Prince Charming
Wir hatten Sommer. Genauer gesagt Sommerferien. Die Temperaturen waren mild, sogar jetzt am Abend noch. Ich stand vor dem Kino unserer Kleinstadt und wartete auf meine Freundin. Wir wollten uns heute zusammen einen Film anschauen, eigentlich hatten wir ausgemacht, dass wir uns um 19.00 Uhr vor dem Eingang treffen würden, aber jetzt zeigte meine Armbanduhr schon zehn nach sieben und sie war immer noch nicht da. Seltsam, normalerweise kam sie nie zu spät. Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Handy, um ihr eine SMS zu schicken und hing dabei meinen Gedanken nach. Naja eigentlich war es mehr ein Gedanke. Ich war in Gedanken bei einem Jungen, den ich vor den Ferien kennen gelernt hatte, wobei kennen gelernt schon zu viel ist. Er ging auf meine Schule. Gesehen hatte ich ihn schon öfter, aber erst letzten Freitag bei der Schlussfeier der Schule war er mir so richtig aufgefallen. Ich saß mit meiner Freundin in unserer Aula und wir quatschten. Es waren schon sehr viele Plätze besetzt. Zufällig schaute ich auf und blickte ihm direkt in die Augen. Er drehte den Kopf und es war, als würde er meinem Blick ausweichen, doch sogleich richteten sich seine Augen wieder auf mich. Verlegen senkte ich den Kopf. Er sah sehr gut aus. Dunkles, kurz geschnittenes Haar, das leicht verstrubbelt war. Verdammt, so sexy. Braun gebrannt, durchtrainiert. Er trug ein blau, weiß gestreiftes Hemd, das seine Figur gut zur Geltung brachte und eine cremefarbene Hose. Hab ich schon mal erwähnt, dass ich Männer liebe, die in cremefarbenen Hosen heiß aussehen? Mein Blick folgte ihm, während er und seine Freunde nach freien Plätzen Ausschau hielten. Sie ließen sich an der Seite nieder und sein Blick schweifte wie suchend durch den Raum und, vielleicht bildete ich es mir auch nur ein, blieb an mir hängen. Leider war er zu weit weg, um einen genauen Gesichtsausdruck zu erkennen. Anscheinend gefiel seinen Freunden die Sicht zur Bühne nicht, denn kurze Zeit später machten sie sich auf den Rückweg zur Treppe und wieder bildete ich mir ein seinen Blick auf mir zu spüren. Bedauerlicherweise setzten sie sich auf die andere Seite der Aula und waren so nicht in meinem Blickwinkel. Gedanklich durchlebte ich die Situation erneut und es kribbelte in meiner Magengegend. Später in der Pause standen meine Freundin und ich „unabsichtlich“ direkt vor ihren Nasen herum und ich bemerkte, wie er sich immer wieder durch die Haare strich und herschaute. Zweimal lief ich an diesem Abend noch an ihm vorbei. Oder besser gesagt, einmal lief er an mir vorbei und ich blickte angestrengt in eine andere Richtung. Er sollte auf keinen Fall merken, dass meine Beine plötzlich aus Wackelpudding bestanden. Dementsprechend konnte ich mein Gleichgewicht auch nur ansatzweise halten und wankte im Stehen etwas unbeholfen hin und her. Meine Freundin zog fragend eine Augenbraue hoch. Normalerweise hätte ich jetzt gelacht, weil dieser Gesichtsausdruck bei ihr immer sehr komisch wirkt, aber diesmal hatte ich genug damit zu tun, nicht umzufallen oder schlimmer noch, die Treppe herunterzufallen. Das letzte Mal an diesem Abend sah ich ihn, als er mit seinen Freunden am Ausgang stand und ich mit meinem Bruder die Schule verließ. Wieder schaute ich ihn nicht an. Hoffentlich dachte er nicht, ich sei mit meinem Bruder zusammen.
Ein „Hey“ riss mich aus meinen Gedanken. Erschrocken schaute ich auf und blickte in ein lächelndes Gesicht. Sein Gesicht.
Reflexartig schüttelte ich den Kopf, ich konnte es nicht fassen.
„Hab ich dich erschreckt?“
„Vielleicht.“ Gottseidank hatte ich nicht die Sprache verloren oder stammelte. Nein, das vielleicht klang sogar irgendwie neckisch.
„Was machst du hier?“
„Ich geh heut ins Kino. Und du?“
„Bin eigentlich rein zufällig da. Wollte einfach mal schauen, was für Filme demnächst laufen.“
„Achso.“
„Was machst du eigentlich so in den Ferien?“
„Ach nicht viel.“
„Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du total gut aussiehst?“, platze ich heraus. „Ähm ich meine, dass dir der Pulli sehr gut steht.“
Er lächelte mich breit an.
„Nein, so direkt noch nicht.“
Ich hätte mich treten können. Richtig fest.
„Wartest du auf jemanden?“
„Ja nur eine Freundin.“
„Kein Prince Charming?“
Ich grinste. Wenn der wüsste.
„Mh nein auf meinen Prince Charming warte ich jetzt nicht." Eher… mit, ergänzte ich in Gedanken.
„Sollen wir uns setzen?“, fragte er und deutete auf eine Sitzgruppe.
„Klar.“
„Also du wartest nicht auf deinen Prince Charming“, setzte er erneut an.
„Nein.“ Mühsam verkniff ich mir ein Lächeln.
„Also bist du kein Single, oder?“
„Doch.“
Stille.
„Und du?“
„Auch.“
Wieder Stille.
„Aber du hast einen Prince Charming.“
„Mh.“
„Es gibt jemanden, der dir sehr gut gefällt", bohrte er weiter.
"Ja.“
„Beschreib ihn mal.“
„Nein, du fängst an. Wie sieht deine- was ist das Gegenstück? -Princess Charming aus?“
„Von mir aus. Also das ist eigentlich ganz einfach. Sie ist mittelgroß, schlank, sportlich und hat blond-braune Haare. Sie ist intelligent, aber auch lustig und hat ein sehr schönes Lächeln. Und immer, wenn sie lacht, muss ich lächeln.“
„Wow.“ War ja eigentlich klar, dass er auf irgend so eine Supertussi stand.
„Jetzt bist du dran.“
„Also der Held meiner Träume hat braune Haare.“
„Wie lang?“
„Ähm… so wie deine ungefähr. …. „Was hast du eigentlich für eine Augenfarbe?“
„Braun, wieso?“
„Einfach so. Er ist sportlich, nett, und immer wenn ich ihn sehe muss ich auch lächeln.“ Und wie zur Bestätigung schlich sich ein breites Grinsen auf mein Gesicht, dass er sogleich erwiderte.
„Darf ich dich ins Kino einladen?“ Diese Frage überrumpelte mich.
„Äh“, war ein sehr bescheidener Versuch darauf zu antworten.
Er schien es als Zustimmung zu nehmen, war schon aufgestanden und in unser Kino verschwunden. Bis ich es realisiert hatte, tauchte er schon wieder mit zwei Karten in der Hand auf und hielt mir eines davon hin.
„Für deine Freundin ist nebendran noch reserviert.“
Ich holte einen Kinogutschein aus meiner Tasche und hielt ihn ihm hin.
„Tausch, okay?“
„Aber nur, wenn du mir versprichst, dass du mit mir ein zweites Mal ins Kino gehst und ich ihn einlösen kann.“
Ich fühlte mich einfach überrumpelt, nahm meine Karte entgegen und steckte sie in meine Tasche. Glücklicherweise erschien in diesem Augenblick meine Freundin. Mit ihrem Freund.
„Er wollte unbedingt mit.“, war das erste, das sie zu mir sagte.
Ich stand auf.
„Ist okay.“, antwortete ich und umarmte zuerst meine Freundin, dann ihren Freund.
Alex (Namen von Autor geändert ;)) stand auch auf.
Meine Freundin blickte mit leicht geöffnetem Mund von ihm zu mir und wieder zu ihm.
„Kennt ihr euch?“
Wir schauten uns an und grinsten.
„Ja.“
„Hast du mir was verschwiegen? Gibs zu ihr seid zusammen.“
Diesmal war es an mir, von ihr zu ihm zu blicken, in der Hoffnung in seinen Augen die Antwort zu lesen, aber schaute mich nur fragend an, als wisse er auch nicht, wie wir darauf antworten sollten.
„Dann eben nicht. Wo sitzen wir?“
Froh über die Ablenkung kramte ich eifrig nach meiner Karte, aber Alex war schneller.
„9. Reihe, 6. Platz sitzt sie und Platz 5 ist auch noch reserviert.“
„Gut dann geh ich mal fragen, ob nebendran noch ein Platz frei ist.“
„Ich komm mit.“, beeilte ich mich zu sagen.
Ich war schon im Gebäude, als ich ihren Freund „Doppeldate“ sagen hörte. Ohne darüber nachzudenken, drehe ich mich um und bemerkte, dass Alex mir gefolgt war.
„Teilen wir uns eine Tüte Popkorn?“
„Mh ich weiß nicht.“
„Ach komm schon“, meinte er neckisch. „Du kannst doch ohnehin nicht widerstehen.“
„Dem Popkorn, oder dir?“, antwortete ich schlagfertig.
Er lachte.
„Das werden wir sehen.“
Tag der Veröffentlichung: 24.01.2012
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