Die Erben der Wächter
Trilogie
Band 3
Fantasy – Roman
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Alle Rechte vorbehalten © Oktober 2019
Impressum
Text: Wine van Velzen
Cover: Wine van Velzen
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Der 3. und letzte Band der Trilogie.
Die Wächter haben mithilfe Silvas und dessen Rudel gegen den dunklen Grafen und Saburo gekämpft.
Als es immer aussichtsloser wurde, mischten sich Asparas und seine Krieger ein, die den Wächtern zum Sieg verhalfen.
Jodoc erfährt, wer sein Vater ist, Alessas Schwangerschaft schreitet voran.
Saburo entführt Milla, der dunkle Graf wird von Meredith, Königin der Dunkelwelt, gejagt.
Alma vertraut Magnus, dem Kronprinzen der Prajas.
Wird Terzia mit Djamil glücklich werden?
Intrigen, Hass und Feindschaft.
Liebe, Gefährten, Treue und Mut.
Das große Finale der Trilogie – Die Erben der Wächter-.
Was bisher geschah:
Die Erben der Wächter
Fantasy–Roman Band 1
1.
Nach der großen Schlacht im Himmel verbannt Michael Gottes Widersacher und seine Anhänger aus dem Himmel. Auf Erden treiben sie ihr Unwesen, bis sich einige von Satanael abwenden und zu Wächtern der Menschen werden.
Die gefallenen Engel zeugen Kinder mit Menschenfrauen. Aus diesen Verbindungen werden Alessa und ihre Brüder geboren. Doch auch die Dämonen zeugen Nachkommen. Beide holen ihre Kinder an deren fünften Geburtstagen zu sich, um sie auszubilden.
Alessa wird nach hunderten von Jahren zur Herrin der Wächter. Saburo, der erstgeborene Dämonensohn, wird zum Anführer der Dämonen ernannt. Von da ab bekämpfen sich die Nachfahren der Gefallenen. Sie alle besitzen besondere Gaben und Fähigkeiten, die sie im Kampf einsetzen.
Bis auf Alessa hat keiner der Engelsbrüder seine Gefährtin gefunden. Doch das ändert sich, als Melina Scappi in Nodins Leben tritt. Aber auch Saburo erhebt Anspruch auf diese Frau.
Nathan findet in der Heilerin Elva seine Gefährtin. Werden sie ein gemeinsames Leben vor sich haben?
Die Erben der Wächter
Fantasy–Roman Band 2
Terzia und Djamil finden zueinander. Ob sie eine Zukunft haben?
Die Wicca Fayola, Gefährtin von Riley, findet im Wald eine junge Frau, die ein Geheimnis mit sich trägt. Meredith, die Königin der Dunkelwelt, sucht sie genauso, wie der dunkle Graf. Kann Alma den Mord des ehemaligen Herrschers aufklären? Weiß sie, wer der Attentäter war?
Saburo, Anführer der Dämonensöhne, rottet sich mit dem dunklen Grafen und dessen Schergen zusammen, um
Alessa und ihre Brüder endgültig von der Erde zu tilgen. Der Angriff auf die Wächter steht kurz bevor. Silvan und sein Wolfsrudel stehen den Freunden bei, auch wenn es ihnen das Leben kosten kann. Alessa verschweigt ihrem Seelengefährten die Schwangerschaft aus Angst, er würde sie fortschicken. Unerwartete Hilfe in dem unfairen Kampf bekommen die Wächter von einem mysteriösen Bergvolk. Die Prajas hüten seit Jahrhunderten das
Geheimnis um Jodocs Herkunft. Werden sie es lüften? Haben die Wächter eine Chance, die Schlacht zu gewinnen? Überlebt Saburo den Angriff seines Bruders Oran?
Wird Oran die Menschenfrau Melanie und ihren Sohn Ben wiedersehen? Noch kann er sich die Gefühle für sie nicht eingestehen.
Die Erben der Wächter Band 3
Trilogie
Adan und Tamir fanden Saburo auf dem kalten Marmorboden nahe der Eingangstür. Ihr Anführer lag bewusstlos in einer Blutlache. Der dunkle Graf blickte verächtlich auf Saburo hinunter und stieg über den Ohnmächtigen hinweg. Er ging in die Räume, die er in der Biedermeiervilla bewohnte. Auch er war verletzt worden. Nicht so schlimm wie der Dämonensohn. Seine Wunden schlossen sich bereits, der Schmerz war kaum spürbar. In ihm tobte ein lodernder Hass, der ihn auffraß.
Sie hatten verloren! Weder hatte er Melina entführen können, noch starben die Wächter. Der Graf begriff nicht, wer die Krieger waren, die plötzlich aus dem Nichts auftauchten und den Wächtern zur Hilfe kamen. Wer waren sie? Woher kamen sie?
*
Der dunkle Graf betrat die Räume, die ihm Saburo zur Verfügung gestellt hatte. Er riss sich die zerfetzten Kleider vom Leib und besah sich seine Verletzungen. An seinen Beinen hatten die Wölfe große Fleischstücke herausgebissen. Die durchtrennten Sehnen und Muskeln waren bereits nachgewachsen, und die Wunden schlossen sich. Sein Körper war übersät mit Kratzern, die tief bis zu den Knochen gingen. Auch sie waren am Heilen. Aufgebracht lief er nackt umher. Er hatte schmale Hüften und Muskeln an den richtigen Stellen, die seinen hochgewachsenen Körper athletisch und durchtrainiert aussehen ließen. Das schwarze Haar hing ihm in Strähnen herunter. Die roten Augen glühten. Sein markantes Gesicht mit der geraden Nase und dem kantigen Kinn hatte scharfe Falten, die sich in die bronzefarbene Haut gruben. Der Hass lief siedend heiß durch sein Blut. Er war so nahe an seinem Ziel gewesen. Als er Elva von dem Wächter wegriss, der auf dem großen Tisch bewusstlos dalag und den sie heilte, spürte er für einen Moment ihre große Heilkraft, die in ihn hineinfloss, bevor das helle warme Licht abrupt erlosch. Diese wenigen Sekunden reichten aus, um ihm jeden Schmerz zu nehmen. Er hatte sie siegessicher über die Schwelle des Hauses hinausgetragen. Ihr verzweifelter Schrei nach ihrem Gefährten ließ ihn wütend werden. Er hatte einen Fehler begangen, als er sie bei vollem Bewusstsein hinausbrachte. Silvan und sein Rudel fielen über ihn her, und er musste die Heilerin loslassen, um sich gegen den Angriff zu wehren. Diese Biester gruben ihre Zähne und scharfen Krallen in ihn, zerfetzten seine Haut und hinterließen tiefe Wunden. Dafür würde er sich rächen. Saburo und sein Rudel würde er jagen und vernichten. Seine Augen verengten sich vor Zorn. Er erinnerte sich an die Krieger, die mit ihren langen Kutten auftauchten, als er Jodoc von hinten angegriffen hatte.
Wer waren die vermummten Krieger, die plötzlich auftauchten? Er überlegte lange, bis er sich an die rot leuchtenden Augen erinnerte, die er vor Jahrhunderten schon einmal gesehen hatte. Konnten es Asparas und die Prajas gewesen sein, das geheimnisvolle Volk aus den Bergen? War Ziu ebenfalls auf Alessas Anwesen? Lebte er noch? Er wollte sich nicht mit Ziu beschäftigen. Er hatte damals durch einen dummen Zufall gesehen, wie er ein ganzes Dorf niedergerissen und die Menschen getötet hatte, weil er glaubte, sie würden einem Verräter aus seiner Armee Unterschlupf gewähren. Wenn diese Tat herausgekommen und dem Herrscher der Dunklen zu Ohren gekommen wäre, hätte er eine hohe Strafe erhalten. Er hätte seinen Hof verloren, seine Ländereien, sein Gefolge wäre aufgelöst worden. Er wäre entweder verbannt oder über Jahrhunderte in ein Verlies gesteckt worden. Die Folter, die er erlitten hätte, wären immer wieder kurz vor seinem Tod beendet worden und hätte dann von neuem begonnen. Menschen zu töten, war der schlimmste Gesetzesbruch, den ein Dunkler begehen konnte. Und er, der dunkle Graf, hatte ein ganzes Dorf ausgelöscht. Er konnte seinen Zorn und seine Wut nicht kontrollieren. Je mehr der Hass und der Zorn in ihm anschwollen, umso schneller fiel er in einen Blutrausch, aus dem er erst erwachte, wenn alles um ihn zerstört und getötet war. Auch jetzt war er nahe daran, die Kontrolle zu verlieren. Sein Zorn schwoll an, und er nahm einen kleinen Tisch und warf ihn gegen die Wand. Er krachte auseinander und fiel in zerbrochenen Teilen zu Boden. Es half nicht, seine Wut in den Zaum zu bekommen. Er schlug mit den Fäusten auf die Mauer, neben dem Fenster ein, bis seine Knöchel blutig waren. Wenn in diesem Moment jemand in das Zimmer gekommen wäre, hätte er ihn wahrscheinlich getötet. Tief atmete er ein und aus. Er ging ins Bad und ließ eiskaltes Wasser über seinen erhitzten Körper laufen. Ganz langsam ließ das rote Leuchten seiner Augen nach, und seine Gesichtszüge entspannten sich. Viele Fragen gingen ihm durch den Kopf, bis er zu schmerzen begann. Er fuhr sich mit den Händen durch die nassen Haare und zwang sich, an etwas anderes zu denken.
*
Das Laken unter Saburo war feucht von Schweiß und Blut. Die Schmerzen wurden kaum erträglicher. Langsam richtete sich der Dämonensohn auf. Er atmete tief ein, um die Übelkeit, die ihn überkam, zu verdrängen. Der Schwerverletzte riss den Verband ab, den Adan angelegt hatte und stand auf. Auf zitternden Beinen hielt er sich am Bettpfosten fest und besah im großen Wandspiegel seine Wunden. Sein Rücken war zerfetzt. Die Austrittswunden der Kugeln waren um einiges größer, als die Löcher auf seiner Brust, auf die Oran das gesamte Magazin geschossen hatte. Die Wunden schlossen sich nur sehr langsam und rissen immer wieder auf, wenn sich der Dämonensohn in Albträumen wiederfand und sich auf den Laken wälzte.
Saburo konnte sich vage daran erinnern, dass er kurz aus der Ohnmacht erwacht war, als Adan seine Wunden verband. Doch der Schmerz ließ ihn wieder hinwegdämmern. Er wusste nicht, wie lange er in seinem Bett lag, bevor er endgültig die Augen wieder aufschlug und seine Umgebung wahrnahm. Seine Gedanken kreisten um Melina. Sie war bereits in seiner Gewalt gewesen. Er hätte die Frau nur noch in seinen Wagen schaffen müssen und wäre mit ihr davongefahren, wenn Oran nicht auf ihn gewartet hätte. Sein Bruder stellte sich ihm in den Weg. Wieder hatte er sich gegen ihn gestellt. Saburo wusste nun, dass er sich von ihm losgesagt hatte. Doch Saburo nahm das nicht hin. Niemand, absolut niemand verließ ihn und würde unbeschadet weiterleben. Auch sein Bruder nicht. Seine dunklen Augen funkelten boshaft, passten nicht in sein engelsgleiches Gesicht. Saburo ballte die Hände zu Fäusten, bis die Knöchel weiß hervortraten. Er würde
Oran jagen, ihn finden und ihn in seinem Kellerverlies leiden lassen. Folter und Schmerz sollte er erfahren, bis er ihm eigenhändig den Kopf vom Rumpf schlagen würde. Ein hässliches Lachen drang aus Saburos Mund. Nachdem er eine lange Dusche genommen hatte, fühlte er sich besser und ging hinunter, um mit Adan und Tamir zu sprechen.
*
Die dunkle Königin war für einige Tage außer Land und ließ sich von ihrem Sekretär Thomas täglich auf dem Laufenden halten. Sie erfuhr von ihm, dass der Angriff auf die Hüter im Morgengrauen stattgefunden hatte. Der Graf hatte sich an ihre Anweisung gehalten. Keiner der Dunklen, außer seinen eigenen Kriegern, griffen Alessa und die Wächter auf dessen Anwesen an. Saburo und seine Männer hatten sich dem Grafen angeschlossen. Er gehörte nicht zu den Dunklen und hatte seine eigenen Gründe, warum er sich mit ihm zusammentat. Meredith interessierte sich nicht für die Dämonen, die schon seit Ewigkeiten die Erzfeinde der Wächter waren. Bisher kam Saburo ihr mit seinen Machenschaften nicht in die Quere, und solange das so blieb, gab es keinen Grund sich mit ihm zu befassen. Thomas berichtete ihr, dass der Graf und Saburo die Schlacht verloren hatten. Als sie das erfuhr, konnte sie sich ein gehässiges Lachen nicht verkneifen. Es freute sie, dass der Graf sein Ziel nicht erreicht hatte. Thomas berichtete weiter, dass fremde Kriegern, aus dem Nichts auftauchten, als die Schlacht für die Wächter verloren schien. Diese fegten durch das Anwesen und hinterließen eine blutgetränkte Erde. Nachdem Jodoc schwer verletzt wurde, griffen sie sich Jodoc und Alessa und verschwanden danach genauso schnell, wie sie erschienen waren. Wer diese geheimnisvollen Krieger waren, hatte Thomas noch nicht herausbekommen. Er versprach, weitere Erkundigungen einzuholen, um das Rätsel zu lösen.
Meredith saß vor ihrem Laptop und machte die Datei auf, die ihr Nathan geschickt hatte. Er hatte das Video auf ihre private E-Mail-Adresse geschickt, die sie dreitausend Kilometer entfernt von ihrem Heim öffnete. Zuerst war der Bildschirm schwarz, es flimmerte kurz, und sie sah eine junge Frau auf einem Stuhl sitzen. Diese hatte große blaue Augen, die angstvoll aufgerissen waren. Die Königin sah sofort, dass sie vom Fenisvolk abstammte. Nachdem Meredith eine Weile das Gesicht auf dem Monitor betrachtet hatte, erkannte sie in ihm das kleine junge Ding wieder, das sie so oft in den Gemächern ihres Vaters gesehen hatte. Alma! Riley der Haudegen hatte es tatsächlich geschafft, sie zu finden. Zufrieden grinste sie. Auch wenn sie es niemals zugeben würde, sie mochte Riley. Ihr gefiel die Art, wie er Dinge anging. Er war nicht so wie die anderen Wächter, er hatte etwas Wildes an sich und ließ sich ungern Befehle geben. Etwas, dass sie zu schätzen wusste, denn auch sie konnte sich nicht unterordnen.
Neugierig beugte sie sich vor und stellte den Lautsprecher an. Die junge Frau auf dem Monitor räusperte sich und sah schüchtern und verängstigt in die Kamera. Ihre Stimme war ein raues Krächzen. Meredith erinnerte sich, dass die Frauen in der Waschküche ihr und Riley erzählten, dass Alma stumm war und sie nie ein Wort gesprochen hätte. Meredith erhöhte gespannt die Lautstärke. Tränen der Wut und des Zorns schossen in ihre blutroten Augen, als Alma stockend, von dem Tag der Ermordung des Herrschers erzählte.
Als die Aufzeichnung geendet hatte, nahm sie aus der Packung, die neben dem Laptop lag, eine Zigarette, zündete sie an und zog den Rauch tief ein. Als der Schmerz um ihren Vater in den Hintergrund trat, zog ein triumphierendes Lächeln über ihr Gesicht. Endlich! Endlich gab es nach so vielen Jahren eine Zeugin, die den dunklen Grafen erkannt und den Mord an ihrem Vater gesehen hatte. Sie sah sich die Aufnahme noch einmal an, danach schrieb sie Nathan, er solle Alma ausrichten, dass sie ein persönliches Gespräch mit ihr wünschte. Den Termin, wann das Treffen stattfinden sollte, würde sie ihm mitteilen, sobald sie von ihrer Reise zurück sei. Nach kurzem Zögern fügte sie noch zwei Sätze an, in denen sie Riley dankte. Lange saß sie noch auf dem Stuhl und überlegte fieberhaft, wie sie dem Grafen nach ihrer Rückkehr gegenübertreten sollte. Würde sie ihn selbst verhaften oder ihren Wachen befehlen, ihn zu ihr zu bringen? Sie konnte es kaum erwarten sein Gesicht zu sehen, wenn sie ihm die Beweise vorlegen würde. Endlich konnte sie ihn verurteilen. Endlich würde sie erreichen, was sie kaum noch zu hoffen gewagt hatte. Der Mord an ihrem Vater konnte endlich gerächt werden.
*
Nathan trug Elva ins Herrenhauses. Er legte sie auf eines der Sofas und strich ihr die Haare aus dem verstörten Gesicht.
»Es ist vorbei, Liebes. Alles wird wieder gut.«
Die Sorge um seine Seelengefährtin hatte ihn fast umgebracht, als er sah, wie der dunkle Graf mit ihr durch die Eingangstür kam. Wäre Silvan mit seinem Rudel nicht in dem Augenblick herangestürmt, hätte er sie womöglich verloren. Die Heilerin richtete sich auf.
»Lass mich aufstehen, Nathan, ich muss nach den verletzten Wölfen sehen. Sie haben mich gerettet und verdienen meine Hilfe.«
Lautes Poltern dröhnte durch die Eingangshalle. Silvan und zwei seiner Wölfe hatten sich in Menschen zurückverwandelt und schleppten ihre verwundeten Brüder herein. Sofort sprang Elva auf und eilte auf sie zu. Silvans Augen sahen sie bittend an.
»Kannst du etwas für sie tun, Heilerin?«, fragte er sie. »Ihre Verletzungen sind tödlich, ich weiß, dass sie sterben werden, wenn du ihnen nicht hilfst.«
Elva kniete sich auf den weißen Marmorboden, zu den verwundeten Männern und schloss die Augen. Sie konzentrierte sich auf ihre Gabe, rief die Heilkraft in ihr. Sie wollte, dass die Verwundeten überlebten. Die Kraft baute sich auf, wuchs in ihr an, füllte sie aus. Silva sah die
Fenisfrau voller Ehrfurcht an. Wenn jemand sein Rudel retten konnte, dann war es diese Heilerin. Ihre Gabe war stärker, als bei den anderen Heilerinnen aus ihrem Volk. Elva hatte in der Vergangenheit zum Tode Geweihte zurück ins Leben geholt. Deshalb legte er das Leben seiner Männer in ihre Hände. Er vertraute dieser zierlichen Frau und ihrer Gabe.
Die heilende Kraft bündelte sich in Elva und brach aus ihr heraus. Ihre Hände begannen zu leuchten. Das warme Licht wurde stärker, strahlte intensiv. Sie legte die Hände auf die blutenden Wunden ihrer Retter. Elva spürte, wie die Kraft die Verletzungen abtastete. Dann glitt das warme Licht in die Wunden hinein.
Elva begann ein Lied zu summen, und wiegte ihren Oberkörper hin und her. Ihre Hände fuhren sacht über die geschwächten Körper, das heilende Licht pulsierte, wurde stärker, breitete sich aus. Es floss an ihrem Körper entlang, bis sie von dem warmen Licht eingehüllt war. Jede Wunde, die sie berührte, hörte augenblicklich auf zu bluten und schloss sich. Knochen fügten sich zusammen, Muskeln, Venen und Fasern regenerierten sich.
Silvan stand staunend da und beobachteten das Schauspiel des Lichts. Es wechselte die Farbe von warm leuchtend über grellweiß zu glutrot. Flackerte wie Flammen in einem hellen Blau und veränderte sich wieder in gelbe und orangene Strahlen, die sich um die verwundeten Körper schlangen und in sie hineintauchten. Noch nie hatte er eine dermaßen starke Heilkraft gesehen. Er wusste, dass Elva die stärkste, lebende Heilerin war, doch er ahnte nicht, dass sie so eine exorbitante Kraft in sich trug. Diese mächtige Gabe schob die der anderen Heilerinnen und Heiler weit in den Hintergrund. Still dankte er Gott, dass Elva auf dem Anwesen der Wächter lebte und sich seinem Rudel annahm.
Nathan hatte am Türrahmen gestanden und gesehen, wie stark die Heilkräfte seiner Gefährtin waren. Er hatte in seinem langen Leben schon vielen Heilern und Heilerinnen bei der Arbeit zugesehen, doch so eine mächtige Heilkraft hatte er noch nie gesehen. Die Heiler, die er kannte, brachten ein gelbliches Licht zustande und benötigten viel Zeit, um eine Wunde damit zu schließen. Das, was Elva heute geleistet hatte, war in seinen Augen ein Wunder.
Stolz sah er auf seine Seelengefährtin hinunter.
Auf der Stirn der Heilerin hatten sich kleine Schweißperlen gebildet. Sie hatte noch immer die Augen geschlossen. Ihr Summen wurde leise. Das Licht zog sich aus den am Boden liegenden Körpern zurück. Es floss langsam zu ihr zurück, versickerte in ihren Händen. Nachdem auch ihr Körper das Licht aufgenommen hatte, das sich auf ihn gelegt hatte, schlug sie die Augen auf. Ruhig saß sie zwischen dem Rudel. Ein kleines Lächeln stand in ihrem Gesicht, als sie zu Silvan aufblickte und ihm zunickte. Der kniete sich zu ihr hinunter, nahm ihre Hände in die seinen und küsste sie voller Dankbarkeit. In diesem Moment schwor er sich, dass er diese Frau, solange er lebte, beschützen würde. Sollte sie jemals in Gefahr schweben, würde er alles tun, um sie zu retten.
»Sie brauchen jetzt Ruhe und viel Flüssigkeit. Ich sage Milla, sie soll eine kräftige Fleischbrühe für sie kochen. Die gebt ihr ihnen dann jede Stunde. Ich werde heute Abend nach ihnen sehen.«
Silva nickte, er würde alles tun, was die Heilerin anordnete.
»Im Namen meines Rudels danke ich dir von ganzem Herzen, Elva. Du hast viel mehr getan, als ich zu hoffen wagte.«
Nathan half ihr auf, nahm sie in die Arme und drückte sie an seine Brust. Nach einem innigen Kuss löste er sich von ihr und sah Silva an.
»Im ersten Stock gibt es einige Zimmer, die nicht von uns bewohnt werden.«
Silvan nickte. Die beiden anderen Wolfmänner, Nathan und Silvan hoben die nackten Männer auf und trugen sie die breite Treppe nach oben. Nathan öffnete drei Räume, die alle ein großes Bett, eine ausziehbare Couch und ein angrenzendes Bad hatten.
»Ich hoffe, der Platz genügt euch, wenn nicht, gibt es auf der anderen Seite noch zwei Zimmer, die ihr nutzen könnt. Leider haben sie nur ein gemeinsames Bad.«
Silvan lachte auf. Es war das erste Mal nach dem Kampf, dass er etwas anderes als die Sorge um sein Rudel empfand. Er war amüsiert.
»Du vergisst, dass wir Wölfe sind. Wir schlafen auf dem Waldboden, in Höhlen und im Unterholz. Denkst du wirklich, wir bestehen auf ein eigenes Badezimmer?«
Jetzt grinste auch Nathan.
»Du hast recht Silvan, entschuldige meine Dummheit.«
Beide lachten, auch die zwei Männer aus seinem Rudel stimmten mit ein.
»Ich lasse euch etwas zu essen und Kleidung bringen«.
Nathan drehte sich um, blieb dann an der Tür stehen.
»Ich danke dir, Silvan. Dir und deinem Rudel. Ich hoffe sie werden es alle überstehen.« Silvan schluckte und nickte ihm kurz zu.
»Wir wussten, auf was wir uns einließen, und uns war auch klar, dass wir es vielleicht nicht alle überleben würden. Wenn deine Heilerin nicht gewesen wäre, würde mein Rudel nur noch aus drei Männern bestehen. Wir sind Elva unendlich dankbar und werden sie mit unserem Leben schützen, solange wir leben.«
*
Magnus sah auf das hübsche, blasse Mädchen hinunter. Sein Herz pochte, und seine Seele rief nach ihr. Ungläubig starrte er Alma in die himmelblauen Augen. Das war sie also. Seine Seelengefährtin, dachte der Prinz. Diese verängstigte junge Frau mit den großen, aufgerissenen Augen, die zitternd an der Wand angelehnt am Boden saß, war seine Gefährtin. Nun, da er sie gefunden hatte, würde er ohne sie niemals vollkommen glücklich und zufrieden sein. Seine Seele würde leiden, sein Herz schmerzen, wenn er sie nicht in seiner Nähe wusste oder nicht mit ihr mental in Verbindung stand. Nie hatte Magnus sich Gedanken darübergemacht, wann und wo er seine Seelengefährtin finden würde. Es traf Magnus völlig unvorbereitet, in diesem Kellerraum die Frau seines Lebens zu finden. Er dachte bis zu diesem Augenblick, dass noch viele Jahre vergehen würden, bis er sie treffen würde.
Der Prajaprinz riss sich zusammen und versuchte, seiner Stimme einen vertrauensvollen Klang zu geben.
»Komm mit, Kleines. Ich höre oben Stimmen. Ich glaube, die Schlacht ist vorbei, und einige Wächter sind bereits im Haus.«
Zaghaft streckte Alma die Hand nach ihm aus. Magnus ergriff sie und bemerkte, wie feingliedrig sie war. Schwach, zerbrechlich und zitternd, lehnte sich das schmale Wesen an ihn. Magnus konnte es immer noch nicht fassen. Er nahm immer an, seine Gefährtin würde im Aussehen ähnlich sein wie seine Zwillingsschwester Terzia oder wie die anderen Frauen aus seinem Volk. Groß, kurvige Figur, rote Haare und temperamentvoll. Doch die Frau, die er im Arm hielt, war blond, klein, zierlich und alles andere als selbstbewusst. Er schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie neben ihm auf dem Herrscherthron sitzen und zu ihm passen würde. Doch seine Seele sagte etwas anderes.
»Geht es wieder? Können wir hoch zu den anderen gehen?«, fragte er leise.
Alma nickte stumm und löste sich leicht aus seinen Armen.
Dieser gut aussehende Mann verwirrte Alma. Sie war fasziniert von seiner Größe, der breiten Brust, dem muskulösen Körper, dem markanten Gesicht mit den herrischen Zügen. Er war zweifellos ein Mann, der es gewohnt war, Befehle zu geben. Dieser Mann hatte eine Ausstrahlung, die sie magisch anzog. Sie wollte in seine samtbraunen Augen mit dem Feuerkranz um die Iris versinken. Ihr Herz klopfte laut, ihre Seele wollte sich mit seiner verbinden. Alma war bestürzt über das, was sie in seiner Gegenwart fühlte. Noch nie hatte sie etwas Vergleichbares oder Ähnliches für einen Mann empfunden. Sie wusste instinktiv, dass ihre Zukunft mit seiner verbunden war. Tief holte sie Luft, streckte sich und straffte ihre Schultern. Sie schritt an ihm vorbei und trat hinaus in den langen Flur. Sie sah die Trainingshalle, deren Tür offenstand und lief den Gang entlang zur Treppe, die ins Erdgeschoss führte. Magnus folgte ihr. Bewundernd beobachtete er ihre gerade, stolze Haltung und den geschmeidigen Gang, der ihre Hüften leicht schaukeln ließ.
Sie geht wie eine Königin, dachte er und sah ihr zu, wie sie die Treppe hinaufstieg.
In der Eingangshalle standen zwei nackte Männer, Verwundete lagen auf dem Boden. Mittendrin, in einem warmen Lichterspiel, das ständig die Farbe wechselte, saß eine Frau, die Alma ähnlichsah. Das gleiche blonde Haar, die gleiche zierliche Figur. Doch in ihrem Gesicht war ein Wissen, das Alma noch nicht erlangt hatte. Sie musste mehrere Jahrhunderte alt sein, überlegte sie. Dagegen war Alma fast noch ein Küken. Staunend sah sie der Heilerin zu, wie ihre Heilkraft auf die Verletzten überging.
Auch Magnus sah der Frau fasziniert zu. Sie war stark. Die Heiler in der Stadt in den Bergen kamen an diese Heilkunst nicht mal im Ansatz an sie heran. Die Heilerin war eindeutig aus dem Volk der Fenis. Er wusste, dass deren Frauen diese wunderbare Gabe hatten. Er blickte auf Alma hinunter und fragte sich, wie stark wohl ihre Heilkräfte waren.
Elva stand auf, ließ sich von Nathan in die Arme nehmen. Dann sah sie Alma, lief auf sie zu und umarmte sie.
»Geht es dir gut, Liebes?«, fragte sie leise.
»Ja, es ist alles in Ordnung.«
Elva sah zu Magnus und reichte ihm die Hand. Sie musterte ihn neugierig.
»Wenn ich mich nicht täusche, bist du ein Praja«, sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen.
Der Prinz nickte leicht und nahm ihre Hand. Ihr Griff war erstaunlich fest, für so eine zarte Person, dachte er anerkennend.
»Ich bin Kronprinz Magnus, Sohn von Asparas, Herrscher über die Prajas«, erklärte er mit Stolz in der Stimme.
»Wo habt ihr Alessa und Jodoc hingebracht?«, fragte Elva. »Das würde mich auch interessieren«, mischte sich Nathan ein.
Magnus blickte zu dem Wächter und nickte abermals leicht.
»Wir haben sie zur Lichtung gebracht. Dort warteten unsere Heiler, um zu helfen, falls jemand verwundet wird. Wir wussten nicht, dass ihr so eine starke Fenisfrau auf eurem Anwesen habt, sonst hätten wir sie zu ihr gebracht.«
Bevor er weitersprechen konnte, kamen Riley und Fayola herein. Hinter ihnen stützte sich Kilian auf Nodin. Alle sahen zerschunden und die Kleidung zerrissen und blutverschmiert aus. Auf dem weißen Marmorboden bildete sich eine große Blutlache um Kilian herum.
»Elva, kannst du ihm helfen?«, fragte Fayola, »er hat sehr viel Blut verloren.«
Die Heilerin eilte zu ihnen.
»Legt ihn hin«, befahl sie laut. Dann zog sie aus Kilians Gürtel ein Messer und schlitzte ihm das Hosenbein auf. Alma stöhnte erschrocken auf, als sie die Verletzung sah. Obwohl Nodin das Bein abgebunden hatte, floss das Blut unaufhaltsam aus der Wunde. Unter dem Knie hing der Rest des Beines nur noch an der Haut. Der Unterschenkel war gebrochen, und die scharfen, gesplitterten Enden, stachen durch das Fleisch weiß heraus.
»Himmel noch mal«, stieß Nathan zwischen den Zähnen hervor.
Kilian war noch immer bei Bewusstsein, seine Schmerzen mussten unerträglich sein. Magnus bewunderte den Mann, der vor ihm auf dem Marmor lag. Viele Krieger, die er kannte, hätten bei dieser Verletzung geschrien oder zumindest laut gejammert und gestöhnt. Kilian atmete hektisch. Schweiß rann ihm von der Stirn in das Haar. Er biss die Zähne zusammen, als Elva einen zersplitterten Knochen berührte.
»Ich weiß nicht, ob ich das alleine schaffe«, erklärte Elva leise und schaute die Umstehenden an. »Meine Kräfte haben sich nach der Heilung des Rudels noch nicht ganz regeneriert«, fügte sie hinzu. Ihr Blick blieb an Alma heften.
»Du musst mir helfen, Alma. Versuche, seinen Kreislauf stabil zu halten, während ich das Bein retten.«
Mit zitternden Beinen kniete sich Alma neben Kilian hin.
»Ich bin keine gute Heilerin und habe meine Gabe kaum angewendet«, sagte sie leise zu Elva.
»Deine Heilkraft wird es können, vertraue deinen Fähigkeiten.«
Beide Frauen sahen sich in die Augen, bis Alma nickte. »Gut, fangen wir an«, sagte Elva und schloss die Augen. Ihre Hände leuchteten wieder hell und golden. Sie legte das verletzte Bein so zurecht, dass es gerade dalag. Alma beobachtete sie, bis auch sie die Augen schloss. Sie konzentrierte sich auf ihre Gabe. Als sie spürte, dass sie in ihr hochstieg, hieß sie sie Willkommen. Ihre Hände strahlten nun ebenfalls hell und warm. Sie legte eine auf Kilians Kopf und die andere auf sein Herz. Alma spürte das schwache Schlagen und den fliehenden Puls. Sie konzentrierte sich stärker, rief ihre Gabe, befahl ihr, stärker zu werden. Das Licht an ihren Händen wurde heller, drang in Kilians Körper ein. Das heilende Licht erreichte Almas Arme. Es wand sich um sie herum, floss zurück in ihre Hände und drang abermals in Kilian ein. Sein Brustkorb lag umhüllt vom warmen Licht auf ihrem Schoss. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie ihn angehoben und ihn auf ihre Schenkel gebettet hatte. Elvas Summen erklang, wie davor, als sie ihre Heilkraft den Wölfen schenkte. Wieder hörte man das Knirschen von Knochen, als Elvas Kräfte sich um die gebrochenen Knochen legte. Kilian schrie auf und endlich fiel er in Ohnmacht. Die Heilerinnen saßen in der Blutlache, mit leuchtenden Händen und geschlossenen Augen. Elva bat die Gabe, stärker, kräftiger zu werden. Ihr Körper erstrahlte in blauem und weißem Licht. Der Unterschenkelknochen fügte sich zusammen. Das heilende Licht wirbelte um ihn herum und änderte im schnellen Wechsel die Farbe. Es waren an den Stellen, wo der Knochen sich zusammenfügte, dünne Linien zu erkennen. Muskeln, Sehnen, Fasern und Gewebe wurden geheilt. Langsam schloss sich die Wunde von innen nach außen. Elva öffnete die Augen.
»Mehr kann ich für ihn nicht tun. Ich glaube, er wird, falls er den hohen Blutverlust übersteht, das Bein nicht mehr wie vorher bewegen können. Es kann sein, dass es steif bleibt oder er es hinterherziehen wird. Vielleicht nicht für immer, aber wahrscheinlich für einige Zeit.«
Fayola löste sich von Riley, in dessen Arme sie sich geschmiegt hatte.
»Ich werde einen Heiltrank zubereiten und diesen ihm stündlich zu trinken geben. Die Kräuter werden ihn nach dem Blutverlust stärken.«
Alma öffnete die Augen. Ihre Hände leuchteten noch immer, und das Licht drang weiterhin in Kilian ein.
»Bis der Trunk fertig ist, werde ich bei ihm bleiben und seinen Kreislauf überwachen«, erklärte sie mit ihrer krächzenden Stimme.
Magnus empfand das erste Mal Stolz für seine Seelengefährtin. Nun schien sie für ihn nicht nur ein kleines, eingeschüchtertes Mädchen zu sein, sondern eine Heilerin, die Leben rettete.
Nathan und Riley trugen Kilian hinauf in seine privaten Räume. Alma ließ seine Hand nicht los und setzte sich dann zu ihm auf das Bett.
Fayola ging mit Elva in die Küche. Milla kam ihnen entgegen. Sie umarmte die Heilerin und die Wicca liebevoll.
»Milla, wir brauchen einige Kräuter, damit Fayola einen Heiltrank herstellen kann. Dann solltest du jemanden die Eingangshalle säubern lassen.«
Milla nickte und lief nach hinten in den Aufenthaltsraum der Angestellten. Es dauerte keine Minute, bis sie zurück war. Fayola sagte ihr, was sie an Zutaten benötigte und Milla gab sie ihr. Die Wicca fing sofort damit an, die Kräuter und
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 30.09.2019
ISBN: 978-3-7487-1673-0
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Diese Trilogie habe ich mit viel Liebe und Herzblut geschrieben.
Ich danke allen, die mir geholfen haben,
allen voran Willi Lipp, der für die Korrektur zuständig war.