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Alle Rechte vorbehalten © August 2019
Impressum
Text: Wine van Velzen
Cover: Wine van Velzen
Die Erben der Wächter Band 2
Die Stimmung auf dem großen Landsitz war angespannt. Nathan sorgte sich um seine Seelengefährtin Elva, die bei den Wächtern auf deren Landsitz lebte. Sie wurde von den Dunklen gejagt, seit der dunkle Graf sie als seine Braut auserwählt hatte. Elva ist eine Heilerin aus dem Fenisvolk. Ihre Kräfte sind stärker und mächtiger als die der anderen Frauen aus ihrem Volk. Ihr Vater bekam vor einigen Wochen einen Brief vom dunklen Grafen. In dem wurde der Familie unmissverständlich mitgeteilt, dass er Elva abholen würde und er sie zu seiner Gefährtin machen würde.
Das Fenisvolk war friedliebend und hatte sich schon immer aus jedem Krieg der Dunklen herausgehalten. Verträge und Verbindungen zwischen ihnen gab es nicht.
Elvas Vater weigerte sich, seine Tochter dem Grafen zu überlassen. Er schickte Elva heimlich fort zu entfernten Verwandten. Der Graf und seine Anhänger folterten daraufhin ihre Eltern und alle, die im Haus anwesend waren. Nach Stunden voller Qualen und Schmerzen, die sie erlitten und trotzdem das Versteck nicht verrieten, ließ der Graf alle hinrichten. Elva litt sehr darunter. Der Verlust war für sie schmerzvoll und kaum auszuhalten. Nathan bemühte sich, ihr darüber hinwegzuhelfen. Er führte mit ihr viele Gespräche, wiegte sie in seinen Armen, wenn sie weinte und dachte sich immer neue Überraschungen aus, die sie die Trauer vergessen ließen.
Der dunkle Graf hatte ein Gespräch mit Alessa, der Herrin der Wächter, eingefordert. Jodoc, ihr Seelengefährte und Nathan, ihr Bruder, begleiteten sie ins Velvet. Diese Bar gehörte seit Jahrhunderten dem Vampir Mike. Sie war ein neutraler Platz für alle Wesen. Menschen übersahen den Eingang und verirrten sich nicht in diese Bar. Im Velvet waren die Anderen unter sich. Die Regeln, die der Vampir aufgestellt hatte, wurden von ihnen akzeptiert. Es kam zu keinen Kämpfen, die aus der Bar Kleinholz machten, so wie es vor der Abmachung gang und gäbe gewesen war. Mike hatte seine Finger in vielen Geschäften, die in der Bar eingefädelt wurden. Er stimmte zu, das Velvet am frühen Abend für Alessa und den Grafen zu öffnen. Während des Gespräches blieb er hinter der Theke und beobachtete den Tisch, an dem sie saßen und lautstark diskutierten. Alessa gab dem Grafen zu verstehen, dass Elva einen freien Willen habe und die Vermählung nicht wollte. Sie betonte, dass sie unter ihrem persönlichen Schutz und dem der Wächter stand. Die schwarzen Augen des dunklen Grafen funkelten gefährlich. Er erklärte, dass er Elva zwei Wochen Zeit ließe, um freiwillig zu ihm zu kommen. Andernfalls würde er sie persönlich holen. Nathan und Jodoc griffen darauf hin zu den Waffen, doch Alessa gab ihnen mit einem Blick zu verstehen, dass sie keinen Kampf wünschte. Sie erhob sich und beendete damit die Unterhaltung.
Seit diesem Gespräch wurden Vorkehrungen zur Sicherheit auf dem Landsitz getroffen. Alessa befahl Nathan, die gesamte Alarmanlage auf den neuesten Stand zu bringen. Jeder Bedienstete im Haus wurde über die bevorstehende Gefahr informiert. Sie sollten alles, was verdächtig oder unnatürlich wäre, sofort Alessa oder den Wächtern melden. Alle auf dem Anwesen waren in Alarmbereitschaft und hielten ihre Augen und Ohren offen.
Alessa und die Wächter wussten, dass der dunkle Graf angreifen würde, sobald die Frist ablief. Sie hoffte, dass die Dunklen, die sich von Königin Meredith abgewendet haben und dem Grafen sowie anderen dubiosen Anführern folgten, sich nicht einmischen würden. Sollte dies geschehen, könnte es zu einem Krieg führen, wie es ihn vor zwei Jahrhunderten schon einmal gegeben hatte.
Saburo und die anderen Dämonensöhne rotteten sich mit den Abtrünnigen zusammen. Schon bald umgab den Erzfeind der Wächter eine Armee mit tausenden von Kriegern, die Blut sehen und Köpfe rollen lassen wollten.
Auch der dunkle Graf stand auf Saburos Seite und zog mit seiner Truppe in diese mörderische Schlacht. Zu dieser Zeit gab es hunderte von Wächtern und Dämonensöhne. Bereits ihre Väter bekämpften sich. Sie waren die gefallenen Engel, die mit Satanael aus dem Himmel verbannt worden waren. Auf Erden spalteten sich die Gefallenen in zwei Gruppen. Die einen hielten nach wie vor zu Satanael, wurden zu Dämonen auf der Erde. Sie verführten die Menschen, versprachen ihnen Reichtum und Macht, wenn sie sich von Gott abwenden würden. Viele gingen einen Pakt mit den Dämonen ein und Satanael bekam ihre Seelen.
Aus dem geliebten Morgenstern, dem ersten Engel, den Gott erschaffen hatte, wurde der Herrscher der Hölle und Gebieter des Bösen. Niedertracht, Geiz, Wollust, Zorn, Neid, Hochmut, Völlerei, Habgier und Trägheit, brachten seine Dämonen unter die Menschheit. Viele erlagen diesen Sünden, die Gott verachtete. Sie schlossen sich dem Teufel an, wurden zu seinen Handlangern und Dienern.
Die andere Gruppe sagte sich von Satanael los und bedauerte zutiefst, sich ihm angeschlossen, und gegen Michael und seine Heerscharen gekämpft zu haben. Sie bereuten, litten darunter, dass sie aus dem Himmelreich verbannt worden waren und flehten um Gnade. Gott erhörte sie und sah in ihre Herzen. Obwohl sie nicht mehr rein waren, verzieh er den gefallenen Engeln. Diese gelobten daraufhin, die Dämonen und deren Nachkommen zu bekämpfen, solange sie auf Erden weilten.
Gott beobachtete die Wächter und ihm gefiel, was er sah. Daraufhin beschloss er, dass jeder getötete Wächter zurück in den Himmel kehren durfte.
Damals, während diesem blutigen Kriege, als die Ahnen schon lange nicht mehr auf Erden weilten und deren Erben ihre Plätze übernommen hatten, verloren die Wächter viele ihrer Brüder. Nachdem es eine große Anzahl Opfer und Tote auf beiden Seiten gegeben hatte, beschloss der damalige König der Dunkelwelt, Merediths Vater, einen Waffenstillstand, der bis heute anhielt.
Alessa, die bereits zu dieser Zeit das Oberhaupt der Wächter war, konnte den Verlust ihrer Brüder kaum verkraften. Von der großen Zahl der Wächter überlebten diese Schlachten nur sieben ihrer Brüder, sowie ihr Seelengefährte Jodoc. Diese kleine Gilde kämpfte nach wie vor gegen den Dämonensohn Saburo und dessen Brüder. Wie bei den Wächtern, verlor auch eine große Anzahl an Dämonensöhne ihr Leben. Saburos Bruderschaft dezimierte sich zu einem kleinen Kreis, den er nach wie vor anführte.
Vierhundert Jahre nach diesem blutigen und lebenszerstörenden Krieg gegen die Abtrünnigen der Dunkelwelt, verließ Riley die Wächter. Er wollte sich nicht mehr unterordnen und hatte immer häufiger Probleme, sich
Alessas Autorität zu unterstellen. Befehle von Jodoc, ihrem Gefährten, anzunehmen, fiel ihm immer schwerer. Dadurch brachte er die Wächter mehr als einmal in Gefahr. Nach vielen Gesprächen einigten sie sich, dass Riley sie verließ, doch jederzeit zurückkommen könnte.
Seit einigen Wochen war er wieder in der Stadt und half den Wächtern und Alessa im Kampf gegen Saburo. Als dieser Nodins Gefährtin Melina entführte, stand er seinen Brüdern bei. Alessa und die Wächter hofften, dass Riley sich wieder den Wächtern anschließen würde. Doch davon war er noch weit entfernt.
*
Melina stand auf der ersten Stufe der weißen Marmortreppe, die von der Eingangshalle hinauf in die weiteren Stockwerke führte. Ihr Blick hing fasziniert an dem Bild, das auf dem ersten Bleiglasfenster an der Wand zu sehen war. Die insgesamt fünfzehn Fenster verteilten sich bis in den dritten Stock, in dem die privaten Räume von Alessa und Jodoc waren. In den beiden anderen hatten die Wächter und auch Elva ihre Domizile. Das erste Bild zeigte den Krieg im Himmel, den Satanael und seine Anhänger gegen Michael und die Heerscharen austrugen. Melina stieg weitere Stufen hinauf. Das zweite Fensterbild zeigte den Fall der Engel. Wie sie auf die Erde geschleudert wurden und ihre Flügel verloren. Bei der dritten Darstellung teilten sich die Gefallenen in Dämonen und Wächter auf. Ein anderes Bild erzählte von dem Krieg, der daraufhin zwischen Satanaels Dämonen und den Wächtern auf Erden ausbrach. Es zeigte Szenen von blutigen Kämpfen, zerstörte Städte, die in Flammen aufgingen und verwüstete Länder. Das nächste Fenster zeigte, wie die Gefallenen ihre Kinder in die Wohnstätten brachten, wie sie ihr Wissen an ihre Nachkommen weitergaben und ihre Fähigkeiten und Gaben förderten und trainierten. Zwölf der Fenster hatten Melina die Geschichte der Gefallenen erzählt, als sie Stufe für Stufe auf der Treppe hinaufstieg. Die letzten drei erzählten von den Erben der Wächter. Auf einem sah sie die Ernennung von Alessa zum Oberhaupt ihrer Brüder. Melina erkannte, dass weder Alessa noch die Männer sich im Aussehen verändert haben. Sie sahen jetzt noch genauso aus, wie vor einigen Jahrhunderten. Das vorletzte Fenster zeigte den Krieg, den die Wächter und der König der Dunkelwelt gegen die Dämonensöhne und die Abtrünnigen führten. Das letzte Fenster im dritten Stock hatte kein Bildnis. Was irgendwann einmal auf ihm zu sehen sein sollte, lag noch in der Zukunft.
Alessa fertigte dafür mit einem Kunstmaler, etliche Skizzen nach ihren Wünschen und nach Erinnerungen von ihr und von den Wächtern an. Als sie endlich zufrieden war, gab sie ihm den Auftrag, die Bilder auf die vierzehn Bleiglasfenster zu malen.
Melina war Kunsthistorikerin und lernte Nodin kennen und lieben, als er eine Ausstellung, die sie eröffnete, besuchte. Sie glaubte ihm zuerst nicht, als er von seiner Herkunft sprach und ihr sagte, dass sie aller Wahrscheinlichkeit von einem Dämon abstammte. Tatsächlich hielt sie ihn damals für verrückt und glaubte, Alessa sei die Anführerin einer durchgeknallten Sekte. Nathan zeigte ihr später Aufzeichnungen und was er über ihre Vorfahren herausgefunden hatte. Es gab in ihrem Stammbaum mütterlicherseits einige Ungereimtheiten, denen sie auf den Grund gehen wollte. Saburo ließ sie entführen, als sie Nodins Wohnung im Streit verließ. Er hatte Melina seit Jahren beobachten lassen, wusste von ihrem Mal unter dem linken Auge. Auch über ihre Ahninnen wusste er seit langem Bescheid. Nachdem sie in seiner Gewalt war, verging er sich an der jungen Frau und schloss sie danach in eine Zelle im Keller ein. Melina sollte als seine Gefährtin eine neue Armee von Dämonen gebären. Die Italienerin mit den unklaren Wurzeln konnte nach ihrer Befreiung durch die Wächter und Oran, dem Dämonensohn und Bruder von Saburo, das Ausmaß der Zerstörung auf Saburos Anwesen sehen. Sie sah die zerstörerische Kraft und die Gewalt, zu denen diese Männer imstande waren. Sie hatten Urkräfte in sich, die ein normaler Mensch nie haben würde. Melina hatte, solange sie denken konnte, auch eine Fähigkeit. Nicht in der Stärke und in diesem Ausmaß wie sie die Wächter hatten, dennoch konnte sie Gegenstände mit reiner Gedankenkraft bewegen. In der Schule sahen sie die Kinder komisch an, wenn ihr Stift auf dem Pult hin und her rollte oder ohne ihn zu berühren, in ihre Tasche flog. Melina lernte schnell, diese Fähigkeit vor anderen zu verstecken. Später, als sie studierte und als erwachsene Frau, geschah es nur noch selten, dass diese Gabe in ihr ausbrach. Nach allem was Melina jetzt gesehen und erfahren hatte, dachte sie nun ernsthaft darüber nach, diese Fähigkeit zu trainieren. Irgendetwas sagte ihr, sie sollte bald damit beginnen.
Melina stieg die Treppe hinunter und blieb vor dem ersten Fenster stehen. Auf einem Block schrieb sie einige Notizen auf. Danach fotografierte sie das Fenster aus verschiedenen Blickwinkeln. Sie wollte eine Chronik schreiben, alles katalogisieren und es als gebundenen Band den Wächtern überreichen. Hilfe bekam sie von Alessa. Die Herrin versprach ihr, dass sie die alten Schriften, die ihre Väter verfasst hatten, lesen und verwenden durfte. Auch ihre eigenen Aufzeichnungen wollte sie der Historikerin zur Verfügung stellen. Alessa versprach ihr, über die Jahrhunderte zu sprechen, als sie und ihre Brüder mit den Vätern zusammenlebten und über ihre Erinnerungen, seit sie die Wächter anführte.
Alessa saß hinter dem aus Palisanderholz gefertigten Schreibtisch, der mit filigranen Schnitzereien verziert war. Sie beendete das Telefongespräch, das sie mit Meredith, der Königin der Dunkelwelt geführt hatte. Angespannt stand sie auf und ging zum Panoramafenster, von dem sie in den gepflegten Park des Anwesens hinuntersah. An diesem Tag konnte sie die bunte Blumenpracht nicht erfreuen. Nachdenklich strich sie sich eine rabenschwarze Strähne aus der Stirn. Ein Treffen mit Meredith bedeutete immer Gefahr. Alessa müsste sehr vorsichtig sein, wie sie das Gespräch mit ihr führen würde und genau zuhören, wenn die Königin Antwort gab. Zugeständnisse von ihr sind immer teuer zu bezahlen, nichts gibt es von Meredith umsonst. Geschäfte mit ihr zu tätigen, war ein gefährliches Unterfangen, da sie immer auf ihren eigenen Vorteil und auf den ihres Volkes bedacht ist. Alessa hatte lange überlegt, ob sie diesen Weg einschlagen sollte. Sie hatte eine Vision gehabt, in der sie mit Meredith an einem Tisch saß und sie sich die Hände schüttelten. Die Herrin der Wächter sah auch einen Kampf auf dem Anwesen, bei dem Saburo und der dunkle Graf mit ihren Anhängern über die Wächter herfielen. Der Lykaner Silvan, ein Freund der Wächter, und sein Rudel unterstützten sie in diesem Kampf. Viele der Wölfe lagen mit aufgerissenen Bäuchen auf der blutgetränkten Erde. Alessa sah ihre Brüder, verwundet und erschöpft nach Atem ringen. Ihre Gesichter drückten Resignation aus. Es waren hunderte von Dunklen, so wie Saburo mit seiner Truppe, gegen die sie sich verzweifelt wehrten. Alessa sah noch mehr, und wenn sie daran dachte, wurde ihr eiskalt, und Angst schnürte ihr die Kehle zu. In diesen Visionen erkannte sie Saburo, der Melina an den Haaren die Auffahrt hinunterzog. Neben dem geöffneten, schmiedeeisernen Tor stand sein gepanzerter Mercedes, zu dem er sie bringen wollte. Plötzlich tauchte eine Armee von Schattenwesen auf, die sie nur unscharf erkennen konnte. Sie wurden von einer rothaarigen Schönheit, die sie noch nie gesehen hatte, angeführt. Ihre Vision endete abrupt mit einem letzten Bild, in dem der Rotschopf sich über den verletzten und wie tot daliegenden Djamil beugte.
Alessa drehte sich vom Fenster weg und ging in die Eingangshalle. Melina, die mit ihrem Notizblock und der Kamera vor dem zweiten Bleiglasfenster stand, sah Alessa aus dem Büro kommen und rief nach ihr. Sie blieb stehen und sah zu ihr hoch.
»Im Moment habe ich keine Zeit, Melina. Komm heute Nachmittag zu mir, dann können wir uns unterhalten«.
Sie lächelte Melina kurz zu und ging zur Treppe, die hinunter ins Untergeschoss führte. Sie wollte zu Nathan und Jodoc in die Trainingshalle, um mit ihnen das weitere Vorgehen zu besprechen. Melina sah ihr nach und runzelte die Stirn. Sie wusste, wie alle auf dem Landsitz, von den Sorgen und der letzten Vision, die Alessa gehabt hatte. Wenn der dunkle Graf angriff, um Elva zu entführen, würde Saburo mit seinen Dämonen dabei sein und versuchen sie wieder in seine Gewalt zu bringen. Jedes Mal, wenn sie mit Nodin darüber sprach, wurden seine arktisblauen Augen eiskalt. Der Hass auf Saburo spiegelte sich in ihnen wider. Sein Kiefer mahlte, und er ballte die Hände zu Fäusten. Er teilte ihr mit, dass er ständig daran dachte, wie er sie aus dem Kellerverlies nach oben getragen hatte. Er konnte die tiefen Bisswunden auf dem Körper seiner Seelengefährtin, die von den Ratten stammten, nicht vergessen. Er schwor ihr, sie zu beschützen, falls Saburo sich mit den Dunklen zusammentat und einen Angriff wagen sollte. Melina vertraute ihrem Gefährten und den Wächtern. Sicherer als bei ihnen würde sie nirgends sein.
Wie erwartet trainierten Jodoc und Nathan gemeinsam in der Sporthalle. Adrian, Lukas und Kilian hatten lange Holzstangen in den Händen. Kurz blieb Alessa stehen und bewunderte die schnellen, präzisen Bewegungen, mit denen sie sich gegenseitig auswichen, um gleich darauf mit harten Hieben angriffen. Jodoc unterbrach das Training und kam mit Nathan auf sie zu. Er umarmte sie liebevoll und strich ihr sanft über den Rücken.
»Hallo, Liebes«, begrüßte er sie und küsste sie auf ihre vollen weinroten Lippen.
In Jodoc strömte die Liebe zu seiner Frau durch seine Seele. Er würde sein Leben für das ihre lassen. Als Jodoc vor hunderten von Jahren zu der Wohnstätte der gefallenen Engel gebracht wurde, hatte er sich in Alessa verliebt. Es hatte den Anschein, als hätten die alten Wächter lange Zeit auf den Jüngling gewartet. Jodoc wurde herzlich von ihnen aufgenommen und behandelt wie die eigenen Kinder. Schon damals spürte Alessa eine starke Bindung zu ihm. Jodoc war der Einzige, der nicht das Blut eines Gefallenen hatte. Dessen ungeachtet, erhielt er das Wissen der Engel von ihnen. Jodocs Mutter, eine weiße Hexe, war bei seiner Geburt gestorben. Ihre Fähigkeit, die Zeit nach ihren Wünschen zu beeinflussen, hatte sie ihrem Sohn vererbt. Der Vater von Jodoc war unbekannt, niemand wusste anscheinend etwas über ihn, oder wer er war.
Bis zu seinem zwölften Lebensjahr lebte Jodoc bei dem Bruder seiner Mutter, bis er von ihm zu den Wächtern in die Wohnstätte gebracht wurde. Sein Onkel, der Großmagier, war das Oberhaupt des weißen Zirkels, bis er von den abtrünnigen Dunklen ermordet wurde. Daraufhin flohen diejenigen, die diesen barbarischen Angriff überlebten. Sie fanden ein neues Zuhause in der Dunkelwelt, unter Merediths Schutz oder lebten unerkannt in der Welt der Menschen. Sie hatten weder ein Oberhaupt noch eigenes Land. Lange Zeit führte sie niemand an und Hexen wie Magier fühlten sich verloren und allein. Mit Serena kam wieder Hoffnung zurück. Der Zirkel wurde neu gegründet. Die Hexen und Magier trafen sich an geheimen Orten. Gerüchte, die leise getuschelt wurden, besagten, dass Serena ein neues Oberhaupt für die Wiccas und eines für die Magier auswählen würde. Gemeinsam sollten sie dann den weißen Zirkel leiten und führen. Inwieweit diese Gerüchte stimmten, konnten nur Fayola, die Wicca und Baratowen, der mächtigste Magier unter ihnen bestätigen. Es wurde Zeit, neue Wege zu gehen. Die Alten wollten sich zurückziehen und nur noch als Berater tätig sein.
Alessa schmiegte sich an Jodoc und genoss für einen kurzen Moment das Gefühl von Glück. Nathan stand neben ihnen, die drei anderen Wächter hatten aufgehört zu kämpfen. Alle sahen sie fragend an. Die Herrin löste sich von Jodoc und sah jedem von ihnen in die Augen.
»Ich habe eine Entscheidung getroffen. Morgen nach Sonnenuntergang werde ich mich mit Meredith in deren Haus, das in der Menschenwelt steht, treffen. Sie will, dass ich alleine komme und unbewaffnet bin«.
Die Wächter sahen sie zweifelnd an. Jodoc fasste sich als erster, seine Stimme grollte laut und drohend in der Halle wieder.
»Das ist nicht dein Ernst Alessa, niemals wirst du alleine zur Königin der Dunkelwelt gehen. Das ist völlig unakzeptabel«. Wütend sah er seine Gefährtin an. Nathan raufte sich die Haare und lief kopfschüttelnd auf und ab. Kilian sah zu Lukas und Adrian, auch ihnen hatte es die Sprache verschlagen. Alessa funkelte die Männer an.
»Ich habe ihr bereits zugesagt und ihre Bedingung akzeptiert. Ich werde mit euch nicht darüber diskutieren«.
Sie ging resolut Richtung Tür, bis Jodoc ihr den Weg versperrte.
»Alessa, lass uns darüber reden«, bat er mit beherrschter Stimme. Sie schüttelte energisch den Kopf.
»Ich habe mich entschieden und Meredith zugestimmt. Ich werde alleine zu ihr gehen, so wie sie es wünscht«.
Nathan versuchte nun auch Alessa umzustimmen. Er erreichte dadurch nur, dass sie immer ungehaltener wurde und die Tür zur Trainingshalle laut hinter sich zuschlug.
Jodoc stand wie erstarrt an der Tür, die hinter Alessa laut ins Schloss gefallen war.
»Verdammt, das gibt es doch nicht. Wie konnte sie dem zustimmen? Ich begreife das nicht. Sie muss doch gewusst haben, dass wir das nie akzeptieren würden«!
Er schlug wütend mit der Faust gegen die weiße Wand, dass der Putz abbröckelte.
»Wir können offiziell Alessa bis zum Domizil von Meredith begleiten. Dagegen wird sie sich nicht wehren. Sobald sie hineingeht, kann ich auf meine Fähigkeit zurückgreifen und unbemerkt in das Haus gelangen«, erklärte Adrian.
Nathan nickte bedächtig.
»Deine Idee ist gut, ich könnte die Wachen von Meredith so beeinflussen, dass sie dich nicht bemerken, selbst wenn du neben ihnen stehen würdest«.
Jodoc sah seine Brüder nachdenklich an.
»Ihr habt Recht, so könnten wir Alessa beschützen. Du, Adrian folgst ihr im Haus auf Schritt und Tritt«.
Kilian und Lukas erklärten gleichzeitig, dass sie ebenfalls mitkommen würden.
»Ich werde Alessas Handy so einstellen, dass wir jedes Wort mithören können. Eine Kamera, so klein wie ein Knopf, werde ich an ihrer Kleidung befestigen. Dadurch würden wir jede Gefahr sofort erkennen und könnten sofort eingreifen, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht«.
Nathan schaute Jodoc fragend an, der hob den Daumen. »Ok Leute, so machen wir es. Es passt uns zwar nicht, dass
Alessa diese Entscheidung getroffen hat. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Alessa unsere Anführerin ist. Wir haben geschworen, ihr treu ergeben zu sein. Das heißt, auch, dass wir ihre Befehle und ihre Handlungen anerkennen, auch wenn wir den Sinn darin nicht verstehen. Ich werde zu ihr gehen und mit ihr sprechen. Ich hoffe, sie wirft nicht alle Gegenstände in ihrer Nähe nach mir und hört sich unseren Plan an«, grinste Jodoc und verließ die Trainingshalle.
*
Elva saß im Büro an ihrem Schreibtisch. Sie hatte noch eine E-Mail zu beantworten, bevor sie sich die Statistiken einiger Firmen, die Alessa und den Wächtern gehörten, ansehen würde. Die schöne Heilerin war so vertieft in ihre Arbeit, dass sie nicht bemerkte, wie Nathan hereinkam. Sie erschrak, als er sie ansprach. Seine Mundwinkel gingen nach oben und in seinen silbernen Augen trat ein Lächeln.
»Ich wollte dich nicht erschrecken, mein kleiner Schmetterling«.
Mit dem fliederfarbenen Sommerkleid, das sie trug und den großen, goldenen Kreolen, die an ihren spitz zulaufenden Ohren hingen, sah sie bezaubernd aus. Ihr goldblondes Haar floss in Wellen ihren schmalen Rücken hinunter. Nathan stockte der Atem, als er sie betrachtete. Elvas Gesicht nahm eine leichte Röte an, als sie seinen begehrenden Blick bemerkte. Sie stand von ihrem Stuhl auf und schmiegte sich an seine Brust.
»Ich benötige noch eine Stunde, danach könnten wir nach oben gehen«, schnurrte sie lockend.
Nathans Glied wurde hart, seine Hose beulte sich aus. Leidenschaftlich küsste er die Frau in seinen Armen.
»Ich sehe mir noch einmal die Auswertungen der Alarmanlage und der Sensoren an, bis du so weit bist«, flüsterte er an ihrem Ohr.
Er nahm eine ihrer Kreolen in die Hand und betrachtete sie. Kleine Rubine leuchteten im Licht, die in kleinen Abständen in dem Reif eingearbeitet waren. Elva strahlte ihn an.
»Sie sind ein Geschenk von Djamil, weil ich seine schweren Verletzungen heilte, die ihm im Kampf auf Saburos Anwesen zugefügt worden waren«.
Nathan bewunderte den sicheren Geschmack, den Djamil besaß. Sein Bruder hatte seiner Gefährtin damit eine große Freude bereitet, dass wiederum brachte ihn zum Lächeln.
»Sie passen zu dir. Djamil weiß genau, was einer Frau steht und ihre Schönheit noch besser zur Geltung bringt. Er wird sich bestimmt freuen, dass du sie trägst«.
Das brachte ihn auf einen Gedanken. Er wollte Djamil bitten ihn zu begleiten, wenn er bei einem Juwelier einen Ring für Elva kaufen würde. Er selbst hatte noch nie für eine Frau Schmuck gekauft. Djamil dagegen verschenkte ständig Schmuck und beglückte damit die Frauen, die er mochte, deshalb war er sicher, dass sein Bruder ihm eine Hilfe sein würde, was Geschmack und Qualität anbelangten.
Zärtlich strich er Elva mit einem Finger über ihre Stupsnase.
»Ich würde sagen, du gehst wieder an die Arbeit, und ich erledige meine Aufgaben, damit wir danach Zeit für uns haben«. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss.
»Jawohl, Sir«, sagte sie schmunzelnd und wandte sich aus seinen Armen.
Elva war in ihre Arbeit vertieft und bekam nicht mit, dass Nathans brennender Blick auf ihrem elfengleichen Gesicht ruhte. Er konnte kaum glauben, dass dieses wunderbare Geschöpf ihn liebte. Dass es so war, zeigten ihm ihre Blicke, ihre liebevollen Berührungen, die vielen sinnlichen Worte, die sie ihm leise zuflüsterte. Jedes Lächeln, das sie ihm schenkte, die vielen kleinen Gesten, mit denen sie ihm das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein. Nathan erlebte das erste Mal in den vielen Jahrhunderten, die er auf Erden weilte, das pure Glück. Wie bei allen Seelengefährten schlugen ihre Herzen im gleichen Takt. Diese Gefühle, die er für Elva empfand, wollte er nie mehr missen. Er schwor sich zum tausendsten Mal, dass er sie für immer beschützen würde.
Seine Gedanken schweiften zu Alessa und dem Treffen mit Meredith, der Königin der Dunkelwelt. Mit Meredith hatten die Wächter bisher wenig Kontakt. Sie hatte vor langer Zeit die Krone und die damit verbundene Macht ihres ermordeten Vaters übernommen. Sie ließ die meisten Regelungen, die er getroffen hatte, bestehen. Dazu gehörte auch der Waffenstillstand nach der barbarischen Schlacht, in der es so viele Tote zu bedauern galt. Ob die Königin sich gegen die Abtrünnigen und Saburo stellen würde, konnte er nicht einschätzen, dazu wusste er zu wenig über Meredith. Noch war sie nicht in die neuesten Ereignisse involviert. Bis jetzt ging es einzig um den Grafen und seine Anhänger und um Saburo. Der Graf wollte Elva zur Gemahlin nehmen, und Saburo plante, Melina zu schwängern, um seine Nachkommen zu zeugen. Wer den beiden Männern im Kampf gegen die Wächter zur Seite stehen würde, war noch unklar. Doch Nathan ahnte, dass es viele der Abtrünnigen sein werden, die sich ihnen anschließen würden.
Nathan vertraute Alessas Verhandlungsgeschick. Sie hatte schon immer ein großes Talent und Gespür, wie sie mit Menschen und Wesen umgehen musste, damit ihre Meinung und ihre Wünsche gehört werden. Er hoffte, dass Meredith den richtigen Weg gehen und sich nicht gegen die Wächter stellen würde.
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Saburo
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 02.08.2019
ISBN: 978-3-7487-1140-7
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme den 2. Band der Trilogie allen, die Fantasy-Geschichten lieben