„Haru, komm schon das schaffst du. Zeig ihnen, wer der Beste ist!“ Yuki schrie so laut das sich die anderen verwundert nach ihr umdrehten. Es kümmerte sie recht wenig und mit wachsender Begeisterung feuerte sie ihn weiter an. Akiko, die ein kleines Stück weiter hinter ihr stand, beobachtete ihre Freundin. Seit drei Jahren waren sie nun ein Paar. Seltsam, wie rasch die Zeit verging, dachte Akiko. Yuki war sowieso immer die spontane, aufgedrehte und lebensfrohe von beiden gewesen. Akiko hingegen war die ruhigere, schüchterne und naivere. Im Grunde waren sie wie Feuer und Wasser. Zwei Gegensätze, die überhaupt nicht zusammenpassten und sich doch gegenseitig anzogen. Es gab Zeiten da wünschte sich Akiko nur ein wenig von dieser Lebensfreude die Yuki an den Tag legte. Je länger sie Yuki betrachtete umso mehr musste sie lächeln.
Es war schon ein komischer Anblick den Yuki lieferte. Ihre Arme waren hoch in die Luft gestreckt und immer wieder sprang sie hoch, um ihren gemeinsamen Freund Haru anzufeuern. Innerhalb von ein paar Minuten hatte sie die Aufmerksamkeit der umstehenden Leute, die sie völlig verdutzt und verwirrt anstarrten. Diejenigen, die zu nah an Yuki standen, hatten schon ein wenig Abstand genommen, da Sie sonst Gefahr liefen, einer ihrer Arme abzubekommen. Genau in diesem Moment donnerten die zwei Wagen an ihnen vorbei und Yukis Begeisterung kannte keine Grenzen mehr. Akiko widmete jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit diesen zwei Wagen. Es waren nur noch ein paar Hundert Meter bis zum Ziel. Mit einem hauchdünnen Vorsprung raste Harus Wagen über die Ziellinie. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Anders hatte sie es auch nicht erwartet. Haru war und blieb nun einmal der Beste. Yukis Jubelschrei drang an Akikos Ohren. Bevor sie reagieren konnte, hatten sich auch schon zwei Arme um ihre Hüften gelegt.
„Musst du eigentlich immer so herumbrüllen? Morgen bist du dann wieder heiser.“ ermahnte Akiko ihre Freundin.
„Du könntest von Zeit zu Zeit auch ein wenig mehr Begeisterung zeigen“, erwiderte Yuki und knuffte ihrer Partnerin leicht in die Seite.
„Wozu? Erstens hört und sieht es Haru eh nicht und zweitens gewinnt er doch sowieso immer.“ Akiko drehte sich in Yukis Armen herum und sah ihr in die Augen.
„Du bist manchmal echt unmöglich.“ lachte Yuki auf. „Lass uns zu ihm gehen und ihm gratulieren.“
Kaum hatte Yuki die letzten Worte ausgesprochen da zog sie Akiko auch schon hinter sich her. Akiko hatte große Mühe dem schnellen Schritt von Yuki zu folgen und stolperte eher hinter ihr her als zu laufen. An Haru heranzukommen erwies sich schwieriger als erwartet. Mindestens vierzig Leute hatten sich um ihn herum versammelt und jeder wollte ihm seine Glückwünsche überbringen. Akiko seufzte kurz auf. Dieser Abend würde nicht ohne ein paar blaue Flecke vorübergehen. Sie hatten gerade die Menschenmenge erreicht, als aus der Ferne Sirenen zu hören waren.
„Die Polizei kommt“, schrie irgendjemand und innerhalb von ein paar Minuten löste sich die Menge auf.
Bevor Akiko wusste wie ihr geschah hatte Yuki sie bereits an der Hand gepackt und lief los. Sie liefen die Straße entlang, bis sie die Hauptstraße erreicht hatten. Dort bogen sie in eine kleine Seitenstraße ein und rannten so lange weiter, bis sie die Sirenen nicht mehr hörten. Erst dann hielten sie an. Völlig erschöpft und außer Atem lehnte sich Akiko gegen eine Mauer. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie wieder zu Atem kam. Angespannt lauschte sie in die Dunkelheit aber es war nichts mehr zu hören. Erst jetzt löste sich ein wenig ihre Anspannung. Yuki schien es genauso zu ergehen und sie lachte auf.
„Ist doch jedes Mal das gleiche. Wann kapieren die mal das Sie uns nicht bekommen.“ gab Yuki lachend von sich.
„Glaubst du das Haru ...“ setzte Akiko an.
„Keine Sorge ihm geht es gut. Wir treffen ihn bestimmt bei unserem Treffpunkt.“ beruhigte Yuki ihre Freundin und lächelte ihr aufmunternd zu.
Akiko nickte nur. Es war im Grunde genommen blöd von ihr zu glauben ihm könnte etwas passiert sein. Es war fast jede Nacht das Gleiche. Man traf sich an irgendeinem Ort in einer Nebenstraße sah den verbotenen Rennen zu oder man fuhr selber so ein Wettrennen. Über kurz oder lang tauchte dann die Polizei auf. Man versteckte sich so gut es ging und wartete dann geduldig darauf, dass der Ganze spuck vorbei war. Waren mal keine Rennen geplant so zogen Akiko, Yuki und Haru um die Häuser. Jede Nacht verbrachten sie auf den Straßen Tokyos. In der Woche waren es nur ein paar Stunden doch am Wochenende konnte es bis zum Morgengrauen so gehen. Was die Rennen anging, so mochte Akiko sie sehr doch das ständige weglaufen und verstecken zerrte sehr an ihren Nerven. Yuki und Haru hingegen fanden es amüsant und darüber konnten sie die ganze Nacht reden. Die Wettrennen waren verboten und illegal doch darum kümmerten sie sich gar nicht. Genau dies war der Nervenkitzel, den sie suchten.
Geschlagene dreißig Minuten warteten sie noch, bevor sie zurück zur Hauptstraße gingen. Es war alles still und nirgends war etwas von der Polizei zu sehen. Gemächlich schlenderten sie die Straße entlang, bis sie die Bar Izakaya erreicht hatten. Hier trafen sie sich immer und es war ihr Stammlokal geworden. Beim betreten der Bar schlug ihnen sofort der Geruch von Alkohol und Essen entgegen. Auf der rechten Seite war der großflächige Komplex, wo die Mahlzeit zubereitet wurde. Der Tresen davor mit seinen Barhockern war voll. Obwohl Akiko diesen Anblick sehr gut kannte, faszinierte er sie immer Erneute. Sie hätte stundenlang dasitzen können und den Köchen bei ihrer Arbeit zugesehen. Die Bar war heute recht gut gefüllt und es herrschte eine ausgelassene Stimmung. In der hintersten Ecke war noch ein Tisch frei und darauf steuerte Yuki geradewegs zu. Als sie Platz genommen hatten, ließ Akiko ihren Blick durch den Raum schweifen. Es war noch nichts von Haru zu sehen also hieß, es sich zu gedulden.
Seit ihrem Eintreffen in der Bar waren jetzt schon dreißig Minuten vergangen und immer noch war nichts von Haru zu sehen. So langsam stieg die erneute Sorge um ihn in Akiko auf. War ihm vielleicht doch etwas passiert? Yuki war sich ihrer Sache immer so sicher und sie verschwendete kaum einen Gedanken daran, dass irgendwann Mal auch was passieren könnte. Würde er nicht in den nächsten paar Minuten hier auftauchen, so würde Akiko in Suchen gehen. Soviel war schon einmal sicher und selbst Yukis Selbstsicherheit würde sie nicht davon abhalten. Yuki die schon seit zehn Minuten ununterbrochen redete bemerkte die Unruhe ihrer Freundin nicht und Akiko hörte ihr überhaupt nicht zu. Akiko war so mit ihren Gedanken beschäftigt, dass sie selbst nicht einmal bemerkte, wie Haru an ihren Tisch trat.
»Entschuldigt für die Verspätung aber ich wurde aufgehalten.« Haru sah beide an und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.
»Haru. Gott sei Dank es geht dir gut.« Akiko war von ihrem Stuhl aufgesprungen und warf sich ihm an den Hals.
»Natürlich geht es mir gut. Was hast du denn Akiko?« Haru drückte sie ein wenig von sich weg und strich ihr sanft über die rechte Wange.
»Ich hab mir einfach nur Sorgen um dich gemacht.« Akiko senkte verlegen ihren Blick.
»Du Dummerchen. Du machst dir einfach viel zu viele Sorgen, wo überhaupt kein Grund besteht.« Haru legte seine Hand unter ihr Kinn so das Sie ihn ansehen musste und er grinste sie breit an.
Jetzt kam Akiko sich wirklich wie ein dummes kleines Kind vor. Dies passierte jedes Mal, wenn er sie mit diesem belustigenden und zugleich fürsorglichen Blick ansah. Manchmal fragte sie sich, ob es überhaupt etwas gab, was Yuki und Haru Sorgen bereiten könnte. Haru, der die Verunsicherung seiner Freundin bemerkte, lachte kurz auf und zog sie in seine Arme.
»Sei unbesorgt Akiko. Mir wird schon nichts passieren das verspreche ich dir hoch und heilig.« Flüsterte Haru ihr ins Ohr.
Akiko nickte leicht und presste sich noch enger an ihn. Wahrscheinlich hatte Haru ja recht und sie musste etwas lockerer und unbeschwerter werden. Doch so einfach war es nicht, wenn man so gestrickt war.
»Und was machen wir heute Abend noch so? Der Abend ist noch jung.« Haru legte seinen Arm um Akiko und sah Yuki und sie fragend an.
»Ich würde sagen wir stoßen erst mal auf deinen heutigen Sieg an und dann schauen wir mal weiter.« Gab Yuki begeistert von sich.
»Einverstanden. Und was sagst du dazu Akiko?« Haru stieß ihr sanft in die Seite und setzte sein charmantestes Lächeln auf.
»Ich geh dann schon einmal die Getränke holen.« Akiko löste sich aus seiner Umarmung und steuerte zielstrebig den Tresen an.
Haru sah ihr völlig überrascht hinterher. Er hatte mit allem gerechnet doch nicht damit. Irgendwie war sie heute anders als sonst.
»Sie ist heute besonders ängstlich und verschlossen. Weißt du, was mit ihr los ist?« Haru setzte sich auf den Platz gegenüber von Yuki und sah sie fragend an.
»Heute ist der Geburtstag ihrer Schwester Chichi.« Yuki sah hinüber zu Akiko und seufzte leise auf.
»Wir sollten mal langsam was unternehmen. So kann dies einfach nicht weitergehen.« Haru ballte seine linke Hand zur Faust.
»Haru sie mag dich sehr und du bist ihr bester Freund doch solltest du in dieser Hinsicht nichts unternehmen, womit sie nicht einverstanden ist. Glaubst du etwa mir, macht es Spaß sie dreimal im Jahr so zu sehen? Ihre Eltern werden nie akzeptieren, dass sie mit einer Frau zusammen ist.«
»Ich kann es einfach nicht verstehen. Sie ist immerhin ihre Tochter.« Haru schüttelte seinen Kopf.
»Du darfst eines nicht vergessen, Haru sie kommt vom Land. Es ist nicht wie hier in Tokyo. Hier fragt keiner, wer du bist oder was du bist. Dort ist man noch den alten Traditionen verpflichtet und alles, was anders ist, wird nicht akzeptiert. Irgendwann werden wir schon noch eine Lösung finden doch solange sollten wir ihr einfach für sie da sein und ihr den Rücken stärken.« Yuki sah Haru eindringlich an, ja fast schon flehend. Sie kannte ihn nur zu gut, um zu wissen, dass er zu allem bereit war, nur, um seinen Freunden zu helfen.
»Vermutlich hast du recht. Doch werde ich diese Einstellung ihrer Eltern nie verstehen und akzeptieren.« Haru war schon klar das man die Einstellung der Leute nie ändern könnte die so sehr mit den alten Gepflogenheiten verbunden waren. Dies ärgerte ihn am meisten. Er hasste es tatenlos herumzusitzen, und absolut nichts tun zu können.
»Lass uns jetzt nicht mehr davon reden. Du sagtest gestern, dass du uns heute etwas Wichtiges mitteilen wolltest. Was ist es denn?« Yuki die Haru die ganze Zeit aufmerksam beobachtet hatte bemerkte sofort das der Themenwechsel funktionierte und Harus schlechte Stimmung schnell verflog.
»Stimmt das wollte ich. In drei Tagen kommt ein Freund von mir zurück nach Tokyo.« Haru grinste übers ganze Gesicht. Er konnte es kaum noch erwarten, dass er eintraf.
»Wer kommt zu Besuch?« Akiko, die gerade wieder an den Tisch ankam, wo ihre zwei Freunde saßen, sah abwechselnd beide fragend an.
»Ein Freund von Haru.« Grinste Yuki und zwinkerte ihrer Freundin zu.
Ein Lächeln huschte über Akikos Gesicht, während sie das Tablett mit dem Sake und den drei kleinen Schälchen auf dem Tisch abstellte. Sie setzte sich neben ihrer Freundin und betrachtete Haru neugierig der immer noch ein breites Grinsen auf den Lippen hatte.
»Dieses Grinsen kenn ich nur zu gut. Du bist in verliebt.« Yuki beugte sich neugierig nach vorne und betrachtete ihren Freund eindringlich.
»Blödsinn. Das bildest du dir nur mal wieder ein.« Haru winkte energisch ab und verdrehte leicht seine Augen.
»Also da muss ich Yuki aber mal recht geben. Dieses Leuchten in deinen Augen und dieses Grinsen sieht man nicht alle tage bei dir.« Akiko legte ihren Kopf etwas zur Seite während Haru sich seufzend nach hinten lehnte.
»Okay ihr zwei habt gewonnen aber wir sind kein Paar um dies sofort klar zustellen.« Haru griff nach der Flasche Sake und schüttete jedem etwas davon in die Schälchen.
»Er weiß aber schon, dass du auf Männer stehst oder etwa nicht?« Yuki sah ihn neugierig an und nippte dann genüsslich an ihrem Sake.
»Ja er weiß es. Ich habe keine Geheimnisse vor ihm. Nur bei ihm bin ich mir nicht so sicher.« Murmelte Haru, griff nach seinem Schälchen und führte es an seine Lippen.
»Das werden wir schon raus finden.« Gab Yuki euphorisch von sich. Haru der inzwischen einen kräftigen Schluck genommen hatte verschluckte sich. Hustend und nach Luft schnappend starrte er Yuki entsetzt an.
»Yuki.« Akiko sah ihre Freundin mit einer Mischung aus Überraschung und Scham an. »Lass mich dabei aus dem Spiel. Haru ist alt genug, um sich darum selber zu kümmern.« Ermahnte sie nochmals ihre Freundin.
»Was denn?« Yuki blickte beide unschuldig an. »Ich möchte nur herausfinden, wie Harus Freund so ist.« Säuselte sie und nahm einen weiteren Schluck Sake zu sich.
Haru warf Akiko einen flehenden Blick zu. Beide kannten Yuki und wussten von daher, dass sie sich nicht so schnell von diesem Vorhaben abbringen lassen würde. Jetzt würde alles an Akiko liegen sie vom Gegenteil zu überzeugen. Akiko nickte Haru kurz zu, dieser lächelte ihr erleichtert zurück. Sie hatte drei Tage Zeit und diese würde sie auch brauchen, denn Yuki war eine Person, die sich so schnell nichts ausreden ließ.
Texte: Akashi
Bildmaterialien: Alle Rechte vorbehalten
Tag der Veröffentlichung: 12.06.2012
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