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Das bin ich auch nicht mehr. Beim nächsten und letzten Besuch war mein Mann dabei. Es war August 2009. Aus irgendeinem Grund hat auf einmal mein Vater den Kleinen nicht mehr angesehen oder auch in den Arm nehmen wollen. Er hat sich weggedreht. Und als ich ihm gesagt habe, er könne den Kleinen nicht nehmen, da er ja so nah am Tisch sitzt und die Arme verschränkt hat. Nahm er zusätzlich noch seine Kaffeetasse in die Hand. Fotos vom Kleinen wollte er dann aber doch haben. Um sie sich an seinem Notebook unterwegs anzusehen. Warum denn dann nicht in Natur? Später habe ich erfahren, dass er ihn nicht auf dem Arm nehmen wollte, da er ihn Fronleichnam (!!! 11. Juni 2009) nicht auf dem Arm nehmen durfte. Da hatte mein Sohn Blähungen und es ging ihm gar nicht gut. Da wollten wir ihn halt nicht weggeben, vor allem nicht im zarten Alter von 3 Wochen. Und deswegen wollte er meinen Sohn 2 Monate später nicht halten oder anschauen. Der kleine Wurm kann doch gar nichts dafür!
Das war aber der letzte Tropfen der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich hatte mich dazu entschlossen, dass ich meinem Vater die Pistole auf die Brust setze, wie man das so schön sagt – oder wie hier schreibt. Ich wollte nix mehr mit ihm zu tun haben. Ich wollte ihn nicht mehr als Teil meines Lebens bezeichnen müssen. Aber wie das Leben so spielt. Es spielt nicht dein Wunschkonzert geschweige denn meins. Ich hatte nur ein paar Tage danach einen schweren Autounfall. Ich wollte nur zwei Dörfer weiter einkaufen gehen bzw. fahren. Und gleich wieder zu Hause sein. Und eigentlich wollte ich meinen kleinen Sohn mitnehmen, doch das wäre – Gott sei dank – viel zu stressig für ihn gewesen. Daher habe ich ihn zu Hause gelassen. Seine Oma – meine Schwiegermama – hat sich noch lustig gemacht, weil ich ihm trotz der Tatsache, dass ich gleich wieder daheim bin, so viele Bussis gegeben hab. Naja das „gleich wieder daheim sein“ hat dann genau 3 Monate gedauert. Wie schon geschrieben, hatte ich einen schweren Autounfall und bin erst 2 Tage später auf der Intensivstation wieder aufgewacht. Als ich in dem Moment meinem Mann die Hand gedrückt habe, war das der glücklichste in seinem Leben. Die Ärzte konnten bis zu dem Zeitpunkt nicht sagen, wie schwer die Verletzungen waren, außer dass das Rückenmark komplett durchtrennt wurde. Alle anderen Verletzungen waren nicht so schlimm. Nur das Rückenmark – das bleibt durchtrennt. Der Bruch ist so hoch, dass davon auch die Hände, Arme hätten betroffen sein können. Da ich aber die Hand von meinem Mann beim Aufwachen drücken konnte, hatte ich diese zum Glück behalten. Mein Mann sah mich so glücklich und verliebt an, wie an unserer Hochzeit. Das war das schönste.
Mein Vater war auch da. Später erfuhr ich, dass mein Schwiegerpapa auch da gewesen sein soll, aber nicht mit herein durfte. Die erste Woche auf der Intensiv war schrecklich und schön zu gleich. Mein Vater hat mich sehr oft besucht. Mein Mann natürlich auch. Ich hatte Angst vor der Zukunft. Als der operierende Arzt mir später aber erklärte, was für Verletzungen ich hatte. Und wie meine Zukunft (im Rollstuhl aber weitestgehend selbständig) aussieht, wollte ich dieses Leben so schnell wie möglich beginnen. Eine Woche nach meiner 2. Geburt, meinte mein Vater, dass sie (das Stiefmonster) mich auch gerne mal besuchen wolle. Ach ja, wo war sie denn dann die ganze letzte Woche? Ich habe sie nie gesehen. Dann kann sie auch gleich ganz weg bleiben. Auf mein Nein reagierte er so, indem er sie am nächsten Wochenende einfach mitbrachte. Mein Mann hat mich Gott sei dank gewarnt. So haben die Schwestern (ich lag dann schon nicht mehr auf der Instensiv, sondern auf der Normalstation) einen Zettel an die Tür angebracht, nachdem sich jeder Besucher erst bei den Schwestern melden sollten. Sie musste also draußen bleiben. Er ist dann nach 5 Minuten wieder gegangen, ohne Tschüß oder ähnliches zu sagen. Das war das letzte Mal, dass ich meinen Vater sah. Leider nicht das letzte Mal, dass ich von ihm hörte.
Ich musste dann zur Reha in eine Spezialklinik. Dort hat mich mein Mann mit meinem kleinen Sohn (der jede Woche immer größer wurde) jedes Wochenende besucht. Ich habe gelernt, wie ich mich jetzt wieder anziehen kann, auf die Toilette gehen muss, aufstehen kann und noch vieles mehr. Ich habe also das, was mein Sohn derzeit lernt, auch noch mal lernen müssen. Nach genau drei Monaten bin ich dann also das erste Mal wieder nach Hause. Ich habe mir gedacht, dass es vielleicht besser wäre, wenn ich meinen Vater doch mal anrufe und frage, ob er (! nicht beide) vorbei kommen will. Glücklicher Weise war er an dem Wochenende nicht zu Hause und konnte nicht kommen. Aber mir konnte er keinen Vorwurf machen. Ich hatte mich ja gemeldet.
Wir hatten auch so nach dem Vorfall im Krankenhaus telefonischen Kontakt. Meistens ging es zehnmal oder häufiger um die Frage, wie es mir geht. Und das war es. Dann habe ich ihm meinen Entschluss von vor dem Unfall (nur in leicht abgewandelter Form) mitgeteilt. Ich Will mit ihr nix mehr zu tun haben, nur mit ihm. Und wenn das nicht geht, dann gar nicht mehr. Dieses Gespräch war sehr hässlich. Es hagelte nur so von Vorwürfen. Ich habe ihm aber mehrfach das Angebot gemacht, komplett von vorne zu beginnen. Er ist darauf nicht ein einziges Mal eingegangen, er hat immer mehr Vorwürfe rausgekramt. Ich sei Schuld mit meiner Aktion im Krankenhaus, dass er nachts nicht schlafen könne. Nur noch so im 2-3 Stunden takt. Und das sei sehr gefährlich, da er ja LKW-Fahrer ist. Aber das war doch schon vor meinem Unfall so. Und da kamen noch viele andere Sachen, die entweder erstunken und erlogen waren (von seiner Frau und deren Sohn) oder einfach in meiner Teenagerzeit reinfallen. Und somit meiner Meinung nach Normal sind. Ich habe meinen Eltern widersprochen und so weiter. Eigentlich habe ich gedacht, nach dem Gespräch meldet er sich nimmer und ich habe jetzt meine Ruhe. Falsch, er rief gleich am nächsten Abend noch mal an. und es ging eigentlich fast so weiter. Nur diesmal nicht direkt. Ich bin halt ein ungehorsames Kind, das keine eigene Meinung oder Willen haben darf. Und er macht doch eh was er will.
Weihnachten 2009 durfte ich wieder nach Hause. Eigentlich war es die letzten Jahre so vereinbart, dass wir am ersten Feiertag zu meinen Eltern gingen und der zweite dann seinen Eltern gehörte. Da meine Eltern aber im zweiten Stock wohnen ohne Aufzug, können wir schlecht mit Rolli und Kind dort hingehen. Sie kamen aber auch nicht zu uns oder riefen an. Am ersten Weihnachtsfeiertag war dann auf einmal eine Karte im Kasten. Unser Sohn hat ihnen auch eine geschickt. Es war natürlich Geld drinnen. Aber wieder der Standartspruch wie jedes Jahr. Wir haben eine DankesSMS geschrieben und das war es.
10 Minuten nach Mitternacht. 1. Januar 2010. Das Telefon klingelt und wer ist dran. Mein Vater. Er wollte uns alle Gute etc wünschen. Was wir ihm auch wünschten. Nur irgendein Wort in meiner Formulierung war anscheinend falsch, denn er hat mich schon wieder blöd von der Seite runtergemacht. Nach dem Telefonat dachte ich mir, dass das Jahr ja toll anfing. Aber geschlafen habe ich dann doch gut. Meine beiden Männer waren im großen Bett und wir alle kuschelten uns in die erste Nacht des Jahres 2010.
Ich hatte dann endlich meine Ruhe. Bis Ostern. Da war auf einmal am Ostersonntag, ohne das geklingelt wurde, eine kleine Tüte an der Tür. Ein Blick auf das Schild sagte mir, dass es von meinen Eltern war für meinen Sohn. Da mein Sohn erst zehn Monate al war, habe ich die Tüte für ihn geöffnet. Es dran sofort der beißende Geruch von Zigaretten in die Nase. Der gesamte Inhalt war durchdrängt damit. Es waren Kleidung, ein Kuscheltier und Süßigkeiten drinnen. Die Süßigkeiten hat er aber nicht bekommen. Ein Kind von zehn Monaten bekommt noch keine Schokolade – zumindest nicht bei uns. Meinem Sohn war das Kuscheltier relativ egal. Er benutzt es nur auf der Wickelkommode zum runter werfen. In die Kleidung passt er mittlerweile rein. Ist aber viel zu warm für den Sommer. Wir haben uns trotzdem gefreut und als Dankschön eine Email an meinen Vater geschickt. Die aber aus unerklärlichen Gründen nicht ankam. Danach war glücklicher Weise wieder Funkstille.
Bis zu den Geburtstagstagen. Mein Sohn, mein Vater und ich haben jeweils im Abstand von 2 Tagen in der soeben genannten Reihenfolge geburtstagt. Ich hatte mich schon sehr gefreut, dass nix zum Geburtstag von meinem Sohn kam. Klar sind es die Großeltern. Aber auf solche kann er meiner Meinung nach verzichten. Sie sind eh nie da, und Geschenke sind zwar schön, da freut sich jeder drüber. Jedoch sie werden nie für ihn da sein, wenn er sie mal braucht. Da ist es mir und auch meinem Mann lieber, sie lassen ihn und damit auch uns in Ruhe. Leider kam dann doch noch was. Eine Karte für meinen Sohn und eine für mich. Mein Sohn bekam mal wieder die Standardkarte mit dem Standardinhalt, nur meine war anders. Es stand diesmal etwas Persönliches drinnen. Naja, zumindest persönlicher als „wünschen dir Oma und Opa“. Es klang mehr nach einem Hilfeschrei und ich dumme Kuh bin darauf reingefallen. Ich habe mich daraufhin bei denen telefonisch gemeldet, und das obwohl sie die Karte nur in den Briefkasten geworfen haben, mal wieder ohne zu klingeln. Nach dem braven Danke sagen und auch Glückwünschen ausrichten, bin ich in die Falle getappt. Sie haben uns zu deren Silberhochzeit eingeladen. Ich war total perplex, meinte nur, dass ich nicht wüsste, ob ich da kann, denn ich müsse noch mal ins Krankenhaus. Und das haben sie sofort als Interesse interpretiert. Klack – zugefallen.
Die haben jetzt extra einen Raum in einer Gaststätte gemietet, nur damit ich dabei sein kann. Ist echt richtig nett. Ich tauche da auf mit meinem Mann und meinem kleinen Sohn. Sehe das erste Mal die beiden, wie sie mich im Rollstuhl angaffen, und das macht jeder das erste Mal. Dazu kommen dann noch weitere 20 Gäste oder so, die ich auch noch nicht gesehen habe, seit ich den Unfall hatte. Und gesprochen habe ich die auch nicht, denn bei mir hat sich außer einer niemand gemeldet. Und diese eine Person ist nicht eingeladen. Ich werde also auf dem Präsentierteller gesetzt, zusammen mit meinem Sohn, denn den kennen die meisten aus der Familie auch nicht, und muss mich dazu noch fertig machen lassen, denn darauf läuft es jedes Mal hinaus.
Ich habe jetzt abgesagt. Bei ihr – da mein Vater ihr dann einfach das Telefon überlassen hat. Mein Entschluss steht fest. Ich werde einen Brief schreiben. Sonst wird mich der Mut, es klar zu machen, eh wieder verlassen. Denn länger halte ich des nimmer aus. Ich bin fix und fertig. Nach den Gesprächen muss mein Mann mich immer wieder aufbauen. Da habe ich den Unfall ja um einiges besser verkraftet.
Jeder, der mich kennenlernt, sieht eine selbstbewusste, starke Frau, die offen und sehr hilfsbereit ist und im Rollstuhl sitzt.

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Tag der Veröffentlichung: 14.07.2010

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