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Der Jadekiller

 

 

 

Der Jadekiller

 

 

 

 

Nachdem Emily einen Artikel über den Jadekiller in der regionalen Zeitung gelesen hatte, wurde sie das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Dieser Bericht war nach einem Interview mit einem Profiler veröffentlicht worden und spukte ständig in ihrem Kopf herum. 

 

Er war weder blutrünstig noch allzu dramatisch geschrieben. Ein Täterprofil von dem Mörder, der bereits fünf Frauen umgebracht hatte. Wie er tickte und was in seinem kranken Hirn vorging, war darin beschrieben. Die Indizien und Tatortspuren, die bekannt waren, wurden aufgelistet und der Analytiker erklärte ausführlich, weshalb der Mörder die Frauen in ihren Schlafzimmern umbrachte. Er stellte die These auf, dass er auf die Opfer vertrauenerweckend gewirkt hatte und deshalb in ihre Wohnungen hineingelassen worden war. Alles in allem war der Bericht sehr aufschlussreich gewesen. 

 

Die Mordkommission hatte bis dahin nur spärliche Informationen herausgegeben und schwieg zu den meisten Fragen, die ihnen von der Presse gestellt wurden. Umso überraschter war Emily, dass ein Fallanalytiker öffentlich über den Mörder sprach und ein Profil von ihm erstellte. 

 

Der Frauenmörder fotografierte seine Opfer. Er schickte ein Foto von jeder Leiche, nachdem sie aufgefunden worden war, an die regionale Zeitung und an einige Fernsehsender. Auf den Bildern waren das Gesicht und die nackten Brüste der Opfer zu sehen. Das jadegrüne Zeichen war ein dicker, geradliniger Strich, der vom linken Schlüsselbein bis unter den Rippenbogen ging. Ein trianguläres Polygon, das seinen Anfang über und das Ende unter der linken Brust hatte, lief spitz auf der rechten Brustwarze zusammen. Dieses Zeichen wollte die Polizei der Öffentlichkeit eigentlich vorenthalten, da der Killer es auf alle fünf Frauen gemalt hatte und sie noch nicht herausfinden konnten, was es bedeutete. Der Hauptkommissar, der die Soko leitete, hatte beinahe einen Herzanfall erlitten, als er morgens die Zeitung aufschlug und das jadegrüne Zeichen ihm dick und fett ins Auge sprang. Die Zeitungen gaben dem Frauenmörder nach Erscheinen des farbigen Fotos den Namen ›Jadekiller‹. Nicht nur die Polizei, sondern auch Reporter sprachen mit Historikern, Schrift- und Runenexperten und mit einem Assyriologen der uralte, fernöstliche Keilschriften und Hieroglyphen lesen und übersetzen konnte. Bisher konnte keiner sagen, ob es ein Buchstabe, ein Symbol oder eine Rune war. 

 

 

*

 

 

Unsicher und nervös blickte sich Emily in der dunklen Tiefgarage um. Natürlich war niemand hier unten und wenn doch, dann konnte es nur ein Bewohner sein, der wie sie in dem Haus darüber wohnte. Trotzdem lief sie schnell zu ihrem Parkplatz, auf dem ihr alter, klappriger Golf stand. 

 

Der Wagen hatte seine besten Zeiten bereits hinter sich und den nächsten TÜV - Besuch würde er nicht mehr überstehen. Irgendetwas kratzte an der Garagenmauer oder auf dem Boden entlang. Das Geräusch war kaum zu hören und doch lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken und sie bekam eine Gänsehaut. 

 

Ihre überreizten Nerven schienen ihr mal wieder einen üblen Streich zu spielen. Immer öfter hatte sie in den letzten Tagen das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden. Jedes Mal, wenn sie sich irgendwo alleine aufhielt, spürte sie eine boshafte Präsenz ganz in ihrer Nähe. Selbst wenn sie unter Leuten war, in einem Café, im Restaurant, beim Einkaufen, sagte ihr Instinkt, dass ihr Gefahr drohte. Hastig schloss sie den Wagen auf und setzte sich hinein. Sie drückte den Knopf an der Tür herunter, der sie verriegelte. Emily startete den knatternden Motor, öffnete mit der Fernbedienung das Rolltor der Tiefgarage und fuhr zu ihrer Arbeitsstelle.

 

 

*

 

In einer Ecke, tief im Schatten versteckt, stand die dunkle Gestalt und sah, wie Emily mit schnellen Schritten zu ihrem Wagen lief. Er konnte ihre Angst spüren, die bitter und süß zugleich roch. Als der Motor aufheulte und sie das Rolltor öffnete, ging er einige Schritte nach links, dorthin, wo das Tageslicht ihn nicht erreichte und blieb regungslos stehen, bis der Wagen verschwand. Wohin sie fuhr, wusste er genau. 

 

Er hatte sie das erste Mal gesehen, als sie in einem Café nahe der Uni saß und sie war ihm sofort aufgefallen. Jung, blond, zierlich, blasse Haut. 

 

Sie hatte ein scheues Lächeln auf den Lippen, als sie einen Latte Macchiato und ein Stück Apfelkuchen bestellte. Genau der Typ Frau, auf den er stand. Genau der Typ Frau wie die anderen fünf vor ihr. Er war ihr unauffällig gefolgt und bald wusste er, wo sie wohnte, wie sie hieß, wo sie arbeitete und mit wem sie befreundet war. 

 

Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Mannes, der sich bereits seit einer Stunde in der Tiefgarage aufhielt. Es war leicht gewesen, in das Gebäude zu kommen und noch leichter, mit dem Aufzug in die Tiefgarage zu fahren. 

 

Er wartete in der Nähe der Eingangstür. Die schwarze Kappe tief in die Stirn gezogen, eine blaue Jacke, auf dessen Brusttasche ein Name mit gelben Buchstaben stand, den niemand mehr lesen konnte, weil Ölflecken und Schmiere ihn fast verdeckten. In der Hand hielt er einen Werkzeugkoffer, in dem sich kaum etwas befand. 

 

Als die junge Mutter aus der vierten Etage wie jeden Morgen mit ihrem Sohn auf dem Arm aus dem Gebäude kam, drängte er sich mit einer murmelnden Entschuldigung an ihr vorbei. Sie sah noch nicht einmal zu ihm auf, weil sie wie immer in Eile war und hatte ihn bereits wieder vergessen, noch bevor die Tür hinter ihr zugefallen war.

 

 

*

 

Er drückte auf den Knopf des Fahrstuhls, der rot zu blinken begann und fuhr hinauf in die sechste Etage. Höher ging es nicht. Von unten konnte man sehen, dass es auf der Seite, auf der Emily wohnte, vier kleine Terrassen für jedes Apartment gab. Sie waren etwas größer als die Balkone unter ihnen. Auf der anderen Seite des Gebäudes war es ähnlich, nur dass es dort zwei große Terrassen für zwei Wohnungen gab. Das Schloss an ihrer Eingangstür knackte er in wenigen Sekunden. Emily hatte nicht abgeschlossen, sondern die Tür ins Schloss fallen lassen. 

Viele Menschen machen das. Deshalb ist es für jeden Einbrecher ein leichtes Spiel, schnell und ungesehen in Häuser und Wohnungen zu gelangen. 

 

 

Er roch ihr Parfüm, als er in den Flur hinein huschte und die Tür hinter sich zuzog. Tief atmete er es ein und sah sich um. Er ging in ihr Schlafzimmer, öffnete den Schrank und berührte ihre Kleidung. In den Schubladen lag ihre Unterwäsche. Vorsichtig nahm er einen schwarzen Slip heraus und hob ihn an seine Nase, beschloss, ihn mitzunehmen. Seine Augen schweiften in dem Zimmer umher. Ihr Bett war nicht gemacht. Das Kissen war eingedrückt und die Decke zerwühlt. Langsam strich er über das Kissen, dann über das weiße Laken. Er setzte sich auf das Bett, zupfte zwei ihrer langen blonden Haare aus dem Stoff, ließ sie los und sah ihnen nach, wie sie langsam zu Boden glitten. Dann legte er sich in das ungemachte Bett. Still und ruhig lag er da und sah hoch zur Decke, auf die ein blauer Himmel gemalt und glitzernde Sterne geklebt waren. 

 

 

Er stellte sich vor, dass sie neben ihm liegen würde. Nur mit einem durchsichtigen Slip bekleidet. Ihr blondes Haar von ihrem Blut rot gefärbt, die Augen entsetzt aufgerissen und ihr Blick gebrochen. Sanft würden seine Hände über ihre festen Brüste streicheln und seine Lippen würden ihren Mund finden und sie auf ihn pressen. Die jadegrüne Farbe, die speziell für Bodypainting hergestellt wurde, würde in einem Tiegel auf dem Nachttisch stehen und er würde ihn vorsichtig öffnen, damit er mit seinem Finger die Rune auf ihre Brust zeichnen konnte. Danach würde er sie aus verschiedenen Blickwinkeln fotografieren. Ein Foto bekämen die Medien, sobald man sie gefunden hatte, alle anderen waren nur für ihn bestimmt.

 

 

Lange hatte er nach einer Rune gesucht, die zu ihm passen würde. Die aussagte, wer und was er war. Es war wie ein Zwang für ihn und er musste sein Zeichen, sein Mal, auf der blassen Haut der Frauen hinterlassen. Jeder sollte wissen, dass diese Frauen für eine kurze Zeit nur ihm alleine gehört hatten. Dass er Macht über sie hatte. Dass er mit ihnen machen konnte, was immer er wollte. 

 

Dieses Gefühl der absoluten Herrschaft erregte ihn. Zu wissen, dass sie ihm ausgeliefert sind und nur seine Regeln zählen. Er lachte rau, als er daran dachte, wie sie alle weinend bettelten, sie zu verschonen. Wie sie ihm versprachen, dass sie alles machen würden, was er von ihnen verlangte, wenn sie am Leben bleiben würden. 

 

Doch es war umsonst. Sie waren ihm hilflos ausgeliefert. Er verlangte und wollte nichts von ihnen. Er wollte nur den gebrochenen Blick ihrer Augen sehen, wenn sie in seinen Armen starben und die Macht über sie genießen. Deshalb konnte er sie nicht gehen lassen, egal, was sie ihm versprachen. 

 

 

Langsam stand er von dem Bett auf. Im Wohnzimmer setze er sich auf das hellbraune Sofa mit den bunt geblümten Kissen darauf. Sie hatte keine Familienfotos in den Regalen stehen. Ein großes Kinoposter von ›Tribute von Panem‹ hing über dem Fernseher an der Wand in einem Glasrahmen. Auf dem runden Holztisch lagen die Fernbedienung, ein Taschenbuch mit dem Titel ›Daphne die Psychopathin‹, das von einer Autorin stammte, deren Namen ihm nichts sagte, und eine heruntergebrannte Kerze, die auf dem Deckel eines Gurkenglases stand. 

 

Eine dünne Staubschicht war auf den Regalen, auf denen einige gebundene Bücher und Taschenbücher standen, zu sehen. Das helle Laminat, mit dem die gesamte Wohnung bis auf das kleine Bad verlegt worden war, hatte einige Kratzer und Schrammen, wirkte stumpf und abgenutzt. Ihre Pflanzen, die auf den Fenstersims standen, waren vertrocknet und die Blätter lagen verwelkt neben den Blumentöpfen, die alle eine andere Farbe hatten. In der kleinen Küche lag benutztes Geschirr vom Vortag in der Spüle und der Mülleimer darunter war halb voll. 

 

»Eine gute Hausfrau scheinst du nicht zu sein, meine liebe Emily«, flüsterte er und zog verächtlich den Mund nach unten. 

 

Er blieb noch eine Stunde in ihrer Wohnung, bevor er sie wieder verließ. Ein Blick auf seine Armbanduhr sagte ihm, dass sie bald aus dem Versicherungsbüro kommen und gegenüber in der Pizzeria etwas essen würde. Anschließend würde sie in den Stadtpark gehen, sich dort auf eine der weißgestrichenen Bänke setzen, die im Schatten der Bäume standen, ihren Reader aus der Tasche nehmen, um eine halbe Stunde darin zu lesen, bevor sie zurück in das Büro ging. Um sechzehn Uhr hatte sie Feierabend. Sie würde in ihren klapprigen Golf steigen, unterwegs beim Supermarkt anhalten und dann nach Hause fahren. Sie bekam so gut wie nie Besuch und die Bewohner in dem Haus scherten sich einen Dreck um ihre Nachbarn. Deshalb beschloss er, sie in ihrer Wohnung zu töten. Bald, schon sehr bald würde die süße Emily ihm gehören.

 

 

*

 

Daniel Bergmann stieg aus seinem dunkelblauen BMW und verschloss ihn mit der Fernbedienung. Er drückte den Knopf neben dem Fahrstuhl, als er sah, dass Emily in die Tiefgarage fuhr. Seine Wohnung war gegenüber von ihrer und doppelt so groß. Er hatte sie vor fünf Jahren erworben und komplett renovieren lassen, bevor er sie mit teuren, eleganten Möbeln ausstattete. Als Scheidungs- und Strafrechtsanwalt konnte er sich das ohne weiteres leisten. Die große Kanzlei, die er mit einem Partner in der Innenstadt hatte, brachte beiden ein kleines Vermögen ein. Als Emily vor einem Jahr die Zwei - Zimmer Wohnung gegenüber gekauft hatte, war er auf der Stelle von der zierlichen Schönheit hingerissen. Ihre großen, blauen Augen waren von dunklen Wimpern eingerahmt und ihr Blick war immer etwas skeptisch, wenn sie sich mit ihm unterhielt. 

 

Die Aufzugtür ging auf und er wartete mit einem Lächeln auf sie. Emilys hohe Absätze hallten in der dunklen Tiefgarage bei jedem Schritt. Sie lächelte ebenfalls, als sie Daniel erkannte und nickte ihm dankbar zu. Sie war froh, dass er auf sie gewartet hatte und sie nicht alleine in der dunklen Garage vor dem Lift stehen musste, bis er wieder nach unten kam. Der Aufzug setzte sich in Bewegung und sie starrte auf den Boden. Daniel hatte sie bereits einige Male eingeladen, mit ihm auszugehen. Jedes Mal fand sie eine neue Ausrede, mit der sie ablehnte. 

 

Sie fand, er sah gut aus. Viel zu gut für Emilys Geschmack, die es lieber mochte, wenn man nicht gleich aus der Masse herausstach. Das dunkle, wellige Haar fiel ihm bis in den Nacken. Seine Haut war gebräunt und das weiße Hemd, das er trug, war maßgeschneidert, genauso wie der elegante, helle Anzug. Sie spürte, dass er sie ansah. Sie war der Meinung, dass seine Einladungen keine Dates waren, um sich kennenzulernen, sondern Einladungen direkt in sein Bett. Doch so war Emily nicht, obwohl sie manchmal dachte, dass es durchaus seinen Reiz hätte, mit Daniel eine Nacht zu verbringen. 

 

Daniel spürte, wie unwohl sich Emily neben ihm fühlte. Er fand es schade, dass sie ihm keine Chance gab. Für ihn war sie äußerst attraktiv und er konnte sich durchaus etwas Ernstes zwischen ihnen vorstellen. Doch jeden Versuch, sie näher kennenzulernen, blockte sie ab. 

 

Sie stiegen aus dem Aufzug und liefen stumm nebeneinander den Gang zu ihren Apartments entlang. Emily schloss die Tür auf und blickte sich zu Daniel um. Ihre Blicke trafen sich. Sie glaubte, Enttäuschung und etwas wie Traurigkeit in seinen Augen zu sehen. Kurz lächelte sie ihn an und wünschte ihm einen schönen Abend, bevor sie hineinging und die Tür hinter sich schloss. Daniel blieb noch einen Moment stehen und sah zu der geschlossenen Tür. Kurz überlegte er, bei ihr zu klingeln, um sie auf einen Drink auf seiner Terrasse einzuladen. Doch er verwarf diesen Einfall genauso schnell, wie er gekommen war. Sie würde ihm den nächsten Korb geben und das würde ihm den restlichen Abend verderben.

 

 

*

 

Irgendetwas war anders, das spürte sie sofort. Emily stand in ihrem Flur und blickte sich suchend um. Langsam ging sie ins Wohnzimmer. Lange blieb sie stehen, sah zu ihrem Sofa, dem Tisch, zu den Regalen, doch alles schien an seinem Platz zu sein. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass sich etwas verändert hatte. Stirnrunzelnd ging sie in ihr Schlafzimmer. Sie sah auf das ungemachte Bett, auf ihren Nachttisch, auf dem noch immer das Wasserglas vom Vorabend stand. Die Schranktüren und Schubladen waren halb geöffnet, genauso wie immer. Ihre Kleidung lag verstreut auf dem Boden und über dem Stuhl geworfen, zwei Paar ihrer Schuhe standen daneben. Tief atmete sie ein. 

 

Dann erkannte sie schlagartig, was sich verändert hatte. Es war die Luft in den Räumen. Sie roch anders. Herber und maskuliner als der Duft ihres Parfüms, der sonst ihre Wohnung einhüllte. Unsicher stand sie da und wusste nicht, was sie machen sollte. Ihre Gedanken überschlugen sich und Panik stieg in ihr hoch. Sie drehte sich ruckartig um und lief aus der Wohnung. Mit zitternden Fingern drückte sie auf Daniels Klingelknopf. Ihre offene Haustür gegenüber ließ sie nicht aus den Augen. Sie glaubte, jeden Moment einen Einbrecher zu sehen, der aus ihrer Wohnung an ihr vorbeistürmen würde und schrie spitz auf, als sie einen Schritt nach hinten fiel, weil Daniel die Tür öffnete, an die sie sich mit dem Rücken gepresst hatte. Er fing sie auf und als er seine hübsche Nachbarin erkannte, sah er sie verwundert an. Als er in ihr bleiches Gesicht mit den aufgerissenen Augen blickte, sah er Angst in ihnen funkeln.

 

»Was ist los, Emily?«, fragte er sie sanft und mit ruhiger Stimme. 

 

Dabei hielt er sie noch immer fest in den Armen. Unsicher machte sie sich von ihm los und sah ihn mit feuchtschimmernden Augen an. 

 

»Ich glaube, in meiner Wohnung ist jemand«, flüsterte sie verstört. 

 

Ohne zu zögern, nahm er die Hand der jungen Frau und führte sie in seine Wohnung. Verblüfft und überrascht sah sie sich um. Die Wohnung war teuer und elegant eingerichtet, die Teppiche und Vorhänge passten hervorragend zu den modernen Möbeln und der einladend großen Wohnlandschaft, deren dunkles Grau mit den hellen Wänden harmonierte. 

 

»Setz dich und warte hier auf mich. Ich geh in deine Wohnung und sehe mich um.« Bevor sie antworten konnte, lief er mit schnellen Schritten hinaus. 

 

Kurze Zeit später kam Daniel zurück. Emily stand noch immer am selben Fleck und sah ihn fragend an. 

 

»Da war niemand«, sagte er mit seiner sympathischen Stimme. »Ich war in allen Räumen und habe sogar unter dem Bett nachgesehen.« 

 

Emily wurde feuerrot vor Scham, als sie daran dachte, wie unaufgeräumt ihre Wohnung war und wie sauber und schick seine wirkte. Daniel ging an die große Schrankwand und öffnete eine breite Tür, hinter der eine kleine, gutsortierte Bar war. Er nahm zwei Gläser, warf mit einer silbernen Zange Eiswürfel hinein und schenkte einen honigfarbenen Bourbon ein, der in einer braunen Flasche war, die genauso teuer wie seine Wohnungseinrichtung aussah. Daniel reichte ihr eines der Gläser und bat sie, sich zu setzen. Dann reichte er Emily einen Schlüsselbund und sie erkannte, dass es ihr eigener war.

 

»Ich nahm ihn von dem Schränkchen im Flur an mich und habe deine Tür zugesperrt«, sagte er mit einem charmanten Lächeln. 

 

Sie nahm ihn an sich und begann, nervös die Ringe daran zu drehen. Daniel beobachtete sie dabei. 

 

»Ich kann nachher gern mit dir rübergehen und wir sehen gemeinsam noch einmal nach, wenn du dich dadurch sicherer fühlst.« 

 

Dankbar nickte sie und sah ihm dabei in die Augen. ›Verdammt, er sieht fantastisch aus‹, dachte sie und bemerkte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. 

 

Hastig trank sie das Glas leer, was Daniel mit hochgezogener Braue bemerkte. Sie spürte sofort den Alkohol und die Welt drehte sich ein wenig um sie herum. Emily stand auf und sah Daniel unschlüssig an. Auf der einen Seite genoss sie es, ihm so nah zu sein, auf der anderen drängte es sie, aus seiner Nähe zu kommen. Das erste Mal spürte sie, dass sie für Daniel etwas empfand. Oder war es Dankbarkeit, weil er sie in seine Wohnung nahm und in ihrer nachsah, ob ein Einbrecher sich dort versteckt hielt? Sie wollte sich diese Frage nicht beantworten, deshalb beschloss sie zu gehen. 

 

Daniel stand langsam auf und sie gingen gemeinsam in den Flur, der ihre Wohnungen trennte. Ihre Hände zitterten leicht, als sie aufschloss. Bevor sie die Tür ganz öffnete, drehte sie sich zu Daniel: 

 

»Ich denke, du musst nicht mit hereinkommen. Ich habe bestimmt mit meiner Angst übertrieben.« 

 

Daniel sah sie an und nickte dann. 

 

»Alles klar, solltest du nochmal Hilfe brauchen, zögere nicht, bei mir zu klingeln oder zu klopfen.« 

 

Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. 

 

»Danke Daniel, das war sehr nett von dir. Ich hoffe, du denkst nicht, ich sei eine überspannte und hysterische Frau, die dazu noch ein Angsthase ist.« 

 

Auch er lächelte und schüttelte dabei den Kopf. 

 

»Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, du bist eine wunderschöne, taffe Frau, die gern öfter bei mir klingeln sollte, damit ich sie in den Arm nehmen kann.« 

 

Sofort wurde sie wieder rot, doch sie freute sich über die Komplimente, die er ihr gemacht hatte. Spontan legte sie eine Hand in seinen Nacken und zog sein Gesicht zu ihrem hinunter. Der Kuss auf seiner Wange war flüchtig und viel zu schnell vorbei. Schnell glitt sie durch den schmalen Türspalt und schloss hinter sich ab. Daniel Bergmann stand vor ihrer Tür und ein Grinsen lag auf seinen Lippen. 

 

»Vielleicht habe ich doch eine Chance bei ihr«, dachte er hoffnungsvoll.

 

 

*

 

Der Frauenmörder saß mit seiner Frau und den beiden Söhnen am Esstisch. Sie spielten ›Kniffel‹ und sein Jüngster gewann. Seine Gedanken wanderten zu Emily und den anderen fünf Frauen, die er getötet hat. Er wollte am Tag zu ihr gehen. Wie immer würde er an der Wohnungstür klingeln und sagen, dass bei den Nachbarn unter ihr das Wasser im Bad von der Decke tropft. Sie wird seine ölverschmierte Jacke mit dem unleserlichen Namen und seinen blauen Werkzeugkoffer sehen und ihn hineinlassen. Bevor sie wusste, was geschah, würde er sie schnappen und ihr solange die Luft abdrücken, bis sie ohnmächtig zusammensackte. Sobald sie gefesselt in ihrem Bett aufwachte, würde er mit seinem Ritual beginnen. 

 

Seine Frau zupfte ihm am Ärmel. 

 

»Schatz, du bist dran mit Würfeln. Wo bist du denn mit deinen Gedanken?« 

 

Verwirrt sah er zu den Würfeln und dem Becher. Dann grinste er seine Söhne an und verdrehte dabei die Augen. Die Kinder lachten laut, als er auch noch eine Grimasse schnitt. 

 

»Tja, dann werde ich euch jetzt zeigen, wie man eine große Straße würfelt«, sagte er mit brummender Stimme und zwinkerte seinen Söhnen verschmitzt zu. 

 

Danach aßen sie gemeinsam zu Abend, sahen sich eine Serie im Fernseher an und gingen dann zu Bett. Er liebte seine Familie. Sie waren sein Halt und sein Trost. Ohne sie würde er ruhelos durch das Leben wandern, auf der Suche nach Geborgenheit. Seine Söhne waren sein ganzer Stolz. Sie aufwachsen zu sehen, dass sie gesund und auch gescheit waren, ließ ihn an das Gute glauben. 

 

Seine Kindheit war der reinste Horror gewesen. Seine Mutter war Alkoholikerin, sie hatte sich nicht um ihn gekümmert und er war sehr früh auf sich alleine gestellt gewesen. Sein Vater hatte sie verlassen, noch während sie schwanger gewesen war. 

 

Mit Sozialhilfe und in einem schäbigen Plattenbau war er zwischen Kriminellen und gescheiterten Existenzen aufgewachsen. Seine Frau war es gewesen, die ihn gedrängt hatte, Meister in seinem Beruf zu werden, und ihn bestärkt hatte, sich danach selbstständig zu machen. 

 

Fünf Jahre später konnten sie sich ein schmuckes Haus leisten. Er war bei den Nachbarn und seinen Kunden hoch angesehen. Bei einer großen Wohnungsgesellschaft stand er unter Vertrag. Er wartete und reparierte die Heizungen in ihren vermieteten Häusern. Daneben hatte er kleinere Aufträge von Privatleuten. Ihm und seiner Familie ging es gut. Seine Frau musste nicht arbeiten gehen. Sie half ihm bei der Buchführung, versorgte seine Söhne und kümmerte sich um den Haushalt. Alles wäre perfekt, hätte er nicht ständig den Drang zu töten. Jahrelang unterdrückte er ihn, so gut er konnte. Um seinen Frust abzubauen, war er in Bordelle gegangen, hatte nur Frauen genommen, die sich Schmerzen zufügen ließen. Es hatte ihn befriedigt und den Drang zum Töten schwächer werden lassen..

 

Bis zu dem Tag, an der er bei seinem ersten Opfer geklingelt hatte, die in einem Mehrfamilienhaus wohnte, in der er die Heizung wartete. Er hatte sie bereits in der Waschküche gesehen und ihre neugierigen Blicke bemerkt, als sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Als sie jedoch seine schmutzige Arbeitskleidung bemerkt hatte, da hatte sie ihn nur kurz gegrüßt und sich wieder ihrer Wäsche zugewandt.

 

 

Ihm war sofort aufgefallen, dass sie nur Frauenkleidung aus der Maschine räumte, schloss daraus, dass sie alleine lebte, und folgte ihr in den zweiten Stock, in dem sie ihre Wohnung hatte. Noch bevor sie ihre Tür schließen konnte, hatte er kräftig dagegengetreten, so dass sie zurücktaumelte und der Korb mit der Wäsche auf den Boden geknallt war. Bevor sie schreien konnte, hatte er sie an den Haaren gepackt, ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen und sie mehrmals vergewaltigt. Mit einem Messer hatte er ihr die Rune in die Brust geritzt, die jadegrüne Körperfarbe hatte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht besessen, mit der er später die anderen Frauen kennzeichnete. Die Polizei ging davon aus, dass die junge Frau sein erstes Opfer war und er spontan gehandelt hatte. Jeder weitere Mord war präziser und geplant ausgeführt worden.

 

 

*

 

Emily kam nach Hause, zog die hochhackigen Schuhe aus und lief barfuß in die Küche. Sie öffnete das Fenster und schaltete die Kaffeemaschine ein. In dem Moment klingelte es an ihrer Tür. Stirnrunzelnd sah sie den Mann in seiner Arbeitskluft an, der einen blauen Werkzeugkoffer trug. 

 

»Ja?«, fragte sie überrascht. 

 

Der Mann erklärte ihr, dass er in ihr Bad musste, da in der Wohnung unter ihr das Wasser von der Decke tropfte. Ohne zu zögern, ließ sie ihn herein. Emily hatte kaum die Tür geschlossen, da spürte sie zwei starke Hände an ihrem Hals. Sie versuchte verzweifelt, sich zu wehren, doch die Luft wurde immer knapper. Fieberhaft suchten ihre Finger den Schuhschrank neben ihr ab, auf dem sie ihren schweren Schlüsselbund liegen hatte. Sie griff nach ihm und schlug dem Killer damit auf den Kopf und ins Gesicht. Er stöhnte schmerzhaft auf, als sie seine Nase traf und das Blut aus ihr herausschoss. 

 

»Du elendes Miststück, dafür wirst du büßen«, keuchte er wutentbrannt. 

 

Sein Griff um ihren Hals lockerte sich und gierig sog sie die Luft ein. Sie konnte sich befreien und schrie in Todesangst um Hilfe. Der Schlag mit der Faust, den ihre Wange traf, ließ sie beinahe ohnmächtig werden, als sie gegen die Eingangstür flog. Der Schmerz schoss in ihr Gehirn und vernebelte ihren Blick. 

 

Emily spürte, wie der Täter in ihre Haare griff und sie ins Schlafzimmer zerrte. Desorientiert und in Todesangst schrie sie noch einmal laut um Hilfe. 

 

»Verdammt Weib, sei still oder ich töte dich auf der Stelle.« 

 

Er warf sie auf das Bett und setzte sich auf sie. Bevor er ihre Hände festhalten konnte, fuhren ihre Fingernägel durch sein blutverschmiertes Gesicht und hinterließen tiefe Kratzspuren auf seiner Haut. 

 

Der Jadekiller schrie unterdrückt auf und seine Fäuste schlugen wild und zornig auf sie ein. Die Welt um Emily wurde schwarz.

 

*

 

»Sie kommt zu sich«, hörte sie eine Stimme, die irgendwo im Nebel ihres Gehirns zu hören war. Dann wurden die Geräusche und Stimmen klarer und lauter. Emily schlug panisch die Augen auf. 

 

»Es ist vorbei, Kleines. Du bist in Sicherheit«, hörte sie eine vertraute Stimme. 

 

Sie sah Daniel mit aufgerissenen Augen an, der vor ihr saß und sanft über ihre Wange strich. Ihr Gesicht und ihr Körper schmerzten höllisch. Ein Mann kam an ihr Bett und zeigte ihr einen Ausweis. 

 

»Ich bin Oberkommissar Baier. Sie haben verdammtes Glück gehabt, dass ihr Nachbar den Jadekiller überwältigt und sie gerettet hat.« 

 

Schlagartig fiel Emily ein, was geschehen war. 

 

»Er ist verhaftet und bereits weggebracht worden«, sprach der Oberkommissar weiter, als er ihren ängstlichen Blick sah, der ruhelos durch das Zimmer wanderte. Daniel sah ihren fragenden Blick. 

 

»Ich habe dich schreien gehört, als ich nach Hause kam. Deine Tür war verschlossen und ich klopfte wie ein Verrückter dagegen. Schließlich brach ich sie mit einigen Fußtritten auf. Ich hörte die Kampfgeräusche aus deinem Schlafzimmer und stürmte hinein. Der Killer hörte mich nicht kommen und ich schlug ihm von hinten den Stuhl über den Kopf.« 

 

Emily sah zu dem zerbrochenen Stuhl, auf dem sie ihre Kleidung warf, wenn sie duschen ging.

 

»Das war es auch schon«, sprach Daniel weiter. »Ich rief die Polizei und einen Krankenwagen an.« 

 

Erst da bemerkte sie die beiden Sanitäter, die ebenfalls an ihrem Bett standen und sie ansahen. 

 

Einer prüfte ihren Blutdruck, der andere zog eine Spritze auf. »Für die Schmerzen«, sagte er, als er ihren Blick bemerkte. Die Nadel stach in ihre Vene und sie wurde sofort schläfrig.

 

»Bringt sie ins Krankenhaus«, hörte sie den Kripobeamten sagen, dann wurde es wieder schwarz um sie.

 

Daniel packte schnell einige Sachen für sie zusammen und begleitete sie in das nahe Hospital, wo er die ganze Nacht nicht von ihrer Seite wich.

 

Die Schlagzeilen am nächsten Tag drehten sich um den Jadekiller und sein letztes Opfer, das überlebt hatte. 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.07.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Allen Lesern, denen meine Werke gefallen.

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