erst als er den schummrigen Raum betrat, zog er mit einem leisen Seufzer seinen Helm aus. Kurz flatterten seine geschlossenen Lider, ehe er sie langsam öffnete. Sein Blick wanderte an den unterschiedlichen kleineren Abteilen des Raumes vorbei und blieb an einem großen Schatten hängen, der abwartend an einer Wand stand.
Gaûl schwieg, während Thôrin begann sich seiner Kleider zu entledigen. Er hatte grade damit begonnen seine Armschienen auszuziehen, als ihm etwas auffiel. Alarmiert hob er den Kopf und sah zurück in die Halle. Mit gerunzelter Stirn beobachtete er, wie die Kämpfer seltsam ruhig, allmählich sich zurückzogen, ohne sich dabei die Mühe zu machen, sich umziehen zu wollen. Manche hatten sogar noch ihre Waffen bei sich. Er sah wieder zurück zu Gaûl und hob fragend die Brauen. Der dunkle Riese trat langsam auf ihn zu und blickte ebenfalls stumm zur Halle.
Beide lauschten sie. Versuchte unter dem stetigen Getrappel der anderen Gladiatoren, fremde Schritte zuhören. Langsam schlichen sie sich an den Rand des Rahmens, der die Kammer mit der Halle verband, und spähten vorsichtig wieder in den großen Waffensaal.
Thôrin zog einen Dolch langsam aus dem Gürtel heraus. Versuchte so leise und flach wie möglich zu atmen, während er Gaûl ein kurzes Handzeichen gab. Dieser blickte zu ihm flüchtig hin, bevor er kurz nickte und zurück in die Halle ging.
Hier stimmte etwas nicht, da war sich Thôrin sicher. Er ließ noch einmal seinen Blick durch die Kammer schweifen, konnte jedoch nichts Verräterisches erkennen, also folgte er seinem Freund. Der gelassen auf einen der Ausgänge schritt. In einigem Abstand folgte ihm Thôrin, dem ein ungutes Gefühl langsam den Rücken hinab lief. Locker hielt er den Dolch an seiner Seite, verdeckte ihn leicht mit seinem Bein und ließ seinen Blick wachsam durch die Halle schweifen.
Als sie in den engen Korridoren ankamen, verstärkte sich sein ungutes Gefühl und lag ihm schwer im Magen. Er setzte eine unbewegte Miene auf, als sie in immer besser ausgeleuchtete Gänge kamen. Hin und wieder glaubte Thôrin, dass ein dunkler Schatten an den Gabelungen vorbeihuschte. Doch sobald er näher hinsah, war da nichts, als ein sich in der Ferne verlierender, weiterer Arm des Labyrinths, durch das sie gingen.
Erst als er in der Ferne einen runden Schein entdeckte, atmete er erleichtert auf: ein Ausgang. Doch plötzlich schob sich ein Schatten vor die helle Öffnung, nur kurz, für einen unaufmerksamen Beobachter eine Erscheinung, die ihm sein Augenlicht vorgaukelte, doch Thôrin hatte es genau gesehen: dort neben dem Ausgang stand ein bewaffneter Mann.
Er warf einen hastigen Blick hinter sich. Mehrere müde aussehende Gladiatoren versperrten ihm den Weg. Knurrend schaute er wieder nach vorne.
„Ein paar Schritte weiter kommt eine weitere Gabelung.“, flüsterte Gaûl.
Seine breiten Schultern waren angespannt nach hinten gedrückt. Seine dunklen Arme hingen in direkter Nähe seiner Messer, die er stets unter dem Stoff seiner Hose verbarg.
„Hm.“ Thôrin nickte.
„Ich gehe vorne raus.“, murmelte Gaûl und ging ungerührt weiter.
Als die Gabelung kam, löste sich Thôrin aus der Gruppe und verschwand im Schatten des nächsten Ganges. Ohne sich umzudrehen ging er weiter. Wählte bewusst jene Korridore, die fort von den Ausgängen führten. Er drückte sich eng gegen den kalten Stein. Spähte bei einer weiteren Gabelung, die nahe an einem der unzähligen Ausgänge lag, vorsichtig um die Ecke und erhaschte einen Blick auf zwei in Rüstungen verborgene Krieger. Er runzelte verwirrt die Stirn. Die Rüstung gehörte nicht zum Heer des Sandfürsten. Außerdem war sie definitiv nicht für die Wüste gemacht, sie war viel zu schwer und anscheinend mussten ihre Träger auch einige Schichten aus unterschiedlichen Lagen tragen. Ohne ein weiteres Geräusch zu verursachen, ließ er sich in die Hocke gleiten, warf erneut einen Blick auf die zwei Fremden, dann suchte er die Umgebung ab. In zwei Schritten Entfernung waren die undeutlichen Umrisse des nächsten Korridors zu erkennen. Links von Thôrin, konnte er eine Seitenkammer entdecken, nicht breiter als eine schmale Kiste und nicht tiefer als einen halben Schritt. Sie würde nicht ausreichen, um sich darin kurzfristig zu verstecken. Eine Bewegung veranlasste ihn dazu, wieder zurück zu den zwei fremden Kriegern zu blicken. Einer von ihnen brummte etwas Unverständliches und macht eine verächtliche Geste in seine Richtung. Der andere zuckte lediglich mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Hatte er etwa etwas bemerkt? Thôrin hielt den Atem an, verfolgte angespannt das Geschehen. Doch als sich die zwei Krieger kein Stück weiter bewegten, atmete er lautlos auf. Sein Blick zuckte wieder zurück zu dem nächsten Gang. Ein letztes Mal schielte er abwartend zu den Kriegern, dann als sie ihm für einen winzigen Moment den Rücken zukehrten, weil irgendjemand oder etwas draußen ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Eiligst huschte er über die kurze Strecke zwischen schattigem Korridor zum anderen, ließ sich mit pochenden Herzen gegen die Wand fallen und lugte wieder um die Ecke. Man hatte ihn nicht bemerkt. Gut. Geduckt und eine Hand nahe an seinem Gürtel huschte er weiter. Ein undefinierbares Gefühl sagte ihm, dass diese fremden Männer nicht hier waren um sich ein Spiel anzugucken, nein, sie schienen jemanden gezielt zu suchen und Thôrin hatte eine leise Ahnung davon, wen sie suchten.
Eine Zeitlang wanderte er auf leisen Sohlen durch die Labyrinth artigen Tunnel unterhalb der Arena. An manchen Stellen verharrte er mehrere Minuten regungslos, wartete mit angehaltenem Atem darauf, dass eine kleinere Truppe von den fremden Kriegern an ihm vorbei marschierte, ohne von ihm jegliche Notiz nehmend. Er hielt sich stetig im dämmrigen Schatten und wich den wenigen Tunneln aus, in denen er den flackernden Schein von Feuer erkennen konnte.
In einem Moment glaubte er, dass er sich das letzte Stück Weg nach draußen erkämpfen müsste, denn unweigerlich baute sich vor ihm ein dunkler Schatten auf. Ein Hüne in einer wilden, animalischen Rüstung, ragte urplötzlich in einem Gang vor ihm auf, dass er hastig nach hinten zurück wich. Der Hüne, der sich wegen seiner beachtlichen Größe leicht bücken musste, fuhr einen um einiges zierlicheren Mann grollend an. Thôrin ging langsam ein paar Schritte weiter zurück und verschmolz mit den ruhigen Schatten, die den Gang ihr Eigen nannten.
Der zierlichere Mann schüttelte stumm den Kopf, deutete mit einer eleganten Handbewegung in den Gang vor ihnen. Dem Hüne schien dies nicht zu passen, denn er grollte erneut missmutig und machte kehrt. Sein Kamerad sah ihm noch kurz nach, wie er aus dem Blickfeld von Thôrin verschwand und seine trampelnden Schritte weit in die Ferne rückten. Lautlos bewegte sich der andere Mann in die entgegengesetzte Richtung und verschwand ebenfalls aus Thôrins Sicht. Dieser wartete noch einige wild pochende Herzschläge, bevor er sich wagte, näher an den Rand des Ganges zu schleichen. Er sah jeweils nach, ob diese zwei seltsamen Männer endgültig verschwunden waren, dann hastete er weiter. Dem einzigen Ausgang entgegen, den niemand außer die Gladiatoren selbst kennen konnte.
Vorsichtshalber zog er einen der beiden Dolche aus seinem Gürtel, bevor er es wagte, in das ungeschützte Freie zu treten. Vom plötzlichen Licht der Sonne geblendet musste er mehrmals blinzeln, um mehr erkennen zu können als gleißendes Weiß. Nach wenigen Sekunden hatten sich seine Augen an die Sonne gewöhnt. Zwar schwirrten noch ein paar vereinzelte schwarze Punkte vor seinem Sichtfeld, doch das würde sich bald legen.
„Deine Deckung lässt zu wünschen übrig.“
Langsam drehte Thôrin sich zu der nur zu bekannten Stimme um.
Hasserfüllt starrte er zu Gahlik, der sich lässig mit blankem Schwert gegen die Mauer gelehnt hatte, in unmittelbarer Nähe des Einganges. Die dunklen Augen des Kämpfers starrten ihm entgegen. Der höhnische Ausdruck in dem braungebrannten Gesicht, brachte Thôrin dazu lauernd zur Seite zu gehen. Seine Finger bebten vor Zorn, zuckten leicht im stummen Inbegriff nach vorne zu schnellen und Gahlik die stumpfe Klinge in die Brust zu rammen.
„Was interessiert dich meine Deckung“, spie er beinahe aus, während er Gahlik zornig fixierte.
Dieser stieß sich von der Mauer ab, hob die unverkennbar scharfe Klinge leicht an, schaute auf sie herab und zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht, weil es viel zu einfach wäre, dich hinterrücks zu erstechen. Wo bleibt da der Spaß?“, er sah auf und ein boshaftes Grinsen blitzte Thôrin entgegen.
„Spaß? Du bist immer noch das gleiche sadistische Ekel, das ich kennengelernt hatte.“, Thôrin zog auch den zweiten Dolch, ging jedoch mit lässig herabhängenden Armen einen weiteren Schritt zur Seite. Gahlik dabei ständig im Auge behaltend.
Dieser schnaubte abfällig.
„So wie ich dich kenne, siehst du doch überall nur das Gute, elender Narr.“, sein Blick wurde auf einmal hart und kalt. Hass loderte in den dunklen Augen auf. Hass auf ihn, Thôrin aus dem Norden.
„O nein, Nordmensch.“, er schüttelte den Kopf, hatte ein nachsichtiges Lächeln auf den Lippen. „Das Gute existiert schon lange nicht mehr in dieser Welt. Lediglich die, die es schaffen zu überleben, werden das Privileg hier existieren zu dürfen haben. Es gibt kein Gut mehr. Lediglich der Schein einer heilen Welt.“
Langsam umrundeten sie sich, wie zwei wilde Tiere, den anderen stets fest im Auge, die Finger in gespielter Ruhe um ihre Waffen, während sie miteinander sprachen.
Theatralisch seufzte Gahlik auf und hob dann die Schultern.
„Es ist sowieso sinnlos, dir erklären zu müssen, wie die Welt funktioniert. Du wirst es nie verstehen, denn ich werde dir nicht die nötige Lebenszeit lassen, um dies zu können.“
Plötzlich schnellte Gahliks Fuß vor, wirbelte Sand auf und schleuderte diesen direkt auf Thôrin zu.
Thôrin konnte nur noch einen erschrockenen Satz nach hinten machen, bevor der Sand ihm ins Gesicht traf. Fluchend wischte er sich über die Augen. Doch Gahlik ließ ihm keine Zeit mit einem triumphalen Schrei schnellte er vor. Tödlich blitzte das Schwert in der Sonne. Thôrin wollte ausweichen, brachte jedoch nur einen stolpernden Schritt nach rechts fertig. Ihr todbringendes Lied singend, sauste die Klinge unaufhörlich auf ihn zu. Kurz bevor sie seinen Rumpf durchtrennen konnte, riss er seine beiden Klingen nach oben, verkeilte sie mit Gahliks. Einen raschen Blick an sich hinabwerfend, sagte ihm, dass Gahlik keinen Erfolg gehabt hatte. Wild lodernde dunkle Augen starrten Thôrin an. Der wahnsinnige Blick des Wüstenmannes kroch ihm durch Mark und Bein.
„Du scheinst immer noch auf die feigen Mittel zurückzugreifen.“, knurrte er Gahlik entgegen.
Dieser lachte nur auf.
„Warum sollte ich mich dir in einem fairen Kampf gegenüberstellen. Auf dem Schlachtfeld fragt dich auch keiner, ob es dir genehm ist, wenn man dich angreift. Da tut man es. Keine Fragen, nur Befehle.“, er verstärkte den Druck, zwang Thôrin dazu ebenfalls stärker gegen ihn zu drücken.
„Aber jemand wie du, kennt keine Befehle.“ Verächtlich rümpfte Gahlik die Nase.
„Du kennst nur ein Spiel mit fairen Regeln.“ Es schien als würde er sich selbst mit seinen eigenen Worten immer mehr anstacheln. Wütende Funken sprühten aus seinen Augen, während sein Gesicht eine verzerrte Maske voller Hass und Abscheu war.
„Ich kenne weitaus mehr, als nur die Kämpfe in der Arena.“ Thôrin verlagerte sein Gewicht, ließ leicht mit seinem Druck nach, wodurch Gahlik nur noch mehr aufbaute, dann sprang er zur Seite. Gahlik taumelte leicht, als seine Kraft ins Leere ging, doch er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. Geschickt wehrte er Thôrins Angriff ab, ging direkt in einen Konter über.
Thôrins Dolch flog nach oben, fing die Schwertklinge ab, lenkte ihre Bahn von seinem Körper fort, der zweite Dolch tauchte unter dem Schwert hindurch und sauste auf den dargebotenen Rumpf zu. Mit einem grunzenden Laut sprang Gahlik zur Seite. Brachte mit ein paar weitausholenden Schritten, Abstand zwischen ihnen und begann Thôrin lauernd zu umkreisen. Das Schwert wieder spielerisch gesenkt.
Die Hitze der Sonne prallte ohne Erbarmen auf sie nieder. Schweiß glitzerte in feinen Tröpfchen in dem rotblonden Haar, tropfte an ihnen runter, benetzte das glühende Gesicht des jungen Mannes. Thôrin war, selbst nach Jahren, in denen er hier einen Teil seines Lebens verbracht hatte, immer noch nicht an diese lethargische Hitze gewöhnt. Sie brannte grauenvoll auf ihn nieder. Begann langsam, aber allmählich damit sein Hirn mürbe zu machen. Er hatte das Gefühl, dass jegliche Substanz hinter seiner Stirn, behutsam begann zu köcheln. Er gab sich jedoch auf keinen Fall die Blöße, sich über die Augen zu wichen.
Ein einziger Blick verriet ihm, dass Gahlik völlig ungerührt wirkte. Die gleißenden Sonnenstrahlen, schienen ihm nichts auszumachen, eher das Gegenteil. Sie bewirkten bei ihm anscheinend eine Art Energieaufschub.
Gahlik legte den Kopf schief.
„Macht dir die Hitze etwa zu schaffen?“, süffisant lächelte er.
„Nein, warum sollte sie.“, knurrte Thôrin und begann seinerseits langsam um seinen Gegner kreisende Runden zu ziehen.
„Es ist schon etwas anderes, wenn man im Crossú kämpft oder wenn man der Gnade der Sonnenstrahlen untergeben ist. Und die meisten Strahlen, sind keineswegs gnädig.“, das Lächeln blieb, während die dunklen Augen kalt zu ihm herüber sahen.
„Dann sollte ich doch darauf hoffen, dass die Sonne mir gegenüber gnädig gestimmt ist.“, warf Thôrin spöttisch ein.
Er tat einen weiteren Schritt. Leise knirschte der Sand unter seinen Füßen. Sein Blick lag unverwandt auf seinem Gegner, der gespielt gelangweilt eine Schulter hob.
„Das kann mir im Grunde egal sein, denn am Ende liegst du blutend im Sand und wirst von ihr schön ordentlich durchgebraten.“
„Welch wundervolle Vorstellung.“
„Ja, geradezu köstlich, nicht wahr? Vielleicht werden sich die Tiere an deinem Körper satt fressen, man weiß ja nie was der Hunger alles aus einem Wesen machen kann. Ich hab gehört, dass ziemlich verzweifelte Menschen, ebenfalls dazu übergehen ihre eigene Art zu essen. Was glaubst du, wirst du eine Delikatesse für sie sein oder werden sie eher auf dich spucken?“
Thôrin zuckte mit den Achseln.
„Oder.“, er hob eine Hand mitsamt Dolch hoch. „Sie werden sich an deinem Fleisch laben, wenn wir hier fertig sind.“, Angriffslust entflammte seine Augen, die wie funkelnde Seen waren.
„Oh, du hast eine zu lebhafte Phantasie.“, Gahlik verzog kurz den Mund, machte dann einen weiteren Schritt in seinem unsichtbaren Kreis. „Ich werde heute nicht sterben. Du kannst keinen töten, dafür bist du viel zu weich.“ Er grinste boshaft.
Thôrin hob lediglich die Brauen.
„Woher willst du wissen, ob ich töten kann oder nicht?“, fragte er.
„O, ich vergaß, Vieh kannst du töten, Bauer.“, Gahlik lachte hart auf.
„Aber kannst du auch einen Mensch genauso gefühllos abschlachten, wie dein Vieh? Oder bist du zu deinen Tierchen immer sehr liebevoll gewesen?“
Als Antwort darauf griff Thôrin an.
Klirrend trafen sich ihre Klingen immer und immer wieder. Vom wütenden Tanz ihrer Muskeln gelenkt. Stahl kreischte empört auf, zogen sie ihre Waffen wieder krächzend auseinander. Gahlik war geradezu besessen von der Vorstellung, endlich Thôrin zu töten, ihn endgültig aus dem Weg zu räumen. Er griff immer wieder an. Tödliche Euphorie machte sich in seinem Körper breit, betäubte seine Sinne, die sich auf den rothaarigen Mann vor ihm konzentrierten, der bald nur noch seine Angriffe abwehrte, keine Konter mehr versuchte, sondern immer weiter nach hinten auswich. Ein triumphierendes Lächeln stahl sich auf Gahliks Lippen. Bald. Ja, bald hatte er es endlich geschafft seinen größte Rivalen in die Arme des Todes zu schicken.
Als Thôrin plötzlich leicht taumelte, sah er seine Chance. Siegessicher brüllte er auf, ließ sein Schwert durch die Luft zucken, direkt auf die Kehle des jungen Mannes vor ihm.
Doch es gab etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Plötzlich tauchte auch bei Thôrin ein kaltes Grinsen auf. Und da schoss ein Gedanke durch Gahliks Kopf: dieser Bastard hat das mit Absicht gemacht.
Thôrin ließ sich fallen, hob seine beiden Klingen und hielt sie in einem bestimmten Winkel, noch bevor Gahlik nach hinten ausweichen konnte, wurde er von einem grellen Lichtstrahl geblendet, der sich in dem rauen Stahl spiegelte.
„Ver-..“ setzte er an, doch da wurde er schon mit einem gezielten Tritt zu Boden geschickt. Immer noch kämpfte er um sein Augenlicht, als man ihm mit einem harten Schlag sein Schwert aus der Hand riss. Dann beugte sich ein Schatten über ihn und eine kalte Klinge legte sich an seine Kehle.
„Es ist leicht unfair zu kämpfen.“ Hart und kalt drang die Stimme des Nordmenschen zu ihm. Verursachte eine panische Gänsehaut auf seinem Körper. Gahlik schluckte angstvoll. Er hatte diesen Knaben unterschätzt.
Thôrin drückte die Klinge enger an seinen Hals, hinderte ihn daran zu sprechen.
„Weißt du, leider habe ich keine Zeit mich näher mit dir zu befassen, doch ich verspreche, nein ich schwöre dir, wagst du es noch einmal mich hinterrücks anzugreifen, dann lasse ich meiner Mordlust freien Lauf und glaub mir, das möchtest du nicht erleben.“, dann traf ihn etwas hart gegen die Stirn und er sackte stöhnend zusammen.
Eine Weile stand Thôrin noch vor dem zusammengesackten Körper Gahliks, dann drehte er sich seufzend um. Mit einer barschen Geste fuhr er sich über die Stirn. Feine Schweißtropfen fielen aus seinen klebenden Strähnen in sein Gesicht. Grummelnd fuhr er sich mit gespreizten Fingern erneut durch seine strubbelige Mähne. Seine Klamotten klebten unangenehm an seinem Körper und das dringende Gefühl sich endlich zu waschen, war mit einem Mal da. Missmutig stöhnte er auf. Aber zuerst musste er Gaûl finden. Er ließ seinen Blick an der Außenmauer der Arena gleiten. Weiter hinten konnte er immer noch die schwarzen Schemen von den Fremden erkennen. Er schnaubte. So viel dazu, dass man ungestört nach dem Kampf in einen kühlenden Zuber voll frischem Wasser steigen kann.
Er schaute noch einmal zu Gahlik, der reglos am Boden lag, dann betrachtete er mit nachdenklich schiefgelegtem Kopf das Schwert. Mit einem gemurmelten: „Könnte ich noch gebrauchen“, griff er danach und steckte einen Dolch wieder zurück in den Gürtel. Schwer wog das Stahl in seiner Hand. Für seinen Geschmack schon zu schwer. Innerlich zuckte er ergeben die Achseln. Er würde, falls er auf diese schwer bewaffneten Rüstungsmänner treffen würde, eine etwas längere und schärfere Waffe gebrauchen als einen einfachen, abgestumpften Dolch.
Nun musste er nur noch eins tun: Gaûl finden.
In einigem Abstand zur Arena, schlenderte Thôrin betont gemütlich und unauffällig um das Crossú herum. An manchen Stellen strömten immer noch unaufhörlich Menschen aus dem steinernen Inneren nach draußen. Manche warfen einen empörten Blick auf die seltsamen Wachen. Andere Besucher beschwerten sich lautstark in ihrer Sprache über diese Ungehörigkeit und das schlechte Benehmen der Fremden. Ab und zu musste Thôrin grinsen. Was den Fremden so alles an den Kopf geworfen wurde, war sehr amüsant.
Völlig ungerührt von den bedrohlichen Wachen, wollte ein reicher Kaufmann seine Schimpftriade nicht enden lassen. Mit wilden Gesten brabbelte er etwas vor sich hin, deutete dabei immer wieder auf die bewaffneten Männer. Thôrin sah dem Kaufmann noch kurz hinterher, bevor er sich wieder zum weiter gehen zwang. Falls einer der beschimpften Männer die Sprache des Wüstenvolkes verstand, so ließ er sich nichts anmerken, denn sie führten ihre stumme Leibesvisitation fort, ohne auf ihre potentiellen Opfer zu achten. Eine Eigenart, beziehungsweise Besonderheit der Untersuchten stach Thôrin ins Auge. Sie waren entweder in seinem Alter, sahen etwas nördlicher aus oder waren Gladiatoren.
Konnte es sein…?
Schnell sah Thôrin weg und ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. Gaûl sollte nicht zu schwer zu finden sein. Darauf bedacht nicht aufzufallen drängelte er sich durch die Menschenmasse, ignorierte so manch verärgerten Ausruf, wenn er jemanden anrempelte und ging weiter um das Crossú herum.
Nach einer unendlich langen Ewigkeit, in der er vergeblich nach Gaûl gesucht hatte, entdeckte er eine kleinere Gruppe der fremden Krieger. Sie waren nur ein bewegter Schemen in der flirrenden Luft, doch etwas an der Art, wie sie sich bewegten, veranlasste ihn dazu näher an sie heran zu treten.
Sie schienen etwas oder jemanden zu umringen.
Eine grollende Stimme, zu einem Lachen gewandelt, ließ ihn inne halten. Der Hüne aus dem Korridor stand etwas abseits der Truppe und hatte seine Arme vor der breiten Brust gekreuzt. Ein Teil seiner Rüstung hatte er abgelegt, er trug nur noch ein einfaches Kettenhemd und die an den Knöcheln mit Stacheln besetzten Handschoner. Neben ihm stand wieder der zierlich wirkende Mann. Thôrin blinzelte kurz. Nein, das war kein Mensch, sondern ein Elb. Die silberblonden Haare waren zu einem Zopf nach hinten gebunden, gaben den Blick auf ein zeitloses Gesicht frei, dessen feine Züge neben den unter einem wilden Vollbart verborgenen des Hünen hervor stachen. Der Körper unter dem glänzenden Kettenhemd bebte von dem tiefen Lachen des Mannes. Thôrin kannte solche Menschen. Sie waren als Barbaren verpönt und man fürchtete sich vor ihnen. Warum, war dann ein Elb in Begleitung eines solchen Untiers von Mensch? Thôrin kannte nur zwei ihrer Art, die unzertrennlich gewesen waren, doch dies war Jahre her.
Eine Bewegung innerhalb des Kreises lenkte seine Aufmerksamkeit wieder der Truppe zu, die sich immer enger zusammen schloss. Sie schienen sich um einen großen Schatten zu drängen, der sie immer wieder auf Abstand hielt. Egal, wie oft man ihn attackierte, er blieb ruhig und schaffte es, seine Angreifer von sich fern zu halten.
Helle Augen blitzten wartend in einem dunklen Gesicht. Breite Schultern wurden lauernd zurück gedrückt. Armmuskeln zuckten angespannt. Große Hände fingen spielerisch einen Angriff ab, schleuderten in einer Drehung den Angreifer von sich fort, direkt in die drängende Masse hinter sich. Schweiß brachte die dunkle Haut zum glänzend, ließ sie wie eine aufflammende Dunkelheit wirken. Trotz seiner Größe bewegte sich der Körper geschmeidig und elegant, wich den Angriffen mühelos aus, konterte mit bloßen Händen, immer darauf bedacht nicht zu viele überflüssige Bewegungen zu machen.
Gaûl wollte gerade einen weiteren Angriff abwehren, als jemand von hinten das Schwert hob um es in seinen Rücken zu graben. Ohne sich weiterhin mit Gedanken abzulenken, zog Thôrin seinen Dolch aus dem Gürtel und warf. Es war kein Unterfangen, von dem er sich erhoffte jemanden zu treffen, sondern eher, dass er die Aufmerksamkeit der Truppe auf sich ziehen wollte. Ein Angriff nur dazu geplant für einen kurzen Augenblick der Überraschung. Thôrin atmete innerlich erleichtert auf, dass der Dolch weit genug geflogen war und sogar gegen die Rüstung eines Soldaten krachte. Mit schepperndem Laut prallte er ab und landete dumpf auf dem Boden. Für wenige Wimpernschläge hielten die Soldaten inne. Erschrocken und zugleich wütend sah Gaûl auf. Wusste er doch, welch schlechter Werfer dies gewesen war.
Bevor jedoch einer seiner Angreifer auf Thôrin losgehen konnte, brüllte er auf, griff nach vorne, riss einen vor Schreck aufschreienden Mann aus der Enge seiner Kameraden und schleuderte ihn zur Seite.
Seine hellen Nebelaugen suchten den Blick von seinem Freund, schrien diesen förmlich an fortzulaufen. Zu verschwinden.
„Lauf!“, schrie er, bevor er einen stechenden Schmerz in seiner Schulter spürte. Grollend drehte er sich um. Stand da, wie ein drohendes Ungeheuer, dessen hellen Augen bedrohlich blitzten, von einem qualvollen Unheil berichteten, das es seinem Gegner antun würde.
Auch in den zwei, bis eben noch passiven Zuschauer kam Regung. Der Hüne hatte kurz ungläubig geblinzelt, ehe er mit einem geradezu freudestrahlenden Grinsen nach seiner Streitaxt griff und dann auf Thôrin zu rannte. Der Elb zog ebenfalls sein Schwert und ging mit wesentlich langsamen Schritten als sein Kamerad auf Thôrin zu.
Gaûl wehrte einen weiteren Angriff ab, die Augen unverwandt auf Thôrin geheftet.
„Lauf!“, brüllte er noch einmal, bevor er stöhnend zusammen sackte. Ein beißender Schmerz wühlte sich wild schreiend durch seinen Körper, entsandt durch die Klinge, die sich durch sein Fleisch geschnitten hatte. Dunkles Blut quoll aus der Wunde hervor. Wütend und vor Schmerzen geblendet wirbelte er mit gebleckten Zähnen herum, wollte nach einem Arm greifen, als jemand ihn niederschlug.


3


Der Bauernhof im Sandschatten



Die alte Frau betrachtete ihn stumm, wie er eintrat. Ein dunkler Mantel war tief ins Gesicht gezogen worden, damit man die Hässlichkeit seines Antlitzes nicht erkennen konnte. Er humpelte und zog sein Bein leicht hinter her. Nichts erinnerte mehr daran, dass er einst ein stolzer Kämpfer gewesen war. Einer der wenigen Unsterblichen, die sich getraut hatten in den Krieg zu ziehen. Stöhnend ließ er sich auf einen Stuhl nieder. Eine Hand eng an seinen Körper drückend lehnte er sich leicht zurück. Sein Blick wanderte in der vertrauten Hütte umher, suchte nach einem Punkt in dem er sich verlieren konnte.
„Wann?“, dunkel kam die Frage über seine Lippen. War ganz schlicht und barg mehr in sich, als sie zu tragen vermochte.
„Bald.“, die alte Hexe lachte leicht. Hinter ihren undefinierbaren Augen glomm das Wissen eines Wesens auf, welches älter war als die Welt.
Obwohl er etwas unzufrieden mit ihrer Antwort war nickte er und erhob sich wieder. Er hatte nicht so viel Zeit wie sie, er musste sich um anderswertige Dinge kümmern.
„Bald.“, sagte sie noch einmal, bevor er das verrückte Häuschen im Wald verlassen hatte.




Als Garig den Mann in den verdreckten Kleidern gesehen hatte musste er zweimal hinschauen. Erst die rotblonden Haare, die stechend grünblauen Augen und diese selbstgefällige Art, lässig und zugleich kampfbereit dazustehen hatten ihm nachdrücklich gezeigt, dass sie den Gesuchten gefunden hatten: Thôrin, Sohn des Königs von Bênor.
Einzig den Körperbau hatte er von seinem Vater geerbt, der Rest seines Aussehens war seiner Mutter zu verdanken. Garig grinste. Endlich hatte er wieder jemanden zum Raufen gefunden, war Laríel doch mit der Zeit etwas empfindsamer in diese Richtung geworden.
Mit Schwung holte er aus und ließ seine Axt auf seinen alten Bekannten niedersausen.
„Lange nicht mehr gesehen!“, rief er dabei aus und beobachtete mit funkelnden Augen, wie Thôrin sich zur Seite warf und abrollte. Schnell hatte er sich gefasst und zog seine zweite Waffe. Fragend hob er eine Braue. Wo sollte er diesen riesen Kerl gesehen haben.
„Och, sag jetzt nicht, dass du dich nicht mehr an mich erinnerst.“, Garig schwenkte die Axt in seiner Hand, als wöge sie rein gar nichts und legte den Kopf schief.
„Scheint so, sonst würde meine Wiedersehensfreunde ungefähr so ähnlich ausfallen, wie deine.“, Thôrin machte einen schlendernden Schritt zur Seite.
„Schade.“, meinte Garig ehrlich. „Dann sollten wir mal deinem Gedächtnis ein bisschen auf die Sprünge helfen.“, erneut schleuderte er seine Axt in Thôrins Richtung.
Ein schmerzhaftes Keuchen entkam den Lippen des jungen Mannes, als er versuchte die Axt mit seinem Schwert abzufangen. Ein pochender Schmerz meldete sich in seiner Schulter und seinem Handgelenkt.
Hastig wich er einem Faustschlag aus.
Der wilde Bart konnte nicht diese glühenden Augen verbergen, die ihn kampflüsternd und freudig ansahen. Plötzlich zerriss ein Brüllen die Luft. Thôrin sah erschrocken zu Gaûl rüber, konnte noch sehen wie dieser zusammen sackte. Dunkel glänzte Blut in seiner Seite. Thôrins Blick verfinsterte sich. Langsam ganz ruhig wich er dem nächsten Angriff des Barbaren aus. Hob ausdruckslos seine Augen, rammte das Schwert in den Sand und nickte seinem Gegner herausfordernd zu.
„Dann hilf mir doch mich zu erinnern.“ Sagte er kalt, wirbelte seinen Dolch und trat leicht auf den anderen zu. Hatte somit die Defensive aufgegeben und wechselte in den aktiven Pakt dieses Kampfes.
Laríel runzelte verwirrt die Stirn. Der warme Glanz in den Augen des Menschen war verschwunden, stattdessen starrte er in zwei endlose Löcher, in deren Tiefe etwas lauerte, das er bis zum heutigen Tag nicht gekannt hatte. Es erschreckte ihn. Konnte es sein, dass sich ein Mensch so derart veränderte, wie Thôrin in den wenigen Jahren, in denen er von seiner Heimat getrennt war? War dies wahrhaftig Möglich, wo die Menschen, doch so viel auf den alltäglichen Verlauf ihres Tages achteten, wenn auch nur unbewusst?
„Na los, komm Barbar.“ Thôrin hob den Dolch und winkte damit leicht.
Ein kaltes, berechnendes Grinsen lag auf seinen Lippen, während er unverwandt Garig fixierte.
Thôrin sah die Bewegung, das kurze Zucken der Muskeln und ging freudig auf die ihm dargebotene Einladung, genau jetzt vorzuschnellen, ein. Bevor Garig überhaupt wusste wie ihm geschah, zuckte eine blitzschnelle Klinge auf seinen Unterarm zu. Etwas ungalant wich er aus und knurrte einen rüden Fluch auf seiner Sprache.
„Bist gut geworden, Bursche.“
Mit einem Nicken nahm Thôrin das Lob zur Kenntnis. Er drehte sein Handgelenk leicht. Ließ seine Finger konzentriert über den Griff wandern. Aufmerksam entgegnete er dem Blick aus buschigen Brauen. Er benetzte seine trockenen Lippen mit der Zunge, ehe er sein Gewicht nach hinten verlagerte und sich duckte. Lauernd kauerte er vor Garig und bedachte ihn mit seltsam leeren Blick, der beinahe abwesend gewirkt hätte, würde es nicht tief in den leuchtenden Augen eine Gefühlsregung schattenhaft vorüber huschen.
Thôrin wartete. Verlor keine Minute der Unachtsamkeit. Leicht drehte er seinen Oberkörper so, dass der Barbar nicht so leicht an seinen verletzten Arm herankam. Auch Garig hatte seine ursprüngliche Stellung verändert. Er hatte die Axt so vor seinem Körper gehoben, dass sich für Angriff, sowie Verteidigung gut eignete. Der blanke Stahl blitzte im Sonnenlicht auf. Dann ohne Vorwarnung sprang er nach vorne, wirbelte die Axt herum, so dass ihr unverkennbares Ziel Thôrins Arm war. Dieser wollte zur Seite ausweichen, als er die plötzliche Drehung erkannte, war es zu spät.
Es war eine Finte!
Der einzige Ausweg, den er noch sah, war sich fallen zu lassen, auch wenn diese Aktion eine weitere Blöße von ihm bedeutete. Er knickte nach hinten weg. Konnte nicht mehr verhindern, dass er sich, bei dem Versuch die Axt unter Kontrolle zu halten und abzublocken, zur Seite drehte und mit voller Wucht auf seinen verletzten Arm krachte.
Er stöhnte auf. Bekam aufgewirbelten Sand in die Lunge, der ihn krampfhaft zum Husten brachte.
Vereinzelte Sandkörner waren ihm in die Augen gekommen, weshalb er versuchte mit Blinzeln das Brennen und die dadurch entstandenen Tränen zu vertreiben. Ein Geräusch von pfeifendem Wind ließ ihn aufhorchen. Hastig rollte er zur Seite, als eine scharfe Klinge neben ihm in den Boden gerammt wurde. Sein Kopf ruckte nach oben, wo direkt über ihm der Barbar gebeugt stand, gerade im Versuch erneut die Axt zu heben und auf ihn nieder zu schmettern. Thôrin krümmte seinen Rücken zu einem Buckel, schwang seine Beine nach oben und ließ sie mit voller Wucht gegen den Unterleib seines Gegners krachen. Die Gegenkraft ausnutzend rollte er über den Kopf nach hinten und kam wieder in eine aufrechte Stellung.
Grunzend war Garig ein paar Schritte nach hinten gewichen und schwankte leicht.
Hinter der hünenhaften Gestalt des Bärtigen erhaschte Thôrin einen Blick auf einen herannahenden Trupp der bewaffneten Krieger, der in einer Reihe auf sie zu rückte. Hastig sah er sich um. Weitere Soldaten kamen, wie eine schwarze Schar von Ameisen aus dem Crossú heraus geströmt. Rufe bellten Befehle, zu weit, dass er sie verstehen konnte, doch er hatte eine gewisse Ahnung woraus ihr Inhalt bestand. Der schlanke Elb stand immer noch unbewegt in einiger Entfernung und schien ihr kleines Gefecht lediglich desinteressiert zu beobachten. Anscheinend wollte er nicht unbedingt eingreifen und verharrte in stummer Beharrlichkeit an seinem momentanen Platz, bereit Thôrin bei einer möglichen Flucht aufzuhalten.
Unter all den hektischen Getrampel und den gebrüllten Befehlen, vernahm Thôrin plötzlich auch etwas vollkommen anderes, etwas viel vertrauteres. Die alltäglichen Geräusche des Marktes drangen an sein Ohr. Erneut blickte er zu jener Stelle, wo er Gaûl hinter den näherkommenden Soldaten vermutete. Dann sah er wieder zu Garig, der sich immer noch leicht schwankend von dem unerwarteten Angriff zu erholen schien. Er holte erneut zu einem Schlag aus.
Zwar mochte Thôrin die feigen Mittel im Kampf nicht, wie das Blenden des Gegners oder ähnliches, doch nun musste er leider darauf zurückgreifen. Er drängte den grollenden Teil seines Geistes in die hinterste Ecke seines Verstandes, wich der scharfen Axt aus und vergrub seinen Fuß im Sand. Als Garig erneut zum Schlag ansetzte, riss er den Fuß aus dem sandigen Erdreich hervor und spritzte einen ordentlichen Schwall Sand in das Gesicht des Barbaren. Dieser grunzte laut auf. Verlor für einen winzigen Augenblick die Orientierung. Dies nutzte Thôrin zum entscheidenden Weg zur Flucht.
Er drehte sich auf dem Absatz herum und rannte los. Schlug einen Haken, als zwei Soldaten ihm entgegenkamen und rannte weiter. Vor ihm bauten sich aus der flirrenden Luft die eng aneinander stehenden Stände des Marktes auf. Wie eine rettende Oase türmten sich die abgenutzten Zelte auf, mit dem bestrebten Ziel höher gen Himmel zu wachsen, um die Sonne irgendwann sinnbildlich zu küssen. Menschenmengen drängten sich zusammen, versuchten sich durch Drängeln und Schubsen dem besten Schauplatz näher zu kommen, damit sie die angebotenen Waren besser sehen konnten. Man konnte hören, wie Händler lauthals um das beste Angebot feilschten. Vereinzelte Lehmbauten, aufgebaut wie ein abgerundeter Quader ragten zwischen den Zelten empor. Karge Palmen säumten die Zwischenräume. Man hatte versucht, somit ein wenig künstlichen Schatten zwischen die Reihen der Marktstände zu bringen, doch es half nicht wirklich viel gegen die unsägliche Hitze der energischen Sonne.
Thôrin hastete weiter, hinter sich die lauten Rufe der Soldaten und das unverkennbare, dunkle Grollen des Barbaren.
Wie aus dem Nichts ragten die ersten Kisten vor ihm auf. Türmten sich übereinander oder waren über den Platz verteilt. Sie reihten sich unregelmäßig aneinander, bis sie an den ersten Zelten angelehnt worden waren. Thôrin sprang über die aufgestapelten Kisten, landete mit einem hohl klingenden Geräusch auf einer weiteren Kiste. Er drehte sich nur halb um, gab den Holzkisten hinter sich einen Tritt, so dass sie einfach nach hinten kippten. Erst dann nahm er seine ursprüngliche Flucht wieder auf.
Er konnte hören, wie Fluche erschallten und das Getrampel hinter ihm ins Stocken geriet. Kurz huschte ein Grinsen über seine angespannten Züge. Mit einigen hastigen Schritten verschmolz er mit der drängelnden Menge aus Körpern. Er wich Ellenbogen aus. Duckte sich unter Waren hindurch, die wegen Platzmangels über den Köpfen getragen wurden. Immer wieder einen raschen Blick nach hinten werfend schlängelte er sich durch die Masse. Gerüche nach Schweiß, allerhand exotischer Kräuter und schweren Duftwasser, ob süßlich oder herb überfluteten seine Sinne. Hin und wieder wurde ein empörter Ruf laut, wenn er jemanden zu stark zur Seite gedrängt hatte, doch sie verhallten ungehört.
Thôrin sah in allerhand fremder Gesichter. Jedes anders als das andere. Ihm blieb nicht viel Zeit um sich mit seiner Umgebung näher zu befassen, denn eine plötzliche Unruhe hatte die Menge ergriffen. Es genügte nur ein flüchtiger Blick über seine Schulter um zu erklären warum.
Seine Verfolger hatten wütend ihre Waffen gezogen und brüllten zornig, dass man ihnen Platz machen sollte. Zum Missfallen von ihnen, verstand das Wüstenvolk ihre Aufforderung rein im verbal verständlichem Sinne nicht. Und jene die es verstanden, wollten sich schlicht und ergreifend nicht dem Willen Fremder beugen. Die Wüste war mit all ihrer Erhabenheit und geheimnisvollen Gefährlichkeit, die ihr ihre unvergleichbare Mystik verlieh ein solch Stolzes Wesen, dass ihr Sinn für Ästhetik und ihr manchmal zur Revolte auffordernder Charakter sich auf ihre Bewohner übertrug. So war es eine gegeben Eigenschaft, übertragen vom rauen Geiste im samtenen Sandgewand, dass die Wüstenvölker lieber ihrem eigenen Willen folgten, als den Befehlen oder Sitten anderer Völker. Sie waren ihre eigenen Herren zwischen den Dünen und der unerträglichen Hitze, sonst niemand.
Thôrin schob sich weiter durch die Menge, diesmal schneller und energischer. Als er eine größere Lücke zwischen den eng aneinander gedrückten Leibern entdeckte, beschleunigte er seinen Schritt. Als er für wenige Sekunden genug Freiraum hatte um tief durchzuatmen, inspizierte er seine Umgebung. In einer geringen Entfernung sah er, wie einige Ausläufe des Marktes im Schatten der Stadtmauer endeten. Eiligst duckte er sich, um so vom Blickfeld seiner Verfolger kurzzeitig zu verschwinden. Sobald er sich vergewissert hatte, dass man ihn nicht mehr sehen konnte, huschte er geduckt weiter. Es war nicht gerade einfach sich aus dem Strom der Mehrheit zu entziehen, doch nach einigen unzähligen Minuten – oder schienen es lediglich wenige Sekunden gewesen zu sein? – trat er in den Schatten eines Überstandes. Der Stand, wo er angekommen war, bot mehrere seltsame Fläschchen zum Verkauf, in denen fragwürdige Substanzen herumwaberten. So manch ein trübe blickender Augapfel war auch dabei.
Ohne sich näher mit der Wahre zu befassen, versuchte Thôrin gelassen daran vorbei zu schlendern, um im Zwischengang der Stände zu verschwinden. Als er über die Seile der Zelte stieg und sich dem Schatten der Stadtmauer näherte, lauschte er angestrengt nach den verdächtigen Lauten der fremden Soldaten. Ein plötzlicher Schrei zerriss das aufgeregte Geschnatter der Marktbesucher. Erschrocken hielt Thôrin im Gehen inne.
Zu dem Schrei gesellten sich mehrere empörte Rufe. Mit gerunzelter Stirn und finsterem Blick drehte sich Thôrin um, schlich zurück zum Eingang des Standes und schielte an der Ware und dem Verkäufer vorbei. Ungefähr in der Mitte des Marktplatzes brach plötzlich das reinste Chaos aus drängelnden und schiebenden Körpern, sowie wild durcheinander schlagenden Fäusten und Armen. Der Mob geriet in Aufruhr. Kurz hob Thôrin spöttisch eine Augenbraue, ehe er sich wieder abwandte und eiligst auf die Mauer aus Sandstein zulief. Dieser Aufruhr verschaffte ihm die nötige Zeit für seine Flucht, denn sobald er dabei war die Mauer zu erklimmen, war er ein sehr leichtes und erkennbares Ziel.
Die Mauer ragte wie ein unüberwindbares Hindernis vor ihm auf. Drohend warf sie ihren langen und kühlen Schatten auf Thôrin. Mit der Zeit hatte das ebene Mauerwerk einige Risse und Sprünge bekommen, durch die lang andauernden Sandstürme und wegen der glutheißen Hitze.
Thôrins Blick wanderte langsam nach oben. Mit einem gequälten Seufzer machte er sich ans Erklimmen der Mauer. Kleine Steinchen lösten sich unter seinem Griff und fielen rieselnd nach unten. Sein Arm begann wieder unangenehm zu pochen und er spürte wie eine warme Flüssigkeit über seine Haut floss. Mit einem erleichterten Keuchen registrierte er, das ihn nur noch wenige Millimeter bevorstanden. Als er sicheren Halt unter seinen Füßen fand, stemmte er sich hoch und versuchte so gut wie möglich seine blutende Wunde nicht weiter zu strapazieren. Die Sonne brannte unaufhörlich auf ihn nieder. Die letzten Meter war der Stein so heiß, durch die ständige Bestrahlung gewesen, dass Thôrin geglaubt hatte, seine Finger würden mit dem Stein verschmelzen. Die ersten Brandblasen dehnten seine Fingerkuppen und verzogen die Grundstruktur seiner Haut. Grummelnd ließ er seinen Kopf gegen den Sandstein sinken. Nur kurz wollte er noch einmal Luft schnappen. Die Anstrengung seiner Gladiatorenkämpfe, wie die darauffolgende überstürzte Flucht, wollte ihn wieder nach unten ziehen, zurück auf den Boden zwischen den Zelten. Er schloss die Augen und zog die Brauen tief in die Stirn, dann biss er die Zähne fest zusammen und zog sich gänzlich über die Mauer. Mit einem leisen Plumpsen landete er auf dem Patrouillensteig, wo die Stadtwachen ihre Runden zogen.
Thôrin blickte einmal nach rechts, dann nach links um sich zu vergewissern, dass keine Wachen entlangspazierten und ihn in seiner derzeitigen Lage vorfinden würden. Ein erleichtertes Grinsen legte sich auf seine Lippen, als keine verdächtigen Personen in Sichtweite traten. Rasch hatte er sich aufgerappelt. Geduckt schlich er auf die andere Seite der Mauer, lugte zwischen dem gezackten Wall in die Stadt und hielt nach einem Punkt aus, wo er ungerührt den Abstieg beginnen konnte.
Zu seiner rechten Seite konnte er das Tor in Richtung Crossú ausmachen. Also musste er sich in die entgegengesetzte Richtung halten. Als er sich schon dazu aufraffen wollte, sich nach links zu halten, stutzte er. Das Tor, welches in dieser Richtung lag, war das nördliche Stadttor. Folglich führte es zu jenen Hafengebieten, die die nördlicheren Kontinente mit diesem hier verbanden. Also wurde es nichts mit der Flucht Richtung Norden.
Thôrin hob in einer schnellen Bewegung die Brauen.
„Also ab in den Süden.“, murmelte er und zuckte lapidar die Schultern. Ob er nun eine längere Runde um die Stadt machte oder den kürzeren Weg wählen würde, am Ende blieb das Ziel immer noch dasselbe.
Erneut erschallte ein gebellter Befehl, nicht unweit seines jetzigen Standortes. Er fuhr zusammen und drehte sich um. Noch kam niemand die Mauer empor geklettert. Würde ihn auch wahrlich wundern, wenn jemand dieser fremden Soldaten darauf käme, dass er den unwillkürlichen Wunsch verspürt hatte eine Stadtmauer zu erklimmen. Er grinste spöttisch. Dann erhob er sich, klopfte seine Kleider ab und schlich in geduckter Haltung die Mauer entlang zu jenem Tor, das ihm als unweigerliche Pforte in seine Heimat dienen würde.
Es war geradezu leicht für Thôrin.
Er umging die Wachen mit räuberischer Sicherheit und war schnell wieder vom verbotenen Patrouillenweg runter, bevor man auch nur erahnen konnte, dass er sich dorthin gewagt hatte. Mit einem unscheinbaren Geräusch landete er im gedrungen Schatten einer Gasse. Um kein Aufsehen zu erregen oder Misstrauen, versteckte er seinen Dolch unter seiner Kleidung, hob den Kopf und straffte die Schultern. Als er aus dem Schatten auf die belebte Straße trat, war sein Gang so arglos und gelassen, als könnte er kein Wässerchen trüben. Lediglich das aufgeregte Funkeln in seinen Augen und das spöttischen Zucken seines Mundwinkels, würde einem genaueren Betrachter auffallen, doch hatten die Bewohner der Stadt kaum Augen für einen solch unscheinbar wirkenden Bauern.
Die Stadt Reénamahr hatte zwei Seiten.
Die schöne Seite, voll mit Prunk und Adel, voller Anmut und Eleganz, gespickt mit dem Reichtum der Korrupten, gepaart mit der gewissenlosen Gewalt des Gerichts, sowie der Tatsache der bloßen Anwesenheit des Sandfürsten, war wohl die begehrteste. Thôrin jedoch empfand nichts für sie. Sie spiegelte lediglich das gleiche Abbild dar, welches sich in jeder großen Fürsten oder Königstadt wiederfand. Immer dasselbe, nur die Namen schienen sich zu ändern.
Die andere Seite war die tatsächliche, traurige Wahrheit. Armut, Krankheit, das nackte Überleben, Gewalt und Tod. Alles vermischt mit dem Dreck und Abfall des Lebens, ergab es ein hässliches Gesicht voller Narben und dicken Brandblasen, die ausgebleicht von der Sonne aufgedunsen wurden, jede Nacht die Kühle genossen, um Tagelang darauf zu warten, dass der ersehnte Regen fiel. Dennoch schien hinter all jener ehrlichen Hässlichkeit so etwas wie eine ungeahnt schöne Blüte zu schlummern, die in so manch einem Herzen ihre wohligen Samen säte und etwas, wie entfernte Nächstenliebe gebar. Es gab den gelogenen Prunk und die hässliche, versteckte Wahrheit, alles zusammen verschmolz es zur vielschichtigen Maske einer einzelnen Stadt.
Reénamahr war nur deswegen anders oder für Thôrin reizbar, weil es in einem fremden Land lag und wegen der einmaligen Kämpfe.
Obwohl Thôrin es verhindern wollte, so wusste er, dass sein Weg ihn unwillkürlich dem nördlichen Tor gefährlich nahe brachte. Als sich die Straße in unzählige Gassen abzweigte, lenkte er seinen Schritt in eine dieser dunklen Gegenden, in denen Frauen und Kinder in Lumpen gekleidet nach Essen oder Gold bettelten. Manchmal hörte man die verzweifelten Rufe eines Mannes, wenn dieser überfallen und womöglich, wenn er Pech hatte getötet wurde. Und nicht selten vernahm man das geschluchzte Stöhnen eines Kindes oder einer wehrlosen Frau, die gegen ihren Willen genommen wurde.
Hier in den düsteren Gassen zeigte sich eine weitere Fratze der Stadt. Unsagbar grauenvoll und gleichzeitig abstoßend faszinierend. Räuber und Gesindel quetschten sich mit Kaufmännern und anderen anständigen Bürgern hier durch, um von einem Ort zum nächsten zu gelangen. Und manchmal musste man sich fragen, ob nicht der anständige Bürger, die wahre Schande dieses Ortes war. Die Grenze zwischen Ehrlichkeit und Korruption verschmolz und hinterließ lediglich jene momentane Opfer, die ihr zufällig oder wegen eines gemeinen Schicksals in den Weg getreten waren.
Die fast weißen Lehmgemäuer ragten in einem chaotischen System aus der Erde empor. Je ärmer die Gegend, desto kleiner und dreckiger war es. Stieg der Reichtum, wandelten sich die einzelnen Häuschen in komplexen Gebäuden um, die mehr als nur ein Haus in sich vereinten. Thôrin blickte an einer Häuserwand empor, glitt mit seinen Augen daran entlang, bis er in einiger Entfernung die Öffnung der Gasse entdecken konnte. Sobald er der angenehmen kühlen, jedoch stickigen Gasse entschlüpft war, empfing ihn wieder die glühende Hitze der offenen Straße. Trotz der stetig steigenden Temperaturen herrschte reges Treiben in den normalen Straßen. Die Menschen mieden die Gassen. Versuchten so wenig wie möglich dort hindurch zu gehen. Und noch weniger, sobald die kalte Nacht einbrach, denn das war die Zeit jener Gräueltaten, die ungehört in den Tag verklangen.
Irgendwo über Thôrin krächzte ein Adler auf. Verwirrt darüber diesen vertrauten Laut zu hören hob Thôrin den Kopf, schirmte seine Augen vor den Sonnenstrahlen mit der Hand ab und verfolgte mit undefinierbarem Blick den Schatten des Vogels. Er glaubte zu sehen, wie die Federn des Tieres silbern im Sonnenlicht aufleuchteten und den Umraum weiß durchflutete. Doch genauso schnell, wie diese Erscheinung in seinem Geist aufblitzte, war der Vogel bereits fort. Leicht irritiert runzelte Thôrin die Stirn.
Er hatte keine Zeit sich mit solch banalen Sachen zu beschäftigen! Er musste einen Weg finden, Gaûl zu befreien. Vorerst jedoch musste er herausfinden, wo man ihn hingebracht hatte und wer, zum Teufel, das bei der Arena gewesen war.
Thôrin blickte sich noch einmal um, ehe er im dunklen Labyrinth der Gassen verschwand. Er begegnete vielen Gesichtern, die ungerührt an ihm vorüber zogen, doch eines blieb konstant in seinem Hirn verwachsen. Der Anblick, wie sein Freund blutend zusammen brach. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. Er musste Gaûl finden, koste es was es wolle!
Knurrend bog er im Geäst der schmalen Räuberwege in die nächste Dunkelheit. Er wanderte in schlangengleichen Linien von einer Finsternis in die nächste, stetig vom hellen aufblitzen der Sonne begleitet. Doch die Düsternis war ab nun sein treuester Begleiter, dessen Schutz ihm ohne Gegenleistung gewährt wurde.
Es dauerte nicht lange als er endlich am ersehnten Tor war. Es war ein leichtes in Reénamahr reinzukommen, doch raus war eine gänzlich andere Geschichte. Thôrin hatte keine große Lust wieder über die Mauer zu klettern. Außerdem waren sowieso zu viele Wachen postiert, als dass er unbemerkt geblieben wäre, würde er nun die Mauer erklimmen und über sie drüber spazieren.
Als er die fremden Soldaten ebenfalls im Schatten des Tores bemerkte, musste er einen Fluch unterdrücken. Um nicht aufzufallen schlenderte er zwar auf das Tor zu, bog aber dann in eine Sackgasse ab. Er lehnte sich nahe am Rand des Hauses und schielte an der Häuserwand vorbei. Kurz huschten seine Augen zum Torbogen, wo anstatt zwei, bereits vier Bogenschützen auf und ab gingen. Die Wachen hatten anscheinend nach dem Fall im Crossú Verstärkung bekommen! Eins musste Thôrin den Fremden vom Crossú lassen, sie schienen genug taktisches Wissen zu haben, um ihn in der Stadt halten zu können.
Ein grimmiger Zug legte sich hart um seinen Mund, während er die Gegend mit berechnendem Blick inspizierte. Alle auffälligen Karren, in denen man einen Menschen verstecken konnte um ihn raus zu schmuggeln wurde unter die Lupe genommen. Verdächtig aussehende Passanten beiseite geholt und genau durchsucht, dies nicht gerade mit einer Scheue vor Gewalt. Die Atmosphäre vor dem Tor schien durch unterschwellige Aggression zu vibrieren.
Die Glocken des riesigen Turms von Reénamahr übertönten den alltäglichen Lärm mit ihrem vollen Klang und mit dem Läuten zur heiligen Messe. Ein gewitztes Grinsen erschien bei dem klangvollen Geläut auf Thôrins Lippen.
Manchmal musste man nur die Götter um Hilfe bitten.

Garig war außer sich vor Wut.
Knurrend ging er mit weit ausholenden Schritten auf und ab. Laríel betrachtete ihn mur mit gemäßigtem Interesse.
Wie konnte er diesen frechen Bengel nur aus den Augen verlieren. So eine Haarfarbe musste einen doch blenden, so auffallend war sie in diesem gottverdammten Land. Garig knurrte erneut. Er stapfte energischer, erhöhte den Lärmpegel seines Gangs somit und fuhr, ungerührt dessen, mit dem herumtigern in der Kajüte der Lhóra

fort. Der Kapitän, ein schmächtiger Mann mit Spitzbart, hob angesichts der Laune des Barbaren nur eine Braue, ehe er sich kopfschüttelnd zurück aufs Deck verfrachtete. Verstand einer diese Barbaren.
„Warum regt ihr euch so auf?“, brach Laríel das Schweigen zwischen ihnen. Er war es langsam Leid mitansehen zu müssen, wie die knarrenden Dielen unter dem Gewicht des Bärtigen ächzten.
Garig fuhr herum und starrte ihn mit wütend blitzenden Augen an.„Warum ich mich aufrege?“, knurrte er gefährlich ruhig.
Dann schmiss er die Arme zur Seite und fuchtelte aufgeregt mit ihnen in der Gegend rum, als wüsste er nicht anders seine mächtige Stimme zu unterstreichen, als er grollend seinen Missmut dem Elb Kund tat.
„Warum ich mich aufrege? Ganz einfach! Wir haben nicht genug Zeit um diesen Bengel auf diesem verflucht heißen Kontinent zu suchen! Uns rennt die Zeit davon, um ehrlich zu sein, hatten wir noch nicht mal genug Zeit, als wir hierher geschippert sind! Bei Mahnefs Eiern! Ich versteh nicht, warum der König unbedingt darauf besteht, seinen verloren gegangen Sohn zurück zu holen! Hatte er ihn nicht bereits als seinen Sohn geleugnet?“, er fuhr sich in einer harschen Geste durch den Bart, während er seinen ursprünglichen Weg wieder aufnahm.
Laríel sah ihn an.
„Es war seine Mutter, die dies beordert hat. Nicht der König. Außerdem brauchen wir jeden Mann in diesem Krieg.“
„Schön, aber wie sollen wir Thôrin finden?“, resigniert ließ sich Garig in einen Stuhl fallen.
Da erschien ein triumphierendes Leuchten in den grünen Augen des Elbs. Fragend hob Garig eine Braue. Was war denn nun los?
„Ich weiß wo Thôrin hingeht. Kennt ihr das Haus hinter den Sanddünen, Garig?“, verschwörerisch lächelte Laríel, während sein Gegenüber lediglich eine weitere Braue hob.
„Was soll das für ein Haus sein?“, brummte der Barbar.
Laríel lehnte sich zurück und genoss sichtlich das Nichtwissen seines langjährigen Freundes, während er gespielt desinteressiert seine Kleidung richtete.
„Nun sagt schon!“, wollte Garig den Elben ungeduldig zum Reden auffordern, als dieser von selbst anfing:
„Wie ihr wisst, arbeitet er als Bauer. Was also liegt am nächsten, wenn ein Gladiator seinen bäuerlichen Beruf ausführen will und zu unserem Glück auch noch dort wohnt?“
„Ah.“, mehr brauchte Garig nicht von sich zu geben.
Kurz darauf waren sie, mitsamt Fußgefolge auf dem Weg zu Thôrins Heim: der Bauernhof zwischen den Dünen.

Der heulende Wind wirbelte den Sand der Dünen auf und brachte ihn zum Tanzen. Heiß glitten seine Finger über Thôrins Gesicht, trocknete die bereits rissigen Lippen nur noch mehr aus, während dieser sich in einem zerschlissenen Mantel gehüllt gegen ihn stemmte. Hinter Thôrin lagen die Tore von Reénamahr, vor ihm der unsichtbare Pfad zu seinem Hof. Mit der Zeit wurde der Sand über den schmalen Weg geweht, doch Thôrin war ihn schon gefühlte tausend Mal entlang gegangen, dass sich seine Füße jeden Schritt eingeprägt hatten, blind wie sie waren führten sie ihren Träger zurück ins vertraute Heim. Auch die unzähligen Geschichten über die Sandgeister, die mit grässlich entstellter Fratze jeden Wanderer überfallen, begleiteten Thôrins Gedanken. Doch in die Tat hatte sich keine der Mythen des Wüstenlandes umgesetzt, so dass er keine Furcht gegenüber der ureigenen Geisterwesen verspürte.
Manchmal kam Thôrin nicht umhin zu denken, dass ein tänzelnder Wirbel am Ende der Dünen in seiner schleierhaften Gestalt ihn an einen Geist erinnerte, doch waren diese Wirbel meist viel zu klein um bedrohlich zu wirken. Noch dazu entschwanden sie nach einem kurzen Moment viel zu rasch ihren reellen Körpern.
Der Wind legte sich. Sein Heulen wurde zu einem leisen Wispern, das in einer fremden Sprache leise flüsternd ihm etwas erzählte. Thôrin hob die Hand um seine Kapuze tiefer ins Gesicht zu ziehen, damit es mehr im Schatten lag und somit vor der Sonne geschützt war. Schweiß rann ihm den Rücken hinab und vereinzelte Strähnen hingen ihm in der Sicht. Sand klebte an seinen Wimpern, während er unerschütterlich weiter ging. Seinen Weg mit stoischer Ruhe fortsetzte. Hier zwischen den Dünen hatte er genügend Zeit und Ruhe damit er sich einen ordentlichen Plan ausdenken konnte.
Als er erneut den steilen Pass einer Düne passierte, erblickte er in der unweiten Ferne einen feinen Rauchschwaden, der sich in den Himmel kräuselte. Sein zu Hause war nicht mehr weit. Er beschleunigte seinen Schritt, angeregt durch sein wohliges Heim und einem kühlenden Bad.
Abrupt hielt Thôrin inne.
Irgendetwas stimmte nicht. Der Rauchschwaden war in der Nähe betrachtet viel zu groß. Seine Augen weiteten sich. Mit einem rüden Fluch auf den Lippen sprang er von der oberen Spitze des Sandhügels runter, schlitterte an der Seite hinab um sich dort wieder dem Anstieg einer weiteren Düne zu widmen.
Als er bereits die üblichen Geräusche seines Hofes hören konnte, zog er den Umhang tiefer ins Gesicht und kroch die letzte Hürde entlang und erblickte vor sich etwas, was ihm ganz und gar nicht gefiel.


4
Auf See



Der Schmerz, der sich geradezu gleichgültig mit einem Brennen durch seine Adern fraß, vermochte es zwar seinen Körper zum Erzittern zu zwingen und Schweiß auf seine müden Glieder zu bringen, doch er hatte kein Fieber. Es war eine kalte, gefühlslose Krankheit. Schleichend und langsam schlängelte sie sich durch seine Innereien, packte zu und schien sie mit höhnischem Gelächter zu verdrehen. Ein Stöhnen entwich seinen gepressten Lippen. Sein langsam trüb gewordener Blick huschte durch die Halle. Es war dunkel und finster geworden in seinem Reich. Erneut stöhnte er gepresst. Die Knöchel traten spitz und bleich aus seiner Hand hervor, als er sich vergebens an der Lehne seines Throns festkrallte. Ein fahler Schweißtropfen lief ihm über die Stirn und fiel geräuschlos in den Wall dicker Felle, die ihn hätte wärmen sollen, doch er machte sich nichts vor. Jegliche Wärme war bereits vor langer Zeit aus seinem Körper gezogen worden. Er lächelte matt. Doch selbst nach Jahren war er zu stur um aufzugeben. Er fürchtete den Tod nicht, doch er wollte seine Untertanen nicht allein lassen.
Der dunkle Herrscher murmelte etwas Unverständliches, bevor er in einen traumlosen Schlaf entglitt, den Schmerz als ständiger Begleiter.




Thôrins Bauernhof war gleichzeitig auch eine große Oase. In mitten der Dünen gab es einen fruchtbaren und für die Landwirtschaft geeigneter Platz. Ein kleiner Garten drückte sich eng gegen die Hütte aus Lehm. Der Stall war ein einfacher Bau, bestehend aus wettergegerbten Holz und robusten Sandstein. Rauch schlängelte sich aus dem kleinen Schornstein und verlor sich im klaren Himmel. Auf dem Platz vor dem Haus tummelten sich mehrere Gestalten. Geschäftig marschierten die Soldaten von einem Punkt zum nächsten, untersuchten jeden möglichen Ort, wo man sich gut oder weniger gut verstecken konnte. Einige Einrichtungen waren auf dem sandigen Boden verteilt worden. Die einst klare Quelle war schlammig und verdreckt von den vielen Stiefeln, die durch sie hindurch wateten.
Thôrin ließ seinen Blick zur Hinterseite seines Hauses wandern, dort waren nur noch wenige Soldaten zu erkennen. Er wollte sich gerade soweit aus seinem derzeitigen Versteck wagen, um in geduckter Haltung zu seinem Haus zu gelangen, als eine Bewegung fernab der Oase seine Aufmerksamkeit zu sich zog.
Man hatte Wachen im nahen Umkreis auf Patrouille geschickt. Einer von ihnen schlenderte leise vor sich hin maulend auf dem oberen Rand einer Düne und kam direkt auf Thôrin zu.
Fluchend sah Thôrin zur anderen Seite rüber und erblickte ein ähnliches Bild: ein fremder Soldat, der auf ihn zuhielt. Von weitem mochte man ihn im Sand nicht erkennen, doch sobald man näher heran kam, sah man, dass der Mantel in den er eingehüllt dalag, zu hell für den Sand der Umgebung war.
Knurrend wollte er zurück weichen, als ein Schatten über ihn fiel.
„Wen haben wir denn da?“, ertönte es über ihn.
In einer hastigen Drehung wandte er sich um, griff blind in den erhitzten Sand und schleuderte ihn dem Soldat entgegen. Mit einem gezielten Tritt entzog er ihm die Füße unter den Beinen und mit einem erschrockenen Laut kullerte der Mann die Düne herunter.
Plötzlich brüllte jemand in seiner unmittelbaren Nähe. Er sah zur Seite. Die beiden Wachen kamen nun auf ihn zu gestürmt. Etwas übereilt stand er auf, der Boden unter seinen Füßen gab nach und er kam ins Rutschen. Eine Wache zog blank. Thôrin duckte sich unter der sausenden Klinge, warf sich nach vorne und rollte den Abhang runter. In seiner unwillkürlichen Rutschpartie kam er wieder auf die Beine. Die Arme wild fuchtelnd zur Seite gestreckt versuchte er sein Gleichgewicht zu halten. Der Halt unter seinen Sohlen verschwand jedoch viel zu schnell, als dass er den nächsten sicheren Schritt hätte wagen können. Diesen Umstand innerlich verfluchend, warf er einen Blick hinter sich. Wütendes Gebrüll, wie hastige Bewegungen seiner Verfolger folgte ihm dicht auf den Fersen. Plötzlich baute sich ein Schatten vor ihm auf. Ein Mann doppelt so breit wie er stand breitbeinig da und hob einen Knüppel in die Höhe.
Mit einem leicht entrückten Grinsen ließ Thôrin sich fallen, schlitterte zwischen den Beinen seines verdutzten Angreifers hindurch, schlug während er belustig das Antlitz seines Gegners musterte ihm in die Kniekehlen, so dass dieser unwillkürlich zusammen brach.
Thôrin beeilte sich wieder auf die Beine zu kommen und wich mit einem wirbelnden Schritt einem weiteren Angreifer aus. Als er seinen Mantel sah, wie dieser einem schleierhaften Gespenst gleich um ihn herum wirbelte, kam ihn ein Gedanke.
Während er etwas stolpernd nach hinten auswich um einem etwas unpräzisen Schlag auszuweichen, fand eine seiner Hände den Weg unter seinen Mantel und fingerte dort mit dem Verschluss herum. Ein Blick genügte ihm, um ihm zu zeigen, dass jeglicher Soldat auf ihn zu steuerte. Doch bis jetzt hatte er weder den Elben noch den Barbaren gesehen.
Um einiges erleichtert atmete er aus. Vielleicht hatte er dann doch noch eine Chance hier heil wieder heraus zu kommen. Pfeifender Wind berichtete ihm von einer singenden Klinge, die von hinten auf ihn nieder sauste. Verflucht! Dieser elende Verschluss wollte sich nicht öffnen lassen. Er wollte schon einen hastigen Schritt zur Seite machen, direkt in die Arme eines weiteren Soldaten, als ein leises, erlösendes Klicken erklang.
Thôrin atmete erleichtert aus.
Mit einem Ruck hatte er seinen Mantel ausgezogen, wirbelte den schweren Stoff herum und schmiss ihn seinem Gegner über. Dieser stolperte seiner Sicht beraubt gegen einen weiteren Soldaten. Manch eine Waffe hatte sich in dem robusten Stoff verfangen und wurde mitgerissen. Thôrin holte aus und trat dem wild fluchenden Knäul aus Soldaten in die Mitte. Von der eigenen Wucht mitgerissen wurde er selbst nach hinten geschmissen, konnte sich jedoch mit eins, zwei ungeschickten Schritten vor dem Fall retten.
Schwer atmend sah er dabei zu, wie die Soldaten sich gegenseitig auf die Füße traten und sich selbst mit Ellenbogen, Fäusten und Armen schlugen. Er lehnte sich leicht zurück und verzog das Gesicht im gespielten Schmerz. Dann wandte er sich um. Es blieb ihm keine Zeit seinen Triumph auszukosten, denn im nächsten Moment schlug etwas hart gegen seine Stirn. Im letzten Augenblick vor der Dunkelheit erkannte er den Knauf einer Axt, dann die verschwommenen Umrisse einer großen, bärtigen Gestalt.
Der Barbar! Schoss es ihm noch durch den Kopf, als ein weiterer Schlag ihm im Nacken traf und sich die Schwärze erbarmungslos über ihn legte. Nicht gewillt auf seinen Protest einzugehen.


Dröhnender Schmerz hämmerte mit stetigem Pochen gegen seine Stirn, als wolle er seine Schädelwand einschlagen. Er rammte brüllend seine Fäuste dagegen. Nicht genug, dass seine Stirn platzen wollte, nein sein Nacken gab ebenfalls seine lauten Wehklagen dazu. Er hatte das Gefühl das man ihm einen spitzkantigen Stein immer wieder erbarmungslos gegen ein und dieselbe Stelle schlug. Stöhnend kam er langsam aus dem Schwarz zu sich. Mit jedem Flattern unter seinen Augenlidern schoss eine neue Welle wogenden Schmerz durch seinen Körper. Wühlte in seinem Magen und schien ihn fröhlich jauchzend von einer Seite zur nächsten zu drehen. Hastig schloss Thôrin seinen Mund. Ihm war schlecht.
Der Versuch seine Augen zu öffnen wurde mit einem weiteren Stöhnen begleitet. Langsam, als wären seine Wimpern aneinander geklebt hob er die Lider an. Als er einen Spaltbreit sehen konnte, schloss er seine Augen wieder. Das grell erscheinende Licht brannte zischelnd und schien seinen Schmerz nur noch zu schüren. Mit einem dumpfen Laut ließ er seinen Kopf nach hinten gleiten und berührte etwas zu heftig einen Widerstand. Er biss sich auf die Zunge um weitere Laute von sich zum Verstummen zu bringen. Als sein Atem sich beruhigte, der Schmerz nur noch zu einem Summen im Hintergrund abschwoll, begann er zu lauschen. Versuchte irgendetwas von seiner Umgebung herauszufiltern. Es dauerte bis er neben dem Summen im Kopf etwas anderes, weit aus störender fand. Ein Geräusch, als würde jemand hin und her tigern, die Fersen fest gegen den Boden hämmernd, dessen gequältes Ächzen seltsam hohl anhörte, als wäre darunter ein weiterer Raum, ohne massives Bauwerk. Immer mehr Geräusche überfluteten sein Gehör, brachte seine Ohren zum Klingeln und verstärkte das Gefühl des Übergeben Müssens nur noch mehr.
Thôrin versuchte sich still zu verhalten, während er der bewundernswerten Schimpftriade, die sich neben den hämmernden Schritten aufbaute, halbwegs lauschte. Er konnte nicht anders und hob spöttisch die Brauen. Wer auch immer da vor sich hin fluchte, ihm schien es egal zu sein, dass Thôrin der Schädel platzen wollte.
„Garig, könnt ihr endlich einmal ruhig sein?“, vernahm er eine ruhige Stimme, in der ein genervter Ton mitschwang. Sie klang seltsam vertraut, doch im ersten Moment konnte er sie nirgends einordnen.
Wäre keine schlechte Idee, stimmte Thôrin ihr zu.
Dann dämmerte ihm, woher er diese Stimme schon mal gehört hatte. Sie gehörte dem Elben. Dann war die andere Stimme, wohl die des Barbaren.
Vorsichtig bewegte er seine Finger. Raues Seil war um seine Handgelenke gesurrt worden. Er tastete mit den Fingerspitzen den Knoten ab. Anscheinend hatte man nicht nur seine Hände, sondern auch seine Beine gefesselt, denn als er seine Beine bewegen wollte, wurden sie mit einem Ruck nach hinten gehalten. Thôrin konzentrierte sich. Nach wenigen Augenblicken, in denen Garig weiter fluchte, wusste Thôrin ungefähr worauf er saß. Ein einfacher Hocker. Seine Hände waren auf seinem Rücken zusammen gebunden, die Beine an denen des Hockers festgemacht. Im Rücken spürte er kühles Holz. Auch im Raum schien es angenehm kühl zu sein. Er war also nicht mehr daheim. Seine Schultern sackten schwer nach unten.
Wut fing zuerst allmählich in ihm an zu köcheln, dann wurde daraus ein größer werdender, brodelnder See. Wild flammte sie in seinem Körper auf, brachte die Wasseroberfläche zum Brennen. Tief atmete er noch einmal ein. Sammelte seine Konzentration und öffnete langsam die Augen. Er musste sie zuerst zusammenpetzen, bevor er mehr erkennen konnte als lediglich ein paar verschwommene Schemen im grellweißen Licht. Erneut meldete sich der Schmerz in seinem Kopf wieder. Auch das leichte Brennen in seinem Arm erinnerte ihn daran, dass er nicht mehr ganz so fit war, wie vor einigen Stunden. Ein verschwitzter Vorhang aus roten Haaren fiel ihm in die Sicht. Vereinzelte Strähnen klebten unangenehm an seiner Stirn, wo eine Flüssigkeit getrocknet war. Die Vermutung es sei geronnenes Blut war selbstverständlich in seinen Gedanken vorhanden.
Für eine stille Ewigkeit flatterte sein Blick ruhelos durch den Raum. Das leichte Schwanken des Bodens fiel ihm erst nach einigem Blinzeln auf. Zuerst hatte er gedacht, es lag einfach daran, dass er einen ordentlichen Schlag abbekommen hatte, dass sich die äußere Welt so im Ungleichgewicht befand, dann jedoch huschte sein Blick zu einer offenen Fensterreihe ihm gegenüber und offenbarte ihm eine Sicht über einen endlos erscheinenden Horizont, an dessen Fuße Meereswellen unruhig hin und her schwankten.
Er heftete sein Augenmerk für eine Weile auf den weiten Horizont, dann erst zuckten seine Augen zurück zu den weiteren Insassen der Kajüte. Er hatte sie nur provisorisch in Augenschein genommen, doch es ließ einiges darauf schließen, dass der Besitzer des Schiffes reich war. Goldene Ornamente und verschnörkelte Bilder erzählten vom Alten Geschlecht. Jenes, zu dem auch sein Vater angehörte. Eine große Weltkarte hing an der Wand und ein riesiger Schreibtisch thronte vor der Fensterfront. Er war aus dunklem Holz und unzählige Utensilien der Schifffahrt stapelten sich auf der Tischplatte. Ordentlich aneinander gereihte Kisten, in denen allerhand Schmuck und Kleider waren, säumten die rechte Wand von ihm. Dicke Teppiche hingen an den Wänden entlang, Mitbringsel aus allerhand exotischen Ländern.
Die Schritte stoppten abrupt.
Langsam glitt Thôrins Blick zu jener Stelle, wo er die beiden Fremden vermutete.
„Wo ist Gaûl.“
Zwar klang seine Stimme leise, doch konnte sie nicht über die brodelnde Wut in seinem Inneren hinwegtäuschen. Ein beherrschter Zug ließ seine Miene zu einer eisernen Maske erstarren, während er mit finsterem Blick Garig und Laríel musterte.
Garig war stehen geblieben und drehte sich, als er die Stimme ihres Gefangenen vernahm zu diesem um. Laríel sah ihn ebenfalls an. Das ebene Gesicht des Elben spiegelte sichtliches Erstaunen wieder.
„Meinst du deinen dunkelhäutigen Freund?“, brummte Garig, immer noch schwang deutlicher Unmut in seiner Stimme mit.
Thôrin antwortete nicht. Starrte beide lediglich sie aus seinen grünblauen Augen an. Sie schienen dunkler geworden zu sein und ein gefährlich ruhiges Glimmen war in ihren Tiefen zu erkennen.
„Er ist unten in der Brigg.“
Laríel wartete die Reaktion des jungen Mannes ab. Doch bis auf ein Zucken der Augenbrauen und die angespannten Kiefernmuskeln blieb Thôrin ruhig.
Garig verschränkte die Arme vor der breiten Brust. Auch ihm war die stumme Bedrohung, die wie ein dunkler, pulsierender Schatten über dem Gesicht des Königssohnes lag nicht entgangen. Zwar wirkte er müde und ausgelaugt, doch irgendetwas schrie Garig förmlich an, sich vor dieser ruhigen Geste nicht umschmeicheln zu lassen.
Das Schweigen legte sich wie ein Leichentuch über den Raum, dämmte jeglichen Laut und griff mit klammen Fingern nach den angespannten Gemütern der Anwesenden.
Laríel räusperte sich.
„Wir sind hier, um dich zurück nach Hause zu bringen.“, durchbrach er die unangenehme Stille.
Am Anfang zeigte Thôrin keine Reaktion, dann brach ein hämisches Lachen aus ihm hervor. Schüttelte seinen Körper und verstärkte seine Schmerzen, doch es wollte nicht aufhören. Erst als Graig ungehalten anfing zu Grollen, verstummte er wieder. Den nicht zu deutenden Blick stetig auf die zwei gerichtet.
„Mein Vater, würde nie nach mir rufen. Selbst wenn es um seinen Tod ginge. Für ihn bin ich gestorben und das weiß jeder im Reich Bênor.“, meinte er bitter und zuckte leicht zusammen als eine Woge tobender Schmerz von seinem Nacken in seinen Schädel fraß. Er verabscheute Kopfschmerzen.
„Nun“, Laríel erhob sich von seinem Stuhl und ging auf den Schreibtisch zu, „dennoch schickte der König uns, um dich zu suchen. Wobei, er hier.“, er deutete mit einem spöttischen Kopfnicken auf Garig. Dieser funkelte ihn zornig aus buschigen Brauen an. „War mehr als nur erpicht darauf dich wieder zusehen. Wie du am eigenen Leib gespürt hast.“
Er lehnte sich an den Schreibtisch und zog Thôrin einer eingehenden Betrachtung.
„Was faselst du da?“, knurrte Garig und schob jegliche höfliche Konservation von sich.
„Nur die Wahrheit, alter Freund.“, Laríel grinste.
Eingeschnappt wandte sich der Barbar ab und fixierte Thôrin wieder.
Dieser hatte den Kopf leicht schief gelegt und versuchte sich krampfhaft daran zu erinnern, woher er dieses Verhalten schon einmal gesehen hatte und warum es ihm so vertraut war.
„Weil du uns ja keine andere Wahl gelassen hast, mussten wir dich außer Gefecht setzten.“, brummelte der Barbar und strich sich über den Bart.
„Lasst Gaûl frei.“, forderte Thôrin und in seiner Stimme schwang eine ihm eigene Autorität mit, die weder Laríel noch Garig vermutete hätten.
Verdrossen schüttelte der Elb seinen Kopf.
„Das geht nicht. Wir sind schon zu weit auf See, als dass wir zurück könnten.“
Missbilligend zog Thôrin die Brauen zusammen und zischte leise, als er spürte wie das Dröhnen in seinem Kopf stärker wurde.
„Außerdem läuft uns die Zeit davon.“
Thôrin hob den Kopf und wollte fragen, warum sie keine Zeit hatten, doch in diesem Moment schwang die Tür auf und ein Soldat kam herein gestürzt.
„Der Gefangene ist entflohen, König Garig!“
Außer Atem berichtete er ihnen was geschehen war. Alle schienen bestürzt über dieses Ereignis zu sein, lediglich Thôrin lehnte sich mit einem erleichterten Seufzer zurück.
„Bei den Göttern meiner Vorfahren!“, grollte Garig.
„Was sollen wir tun, Herr?“, stotterte der Soldat.
Laríel hatte den Mund bereits zum Befehl geöffnet als Thôrin ihm zuvor kam.
„Gar nichts.“, er lehnte sich zurück und lächelte leicht.
„Wie bitte?“
Der Elb hatte sich erhoben. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und zitterten vor unterdrücktem Zorn. Selten hatte man einen seines Volkes aus der Fassung erlebt.
Drohend kam Laríel auf ihn zu und blieb direkt vor ihm stehen.
„Ihr braucht gar nichts zu machen.“, gelassen glitt der Blick aus leuchtenden grünblauen Augen durch den Raum. Der Soldat setzte zu einer Erwiderung an, als Thôrin ungerührt fortfuhr.
„Wenn ihr mich losmacht, wird nichts passieren.“
Seine Finger trommelten abwartend gegen die Wand. Er hob den Kopf an blickte jeden einzelnen ruhig an.
„Was versichert uns, dass du die Wahrheit sagst?“, auch Garig war alarmiert von dem selbstsicheren Verhalten des jungen Königssohns auf diesen zugegangen.
„Nichts.“ Thôrin zuckte mit den Schultern, soweit der Schmerz es zuließ.
Von draußen erklang ein lautes Poltern, gefolgt von aufgeregten Rufen. Dann war alles mucksmäuschenstill.
Nervös zuckte der Soldat zusammen und sah zur Tür hinaus. Seine Augen weiteten sich, als eine dunkle Hand durch den Türrahmen griff, ihn am Kragen packte und fortschleuderte.
Der Mann kreischte laut.
„Also?“, Thôrin richtete sich wieder leicht auf und wartete. Laríel hatte sein Schwert gezogen und starrte zur Tür hinaus. Die Axt des Barbaren war ebenfalls blank. Langsam ungeduldig geworden, begann Thôrin auf seinem Hocker herum zu rutschen.
„Wenn ihr wollt, dass ich ohne Zeder und Mordio zu veranstalten mit euch komme, zurück nach Bênor, werdet ihr Gaûl ebenfalls mitnehmen. Wenn nicht, werde ich nicht kampflos mitgehen.“
Ein Glitzern hatte von den Augen des rothaarigen Mannes Besitz genommen. Garig stierte zurück und man konnte beinahe schon sehen, wie es hinter den buschigen Brauen arbeitete. Dann nickte er mit einem abfälligen Schnauben ergeben.
„Na gut. Er kommt mit.“
Das freudestrahlende Lächeln überrumpelte ihn ebenso sehr wie Laríel.
„Wunderbar! Nun macht mich schon los!“, er machte eine Kopfbewegung zu seinen Fesseln. Kurz zuckte Garigs Blick zu Laríel. Dieser nickte leicht und ging mit wachsam gehobenem Schwert auf Thôrin zu.
„Eins würde ich wirklich gerne wissen.“, begann dieser im lockeren Plauderton zu sprechen und beobachtete dabei, wie der Elb seine Fesseln durchtrennte. Als seine Handgelenke frei waren, lies er sie mit einem leisen Knacken kreisen. Kurz reckte er seine steifgewordenen Knie aus, dann erhob er sich.
Blinzelnd blieb er schwankend stehen. Sein Oberkörper wogte sich, wie die Wellen auf See, hin und her. Eine Zeit lang glaubte er, dass der Boden schon gefährlich nahe kam, sobald er den ersten, wackeligen Schritt tat. Nur mühsam konnte er dem Zwang seinen Kopf zu schütteln widerstehen. Es dauerte einen Moment lang, ehe er einigermaßen geradeaus sehen konnte. Trotzdem waren seine Schritte etwas unbehaglich und schwankend.
Er hob die Arme und suchte mit ihnen jenen unsichtbaren Punkt, wo er sein Gleichgewicht finden würde. Brummelnd über diese Tatsache, dass es gar nicht so leicht war, normal zu gehen, wenn man zwei Schläge gegen den Kopf bekommen hatte, ging er auf die offenstehende Tür zu.
Als er auf das Deck blickte musste er leicht grinsen.
Es war, bis auf einen einzigen Soldaten – vermutlich jener, der eben noch in der Kajüte gewesen war – vollkommen leer. Der reglose Körper lag, wie auf einem Präsentierteller in der Mitte.
Für einen unachtsamen Moment war sein Blick zu sehr von der Umgebung gefesselt. Die blitzschnelle Hand, die von oben auf ihn zukam, ihm am Kragen packte und mit einem Ruck nach oben zog, kam viel zu überraschend. Erst als er mit einem verwirrt klingenden Laut auf dem Oberdeck landete, begriff sein Gehirn, was gerade geschehen war.
Über ihm erhob sich ein drohender dunkler Schatten. Er musste mehrmals blinzeln, bevor er die hellen Nebelaugen seines Freundes erkannte. Schalk glomm in den nebligen Augen auf. Dann wurde eine dunkle Hand ihm entgegen gestreckt.
„Zu freundlich.“, meinte Thôrin trocken.
Rasch stand er wieder auf seinen eigenen Beinen.
Gaûl nickte lediglich und starrte zurück auf jene Stelle, wo Thôrin bis vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte.
„Wo sind die restlichen Soldaten?“
Gaûl hob die Lippen zu einem leisen Grinsen.
„Unten.“, dann reichte er Thôrin einen Dolch. Er selbst trug ebenfalls einen bei sich, sowie ein Schwert, dass er kampfbereit in der Hand hielt.
„Was wollen sie von uns?“, klang die ruhige Stimme des dunklen Hünen zu Thôrin herüber. Der Seewind bauschte die Segel auf und ergriff sein loses Haar, welches ihm in roten Peitschen gegen das Gesicht schlug.
„Sie wollen nur was von mir.“, er sah Gaûl an und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Es tut mir leid, aber ich habe ohne deine Zustimmung ausgehandelt, dass du mit mir zurück in mein Heimatsland kommst.“
Helle Augen lagen auf den seinen. Dann erkannte er eine Andeutung eines Nickens.
„Du siehst grauenvoll aus.“, Gaûl deutete auf die Platzwunde an Thôrins Stirn.
„Danke, du ebenfalls.“
Beide grinsten sich an.


Die verschwundenen Soldaten fand man völlig unverletzt im unteren Teil des Schiffes vor. Wenn man von vereinzelten Kopfschmerzen absah.
Der Heiler war ein stiller Mann, dessen Finger vom alter langsam begonnen hatten sachte zu zittern. Ob es aber auch an der bloßen Gegenwart seiner Patienten lag, vermochte nur er zu sagen. Sein schlohweißes Haar bedeckte seinen Schädel einem lichten Teppich gleich. Es war ziemlich kurz geschnitten, sodass es nicht störend bei einer seiner Behandlungen wirkte, in dem es ihm in die Sicht fiel. Er hatte dunkle, fast schwarz wirkende Augen, die von einem feinen Netz aus Falten umgeben waren. Thôrin konnte nicht genau deuten ob es nun Lach oder Sorgenfalten waren.
Behutsam wurde sein Arm unter die Lupe genommen. Die feingliedrigen Finger tasteten um die verletzte und aufgeschnittene Haut herum. Befühlten vorsichtig jede Unebenheit, um anschließend in einem Tiegel mit duftendem Wasser zu tauchen. Als das kühle Nass auf den Schnitt tröpfelte, zog Thôrin zischend die Luft ein.
„Die Kräuter säubern die Wunde.“, murmelte der Heiler leise, beinahe hätte ihn Thôrin noch nicht einmal verstanden. Mit zusammen gepressten Lippen nickte er lediglich. Das Brennen verbreitete sich von der Wunde aus in seinen ganzen Arm, wo es langsam zu einem wehleidigen Kribbeln abklang.
Gaûl saß mit verschränkten Armen auf einem schmalen Bett und hatte die Augen geschlossen. Nichts deutete darauf hin, dass der dunkle Riese angespannt in die Stille lauschte, die lediglich von dem leisen Geklapper des Heilers unterbrochen wurde. Irgendwann, als Thôrin schon glaubte er wäre eingeschlafen, öffneten sich die hellen Augen und starrten ihn nachdenklich an. Gelassen begegnete er dem Blick. Gaûl schwieg und schien nach den passenden Worten zu suchen.
„Warum wirst du nach Hause beordert?“, erklang seine volltönende Stimme und ließ Thôrin mit gerunzelter Stirn zurück.
Er wusste nicht, welcher Grund seinen Vater dazu bewegt hatte, ausgerechnet nach ihm zu schicken. Er hätte eher vermutete, dass einer seiner älteren Brüder – oder gar der jüngste von ihnen – seinen Platz in der Familie einnehmen würde. Warum wurde der verhasste Sohn zurück in die Heimat geschickt, wo er schon längst ein toter Geist war? Gaûl nickte, als hätte er bereits erwartet, dass Thôrin nicht wusste, weshalb man nach ihm schickte.
„Ich schätze, man wird es uns noch verraten.“, er zuckte mit den Schultern und fing sich einen warnenden Blick des Heilers ein.
„Nicht bewegen.“, zischte dieser noch einmal, dann erhob er sich, raffte seine Sachen zusammen und huschte aus der Tür hinaus.
Wortlos ließ sich Thôrin ebenfalls in sein Bett fallen und starrte an die Decke. Die typischen Geräusche eines Schiffes klangen an sein Ohr. Er hörte wie über ihm geschäftiger Tumult herrschte, der Wind heulend in die Segel blies und die Wellen am Bug in Meeressschaum zersprangen. Mit leisem Ächzen bewegte sich das Schiff auf der unruhigen Wasseroberfläche, schwankte von einer Seite zur anderen und schien ihn in einen Schlaf wiegen zu wollen.
Gerade als seine Lider schwer wurden und drohten zuzufallen, durchbrach Gaûl die Stille. Er saß noch weiterhin gelassen auf seinem Bett und starrte irgendwo in ein unendlich erscheinendes Nichts, das sich unsichtbar vor seinen Augen aufgebaut hatte.
„Was ist in deiner Heimat geschehen, dass dein Land dich nur mit einer Eskorte aus kampffähigen Soldaten zurück zu holen vermag?“
Thôrin schwieg. Ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Dann seufzte er lautlos auf.
„Wie würdest du einen Mann nach Hause schicken lassen, wenn er für das Land lediglich ein geächteter Toter ist?“
Plötzlich war jegliche Müdigkeit aus seinen Knochen gewichen, anstatt ihr begann sich ein bitteres, schwerfälligeres Gefühl in ihm zu regen. Enttäuschung. Die Schwere des missverstandenen Sohns legte sich bleiernen Gewichten gleich wieder auf sein Gemüt. Drückten dieses in die endlos erscheinenden Tiefen einer langverdrängten, dumpfen Welt, die er längst verloren geglaubt und gehofft

Impressum

Texte: Copyright by Nicola Maas
Tag der Veröffentlichung: 15.03.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Familie, die mir hilft, obwohl sie es nie wirklich merkt. Für meine Freunde, die mit Kritik mir zur Seite stehen und ebensoviel an diesem Werk beitragen wie ich.

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