Es war eine stürmische Nacht Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, als Captain Kitt für den Bruchteil einer Sekunde sein Spiegelbild in der blankpolierten Klinge eines Schwertes aufblitzen sah. Das wäre noch nicht weiter bemerkenswert, wenn sich eben jene Klinge nicht mit erschreckender Geschwindigkeit und Präzision auf seine empfindliche Kehle senkte. Hierbei muss auch noch erwähnt werden, dass Captain Kitt ein recht eitler Kater war, der sein ungewöhnlich langes, seidiges Fell mit unermüdlicher Ausdauer pflegte. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass er nicht gerade begeistert von dem war, was er in der breiten Klinge erblickte. Ein hässlicher Kratzer zog sich quer über seine wohlgeformte Nase und färbte sein weißes Fell blutrot.
Captain Kitt knurrte gereizt. „Das wirst du mir büßen, Frankie!“, fauchte er. „Es wird Wochen dauern, bis mir die Haare wieder nachgewachsen sind!“
Frankie lachte bellend. „Ach, Kitty“, sagte der bullige Rottweiler gehässig, „damit siehst du wenigstens ein kleines bisschen gefährlich aus, du solltest mir dankbar sein.“
„Nenn - mich - nicht - Kitty!“, fauchte Captain Kitt und seine grünen Augen sprühten vor Zorn. Die schmalen Pupillen hatten sich zu winzigen Schlitzen verengt, obwohl es in dem kleinen Raum sehr dämmrig war. Vor den gesprungenen Fenstern tobte ein Unwetter und rüttelte an den alten Bohlen des Hauses.
„Kitty, Kitty, Kitty“, sang Frankie und schlackerte mit den kurzen Hängeohren. Was bei einem so massigen Hund recht lächerlich aussah.
Doch nach Lachen war Captain Kitt gerade nicht zumute. Ein tiefes Grollen drang aus seiner Brust. Aus dem Augenwinkel spähte er zu seiner Klinge, die er nur wenige Zentimeter neben seiner Pfote hatte ablegen müssen. Ja, er war in einen Hinterhalt geraten. Er, der große Captain Kitt! Berater und bester Freund des Piratenkaisers! Und weswegen? Weil die Tochter des Piratenkaisers so dumm gewesen war, sich entführen zu lassen. Und die mehr als zweifelhafte Ehre ihrer Errettung war natürlich auf Captain Kitt gefallen.
Zuerst hatte sich alles ziemlich einfach angehört. Die Schöne Lola, wie die Piratenprinzessin von allen nur genannt wurde, war bei einem Ausflug in Tortuga von einer Bande Cocker Spaniels entführt worden. Cocker Spaniel waren zwar gute Jagdhunde, aber mit der Schläue von Katzen und natürlich insbesondere der Gerissenheit von Captain Kitt konnten sie es nicht aufnehmen. Also hatte Kitt seine Crew auf sein Schiff Black Panther gebracht und war mit Ihnen nach Haiti gesegelt. Hätte er doch nur geahnt, dass die Spaniels nur Handlanger des berühmt berüchtigten Frankie Knochen waren… Dann hätte er sich einen raffinierteren Plan zur Befreiung der Schönen Lola ausgedacht. So war er direkt in Frankies Klinge gelaufen.
„Was willst du überhaupt von der Piratenprinzessin?“, fragte Captain Kitt, um Frankie abzulenken. Vielleicht kam er ja dann an seine Klinge heran…
Der Rottweiler verzog die Lefzen zu einem schaurigen Lächeln und entblößte dabei eine Reihe gelber rasiermesserscharfer Zähne. Die Legenden über ihn besagten, dass er mit seinen kräftigen Kiefern Knochen mühelos brechen konnten, daher sein Spitzname Knochen. Kitt glaubte nicht so recht daran. Wahrscheinlich hatte Frankie die Gerüchte selbst gestreut.
„Deine hübsche Lady hat etwas, das ich gerne haben möchte“, sagte Frankie.
„Und das wäre?“, fragte Captain Kitt und rückte unauffällig ein paar Millimeter näher an sein Schwert.
„Das werde ich dir bestimmt nicht auf dein ramponiertes Näschen binden“, erwiderte Frankie.
Captain Kitts Nackenhaare sträubten sich. Mit einem Satz sprang er zu seiner Klinge, doch Frankie war schneller. Er kickte Kitts Schwert mit dem Fuß weg und bohrte ihm seine eigene Klinge unters Kinn.
Mitten in der Bewegung verharrte Captain Kitt. Hoffentlich hatten nicht noch mehr Haare dran glauben müssen… Eine kahle Stelle unter dem Kinn würde auf Frauen nicht gerade anziehend wirken…
„Aber, aber, Kitty“, sagte Frankie. „Du willst doch nicht etwas unglaublich dummes tun, oder?“
Captain Kitt bleckte die Zähne, doch ehe er etwas erwidern konnte, meldete sich eine Stimme aus dem Schatten hinter dem Rottweiler.
„Er vielleicht nicht“, sagte die Stimme, „ich hingegen schon.“
Ein Sirren ertönte und bevor Frankie überhaupt begriff, dass er in Gefahr war, jaulte er auf, als ihm etwas mit Wucht in den Rücken krachte und er zu Boden stürzte. Mit einem Satz sprang ihm eine hochgewachsene Maus auf den massigen Leib und drückte ihm eine Klinge an die Kehle.
„Ha!“, stieß Kitt triumphierend aus. Mal sehen, wie es Frankie gefiel, kalten Stahl an die Gurgel gedrückt zu bekommen!
Mit blutunterlaufenen Augen schielte Frankie auf die Maus. Sie hatte ein seidig, graues Fell und trug ein blutrotes Kopftuch. An einem Ohr baumelte ein goldener Ring. Um ihre Hüfte hatte sie einen Gürtel mitsamt Scheide für ihr Schwert gebunden. Es war nicht einmal halb so groß, wie Frankies eigene Klinge, doch genauso scharf und nicht minder gefährlich.
„Wie peinlich“, lachte Captain Kitt. „Du hast dich von einer Maus besiegen lassen!“
„Klappe“, knurrte die Maus. „Mach dich lieber nützlich und fessle diesen Flohsack.“
„Er hat Flöhe?“, fragte Kitt angewidert nach und verzog das Gesicht. Er konnte Flöhe nicht ausstehen. Man brauchte Tage, um sie alle wieder loszuwerden.
„Mach schon!“, sagte die Maus ungeduldig.
„Ist ja gut“, brummte Captain Kitt und durchsuchte den Raum, bis er in einer Ecke schließlich ein Seil fand. Mit geübten Griffen fesselte er Frankie, der die ganze Zeit wütend vor sich hinknurrte und mit Schimpfworten nur so um sich warf.
„Ich darf doch bitten, hier ist eine Dame anwesend“, sagte Kitt tadelnd, als Frankie einen besonders wüsten Fluch ausstieß.
„Wirst du jetzt etwa gleich rot?“, höhnte Frankie.
„Ich meinte nicht mich“, gab Captain Kitt schmollend zurück. „Du hast dich nicht nur von einer Maus überwältigen lassen, sondern noch dazu von einem Mädchen. Das wird deinem Ruf ganz schön schaden.“ Kitt lachte schadenfroh und wich Frankies zuschnappenden Zähnen mühelos aus. „Das beißen treib ich dir auch noch aus!“, knurrte er und wickelte ein Ende des Seils um seine Schnauze.
„Wir müssen gehen“, sagte die Maus. Sie stand an einem der kaputten Fenster und spähte in die stürmische Nacht hinaus.
„Nicht ohne Lola“, sagte Kitt.
„Sie ist im Nebenzimmer“, erwiderte die Maus. „Ich hole sie. Befrei du deine Crew. Wir müssen so schnell wie möglich in See stechen. Frankies Kumpane werden bald hier sein.“
Misstrauisch sah Kitt die Maus an. „Wieso?“, fragte er.
„Wieso was?“, erwiderte die Maus.
„Wieso hast du mir geholfen?“
„Können wir das später klären? Uns läuft wirklich die Zeit weg.“
Captain Kitt wusste, dass sie damit nicht unrecht hatte, aber die Maus war ihm nicht geheuer. Katzen und Mäuse arbeiteten normalerwiese nicht zusammen. Sie respektierten sich, aber sie mochten sich nicht. Genauso wenig wie Katzen und Hunde. Wobei Hunde die schlimmeren Gesellen waren. Sie stanken immer bestialisch, vor allem, wenn sie nass waren…
„Na los!“, sagte die Maus ungeduldig und war mit ein paar Sätzen bei der Tür.
Immer noch misstrauisch folgte Captain Kitt ihr und lief den schummrigen Gang hinunter bis zu der Tür, hinter der seine Crew geknebelt und gefesselt lag. Frankie hatte eine Wache bei der unverschlossenen Tür hinterlassen, aber Kitt überwältigte sie mühelos.
Während die Wache im Land der Träume weilte, befreite er seine Crew, die sich stöhnend und ächzend die schmerzenden Gelenke rieb. Am schlimmsten hatte es Stummel erwischt. Der Schiffskoch war nicht mehr der jüngste Hase im Stall. Tatsächlich hätte er vor einigen Jahren eigentlich als saftiger Braten für Kitt herhalten sollen, doch das Langohr hatte darum gebeten, dass wenn es schon gekocht werden solle, dann bitte in einer aromatischen Soße, die er noch dazu selbst zubereiten wolle. Tatsächlich war die Soße so appetitlich gewesen, dass Kitt ihn begnadet und zu seinem neuen Kombüsenchef erklärt hatte. Stummel schaffte es sogar aus altem Zwieback und etwas Holzmehl noch etwas Schmackhaftes zu zaubern. Und wer schon mal einer Katze begegnet ist, der weiß, was für sensible Gaumen sie haben.
„Auf Männer, bringen wir die Schöne Lola zu unserem Kaiser“, sagte Kitt und half dem alten Stummel auf die wackeligen Beine.
„Wo ist sie denn?“, fragte der dicke Garry. Der graugetigerte Kater hockte am liebsten oben im Krähennest und ließ sich die Sonne auf den Pelz brennen. Er hatte die schärfsten Augen der ganzen Karibik.
„Gleich nebenan“, sagte Kitt und machte sich auf den Weg. Wehe, wenn die Maus mit der Schönen Lola abgehauen war…
„Shhhht, seit leise!“, zischte plötzlich eine Stimme aus dem Gang und die Maus tauchte im Schlepptau mit Lola auf. „Wir müssen hinten raus! Frankies Männer kommen. Los!“
Kitt fluchte und trieb seine Männer wieder zurück ins Zimmer. In ihrem jetzigen Zustand mit den steifen Gliedern waren sie bestimmt nicht die besten Kämpfer. Außerdem musste er Lola dringend aus der Gefahrenzone bringen. Da half nur Flucht.
„Captain Kitt?“, hauchte die Schöne Lola. Ihr strahlend weißes Fell war ganz zerzaust, grau und zottig geworden und trotzdem sah sie noch immer umwerfend aus. Ihre goldgelben Augen waren trüb, doch als sie Kitt erblickte, glomm ein Funken Hoffnung darin auf.
„Ihr müsst still sein, Prinzessin“, sagte Kitt angespannt und nahm Lola an die Pfote.
Zum Glück war die Hütte morsch und das Fensterglas schon gesprungen, so dass sie ohne großartig Lärm zu verursachen nach hinten raus entkommen konnten. Hoffentlich unentdeckt. Jede Minute, die sie gewinnen konnten, konnte ihr Leben erheblich erleichtern.
Schweigend hasteten sie durch die dunklen Gassen Tortugas, während der Wind heulend um sie herum tobte. Bei diesem Wetter ging niemand freiwillig vor die Tür. Es war schon früher Morgen, die letzten Tavernenbesucher lagen bereits in ihren Betten oder irgendwelchen Hauseingängen und schliefen ihren Rausch aus. So kam die Crew ungesehen bis in den Hafen und ging an Bord der wartenden Black Panther.
Es herrschte eine eigenartig gedrückte Stimmung in der Crew, obwohl ihre Mission – Lolas Befreiung – zu guter Letzt doch noch geglückt war. Doch zu welchem Preis? Wie die Schuljungen hatten sie sich von Frankies Crew überraschen und gefangen nehmen lassen und waren nur mithilfe einer Maus entkommen. Noch immer befand sich die Mäusedame in ihrer Gesellschaft und half tatkräftig mit, dass Schiff klar zum Auslaufen zu machen. Lola hingegen war sofort in eine Kajüte unter Deck verschwunden, um sich wieder einigermaßen herzustellen.
Captain Kitt gab Befehle und überwachte die Vorbereitungen. Erst als sie aus dem Hafen glitten und in den Schleier des Regens eintauchten, entspannte er sich ein wenig. Noch war alles ruhig. Wahrscheinlich befreiten die Männer erst Frankie, bevor sie Alarm schlugen. Sie hatten einen kleinen Vorsprung gewonnen, den sie unter keinen Umständen vertrödeln durften. Lolas Sicherheit stand an oberster Stelle.
Jetzt war es an der Zeit, ein paar Fragen zu klären. Doch vorerst zog sich Kitt in seine Kajüte zurück und betrachtete kritisch sein Spiegelbild. Der Kratzer war inzwischen verschorft und bildete eine hässliche Wulst über seiner Nase und die Hütte war auch nicht gerade sauber gewesen. Voller Hingabe begann er, sich die Pfoten zu lecken.
Gerade war er dabei, seinen Schwanz wieder in einen ordentlichen Zustand zu bringen, als es an seiner Tür klopfte.
„Was gibt’s?“, fragte Kitt mürrisch. Er mochte es nicht, bei seiner Fellpflege gestört zu werden, das wusste die Crew.
„Captain, Sir?“, sagte Mick, der Jüngste an Bord. Über seiner Stirn kringelte sich eine Locke. Offenbar war das bei den jungen Katern jetzt in Mode.
„Was?“
„Die Crew… wir möchten anfragen, ob… also, was ich sagen will…“
„Jetzt spuck’s schon aus, Mick.“
„Die Maus, Captain…“
„Was ist mit ihr?“, fragte Captain Kitt alarmiert.
„Warum ist sie an Bord, Sir? Die Männer wollen sie nicht hierhaben… Mäuse bringen Unglück an Bord…“
Kitt entspannte sich. „Bringt sie her“, befahl er.
„Sehr wohl, Sir“, sagte Mick erleichtert, dass er ungeschoren davongekommen war. Natürlich war die Wahl für die Überbringung dieser unangenehmen Botschaft auf ihn gefallen. Er war nun mal der Schiffsjunge.
„Und hör auf, mich Sir zu nennen“, brummte Kitt.
„Jawohl, Si… Captain.“
Kitt seufzte. Manchmal war sein gefürchteter Name schon eine Last. Jeder Neuzugang an Bord hatte einen Riesenbammel vor ihm. Dabei musste man ihn nur fürchten, wenn man ihn zum Gegner hatte. Als Captain war er ein gerechter Kater. Von den erbeuteten Schätzen behielt er den gleichen Anteil für sich, wie auch der Rest der Crew erhielt. Und beim Futter war er auch nicht gierig. Aber das würde Mick schon noch früh genug lernen.
Wenige Minuten später klopfte es wieder. Kitt hatte seine Fellpflege inzwischen beendet und beäugte gerade seine Wunde genauer.
„Miss Maddy, Captain“, meldete Mick.
„Wer?“
„Miss Maddy Maus.“
„Nenn mich nicht Miss“, knurrte eine Stimme hinter Mick.
„Lass sie rein“, sagte Kitt und machte es sich auf seinem Stuhl bequem. „Maddy ist also Euer Name.“
„Ganz recht“, sagte die Maus und schaute Kitt von oben herab an. Sie war wirklich eine ungewöhnlich große Maus. Außerdem stand sie, während er saß. Kitt erhob sich. Jetzt war er wieder größer und fühlte sich bedeutend besser. Das mit dem Selbstbewusstsein war so eine Sache. Vor allem, wenn man sich von einer Maus hatte helfen lassen müssen…
„Verratet mir doch, was Ihr in der alten Hütte wolltet, Miss Maddy“, sagte er.
„Nennt mich nicht Miss“, sagte Maddy. „Ich mag eine Frau sein, aber ich kann genauso gut kämpfen wie ein Mann.“
Kitt warf einen Blick auf ihr Schwert, das derzeit in der Scheide an ihrer Hüfte ruhte.
„Davon durfte ich mich überzeugen“, sagte er. „Wie soll ich Euch dann nennen?“
„Maddy. Captain Maddy.“
Kitt zog eine Braue hoch. „Captain?“
Maddy reckte das Kinn. „Ganz Recht. Ich bin Captain eines Schiffes, dass Frankie Knochen versenkt hat. Ich konnte mich als einzige an Land retten und bin ihm bis in diese Hütte gefolgt, wo ich meine Rache genommen habe.“
„Woher wusstet ihr von der Piratenprinzessin?“
Maddy kniff die Augen zusammen. „Ganz Tortuga spricht von der Prinzessin.“
Erstaunt sah Kitt sie an. „Warum?“
„Wegen des Medaillons.“
„Welches Medaillon?“
Maddy seufzte. „Ich dachte, Ihr seid so ein berühmter Captain. Dann solltet Ihr eigentlich auch über den Schatz von Adamar Bescheid wissen.“
„Adamars legendärer Schatz ist nur Seemannsgarn“, sagte Kitt spöttisch.
„Vielleicht, vielleicht auch nicht“, sagte Maddy und begann in der Kajüte auf und ab zu gehen. „Die Legende besagt, dass der alte Adamar nach dem Tod seiner Geliebten einen Schatz von immensem Umfang auf eine unbekannte Insel irgendwo in der Karibik brachte. Um wieder dorthin zu finden, fertigte er eine Karte an.“
„Da er Angst hatte, dass ihm sein Schatz geklaut werden könnte, hat er jedoch nicht einfach die Lage auf einer Seekarte verzeichnet, sondern ein Medaillon angefertigt, das den Weg weißen soll, ich weiß“, brachte Kitt die Geschichte rasch zu Ende. „Das ist alles Humbug. Jeder weiß, dass Adamar nach dem Tod seiner Frau verrückt wurde und schließlich vor Kummer starb. Es ist nicht einmal erwiesen, dass er einen Schatz besessen hatte.“
„Offenbar glauben aber viele daran“, sagte Maddy. „Eure Prinzessin ist eine hervorragende Schwimmerin, nicht wahr?“
Kitt verzog das Gesicht. Auch wenn er Captain eines Schiffes war, und das Meer sein Zuhause, so war er dennoch - ganz typisch Katze - wasserscheu. Die Schöne Lola jedoch liebte das nasse Element und konnte wie ein Fisch schwimmen. Er nickte.
„Und bei einem ihrer Tauchgänge entdeckte sie das verschollene Medaillon von Adamar!“
„Das ist Unsinn“, sagte Kitt überzeugt. „Es wird nur irgendein Medaillon sein.“
„Warum hat Frankie die Prinzessin dann entführt?“
„Was weiß ich. Vielleicht wollte er den Piratenkaiser mit ihr als Geisel erpressen.“
„Wohl kaum. Es wurden keine Forderungen gestellt. Fragt sie doch selbst.“
Kitt seufzte. Mäuse konnten eine echte Plage sein. Er kannte ihren Sturkopf und vor ihm schien ein ganz besonders dickköpfiges Exemplar zu stehen.
„Also gut“, sagte er. „Ich werde Miss Lola holen lassen. Ich muss sowieso noch mit ihr reden. Inzwischen dürfte sie genug Zeit gehabt haben, um sich wieder zu beruhigen und hübsch zu machen.“
Maddy schnaubte verächtlich.
Kitt öffnete die Tür und rief nach Mick. Der Junge kam sofort angeschossen. „Frag nach, ob Miss Lola bereit ist, mir einen kleinen Besuch abzustatten“, trug Kitt ihm auf.
Mick nickte und flitzte los. Als er wenig später mit der Prinzessin zurückkehrte, hatte sich Captain Kitt eine Flasche aus seinem schicken Wandschrank genommen und schenkte gerade einen Whiskey ein.
„Seid gegrüßt, Miss Lola“, sagte er höflich und reichte der Katze das Glas.
„Habt Dank, Captain“, hauchte Lola mit ihrer sanften Stimme und nippte an dem Whiskey. Sie sah fantastisch aus. Ihr Fell war wieder rein weiß und flauschig, ihre Schnurrhaare pechschwarz. Ihr Gang war geschmeidig und zeugte von ihren regelmäßigen Schwimmstunden. Sie war sportlich durch und durch. Und diese Augen… lange, schwarze Wimpern umrahmten ihre goldgelben Augen.
Captain Kitt musste an sich halten, um nicht zu sabbern. Diese Frau war einfach umwerfend. Sie war hübsch und sie achtete genauso auf ihr makelloses Aussehen, wie er selbst. Sie verstand etwas von Fellpflege. Vielleicht würden sie sich eines Tages gegenseitig die Knoten aus den Haaren bürsten…
„Okay, kommen wir zur Sache“, sagte Maddy und katapultierte Kitt unsanft zurück in die Realität. „Prinzessin, warum hat Frankie Euch gefangen genommen?“
„Frankie?“, hauchte Lola. „Ist das dieser grobschlächtige Hund?“
„Genau der“, bestätigte Maddy.
„Ach“, seufzte Lola. „Es war so grauenhaft!“
„Jetzt ist es ja vorbei“, sagte Kitt beruhigend und bot der Prinzessin seinen bequemen Stuhl an. Dankbar und äußerst anmutig ließ sie sich darauf nieder.
„Das Medaillon!“, sagte Maddy ungeduldig. „Wollte er das Medaillon?“
„Ja“, sagte Lola bedächtig. „Ja, ich glaube schon. Es war so schrecklich! Ich stand in meinem Zimmer oben in Daddys Schloss und auf einmal stürmte er herein! Ich habe mich so erschrocken, als diese riesige, geifernde Bestie plötzlich vor mir stand!“
„Das wird nie wieder passieren“, versicherte Kitt eilig. „Hier seid Ihr sicher.“
„Wo ist das Medaillon jetzt?“, fragte Maddy. „Warum hat er es sich nicht einfach genommen und ist wieder abgehauen?“
„Nun, weil… ich habe es verschluckt“, sagte Lola und senkte beschämt den Kopf. „Ich betrachtete es grade, als er hereingestürmt kam und vor Schreck ist es mir irgendwie die Kehle hinunter gerutscht.“
Ungläubig starrte Maddy die Prinzessin an. „Ihr habt das Medaillon verschluckt?“
„Das erklärt, warum er Miss Lola entführt hat“, sagte Kitt.
„Aber nicht, warum er sie nicht einfach aufgeschlitzt hat“, erwiderte Maddy.
„Maddy!“, zischte Captain Kitt, empört über so wenig Anstand und Zurückhaltung.
„Oh, das hatte er vor“, sagte Lola und erschauerte. „Er sagte, wenn ich das Medaillon nicht augenblicklich hervor würge, würde er mich aufschneiden.“
„Und warum hat er es nicht getan?“, fragte Maddy.
Kitt ließ seine Krallen aus den Pfoten schnellen. Wenn diese Maus nicht umgehend ihr Maul in der Gegenwart der Prinzessin zügelte, würde sie seine Wut zu spüren bekommen!
„Weil ein Bote kam und verkündete, die Black Panther würde gerade im Hafen einlaufen“, erzählte Lola.
„Und da jeder weiß, dass das Vertrauen des Piratenkaisers mir gehört und ich außerdem der gefürchtetste Pirat der Karibik bin-“, sagte Captain Kitt mit stolzgeschwellter Brust.
Maddy schnaubte, doch Kitt sprach ungerührt weiter: „War er natürlich vorgewarnt.“ Er fluchte.
„Und das vor einer Lady“, sagte Maddy boshaft.
„Oh, Verzeihung“, sagte Captain Kitt rasch.
„Ich bin müde. Ich würde mich gerne in meine Kajüte zurückziehen“, sagte Lola mit einem gekonnten Wimpernaufschlag.
„Natürlich, gerne doch, Mylady“, sagte Kitt sofort beflissentlich.
„Eine Frage noch“, sagte Maddy rasch. „Wo ist das Medaillon jetzt?“
„Hier“, sagte Lola und zog das kleine Schmuckstück aus der kleinen Tasche, die sie an einer Kordel um ihren Hals trug. „Ich habe es vorhin ausgeschieden.“
„Keine Details bitte“, sagte Maddy angeekelt und wollte nach dem Medaillon greifen, doch Kitt war schneller.
„Habt Dank, Mylady. Ich werde das besser für Euch aufbewahren“, sagte er und schloss die Pfote fest um das Stück blitzendes Metall.
„Ihr seid ein edler Mann“, sagte die Schöne Lola und stand auf. Mit einem leichten Kopfnicken verabschiedete sie sich und zog sich in ihre Kajüte zurück.
Kitt betrachtete das Schmuckstück genauer, als Lolas Schwanzspitze um die Ecke verschwunden war. Das sollte also das sagenumwobene Medaillon von Adamar sein? Es sah ziemlich nichtssagend aus. Es waren einfach nur zwei goldene ovale Scheiben, die mit einem Scharnier verbunden waren, so dass man es aufklappen konnte. Außerdem hatte es im Laufe der Zeit ganz schön gelitten. Ein paar kleine Löcher befanden sich in dem Schmuckstück.
Kitt bohrte eine Kralle in den winzigen Spalt zwischen den beiden Hälften und öffnete das Schmuckstück. Das Medaillon glänzte im Schein der Kerzen. Captain Kitt kniff die Augen zusammen. In der linken Innenseite waren Buchstaben eingraviert. Kitt konnte zwar lesen, aber nicht sonderlich gut. Um genau zu sein, sogar ziemlich mies. Der Piratenkaiser hatte es ihm einst beigebracht, aber Kitt hatte nie verstanden, wozu das Lesen gut sein sollte. Er konnte Seekarten lesen, Entfernungen messen, das reichte, mehr brauchte er nicht. Mühsam entzifferte er die Buchstaben, bis er schließlich vorlesen konnte, was eingraviert war.
„Unter Stein begraben – liegt mein Schatz, mein Lieb‘. – Soll’s nur einer wagen – zu sein ein gier’ger Dieb. – Wird sich bald beklagen – Über seinen Trieb.“
„Na, ein Poet war er nicht grade, der alte Adamar“, sagte Maddy abschätzig.
Kitt zuckte die Schultern. Poesie war ihm genauso ein Rätsel, wie die Leserei. Überflüssiges Zeug. Deswegen konnte er gute Poesie nicht von schlechter unterscheiden. „Ganz gleich, was er schreibt, eine Karte ist es jedenfalls nicht.“
„Immerhin sagt er, wo er seinen Schatz vergraben hat“, erwiderte Maddy.
„Ja, unter Stein, sehr genau“, spottete Captain Kitt.
„Darf ich mal sehen?“, fragte Maddy ungerührt.
Zögernd gab Kitt ihr das Medaillon. Abhauen konnte sie damit ja nicht. Sie befanden sich irgendwo mitten im Meer und das nächste Festland lag hoffentlich auch schon ein gutes Stück hinter ihnen.
Maddy drehte das Medaillon in ihren Pfoten und betrachtete es genau. Schließlich hielt sie es gegen das Licht. Ihre Augen wanderten zur Wand und ein Leuchten zog über ihr Gesicht.
„Oh, herrlich, fantastisch!“, jauchzte sie. „Adamar war ein kluger Kopf!“
„Wie bitte?“, fragte Kitt ungläubig nach.
„Schaut doch!“, sagte Maddy und deutete auf Kitts schönen Wandschrank, in dem sich eine ordentliche Sammlung von Whiskey- und Rumflaschen befand. Jetzt tanzten ein paar Lichtpunkte auf der dunklen Mahagonivertäfelung. Maddy hielt das Medaillon so vor die Kerzen, dass das Licht nur noch durch die winzigen Löcher in dem Schmuckstück fallen konnte.
„Lichtpunkte, wahrlich, Adamar war ein Meister!“, spottete Kitt. „Halt, nein, das war Mutter Natur, sie hat im Laufe der Zeit die Löcher in das Medaillon gegraben.“
„Nein, dafür sind sie viel zu regelmäßig“, widersprach Maddy. „Schaut doch genauer hin! Fällt Euch nichts auf?“
Seufzend wandte sich Kitt wieder den Lichtpunkten zu. Es war schwierig, länger hinzusehen, weil die See rau war und die Kerzen flackerten, so tanzten die Punkte wie betrunkene Piraten über das dunkle Holz.
„Seht Ihr es nicht?“, sagte Maddy aufgeregt.
„Ich seh‘ nur tanzende Punkte“, brummte Kitt, nicht sicher, ob er sich schämen sollte, weil er offenbar das, was die Maus sah, nicht entdeckte oder erheitert darüber, dass sie offensichtlich verrückt war.
„Es ist eine Karte!“, sagte Maddy. „Da, die vielen Punkte ganz links im Halbbogen, das sind die kleinen Antillen!“
Stirnrunzelnd betrachtete Kitt die tanzenden Flecken. Maddy konnte recht haben. Die Punkte hatten wirklich eine gewisse Ähnlichkeit mit der Inselkette.
„Hier ist Barbados!“, sagte Maddy und deutete auf eine Insel rechts des Halbkreises. „Ich frage mich nur, was das hier für eine kleine Insel ist…“
Captain Kitt betrachtete den winzigen, kaum sichtbaren Lichtfleck, der abseits der anderen Inseln lag und damit mitten in der Karibik liegen musste. Er wusste nichts von einer Insel so weit draußen.
Maddy blickte auf das Medaillon. „Das Loch, das diesen Lichtpunkt erzeugt, ist eingerahmt“, sagte sie. „Ich glaube, das ist die Insel, die wir suchen. Das kleine Eiland, auf der Adamar seinen Schatz vergraben hat.“
Kitt zögerte. Eigentlich sollte er auf geradem Wege zurück nach Cat Island segeln. Auf der Insel in den Bahamas wartete der Piratenkaiser sehnsüchtig auf seine Tochter. Allerdings hatte er seine Männern schon länger keine ordentliche Piraterie mehr durchführen lassen, was sich nicht gerade positiv auf die Stimmung auswirkte. Die war nach dem Reinfall mit Frankie sowieso schon ziemlich mies. Vielleicht war eine Schatzsuche genau das richtige, um die Gemüter wieder zu erhellen. Nichts half besser gegen schlechte Laune als ein paar blitzende Münzen.
„Also gut“, sagte er. „Wir segeln zu dieser Insel. Aber wehe, es gibt dann keinen Schatz!“
Maddy lächelte breit. „Ich bin mir sicher, dass wir einen finden werden!“
„Land! Land in Sicht!“, brüllte Garry und zeigte mit der Pfote in eine bestimmte Richtung.
Kitt sprang an die Reling, konnte aber von seiner niedrigeren Position noch kein Festland ausmachen. Doch er vertraute auf Garrys scharfe Augen. Endlich erreichten sie ihr Ziel. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte er nicht einmal daran geglaubt, dass es diese Insel überhaupt geben sollte, doch nun steuerten sie direkt darauf zu. Sofern seine Berechnungen stimmten, aber davon war Kitt mehr als nur überzeugt. Darin war er Weltmeister.
Captain Kitt gestattete sich einen kleinen Anflug von Hoffnung. Wenn er mit einem ordentlichen Schatz aufwarten konnte, würde ihn das in der Gunst des Piratenkaisers noch steigen lassen. Ganz davon abgesehen, dass er sich unbedingt eine neue Scheide für sein Schwert zulegen wollte und vielleicht eine neue Bürste…
Maddy gesellte sich neben ihn an die Reling. Sie lächelte und warf Kitt einen Blick zu. Kitt versuchte nicht zu begeistert zu wirken. In den Tagen, die sie gemeinsam an Bord verbracht hatten, hatte er die Maus in sein Herz geschlossen, doch das durfte er sich auf gar keinen Fall anmerken lassen. Ein Kater, der eine Maus mochte! Undenkbar! Und doch war diese Maddy eine Frau, wie ein gestandener Mann sie sich nur wünschen konnte. Sie war willensstark, gewitzt und für eine Maus sogar recht hübsch. Gut, sie achtete viel zu wenig auf ihr Aussehen, nicht wie die Schöne Lola, die sich täglich dreimal bürstete. Doch dafür war Maddy auch wesentlich klüger als die Prinzessin. Und auch wenn sie mit ihrer Intelligenz Kitt manchmal ganz schön auf die Nerven gehen konnte, machte sie das für ihn nur attraktiver. Er mochte es, wenn man ihm ein bisschen Kontra gab. Die meisten seiner Crew trauten sich das nicht.
„Beidrehen und Segel reffen!“, befahl er. „Ich will nicht zu nah an die Insel ranfahren. Wir kennen das Gewässer hier nicht und ich habe keine Lust, im seichten Wasser auf ein Riff aufzulaufen. Wir werden mit den Booten an Land gehen.“
Die Crew kam seinen Befehlen sofort nach und einige Minuten später wurden mehrere Boote zu Wasser gelassen. Kitt nahm nur ein paar seiner Männer mit, er hatte keine Lust, dass das winzige Eiland von seiner Crew überrannt wurde.
Als sie schließlich an Land gingen, sank Kitt das Herz. Dreiviertel der Insel bestanden aus zerklüfteten Felsen, die nur schwer zu begehen waren. Wo sollte man hier einen Schatz vergraben?
„Und jetzt?“, fragte er Maddy herausfordern.
„Gib mir nochmal das Medaillon“, verlangte Maddy.
Kitt reichte es ihr und sah zu, wie sie es aufklappte.
Die Sonne stand hoch am Himmel und ließ sie in ihren Pelzen ordentlich schwitzen. Es war heiß und schwül. In der Ferne brauten sich am Horizont Wolken zusammen. In wenigen Stunden würde es ein Gewitter geben.
Maddy betrachtete die linke Hälfte des Medaillons und las noch einmal den Reim durch. Doch er brachte sie nicht weiter. „Hier auf der anderen Hälfte sind auch ein paar Löcher. Ich hielt sie nur nicht für wichtig“, sagte sie und kniete sich hin, um die kleinen Lichtpunkte möglichst deutlich erkenne zu können.
„Wenn man die äußeren Punkte miteinander verbindet, ergeben sie die Form der Insel“, sagte Garry mit schiefgelegtem Kopf.
„Bist du dir sicher?“, fragte Kitt.
„Absolut“, sagte Garry und Kitt glaubte ihm.
„Dann muss dieser Punkt hier den Ort des Schatzes markieren“, sagte Maddy und richtete sich auf. „Das müsste ungefähr… dort sein!“
Mit neuem Elan machte sich die kleine Gruppe auf den Weg, bis sie zu einem senkrecht aus dem Boden wachsenden Felsen kamen. Wie ein Mahnmal erhob er sich über sie und tauchte sie in kühle Schatten. An seinem Fuß befand sich ein kleines dunkles Loch, das irgendwo in die Tiefe des Gesteins führte.
„Das könnte es sein!“, sagte Captain Kitt aufgeregt und entzündete eine der Öllampen, die sie vorsichtshalber mitgenommen hatten. Gebückt betrat er als erster den schwarzen Schlund. Maddy folgte ihm dichtauf, der Rest der kleinen Gruppe kam hinterher.
Ein schmaler Gang führte sie direkt in eine kleine Höhle. Und im Schein der Lampen grinste ihnen ein kahler Schädel entgegen.
Die Schöne Lola, die es sich natürlich nicht hatte nehmen lassen, mit an Land zu gehen, da immerhin sie es gewesen war, die das Medaillon entdeckt hatte, schrie auf und stürmte aus der Höhle.
Alle anderen starrten auf die knöchernen Überreste der Katze, die auf einem steinernen Altar aufgebahrt worden war. Sie war in ein blaues Kleid gehüllt, dass sich im Laufe der Jahre jedoch schon arg zersetzt hatte.
„Wer ist das?“, fragte Maddy schließlich.
„Ich weiß nicht“, sagte Kitt, den das Skelett nicht weiter interessierte. Er hatte etwas neben der Grabstätte entdeckt, dass seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war eine alte, hölzerne Truhe.
„Nur eine Truhe?“, sagte er enttäuscht. Er hatte sich ganze Berge von Gold und Edelsteinen erhofft. Aber eine Truhe war ja besser als nichts. Er kniete sich davor nieder und legte die Pfoten auf den Deckel.
Mit schon fast spürbarer Spannung schauten die anderen ihm zu, wie er langsam den Deckel anhob und jeder versuchte, als erster einen Blick hinein zu erhaschen. Ein Stückchen. Noch ein Stückchen. Schließlich konnte man ins Innere blicken.
Sprachlos starrte Captain Kitt in die Truhe. Mit einem lauten Knall krachte der Deckel zurück und verschloss den Inhalt vor den entsetzten Blicken der Abenteurer.
„Das darf doch einfach nicht wahr sein!“, stöhnte Kitt.
„Briefe?“, sagte Maddy völlig verdattert. „Adamar hat nur einen Haufen alter Briefe in dieser Truhe aufbewahrt?“ Sie öffnete die Truhe erneut und nahm eines der vergilbten Blätter heraus.
„Geliebte Marie“, las sie laut vor. „Heute jährt sich der schönste Tag meines Lebens zum fünften Mal. Als wäre es erst gestern gewesen, erinnere ich mich an unsere erste Begegnung. Du trugst dieses herrliche Kleid aus blauem Stoff und deine Haare waren voller Locken.“
„Liebesbriefe?“, stöhnte Kitt. „Nichts als Liebesbriefe?“
„Unter Stein begraben – liegt mein Schatz, mein Lieb‘. – Soll’s nur einer wagen – zu sein ein gier’ger Dieb. – Wird sich bald beklagen – Über seinen Trieb. Adamar hatte ganz recht“, sagte Maddy langsam. „Er meinte nicht, dass er einen Goldschatz hier vergraben hat. Sondern seine Liebe. Er hat seine Frau hier vergraben. Und jeder der glaubt, hier etwas stehlen zu können, wird enttäuscht sein und sich über seine diebischen Triebe beklagen, die völlig unerfüllt bleiben.“
„Wie bitte?“, sagte ein tiefe Stimme in ihren Rücken. „Die ganze Arbeit war umsonst? Wir sind den Liebesbriefen eines gefühlsduseligen Piraten gefolgt?“
Kitt, Maddy und die Piraten wirbelten herum. Im Eingang der Höhle stand Frankie und grollte vor Wut.
Mit einem Satz sprang Kitt vor, zog sein Schwert in derselben Bewegung und ging auf Frankie los. Ein erbitterter Kampf brach zwischen den beiden Piraten los. Maddy und die anderen stürzten sich ebenfalls ins Getümmel. Schwerter klirrten, als sie aufeinander krachten und wildes Geschrei brach los, das in der Höhle unheimlich hallte, dass es wirkte, eine ganze Armee würde kämpfen.
Es war ein erbitterter Kampf, der, je länger er dauerte, immens an ihren Kräften zehrte. Frankie und Kitt umkreisten sich ein ums andre mal. Frankie war kräftiger, doch dafür war Kitt schneller und geschickter mit der Klinge. Sie bluteten schon aus zahlreichen Schnittwunden, doch keiner davon war auch nur annähernd lebensbedrohlich. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis einem der beiden die Kräfte versagen würden.
Gerade deutete Kitt einen Schlag nach unten an, um die Klinge dann abrupt nach oben zu reißen, als ihn ein Schrei ablenkte. Es war Maddy, die da schrie. Und es klang, als wäre sie in höchster Not. Aus den Augenwinkeln sah er Frankies Klinge auf sich zurasen und duckte sich im letzten Moment weg. Er machte eine Rolle nach vorn und nutzte die Gelegenheit, die sich ihm aus dieser Perspektive ergab. Er hieb Frankie den Ellbogen in die Kniekehle und rollte gleich weiter, damit der massige Leib des fallenden Köters nicht auf ihm landete.
Ohne sich noch einmal umzuschauen, stürmte er zu Maddy hinüber, die gerade von drei massigen Bulldoggen bedrängt wurde und ihr Schwert verloren hatte. Es stand ganz und gar nicht gut um sie.
Mit lautem Gebrüll warf er sich ins Getümmel und setzte gleich zwei der Bulldoggen schachmatt. Maddy schickte den dritten mit einem gezielten Schlag an den Hals ins Reich der Träume, verlor dabei aber das Gleichgewicht und taumelte gegen Kitt. Rasch fing er sie auf und blickte ihr in die braunen Augen.
„Danke“, hauchte Maddy atemlos und küsste ihn auf die Nase.
Kitt wurde heiß und kalt in raschem Wechsel und ein dämliches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Gleich darauf blinzelte er verwirrt. Meine Güte, hatte er sich etwa wirklich in eine Maus verliebt? Er starrte Maddy an, die ihn verführerisch anlächelte und gab sich selbst die Antwort. Ja. Ja, er hatte sich wirklich in eine Maus verliebt. Ob er wohl wahnsinnig geworden war? Lag es an der Höhle? An den Liebesbriefen? Färbte diese Liebe zwischen Adamar und seiner Geliebten ab?
„Grübel nicht so viel“, kicherte Maddy und wand sich aus seinen Pfoten frei. „Wir sollten lieber Frankie daran hindern, Garry zu Hackfleisch zu verarbeiten.“ Und Seite an Seite stürzten sie sich zurück ins Getümmel.
Es dauerte nicht lange, bis sie Frankie und seine Männer überwältigt hatten. Am Ende zahlte sich eben die Schläue und Geschmeidigkeit der Katzen aus.
„Tja, wenn du keinen Hinterhalt zur Verfügung hast, siehst du ziemlich alt aus, was?“, sagte Captain Kitt über den gefesselten Frankie gebeugt und lachte hämisch. Dann ging er Pfote in Pfote mit Maddy aus der Höhle und zurück an Bord seines Schiffs. Und er wusste, er hatte den größten Schatz, den es auf der gesamten Welt gab, mit an Bord gebracht. Lächelnd sah er zu Maddy hinüber, die mit wehendem Tuch an Bug stand und die salzige Gischt auf ihrem Fell genoss. Ihr goldener Ohrring blitzte in der Sonne und Kitts Herz hüpfte vor Glück.
Tag der Veröffentlichung: 22.05.2012
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