Die Augen flattern auf.
Das Licht blendet.
Das Klopfen.
Adam.
Schon tritt er ein.
Ohne meine Erlaubnis.
Rascheln.
Er zieht seine Jacke aus.
Einatmen.
Er schaut mich an.
Seine kalten grauen Augen.
Gefühlslos.
"Hallo Evelynne.
Wie geht es dir?"
Seine Stimme.
Klar.
Wundervoll.
"Gut."
Meine Stimme, nurnoch ein Röcheln.
Seit wann habe ich nicht mehr geredet?
Egal.
Unwichtig.
"Ich habe etwas für dich, Schwesterherz."
Er zieht den Stuhl heran.
Lautes Quietschen.
Er drückt mir etwas in die Hand.
Seine Haut ist so viel bräuner als meine.
Ein Brief.
Josh.
Ich schaue wieder zu Adam.
Er sieht perfekt aus.
Perfekt, wie immer.
Bedrückende Stille.
"Dad wollte dich besuchen kommen.
Aber du weißt ja...zu beschäftigt,
um dich in der..."
Psychatrie.
"...äh..um dich im Krankenhaus zu besuchen.
Aber ich soll dir von ihm sagen,
dass er dich sehr vermisst."
Natürlich.
Wenn er mich vermissen würde,
ich ihm wichtig wäre,
hätte er mich schon längst besucht.
"Ich muss jetzt auch schon wieder los..."
Nicken.
"Bis dann, Eve."
Seine Umarmung.
Seine Wärme.
Er ist perfekt.
Liebevoll.
Ich hasse ihn.
___________
Mein Blick fällt auf den Umschlag.
Josh.
Vorsichtig mache ich den Brief auf.
Josh.
"Hallo, wie geht es dir?
Ich vermisse dich sehr..."
Ich lese den Brief.
Von mir wird geredet.
Egal.
Nur wegen Josh lebe ich noch.
Wegen ihm bin ich noch hier.
Denn diese Wörter sind notwendig.
Diese Worte sind die,
die mich am Leben halten.
___________
Ich bin schon seit längerer Zeit hier.
In der Psychatrie.
Wie lange schon?
Ich weiß es nicht.
6 Wochen.
Mein ganzes Leben lang.
Weil ich meine kleine Schwester umgebracht habe. Amanda Gray im Alter von 11 Jahren verstorben.
Weil ich meine Mutter umgebracht habe. Jane Gray im Alter von 41 Jahren verstorben.
Es war ein Blutbad.
Überall war diese wundervolle rote Farbe.
Ich liebe rot.
Ich habe sie umgebracht.
Sagen die von dem Gericht.
Ich war es, weil ihr wundervolles Blut an mir klebte.
Ich war es.
Ich war es nicht.
_________
Ich weiß, dass ich träume
Ich weiß das
Ich weiß
Ich
_________
Die Ränder von allem sind verschwommen.
Der Boden wankt.
Das ist mir egal, weil ich schwebe.
Rote Farbe.
Blut auf mir, an meiner Kleidung.
Blut im Mund.
Salzig.
Blut an meinen blassen Händen.
Ein Revolver.
Woher?
Mutter.
Sie liegt auf dem Boden.
Jane.
Leere Augen, die mich anstarren.
Rote Farbe an ihr.
Um sie herum.
Lebt sie noch?
Wo ist Amanda?
Auf der Treppe.
Tot.
Einatmen.
Ausatmen.
Was habe ich getan?
Ich weiß es nicht mehr.
Ich weiß nichts mehr.
Leere.
"Ich war das nicht."
Erdrückende Stille in meinem Kopf.
Mein Name.
"Eve."
Adam.
__________
"Eve. Wie geht es dir?
..sag doch was..."
Mein Bruder sitzt neben mir.
Ich weiß nicht, wie lange schon.
Ich starre ihn an.
Warum war er in meinem Traum?
Warum war er bei uns zu Hause?
Warum war sein weißes Hemd durchtränkt mit Blut?
Er war es.
"Eve!"
Seine Hand auf meinem Arm.
Schmerz.
"...ich habe getäumt, Adam."
Es tat immernoch weh zu sprechen.
"Ach ja? Was denn, Schwetserherz?"
Schweigen.
"Erzähl es mir."
Befehlender Unterton.
"Warst du da, als es passiert ist...?"
Seine Gesichtsmuskeln zucken kurz.
Was auch immer er gleich sagt...
"Was meinst du?"
Er lächelt, wie man ein kleines Kind anlächelt, dem man sowieso nicht glaubt.
Falsches Lächeln?
"Du weißt genau, was ich meine..."
Er schaut wieder kalt.
Er weiß, dass ich nicht dumm bin.
Er weiß, dass ich nicht psychisch gestört bin.
Er weiß alles.
Er kennt die Wahrheit.
Bestimmt.
"Nein, ich war nicht da, als du Mom und Amanda umgebracht hast."
Er war verbittert.
"Du warst da. In meinem Traum.
Du warst da."
Seine Augen weiten sich
"N-nein! Eve.
Lass mich mit deinen kranken Gedanken infrieden!"
Er wurde gefährlich laut.
Einatmen.
Er wandte sich schon zum gehen.
"Ich werde es ihnen sagen."
Ausatmen.
Er hat mich verstanden.
Die Tür knallt zu.
Zurück blieb seine Schwester.
Die Mörderin.
Ich.
__________
Es gibt einen Plan.
Ich werde es heraus schaffen.
Ich habe alles vorbereitet.
Bald
werde
ich
FREI
sein.
__________
Adam ist da.
Wieder.
Endlich.
"Evelynne...wie geht es dir?"
Seine Hand.
Warm.
Weich.
Aud meiner Wange.
Ich starre ihn an.
Stille.
"Eve...ich mache mir Sorgen...
rede doch etwas mehr..."
Sorgen.
Er?
"Es tut weh."
Warten.
Rascheln, als er aufsteht.
Er will gehen.
Mich alleine lassen.
Er darf nicht gehen.
Noch nicht.
"Ich werde jetzt gehen.
Eve.
Ich werde der Schwester bescheidgeben dass sie dir...
Schmerzmittel gibt.
Damit du schlafen kannst.
Für eine Zeit."
Er will gehen.
Weg.
Er will mich töten.
"Adam."
Ein Röcheln.
Verwunderte Augen.
"Ja?"
Soll ich?
Ja.
Sicher?
Nein.
"Adam...umarme mich."
Komm zu mir.
Er macht einige Schritte.
Auf mich zu.
Ahnt er etwas?
Sicher nicht.
Nein.
Er lächelt.
Seine Augen...
hell.
Dann kann ich ihn riechen.
Kaffee.
Seine Berührung.
"Ach Eve.
Ich habe dich wirklich vermisst."
Trauer und Freude in seiner Stimme.
Getäuscht.
Schauspiel.
Lügner.
Ich ramme ihm das Messer in den Rücken.
Fetser.
Fester.
F E S T E R.
Ein Keuchen.
Mein Name.
"Was..."
Er hustet.
Er sinkt in meine Arme.
Blut.
"...wieso...?"
Ich streichle sein blondes Haar.
Das war mein Bruder.
Röcheln.
Aufstehen.
Ihn hinlegen.
Ich blicke auf ihn hinab.
Er wird sterben.
"Adam. Ich weiß, dass du sie umgebracht hast."
Er stirbt.
"Alle konntest du hinters Licht führen. Mich nicht."
Er war tot.
"Ich liebe dich, Bruderherz."
_________
Meine langen Haare.
Auf dem Boden.
Tot.
Ein Mädchen in viel zu großer Kleidung eines Mannes.
Kurze blonde Haare.
Frei.
__________
Adam.
Ich decke ihn zu.
Vorsichtig.
Er atmet noch.
Unregelmäßig.
Schwach.
Die Jacke anziehen.
Geld.
Aus dem Zimmer.
Ich laufe.
Niemand sieht mich.
Keiner versteht.
Die Sonne.
Grell.
Ein paar Schritte.
Dann ist es vorbei.
Ich stehe vor der Psychatrie.
Mein Gefängnis.
Ich war frei.
Josh.
Ich werde gehen.
Zu Josh.
Mit ihm leben.
Ihn lieben.
_________
Ich laufe.
Schnell.
Langsam.
Ich bin da.
Sein Haus.
Ist er da?
Haustüre.
Klingel.
Ist er da?
Er ist da.
Josh.
Mein Josh.
_________
"Evelynne...Eve?"
Verwunderung.
Angst?
"Josh."
"Was...was machst du hier?"
Seine Augen.
Verwirrt.
"Darf ich reinkommen?"
Er lies mich.
In sein Haus.
Küche.
Obstschale.
"Also Eve.
Was ist los?"
Josh.
Ich.
"Ich habe ihn umgebracht.
Ich bin jetzt frei.
Josh. Wir...
wir können zusammen weggehen.
Nach Kanada.
Oder Europa...
Josh..."
Das Reden.
Es fällt mir leichter.
Leichter mit jedem Wort.
"Was? Eve...Eve ich kann nicht."
Traurig.
Ängstlich.
Er kann nicht.
Wieso?
"Ich hab meine Familie hier, Eve."
Aber...
"Aber..."
"Ich werde jetzt bei der Psychatrie anrufen. Tut mir leid Eve..."
__________
Er verrät mich.
Er will,
dass ich verschwinde.
Das Telefon in seiner Hand.
Er dreht sich weg von mir.
Fehler.
Ich stehe auf.
Gabel.
Küchenmesser.
Messer.
"Guten Tag, hier ist Josh Brefton..."
Nein.
"NEIN!"
Schrei.
Josh.
Nein.
Ein Messer.
In meiner Hand.
Ein Messer.
In seinem Rücken.
Blut.
Von Josh.
Warum?
Rot.
Wunderschön.
Stechen.
Weiter Stechen.
Immer weiter.
Immer mehr Rot.
Tränen.
Lachen.
Das Telefon.
In rot gtaucht.
Josh.
Er schläft.
Er war tot.
Ich hatte ihn umgebracht.
Nein.
Er war es selbst.
Aufstehen.
Alles Verschwommen.
Gehen.
Weg.
Die Tür.
Offen.
_________
Ich war draußen.
Im warmen Sonnenschein.
Die Welt war schön.
So wunderschön.
Ich lief.
Wohin?
Ich weiß es nicht.
Unmögliche Leichtigkeit.
Aber eine Sache wusste ich.
Ich war
frei
.
_________
Mein Name ist Evelynne Gray.
Ich habe meine Familie nicht umgebracht.
Ich habe meine Familie umgebracht.
Mein Bruder wollte mein Leben zerstören.
Dafür musste er bezahlen.
Mein bester Freund wollte mich verraten.
Ich habe ihn getötet.
Um frei
zu sein.
Was hättest du getan?
SCHACH MATT.
Texte: © Alina Rudolf, 2012
Bildmaterialien: © Alina Rudolf, 2012
Tag der Veröffentlichung: 10.02.2012
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